Siebentes Capitel

Siebentes Capitel

Geometrische Einzelheiten. – Berechnung der Tragfähigkeit des Ballons. – Das doppelte Luftschiff. – Die Hülle. – Die Gondel. – Der geheimnißvolle Apparat. – Lebensmittel. – Noch eine Zugabe.

Doctor Fergusson hatte sich schon seit geraumer Zeit mit den näheren Details seiner Expedition beschäftigt, und selbstverständlich war der Ballon, dies wunderbare Fahrzeug, das ihn durch die Luft führen sollte, der Hauptgegenstand seiner Sorge.

Zunächst beschloß er, das Luftschiff mit Wasserstoffgas zu füllen, damit er ihm keine zu großen Dimensionen zu geben brauche. Die Erzeugung dieses Gases macht keine Schwierigkeit, es ist vierzehn und ein halb mal leichter als die Luft, und hat bei aerostatischen Versuchen die befriedigendsten Ergebnisse geliefert.

Nach sehr genauen Berechnungen fand der Doctor, daß die zur Reise und Ausrüstung unentbehrlichen Gegenstände ein Gewicht von viertausend Pfund haben würden; man mußte also erforschen, wie groß die emportreibende Kraft sei, welche dies Gewicht zu heben vermochte, und wie hoch sich demgemäß ihre Tragfähigkeit belaufe.

Ein Gewicht von viertausend Pfund wird repräsentirt durch eine Luftverdrängung von vierundvierzigtausend achthundert siebenundvierzig Cubikfuß, was darauf hinausläuft, daß vierundvierzigtausend achthundert siebenundvierzig Cubikfuß Luft etwa viertausend Pfund wiegen.

Wenn man dem Ballon einen Inhalt von vierundvierzigtausend achthundert siebenundvierzig Cubikfuß giebt, und ihn statt mit Luft mit Wasserstoffgas füllt, das vierzehn und ein halb mal leichter, nur zweihundert sechsundsiebzig Pfund wiegt, so bleibt eine Gleichgewichtsdifferenz über, welche einem Gewicht von dreitausend siebenhundert und vierundzwanzig Pfund gleichzusetzen ist. Diese Differenz zwischen dem Gewicht des in dem Ballon enthaltenen Gases und dem Gewicht der atmosphärischen Luft macht die emportreibende Kraft des Luftschiffes aus.

Wenn man jedoch in den Ballon die erwähnten vierundvierzigtausend achthundert siebenundvierzig Cubikfuß Gas einführte, so würde er ganz gefüllt sein; nun darf dies aber nicht geschehen, denn in dem Maße, wie der Ballon in die weniger dichten Luftschichten steigt, strebt das eingeschlossene Gas danach, sich auszudehnen, und würde alsbald die Hülle sprengen. Man füllt also die Ballons gewöhnlich nur zu zwei Dritteln an.

Aber der Doctor beschloß, in Folge eines gewissen, ihm allein bekannten Projektes, sein Luftschiff nur zur Hälfte zu füllen, und da er ja vierundvierzigtausend achthundert siebenundvierzig Cubikfuß Wasserstoff mit sich nehmen mußte, seinem Ballon eine etwa doppelte Tragfähigkeit zu geben.

Er ließ ihn in der länglichen Form anfertigen, der man, wie bekannt, den Vorzug giebt; der horizontale Durchmesser betrug fünfzig, der verticale fünfundsiebenzig Fuß [Fußnote]; er erhielt demgemäß ein Sphäroid, dessen Inhalt sich in runden Zahlen auf neunzigtausend Cubikfuß belief.

Wenn Doctor Fergusson zwei Ballons hätte verwenden können, so würden die Chancen des Gelingens für ihn gestiegen sein; man kann sich thatsächlich, im Fall ein Ballon in der Luft zerplatzen sollte, mittelst des andern durch Auswerfen von Ballast obenhalten. Aber die Handhabung zweier Luftschiffe wird sehr schwierig, wenn es darauf ankommt, ihnen eine gleiche Steigungskraft zu bewahren.

Nach reiflicher Ueberlegung vereinigte Fergusson in Folge eines sinnreichen Gedankens die Vortheile zweier Ballons, ohne deren Nachtheile mit in den Kauf zu nehmen; er construirte zwei von ungleicher Größe und schloß sie in einander ein. Sein äußerer Ballon, dem er die oben angeführten Dimensionen gab, enthielt einen kleineren von gleicher Gestalt, der nur fünfundvierzig Fuß im horizontalen, und achtundsechzig Fuß im verticalen Durchmesser hatte. Der Inhalt dieses inneren Ballons betrug also nur siebenundsechzigtaufend Cubikfuß; er sollte in dem ihn umgebenden Fluidum schwimmen; eine Klappe öffnete sich von einem Ballon nach dem andern, und man konnte dadurch nach Bedürfniß eine Verbindung unter ihnen herstellen.

Diese Einrichtung bot den Vortheil, daß, wenn man, um zu fallen. Gas entweichen lassen wollte, zuerst dasjenige des großen Ballons preisgegeben wurde; selbst wenn man ihn ganz geleert hätte, wäre der kleine unangetastet geblieben; man konnte sich dann der äußern Hülle wie eines lästigen Gewichts entledigen, und das zweite Luftschiff, nunmehr allein, diente dem Winde nicht in gleicher Weise zum Spielball, wie die halbentleerten Ballons.

Sodann hatte beim Eintreten eines etwaigen Unfalls, z. B. eines in den äußern Ballon gekommenen Risses, der andere den Vorzug, unversehrt geblieben zu sein.

Die beiden Luftschiffe wurden aus Lyoner Köperseide, die mit Guttapercha überzogen war, construirt. Diese gummi-harzige Substanz erfreut sich einer absoluten Undurchdringlichkeit; sie wird von den Säuren und Gasen durchaus nicht angegriffen. Der Taffet wurde am obern Pol des Globus, wo die stärkste Spannung ist, doppelt aufgelegt.

Diese Hülle war im Stande, das Fluidum eine unbeschränkte Zeit hindurch zurückzuhalten. Sie wog ein halb Pfund auf neun Quadratfuß. Da jedoch die Oberfläche des äußeren Ballons ungefähr elftausendsechshundert Quadratfuß betrug, wog seine Hülle sechshundertundfünfzig Pfund. Die Hülle des zweiten Ballons, welche neuntausendzweihundert Quadratfuß Oberfläche hatte, wog nur fünfhundertundzehn Pfund: also im Ganzen gleich elfhundertundsechzig Pfund.

Die Stricke, welche die Gondel tragen sollten, waren aus Hanf von größtmöglicher Festigkeit gedreht, und die beiden Ventile bildeten, gerade wie das Steuer eines Schiffes, den Gegenstand der minutiösesten Sorgfalt.

Die Gondel, welche kreisförmig war und fünfzehn Fuß im Durchmesser hatte, wurde aus Korbweide gefertigt, mit einem leichten Eisenbeschlag verstärkt und am untern Theile mit elastischen Sprungfedern versehen, welche die Bestimmung hatten, etwaige Stöße abzuschwächen. Ihr Gewicht betrug, mit Einschluß der Stricke, nicht über zweihundertundachtzig Pfund.

Außerdem ließ der Doctor vier Kasten von zwei Linien dickem Blech construiren, und diese untereinander mit Röhren verbinden, welche wiederum mit Hähnen versehen waren. Er setzte damit ein Schlangenrohr von ungefähr zwei Zoll Durchmesser in Verbindung, welches Letztere in zwei ungleich lange, gerade Enden auslief, deren größtes fünfundzwanzig Fuß maß, während das kürzere nur eine Höhe von fünfzehn Fuß hatte.

Die Blechkasten wurden dergestalt in die Gondel eingepaßt, daß sie einen möglichst geringen Raum einnahmen; das Schlangenrohr, welches erst später eingefügt werden sollte, wurde besonders verpackt, und ebenso eine sehr starke Bunsen’sche elektrische Batterie. Dieser Apparat war so sinnreich zusammengestellt, daß er nicht mehr als siebenhundert Pfund wog, sogar fünfundzwanzig Gallonen Wasser, die in einem besondern Kasten waren, mit inbegriffen.

Die für die Reise bestimmten Instrumente bestanden in zwei Barometern, zwei Bussolen, einem Sextanten, zwei Chronometern, einem künstlichen Horizont und einem Altazimuth, um entfernte und unzugängliche Gegenstände mehr hervortreten zu lassen. Die Sternwarte in Greenwich hatte sich dem Doctor zur Verfügung gestellt. Dieser hatte übrigens nicht die Absicht, physikalische Experimente zu machen; er wollte nur über die Direction im Klaren sein und die Lage der hauptsächlichsten Flüsse, Berge und Städte bestimmen können.

Er versah sich mit drei eisernen, genau erprobten Ankern, so wie mit einer leichten, widerstandsfähigen, etwa fünfzig Fuß langen, seidenen Leiter.

Fergusson berechnete auch das genaue Gewicht seiner Lebensmittel; diese bestanden in Thee, Kaffee, Zwieback, gesalzenem Fleisch und Pemmican, einer Zubereitung von getrocknetem Fleisch, welche bei sehr geringem Umfange viele nährende Bestandtheile enthält. Als Getränk stellte er, außer einem genügenden Vorrath Branntwein, zwei Wasserkisten auf, die jede zweiundzwanzig Gallonen faßten. Der Verbrauch dieser verschiedenen Nahrungsmittel sollte allmälig das von dem Luftschiff getragene Gewicht verringern; denn das Gleichgewicht eines Ballons in der Atmosphäre ist bekanntlich äußerst empfindlich. Der Verlust eines ganz unbedeutenden Gewichts genügt, um eine sehr merkliche Aenderung der Stellung hervorzubringen.

Der Doctor vergaß weder ein Zelt, das einen Theil der Gondel schützen sollte, noch die Decken, welche das ganze Reisebettzeug ausmachten, noch auch die Flinten oder den Kugel- und Pulvervorrath des Jägers.

Hier eine Uebersicht seiner verschiedenen Berechnungen:

Fergusson 135 Pfund
Kennedy 153 Pfund
Joe 120 Pfund
Gewicht des ersten Ballons 650 Pfund
Gewicht des zweiten Ballons 510 Pfund
Gondel nebst Stricken 280 Pfund
Anker, Instrumente, Flinten, Decken, Zelt, verschiedene Utensilien 196 Pfund
Fleisch, Pemmican, Zwieback, Thee, Kaffee, Branntwein 380 Pfund
Wasser 400 Pfund
Apparat 700 Pfund
Gewicht des Wasserstoffs 276 Pfund
Ballast 200 Pfund
Summa 4000 Pfund

Diese Bestimmung gab der Doctor im Einzelnen den viertausend Pfund, welche er mitzunehmen beabsichtigte; er nahm nur zweihundert Pfund Ballast ein, »nur für unvorhergesehene Fälle«, wie er sagte, denn, Dank seinem Apparat, hoffte er stark darauf, keinen Gebrauch davon machen zu dürfen.

Achtes Capitel

Achtes Capitel

Joe’s Selbstgefühl. – Der Befehlshaber des Resolute. – Kennedy’s Arsenal. – Einrichtungen. – Das Abschiedsessen. – Die Abreise am 21. Februar. – Wissenschaftliche Sitzungen des Doctors. – Duveyrier, Livingstone. – Einzelheiten der Luftreise. – Kennedy wird zum Schweigen gebracht.

Am 10. Februar waren die Vorbereitungen ihrem Ende nahe, und die in einander gefügten Ballons vollständig fertig; sie hatten einen starken Luftdruck, der hineingetrieben worden war, ausgehalten, und diese Probe legte ein gutes Zeugniß für ihre Solidität, so wie für die bei ihrem Bau angewandte Sorgfalt ab.

Joe wußte sich vor Freude nicht zu lassen: er war beständig auf dem Wege von Greek Street nach der Werkstatt der Herren Mitchell, immer geschäftig, aber immer aufgeräumt; jedem, der es hören wollte, von der betreffenden Angelegenheit erzählend, und vor Allem stolz darauf, daß er seinen Herrn begleiten durfte. Ich vermuthe sogar, daß der gute Junge sich einige halbe Kronen damit verdiente, das Luftschiff zu zeigen, die Gedanken und Pläne des Doctors zu entwickeln, und die Leute auf dessen jetzt vielbesprochene Persönlichkeit aufmerksam zu machen, wenn er an einem halbgeöffneten Fenster lehnte oder bei Gelegenheit durch die Straßen ging. Wir dürfen Joe deshalb nicht zürnen; er hatte wohl das Recht, etwas auf die Bewunderung und Neugier seiner Zeitgenossen zu speculiren.

Am 16. Februar legte sich der Resolute auf der Höhe von Greenwich vor Anker. Es war ein Schraubendampfer von achthundert Tonnen Last und ein guter Segler, der zuletzt den Auftrag gehabt hatte, die Expedition von Sir James Roß nach den Polargegenden von Neuem mit Proviant zu versorgen. Der Befehlshaber Pennet stand in dem Rufe eines liebenswürdigen Mannes und nahm an der Reise des Doctors, den er schon von früher her kannte, einen ganz besondern Antheil. Pennet hätte eher für einen Gelehrten, als für einen Soldaten gelten können; trotzdem führte sein Fahrzeug vier Karronaden, die jedoch nie Jemandem etwas zu Leide gethan und nur den Zweck hatten, bei den allerfriedlichsten Gelegenheiten Spectakel zu machen.

Der Schiffsraum des Resolute wurde für die Aufnahme des Ballons eingerichtet, und dieser mit der größten Vorsicht am 18. Februar hinübergeschafft. Man lagerte ihn auf dem Boden des Schiffes ab, um jedem Unfall vorzubeugen; die Gondel nebst Zubehör, die Anker, Stricke, Lebensmittel so wie die Wasserkisten, welche nach der Ankunft gefüllt werden sollten. Alles wurde unter Fergusson’s Augen gestaut.

Zur Erzeugung des Wasserstoffgases verlud man zehn Tonnen Schwefelsäure und zehn Tonnen altes Eisen. Diese Quantität war mehr als hinreichend, doch mußte man sich gegen mögliche Verluste decken. Der Gasentwickelungs-Apparat, welcher aus etwa dreißig Fässern bestand, wurde in den untern Schiffsraum gebracht.

All‘ diese verschiedenen Vorbereitungen waren am Abend des 18. Februar beendet, und zwei bequem eingerichtete Kajüten erwarteten den Doctor Fergusson und seinen Freund Kennedy. Soviel dieser Letztere auch schwur, daß er nicht mitreisen würde, begab er sich doch mit einem Jagdarsenal an Bord, das aus zwei vorzüglichen, doppelläufigen Hinterladern und einem vielfach erprobten Karabiner aus der Fabrik der Herren Purdey Moore und Dickson in Edinburg bestand. Mit solchen Waffen konnte der Jäger mit Sicherheit aus einer Entfernung von zweitausend Schritt einer Gemse das Auge ausschießen. Zu diesen Gewehren fügte er für unvorhergesehene Fälle zwei sechsläufige Colt-Revolver; Pulverhorn, Patrontasche, Blei und Kugeln in hinreichender Menge überstiegen nicht das von dem Doctor angegebene Gewicht.

Die drei Reisenden gingen am 19. Februar an Bord, und wurden vom Kapitän und seinen Officieren mit großer Auszeichnung aufgenommen. Der Doctor erschien ziemlich kalt und einzig mit seiner Expedition beschäftigt; Dick war in außerordentlicher Erregung, aber doch bemüht, dieselbe zu verbergen, und Joe endlich sprang außer sich vor Vergnügen hin und her, indem er sich in den schnurrigsten Reden erging. Er wurde bald der Bruder Lustig auf dem Schiffe und bei Jedermann beliebt.

Am zwanzigsten lud die Königlich Geographische Gesellschaft den Doctor Fergusson und Herrn Kennedy zu einem großen Abschiedsessen ein. Der Befehlshaber des Resolute und seine Officiere wohnten gleichfalls diesem Mahle bei, das unter allseitiger, fröhlicher Laune verlief, und bei dem es an einer Masse schmeichelhafter Trinksprüche für unsere Freunde nicht fehlte. Gesundheiten wurden in einer so reichen Zahl ausgebracht, daß sie genügend gewesen wären, um den Gästen ein hundertjähriges Leben zu sichern. Sir Francis M… führte mit mäßiger aber würdevoller Rührung den Vorsitz.

Zu Herrn Dick’s großem Mißfallen erhielt auch er sein reichliches Theil von diesen Glückwünschen. Nachdem man auf den unerschrockenen Fergusson, den Ruhm Englands, getrunken hatte, durfte man nicht verabsäumen, auf den nicht minder heldenmüthigen Kennedy, seinen kühnen Begleiter, zu trinken.

