Achtunddreißigstes Capitel.


Achtunddreißigstes Capitel.

Ein fossiler Mensch.

Um meines Oheims Anrufung dieser berühmten französischen Gelehrten zu verstehen, muß ich bemerken, daß kurz vor unserer Abreise eine für die Paläontologie höchst wichtige Thatsache vorgefallen war.

Am 28. März 1863 wurde von den Grabarbeitern, welche unter Leitung des H. Boucher de Perches in den Steinbrüchen zu Moulin-Quignon bei Abbeville arbeiteten, vierzehn Fuß unter der Erdoberfläche ein menschlicher Kinnbacken aufgefunden. Es war dies das erste Fossil dieser Art, welches an’s Tageslicht gefördert wurde. Neben demselben fand man steinerne Hacken und behauene Kiesel, bemalt und mit der Zeit von einförmiger Patina überzogen.

Diese Entdeckung erregte großes Aufsehen, nicht allein in Frankreich, sondern auch in England und Deutschland. Einige Gelehrte vom Institut français, unter anderen die Herren Milne-Edwards und de Quatrefages, nahmen sich lebhaft der Sache an, bewiesen die unbestreitbare Aechtheit des fraglichen Knochens, und traten als die eifrigsten Verfechter desselben bei diesem »Kinnbackenproceß«, wie die Engländer sich ausdrückten, auf.

Zu den Geologen des Vereinigten Königreichs, welche die Thatsache für zuverlässig hielten, Falconer, Busk, Carpenter u.s.w. gesellten sich deutsche Gelehrte, und unter ihnen in vorderster Reihe der enthusiastischste, mein Oheim Lidenbrock.

Die Echtheit eines fossilen Menschen in der vierten Epoche schien also unbestreitbar bewiesen und zugegeben.

Dieses System hatte zwar einen hitzigen Gegner in dem Herrn Elie de Beaumont. Dieser Gelehrte von so großer Autorität behauptete, das Terrain von Moulin- Quignon gehöre nicht dem »Diluvium«, sondern einer minder alten Schichte an, und in diesem Punkt mit Cuvier einig, gab er nicht zu, daß das Menschengeschlecht aus gleicher Zeit mit den Thieren der vierten Epoche stammte. Mein Oheim Lidenbrock, in Uebereinstimmung mit der großen Majorität der Geologen, hatte sich wacker gehalten, disputirt, discutirt, und Herr E. de Beaumont war fast der einzige Mann seiner Partei.

Wir kannten alle Einzelheiten der Sache, aber wir wußten nicht, daß seit unserer Abreise die Frage neue Fortschritte gemacht hatte. Andere Kinnbacken derselben Art, obwohl Individuen verschiedener Typen und von verschiedenen Nationen, wurden in lockerem und grauem Erdreich gewisser Grotten in Frankreich, der Schweiz, Belgien gefunden, sowie Waffen, Geräthe, Werkzeuge, Gebeine von Kindern, jungen Leuten, Männern, Greisen. Die Existenz des quaternären Menschen wurde täglich mehr bestätigt.

Nicht genug dies. Weitere, im tertiären Boden ausgegrabene Reste hatten kühneren Gelehrten gestattet, dem Menschengeschlecht ein noch höheres Alter zuzuschreiben. Diese Reste waren zwar nicht Menschengebeine, sondern nur Gegenstände seiner Industrie, Bein- und Hüftknochen fossiler Thiere, regelmäßig gestreift, sozusagen vom Bildhauer gemacht, und das Gepräge menschlicher Arbeit an sich tragend.

Also ist der Mensch mit einem Male die Stufenleiter einer größeren Zahl von Jahrhunderten hinaufgestiegen; er ging dem Mastodon voraus, wurde Zeitgenosse des südlichen Elephanten; seine Existenz berechnete sich auf hunderttausend Jahre.

Bei diesem Stand der paläontologischen Wissenschaft wird das Staunen und die Freude meines Oheims begreiflich, zumal da er, zwanzig Schritte weiter, auf ein Exemplar des quaternären Menschen stieß.

Es war ein völlig kenntlicher Menschenkörper. Hatte ein Boden von besonderer Beschaffenheit, wie der des Friedhofs St. Michael zu Bordeaux, ihn so wohl erhalten Jahrhunderte lang bewahrt? Ich könnte es nicht sagen. Aber dieser Leichnam, die pergamentartige Haut, die – dem Anschein nach – noch markigen Glieder, die noch erhaltenen Zähne, das reiche Haar, die erschrecklich langen Nägel an Händen und Zehen – das Alles zeigte sich unseren Augen, so wie es bei Leben gewesen.

Ich war stumm bei dieser Erscheinung aus einem anderen Zeitalter. Mein Oheim, der sonst so geschwätzig ist, schwieg ebenfalls. Wir hoben den Körper auf, betasteten seinen Rumpf, er blickte uns aus seinen Augenhöhlen an. Nach einer kleinen Pause machte sich der Professor in dem Oheim geltend. Er vergaß die Umstände, worin wir uns befanden, glaubte ohne Zweifel vor seinen Zuhörern am Johanneum zu stehen. Denn er sprach im Ton des Docenten, wie vor einem Auditorium:

»Meine Herren, ich habe die Ehre, Ihnen einen Menschen aus der quaternären Epoche vorzustellen. Große Gelehrte haben seine Existenz in Abrede gestellt; nun kann auch der Ungläubigste sich überzeugen, wenn er mit den Fingern ihn berührt und seinen Irrthum inne wird. Ich weiß nun wohl, daß die Wissenschaft bei Entdeckungen dieser Art vorsichtig sein muß! Ich weiß wohl, was die Barnum und andere Charlatane mit fossilen Menschen für ein Unwesen getrieben haben. Ich kenne alle Geschichten der Art, weiß auch, daß Cuvier und Blumenbach solche Gebeine für bloße Mammuthknochen erklärt haben. Aber hier ist kein Zweifel statthaft. Der Cadaver ist da! Sie können ihn sehen, berühren; es ist ein unversehrter Körper, ein Skelet.

Sie sehen, er ist nicht völlig sechs Fuß groß; gehört unstreitig der kaukasischen Race an, ja ich wage zu behaupten, er gehört zur japhelischen Familie, welche von Indien bis zu den Grenzen West-Europas verbreitet ist. Ja, es ist ein fossiler Mensch, ein Zeitgenosse des Mastodon. Aber auf welchem Wege er hieher gekommen ist in diese enorme Höhlung, das wage ich nicht zu bestimmen. Doch das weiß ich zu sagen, der Mensch ist da, umgeben von Werken seiner Hand, und ich kann nicht die Echtheit seines Ursprungs aus der Urzeit in Zweifel ziehen.«

Als der Professor geendigt hatte, klatschte ich Beifall. Uebrigens hätten viel gelehrtere Leute, als sein Neffe ist, Mühe gehabt, mit ihm zu streiten.

Hiezu kommt weiter. Der fossile Körper war nicht der einzige auf dem großen Gebeinfeld; bei jedem Schritt stießen wir noch auf andere, so daß mein Oheim die Wahl hatte, um für die Ueberzeugung der Ungläubigen ein Musterstück zu haben.

Eine wichtige Frage drängte sich dabei auf, welche wir nicht zu entscheiden uns getrauen. Sind diese Geschöpfe zu einer Zeit, als sie schon vermodert waren, durch eine gewaltsame Erschütterung des Bodens an’s Ufer des Meeres Lidenbrock hinabgerutscht, oder haben sie in dieser unterirdischen Welt, unter diesem künstlichen Himmel gelebt, wurden geboren und starben gleich unseren Erdbewohnern?

Bis jetzt hatten wir nur Seeungeheuer und Fische lebendig angetroffen! Sollte wohl auch ein Mensch an diesem öden Gestade der Unterwelt vorhanden sein?

Neununddreißigstes Capitel.


Neununddreißigstes Capitel.

Ein Proteus der Urwelt.

Eine halbe Stunde lang durchwanderten wir dieses Lager von Gebeinen. Glühende Neugierde trieb uns weiter. Was für andere Wunder, welche Schätze für die Wissenschaft barg noch diese Höhle? Ich war auf jede Ueberraschung gefaßt.

Wir waren von dem Meeresufer hinter dem Gebeinfeld längst abgekommen.

Den unvorsichtigen Professor kümmerte es wenig, ob wir uns verirrten, und ich ließ mich von ihm fortziehen. Wir gingen schweigend vorwärts. Das elektrische Licht beleuchtete gleichmäßig die Gegenstände, ohne daß ein bestimmter Brennpunkt existirte, der einen Schatten bewirken konnte. Alle Dünste waren verschwunden. Die Felsen, die fernen Gebirge, einige undeutliche Gruppen von Waldung bekamen bei der gleichen Vertheilung des leuchtenden Fluidums ein seltsames Aussehen.

Nachdem wir eine Meile weit gegangen, kamen wir an den Rand eines ungeheuren Waldes. Es waren aber nicht Champignons, wie bei Gretchen-Hafen; es zeigte sich die tertiäre Vegetation in voller Pracht. Große Palmbäume, jetzt verschwundene Gattungen, Fichten, Eiben, Cypressen, Thuya’s waren netzartig mit Lianen durchflochten. Ein Teppich von Moos und Leberkraut bekleidete körnig den Boden. Einige Bäche rieselten unter dem schattenlosen Gebüsch. An ihrem Uferrand wuchsen baumhohe Farrenkräuter gleich denen in unseren Gewächshäusern. Nur waren alle diese Bäume, Gebüsche, Pflanzen farblos, da die belebende Sonnenwärme fehlte. Alles verschwommen in einförmiger Färbung, bräunlich und wie verblichen. Die Blätter ohne Grün, und selbst die Blumen, welche in dieser tertiären Epoche zahlreich sproßten, damals farb- und geruchlos, sahen aus wie von Papier gemacht, das durch Einwirken der Luft seine Farbe verloren hat.

Mein Oheim Lidenbrock wagte sich in dieses riesige Gehölz. Ich folgte ihm, nicht ohne Angst. Da die Natur hier die vegetale Nahrung sprossen ließ, warum sollten sich nicht da auch die fürchterlichen Säugethiere finden? Ich bemerkte an den lichten Stellen Leguminosen, Rubiaceen und die unzähligen Nahrungssträuche, welche die Wiederkäuer aller Perioden gerne fressen. Hernach zeigten sich die Bäume verschiedener Gegenden der Erdoberfläche durcheinander gemischt: die Eiche neben der Palme, der australische Eucalyptus an der Seite der norwegischen Tanne, die Birke des Nordens mit der seeländischen Kauris, das Gezweig verflechtend.