Dick erröthete über und über, was ihm jedoch als Bescheidenheit ausgelegt wurde, und nur zur Folge hatte, daß man die Beifallsbezeugungen verdoppelte. Dick Kennedy erröthete noch tiefer. –

Beim Dessert langte eine Botschaft der Königin an; sie sandte den beiden Reisenden ihre Grüße und ließ ihnen Glück zu ihrem Unternehmen wünschen. Dies erforderte natürlich wiederum Toaste »auf Ihre allergnädigste Majestät«.

Endlich, um Mitternacht, trennten sich die Gäste nach einem rührenden Abschied und manch‘ warmem Händedruck.

Die Boote des Resolute warteten an der Westminster-Brücke; der Commandant nahm in Gesellschaft seiner Passagiere und Mannschaften darin Platz, und der Strom der Themse brachte die Gesellschaft schnell nach Greenwich.

Um ein Uhr lag Alles an Bord im tiefsten Schlafe.

Am Morgen des 21. Februar, um drei Uhr früh, waren die Kessel geheizt, um fünf Uhr lichtete man die Anker, und unter dem Druck der Schraube steuerte der Resolute der Mündung der Themse zu.

Wir brauchen nicht erst zu sagen, daß die Unterhaltung an Bord sich einzig und allein um die Expedition des Doctors Fergusson drehte. Wenn man ihn sah oder über die Unternehmung sprechen hörte, so flößte er ein solches Vertrauen ein, daß bald Niemand, der Schotte ausgenommen, den Erfolg seiner Expedition in Frage stellte.

Während der langen unbeschäftigten Stunden der Reise ging der Doctor mit den Officieren einen förmlichen geographischen Cursus durch. Die jungen Leute interessirten sich lebhaft für die seit vierzig Jahren in Afrika gemachten Entdeckungen; er erzählte ihnen von den Forschungsreisen Barth’s, Burton’s, Speke’s, Grant’s, und schilderte ihnen dies geheimnißvolle Land, das gegenwärtig so rege von der Wissenschaft in Angriff genommen war. Im Norden erforschte der junge Duveyrier die Sahara und brachte die Häuptlinge der Tuaregs nach Paris. Unter Oberaufsicht der französischen Regierung wurden zwei Expeditionen ausgerüstet, die vom Norden herab nach Westen gehend, sich in Timbuctu kreuzen sollten. Im Süden rückte der unermüdliche Livingstone immer gegen den Aequator vor, und vom Mai des Jahres 1862 ab ging er in Gesellschaft Mackensie’s an dem Novoonia-Flusse aufwärts. Das neunzehnte Jahrhundert würde gewiß nicht zu Ende gehen, ohne daß Afrika die in seinem Schooß seit sechstausend Jahren vergrabenen Geheimnisse enthüllt hätte.

Das Interesse der Zuhörer Fergusson’s wurde besonders geweckt, als er ihnen im Einzelnen von den Vorbereitungen zu seiner Reise erzählte; sie wollten die Probe seiner Berechnungen machen, und begannen eine Erörterung, in welche der Doctor sich ohne alle Umschweife einließ.

Im Allgemeinen staunte man über die verhältnißmäßig geringe Menge von Lebensmitteln, welche er mit sich führte, und eines Tages befragte Jemand den Doctor in Bezug hierauf.

»Das ist Ihnen erstaunlich?« antwortete Fergusson. »Aber wie lange glauben Sie denn, daß ich unterwegs sein werde? Doch nicht etwa Monate? Da irren Sie sehr; wenn meine Reise sich in die Länge ziehen sollte, würden wir verloren sein, und gar nicht an’s Ziel gelangen. So wissen Sie denn, daß von Zanzibar nach der Küste von Senegal nicht mehr als dreitausendfünfhundert, nehmen Sie an viertausend Meilen sind. Wenn man nun in zwölf Stunden zweihundertundvierzig Meilen zurücklegt, was der Schnelligkeit unserer Eisenbahnen nicht nahe kommt, und wenn man Tag und Nacht reist, so würden sieben Tage genügen, um Afrika zu durchfahren.«

»Aber dann könnten Sie nichts sehen, keine geographischen Aufnahmen machen, noch das Land gehörig kennen lernen.«

»Ich werde mich deshalb auch«, antwortete der Doctor, »überall aufhalten, wo ich es für gut befinde, besonders auch dann, wenn zu heftige Luftströmungen mich fortzureißen drohen.«

»Und das wird nicht ausbleiben«, sagte Pennet; »es wüthen bisweilen Orkane, welche über zweihundertundvierzig Meilen in der Stunde zurücklegen.«

»Sie sehen«, versetzte der Doctor, »bei einer solchen Schnelligkeit könnte man Afrika in zwölf Stunden durchfahren. Man würde in Zanzibar aufstehen, um in Saint-Louis zu Bett zu gehen.«

»Aber«, äußerte ein Officier, »könnte denn ein Ballon in solcher Schnelligkeit mit fortgerissen werden?«

»Man hat das schon erlebt«, erwiderte Fergusson.

»Und der Ballon hat Stand gehalten?«

»Vollkommen. Zur Zeit der Krönung Napoleon’s im Jahre 1804 ließ der Luftschiffer Garnerin um elf Uhr Abends von Paris einen Ballon ab, der in goldenen Lettern die folgende Inschrift trug: ›Paris, 25 frimaire an XIII, couronnement de l’empereur Napoléon par S. S. Pie VII.‹ [Fußnote] Am folgenden Morgen, um fünf Uhr, sahen die Einwohner von Rom denselben Ballon über dem Vatikan schweben, die römische Campagna durchfliegen und sich in den See von Bracciano versenken. Dies der Beweis, meine Herren, daß ein Ballon gegen solche Schnelligkeit Stand halten kann.«

»Ein Ballon, mag sein! – aber ein Mensch?« wagte Kennedy einzuwerfen.

»Auch ein Mensch! Denn ein Ballon ist immer unbeweglich im Verhältniß zu der ihn umgebenden Luft: er selber geht nicht, sondern die Luftmasse; zündet z. B. ein Licht in einer Gondel an, und die Flamme wird nicht hin- und herflackern. Ein Luftschiffer auf dem Ballon Garnerin’s hätte von dieser Schnelligkeit keineswegs gelitten. Uebrigens liegt mir durchaus nicht daran, mit einer solchen Geschwindigkeit zu experimentiren, und wenn ich mein Luftschiff während der Nacht an einen Baum oder irgend eine Unebenheit des Bodens ketten kann, werde ich mir das nicht entgehen lassen. Wir führen indessen für zwei Monate Lebensmittel mit uns, und nichts wird unsern geschickten Jäger daran hindern, Wildpret im Überfluß zu erbeuten, wenn wir uns einmal auf der Erde niederlassen.«

»Ah, Herr Kennedy, Sie werden Gelegenheit haben, Meisterschüsse zu thun«, sagte ein junger Midshipman, den Schotten mit neidischen Augen betrachend.

»Ganz abgesehen davon«, fügte ein anderer hinzu, »daß Ihr Vergnügen mit großem Ruhm Hand in Hand gehen wird.«

»Meine Herren«, antwortete der Jäger … »ich weiß Ihre Complimente sehr wohl zu würdigen. … aber ich kann dieselben nicht annehmen …«

»Wie? rief man von allen Seiten, Sie werden nicht mitreisen?«

»Ich werde nicht reisen.«

»Sie wollen den Doctor Fergusson nicht begleiten?«

»Nicht nur das, sondern meine Anwesenheit hat keinen andern Grund, als ihn im letzten Augenblick noch zurückzuhalten.«

Aller Blicke richteten sich auf den Doctor.

»Hören Sie nicht auf ihn«, antwortete dieser mit ruhiger Miene. »Das ist eine Frage, die man nicht mit ihm erörtern darf; er weiß im Grunde recht gut, daß er mitreisen wird.«

»Beim Heiligen Patrick! rief Kennedy aus, ich betheuere …«

»Betheuere nichts, Freund Dick; Du bist ausgemessen. Du bist gewogen. Du bist mitsammt Deinem Pulver, Deinen Flinten und Kugeln in unser Luftschiff eingepaßt; so laß uns nicht mehr davon sprechen.«

Und wirklich öffnete Dick von diesem Tage bis zur Ankunft in Zanzibar nicht mehr den Mund; er sprach ebenso wenig von der Reise wie von etwas Anderem. Er schwieg.

Neuntes Capitel

Neuntes Capitel

Das Cap wird umfahren. – Das Halbverdeck. – Kosmographischer Cursus des Professor Joe. – Von der Lenkung des Ballons. – Von der Erforschung der atmosphärischen Ströme. – Εύρηκα

Der Resolute segelte rasch auf das Cap der guten Hoffnung zu, und das Wetter hielt sich gut, obgleich das Meer hoch ging.

Am 30. Mai, siebenundzwanzig Tage nach der Abreise von London, zeichnete sich der Tafelberg am Horizonte ab; die Capstadt, am Fuße eines Amphitheaters von Hügeln gelegen, war mit den Ferngläsern wahrzunehmen, und bald legte sich der Resolute im Hafen vor Anker. Aber der Commandant hielt nur an, um Kohlen einzunehmen, und dies war in einem Tage geschehen; am folgenden schon hielt das Schiff südlich, um die mittägige Spitze Afrika’s zu umsegeln und in den Canal von Mozambique einzulaufen.

Joe machte nicht seine erste Reise zur See; er fühlte sich bald an Bord heimisch, und Jedermann hatte ihn wegen seiner Offenherzigkeit und guten Laune gern. Ein Abglanz von der Berühmtheit seines Herrn strahlte auch auf ihn über; wenn er sprach, lauschte man auf ihn, wie auf ein Orakel.

Während der Doctor seinen gelehrten Cursus in der Officierskajüte fortsetzte, thronte Joe auf dem Halbverdeck und machte auf seine Weise Geschichte, ein übrigens von den größten Geschichtsschreibern aller Zeiten befolgtes Verfahren.

Natürlich handelte es sich hierbei hauptsächlich um die Luftreise. Es war Joe schwer geworden, den störrigen Geistern die Unternehmung als überhaupt ausführbar vorzustellen; nachdem man aber einmal von der Möglichkeit derselben überzeugt war, kannte die von der Erzählung Joe’s angestachelte Phantasie der Matrosen keine Grenzen.

Der brillante Erzähler redete seiner Zuhörerschaft ein, daß man nach dieser Reise noch sehr viele andere machen würde; dies sei nur der Anfang einer langen Reihe großartiger Unternehmungen.

»Wissen Sie, meine Freunde, wenn man diese Art der Beförderung einmal versucht hat, so kann man dieselbe nicht mehr entbehren; bei unserer nächsten Expedition werden wir, anstatt von einer Seite zur andern, gerade aus gehen, indem wir fortwährend steigen.«

»Gut! also gerade auf den Mond los«, sagte ein staunender Zuhörer.

»Auf den Mond? entgegnete Joe; nein wahrhaftig, das ist uns denn doch zu gewöhnlich! Nach dem Monde kann Jeder reisen! Übrigens giebt es dort kein Wasser, und man ist genöthigt, ungeheure Vorräthe davon mitzunehmen … ebenso auch einige Fläschchen Atmosphäre, so wenig man auch zum Athmen braucht.«

»Ob da wohl Gin zu haben ist?« äußerte ein Matrose, der dies Getränk sehr zu lieben schien.

»Auch das nicht, mein Lieber! nein, mit dem Monde ist es nichts, aber mir wollen unter den Sternen lustwandeln, unter den reizenden Planeten, über die sich mein Herr so oft mit mir unterhalten hat. – Und wir werden damit anfangen, dem Saturn einen Besuch zu machen …«

»Dem, der so einen Ring um sich herum hat?« fragte der Quartiermeister.

»Ja, einen Hochzeitsring. Man weiß nur nicht, was aus seiner Frau geworden ist.«

»Wie! so hoch würdet ihr hinaufsteigen? sagte ein Schiffsjunge verwundert. Da ist Ihr Herr wohl der leibhaftige Teufel?«

»Der Teufel? nein, dazu ist er zu gut!«

»Also nach dem Saturn?« fragte einer der ungeduldigsten Zuhörer.

»Nach dem Saturn? ja, natürlich! und dann statten wir dem Jupiter einen Besuch ab; das ist ein komisches Land, in welchem die Tage nur neun und eine halbe Stunde lang sind – ganz bequem für die Faullenzer; wo ein Jahr z. B. zwölf Jahre dauert, was sehr vorteilhaft für die Leute ist, die nur noch ein halbes Jahr zu leben haben. Es verlängert das etwas ihre Existenz!«

»Zwölf Jahre!« wiederholte erstaunt der Schiffsjunge.

»Ja, mein Kleiner; wärest Du dort geboren, so würdest Du jetzt noch als Säugling auf dem Arm Deiner Mama getragen werden, und jener Alte im fünfzigsten Jahr wäre ein niedliches Püppchen von kaum vier Jahren.«

»Das ist nicht zu glauben!« rief das Halbverdeck wie aus einem Munde.

»Die reine Wahrheit«, betheuerte Joe zuversichtlich. »Aber wie das so geht! wenn man, ohne sich anderwärts umzusehen, in dieser Welt immer weiter vegetirt, so lernt man nichts und bleibt unwissend wie ein Meerschwein. Kommt nur erst auf den Jupiter, dort werdet Ihr Euer blaues Wunder sehen! Man muß sich da oben anständig benehmen, denn er hat eine unangenehme Leibwache von Trabanten um sich!«

Man lachte, aber doch glaubte man ihm halb und halb; er redete weiter vom Neptun, bei dem die Seeleute gut aufgenommen würden, und vom Mars, auf welchem das Militär allen Andern den Rang ablaufe, was schließlich ganz unerträglich wäre. Was den Mercur anlangte, so sei das eine garstige Welt, nichts als Diebe und Kaufleute, die sich einander so ähnlich sehen, daß man sie schwer unterscheiden könne. Endlich entwarf er ihnen von der Venus ein wahrhaft entzückendes Bild.

»Und wenn wir von dieser Expedition zurückkehren«, sagte der liebenswürdige Erzähler, »wird man uns mit dem Stern des südlichen Kreuzes decoriren, der da oben an dem Knopfloch des lieben Gottes leuchtet.«

»Und Ihr habt ihn dann mit Recht verdient!« sagten die Matrosen.

So vergingen in heiteren Scherzreden die langen Abende auf dem Halbverdeck, während im Kreise der Officiere die belehrenden Unterhaltungen des Doctors ihren Fortgang nahmen.

Eines Tages unterhielt man sich über die Lenkung der Ballons, und Fergusson wurde dringend aufgefordert, seine Meinung in Bezug darauf abzugeben.