Plötzlich stand ich stille, hielt meinen Oheim mit der Hand zurück.

Das zerstreute Licht gestattete in der Tiefe der Waldung die geringsten Gegenstände zu sehen. Ich glaubte zu sehen … Nein, wirklich, mit eigenen Augen sah ich ungeheure Gestalten unter den Bäumen sich bewegen! Wirklich, es waren Riesenthiere, eine Heerde Mastodone, nicht fossil, nein, leibhaftige, gleich denen, deren Reste 1801 in den Sümpfen des Ohio aufgefunden wurden!

Ich gewahrte diese großen Elephanten, deren Rüssel unter den Bäumen wühlten gleich wimmelnden Schlangen. Ich hörte sie mit ihren langen Haaren die alten Stämme anbohren. Die Zweige krachten, und das massenweis herabgerissene Laub verschwand in den weiten Rachen dieser Ungeheuer.

Diesen wilden Bewohnern waren wir also, einsam mitten im Schoße der Erde, Preis gegeben!

Mein Oheim schaute hin.

»Auf! sagte er auf einmal, und faßte mich beim Arm, vorwärts, vorwärts!

– Nein, rief ich, nein! Wir sind waffenlos! Was sollen wir mitten in der Heerde von Riesenthieren anfangen? Kommen Sie, Oheim, kommen Sie! Kein menschliches Geschöpf kann ungestraft den Zorn dieser Ungeheuer herausfordern.

– Kein menschliches Geschöpf! erwiderte mein Oheim mit leiser Stimme. Du irrst, Axel. Schau, schau nur, dort unten! Es dünkt mir, da seh‘ ich ein lebendes Wesen! ein Unsersgleichen! einen Mann!«

Ich blickte hin, zuckte die Achseln, entschlossen, die Ungläubigkeit bis zum Aeußersten zu treiben. Doch, ich mußte mich durch den Augenschein überführen lassen.

Wirklich, nicht eine Viertelmeile weit, an den Stamm eines enormen Kauris gelehnt, war ein menschliches Wesen, ein Proteus jener unterirdischen Gegenden, ein neuer Sohn des Neptun, welcher diese zahllose Heerde von Mastodonten hütete!

Es war kein Fossil, wie jener Cadaver im Gebeinfeld, sondern ein Riese, der diesen Ungeheuern zu gebieten verstand. Seine Größe betrug über zwölf Fuß. Sein Kopf, so groß wie der eines Büffels, verschwand im Gebüsch eines wilden Haupthaars. Er schwang in der Hand einen ungeheuren Baumzweig, einen würdigen Hirtenstab des Schäfers der Urzeit.

Wir waren unbeweglich, voller Bestürzung, stehen geblieben. Aber man konnte uns bemerkt haben, wir mußten entfliehen.

»Kommen Sie, kommen Sie«, rief ich, und zog meinen Oheim mit mir, welcher zum ersten Male mir nachgab!

Nach einer Viertelstunde befanden wir uns außer dem Gesichtskreis dieses fürchterlichen Feindes.

Und jetzt, da ich ruhig daran denke, jetzt, da mein Geist wieder Besonnenheit gewonnen hat, da Monate seit der übernatürlichen Begegnung verflossen sind, was soll ich denken, glauben? Nein! Unmöglich! Es war Sinnentäuschung, was unsere Augen sahen, ist nicht in Wirklichkeit so gewesen! In dieser unterirdischen Welt existirt kein menschliches Geschöpf! Eine Generation von Menschen, welche diese Höhlen im Schoße des Erdkörpers, ohne Verbindung mit der Oberwelt, bewohnte, ist vollständiger Unsinn!

Eher ließe ich die Existenz eines Thieres gelten, dessen Bau dem menschlichen ähnlich ist, eines Affen der Urzeit, eines Protopitheken. Aber dieser übertraf an Wuchs alle bekannten Maße! Gleichviel! Ein Affe, so unwahrscheinlich auch, ein Affe mag’s sein; aber ein lebendiger Mensch nie!

Inzwischen hatten wir den klaren und hellen Wald verlassen, stumm vor Erstaunen, gedrückt von Bestürzung. Wir liefen wider Willen. Unser Instinct leitete uns dem Meer Lidenbrock wieder zu, und ein Gedanke brachte mich wieder auf praktischere Beobachtungen.

Obwohl ich gewiß war, daß wir uns auf völlig unbetretenem Boden befanden, so bemerkte ich mitunter Felsengruppen, deren Form an die von Gretchen-Hafen erinnerte. Dies war übrigens durch die Angaben des Compasses und unsere unwillkürliche Rückkehr auf die Nordseite des Meeres bestätigt. Es war mitunter täuschend ähnlich. Bäche und Wasserfälle stürzten zahlreich aus den Felsvorsprüngen. Ich glaubte das Lager von Surtarbrandur, unsern treuen Hansbach und die Grotte, worin ich wieder zu Besinnung kam, zu erkennen. Hernach etwas weiter wurde ich wieder durch die Gestaltung der Berge, durch einen Bach und die überraschende Zeichnung eines Felsens in den Zweifel zurückgeworfen.

Ich theilte meinem Oheim mein Schwanken mit. Er schwankte ebenfalls. Er konnte sich in dieser Umgebung nicht auskennen.

»Offenbar, sagte ich, sind wir nicht bei unserm Abfahrtspunkt gelandet, sondern der Sturm hat uns etwas weiter oberhalb getrieben, und wenn wir uns längs dem Ufer halten, werden wir nach Gretchen-Hafen gelangen.

– In diesem Falle, erwiderte mein Oheim, ist’s unnütz, diese Untersuchung fortzusetzen, und das Beste wäre, nach unserm Floß zurückzukehren. Aber, Axel, irrst Du Dich nicht?

– Es ist schwer, ein bestimmtes Urtheil darüber zu fällen, lieber Oheim, denn alle diese Felsen gleichen sich. Ich glaube jedoch das Vorgebirge wieder zu erkennen, an dessen Fuß Hans das Fahrzeug gebaut hat. Wir müssen nahe bei dem kleinen Hafen sein, wenn er nicht schon hier ist.

– Nein, Axel, wir würden wenigstens unsere eigenen Spuren finden, und ich sehe nichts …

– Aber ich sehe etwas, rief ich aus, und stürzte auf einen Gegenstand, der im Sande glänzte.

– Was ist’s denn?

– Dies«, erwiderte ich.

Und ich zeigte meinem Oheim einen verrosteten Dolch, den ich aufgehoben hatte.

»Ah! sagte er, Du hattest also doch diese Waffe mitgenommen?

– Ich? Keineswegs! Aber Sie …

– Nein, soviel ich wüßte, versetzte der Professor. Ich habe diesen Gegenstand nie im Besitz gehabt.

– Das ist aber eigenthümlich!

– Nein, es ist sehr einfach, Axel. Die Isländer haben oft Waffen dieser Art, und Hans, dem diese angehört, wird sie verloren haben …«

Ich schüttelte den Kopf. Hans hatte diesen Dolch nie in Besitz.

»Ist’s vielleicht die Waffe eines urweltlichen Kriegers, rief ich aus, eines lebenden Menschen, Zeitgenossen des riesigen Schäfers? Aber nein! Es ist nicht ein Werkzeug aus dem Zeitalter des Steins! nicht einmal der Bronce! Diese Klinge ist von Stahl …«

Mein Oheim unterbrach mich bei diesem Gedanken und fügte mit kaltem Tone bei:

»Beruhige Dich, Axel, und komme zur Vernunft. Dieser Dolch ist eine Waffe aus dem sechzehnten Jahrhundert, ein wirklicher Dolch, wie die Edelleute ihn am Gürtel trugen, um den Gnadenstoß zu geben. Er ist spanischen Ursprungs. Er gehört weder Dir, noch mir, noch dem Jäger, noch auch den menschlichen Wesen, welche vielleicht im Schoße des Erdballs leben!

– Wagen Sie dies zu behaupten? …

– Sieh, man hat ihn nicht durch Menschenmord schartig gemacht; seine Klinge ist mit einem Rost bedeckt, der älter ist, als ein Tag, ein Jahr, ein Jahrhundert!«

Der Professor ereiferte sich wie gewöhnlich und ließ sich durch seine Phantasie fortreißen.

»Axel, sagte er, wir sind der großen Entdeckung auf der Spur! Diese Klinge liegt hier auf dem Sande seit hundert, zweihundert, dreihundert Jahren, und ist an den Felsen dieses unterirdischen Meeres schartig geworden!

– Aber sie ist nicht allein gekommen, rief ich aus; es ist Jemand vor uns hier gewesen! …

– Ja! ein Mann.

– Und dieser Mann?

– Dieser Mann hat mit diesem Dolch seinen Namen eingegraben! Dieser Mann hat noch einmal eigenhändig den Weg nach dem Mittelpunkt zeigen wollen! Suchen wir nur!«

Und mit erstaunlichem Eifer gingen wir längs der hohen Felswand und forschten nach den geringsten Spalten, die zur Galerie werden konnten.

So gelangten wir zu einer Stelle, wo das Gestade enger wurde. Das Meer drang fast bis an den Fuß der Vorberge und ließ nur eine oder zwei Klafter als Weg frei. Zwischen zwei Felsenvorsprüngen gewahrte man den Eingang zu einem dunkeln Tunnel.

Hier zeigten sich auf einer Granitfläche zwei geheimnißvolle halb verwitterte Buchstaben, die beiden Anfangsbuchstaben des kühnen und abenteuerlichen Reisenden:

»A.S.! rief mein Oheim. Arne Saknussemm! Stets Arne Saknussemm!«

Viertes Capitel.


Viertes Capitel.

Entzifferung des Geheimnisses.

»Er ist fort, rief Martha, die herbeigelaufen kam, als er die Hausthür so heftig zuschlug, daß von dem Schmettern das ganze Haus erschüttert wurde.

– Ja, erwiderte ich, ganz und gar fort!

– Nun! und sein Mittagessen? sagte die alte Dienerin.

– Er wird nicht zu Mittag speisen!

– Und sein Abendessen?

– Er wird auch nicht zu Abend speisen!

– Wie? sagte Martha und rang die Hände.

– Nein, gute Martha, er wird nicht mehr essen, und Niemand im ganzen Hause. Mein Oheim läßt uns alle fasten, bis es ihm gelingt, ein altes Gekritzel, das durchaus unleserlich ist, zu entziffern!

– Jesus! So bleibt uns also nichts, als Hungers sterben.«

Ich getraute nicht, einzugestehen, daß bei einem so unbedingten Mann, wie mein Oheim, dies uns unvermeidlich bevorstehe.