»Ich glaube nicht«, sagte er, »daß es gelingen wird, die Ballons zu lenken. Ich kenne alle in dieser Beziehung versuchten oder vorgeschlagenen Systeme, aber nicht ein einziges hat Erfolg gehabt, nicht ein einziges ist ausführbar. Sie begreifen wohl, daß ich mich eingehend mit dieser Frage beschäftigen mußte, die ein so großes Interesse für mich hat; aber ich habe sie mit den, von den gegenwärtigen Kenntnissen der Mechanik gelieferten Mitteln nicht lösen können. Man müßte eine bewegende Kraft von außerordentlicher Macht und unmöglicher Leichtigkeit entdecken! Und auch dann noch wird man gegen beträchtliche Luftströmungen nicht anzukämpfen vermögen. Bis jetzt hat man sich übrigens vielmehr damit beschäftigt, die Gondel zu lenken, als den Ballon. Und das ist ein Fehler.«

»Es bestehen aber doch, entgegnete man, genaue Beziehungen zwischen einem Luftschiff und einem Schiff, und dies kann man nach Belieben lenken.«

»Ich muß das in Abrede stellen, antwortete der Doctor Fergusson. Die Luft ist unendlich weniger dicht als das Wasser, in welches das Schiff nur zur Hälfte sinkt, während das Luftschiff ganz und gar in der Atmosphäre schwebt und mit Beziehung auf das umgebende Fluidum unbeweglich bleibt.«

»Sie sind also der Meinung, daß die aerostatische Wissenschaft ihr letztes Wort gesprochen hat?«

»Keineswegs! Wenn man den Ballon nicht lenken kann, so muß man etwas Anderes zu erreichen suchen, ihn zum Mindesten in den für ihn günstigen atmosphärischen Strömungen erhalten. In dem Maße wie man sich hebt, werden diese einförmiger und folgen dann beständig derselben Richtung; sie werden nicht mehr durch die Thäler und Berge, welche die Oberfläche der Erdkugel durchfurchen, gestört, und das ist ja bekanntlich die Hauptursache der Veränderungen des Windes und seiner ungleichen Stärke. Wenn nun aber einmal diese Zonen bestimmt sind, so braucht man den Ballon nur in die für ihn passende Strömung zu versetzen.«

»Aber man wird dann«, begann der Commandant, »beständig steigen oder fallen müssen, um sie zu erreichen. Darin liegt die eigentliche Schwierigkeit, mein lieber Doctor.«

»Und warum, mein lieber Herr Pennet?«

»Verständigen wir uns: es wird das nur für die ausgedehnten Reisen eine Schwierigkeit und ein Hinderniß sein, nicht für einfache Luftspaziergänge.«

»Und weshalb denn, wenn’s beliebt?«

»Weil man nur steigt, wenn man Ballast auswirft, und sich nur mit dem Verluste von Gas herabläßt; und weil bei diesem Verfahren Ihre Gas- und Ballastvorräthe schnell erschöpft sein werden.«

»Mein lieber Pennet, dies eben ist die ganze Frage, dies ist die einzige Schwierigkeit, welche die Wissenschaft zu besiegen streben muß. Es handelt sich nicht darum, die Ballons zu lenken; sondern vielmehr darum, sie von oben nach unten zu bewegen, ohne dieses Gas zu vergeuden, welches, wenn man sich so ausdrücken darf, die Kraft, das Blut, die Seele des Ballons ist.«

»Sie haben Recht, mein lieber Doctor, aber diese Schwierigkeit ist noch nicht gelöst, das Mittel dafür noch nicht gefunden.«

»Bitte um Verzeihung, es ist gefunden.«

»Von wem?«

»Von mir!«

»Von Ihnen?«

»Sie begreifen wohl, daß es mir ohne dies nicht hätte in den Sinn kommen können, eine Bereisung Afrika’s im Ballon zu unternehmen; nach Vierundzwanzig Stunden wäre ich mit meinem Gas auf’s Trockene gesetzt worden!«

»Aber Sie haben davon in England nichts verlauten lassen?«

»Nein, denn es lag mir nichts daran, meine Erfindung öffentlich besprochen zu sehen; es schien mir dies überflüssig. Ich habe in der Stille vorbereitende Versuche gemacht, die befriedigend ausgefallen sind, und weiter brauche ich nichts.«

»Nun, mein lieber Fergusson, darf man jetzt Ihr Geheimniß erfahren?«

»Ja wohl, meine Herren, das Mittel ist äußerst einfach.«

Die Aufmerksamkeit der Zuhörer war auf das Höchste gespannt, und der Doctor begann ruhig die folgende Auseinandersetzung:

Zweiundvierzigstes Capitel

Zweiundvierzigstes Capitel

Edler Wettstreit. – Letztes Opfer. – Der Ausdehnungsapparat. – Geschicklichkeit Joe’s. – Mitternacht. – Die Wache des Doctors. – Die Wache Kennedy’s. – Er schläft ein. – Der Brand. – Das Geheul – Außer dem Bereich.

Doctor Fergusson bestimmte zunächst die Lage der Oertlichkeit nach der Höhe der Sterne; er befand sich kaum fünfundzwanzig Meilen vom Senegal entfernt.

»Alles, was wir erreichen können, meine Freunde, begann er, nachdem er das Besteck auf der Karte gemacht hatte, … ist, daß wir den Fluß überschreiten; da es hier aber weder eine Brücke noch Barken giebt, müssen wir durchaus im Ballon hinüber und dazu sein Gewicht noch mehr verringern.

– Aber ich sehe nicht ein, wie das möglich ist, entgegnete der Jäger, der für seine Waffen fürchtete; wofern nicht einer von uns sich opfert, indem er zurückbleibt … und ich meinerseits möchte diese Ehre beanspruchen.

– Das wäre! begann Joe; bin ich nicht etwa gewohnt …

– Es handelt sich diesmal nicht darum, hinauszustürzen, sondem zu Fuß die Küste Afrika’s zu erreichen; ich bin ein tüchtiger Fußgänger, ein guter Jäger. . .

– Nie werde ich das zulassen! rief Joe.

– Euer großmüthiger Streit ist überflüssig, meine wackern Freunde, sagte Fergusson; ich hoffe, daß es nicht zum Aeußersten mit uns kommen wird; sollte ein solches Mittel übrigens nothwendig werden, so würden wir zusammenbleiben, um uns gemeinsam durch dies Land zu schlagen.

– Das nenne ich doch noch ein Wort! meinte Joe; ein kleiner Spaziergang wird uns nicht schaden.

– Aber zuvor, versetzte der Doctor, wollen wir ein letztes Mittel anwenden, um unsern Victoria zu erleichtern.

– Welches? fragte Kennedy; darauf bin ich sehr gespannt.

– Wir müssen die Kasten des Knallgasgebläses, die Bunsen’sche Batterie und das Schlangenrohr hinausschaffen. An ihnen schleppen wir ein Gewicht von nahezu neunhundert Pfund mit uns durch die Lüfte.«

»Aber, Samuel, wie willst Du denn die Ausdehnung des Gases erzielen?«

»Wir müssen ohne eine solche fertig werden.«

»Aber …«

»Hört mich an, meine Freunde; ich habe sehr genau den Rest der emportreibenden Kraft des Ballons berechnet; sie reicht hin, um uns alle drei mit den wenigen Gegenständen, die uns bleiben, fortzuschaffen; wir werden kaum ein Gewicht von fünfhundert Pfund haben, unsere beiden Anker, die ich zu behalten gedenke, mit inbegriffen.«

»Mein lieber Samuel«, erwiderte der Jäger, »Du bist in dergleichen Dingen mehr competent, als wir; Du allein kannst unsere Lage beurtheilen; sage uns, was wir thun sollen, und wir werden gehorchen.«

»Ich harre Ihrer Befehle, Herr Doctor.«

»Ich wiederhole Euch, meine Freunde, so bedenklich diese Entscheidung auch sein mag, wir müssen unsern Apparat opfern.«

»Wir opfern ihn! an’s Werk!« riefen Kennedy und Joe.

Es war dies keine geringe Arbeit; man mußte den Apparat Stück für Stück auseinandernehmen; zuerst wurde der Mischungskasten, dann der des Knallgasgebläses und endlich der Kasten, in dem die Zerlegung des Wassers vor sich ging, entfernt. Es bedurfte nicht minder der vereinten Kraft der drei Reisenden, um die Behälter unten aus der Gondel, wo sie fest eingefügt waren, herauszureißen; aber Kennedy war so kräftig, Joe so gewandt und Samuel so erfinderisch, daß man endlich damit zu Stande kam: die verschiedenen Stücke wurden nach einander ausgeworfen und verschwanden, indem sie in das Laub der Sykomore große Lücken rissen.

»Die Neger werden nicht wenig erstaunt sein, wenn sie diese Gegenstände in den Wäldern antreffen, scherzte Joe; sie sind im Stande, Götzenbilder daraus zu machen!«

Nun mußte man sich mit den Röhren beschäftigen, die in den Ballon eingelassen waren, und welche mit dem Schlangenrohr in Verbindung standen. Es gelang Joe, die Kautschukglieder einige Fuß über der Gondel abzuschneiden, aber mit den Röhren ging das nicht so leicht, denn diese waren mit ihrem obern Ende an dem Kreise des Ventils durch Messingdrähte befestigt.

Nun entfaltete Joe eine wirklich staunenswerthe Geschicklichkeit; er kletterte, um die Hülle nicht zu ritzen, mit nackten Füßen, trotz aller Schwankungen, mit Hilfe des Netzes bis an die äußere Spitze des Luftschiffes, und dort machte er nach Ueberwindung von tausend Schwierigkeiten, und indem er sich mit einer Hand an die glatte Oberfläche klammerte, die äußern Scheiben, welche die Röhren hielten, los. Letztere ließen sich nun leicht beseitigen und wurden durch den untern Fortsatz des Ballons weggezogen, welcher vermittelst eines starken Bundes wieder hermetisch geschlossen wurde.

Der Victoria, von diesem beträchtlichen Gewichte befreit, richtete sich wieder in die Luft und spannte das Ankertau straff an.

Nach großen Anstrengungen wurden diese Arbeiten um Mitternacht endlich beendet und man nahm eilig ein aus Pemmican und kaltem Grog bestehendes Mahl ein. Der Doctor konnte Joe keine Hitze mehr zur Verfügung stellen.

Kennedy wie Joe waren so ermüdet, daß sie sich fast nicht mehr aufrecht halten konnten.

»Geht zur Ruhe, meine Freunde, sagte Fergusson; ich will bis zwei Uhr die Wache übernehmen und mich dann bis vier Uhr von Kennedy ablösen lassen. Joe kann dann noch von vier bis sechs Uhr wachen, und um diese Zeit wollen wir aufbrechen. Möge der Himmel während dieses letzten Tages noch über uns wachen!«

Ohne sich viel bitten zu lassen, streckten sich die beiden Gefährten des Doctors auf dem Boden der Gondel aus und schliefen alsbald fest ein.

Die Nacht verging friedlich; einige Wolken zerflossen im sanften Schein des letzten Mondviertels, dessen unbestimmte Strahlen die Dunkelheit kaum durchbrachen. Fergusson, auf den Rand der Gondel gestützt, ließ seine Blicke umherschweifen; aufmerksam überwachte er den düstern Blättervorhang, der sich ihm zu Füßen ausbreitete und ihm die Aussicht auf den Erdboden entzog. Das geringste Geräusch schien ihm verdächtig, und mit gespanntem Ohr horchte er sogar auf das leichte Säuseln der Blätter.

Er befand sich in jener, durch die Einsamkeit noch erhöhten Stimmung, in welcher unbestimmte Schreckbilder im Gehirn aufsteigen. Am Ende einer solchen Reise, nachdem er so viele Hindernisse überwunden hatte, und nun endlich auf dem Punkte stand, das Ziel zu erreichen, waren seine Befürchtungen lebhafter, seine Geistesregungen gewaltsamer; er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß noch jetzt der Vollendung seiner Reise unüberwindliche Gefahren entgegenständen. Uebrigens hatte die gegenwärtige Situation, mitten in einem barbarischen Lande, bei einem Beförderungsmittel, das jeden Augenblick den Dienst versagen konnte, durchaus nichts Beruhigendes. Der Doctor konnte auf seinen Ballon kein Vertrauen mehr setzen; die Zeit war vorüber, wo er ihn mit Sicherheit und Kühnheit handhabte, weil er sich auf ihn verlassen konnte.

Unter diesen und ähnlichen Gedanken glaubte Fergusson bisweilen ein unbestimmtes Geräusch in den ungeheuren Wäldern zu vernehmen, und zuweilen schien es ihm sogar, als ob ein rasches Feuer zwischen den Bäumen aufleuchte. Er blickte scharf hinunter und richtete sein Nacht-Fernglas auf die betreffende Stelle, aber nichts zeigte sich; es entstand ein noch fast tieferes Schweigen.

Fergusson hatte zweifellos eine Sinnestäuschung gehabt; er horchte nochmals, ohne jedoch das geringste Geräusch wahrzunehmen, und da die Zeit seiner Wache nun abgelaufen war, weckte er Kennedy, empfahl ihm die äußerste Wachsamkeit und legte sich neben Joe nieder, der fest und ruhig schlief.

Kennedy zündete seine Pfeife an und rieb sich die Augen, die er nur mit großer Mühe offen hielt; dann setzte er sich in einen Winkel der Gondel, stützte den Kopf in die Hand und rauchte in kräftigen Zügen, um den Schlaf zu verscheuchen.

Das absoluteste Schweigen herrschte ringsum; ein leichter Wind fuhr durch die Wipfel der Bäume, schaukelte leise die Gondel und lullte unversehens den Jäger in Schlaf; mit großer Anstrengung öffnete Kennedy mehrmals die Augen, schaute in das Dunkel hinaus, ohne jedoch vor Schlaftrunkenheit etwas sehen zu können, und schlummerte endlich, der unsäglichen Ermüdung erliegend, fest ein.

Wie lange er so gelegen, wußte er nicht, aber plötzlich wurde er durch ein sonderbares Knistern erweckt; er riß die Augen weit auf und richtete sich empor. Eine intensive Gluth zeichnete ihren Widerschein auf seinem Gesicht – der Wald stand in Flammen!

»Feuer! Feuer!« rief er, ohne noch den Vorgang recht zu begreifen.

Seine beiden Gefährten erhoben sich.

»Was giebt’s?« fragte Samuel.

»Eine Feuersbrunst«, erwiderte Joe »… aber was kann …«

In diesem Augenblick erschallte ein Geheul unter dem gewaltsam illuminirten Laube.

»Ah, die Wilden!« rief Joe. »Sie haben den Wald angezündet, um uns sicherer in Brand zu stecken!«

»Ohne Zweifel die Talibas! die Marabuts des Al-Hadschi!« sagte der Doctor.

Ein Feuerkreis umgab den Victoria; das Knacken des trockenen Holzes mischte sich mit dem Aechzen der grünen Zweige; Lianen, Blätter, der ganze lebende Theil dieser Vegetation wand sich in dem zerstörenden Element; der Blick fiel nur auf Flammen; die großen Bäume zeichneten sich schwarz in dem Schmelzofen ab, während rings um sie her von ihren Kronen ein glühender Kohlenregen herniedertroff. Der Brand spiegelte sich in den Wolken wieder, und die Reisenden glaubten sich in das Innere einer feurigen Kugel versetzt.

»Laß uns fliehen!« schrie Kennedy; »an’s Land! das ist die einzige Möglichkeit, wie wir uns retten können!«

Aber Fergusson hielt ihn mit fester Hand zurück, und auf das Ankertau losstürzend, hieb er es mit einem Schlage durch. Schon leckten die Flammen, zu dem Ballon emporzüngelnd, an dessen erleuchteten Wänden; doch der Victoria, seiner Fesseln entledigt stieg über tausend Fuß in die Lüfte.

Ein entsetzliches Geschrei und Flintenknallen ertönte unten im Walde, aber der Ballon wurde von einer Strömung erfaßt, die sich mit Tagesanbruch aufgemacht hatte, und entfloh in westlicher Richtung.

Es war vier Uhr Morgens.

Fünfunddreißigstes Capitel

Fünfunddreißigstes Capitel

Die Geschichte Joe’s. – Die Insel der Biddiomahs. – Anbetung. – Die verschlungene Insel. – Die Ufer des Sees. – Der Schlangenbaum. – Fußreise. – Leiden. – Moskitos und Ameisen. – Hunger. – Vorüberziehen des Victoria. – Verschwinden des Victoria. – Verzweiflung. – Der Morast. – Ein letzter Schrei.

Was war, während all dieser vergeblichen Nachforschungen seines Herrn, aus Joe geworden?

Als er sich in den See gestürzt hatte und wieder an die Oberfläche kam, war seine erste Bewegung, die Augen aufzuschlagen und emporzuschauen.

Er bemerkte, daß der Victoria schon wieder hoch über dem See schwebte, und noch unablässig stieg. Allmälig wurde er kleiner und kleiner, endlich erfaßte ihn eine schnelle nördliche Strömung, und er verschwand hinter dem Horizont.

»Es ist wirklich ein Glück,« sprach Joe zu sich selbst, »daß ich diesen Gedanken gehabt habe. Jedenfalls wäre sonst Herr Kennedy noch darauf gekommen, und er hätte ebenso wenig gezögert, ihn auszuführen wie ich, denn es ist ja ganz natürlich, daß ein Mensch sich opfert, um zwei zu retten. Das ist mathematisch richtig.«

Als Joe sich über diesen Punkt beruhigt hatte, begann er, an sich zu denken; er befand sich mitten in einem unermeßlichen, von unbekannten, wilden Völkerschaften umgebenen See. Ein Grund mehr um sich zu retten, ohne die Hilfe Anderer in Anspruch zu nehmen; das erschreckte ihn also weiter nicht.

Vor dem Anfall der Raubvögel, die sich übrigens seiner Meinung nach wie richtige Lämmergeier benommen haben, hatte er am Horizont eine Insel bemerkt; er beschloß jetzt, auf sie zuzusteuern und begann, nachdem er sich der hinderlichsten Theile seiner Kleidung entledigt hatte, alle seine Schwimmkunststücke zu entfalten. Eine Wasserpromenade von sechs bis sieben Meilen machte ihm keine besondern Schwierigkeiten, und so dachte er jetzt nur daran, kräftig und geraden Weges auf die Insel los zu schwimmen.

Nach ein und einer halben Stunde fand er bereits die Entfernung, welche ihn von der Insel trennte, sehr verringert.

Aber jemehr er sich dem Lande näherte, bemächtigte sich ein Gedanke seines Geistes, der zuerst nur flüchtig auftauchte, sich dann aber nicht mehr zurückdrängen ließ. Er wußte, daß die Ufer des Sees von ungeheuren Alligatoren unsicher gemacht würden, und kannte sehr wohl die Gefräßigkeit dieser Thiere.

So sehr der brave Bursche sich auch daran gewöhnt hatte, Alles in der Welt natürlich zu finden, fühlte er gegen die weitere Ausführung dieses Gedankens doch eine unbesiegbare Abneigung. Er fürchtete, das Fleisch eines Weißen möchte den Krokodilen ganz besonders zusagen, und rückte deshalb nur äußerst bedächtig und scharf umherlugend vor. Er war nur noch etwa zweihundert Schwimmstöße von einem, mit grünen Bäumen beschatteten Ufer entfernt, als ein mit dem penetranten Geruch des Moschus gefüllter Luftzug zu ihm hinüberwehte.