Ernstlich beunruhigt begab sich die alte Dienerin mit Seufzen in ihre Küche zurück.

Als ich allein war, kam mir der Gedanke, zu Gretchen zu eilen und ihr Alles zu erzählen. Aber wie konnte ich das Haus verlassen? Der Professor konnte jeden Augenblick heim kommen. Und wenn er nach mir rief? Und wenn er seine Enträthselungsarbeit, die man dem alten Oedipus vergeblich vorgelegt haben würde, wieder anfangen wollte? Und was würde es geben, wenn ich auf sein Rufen nicht Antwort gäbe?

Das Klügste war, zu bleiben. Eben hatte uns ein Mineralog aus Besançon eine Sammlung Klappersteine vom Kieselgeschlecht zugeschickt, welche zu classificiren waren. Ich machte mich an die Arbeit. Ich sonderte aus, machte Etiketten, ordnete in ihrem Glaskasten alle die hohlen Steine, worin kleine Krystalle eingeschlossen waren.

Aber diese Thätigkeit beschäftigte mich nicht völlig. Das alte Document machte mir in den Gedanken viel zu schaffen. Mein Kopf glühte, und eine unbestimmte Unruhe ergriff mich. Ich ahnte eine bevorstehende Katastrophe.

Nach Verlauf einer Stunde waren meine Klappersteine geordnet. Darauf wiegte ich mich in dem großen Lehnstuhl, den Kopf rückwärts, die Arme baumelnd. Ich zündete meine Pfeife an, deren lange krumme Röhre am Kopf mit dem Bild einer Nymphe geziert war, und ergötzte mich daran, die Fortschritte der Verkohlung zu beobachten, wodurch die Nymphe zu einer vollständigen Negerin geworden war. Von Zeit zu Zeit lauschte ich, ob sich nicht Tritte auf der Treppe vernehmen ließen. Nichts zu hören. Wo mochte mein Oheim eben sein? Ich sah ihn in Gedanken die schöne Allee der Altonaer Straße entlang laufen, gesticulirend, mit kräftigem Arm die Kräuter zerschlagen, Disteln köpfen und die Schwäne in ihrem Frieden stören.

Wird er triumphirend oder entmuthigt heim kommen? Sollte er das Geheimniß heraus bekommen haben? So fragte ich mich, und nahm maschinenmäßig das Blatt Papier in die Hand, worauf die von mir geschriebenen unverständlichen Zeilen sich befanden. Ich wiederholte:

»Was bedeutet dies?«

Ich versuchte die Buchstaben so zu gruppiren, daß sie Worte bildeten. Unmöglich. Man mochte sie zu zwei, drei, fünf oder sechs zusammenstellen, es kam durchaus nichts Verständliches heraus. Doch ließ sich aus dem vierzehnten, fünfzehnten und sechzehnten Buchstaben das englische Wort »ice« bilden, aus dem vier-, fünf- und sechsundachtzigsten das Wort »sir«. Endlich erkannte ich mitten in dem Document auf der dreißigsten Zeile die lateinischen Worte »rota«, »mutabile«, »ira«, »nec«, »atra«.

Teufel, dacht‘ ich, diese letzteren Wörter könnten wohl meinem Oheim Auskunft über die Sprache des Documents geben! Und da sehe ich gar, auf der vierten Zeile noch das Wort »luco«, das einen »heiligen Hain« bedeutet. Zwar auf der dritten Zeile ist das Wort »tabiled« zu lesen, welches ganz hebräisch aussieht, und auf der letzten die Wörter »mer«, »arc«, »mère«, die rein französisch sind.

Darüber konnte man den Kopf verlieren: Vier verschiedene Sprachidiome in einer sinnlosen Phrase! In welchem Zusammenhang konnten die Wörter »Eis«, »Herr«, »Zorn«, »grausam«, »heiliger Hain«, »wechselnd«, »Mutter«, »Bogen«, »Meer« stehen? Das letzte und erste allein ließen sich leicht an einander reihen: es wäre nicht zu verwundern, wenn in einem auf Island geschriebenen Document von »Eismeer« die Rede wäre. Aber den übrigen Theil des Geheimschriftstücks zu begreifen, war doch eine andere Aufgabe.

Ich rang also mit einer unlöslichen Schwierigkeit; mein Gehirn erhitzte sich, meine Augen blinzelten bei dem Blick auf das Blatt; die hundertzweiunddreißig Buchstaben schienen um mich herum zu hüpfen, wie die Silbertropfen, die in der Luft unseren Kopf umflimmern, wenn das Blut stark dahin dringt.

Es wandelten mich Phantasiegesichte an; der Athem ging mir aus; ich bedurfte Luft. Unwillkürlich fächelte ich mich mit dem Blatt Papier, so daß seine Vorder- und Rückseite abwechselnd mir vor Augen kamen. Wie war ich überrascht, als ich bei einem solchen raschen Umwenden vollkommen lesbare Wörter zu erkennen glaubte, lateinische Wörter, z.B. »craterem«, »terrestre«.

So drang auf einmal ein Lichtstrahl in meinen Geist; diese einzigen Spuren führten mich auf den Weg der Wahrheit; ich hatte das Gesetz der Chiffre gefunden. Um das Document zu verstehen, brauchte man nicht einmal quer über auf die Rückseite des Blattes zu lesen! Nein.

Gerade so, wie es war, gerade so, wie mir’s dictirt wurde, konnte es geläufig buchstabirt werden. Alle sinnreichen Gedanken des Professors verwirklichten sich. Er hatte Recht in Hinsicht der Zusammenreihung der Buchstaben, sowie in Hinsicht der Sprache. Um dieses lateinische Schreiben von Anfang bis zu Ende lesen zu können, bedurfte er nur noch »etwas«, und dieses »etwas« wurde mir vom Zufall gegeben.

Natürlich war ich sehr im Gemüth ergriffen. Meine Augen wurden trübe, so daß sie mir den Dienst versagten. Ich hatte das Papier auf dem Tisch ausgebreitet. Ich brauchte nur einen Blick darauf zu werfen, um das Geheimniß in Besitz zu bekommen.

Endlich ward ich mit Mühe meiner Bewegung Herr. Um meine Nerven ruhig werden zu lassen, legte ich mir auf, zweimal durch das Zimmer zu gehen, darauf wiegte ich mich wieder in dem großen Lehnstuhl.

»So will ich lesen«, rief ich aus, nachdem ich aus tiefer Brust aufgeathmet.

Ich neigte mich über den Tisch, verfolgte mit dem Finger der Reihe nach jeden Buchstaben, und las ohne anzuhalten, ohne einen Augenblick zu stocken, mit lauter Stimme den ganzen Satz.

Aber welche Bestürzung, welcher Schrecken befiel mich! Ich stand Anfangs wie vom Schlag gerührt. Wie! Was ich eben gelernt hatte, war schon am Ziel! Ein Mensch war kühn genug, dahin zu dringen! …

»Ah! rief ich hüpfend aus, nein! nein! Mein Oheim soll’s nicht erfahren! Er würde unfehlbar eine solche Reise vornehmen! Er würde auch diesen Genuß haben wollen! Nichts würde ihn abhalten können! Ein so entschlossener Geolog! Er würde jedenfalls hinreisen, trotz Allem! und er würde mich mitnehmen, um nimmer heimzukehren! Niemals! nie!«

Ich war in unbeschreiblicher Aufregung.

»Nein! nein! Das wird nicht geschehen, sagte ich mit Energie, und da es in meiner Macht steht, zu verhindern, daß meinem Tyrannen eine solche Idee in den Sinn komme, so will ich’s thun. Wenn er das Document um- und herumwendet, könnte er zufällig den Schlüssel desselben entdecken! So will ich’s vernichten!«

Im Kamin war noch ein wenig Feuer. Ich ergriff nicht allein das Blatt Papier, sondern auch das Pergament des Saknussemm; mit fieberhaft zitternder Hand war ich im Begriff, es mit einander auf die Kohlen zu werfen, und so das gefährliche Geheimniß zu vernichten. Da öffnete sich die Thür des Zimmers und mein Oheim trat ein.

Achtundzwanzigstes Capitel.


Achtundzwanzigstes Capitel.

Ein Spiel der Akustik.

Als ich wieder zum Bewußtsein kam, war mein Angesicht naß, von Thränen benetzt. Wie lange dieser Zustand dauerte, kann ich nicht sagen. Ich hatte gar kein Mittel mehr, mir Rechenschaft von der Zeit zu geben. Nie gab’s eine Einsamkeit gleich der meinigen, nie eine so vollständige Verlassenheit!

Nach meinem Fall hatte ich viel Blut verloren. Ach! ich jammerte, daß ich nicht gestorben war, »daß ich noch zu sterben hatte!« Ich wollte nicht mehr denken, wies jeden Gedanken von mir, überwältigt von Jammer wälzte ich mich auf dem Boden.

Bereits fühlte ich mich wieder einer Ohnmacht und damit der völligen Vernichtung nahe, als ein starkes Getöse in mein Ohr drang. Es glich einem anhaltenden Donnern, ich vernahm, wie die Tonwellen sich allmälig in fernen Tiefen verloren.

Woher dies Getöse? Es kam ohne Zweifel von einer Naturerscheinung im Schooße des Erdbaues her! Von einer Gasexplosion, dem Herabsturz einer gewaltigen Steinschichte!

Ich lauschte, um zu vernehmen, ob sich das Getöse wiederhole. So verlief eine Viertelstunde in völliger Stille. Ich hörte nicht einmal mehr mein Herzklopfen.

Plötzlich glaubte ich, als mein Ohr zufällig an die Wand kam, unbestimmte, unvernehmliche Worte in weiter Ferne zu hören. Ich zitterte.

»Eine Sinnentäuschung!« dachte ich.

Doch nein. Als ich achtsamer lauschte, hörte ich wirklich Stimmengemurmel. Aber zu vernehmen, was man sagte, war mir aus Schwäche nicht möglich. Doch waren’s Worte, die man sprach, ganz gewiß.

Eine Weile fürchtete ich, es seien meine eigenen Worte, die mir ein Echo zurückwarf. Hatte ich wohl ohne mein Wissen geschrieen? Ich preßte meine Lippen fest zusammen und lehnte mein Ohr abermals wider die Wand.

»Ja, sicherlich, man spricht! man spricht!«

Als ich längs der Wand einige Fuß weiter ging, hörte ich deutlicher. Es gelang mir unbestimmte, seltsame, unbegreifbare Worte zu vernehmen. Sie drangen zu mir, als seien sie leise gesprochen, sozusagen gemurmelt. Oefters wiederholt mit schmerzlicher Betonung hörte ich das Wort: »förlorad«.