»Ganz wie ich dachte!« sagte er zu sich; »der Kaiman ist nicht weit!«

Er tauchte eilig unter, aber doch nicht schnell genug, um den Contact mit einem enormen Körper zu vermeiden, dessen schuppige Haut ihn hart streifte. Er hielt sich für verloren und begann, mit verzweifelter Schnelligkeit zu schwimmen; er kam wieder auf die Oberfläche des Wassers, schöpfte von Neuem Athem und verschwand dann wieder. Fünfzehn Minuten lang stand er eine unsägliche Angst aus, die seiner ganzen Philosophie spottete, und zuweilen glaubte er das Geräusch der ungeheuren Kinnlade hinter sich zu vernehmen, die sich bereit machte, ihn fortzuschnappen.

Er schwamm so leise wie möglich unter dem Wasser fort, da fühlte er plötzlich, wie man ihn zuerst am Arm und dann um den Leib faßte.

Der arme Joe! er dachte noch ein letztes Mal an seinen Herrn, und begann dann ein verzweifeltes Ringen, während dessen er nur darüber erstaunt war, daß er nicht weiter hinab gezogen wurde. Er wußte sehr wohl, daß Krokodile ihre Beute auf dem Grunde der Gewässer zu verschlingen pflegen. Er aber fühlte sich auf die Oberfläche geschleppt.

Kaum hatte er hier Athem geholt und die Augen geöffnet, als er sich zwischen zwei ebenholzschwarzen Negern erblickte, die ihn mit kräftigen Fäusten gepackt hielten und ein sonderbares Geschrei ausstießen.

»Sieh doch, Neger anstatt Kaimans!« rief Joe erstaunt aus; »ich ziehe sie wahrhaftig noch den Bestien vor! aber wie können diese Kerle wagen, sich hier zu baden?«

Es war ihm nicht bekannt, daß die Bewohner der Tschad-See-Inseln ungefährdet in die Alligatoren-Gewässer tauchen, ohne sich auch nur um die Gegenwart der Thiere zu kümmern; diese genießen den wohlverdienten Ruf unschädlicher Saurier.

War Joe aber nicht aus einer Gefahr in die andere gerathen? er wollte dies wenigstens abwarten und ließ sich inzwischen, da ihm nichts anders übrig blieb, an’s Ufer geleiten.

»Augenscheinlich,« sagte er zu sich, »haben diese Leute den Victoria wie ein Ungeheuer der Lüfte über den See streichen sehen! Sie sind von ferne Zeugen meines Falls gewesen und werden jedenfalls die gebührende Rücksicht für einen Mann an den Tag legen, der vom Himmel gefallen ist; lassen wir ihnen einstweilen ihr Vergnügen!«

So weit war Joe mit seinen Erwägungen gekommen, als er unter dem heulenden Zuruf einer Menge jeden Geschlechts, jeden Alters, aber nicht jeder Farbe an’s Land stieg. Er war bei einem Stamm der Biddiomahs, die sich durch ein prächtiges Schwarz auszeichnen. Er brauchte nicht einmal über die Leichtigkeit seiner Tracht zu erröthen; er war »entkleidet« nach der neuesten Mode des Landes.

Aber ehe er Zeit hatte, sich von seiner Lage Rechenschaft abzulegen, sah er bereits, daß ihm die offenkundigste Verehrung entgegengetragen wurde. Dies gewährte ihm eine gewisse Beruhigung, obgleich ihm das Abenteuer in Kaseh noch wohl im Gedächtniß war.

»Ich ahne schon, daß ich wieder ein Gott werden soll; wahrscheinlich irgend ein beliebiger Sohn der Luna! nun, schließlich ist dies Geschäft ebenso gut wie jedes andere, wenn man keine Wahl hat. Das Wichtigste ist jedenfalls, Zeit zu gewinnen. Wenn der Victoria wieder vorübersegelt, werde ich meine neue Stellung benutzen, um meinen Anbetern das Schauspiel einer wunderbaren Himmelfahrt zu gewähren.«

Während Joe diese Betrachtungen anstellte, schloß die Menge einen immer engern Kreis um ihn; sie warf sich auf den Boden, heulte, betastete ihn und wurde nach und nach zutraulich; aber man dachte auch daran, ihm ein köstliches Mahl anzubieten, das aus saurer Milch mit in Honig gestoßenem Reis bestand. Der wackere Junge ließ diesen Vortheil nicht unbenützt vorübergehen, hielt sofort eine der besten Mahlzeiten seines Lebens, und brachte dem Volk einen hohen Begriff von der Art und Weise bei, wie sich die Götter bei solchen Gelegenheiten delectiren.

Als der Abend herangekommen war, nahmen die Zauberer der Insel Joe ehrfurchtsvoll bei der Hand und führten ihn zu einer Hütte, die von Amuletten umgeben war. Bevor Joe hineinging, warf er einen etwas besorgten Blick auf die Knochenhaufen, die sich um dies Heiligthum erhoben; als er in seine Hütte eingeschlossen war, hatte er volle Zeit, über seine Lage nachzudenken.

Während des Abends und eines Theiles der Nacht hörte er Festgesänge, und außerdem vollführte man einen Lärm, der für afrikanische Ohren ohne Zweifel sehr lieblich klang, indem man eine Art Trommel rührte und altes Eisen an einander schlug; kräftig gebrüllte Chöre begleiteten Tänze mit Körperverdrehungen und Grimassen, die um die heilige Hütte aufgeführt wurden.

Joe konnte dies Treiben durch die aus Schmutz und Schilf aufgeführten Wände des Häuschens genau beobachten, und zu jeder andern Zeit hätte er gewiß das lebhafteste Vergnügen an all‘ diesen Ceremonien gefunden, aber sein Geist wurde bald von sehr unangenehmen Erwägungen heimgesucht. Wenn er auch noch so sehr geneigt war, die Dinge von ihrer guten Seite aufzufassen, so ließ sich die Thatsache doch nicht wegphilosophiren, daß er allein in diese terra incognita, unter einen wilden Volksstamm gerathen war, und diese Thatsache war wohl geeignet, trübe Gedanken in ihm wachzurufen. Wie wenige der Reisenden, die sich bis in diese Gegenden gewagt, hatten ihr Vaterland wiedergesehen!

Trotz dieser unglücklichen Perspective trug nach einigen Stunden die Müdigkeit den Sieg über jene schwarzen Gedanken davon, und Joe fiel in einen tiefen Schlaf, der jedenfalls bis Tagesanbruch gedauert hätte, wäre er nicht durch eine Feuchtigkeit, die sich rings in der Hütte verbreitete, gestört worden.

Bald verwandelte sich diese Feuchtigkeit in wirkliche Wassermassen, die hoch genug stiegen, um Joe bis an den Leib zu reichen.

»Was giebts?« rief dieser; »eine Überschwemmung! wahrscheinlich eine neue Todesqual der verdammten Neger! ich werde wahrhaftig nicht warten, bis mir das Wasser über dem Kopf zusammenschlägt!«

Mit diesen Worten stieß er die Mauer kräftig ein und befand sich – mitten auf dem See! Die Insel existirte nicht mehr, sie war während der Nacht im Wasser verschwunden, und an der Stelle, wo sie gegrünt, breitete sich die weite Fläche des Tschad-Sees.

»Ein trauriges Land für Grundbesitzer!« dachte Joe, und machte sich von Neuem an seine Schwimmübungen.

Eine der am Tschad-See ziemlich häufigen Naturerscheinungen hatte den wackern Joe befreit. Mehr als eine Insel, welche die Festigkeit eines Felsens zu haben schien, ist auf diese Weise verschwunden, und oft mußten die Ufervölker die Unglücklichen, welche solchen schrecklichen Katastrophen entgangen waren, bei sich aufnehmen.

Joe kannte diese Eigentümlichkeit der Tschad-Inseln nicht, aber er ließ die Gelegenheit, sie zu benutzen, nicht vorübergehen.

Bald erspähte er eine treibende Barke, eine Art grob ausgehöhlten Baumstamms, und näherte sich ihr schleunigst. Ein paar Pagajen (Ruder) befanden sich gücklicher Weise darin, und Joe schoß bald in einer ziemlich schnellen Strömung über den See.

»Orientiren wir uns,« sagte er. »Der Polarstern wird mir dabei zu Hilfe kommen, er pflegt ja sonst seinem Geschäft, einem Jeden die nördliche Richtung anzugeben, ehrlich nachzukommen.«

Joe erkannte zu seiner großen Befriedigung, daß der Strom ihn zum nördlichen Ufer des Tschad-Sees trug, und ließ ihn gewähren. Gegen zwei Uhr Morgens faßte er auf einem, mit dornigem Schilf bedeckten Vorsprunge festen Fuß; es war hier ein Baum emporgeschossen, der ihm ein Obdach in seinen Zweigen darbot. Joe kletterte, der größern Sicherheit wegen, hinein und erwartete, ohne viel zu schlafen, das Tageslicht.

Als der Morgen schnell und plötzlich angebrochen war, wie dies in den Aequatorialgegenden gewöhnlich ist, warf Joe einen Blick auf den Baum, der ihn beherbergt hatte; ein ziemlich unerwartetes Schauspiel erschreckte ihn. Die Zweige waren mit Schlangen und Chamäleons buchstäblich bedeckt; das Laub verschwand unter ihren Umschlingungen; man hätte glauben können, es sei ein Baum ganz seltsamer Art, der als Früchte diese wunderlichen Thiere hervorbringe. Bei den ersten Sonnenstrahlen fingen die Reptilien an, sich zu regen, und Joe stürzte unter dem Pfeifen und Zischen des Gewürms hinunter.

»Das ist wieder etwas, das man in Europa nicht glaublich finden wird,« dachte er.

Es war ihm unbekannt, daß die letzten Briefe des Doctor Vogel bereits von dieser Eigenthümlichkeit der Tschad-Ufer berichtet und dabei erwähnt hatten, daß sich hier Reptilien in einer Masse vorfänden, wie in keinem andern Theile der Welt.

Nach dem Erlebniß dieser Nacht beschloß Joe jedoch, in Zukunft mehr um sich zu schauen. Er machte sich nun in nordöstlicher Richtung auf den Weg, wobei er Hütten, Häuser, Gruben und Alles, was menschlichen Wohnungen glich, so viel wie möglich vermied.

Wie oft wandten sich seine Blicke in die Luft; immer hoffte er den Victoria zu bemerken, und obgleich er den ganzen Tag vergebens nach ihm ausgeschaut hatte, wurde sein Vertrauen auf Samuel Fergusson doch nicht geringer. Es war eine große Thatkraft des Charakters dazu nothwendig, um diese Situation so philosophisch aufzunehmen.

Der Hunger gesellte sich bald zur Ermüdung; denn eine Nahrung aus Wurzeln, dem Mark der Sträucher, dem »mele«, oder den Früchten der Dum-Palme erhält keinen Menschen bei der Anstrengung eines dreißig Meilen weiten Marsches, und so weit war er inzwischen nach Westen vorgedrungen. Sein Körper trug wohl an zwanzig Stellen die Spuren der Dornen, von denen das Rohr des Sees, die Akazien und Mimosen starren, und seine blutrünstigen Füße machten ihm beim Gehen große Schmerzen. Aber trotzdem konnte er doch gegen die Leiden Stand halten, und er beschloß, die Nacht an den Ufern des Sees zuzubringen.

Hier hatte er viel von den abscheulichen Stichen zahlloser Insecten zu ertragen; Fliegen, Moskitos und Ameisen, die einen halben Zoll an Länge haben, bedecken dort im eigentlichsten Sinne des Worts die Erde. Nach zwei Stunden der Ruhe war Joe auch nicht ein Fetzen von seinen wenigen Kleidungsstücken geblieben; die Insecten hatten Alles verschlungen.

Es war eine entsetzliche Nacht, die dem ermüdeten Wanderer auch nicht eine Stunde der Ruhe gönnte. Rings umher erscholl das schauerliche Concert der wilden Thiere im Dunkel der Nacht; der Eber, die wilden Büffel, das Ajub (eine Art ziemlich gefährlicher Seekuh) kreisten fortwährend um den Ruheplatz Joe’s oder hielten sich in den Büschen und unter dem Uferwasser des Sees.

Endlich nahte der Tag; Joe stand eilig auf, und sah zu seinem unbeschreiblichen Ekel, daß eine ungeheure Kröte, ein unsauberes, widerliches Thier, das ihn jetzt mit großen, runden Augen anglotzte, sein Lager getheilt hatte. Joe fühlte sich von Ekel dnrchschauert; endlich aber raffte er sich auf, schüttelte diese widerwärtige Empfindung ab, und machte sich eilig daran, seine Glieder in das Wasser des Sees zu tauchen. Das Bad besänftigte einigermaßen das Uebelkeitsgefühl, welches sich seiner bemächtigt hatte, und nachdem er einige Blätter gekaut, verfolgte er mit einer Hartnäckigkeit, von der er sich keine Rechenschaft ablegen konnte, wieder seinen Weg. Er hatte kein volles, klares Bewußtsein mehr von seinen Handlungen, und doch fühlte er eine Macht in sich, welche über die Verzweiflung die Oberhand gewann.

Indessen begann ihn ein furchtbarer Hunger zu quälen; sein Magen, der weniger resignirt als sein Herr zu sein schien, wurde rebellisch; doch Joe schnürte eine Liane straff um seinen Körper. Glücklicher Weise konnte er nach Belieben seinen Durst löschen, und als er sich an die Leiden der Wüste erinnerte, fand er ein relatives Glück darin, nicht die Marter dieses gebieterischen Bedürfnisses erdulden zu müssen.

»Wo kann der Victoria sein? fragte er sich … der Wind weht aus Norden! Er hätte auf den See zurückkehren müssen. Gewiß hat Herr Samuel eine neue Einrichtung getroffen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen; aber der gestrige Tag sollte doch zu diesen Arbeiten genügt haben; heute wäre es also nicht unmöglich, daß …. Aber ich will handeln, als ob ich ihn nie wiedersehen sollte. Gelänge es mir schließlich, eine der großen Städte des Sees zu erreichen, so würde ich mich in der Lage der Reisenden befinden, von denen mein Herr uns erzählt hat. Warum sollte ich nicht ebenso gut fertig werden können, wie sie? Manche von ihnen sind wieder zurückgekehrt, warum sollte ich nicht …. Wohlan! Muth denn!«

Während der tapfere Joe dies Selbstgespräch hielt und dabei immer weiter marschirte, bemerkte er in einer kleinen Entfernung eine Schaar Wilder. Er machte noch zeitig genug Halt, um nicht gesehen zu werden, und schaute durch die Büsche, um zu erspähen, was sie vorhätten. Man war gerade daran, die Pfeile mit dem Saft der Wolfsmilch zu vergiften, eine Hauptbeschäftigung der Völkerschaften dieser Gegend, die stets mit einer gewissen Feierlichkeit vorgenommen wird.

Joe, der sich nicht zu bewegen wagte und den Athem anhielt, hatte sich in einem Dickicht verborgen, als er unwillkürlich die Blicke emporwendete und durch eine lichte Stelle im Laubwerk den Victoria bemerkte, wirklich und wahrhaftig den Victoria, der kaum hundert Fuß über ihm auf den See zusegelte. Es war gegenwärtig vollständig unmöglich, daß er vom Ballon aus gehört oder gesehen werden konnte.

Eine Thräne trat ihm in die Augen, nicht etwa aus Verzweiflung, sondern aus Dankbarkeit. »Sein Herr suchte nach ihm! sein Herr wollte ihn nicht im Stich lassen.« Jetzt aber mußte der arme Bursche den Aufbruch der Schwarzen abwarten, ehe er sein Versteck verlassen und nach den Ufern des Tschad eilen konnte.

Aber sieh! in diesem Augenblick verlor sich der Victoria am Horizont. Joe beschloß, auf ihn zu warten: gewiß würde er wieder vorüberkommen. Und er kam wirklich noch einmal vorbei, aber mehr im Osten. Joe lief, gesticulirte und schrie … aber vergebens! ein heftiger Wind riß den Ballon mit unwiderstehlicher Schnelligkeit davon!

Zum ersten Mal verließen Energie und Hoffnung den Unglücklichen, und er sah sich verloren; mußte er nicht glauben, daß sein Herr auf Nimmerwiedersehn davongefahren sei? er wagte nicht mehr, über seine Lage nachzudenken, noch sonstige Ueberlegungen anzustellen.

Er marschirte, trotzdem seine Füße von Blut trieften und sein Körper gequetscht und geschunden war, wie ein Narr den ganzen Tag und einen Theil der Nacht darauf los; er schleppte sich bald auf den Knieen, bald auf den Händen weiter, und sah jeden Augenblick den Zeitpunkt kommen, wo ihm die Kraft ausgehen und er sterben müßte.