Wer sprach? Offenbar Hans oder mein Oheim. Aber wenn ich sie hörte, konnten auch sie mich hören.

»Hilfe! zu Hilfe!« schrie ich aus Leibeskräften.

Ich horchte, lauschte nach einer Antwort, einem Schreien, einem Seufzer. Kein Laut ließ sich vernehmen einige Minuten lang. Eine Welt von Gedanken erschloß sich in meinem Geist. Ich dachte, meine Stimme sei zu schwach, um bis zu meinen Gefährten zu dringen.

»Denn sie sind’s unfehlbar, wiederholte ich. Wer sonst, dreißig Meilens unter der Erde?«

Ich horchte abermals. Als ich mein Ohr längs der Wand fortbewegte, kam ich auf einen mathematischen Punkt, wo die Stimmen ihren Höhegrad an Stärke zu erreichen schienen. Abermals drang das Wort »förlorad« zu meinen Ohren; dann wieder so ein Donnergeroll, wie das, welches mich aus meiner Erstarrung geweckt hatte.

»Nein, sagte ich, nein. Quer durch die Grundmassen kann man diese Stimmen nicht vernehmen. Die Granitwand würde den stärksten Ton nicht hindurchdringen lassen! Die Töne kommen aus der Galerie selbst! Es muß dabei eine ganz besondere Wirkung der Akustik im Spiel sein!«

Ich horchte abermals, und diesesmal ja! hörte ich meinen Namen deutlich hinaus gerufen!

Mein Oheim rief! Er sprach mit dem Führer, von dem das dänische »förlorad« herrührte.

Jetzt begriff ich Alles. Um mir vernehmlich zu werden, mußte ich hart neben der Wand sprechen, welche meine Stimme, wie der elektrische Draht, fortleitete.

Aber ich hatte keine Zeit zu verlieren. Entfernten sich meine Gefährten noch eine kurze Strecke, so war die Akustik nicht mehr möglich. Ich trat also nahe an die Wand heran, und sprach so deutlich, wie möglich, die Worte:

»Mein Oheim Lidenbrock!«

Ich wartete in höchster Spannung. Der Ton läuft nicht äußerst schnell, und die dichtere Luft erhöht nicht seine Schnelligkeit, sondern nur seine Stärke. Einige Secunden verflossen, bis endlich diese Worte zu meinem Ohr drangen:

»Axel, Axel! Bist Du’s?«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Ja! ja!« erwiderte ich.

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»Mein Kind, wo bist Du?«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Verloren, im tiefsten Dunkel!«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Aber Deine Lampe?«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Verloschen.«

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»Und der Bach?«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Verschwunden.«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Axel, armer Axel, fasse wieder Muth!«

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»Warten Sie ein wenig, ich bin erschöpft! Habe nicht mehr die Kraft zu antworten. Aber sprechen Sie zu mir!«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Muth, fuhr mein Oheim fort. Rede nicht, lausche mir. Wir haben Dich auf- und abwärts in der Galerie gesucht; konnten Dich nicht finden. Ich habe sehr um Dich geweint, mein Kind! Endlich, in Voraussetzung, Du seist noch längs dem Hansbach, sind wir wieder abwärts gegangen und haben unsere Flinten abgefeuert. Jetzt können unsere Stimmen zwar akustisch zusammen kommen, aber die Hände noch nicht sich berühren! Doch verzweifle nicht, Axel! Sich hören zu können, ist schon Etwas!«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Während dessen hatte ich überlegt. Eine gewisse, noch unbestimmte Hoffnung kam mir wieder. Vor Allem war mir ein Punkt von Wichtigkeit. Ich hielt meine Lippen an die Wand und sprach:

»Mein Oheim?«

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»Mein Kind? hörte ich nach einer kleinen Weile.«

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»Vor Allem, wie weit sind wir von einander?«

»Das kann man leicht erfahren.«

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»Haben Sie Ihren Chronometer?«

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»Ja.«

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»Nun, nehmen Sie ihn. Sprechen Sie meinen Namen und verzeichnen genau die Secunde. Ich will ihn wiederholen, sobald er zu mir gelangen wird, und Sie verzeichnen ebenso genau den Augenblick, wo meine Antwort eintreffen wird.«

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»Gut, und die Hälfte der Zeit zwischen meiner Frage und Deiner Antwort wird angeben, wieviel meine Stimme braucht, um bis zu Dir zu gelangen.«

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»Richtig, Oheim.«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Bist Du bereit?«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Ja.«

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»Nun, gieb Acht, ich spreche Deinen Namen.«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Ich hielt mein Ohr an die Wand, und sobald das Wort »Axel« bei mir anlangte, antwortete ich unverzüglich »Axel«, dann wartete ich.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Vierzig Secunden«, sagte darauf mein Oheim. Vierzig Secunden verflossen zwischen den beiden Worten; der Ton brauchte also zwanzig Secunden, um zu mir zu gelangen. Nun, da tausendundzwanzig Fuß auf die Secunde kommen, so macht das zwanzigtausendvierhundert Fuß, d.i. eine und fünf achtel Meilen.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Anderthalb Meilen!« murmelte ich.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Nun, das kann man schon fertig bringen, Axel!«

»Aber, muß ich auf- oder abwärts?«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Abwärts, und zwar deshalb: Wir sind an einen weiten Raum gekommen, wo eine Menge Galerien münden. Ohne Zweifel wird die, welche Du eingeschlagen hast, Dich dahin führen, denn es scheint, alle diese Spalten, diese Risse im Erdkörper, bilden einen Strahl um die ungeheure Höhle, wo wir uns befinden. Mache Dich auf und setze Deinen Weg fort. Gehe, schleppe Dich fort; wenn’s Noth thut, rutsche über steile Abhänge, und Du wirst unsere Arme finden, Dich am Ende des Weges aufzunehmen. Auf, mein Kind, auf den Weg!«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Diese Worte belebten mich wieder.

»Adieu, Oheim, rief ich; ich gehe. Sobald ich diese Stelle verlassen habe, können wir nicht mehr durch Worte verkehren. Adieu also!«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

»Auf Wiedersehen, Axel! auf Wiedersehen!«

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Dies waren die letzten Worte, welche ich hörte. Diese merkwürdige Unterredung, welche mitten durch die Masse der Erde in einer Entfernung von mehr als einer Meile geführt wurde, schloß mit diesen Worten voll Hoffnung. Ich dankte Gott im Gebet, denn er hatte mich in dem unermeßlichen Dunkel an den Punkt geleitet, der vielleicht der einzige war, wo die Stimme meiner Gefährten zu mir gelangen konnte.

Diese sehr erstaunliche Wirkung der Akustik ist durch die Gesetze der Physik leicht zu erklären; sie rührte von der Form des Ganges und der Leitungsfähigkeit des Gesteins her. Es giebt manche Beispiele solcher Fortpflanzung der Töne, welche in dem Zwischenraum nicht vernehmbar sind. Ich erinnere mich, daß diese Naturerscheinung an manchen Stellen beobachtet worden ist, unter anderen in der inneren Galerie der Paulskirche zu London, und besonders mitten in den merkwürdigen Höhlen Siciliens, den Latomien bei Syrakus, von welchen die merkwürdigste unter dem Namen »Ohr des Dionysius« bekannt ist.

Diese Erinnerungen kamen mir in den Kopf, und es war mir klar, daß, weil meines Oheims Stimme bis zu mir drang, kein Hinderniß zwischen uns lag. Indem ich dem Weg des Tones mich anschloß, so mußte ich logisch ebenso wohl, wie er, ankommen, wenn mir die Kräfte nicht ausgingen.

Ich richtete mich also auf und schleppte mich fort. Der Abhang war ziemlich jäh; ich ließ mich hinabgleiten.

Bald nahm die Schnelligkeit, womit ich hinabrutschte, in erschreckendem Verhältniß zu, und drohte ein wirkliches Fallen zu werden. Es fehlte mir die Kraft mich zurückzuhalten.

Plötzlich schwand mir der Boden unter den Füßen. Ich fühlte, daß ich über die Unebenheiten einer senkrechten Galerie abprallend hinabrollte. Mein Kopf schlug wider einen spitzen Felsen und ich verlor das Bewußtsein.

Neunundzwanzigstes Capitel.


Neunundzwanzigstes Capitel.

Rettung.

Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem halbdunkeln Raum auf dicken Decken gelagert. Mein Oheim wachte und forschte auf meinem Angesicht nach einem Rest von Leben. Bei meinem ersten Aufathmen ergriff er meine Hand, bei meinem ersten Blick stieß er ein Freudengeschrei aus.

»Er lebt! er lebt! rief er.

– Ja, versetzte ich mit schwacher Stimme.

– Mein Kind, sagte mein Oheim, und drückte mich an seine Brust, Du bist also gerettet!«

Der Ton, womit er diese Worte sprach, rührte mich lebhaft, und mehr noch die Sorge, womit sie begleitet waren. Aber es bedurfte auch solcher Prüfungen, um bei dem Professor solche Ergießungen hervorzurufen.

In dem Augenblick kam Hans dazu. Er sah meine Hand in der meines Oheims; ich darf versichern, daß seine Augen eine lebhafte Befriedigung ausdrückten.

»God dag, sprach er.

– Guten Tag, Hans, guten Tag, murmelte ich. Und jetzt, lieber Oheim, laß mich wissen, wo wir uns eben befinden.

– Morgen, Axel, morgen; heute bist Du noch zu schwach; ich habe Deinen Kopf mit Bäuschchen umgeben, die man nicht aus der Ordnung bringen darf! schlaf‘ nur, lieber Junge, und morgen sollst Du alles hören.

– Aber wenigstens, fuhr ich fort, wie viel Uhr, welcher Tag ist’s?

– Elf Uhr Abends, und heute ist Sonntag, 9. August. Jetzt erlaube ich Dir nicht, vor dem 10. d.M. mich weiter zu fragen.«

Ich war wirklich sehr schwach, und meine Augen schlossen sich unwillkürlich.

Ich mußte mich eine Nacht ausruhen; ich ließ mich also mit dem Gedanken beruhigen, daß meine Trennung vier lange Tage gedauert hatte.

Am folgenden Morgen beim Erwachen blickte ich um mich her. Mein Lager, aus allen Reisedecken bereitet, befand sich in einer reizenden Grotte, die mit prächtigen Tropfsteinen verziert war, der Boden mit feinem Sand bestreut. Es war darin Halbdunkel. Keine Lampe oder Fackel brannte, und doch kam einige unerklärliche Helle von außen, durch eine enge Oeffnung der Grotte eindringend. Ich hörte auch ein unbestimmtes Murmeln gleich leisem Wellenschlag wider ein Ufer, und mitunter ein Windessausen.

Ich fragte mich, ob ich völlig wach sei, ob ich noch träume, ob nicht etwa mein Gehirn von dem Fall Schaden gelitten, so daß dies nur Einbildungen seien. Jedoch, weder meine Augen noch Ohren konnten in der Hinsicht sich täuschen.

»Es ist ein Strahl vom Tageslicht, dacht‘ ich, welches durch diese Felsspalte hinabdringt! Aber der Wellenschlag, und das Wehen des Windes! Irre ich mich, oder sind wir wieder zur Erdoberfläche gekommen? Hat mein Oheim sein Vorhaben aufgegeben, oder ist er damit glücklich zu Ende?«.

Ich stellte mir diese unlösbare Frage, als der Professor dazu kam.

»Guten Morgen, Axel! sagte er freudig. Ich wollte wetten, daß Dir’s gut geht!

– O ja, sagt‘ ich, und richtete mich auf.

– Das konnte nicht fehlen, denn Du hast ruhig geschlafen. Wir haben, Hans und ich, abwechselnd gewacht, und gesehen, daß Deine Genesung merklich fortschritt.

– Ich fühle mich wirklich wieder kräftig, und zum Beweis will ich dem Frühstück, das Sie mir freundlich zukommen lassen, Ehre machen!

– Du sollst zu essen haben, lieber Junge! Du bist frei vom Fieber. Hans hat Deine Wunden mit einer Salbe, die bei den Isländern ein Geheimniß ist, gerieben, und sie sind auffallend rasch vernarbt. Es ist doch ein wackerer Mensch, unser Jäger.«

Während er sprach, bereitete mir mein Oheim einige Nahrung, die ich, trotz seiner Mahnungen, gierig verschlang. Inzwischen überhäufte ich ihn mit Fragen, welche er mir zu beantworten beflissen war.

Nun hörte ich, daß ich durch göttliche Fügung gerade an das Ende einer fast senkrechten Galerie gefallen war. Da ich mitten in einem Strom von Steinen herab kam, von welchen der kleinste mich hätte zerquetschen können, so war daraus abzunehmen, daß ein Theil der Steinmasse mit mir gerutscht war. Auf diese erschreckliche Art gelangte ich bis in die Arme meines Oheims, in welche ich bewußtlos und mit Blut bedeckt fiel.

»Wahrhaftig, sagte er, es ist zum Staunen, daß Du nicht hundertmal um’s Leben gekommen bist. Aber, um’s Himmels willen! jetzt wollen wir uns nimmer trennen, denn wir würden Gefahr laufen, uns nie wieder zu sehen.«

»Wir wollen uns nimmer trennen!« Also war die Reise noch nicht zu Ende? Ich machte große Augen vor Staunen. Mein Oheim fragte sofort:

»Was hast Du denn, Axel?

– Eine Frage an Sie. Sie sagen, ich sei gesund und wohl?

– Ohne Zweifel.

– Alle meine Glieder sind wohl behalten?

– Ganz gewiß.

– Und mein Kopf?

– Dein Kopf steht, einige Quetschungen abgerechnet, in völliger Ordnung zwischen Deinen Schultern.

– Ich bin in Sorge, mein Gehirn habe gelitten.

– Gelitten?

– Ja. Sind wir nicht wieder auf der Erdoberfläche?

– Nein, gewiß nicht!

– Dann muß ich ein Narr sein, denn ich bemerke Tageslicht, ich höre Windeswehen und Wellenschlag!

– Ah! Nichts weiter?

– Können Sie mir das erklären? …

– Ich erkläre Dir nichts, was nicht zu erklären; aber Du wirst sehen und begreifen, daß die Geologie noch nicht ihr letztes Wort gesprochen hat.

– So wollen wir ausgehen, rief ich, und richtete mich rasch auf.

– Nein, Axel, nein! Die freie Luft würde Dir schaden.

– Die freie Luft?

– Ja, der Wind ist ziemlich stark. Du darfst Dich ihm nicht so aussetzen.

– Aber ich versichere, daß ich mich zum Staunen wohl fühle.

– Ein wenig Geduld, lieber Junge. Ein Rückfall würde uns hemmen, und es ist keine Zeit zu verlieren, denn die Ueberfahrt kann lang dauern.

– Die Ueberfahrt?

– Ja, ruhe Dich heute noch aus, und wir können morgen zu Schiffe gehen.

– Zu Schiff?«

Dies Wort brachte mich außer mir.

Wie? Zu Schiffe gehen! Hatten wir denn einen Fluß, See, ein Meer zur Verfügung? Lag ein Fahrzeug in einem Hafen vor Anker?

Meine Neugierde war im höchsten Grad gespannt. Vergeblich suchte mein Oheim mich zurück zu halten. Als er sah, daß meine Ungeduld mir mehr schaden würde, als die Befriedigung meiner Wünsche, gab er nach.

Ich kleidete mich rasch an. Zur Vorsicht hüllte ich mich in eine der Decken und ging aus der Grotte heraus.

Drittes Capitel.


Drittes Capitel.

Das Pergament des Arne Saknussemm.

»Es ist offenbar Runisch, sagte der Professor mit Stirnrunzeln. Aber ich werde das Geheimniß, das dahinter steckt, entdecken, sonst …«

Und er machte eine heftige Bewegung mit der Hand.

»Setz‘ Dich dahin, fuhr er fort, indem er auf den Tisch hinwies, und schreib‘.«

Im Augenblick war ich bereit.

»Jetzt will ich Dir jeden Buchstaben unseres Alphabets dictiren, sowie er mit einem dieser Schriftzüge stimmt. Wir werden sehen, was dabei herauskommen wird. Aber nimm Dich wohl in Acht, daß Du nichts verfehlst!«

Er fing an, zu dictiren, und ich gab mir alle Mühe. Er benannte jeden Buchstaben einen nach dem andern, und so bildeten sich folgende unverständliche Worte:

m.rnlls  esreuel  seecJde
sgtssmf unteief niedrke
kt,samn atrateS Saodrrn
emtnaeI nuaect rrilSa
Atvaar .nxcrc ieaabs
ccdrmi eeutul frantu
dt,iac oseibo KediiI

Als dies fertig war, nahm mein Oheim hastig das Blatt, worauf ich geschrieben hatte.

»Was will das bedeuten?« wiederholte er mechanisch.

Auf Ehre, ich hätte es ihm nicht sagen können. Uebrigens fragte er mich nicht, und sprach weiter mit sich selbst:

»Das heißen wir eine Geheimschrift, sagte er, worin der Sinn hinter absichtlich durcheinander gemischten Buchstaben versteckt ist, welche in gehöriger Folge geordnet, eine verständliche Phrase bilden würden. Darin steckt vielleicht die Erklärung oder Andeutung einer großen Entdeckung!«

Ich meines Theils dachte, es stecke gar nichts dahinter, aber ich hütete mich wohl, meine Meinung auszusprechen.

Der Professor nahm darauf das Buch und das Pergament, und verglich sie beide mit einander.

»Diese beiden Schriften sind nicht von derselben Hand; das Geheimschriftstück ist späteren Ursprungs, als das Buch, wie ich das gleich vorne aus einem unwiderleglichen Beweis ersehe. In der That, der erste Buchstabe ist ein doppeltes M, das in Sturleson’s Buch sich nicht findet, denn es wurde erst im vierzehnten Jahrhundert dem isländischen Alphabet hinzugefügt. Also liegen wenigstens zwei Jahrhunderte zwischen dem Manuscript und dem Document.«

Das schien mir allerdings ziemlich folgerichtig.

»Das bringt mich auf den Gedanken, fuhr mein Oheim fort, diese geheimnißvolle Schrift sei von einem Besitzer des Buches verfaßt worden. Aber wer zum Henker war dieser Besitzer? Sollte er nicht seinen Namen irgendwo unter das Manuscript gesetzt haben?«

Mein Oheim setzte seine Brille höher, nahm eine starke Lupe, und musterte sorgfältig die ersten Seiten des Buches durch. Auf der zweiten Rückseite entdeckte er eine Art Flecken, der wie ein Tintenklex aussah; aber genauer besehen unterschied man einige halb verloschene Schriftzüge. Mein Oheim begriff, daß es auf diesen Punkt ankomme; er machte sich also auf’s Eifrigste darüber her, und erkannte endlich mit Hilfe seiner Lupe die folgenden Runenschriftzeichen, welche er ohne Anstoß lesen konnte:

»Arne Saknussemm! rief er triumphirend aus, aber das ist ein Name, und noch dazu ein isländischer Name, eines Gelehrten des sechzehnten Jahrhunderts, eines berühmten Alchymisten.«

Ich schaute meinen Oheim mit einigem Staunen an.

»Diese Alchymisten, fuhr er fort, Avicenna, Bacon, Lullus, Paracelsus waren die einzigen, die echten Gelehrten ihrer Epoche. Sie haben Entdeckungen gemacht, worüber wir erstaunt sein dürfen. Warum sollte nicht dieser Saknussemm unter dieser Geheimschrift eine auffallende Entdeckung verhüllt haben? So muß es sein. So ist’s wirklich.«

Bei dieser Hypothese erhitzte sich des Professors Phantasie.

»Ganz gewiß, erwiderte ich keck, aber was konnte dieser Gelehrte für ein Interesse dabei haben, eine merkwürdige Entdeckung geheim zu halten?

– Warum? Warum? Ja, weiß ich’s? Hat’s nicht Galiläi ebenso gemacht in Beziehung auf Saturn? Uebrigens, wir werden schon sehen: ich werde das Geheimniß dieses Documents herausbekommen, und ich werde weder essen noch schlafen, bis ich’s heraus habe.

– O! dachte ich.

– Du ebenfalls nicht, Axel, fuhr er fort.

– Teufel! dacht‘ ich, da ist’s gut, daß ich doppelte Mahlzeit gehalten habe.

– Und erstlich, sagte mein Oheim, gilt’s, die Sprache dieser Chiffre aufzufinden. Das kann nicht schwer sein.«

Bei diesen Worten hob ich lebhaft den Kopf. Mein Oheim fuhr fort, mit sich selbst zu reden:

»Es giebt nichts Leichteres. Dieses Document enthält hundertzweiunddreißig Buchstaben, wovon neunundsiebenzig Consonanten gegen dreiundfünfzig Vocale. Ungefähr dieses Verhältniß findet bei den südlichen Sprachen statt, während die Idiome des Nordens unendlich reicher an Consonanten sind. Es handelt sich also um eine Sprache des Südens.«

Diese Folgerungen waren richtig.