Als er sich so eine Weile vorwärts bewegt hatte, kam er an einen Morast, oder doch an eine Stelle, die er mit der Zeit als Morast erkannte, denn die Nacht hatte sich seit einigen Stunden bereits herabgesenkt; Joe fiel, ehe er sich’s versah, in einen zähen Schlamm und fühlte, wie er trotz seines verzweifelten Widerstandes allmälig immer tiefer in den sumpfigen Boden versank; nach wenigen Minuten steckte er schon bis zum Gürtel in dem dunkeln Schlamm.

»Das also ist der Tod! dachte er; und was für ein Tod!« …

Mit rasender Anstrengung suchte er sich emporzuarbeiten, aber die Bemühungen des Unglücklichen dienten nur dazu, das Grab, welches er sich auf diese Weise selbst aushöhlte, noch schneller zu bereiten. Kein Stück Holz, nicht ein Rohr, an dem er sich hätte halten können! Er begriff mit furchtbarer Deutlichkeit, daß es um ihn geschehen war! … Seine Augen schlossen sich.

»Mein Herr! mein Herr! zu Hilfe! zu Hilfe!« … schrie er.

Und die verzweifelte, einsame, schon halb erstickte Stimme verlor sich in der Nacht.

Sechsunddreißigstes Capitel

Sechsunddreißigstes Capitel

Ein dunkler Punkt am Horizont. – Eine Arabertruppe. – Die Verfolgung. – Er ist’s! – Sturz vom Pferde. – Der erwürgte Araber. – Eine Kugel Kennedys. – Manöver. – Entführung im Fluge. – Joe gerettet.

Seitdem Kennedy den Beobachtungsposten in der Gondel eingenommen hatte, spähte er unablässig und mit gespanntester Aufmerksamkeit am Horizonte umher.

Nach einiger Zeit wandte er sich zum Doctor:

»Wenn ich mich nicht täusche, sehe ich dort einen Trupp Menschen oder Thiere, der sich vorwärts bewegt; und zwar geschieht dies mit außerordentlicher Kraft, denn es werden enorme Staubmassen dabei aufgewirbelt.«

»Sollte es nicht ein widriger Wind sein, eine Windsbraut, die uns wieder nach Norden verschlagen will?«

Mit diesen Worten stand Fergusson auf, um selber den Horizont zu prüfen.

»Das glaube ich nicht, Samuel,« erwiderte Kennedy; »es ist eine Herde wilder Rinder oder Gazellen.«

»Möglich, Dick; aber vorläufig ist sie noch neun oder zehn Meilen von uns entfernt, und was mich betrifft, so kann ich selbst mit dem Fernglase noch nichts Bestimmtes erkennen.«

»Jedenfalls werde ich den Punkt nicht aus den Augen verlieren; es muß etwas Außerordentliches sein und reizt mich ganz besonders. Zuweilen würde man es für ein Kavalleriemanöver halten können; ich täusche mich auch nicht, es sind Reiter! sieh doch!«

Der Doctor fixirte aufmerksam die erwähnte Gruppe.

»Ich glaube wirklich, Du hast Recht, Dick; es ist eine Abtheilung Araber oder Tibbus. Sie entfliehen in derselben Richtung wie wir, aber wir bewegen uns schneller vorwärts und holen sie bald ein. In einer halben Stunde werden wir im Stande sein, zu sehen und nach der Sachlage zu handeln.«

Kennedy hatte wieder zum Fernglase gegriffen und bemühte sich, Genaueres zu erkennen. Die Reitermasse wurde deutlicher sichtbar, ja man konnte unterscheiden, daß ein kleiner Theil derselben sich absonderte.

»Augenscheinlich ist es ein Manöver oder eine Jagd, versetzte Kennedy. Die Leute scheinen irgend etwas zu verfolgen. Ich möchte wohl über ihr Vorhaben in’s Klare kommen.

– Geduld, Dick, in kurzer Zeit werden wir die Reiter einholen und, wenn sie dieselbe Richtung beibehalten, sogar über sie hinauskommen. Wir machen jetzt zwanzig Meilen in der Stunde, und das kann kein Pferd leisten.«

Nach einigen Minuten scharfer Beobachtung hub Kennedy von Neuem an:

»Es sind etwa fünfzig Araber im schnellsten Ritt; ich kann sie jetzt deutlich unterscheiden; ihre Burnusse schwellen im Winde; es ist eine Reiterübung; jetzt ist ihr Anführer etwa hundert Schritte voraus, und Alle stürzen hinter ihm her.

– Mögen sie sein, wer sie wollen. Dick, wir haben sie nicht zu fürchten, und im Nothfall werde ich steigen.

– Warte noch, Samuel, warte!

– Sonderbar! fügte er nach einer Weile hinzu; diese Araber haben mehr das Ansehen, als ob sie auf der Verfolgung wären, wenn ich nämlich nach ihren Anstrengungen und der Unregelmäßigkeit ihrer Linie urtheilen darf.

– Bist Du dessen ganz sicher?

– Es ist offenbar so, ich täusche mich nicht; sie machen Jagd, und zwar Jagd auf einen Menschen. Der Eine, von dem ich sagte, daß er hundert Schritt voraus wäre, ist nicht ihr Führer, sondern ein Flüchtling.

– Ein Flüchtling! sagte Samuel bewegt. Wir wollen ihn nicht aus dem Gesicht verlieren, aber vorläufig noch warten.«

In nicht gar langer Zeit hatte man den Reitern, die mit der äußersten Geschwindigkeit dahinschossen, drei bis vier Meilen abgewonnen.

»Samuel! Samuel! rief Kennedy mit bebender Stimme.

– Was hast Du, Dick?

– Ist es eine Sinnestäuschung? wäre es möglich?

– Nun?

– Er ist’s, Samuel, er ist’s!

– Er!« rief nun auch Fergusson.

Er! Das sagte Alles; man brauchte keinen Namen zu nennen!

»Er ist zu Pferde, kaum hundert Schritt vor seinen Verfolgern voraus! er flieht!

– Wirklich, es ist Joe! sagte der Doctor erbleichend.

– Er kann uns auf seiner Flucht nicht bemerken!

– Bald wird er uns sehen, versetzte Fergusson und mäßigte die Flamme in seinem Knallgasgebläse.

– Wodurch willst Du das erreichen?

– In fünf Minuten sind wir fünfzig Fuß vom Boden, und in fünfzehn Minuten dicht über ihm.

– Wir wollen ihn durch einen Flintenschuß aufmerksam machen.

– Nein, das geht nicht, denn er kann nicht umkehren. Er ist abgeschnitten.

– Was sollen wir thun?

– Warten.

– Warten, wenn diese Araber ihm auf den Fersen sind?

– Wir holen sie ein und gehen über sie hinaus!

Jetzt sind wir nicht mehr zwei Meilen von ihm entfernt, und wenn nur Joe’s Pferd noch aushält …

– Großer Gott! schrie Kennedy.

– Was giebts?«

Kennedy hatte einen Schrei des Schreckens ausgestoßen, als er sah, wie Joe zur Erde stürzte; sein Pferd, das augenscheinlich ermattet und vollkommen erschöpft war, lag auf dem Boden.

»Er hat uns gesehen! rief der Doctor frohlockend; als er soeben wiederaufstand, gab er uns ein Zeichen!

– Aber die Araber werden ihn einholen! weshalb wartet er? Ach, der muthige Bursche! Hurrah!« jubelte der Jäger, der seine Freude nicht mehr beherrschen konnte.

Joe war sofort nach seinem Sturze wieder aufgesprungen, und als gleich darauf der schnellste von den Reitern ihn erreicht hatte, ging er ihm durch einen Seitensprung aus dem Wege, fuhr dann wie ein Panther auf den Araber los, packte ihn an der Gurgel, erwürgte ihn mit eigener Hand, und setzte, nachdem er den Leichnam auf den Sand niedergestoßen, seine Flucht fort.

Ein Wuthgeschrei der Araber drang durch die Lüfte.

Aber da sie ganz und gar mit ihrer Verfolgung beschäftigt waren, hatten sie den Victoria noch nicht bemerkt, obgleich derselbe nur fünfhundert Schritt hinter ihnen und kaum dreißig Fuß vom Boden entfernt war. Sie selber waren jetzt dem Flüchtling bis auf etwa zwanzig Pferdelängen nachgekommen.

Einer der Verfolger näherte sich Joe immer mehr und wollte ihn gerade mit einer Lanze durchbohren, als Kennedy Jenem sichern Auges und mit fester Hand ein schnelles Halt durch eine Kugel gebot, welche ihn todt zu Boden streckte.

Joe wandte sich bei dem Knall nicht einmal um. Ein Theil der Truppe zögerte in ihrem Lauf, und Einige fielen beim Anblick des Victoria mit dem Gesicht in den Staub, aber die Andern setzten ihre Verfolgung fort.

»Was in aller Welt macht denn Joe? rief Kennedy. Er bleibt nicht stehen!

– Joe benimmt sich ganz vorzüglich, Dick, ich habe ihn errathen; er hält sich in der Richtung des Luftschiffes und rechnet auf unser Verständniß. Ah, der wackere Junge! wir werden ihn diesen Arabern vor der Nase entführen! Jetzt ist er nur noch zweihundert Schritte von uns entfernt.

– Was soll ich thun? fragte Kennedy.

– Vor allen Dingen Deine Flinte bei Seite lassen.

– Gut! … Kennedy legte seine Waffe ab.

– Kannst Du hundertundfünfzig Pfund Ballast in Deinen Armen halten?

– Noch mehr.

– Nein, das wird genügen.«

Und der Doctor thürmte auf Kennedy’s Armen Sandsäcke auf.

»Halte Dich im Hintergründe der Gondel und sei bereit, diesen Ballast mit einem einzigen Wurf hinauszuschleudern. Aber bei Deinem Leben! thu es nicht vor meinem Befehl.

– Sei ruhig.

– Im andern Fall würden mir Joe missen, und er wäre verloren!

– Verlaß Dich auf mich!«

Der Victoria schwebte nun beinahe über der Reitertruppe, die mit verhängtem Zügel hinter Joe herflog. Der Doctor stand am vordern Gondelrand und hielt die aufgewickelte Leiter in seiner Hand, um sie im geeigneten Augenblick herabzulassen. Joe hatte sich vor seinen Feinden noch einen Vorsprung von fünfzig Fuß bewahrt. Der Victoria flog über diesen Raum hinweg.

»Achtung, Kennedy!

– Ich bin bereit!

– Joe, paß auf!« schrie der Doctor mit lautschallender Stimme, indem er ihm die Leiter zuwarf, deren erste Sprossen den Staub des Bodens berührten.

Bei dem Ruf des Doctors hatte sich Joe, ohne sein Pferd anzuhalten, umgewandt, die Leiter kam in seine Nähe, er umklammerte sie, und in demselben Augenblick rief der Doctor Kennedy zu:

»Jetzt!

– Es ist geschehen!«

Und der Victoria, um eine Last, die schwerer als Joe wog, erleichtert, stieg hundertundfünfzig Fuß hoch in die Lüfte.

Joe hielt sich, während die Leiter in großen Schwingungen umherschwebte, krampfhaft an derselben fest, dann machte er den Arabern eine unbeschreibliche Geberde und kletterte mit der Behendigkeit eines Clown zu seinen Gefährten hinauf, die ihn mit offenen Armen empfingen.

Die Araber hatten einen Schrei der Überraschung und der Wuth ausgestoßen, als ihnen der Flüchtling so im Fluge entführt worden war, und der Victoria sich so schnell entfernt hatte.

Als Joe in der Gondel anlangte, stieß er nur die Worte:

»Herr Doctor! Herr Dick!« hervor und fiel dann, der ungeheuren Anstrengung und Ermüdung erliegend, in eine tiefe Ohnmacht, während Kennedy, fast wahnsinnig vor Freude, ausrief:

»Gerettet! gerettet!

– Wir haben ihn wieder!« sprach der Doctor, der seine gleichmäßig ruhige Stimmung zurückgewonnen hatte.

Joe war fast völlig nackt, und dies, wie seine blutenden Arme und sein überall verletzter Körper, erzählten genugsam von den Leiden, die er ertragen. Der Doctor verband die Wunden und bettete ihn sorgsam unter dem Zelte.

Bald jedoch hatte sich Joe von seiner Ohnmacht erholt und verlangte ein Glas Branntwein, das ihm Fergusson gern zugestand, da er glaubte, daß man Joe nicht wie andere Leute zu behandeln brauche. Nachdem der brave Bursche getrunken hatte, drückte er dem Doctor und Kennedy die Hand und erklärte sich bereit, seine Erlebnisse zu erzählen.

Aber Fergusson gestattete ihm noch nicht, zu sprechen, und so fiel er bald abermals zurück, um in einen tiefen Schlaf zu versinken, dessen er sehr zu bedürfen schien.

Der Victoria schlug nun eine schräge Richtung nach Westen ein. Unter dem Wehen eines starken Windes sah er nochmals den Saum der dornigen Wüste, über Palmen hinweg, die vom Winde gebeugt oder entwurzelt wurden; und nachdem man seit Joe’s Entführung eine Reise von beinahe zweihundert Meilen zurückgelegt hatte, überschritt der Victoria gegen Abend den zehnten Längegrad.

Siebenunddreißigstes Capitel

Siebenunddreißigstes Capitel

Die Straße nach Westen. – Joe’s Erwachen. – Sein Eigensinn. – Ende von Joe’s Geschichte. – Tagelel. – Kennedy’s Besorgnisse. – Straße im Norden. – Eine Nacht bei Aghades.

Der Wind schien sich in der Nacht von seinen Strapazen am vorhergehenden Tage auszuruhen, und der Victoria weilte friedlich über dem Wipfel einer großen Sykomore; der Doctor und Kennedy hatten abwechselnd die Wache, und Joe machte sich das zu Nutze, um tüchtig zu schlafen, und zwar vierundzwanzig Stunden in einem Zuge.

»Es ist das beste Heilmittel für ihn, sagte Fergusson; die Natur wird seine Herstellung schon allein besorgen.«

Am Tage begann wieder ein heftiger, jedoch launischer Wind zu wehen; er wechselte oft seine Richtung, trieb den Victoria nach Süden, um ihn dann wieder nach Norden zu tragen, schließlich aber riß er den Ballon in westlicher Richtung fort.

Der Doctor recognoscirte, mit der Karte in der Hand, das Königreich Damerghu, ein wellenförmiges, sehr fruchtbares Gebiet, auf welchem die Hütten aus einer Mischung von langem Schilf und Asklepiazweigen erbaut waren; auf den beackerten Feldern erhoben sich Kornmühlen auf kleinen Gestellen, die sie vor der Zudringlichkeit der Mäuse und Termiten schützen sollten.

Bald erreichte man die Stadt Zinder, die sich durch ihren großen Richtplatz auszeichnet; im Mittelpunkt ist der Baum des Todes errichtet; der Henker wacht am Fuße desselben, und wer in seinen Schatten kommt, wird sofort gehangen.

Kennedy sah nach dem Compaß und konnte die Bemerkung nicht unterdrücken: »Nun gehen wir wieder nach Norden.

– Was thut’s! wenn der Weg uns nach Timbuktu führt, werden wir uns nicht darüber beklagen! Niemals ist dann eine schönere Reise unter besseren Umständen zu Stande gekommen! . . .

– Oder bei besserm Gesundheitszustande, fügte Joe rasch hinzu, und ließ sein gutmüthiges Gesicht freudig durch die Zeltvorhänge blicken.

– Da ist ja auch Freund Joe, unser Retter! rief Kennedy; wie geht’s denn?

– Wie natürlich, Herr Kennedy, wie natürlich! noch nie habe ich mich wohler befunden! Nichts reinigt den alten Menschen so gut, als ein Bad im Tschad-See und nachher eine kleine Vergnügungsreise. Sind Sie nicht auch der Meinung?

– Gute Seele! antwortete Fergusson, indem er ihm die Hand drückte; wie viel Angst und Unruhe haben wir um Dich empfunden.

– Und ich um Sie! oder glauben Sie, daß ich über Ihr Geschick ganz ruhig gewesen wäre? Sie können versichert sein, daß ich keine kleine Angst Ihretwegen ausgestanden habe!

– Wir werden uns nie verständigen, wenn Du die Dinge von dieser Seite auffassest.

– Ich sehe, daß sein Sturz ihn nicht verändert hat! fügte Kennedy hinzu.

– Deine edle Aufopferung hat uns gerettet, mein Junge, denn ohne sie wäre der Victoria in den See gefallen, und dann hätte ihn Niemand wieder herausziehen können.

– Wenn wirklich meine Aufopferung, wie Sie meinen Purzelbaum zu nennen belieben, Sie gerettet hat, Herr Doctor, so hat er jedenfalls auch mich selber mitgerettet, denn wir sind jetzt alle drei wieder wohlbehalten bei einander. Wir haben uns also gegenseitig nichts vorzuwerfen.