»Aber was ist’s für eine Sprache?

– Dieser Saknussemm, fuhr er fort, war ein unterrichteter Mann; wenn er also nicht in seiner Muttersprache schrieb, mußte er der unter den gebildeten Geistern des sechzehnten Jahrhunderts geläufigen Sprache den Vorzug geben, der lateinischen nämlich. Irre ich darin, so kann ich mit dem Spanischen, dem Französischen, Italienischen, Griechischen oder Hebräischen einen Versuch machen. Aber die Gelehrten des sechzehnten Jahrhunderts schrieben im Allgemeinen lateinisch. Ich darf also als selbstverständlich annehmen, es sei Latein.«

Ich sprang von meinem Stuhl auf. Meine Erinnerungen aus der Lateinschule sträubten sich gegen die Behauptung, diese Gruppe seltsamer Worte könne der sanften Sprache Virgil’s angehören.

»Ja! Latein, fuhr mein Oheim fort, aber verworrenes Latein.

– Das mag sein! dachte ich. Wenn Du es entwirrst, lieber Oheim, bist Du ein feiner Kopf.

– Untersuchen wir gehörig, sagte er, und nahm das von mir beschriebene Blatt wieder zur Hand. Hier ist eine Gruppe von hundertzweiunddreißig Buchstaben, die wir in vollständiger Verworrenheit finden. Da sind Worte, worin nur Consonanten vorkommen, wie das erste ‚rnlls‘, andere dagegen, worin die Vocale überwiegen, z.B. das fünfte: ‚uneeief‘, oder das vorletzte: ‚oseibo‘. Nun ist offenbar diese Gruppirung nicht so zusammengesetzt worden; sie wurde mathematisch gegeben durch ein uns unbekanntes Verhältniß, nach welchem die Aneinanderreihung dieser Buchstaben bestimmt wurde. Ich halte für gewiß, daß die ursprüngliche Phrase regelmäßig geschrieben, sodann nach einem Grundgedanken, den man auffinden muß, umgebildet wurde. Wer den Schlüssel dieser ‚Chiffre‘ besäße, würde sie geläufig lesen. Aber was ist das für ein Schlüssel? Axel, hast Du ihn?«

Auf diese Frage wußte ich nicht zu antworten, und aus gutem Grunde. Meine Blicke waren auf ein reizendes Porträt, das an der Wand hing, geheftet, das Porträt Gretchen’s. Die Mündel meines Oheims befand sich damals zu Altona bei einer Verwandten, und ich war über ihre Abwesenheit sehr betrübt, denn, jetzt kann ich’s gestehen, die hübsche Vierländerin und der Neffe des Professors liebten sich mit echt deutscher Herzlichkeit und Ausdauer. Wir hatten uns ohne Wissen unseres Oheims verlobt, der allzuviel Geolog war, um für solche Gefühle einen Begriff zu haben. Gretchen war eine reizende Blondine mit blauen Augen, von etwas gesetztem Charakter und ernstem Sinn; aber sie liebte mich darum nicht minder. Ich meinerseits betete sie an, sofern dieser Begriff im Altdeutschen existirt! Das Bild meiner kleinen Vierländerin versetzte mich also auf einmal aus der wirklichen Welt in die Welt der Träume, der Erinnerungen.

Ich erblickte in diesem Bild die treue Genossin meiner Arbeiten und Freuden. Sie half mir tagtäglich die köstlichen Steine meines Oheims ordnen, dieselben mit Etiketten versehen. Fräulein Gretchen war in der Mineralogie sehr stark! Sie hätte darin mehr als einen Gelehrten zurecht weisen können. Sie befaßte sich gerne damit, schwierige Fragen der Wissenschaft zu ergründen. Welche süße Stunden hatten wir mit gemeinsamen Studien hingebracht! Und wie oft beneidete ich die fühllosen Steine um das Glück, von ihren reizenden Händen betastet zu werden!

Hernach, wann die Erholungszeit kam, wandelten wir mit einander durch die belaubte Alsterallee, und besuchten zusammen die alte betheerte Mühle, die sich am Ende des See’s so gut ausnimmt; unterwegs plauderten wir Hand in Hand. Ich erzählte ihr Dinge, worüber sie herzlich lachte. So kamen wir bis zum Elbufer, und nachdem wir den Schwänen, die zwischen den großen weißen Seerosen schwimmen, gute Nacht gesagt, begaben wir uns mit dem Dampfboot wieder zum Quai.

Als ich in meinem Träumen hier ankam, ward ich von meinem Oheim durch einen Faustschlag auf den Tisch gewaltsam in die Wirklichkeit zurückgerufen.

»Sehen wir, sagte er, die erste Idee, die sich dem Geist darbietet, um die Buchstaben einer Phrase aus ihrer Ordnung zu bringen, besteht, dünkt mir, darin, daß man die Worte, anstatt horizontal, vertical schreibt. Wir müssen anschauen, was dabei herauskommt. Axel, schreib‘ irgend einen Satz auf diesen Zettel, aber anstatt die Buchstaben neben einander zu stellen, setze sie in verticalen Reihen einen nach dem andern, und zwar in Gruppen von fünf bis sechs.«

Ich begriff, wie es gemeint war, und schrieb sogleich von oben nach unten.

»Gut, sagte der Professor, ohne gelesen zu haben. Jetzt schreibe diese Worte in eine horizontale Zeile.

Ich gehorchte und bekam folgende Phrase:

Iermtt chdzeech lilise ichinGn ehchgr! be,ue

Ganz recht, sagte mein Oheim, und riß mir den Zettel aus der Hand, das sieht schon aus wie das alte Document: die Vocale stehen so wie die Consonanten in der nämlichen Unordnung gruppirt; da sind selbst Anfangsbuchstaben sowie Komma in der Mitte der Worte, ganz wie in dem Pergament des Saknussemm!«

Ich konnte nicht umhin, diese Bemerkungen für recht sinnreich zu halten.

»Nun, fuhr mein Oheim fort, um die Phrase, welche Du geschrieben hast, und deren Inhalt ich nicht kenne, zu lesen, brauch‘ ich nur zuerst den ersten Buchstaben jedes Wortes zusammen zu reihen, dann je den zweiten, hernach den dritten u.s.w.«

Und mein Oheim las, zu seinem und meinem größten Erstaunen:

Ich liebe dich herzlich, mein gutes Gretchen!

»Oho!« sagte der Professor.

Ja, unversehens hatte ich als verliebter Tölpel diese verrätherische Zeile geschrieben!

»So! Du liebst Gretchen? fuhr mein Oheim in echtem Vormünderton fort.

– Ja … Nein … stotterte ich.

– Du liebst also Gretchen! wiederholte er maschinenmäßig. Nun, wenden wir mein Verfahren auf das fragliche Document an.«

Mein Oheim war schon wieder in das Nachsinnen, welches ihn ganz in Anspruch nahm, versunken, daß er bereits meine unvorsichtigen Worte vergaß. Ich sage unvorsichtigen, denn der Kopf des Gelehrten konnte die Herzensangelegenheiten nicht begreifen. Aber zum Glück hatte die große Angelegenheit des Documents das Uebergewicht.

Im Begriff, seinen Hauptversuch zu machen, sprühten des Professors Augen Blitze durch seine Brille hindurch. Mit zitternden Fingern nahm er das alte Pergament wieder zur Hand. Er war von ernster Bewegung ergriffen. Endlich hustete er tüchtig, und dictirte mir mit würdigem Ton, indem er der Reihe nach zuerst den ersten Buchstaben, dann den zweiten jedes Wortes zusammen nahm, die folgenden Gruppen:

mmessunkaSenrA.icefdoK.segnittamurtn
ecertserrette,rotaivxadua,ednecsedsadne
lacartniiiluJsiratracSarbmutabiledmek

Als ich sie fertig hatte, war ich, offen gestanden, in Gemüthsbewegung; in diesen Buchstaben hatte ich gar keinen Sinn zu erkennen vermocht; ich war also darauf gespannt, des Professors Lippen würden hochtrabend eine Phrase prachtvollen Lateins hören lassen.

Aber wer hätte das gedacht! ein heftiger Faustschlag erschütterte den Tisch, daß die Tinte emporspritzte, die Feder meinen Händen entfiel.

»Das ist’s nicht! schrie mein Oheim, das hat keinen Sinn!« Darauf stürzte er rasch wie eine Kugel durch das Cabinet, wie eine Lawine die Treppe hinab, auf die Königsstraße und entfloh aus Leibeskräften.

Einundzwanzigstes Capitel.


Einundzwanzigstes Capitel.

Wassermangel.

Am folgenden Tage brachen wir in aller Frühe auf. Eile war nöthig. Wir waren fünf Tagereisen von dem Kreuzweg entfernt.

Ueber die Leiden unseres Rückwegs will ich kurz sein. Mein Oheim ertrug sie mit dem Zorne eines Mannes, der einer Uebermacht weichen muß; Hans mit der Ergebung seiner friedlichen Natur; ich muß ich gestehen, mit Klagen und in Verzweiflung: gegen solches Mißgeschick konnte ich nicht den Muth finden.

Wie bereits erwähnt, ging uns das Wasser bereits am Ende des ersten Tages gänzlich aus. Wir waren zum Trunk auf den Wachholderbranntwein angewiesen, aber der brannte höllisch die Kehle, und ich konnte ihn nicht einmal ansehen. Die Temperatur war mir zum Ersticken, meine Kräfte waren gelähmt, ich war mitunter nahe daran regungslos hinzufallen. Man machte dann Halt; mein Oheim und der Isländer stärkten mich wieder, so gut sie vermochten. Aber ich bemerkte bereits, daß der Erstere gegen die äußerste Ermüdung und die Qualen des Durstes eine peinliche Wirkung übte.

Endlich, Dienstag, 8. Juli, gelangten wir, auf den Knieen, auf den Händen uns fortschleppend, halbtodt an dem Vereinigungspunkt der beiden Galerien an. Hier blieb ich wie eine träge Masse auf dem Lavaboden ausgestreckt liegen. Es war zehn Uhr vormittags.

Hans und mein Oheim versuchten mir einige Brocken Zwieback beizubringen. Lange Seufzer entfuhren meinen aufgeschwollenen Lippen. Ich fiel in tiefen Schlummer.

Nach einer Weile kam mein Oheim heran und nahm mich in seine Arme.

»Armer Junge!« murmelte er mit dem Ton wahren Mitleidens.

Diese Worte rührten mich, da ich bei dem harten Professor Zärtlichkeiten nicht gewöhnt war. Ich ergriff seine zitternden Hände mit den meinigen. Er ließ es geschehen und blickte mich an. Seine Augen waren feucht.