– Man wird sich mit dem Burschen nie verständigen, meinte der Jäger.

– Das beste Mittel zu einer Verständigung besteht darin, daß wir nicht mehr von der Geschichte sprechen. Was geschehen ist, ist geschehen! Mag es nun gut oder schlecht sein, so nützt es doch nichts, darauf zurückzukommen.

– Eigensinn! schalt der Doctor lachend. Du kannst uns nun wenigstens Deine Geschichte erzählen.

– Wenn sie Sie interessirt! Aber zuvor werde ich mit Ihrer gütigen Erlaubniß diese fette Gans in einen eßbaren Zustand versetzen; ich sehe, daß der Herr Dick seine Zeit nicht verloren hat.

– Wie Du willst, Joe.

– Wir wollen sehen, wie dies afrikanische Wild einem europäischen Magen behagt.«

Die Gans wurde alsbald in den Flammen des Knallgasgebläses geröstet und sodann verzehrt. Joe nahm seine tüchtige Portion davon, wie es sich für einen Menschen, der mehrere Tage nichts gegessen hat, ziemt. Nach dem Thee und dem Grog begann er, von seinen Abenteuern zu erzählen. Er sprach in einer gewissen Aufregung, da er zugleich die Ereignisse mit seiner gewöhnlichen Philosophie beleuchtete. Der Doctor drückte ihm mehrmals kräftig die Hand, als er sah, daß der brave Diener sich mehr mit der Wohlfahrt seines Herrn als mit dem eigenen Ergehen beschäftigt hatte. Bei dem Bericht von der Versenkung der Insel im Tschad-See erklärte er, daß diese Naturerscheinung dort durchaus nicht zu den Seltenheiten gehöre.

Endlich gelangte Joe im Lauf seiner Erzählung zu dem Moment, wo er im Morast versunken, einen letzten Schrei der Verzweiflung ausgestoßen habe.

»Ich hielt mich für verloren, fuhr er fort, und meine Gedanken richteten sich auf Sie. Noch ein Mal begann ich mich loszuarbeiten; wie? kann ich nicht genau sagen, aber ich war durchaus nicht Willens, mich so ohne allen Widerstand verschlucken zu lassen. Plötzlich gewahrte ich, etwa zwei Schritte von mir, ein frisch abgeschnittenes Tauende; ich arbeite mich mit äußerster Anstrengung, so gut es gehen will, bis nahe heran, und ergreife das Tau. Ich ziehe, es hält; ich hebe mich daran empor und stehe in kurzer Zeit auf festem Lande. Am Ende des Taues finde ich einen Anker; es war ein Anker des Victoria! . . . Ach, mein lieber Herr Doctor, ich hatte wohl ein Recht, ihn meinen Rettungsanker zu nennen, wenn Sie sonst nichts dagegen haben. Ich sah, daß Sie hier gelandet waren, und erkannte an der Lage des Taues, nach welcher Richtung hin Sie sich begeben hatten. Mit meinem Muthe waren auch meine Kräfte wiedergekommen, und ich marschirte einen Theil der Nacht hindurch, mich immer weiter von dem See entfernend. Endlich gelangte ich an den Saum eines unermeßlichen Waldes, wo in einem Gehege friedlich Pferde weideten. Es giebt im menschlichen Leben Augenblicke, wo ein Jeder reiten kann, nicht wahr? Ich für mein Theil verlor nicht eine Minute durch überflüssige Reflexionen, springe einem dieser Vierfüßler auf den Rücken und sprenge in aller Geschwindigkeit gen Norden. Ich erzähle Ihnen nichts von den Städten, die ich nicht gesehen habe, noch von den Dörfern, denen ich aus dem Wege geritten bin. Ich überschreite die Saatfelder, breche durch das Dickicht, überklettere Palissaden, treibe und sporne mein Thier an, und gelange endlich an die Grenze des angebauten Landes. Die Wüste! gut! das ist mir gerade Recht. Ich werde hier eine weitere Strecke übersehen können. Immer hoffte ich, den Victoria zu bemerken, wie er lavirend auf mich wartete. Aber nichts, gar nichts von ihm zu sehen! Nach drei Stunden gerieth ich Thor auf einen Lagerplatz der Araber; ach, was für eine Jagd! … Sehen Sie, Herr Kennedy, ein Jäger weiß eigentlich nicht, was eine Jagd ist, ehe er nicht selbst einmal gehetzt worden ist. Und doch, wenn er es vermeiden kann, gebe ich ihm den Rath, es lieber nicht zu versuchen! Mein Pferd sank vor Mattigkeit zusammen; die Kerle waren dicht hinter mir her; ich springe ab und einem Araber in den Rücken! ich habe nichts Böses mit ihm im Sinn gehabt, und hoffe, er wird mir’s nicht weiter übel nehmen, daß ich ihn erwürgt habe! Aber ich hatte Sie gesehen … und das Uebrige wissen Sie. Der Victoria eilt hinter mir her, Sie nehmen mich im Fluge auf, wie ein Reiter einen Ring auffängt. Hatte ich nicht Recht, daß ich auf Sie meine Hoffnung setzte? Sie haben nun gesehen, Herr Samuel, daß die ganze Geschichte höchst einfach und natürlich zugegangen ist. Ich bin gern bereit, Alles noch einmal durchzumachen, wenn ich Ihnen einen Dienst damit leisten kann; wie ich schon sagte, Herr Doctor, es ist nicht der Mühe werth, davon zu sprechen.

– Mein braver Joe, erwiderte der Doctor gerührt, wir hatten uns nicht geirrt, als wir uns auf Deine Klugheit und Geschicklichkeit verließen!

– Bah! man braucht nur immer den Ereignissen zu folgen, und sich bei precären Geschichten so gut wie möglich herauszuziehen. Das Sicherste ist immer noch, die Dinge zu nehmen, wie sie eben kommen.

Wahrend der Erzählung Joe’s hatte der Ballon in schnellem Fluge eine weite Strecke Landes durchmessen; Kennedy wies jetzt auf einen Complex von Hütten, der am Horizont wie eine Stadt erschien. Der Doctor zog seine Karte zu Rathe und recognoscirte den kleinen Marktflecken Tagelel in Damerghu.

»Wir kommen hier wieder auf die Straße Barth’s, sagte er,»in Tagelel trennte er sich von seinen beiden Begleitern Richardson und Overweg. Der Erstere sollte der Straße nach Zinder, der Letztere der nach Maradi folgen; ihr erinnert euch, daß von diesen drei Reisenden nur Barth Europa wiedersah.

– So steuern wir also jetzt direct nach Norden? fragte der Jäger, indem er auf der Karte die Richtung des Victoria verfolgte.

– Ja, mein lieber Dick.

– Und beunruhigt Dich das nicht einigermaßen?

– Warum meinst Du?

– Nun, weil dieser Weg uns nach Tripoli und über die große Wüste führt.

– O, wir werden so weit nicht kommen, Freund Kennedy, wenigstens hoffe ich es.

– Wo denkst Du einen Halt zu machen?

– Würde es Dir nicht interessant sein, einmal Timbuktu zu besuchen?

– Timbuktu?

– Ei freilich, mischte sich Joe in das Gespräch; wer in Afrika gewesen ist, muß auch Timbuktu gesehen haben.

– Du wirst der fünfte oder sechste Europäer sein, der diese geheimnißvolle Stadt sieht.

– Gut, also nach Timbuktu!

– Wenn wir zwischen den siebzehnten und achtzehnten Breitegrad kommen, werden wir eine günstige Strömung suchen, die uns nach Westen tragen kann.

– Haben wir noch eine lange Strecke nach Norden zu durchreisen? fragte der Jäger weiter.

– Noch mindestens hundertundfünfzig Meilen.

– Dann will ich ein wenig schlafen.

– Gute Ruhe, Herr Kennedy; legen Sie sich gleichfalls nieder, Herr Doctor; die Herren müssen sehr müde sein; ich habe Sie auf wirklich unverschämte Weise wachen lassen.«

Der Jäger streckte sich unter dem Zelte aus, aber Fergusson, über den die Müdigkeit wenig Macht hatte, blieb auf seinem Beobachtungsposten.

Nach drei Stunden überschritt der Victoria mit äußerster Geschwindigkeit ein steiniges Terrain mit hohen, kahlen Bergrücken auf einer Grundlage von Granit; einzelne, isolirte Spitzen erreichten sogar viertausend Fuß Höhe. Giraffen, Antilopen, Strauße sprangen mit wunderbarer Behendigkeit durch Wälder von Akazien, Mimosen, Suahs und Dattelpalmen; nach der Dürre der Wüste trat die Vegetation wieder in vollster Pracht in dem Lande der Kailuas auf, die sich ebenso wie ihre gefährlichen Nachbarn, die Tuaregs, mittelst einer Baumwollenbinde das Gesicht verschleiern.

Um zehn Uhr Abends hielt der Victoria nach einer herrlichen Fahrt von zweihundertundfünfzig Meilen über einer bedeutenden Stadt; beim Mondlicht konnte man erkennen, daß ein Theil derselben aus Ruinen bestand, einige Moscheenspitzen traten hie und da, von einem bleichen Mondstrahl beleuchtet, hervor. Der Doctor recognoscirte nach der Höhe der Sterne, daß er sich unter der Breite von Aghades befand.

Diese Stadt, ehemals der Mittelpunkt eines bedeutenden Handels, lag schon theilweise in Ruinen, als Doctor Barth sie besuchte.

Der Victoria, welcher im Schatten nicht bemerkt wurde, landete zwei Meilen oberhalb Aghades, auf einem großen Hirsefelde. Die Nacht war ziemlich ruhig und schwand gegen fünf Uhr Morgens, während ein leichter Wind den Ballon nach Westen und sogar ein wenig nach Süden lockte.

Fergusson beeilte sich, diesen glücklichen Umstand wahrzunehmen. Er stieg schnell empor und entfloh beim ersten, lichten Morgenstrahl.

Achtunddreißigstes Capitel

Achtunddreißigstes Capitel

Rasche Fahrt. – Vorsichtige Entschließungen. – Karawanen. – Beständige Regengüsse. – Gao – Der Niger. – Golberry, Geoffroy, Gray. – Mungo-Park. – Laing. – René Caillié. – Clapperton. – John und Richard Lander.

Der Tag des 17. Mai verging ruhig und ohne jeden Zwischenfall; die Wüste begann von Neuem; ein Wind mittlerer Stärke führte den Victoria nach Südwesten; dieser wich weder nach rechts noch nach links ab, und sein Schatten zog auf dem Sande eine strenggerade Linie.

Der Doctor hatte vor seinem Aufbruch der Vorsicht halber die Wasserkisten frisch gefüllt; er fürchtete, in diesen, von den Auelimminianischen Tuaregs unsicher gemachten Gegenden nicht landen zu können. Das Plateau, welches sich achtzehnhundert Fuß über dem Meeresspiegel erhob, fiel nach Süden hin ab. Nachdem die Reisenden die oft von Kameelen beschrittene Straße von Aghades nach Murfuk gekreuzt hatten, befanden sie sich Abends, nach einer Fahrt von hundertundachtzig Meilen, über einem äußerst monotonen Landstrich, unter 16° Br. und 4°55′ L.

Während dieses Tages richtete Joe die letzten Stücke Wildpret, die bis jetzt nur eine sehr summarische Vorbereitung erhalten, zu. Es waren sehr appetitliche Becassinen, die er zum Abendbrod auftrug. Da der Wind günstig war, und der Mond mit seinem bleichen Schimmer die Nacht erleuchtete, beschloß der Doctor, seine Reise nicht zu unterbrechen, ließ den Victoria fünfhundert Fuß steigen, und nun zog dieser so ruhig dahin, daß selbst der leichte Schlaf eines Kindes in ihm nicht gestört worden wäre.

Sonntag Morgen zeigte sich eine neue Veränderung in der Windrichtung; der Victoria trieb nach Nordwesten; einige Raben flogen in der Luft, und am Horizont sah man eine Schaar Geier, die sich aber glücklicher Weise in respectabler Ferne hielten.

Der Anblick dieser Vögel veranlaßte Joe, seinen Herrn in Betreff der neuen Balloneinrichtung zu beglückwünschen.

»Wo wären wir jetzt, wenn der Victoria nur die eine Hülle gehabt hätte? sagte er. Dieser zweite Ballon ist wie die Schaluppe bei einem Schiff; im Fall des Schiffbruchs kann man sie zur Rettung benutzen.

– Du hast Recht, Joe; nur macht mir meine neue Schaluppe einige Sorge; sie kommt dem Schiffe nicht gleich.

– Was willst Du damit sagen? fragte Kennedy.

– Ich meine, der neue Victoria steht an Güte gegen den alten zurück. Mag nun das Gewebe etwas gelitten haben, oder das Guttapercha bei der Hitze des Schlangenrohrs geschmolzen sein, ich constatire einen gewissen Gasverlust, der zwar bis jetzt nicht erheblich, aber doch schon wahrnehmbar ist. Der Ballon zeigt Neigung zu fallen, und um ihn oben zu halten, muß ich das Wasserstoffgas mehr ausdehnen.

– Verdammt!, fluchte Kennedy, es wird dafür kaum eine Abhilfe geben.

– Leider nein, lieber Dick; wir würden darum gut thun, auch die Nacht zu reisen, um Aufenthalt zu vermeiden.

– Sind wir noch weit von der Küste entfernt?, fragte Joe.

– Von welcher Küste, mein Junge? Wissen wir denn, wohin der Zufall uns führen wird? Ich kann Dir nur sagen, daß Timbuktu noch vierhundert Meilen nach Westen zu liegt.

– Und wie viel Zeit werden wir gebrauchen, um dorthin zu gelangen?

– Wenn der Wind uns nicht zu weit verschlägt, denke ich dort Dienstag Abend anzukommen.

– Jedenfalls treffen wir dort eher ein, als diese Karawane,« bemerkte Joe.

Fergusson und Kennedy schauten herab und sahen einen langen Zug von Menschen und Thieren, der sich durch die Wüste hinwand; es waren über hundertundfünfzig Kameele von jener Art, die für zwölf Muttals Gold mit einer Last von fünfhundert Pfund auf dem Rücken von Timbuktu nach Tafilet wandern; Jedes trug unter dem Schwanze einen kleinen Sack, der dazu bestimmt war, seine Excremente aufzunehmen; das einzige Brennmaterial, auf welches man in der Wüste rechnen kann.

Diese Kameele der Tuaregs gehören der besten Species an; sie können drei bis sieben Tage, ohne zu trinken, und zwei Tage, ohne zu fressen, ausdauern; ihre Schnelligkeit übertrifft sogar die der Pferde, und verständnißvoll gehorchen sie der Stimme des Khabir (Karawanenführers). Die Kameele sind im Lande unter dem Namen »Mehari« bekannt.

Diese Einzelheiten theilte der Doctor seinen Begleitern mit, während man die lange Linie von Männern, Frauen und Kindern vorüberziehen sah, die mühsam auf dem halbbeweglichen Sande vorwärts glitten. Einige Disteln, vertrocknete Gräser und hier und da ein kümmerliches Gesträuch verliehen dem Boden kaum einige Festigkeit. Der Wind verwischte fast augenblicklich wieder die Spur der Tritte.

Joe erkundigte sich, wie die Araber ihre Richtung in der Wüste bestimmen können, um die in dieser unendlichen Einöde verstreuten Brunnen nicht zu verfehlen.

»Die Araber, erklärte Fergusson, haben von der Natur einen vorzüglichen Sinn dafür erhalten, ihre Straße zu recognosciren; da, wo ein Europäer sich nicht zu orientiren weiß, schwanken sie nicht einmal; ein unbedeutender Stein, ein Kiesel, ein Grasbüschel, ja schon die verschiedene Nüancirung des Sandes genügt ihnen, um sicher ihrem Ziel zuzuschreiten.

Während der Nacht richten sie sich nach dem Polarstern; sie machen übrigens nie mehr als zwei Meilen in der Stunde, und ruhen während der Mittagshitze; hiernach könnt ihr euch vorstellen, eine wie lange Zeit sie brauchen, um die Sahara, eine Wüste von über neunhundert Meilen, zu durchreisen.«

Der Victoria war jetzt längst den erstaunten Augen der Araber entschwunden, denen seine Schnelligkeit gewiß beneidenswerth erschien. Am Abend zog der Ballon unter 2°20′ L. vorüber, und während der Nacht überschritt er noch mehr als einen Grad.

Am Montag ging eine totale Aenderung des Wetters vor sich; der Regen begann mit großer Heftigkeit herabzuströmen. Man mußte dieser Fluth und der Gewichtsvermehrung, mit der sie den Ballon und die Gondel belastete, Einhalt thun. Der fortwährende Regen gab eine genügende Erklärung von den Sümpfen, die das Land überall erfüllten; die Vegetation bestand auch hier hauptsächlich aus Mimosen, Baobabs und Tamarinden.