Darauf nahm er seine Flasche, die ihm an der Seite hing. Zu meinem Erstaunen hielt er sie an meine Lippen:

»Trink«, sprach er.

Konnte ich meinen Ohren trauen? War mein Oheim nicht bei Sinnen? Ich sah ihn starr an. Ich mocht‘ es nicht begreifen.

»Trink«, wiederholte er.

Und er nahm seine Flasche und leerte sie ganz aus in meinen Mund.

O! unendliche Erquickung! Ein Schluck Wasser benetzte meinen glühenden Mund; ein einziger, der aber genügte, das entfliehende Leben mir wieder zu geben.

Ich dankte meinem Oheim mit gefalteten Händen.

»Ja, sagte er, der letzte Tropfen! der letzte! verstehst Du wohl? Der letzte! Ich hatte ihn sorgfältig in meiner Flasche aufbewahrt. Zwanzigmal, hundertmal mußte ich meinem erschrecklichen Verlangen widerstehen! Aber mein Axel, ich hob es für Dich auf.

– Lieber Oheim! stammelte ich, und Thränen quollen aus meinen Augen.

– Ja, armer Junge, ich dachte mir, bei Deiner Ankunft an diesem Kreuzweg würdest Du halb todt hinsinken, und habe meinen letzten Tropfen aufgehoben, Dich wieder zu beleben.

– Dank! Dank!« rief ich aus.

So wenig auch mein Durst gestillt war, einige Kraft hatte ich doch wieder gefunden. Meine bereits zusammen geschrumpften Kehlmuskeln erweiterten sich wieder, die Entzündung meiner Lippen war beschwichtigt. Ich vermochte zu reden.

»Sehen wir, sagte ich, jetzt haben wir keine andere Wahl; wir haben kein Wasser, müssen also denselben Weg zurück.«

Während ich sprach, mied mein Oheim meinen Blick; er senkte den Kopf, seine Augen wichen den meinigen aus.

»Wir müssen rückwärts, rief ich aus, und wieder den Weg nach dem Snäfields einschlagen. Wenn uns Gott nur die Kraft verleiht, wieder bis zur Höhe des Kraters zu gelangen!

– Zurückkehren! rief mein Oheim, als antworte er sich selbst, und nicht mir.

– Ja, zurück, und ohne einen Augenblick zu verlieren.«

Es entstand eine ziemlich lange Pause.

»Also, Axel, fuhr der Professor mit seltsamem Ton fort, diese Tropfen Wasser haben Dir Muth und Thatkraft nicht wieder belebt?

– Den Muth!

– Ich sehe Dich so muthlos, wie zuvor, und auch Worte der Verzweiflung!«

Was für ein Mann, mit dem ich zu thun hatte, und was für Projecte hegte sein verwegener Geist immer noch!

»Wie? Sie wollen nicht? …

– Verzichten auf die Unternehmung, im Augenblick, wo Alles anzeigt, daß sie gelingen kann! Niemals!

– So müssen wir uns entschließen, das Leben hinzugeben?

– Nein, Axel, nein! Geh‘ nur. Deinen Tod will ich nicht. Hans mag Dich begleiten. Lasse mich allein!

– Sie verlassen!

– Lasse mich, sag‘ ich Dir! Ich hab‘ die Reise unternommen, und werde sie bis zu Ende führen, oder ich kehre nicht zurück. Geh‘ nur! Axel, geh‘ nur!«

Mein Oheim sprach mit größter Aufregung. Seine Stimme, die eine Weile weich geworden, ward wieder hart, drohend. Er rang mit düsterer Energie gegen das Unmögliche! Ich wollte ihn nicht in der Tiefe dieses Abgrunds verlassen, und dagegen drängte mich der Selbsterhaltungstrieb, ihn zu fliehen.

Hans begriff, was zwischen uns vorging, aber er zeigte doch wenig Antheil an der Frage, wobei sein eigenes Dasein im Spiel war; er war bereit, nach dem Winke seines Herrn weiter zu gehen oder zu bleiben.

Wir beide hätten wohl den hartnäckigen Professor zur Einsicht bringen, zur Rückkehr nöthigen können. Ich trat zu ihm, legte meine Hand in die seinige; er rührte sich nicht. Ich zeigte ihm den Weg nach dem Krater; er blieb unbeweglich. In meinem Angesicht waren alle meine Leiden zu lesen. Der Isländer schüttelte sanft den Kopf und wies ruhig auf meinen Oheim und sprach »Master.«

– »Der Herr, rief ich aus! Unsinnig! Nein, er ist nicht Deines Lebens Herr! wir müssen fliehen! ihn mit fortreißen! Hörst Du? verstehst Du mich?«

Ich faßte Hans beim Arm, rang mit ihm. Mein Oheim legte sich in’s Mittel.

»Ruhig, Axel, sprach er. Bei diesem unerschütterlichen Diener wirst Du nichts ausrichten. So höre, was ich Dir vorzulegen habe.«

Ich kreuzte die Arme und sah meinem Oheim in’s Angesicht.

»Der Mangel an Wasser ist das einzige Hinderniß der Ausführung meiner Projecte. In dieser östlichen Galerie, die aus Lava, Schiefer, Kohlen besteht, haben wir nicht einen Tropfen gefunden. Möglich aber ist, daß wir in dem westlichen Tunnel glücklicher sind.«

Ich schüttelte ungläubig den Kopf.

»Höre mich bis zu Ende an, fuhr der Professor mit gehobener Stimme fort. Während Du regungslos da lagst, hab‘ ich diesen Gang untersucht. Er führt direct in’s Innere, und in wenig Stunden mitten in den Kern des Granit. Da müssen wir reichlich Quellen finden. Die Felsart bringt es mit sich, und der Instinct geht einig mit der Logik zu Gunsten meiner Ueberzeugung. Dies also ist mein Vorschlag. Columbus hat von seiner Schiffsmannschaft drei Tage begehrt, um die neue Welt zu entdecken. Ich begehre von Dir nur noch einen Tag. Stoßen wir nicht binnen dieser Zeit auf das mangelnde Wasser, so schwöre ich Dir, daß wir nach der Oberfläche zurückkehren werden.«

Trotz meiner Gereiztheit rührten mich diese Worte, und die Gewalt, welche mein Oheim sich anthat, eine solche Sprache zu führen.

»Nun denn! rief ich, ich füge mich Ihrem Wunsch, und Gott möge Ihre übermenschliche Energie lohnen! Es sind nur wenige Stunden. Also vorwärts!«

Zweiundzwanzigstes Capitel.


Zweiundzwanzigstes Capitel.

Noth.

Wir gingen also durch die neue Galerie wieder abwärts, Hans, wie gewöhnlich, voran. Wir waren noch keine hundert Schritte weit, als der Professor, die Lampe an der Wand, ausrief:

»Hier ist Urgebirg! Wir sind auf dem rechten Weg! Vorwärts! Vorwärts!«

Als in der ersten Epoche der Welt die Erde allmälig erkaltete, veranlaßte die Verringerung des Umfangs in ihrer Rinde Verschiebungen, Risse, Klüfte und Spalten. Der eben betretene Gang war ein Spalt dieser Art, durch welchen ehemals der ausgeworfene Granit seinen Weg fand. Seine unzähligen Wendungen bildeten ein verworrenes Labyrinth im ursprünglichen Boden.

Im Verhältniß, wie wir abwärts kamen, zeigten sich klarer die aufeinanderfolgenden Schichten, woraus das Urgestein besteht. Die Geologie sieht dieses als die Unterlage der mineralischen Rinde an, und hat erkannt, daß es aus drei verschiedenen Schichten besteht, dem Schiefer, Gneis und Glimmerschiefer, welche auf dem unerschütterlich festen Granit lagern.

Nun befanden sich nie Mineralogen in einer so merkwürdig günstigen Lage, um die Natur an Ort und Stelle zu studiren. Was die Sonde, die rohe Maschine ohne Intelligenz über das innere Gefüge nicht zu Tage fördern konnte, waren wir im Begriff mit eigenen Augen zu sehen, mit Händen zu greifen.

Quer durch die Lage des Schiefergesteins in schönen grünen Schattirungen zogen Erzgänge, Kupfer, Braunstein und etliche Spuren von Platina und Gold. Ich dachte mir, wie die Habgier der Menschen von diesen so tief vergrabenen Schätzen nie einen Genuß haben wird. Sie sind bei dem Durcheinanderrütteln jener Urzeit so tief versenkt worden, daß sie von Schaufel und Hacke nicht zu erreichen sind.

An die Schiefer reiheten sich die Gneis, von geschichtetem Bau, merkwürdig durch regelmäßig parallele Blätter, sodann die Glimmerschiefer in großen Stücken, welche durch das Funkeln des weißen Glimmers in die Augen sprangen.

Das Licht der Apparate, von den kleinen Facetten der Felsenmasse zurückgeworfen, kreuzte seine Feuerstrahlen unter allen Winkeln, so daß man denken konnte, man reise durch einen hohlen Diamanten, worin tausendfach blendend die Strahlen sich brachen.

Gegen sechs Uhr fing dieser Glanz an merklich schwächer zu werden, fast zu verschwinden; die Wände nahmen eine krystallisirte, aber düstere Färbung; der Glimmer mischte sich inniger mit dem Feldspath und Quarz, um das allerhärteste Gestein zu bilden, welches, ohne zerdrückt zu werden, die vier Stockwerke des Erdreichs trägt. Wir befanden uns mitten im Granit.

Es war Abends acht Uhr. Immer noch kein Wasser. Ich litt fürchterlich. Mein Oheim schritt immer voran, wollte nicht stehen bleiben. Er lauschte mit dem Ohre das Murmeln einer Quelle zu erhaschen. Vergebens!

Inzwischen versagten mir meine Beine den Dienst. Ich widerstand meinen Qualen, um nicht meinen Oheim zum Stillestehen zu nöthigen, Es wäre für ihn ein Verzweiflungsschlag gewesen, denn der Tag lief zu Ende, der letzte, welcher ihm gehörte.

Endlich gingen mir die Kräfte aus. Ich fiel nieder mit einem Schrei: »Hilfe! ich sterbe!«

Mein Oheim kam augenblicklich herbei. Er sah mich an mit gekreuzten Armen; dann murmelte er dumpf: »Es ist Alles aus!«

Eine fürchterlich zornige Bewegung war das letzte, was ich sah, als ich die Augen schloß.