Hier lag das Gebiet von Sonray, dessen Dörfer durch die sonderbare Gestalt ihrer Hüttendächer einen so sonderbaren Anblick gewähren. Die Wohnungen sehen aus, als habe man ihnen armenische Hüte aufgestülpt. Es erhoben sich nur wenig Berge, und nur eben Hügel genug, als nöthig waren, um Schluchten und Weiher für die große Masse Perlhühner und Becassinen zu bilden, die hier zu finden sind. Ab und zu durchschnitt in ungestümem Laufe ein Strom die Straßen, der durch die Eingeborenen überschritten wurde, indem sie sich an einer Liane hielten, die an Bäumen herüber und hinüber gespannt war. Statt der Wälder sah man Dschungeln, in denen Alligatoren, Nilpferde und Nashörner ihre Schlupfwinkel suchten.

»Bald werden wir den Niger erreicht haben, sagte der Doctor, die Landschaft nimmt in der Nähe großer Flüsse eine andere Gestalt an. Diese Wasserstraßen haben zuerst die Vegetation hervorgerufen, wie sie später auch die Civilisation hierher bringen werden. So hat der Niger, in seinem Lauf von zweitausendfünfhundert Meilen, an seinen Ufern die wichtigsten Städte Afrika’s.

– Halt, schob hier Joe ein, das erinnert mich an die Geschichte von jenem Schlaukopf, der die Weisheit der Vorsehung besonders darin bewunderte, daß sie die großen Flüsse gerade durch die Städte geführt habe!

Am Mittag segelte der Victoria über die ehemalige Hauptstadt Gao hinweg; jetzt zeigt sie nur noch eine Vereinigung armseliger Hütten, und bildet einen kleinen Marktflecken.

»Dort setzte Barth bei seiner Rückkehr aus Timbuktu über den Niger, erzählte Fergusson, es ist dies der bereits im Alterthum bekannte Fluß, der Nebenbuhler des Nil, dem der heidnische Glaube einen himmlischen Ursprung gab; wie dieser hat er die Aufmerksamkeit der Geographen aller Zeiten in Anspruch genommen; und seine Erforschung hat noch zahlreichere Opfer gekostet als jener.«

Der Niger floß zwischen zwei weit von einander gelegenen Ufern dahin; seine Gewässer rollten mit großer Gewalt dem Süden zu, aber die Reisenden konnten die merkwürdigen Linien seines Laufs nicht näher besichtigen, sie wurden im Fluge weiter getragen.

»Ich wollte euch von diesem Strome sprechen, und schon ist er uns fern gerückt! Unter den Namen des Dhiuleba, Mano, Egghirreu, Quorra und anderen mehr durchfließt er eine ungeheure Länderstrecke, und kann es an Länge fast mit dem Nil aufnehmen. All‘ diese Namen bedeuten schlechtweg »Strom«, je nach der Sprache der verschiedenen Länder, durch welche er fließt.

– Hat Doctor Barth diese Straße verfolgt?, fragte Kennedy.

– Nein, Dick; als er den Tschad-See verließ, reiste er durch die hauptsächlichsten Städte von Bornu und durchschnitt den Niger bei Say, vier Grad südlich von Gao; dann drang er in das Innere jener unerforschten Gegenden, die der Niger in seinem Bogenlaufe umschließt, und gelangte nach achtmonatlichen, neuen Strapazen nach Timbuktu. Diese Reise werden wir bei günstigem Winde in drei Tagen vollenden.

– Hat man die Quellen des Niger entdeckt?, fragte Joe.

– Seit lange schon. Die Erforschung des Niger und seiner Nebenflüsse hat zahlreiche Entdeckungsreisen veranlaßt, von denen ich nur die hauptsächlichsten nennen will. Von 1749 bis 1758 bereist Adamson das Flußgebiet und besucht Gorée; von 1785 bis 1788 durchstreifen Golberry und Geoffroy die Wüsten Senegambiens und kommen bis zu dem Lande der Mauren, die Saugnier, Brisson, Adam, Riley, Cochelet und so viele andere Unglückliche ermordeten. Dann folgt der berühmte Mungo-Park, ein Freund Walter Scott’s, und wie dieser ein Schotte. Er wurde im Jahre 1795 von der afrikanischen Gesellschaft zu London abgesandt, erreicht Bambarra, sieht den Niger, macht in Gesellschaft eines Sklavenhändlers fünfhundert Meilen, recognoscirt den Gambia und kehrt im Jahre 1797 nach England zurück.

Am 30. Januar 1805 reist er mit seinem Schwager Anderson, dem Zeichner Scott und einer Schaar Handwerker wieder ab, kommt in Gorée an, nimmt sich eine Verstärkung von fünfunddreißig Soldaten, sieht am 19. August den Niger wieder, aber von vierzig Europäern bleiben in Folge der übermenschlichen Anstrengungen, Entbehrungen, Mißhandlungen, der Ungunst des Himmels, und der ungesunden Ausdünstungen des Landes nur noch elf am Leben; am 16. November gelangten die letzten Briefe Mungo-Park’s an seine Frau, und ein Jahr später erfuhr man durch einen Handelsmann dieses Landes, daß der unglückliche Reisende am 23. December in Bussa am Niger angekommen, seine Barke von den Katarakten des Stromes umgestürzt, und er selbst von den Eingeborenen ermordet sei.

– Und dies schreckliche Ende hielt die Forscher nicht zurück?

– Im Gegentheil, Dick; denn jetzt hatte man nicht nur den Fluß zu recognosciren, sondern auch die Briefschaften und Notizen des Reisenden aufzusuchen. Im Jahr 1816 wird zu London eine Expedition organisirt, an welcher sich Major Gray betheiligt; diese kommt in das Senegal, dringt nach Futa- Dhiallon, besucht die Völkerschaften der Fulahs und Mandingos und kehrt ohne weiteres Ergebniß nach England zurück. Im Jahre 1822 erforscht Major Laing jenen ganzen Theil des westlichen Afrika, der den englischen Besitzungen benachbart liegt, und erwirbt den Ruhm, zuerst an die Quellen des Niger gelangt zu sein; nach seinen Angaben hat die Quelle dieses Riesenflusses kaum zwei Fuß Breite.

– Leicht zu überspringen, meinte Joe.

– Leicht? das ist doch noch die Frage, entgegnete der Doctor.»Wenn man der Ueberlieferung Glauben schenkt, so wird ein Jeder, der es versucht, durch Springen über die Quelle zu setzen, sofort verschlungen; wer Wasser daraus schöpfen will, fühlt sich durch eine unsichtbare Hand zurückgezogen.«

– Es ist doch wohl gestattet, daß man nichts davon glaubt? fragte Joe.

– Jeder nach seinem Belieben. Fünf Jahre später sollte der Major Laing sich durch die Sahara schlagen, nach Timbuktu vordringen und einige Meilen weiter nördlich einen furchtbaren Tod durch die Ulad-Shiman finden, die ihn zwingen wollten, Muselmann zu werden.

– Wieder ein Opfer, sagte der Jäger.

– Nun unternahm ein muthiger junger Mann, dem nur geringe Hilfsquellen zu Gebote standen, die erstaunlichste der neueren Reisen und brachte sie auch glücklich zu Ende; ich rede von dem Franzosen René Caillié. Nach verschiedenen Anläufen in den Jahren 1819 und 1824 brach er den 19. April 1827 zu einer neuen Reise von Rio-Nunez auf; am 3. August langte er so erschöpft und krank in Timé an, daß er seine Reise erst im Januar 1828, sechs Monate später, wieder aufnehmen konnte; er gesellte sich dann, durch seine orientalische Kleidung geschützt, einer Karawane zu, erreichte am 10. März den Niger, drang in die Stadt Dschenna und fuhr den Fluß stromabwärts bis Timbuktu, wo er am 30. April ankam. Ein anderer Franzose, Imbert, hatte, vielleicht im Jahre 1670; ein Engländer, Robert Adams, im Jahre 1810 diese interessante Stadt gesehen; aber René Caillié sollte der erste Europäer sein, der genaue Angaben über dieselbe heimbringen durfte; am 4. Mai verließ er diese Königin der Wüste; am 9. besichtigte er genau die Stätte, an welcher Major Laing ermordet worden war; am 19. kam er nach El-Arawan und verließ diese Handelsstadt, um unter tausend Gefahren die großen, zwischen Süden und den nördlichen Gegenden Afrika’s liegenden Einöden zu überschreiten; endlich zog er wieder in Tanger ein und segelte am 28. September nach Toulon ab; in neunzehn Monaten hatte er trotz hundertundachtzigtägiger Krankheit Afrika von Westen bis zum Norden durchreist. Wenn Caillié in England geboren wäre, hätte man ihn als den kühnsten Reisenden der neuern Zeit gleich Mungo-Park geehrt, aber in Frankreich wird er nicht nach Verdienst geschätzt. [Fußnote]

– Ein unerschrockener Mann, stimmte Kennedy bei, was ist aus ihm geworden?

– Er starb im Alter von neununddreißig Jahren an den Folgen seiner Strapazen; man glaubte genug gethan zu haben, als man ihm im Jahre 1828 den Preis der Geographischen Gesellschaft zuerkannte; in England wären ihm die größten Ehrenbezeugungen erwiesen worden! Während übrigens René Caillié diese bewundernswerthe Reise vollendete, faßte ein Engländer, Kapitän Clapperton, der Begleiter Denham’s, den Plan zu demselben Unternehmen, das er mit gleichem Muthe, wenn nicht mit gleichem Glücke ausführte. Im Jahr 1829 begann er vom Busen von Benin an der Westküste seinen Einzug in Afrika, verfolgte den Weg Mungo-Park’s und Laing’s, fand in Bussa die auf den Tod des Erstern bezüglichen Beweisstücke, kam am 20. August in Sackatu an, wo er als Gefangener zurückgehalten, seinen letzten Athemzug in den Armen seines treuen Dieners Richard Lander, aushauchte.

– Und was wurde aus diesem Lander? fragte Joe sehr interessirt.

– Es gelang ihm, die Küste wieder zu erreichen; er kehrte nach London zurück und brachte die Briefschaften des Kapitäns und einen genauen Bericht seiner eigenen Reise mit; dann bot er der Regierung seine Dienste an, um die Erforschung des Niger zu vervollständigen; zur Gesellschaft nahm er seinen Bruder John, das zweite Kind armer Leute aus Cornwallis, mit, und die Beiden fuhren in den Jahren 1829 bis 1831 den Fluß von Bussa bis zur Mündung stromabwärts, indem sie ihre Reise Dorf für Dorf, Meile für Meile beschrieben.

– So sind also diese beiden Brüder dem allgemeinen Schicksal entgangen? fragte Kennedy.

– Ja, wenigstens auf dieser Forschungsreise; im Jahre 1833 aber, als Richard eine dritte Niger-Fahrt unternommen hatte, kam er nahe der Mündung des Flusses um; eine Kugel von unbekannter Hand hatte ihn getroffen. Ihr seht also, meine Freunde, das Land, durch welches wir gegenwärtig reisen, ist vielfach Zeuge edler Aufopferung gewesen, die nur zu oft mit dem Tode belohnt worden ist!

Neununddreißigstes Capitel

Neununddreißigstes Capitel

Das Land in der Biegung des Niger. – Phantastische Ansicht der Hombori-Berge. – Kabra. – Timbuktu. – Plan des Doctor Barth. – Verfall. – Wohin der Himmel will.

Während dieses unfreundlichen Montags gefiel sich Doctor Fergusson darin, seinen Begleitern tausend Einzelheiten über die Gegend, die sie durchreisten, mitzutheilen. Der ziemlich flache Boden setzte ihrem Fortschreiten kein Hinderniß entgegen, aber desto mehr Sorge verursachte dem Doctor der böse, mit rasender Gewalt wehende Nordostwind, der ihn von der Breite Timbuktu’s entfernte.

Nachdem der Niger nördlich bis zu dieser Stadt gekommen ist, beschreibt er in ungeheurem Bogen ein Knie und strömt in weit ausgebreiteten Wassergarben dem Ocean zu.

Innerhalb dieser Biegung ist das Land von sehr verschiedener Bodenbeschaffenheit: bald prangt es in üppiger Fruchtbarkeit, bald schmachtet es in großer Dürre. Unbebaute Ebenen wechseln mit Maisfeldern ab, auf die wieder ausgedehnte, mit Ginster bedeckte Flächen folgen; alle Arten Wasservögel, Pelikane, Krickenten, Eisvögel leben in Schaaren an den Ufern der Ströme und Sümpfe.

Von Zeit zu Zeit zeigte sich ein Lager der Tuaregs, die unter ledernen Zelten ein Obdach suchten, während die Frauen die Arbeiten außer dem Hause versahen, ihre Kameele molken und ihre großen Pfeifenköpfe ausrauchten.

Der Victoria war um acht Uhr Abends um mehr als zweihundert Meilen nach Westen vorgedrungen, und jetzt bot sich den Reisenden ein prächtiges Schauspiel.

Einige Mondstrahlen bahnten sich einen Weg durch dichte Wolken, und fielen, zwischen den Regenlinien hingleitend, auf die Kette der Hombori-Berge. Nichts wunderbareres als diese Kämme, die da aussehen, als seien sie aus Basalt; sie zeichneten sich in phantastischen Silhouetten am dunklen Himmel ab; man hätte sie für die sagenhaften Ruinen einer großen Stadt des Mittelalters ansehen können, und dann wieder erschienen sie wie Eisschollenberge im Polarmeer beim Düster der Nacht.

»Das ist eine Stätte der Geheimnisse Udolfo’s, bemerkte der Doctor; Ann Radcliff hätte diese Berge nicht schauerlicher schildern können!

– Wahrhaftig, betheuerte Joe, ich möchte Abends nicht gern allein in diesem gespensterhaften Lande herumspazieren; wenn sie nicht so schwer wäre, möchte ich wohl die ganze Landschaft mit nach Schottland nehmen, sie würde sich an den Ufern des Lomond-Sees ganz ausgezeichnet machen, und die Touristen würden in Menge hinströmen.

– Unser Ballon ist leider nicht groß genug, um Dir dies Vergnügen zu machen. Aber es kommt mir vor, als ändere sich unsere Richtung. Gut! Die Kobolde hier scheinen sehr liebenswürdig! sie wehen uns einen kleinen Südostwind zu, der uns besser weiter führen wird.«

Wirklich schlug der Victoria eine mehr nördliche Bahn ein, und am 20. Morgens schwebte er über einem unentwirrbaren Netz von Kanälen, Strömen, Flüssen, die Verwickelung der Niger-Zuflüsse hinweg. Mehrere dieser Canäle, die mit dichtem Grase bedeckt waren, glichen fetten Weiden. Hier fand Fergusson die Straße Barth’s wieder; dieser hatte sich hier auf dem Flusse eingeschifft, um ihn bis Timbuktu hinunterzufahren. Der Niger floß hier, achthundert Toisen breit, zwischen zwei, an Cruciferen und Tamarinden reichen Ufern dahin; Gazellenheerden, die sich hier tummelten, bogen ihre geringelten Hörner in das hohe Gras, in welchem der Alligator schweigend auf sie lauerte.

Lange Reihen von Eseln und Kameelen, mit Waaren aus Dschenna beladen, standen im Schatten der schönen Bäume. Bald erschien ein Amphitheater niedriger Häuser an einer Wendung des Flusses; auf den Dächern und Terrassen war das, in den umliegenden Landstrichen gesammelte Futter aufgehäuft.

»Da ist Kabra, rief freudig der Doctor, der Hafen von Timbuktu; die Stadt ist nicht fünf Meilen von hier entfernt!

– Sind Sie zufrieden, Herr Fergusson? fragte Joe.

– Entzückt, mein Junge!

– Gut, Alles geht ausgezeichnet.«

In der That entfaltete sich nach zwei Stunden die Königin der Wüste, das geheimnißvolle Timbuktu, vor den Augen unserer Reisenden. Es hatte einst wie Athen und Rom seine Gelehrten-Schulen und Lehrstühle der Philosophie.

Fergusson verglich Alles bis auf’s Kleinste mit dem, von Barth selbst gezeichneten Plan, und erkannte, daß dieser äußerst genau war.

Die Stadt bildet ein großes, in eine weite Sandebene eingeschobenes Dreieck; die Spitze desselben zeigt nach Norden und schneidet einen Winkel aus der Wüste heraus; kaum kommen hier einige Grasarten, zwerghafte Mimosen und verkrüppelte Sträucher fort.

Was die Physiognomie von Timbuktu anbetrifft, so stelle man sich einen Haufen Billardkugeln vor; dies der Eindruck, den der Anblick der Stadt aus der Vogelperspective gewährt. Die Straßen sind ziemlich eng und werden theils von Häusern aus gebrannten Backsteinen theils aus viereckigen Stroh- und Rohrhütten gebildet. Auf den Terrassen sieht man ab und zu Einwohner in ihrer farbenglänzenden Tracht nachlässig hingestreckt, mit der Lanze oder Muskete in der Hand. Frauen ließen sich um diese Tageszeit noch nicht blicken.

»Sie gelten jedoch für schön, bemerkte der Doctor. Ihr seht die drei Thürme der Moscheen, sie sind allein von einer großen Zahl übriggeblieben. Die Stadt hat viel von ihrem alten Glanze eingebüßt! Am Gipfelpunkte des Dreiecks erhebt sich die Moschee Sankore mit ihren Galerien, die von Arcaden von ziemlich reiner Zeichnung getragen werden. Weiter hin in dem Viertel von Sane-Gungu die Moschee Sidi-Dahia und einige zweistöckige Häuser. Suchet nicht nach Palästen und Monumenten; der Scheik ist ein einfacher Handelsmann und seine königliche Wohnung ein Comptoir.

– Es kommt mir vor, als sähe ich halb zerstörte Wälle, sagte Kennedy.

– Sie sind im Jahre 1826 von den Fullannes niedergeworfen worden. Bis dahin war die Stadt um ein Drittel größer, denn Timbuktu hat, als allgemein begehrt, vom XI. Jahrhundert nach einander den Tuaregs, den Sonrayern, den Marokkanern und den Fullannes gehört; und dies große Centrum der Civilisation, in welchem ein Gelehrter wie Achmed-Baba im XIV. Jahrhundert eine Bibliothek von sechzehnhundert Manuscripten besaß, ist jetzt nur noch ein Stapelplatz Central-Afrika’s.«

Die Stadt schien gegenwärtig wirklich großer Vernachlässigung preisgegeben; sie verrieth die epidemische Liederlichkeit der Städte, welche dem Verfall entgegengehen. Ungeheure Schutthaufen thürmten sich in den Vorstädten auf und bildeten nebst einem auf dem Markt befindlichen Hügel die einzigen Unebenheiten des Terrains.

Beim Vorüberziehen des Victoria entstand einige Bewegung; die Trommeln wurden gerührt; aber kaum hatte wohl irgend ein Gelehrter des Ortes Zeit, die wunderbare Naturerscheinung zu beobachten; denn die Reisenden, von dem Wüstenwinde schnell weitergetrieben, verfolgten wieder den gewundenen Lauf des Flusses, und bald war Timbuktu nur noch eine der kurzen Erinnerungen ihrer Reise.

»Und jetzt«, sprach der Doctor, »führe uns der Himmel, wohin er will!«

»Wenn nur nach Westen«, fügte Kennedy hinzu.

»Bah!« meinte Joe, »handelte es sich auch darum, auf demselben Wege wieder nach Zanzibar zurückzukehren und den Ocean bis nach Amerika zu überfahren, ich würde kaum davor zurückschrecken.«

»Das müßte man in erster Linie können, Joe.«

»Und weshalb könnten wir’s nicht?«

»Wir würden kein Gas dazu haben, mein Junge; die emportreibende Kraft des Ballons vermindert sich merklich, und wir werden sehr damit sparen müssen, damit der Victoria uns noch bis zur Küste trägt. Wir werden sogar gezwungen sein, noch Ballast auszuwerfen. Unsere Last ist zu schwer.

»Das kommt vom Nichtsthun, Herr Doctor! Wenn man den ganzen Tag über in seiner Hängematte ausgestreckt liegt, wie ein Faullenzer, so ist nichts natürlicher, als daß man Fett ansetzt und schwer wird. Wir führen ja auf unserer Reise ein complettes Schlaraffenleben; wenn wir nach Hause zurückkehren, wird man uns erschrecklich dick und fett geworden finden.«

»Diese Gedanken sind eines Joe würdig, äußerte der Jäger; aber warte nur das Ende ab, man weiß nicht, was der Himmel uns vorbehalten hat; das Ziel unserer Reise ist noch weit entfernt. Wo glaubst Du, die afrikanische Küste zu erreichen, Samuel?«

»Ich wäre in Verlegenheit, wenn ich Dir darauf anworten sollte, Dick. Wir sind sehr veränderlichen Winden ausgesetzt. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn wir zwischen Sierra Leona und Portendik landen könnten; dort liegt eine gewisse Landstrecke, auf der wir Freunde finden würden.«

»Und dies Vergnügen dann, ihnen die Hand zu drücken! Aber folgen wir gegenwärtig wenigstens der gewünschten Richtung?«

»Nicht genau, Dick; sieh die Magnetnadel; wir halten nach dem Süden zu und gehen zu den Quellen des Niger hinauf.«

»Eine famose Gelegenheit, sie zu entdecken, fiel Joe schnell ein; im Fall sie nämlich noch unbekannt wären. Könnte man nicht vielleicht noch andere finden?«

»Nein, Joe, aber sei unbesorgt, ich hoffe, nicht ganz so weit zu kommen.«

Bei sinkender Nacht warf der Doctor die letzten Ballastsäcke aus; der Victoria stieg wieder, aber das Knallgasgebläse konnte ihn, obgleich es mit voller Flamme arbeitete, kaum oben halten; man befand sich nunmehr sechzig Meilen südlich von Timbuktu, und am andern Morgen erwachten die Reisenden am Ufer des Niger, nicht weit vom Debo-See.

Viertes Capitel

Viertes Capitel

Erforschungsreisen in Afrika. – Barth, Richardson, Overweg, Werne, Brun-Rolle, Peney, Andrea Debono, Miani, Guillaume Lejean, Bruce, Krapf und Rebmann, Maizan, Roscher, Burton und Speke.

Die Luftlinie, welcher der Doctor Fergusson zu folgen gedachte, war nicht auf’s Gerathewohl gewählt worden. In Bezug auf den Anfangspunkt seiner Reise hatte er tiefgehende Studien gemacht und nach reiflicher Ueberlegung beschlossen, von der Insel Zanzibar aufzusteigen. Dieselbe liegt an der Ostküste von Afrika, unter dem 6.° südlicher Breite, d. h. gegen vierhundert und dreißig geographische Meilen südlich vom Aequator. Von hier aus war soeben die letzte Expedition aufgebrochen, welche über die großen Seen zur Entdeckung der Nilquellen abgesandt war.

Es dürfte jedoch an der Zeit sein, hier die Forschungsreisen, welche Doctor Fergusson mit einander zu verknüpfen gedachte, näher zu beleuchten. Die beiden hauptsächlichsten derselben waren die des Doctor Barth im Jahre 1849 und ferner diejenige der Lieutenants Burton und Speke im Jahre 1858.

Doctor Barth, aus Hamburg gebürtig, erhielt für seinen Landsmann Overweg und sich die Erlaubniß, die Expedition des Engländers Richardson begleiten zu dürfen, der mit einer Sendung nach dem Sudan betraut war. Dieses ausgedehnte Land liegt zwischen dem 15. und 10.° nördlicher Breite, d.h. wenn man dorthin gelangen will, muß man über fünfzehnhundert Meilen weit in das Innere Afrika’s dringen.

Bis zu jener Zeit kannte man diese Länderstrecke nur durch die Reisen Denham’s, Clapperton’s und Oudney’s in den Jahren 1822 bis 1824. Richardson, Barth und Overweg gelangen in ihrem Eifer, die Nachforschungen weiter auszudehnen, nach Tunis und Tripoli, wie auch ihre Vorgänger, und schlagen sich bis Mursuk, der Hauptstadt von Fezzan, durch.

Dann verlassen sie die senkrechte Linie und biegen unter der Führung der Tuaregs westlich, in der Richtung nach Ghat ein, nicht ohne mannigfache Schwierigkeiten zu überwinden. Ihre Karawane kommt, nachdem sie vielfache Plünderungen, verschiedene Angriffe von bewaffneter Hand und tausenderlei andere Belästigungen erlitten hat, im Oktober bei der großen Oase von Asben an. Doctor Barth trennt sich hier von seinen Gefährten, um einen Abstecher nach der Stadt Agades zu machen, und schließt sich dann der Expedition, die am 12. December weiter marschirt, von Neuem an. In der Provinz von Damerghu trennen sich die drei Reisenden, und Barth schlägt die Straße nach Kano ein, wo er nach langem geduldigem Ausharren und bedeutenden Geldopfern endlich anlangt.

Trotzdem er an einem heftigen Fieber leidet, verläßt er am 7. März in Begleitung eines einzigen Bedienten die Stadt. Der Hauptzweck seiner Reise ist, den Tschad-See zu recognosciren, von dem er bis jetzt noch dreihundert und fünfzig Meilen entfernt ist. Er schreitet also östlich vor und erreicht den eigentlichen Kern des großen Reiches von Central-Afrika, die Stadt Suricolo in Bornu. Hier erfährt er die Nachricht von dem Tode Richardson’s, der den Strapazen und Entbehrungen erlegen ist. Barth setzt seine Reise fort, und kommt nach drei Wochen, am 14. April, also ein Jahr und vierzehn Tage nach seiner Abreise von Tripoli, in der Stadt Ngornu an.

Am 29. März 1851 finden wir ihn mit Overweg wieder auf der Reise, um dem Königreich Adamaua im Süden des See’s einen Besuch abzustatten; er gelangt bis zur Stadt Nola, etwas unter dem 9. Grad nördlicher Breite: die äußerste Grenze im Süden, die von diesem kühnen Reisenden erreicht worden ist.

Im Monat August kehrt er nach Kuka zurück, durchreist sodann Mandara, Barghimi, Kanem und erreicht als äußerste Grenze gegen Osten die Stadt Masena, unter 17°20′ westlicher Länge gelegen. [Fußnote]

Nach dem Tode Overweg’s, seines letzten Begleiters, schlägt er sich am 25. November 1852 nach Westen, besucht Sockoto, überschreitet den Niger und kommt endlich in Timbuctu an, wo er in der schlechtesten Behandlung und in großem Elend acht lange Monate, unter den Quälereien des Scheiks, schmachten muß. Aber die Anwesenheit eines Christen in der Stadt wird nicht länger geduldet; die Fullannes drohen mit einer Belagerung. Der Doctor verläßt also Timbuctu am 17. März 1854, flüchtet an die Grenze, wo er dreiunddreißig Tage in der vollständigsten Hilflosigkeit zu verweilen gezwungen ist, kehrt im November nach Kano zurück und begiebt sich wieder nach Kuka, von wo er nach einer viermonatlichen Rast die Straße Denham’s weiter verfolgt. Gegen Ende August 1855 sieht er Tripoli wieder und erscheint, der einzige von der Expedition übriggebliebene, am sechsten September in London.

Dies war die kühne Reise Barth’s, in Bezug auf welche Doctor Fergusson sich sorgfältigst notirte, daß er über den 4.° nördl. Breite und den 17.° westlicher Länge nicht hinausgekommen sei.

Vergegenwärtigen wir uns nunmehr, was die Lieutenants Burton und Speke in Ostafrika ausrichteten.

Die verschiedenen Expeditionen, welche am Nil aufwärts gegangen waren, hatten niemals vermocht, bis an die geheimnißvollen Quellen des Flusses zu gelangen. Nach dem Bericht des deutschen Arztes Ferdinand Werne machte die im Jahre 1840 unter den Auspicien Mehemet-Ali’s unternommene Expedition in Gondokoro zwischen dem 4. und 5.° nördl. Parallelkreise Halt.

Im Jahre 1855 brach Brun-Rollet, aus Savoyen gebürtig (zum Consul von Sardinien im östlichen Sudan ernannt, um Bauden, der dort seinen Tod gefunden hatte, zu ersetzen), von Chartum auf, gelangte mit Gummi und Elfenbein handelnd, nach Belenia bis über den 4. Grad hinaus, und kehrte krank von da nach Chartum zurück, wo er im Jahre 1857 starb.

Weder Dr. Peney, Chef des Medicinal-Wesens in Aegypten, welcher auf einem kleinen Dampfboot einen Grad unterhalb Gondokoro erreichte und nach seiner Rückkehr vor Erschöpfung in Chartum starb, – noch der Venetianer Miani, der, um die unterhalb Gondokoro gelegenen Katarakten biegend, den zweiten Parallelkreis erreichte, – noch auch der Malteser Kaufmann Andrea Debono, welcher seine Excursion an dem Nil noch weiter fortsetzte, – konnten über diese bisher unüberschrittene Grenze hinauskommen.

Im Jahre 1859 begab sich Herr Guillaume Lejean im Auftrage der französischen Regierung über das Rothe Meer nach Chartum und schiffte sich mit einundzwanzig Mann Schiffsvolk und zwanzig Soldaten auf dem Nil ein; aber er konnte nicht über Gondokoro hinauskommen und hatte die größten Gefahren inmitten der aufrührerischen Negerhorden zu bestehen. Die von Herrn d’Escayrac von Lauture geleitete Expedition suchte gleichfalls vergeblich, an die berüchtigten Quellen zu gelangen.

Aber vor diesem verhangnißvollen Ziel machten die Reisenden noch immer Halt; die Abgesandten Nero’s hatten vor Zeiten den 9. Breitegrad erreicht; man kam also in achtzehn Jahrhunderten nur um 5 oder 7 Grade, d. h. um dreihundert bis dreihundertundsechzig geographische Meilen weiter.

Mehrere Reisende versuchten, zu den Nilquellen zu gelangen, indem sie von einem Punkte auf der Ostküste Afrika’s ihre Reise antraten.

In den Jahren 1768 bis 1772 reiste der Schotte Bruc von Massauah, dem Hafen Abessiniens, ab, durchzog Tigre, besuchte die Ruinen von Arum, glaubte irrthümlich die Nilquellen gefunden zu haben, und brachte kein nennenswerthes Ergebniß von seiner Reise mit.

Im Jahre 1844 gründete der Doctor Krapf, Missionär der anglicanischen Kirche, eine Niederlassung zu Mombas auf der Küste von Zanzibar und entdeckte, in Gesellschaft des Geistlichen Rebmann, dreihundert Meilen weit von der Küste zwei Berge, den Kilimandscharo und den Kenia, welche die Herren von Heuglin und Thornton kürzlich theilweise erstiegen haben.

Im Jahre 1845 stieg der Franzose Maizan in Bagamayo, Zanzibar gegenüber, an’s Land und gelangte nach Deje-la-Mhora, wo ein Häuptling ihn unter den grausamsten Martern hinrichten ließ.

Im Monat August des Jahres 1859 erreichte der jugendliche Reisende Roscher aus Hamburg, der sich mit einer Karawane arabischer Kaufleute auf den Weg gemacht hatte, den Niassa-See, wo er im Schlaf ermordet wurde.

Endlich wurden im Jahre 1857 die Lieutenants Burton und Speke, beide Officiere im bengalischen Heere, von der Geographischen Gesellschaft zu London ausgesandt, um die großen Binnenseen zu erforschen; am 17. Juni verließen sie Zanzibar und drangen geraden Wegs nach Westen vor.

Nach viermonatlichen, unerhörten Leiden langten sie, ihres Gepäcks beraubt, ohne ihre Träger, die der Wuth der Eingebornen zum Opfer gefallen waren, in Kaseh, dem Centralvereinigungspunkt der Kaufleute und Karawanen an, sie waren mitten im Mondlande und sammelten werthvolle Belehrungen über die Sitten und Gebräuche, die Regierung, die Religion und die Fauna und Flora des dortigen Gebiets; dann steuerten sie auf den ersten der großen Binnenseen, den Tanganyika zu, der zwischen dem 3. und 8.° südlicher Breite gelegen ist; sie langten daselbst am 14. Februar 1858 an und besuchten die verschiedenen, meist kannibalischen Völkerschaften, die seine Ufer bewohnten. Am 26. Mai traten sie den Rückweg an, und zogen am 20. Juni wieder in Kaseh ein. Dort mußte der vor Erschöpfung erkrankte Burton mehrere Monate liegen bleiben; unterdessen machte Speke einen Abstecher von über dreihundert Meilen gegen Norden nach dem Ukerewe-See, den er am 3. August bemerkte; es war ihm jedoch nur möglich, den Anfang desselben unter 2° 31′ Br. zu besichtigen.

Am 25. August war er nach Kaseh zurückgekehrt und schlug in Gemeinschaft mit Burton wieder den Weg nach Zanzibar ein, wo sie im März des folgenden Jahres wieder eintrafen. Die beiden kühnen Reisenden kehrten nun nach England zurück, und die Geographische Gesellschaft zu London erkannte ihnen den Jahrespreis zu.

Doctor Fergusson merkte sorgfältig an, daß sie weder den 2. Grad südlicher Breite, noch den 29. Grad östlicher Länge überschritten hatten.

Es kam also darauf an, die Entdeckungsreisen Burton’s und Speke’s mit denen des Dr. Barth zu vereinigen, und dazu war es nothwendig, eine Länderstrecke von über zwölf Graden zu überschreiten.