Beim Wiederaufschlagen derselben gewahrte ich meine Gefährten unbeweglich in ihre Decken gewickelt. Schliefen sie? Ich meines Theils konnte nicht einen Augenblick in Schlaf kommen. Ich litt allzu sehr, zumal bei dem Gedanken, daß nicht zu helfen sein solle. Meines Oheims letzte Worte, »Alles ist aus!« hallten in meinem Ohre wieder, denn bei dem hohen Grade meiner Schwäche war kein Gedanke, wieder auf die Erdoberfläche zu kommen.

Wir befanden uns anderthalb Meilen in der Tiefe!

Es war mir, als laste diese ganze Masse auf meinen Schultern. Ich fühlte mich wie zerschmettert und strengte mich vergebens an, mich auf meinem Granitlager umzudrehen.

So verflossen einige Stunden. Tiefe Stille herrschte um uns, Grabesstille. Kein Laut drang durch diese zum Mindesten fünf Meilen dicken Mauern.

Inzwischen glaubte ich mitten in meinem Schlummer ein Geräusch zu vernehmen. Es war dunkel im Tunnel. Als ich recht achtsam blickte, schien mir’s, als sähe ich den Isländer mit der Lampe in der Hand verschwinden.

Weshalb entfernt er sich? Will Hans uns verlassen? Mein Oheim schlief. Ich wollte schreien; die Stimme versagte mir zwischen den ausgetrockneten Lippen. Es war völlig dunkel geworden, und das letzte Geräusch war verstummt.

»Hans verläßt uns! schrie ich. Hans! Hans!«

So rief ich, jedoch nur im stillen Innern. Inzwischen, nach der ersten Anwandlung des Schreckens, schämte ich mich wieder meines Verdachts gegen den braven Menschen. Unmöglich wollte er fliehen. Er ging die Galerie abwärts, nicht nach oben, wohin üble Absicht ihn gezogen hätte. Dabei beruhigte ich mich ein wenig, und ich kam auf andere Gedanken. Hans, dieser friedliche Mann, mußte einen wichtigen Beweggrund haben, der ihn vom Lager trieb. Ging er, um eine Quelle zu finden? Hatte er in der Stille der Nacht ein Murmeln gehört, das nicht bis zu meinem Ohr gedrungen war?

Dreiundzwanzigstes Capitel.


Dreiundzwanzigstes Capitel.

Der Hansbach.

Eine Stunde lang überdachte ich in meinem wahnsinnigen Gehirn alle Gründe, welche den phlegmatischen Jäger zum Handeln treiben konnten. Die absurdesten Ideen verwickelten sich in meinem Kopf. Ich glaubte, ich sei im Begriff, ein Narr zu werden!

Doch endlich vernahm man Fußtritte aus der Tiefe des Ganges. Hans kam zurück. Das Licht fing an unstät an den Wänden zu schimmern, dann kam es an der Mündung des Tunnels zum Vorschein. Hans erschien, trat nahe zu meinem Oheim, legte ihm die Hand auf die Schulter und weckte ihn sanft. Er richtete sich auf und rief:

»Was giebt’s?

– Vatten«, erwiderte der Jäger.

Man muß annehmen, daß jeder Mensch, wenn ihn heftige Schmerzen anregen, alle Sprachen versteht. Ich verstand nicht ein einziges Wörtlein dänisch, und doch begriff ich instinctmäßig das Wort unsers Führers.

»Wasser! Wasser! rief ich aus, klaschte mit den Händen, geberdete mich wie wahnsinnig.

– Wasser! wiederholte mein Oheim. ‚Hwar?‘ fragte er den Isländer.

– Nedat«, antwortete Hans.

Wo? Unten! Ich verstand Alles. Ich ergriff des Jägers Hand und drückte sie; er sah mich ruhig an.

Ohne uns mit Vorbereitungen aufzuhalten, waren wir flugs auf dem Weg, in einem Gang von zwei Fuß Fall per Klafter.

Nach einer Stunde hatten wir bei tausend Klaftern zurückgelegt und waren zweitausend Fuß abwärts gekommen.

In diesem Augenblick vernahm ich deutlich einen ungewohnten Ton seitwärts in der Granitwand, eine Art dumpfes Brausen gleich fernem Donner. Während der ersten halben Stunde unsers Wegs, da wir noch nicht auf die angekündigte Quelle stießen, überkam mich wieder die Angst; nun aber belehrte mich mein Oheim über den Ursprung des Geräusches, welches man vernahm.

»Hans hat sich nicht geirrt, sagte er; was Du da hörst, ist das Rauschen eines Baches.

– Ein Bach? rief ich aus.

– Ohne allen Zweifel. Ein unterirdischer Fluß strömt in unserer Nähe!«

Wir beschleunigten unsere Schritte, von Hoffnung gespornt. Ich fühlte keine Müdigkeit mehr. Bereits das Rauschen eines murmelnden Wassers erquickte mich. Es wurde merklich stärker. Nachdem wir den Bach lange Zeit über unserm Kopf gehört, floß er jetzt in der linken Seitenwand, brausend und sprudelnd. Ich hielt öfters meine Hand wider den Felsen, in Hoffnung, Spuren von durchsickernder Feuchtigkeit zu finden. Aber vergebens.

Eine halbe Stunde verfloß noch. Eine halbe Lieue wurde noch zurückgelegt.

Es zeigte sich nun klar, daß der Jäger, als er abwesend war, sein Suchen nicht weiter hatte fortsetzen können. Geleitet von einem den Bergbewohnern eigenthümlichen Instinct, erkannte er im Gefühl diesen Bach durch den Felsen hindurch, gesehen aber hatte er das köstliche Naß sicherlich nicht, seinen Durst nicht damit gestillt.

Bald ergab sich auch, daß wir, wenn wir weiter fort gingen, uns von dem fließenden Wasser, dessen Rauschen schwächer zu werden anfing, wieder entfernen würden.

Wir gingen also wieder zurück. Hans blieb genau an der Stelle stehen wo der Bach am nächsten zu sein schien.

Ich setzte mich neben der Wand nieder, während das Wasser in einer Entfernung von zwei Fuß sehr reißend strömte. Aber eine Granitwand trennte uns noch.

Ohne nachzudenken, ohne mich zu fragen, ob es nicht irgend ein Mittel gebe, dieses Wasser sich zu verschaffen, gab ich mich im ersten Augenblick einer Verzweiflung hin.

Hans sah mich an, und ich glaubte ein Lächeln auf seinen Lippen zu bemerken.

Er stand auf und nahm seine Lampe. Ich folgte ihm nach. Er ging nach der Wand hin; ich sah ihm zu, was er machte. Er hielt sein Ohr ganz nahe an den bloßen Stein, fuhr mit demselben daran vorbei, sorgfältig lauschend. Ich begriff, daß er genau die Stelle suchte, wo man den Bach am lautesten rauschen hörte. Diese Stelle fand er in der linken Wand, drei Fuß über dem Boden.

Ich war in großer Bewegung! Ich wagte nicht zu rathen, was der Jäger thun würde. Aber ich konnte nicht umhin, ihn zu begreifen, zu beglückwünschen, mit Liebesbezeigungen zu überschütten, als ich ihn zur Spitzhaue greifen sah, um sich an den Felsen selbst zu machen.

»Retten Sie! rief ich aus.

– Ja, wiederholte mein Oheim wie wahnsinnig, Hans hat Recht! Der wackere Jäger! Wir wären nicht darauf gekommen!«

Ich glaub’s wohl! So einfach ein solches Mittel auch war, es wäre uns nicht in den Sinn gekommen. Es war doch höchst gefährlich, mit der Hacke in dies Gerüste des Erdballs einzuhauen? Es konnte ein Einsturz erfolgen, der uns zermalmte! Der Bach konnte, nachdem er durchgebrochen, uns verschlingen. Diese Gefahren hatten nichts Grillenhaftes; aber damals konnte die Besorgniß vor Einsturz oder Ueberschwemmung uns nicht abhalten, denn unser Durst war stark.

Hans machte sich an die Arbeit, die weder mein Oheim, noch ich fertig gebracht hätte. Die Ungeduld hätte uns die Hand geführt, so daß der Felsen unter wiederholten Schlägen zertrümmert worden wäre. Der Führer dagegen, ruhig und bedächtig, hieb den Felsen mit öfter wiederholten kleinen Schlägen an, und grub so ein sechs Zoll breites Loch. Es dauerte nicht lange, so war die Haue schon zwei Fuß in die Granitwand gedrungen. Die Arbeit währte über eine Stunde. Ich zappelte vor Ungeduld! Mein Oheim wollte es mit Macht angreifen; ich konnte ihn kaum zurückhalten, und schon griff er zur Haue, als man plötzlich ein Zischen vernahm. Ein Wasserstrahl brach aus der Wand vor, und schlug wider die Wand der entgegengesetzten Seite.

Hans, den der Stoß bald umgeworfen hätte, konnte einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken. Ich begriff es, als ich meine Hände in den Strahl tauchte, und schrie ebenfalls laut auf. Das Wasser war siedend heiß.

»Das Wasser ist hundert Grad heiß! rief ich.

– Nun, es wird schon kalt werden«, erwiderte mein Oheim.

Der Gang füllte sich mit Dämpfen, und es entstand ein Bach, der sich in Krümmungen verlief; wir konnten bald unsern Trunk daraus schöpfen.

Ach! welche Lust! welch‘ unvergleichliche Erquickung! Woher kam das Wasser? daran lag wenig. Es war Wasser, das, wenn auch warm, das schon entschwindende Leben doch dem Herzen wieder zuführte. Ich trank ohne einzuhalten, ohne nur zu kosten.

Erst nachdem ich mich eine Minute erquickt, rief ich aus: »Aber das Wasser ist eisenhaltig!

– Das ist für den Magen vortrefflich, versetzte mein Oheim; und es hat viel Mineralgehalt! Es könnte eine Reise nach Spaa oder Teplitz sparen!

– Und wie gut schmeckt’s!

– Ich glaub’s wohl, ein Wasser, das man zwei Meilen unter der Erde schöpft. Es hat einen Tintengeschmack, doch nichts Unangenehmes. Hans hat uns da eine famose Erquickungsquelle verschafft. Darum schlag ich auch vor, dem heilsamen Bach seinen Namen zu geben.

– Gut!« rief ich aus.

Und der Name »Hansbach« wurde gleich angenommen.

Hans ward dadurch nicht stolzer. Nachdem er sich ein wenig erquickt, setzte er sich mit gewohnter Ruhe in einen Winkel.

»Jetzt, sagte ich, sollte man dies Wasser nicht sich verlaufen lassen?

– Zu welchem Zweck? erwiderte mein Oheim, ich vermuthe, die Quelle ist unerschöpflich.

– Gleichviel! Füllen wir unseren Schlauch und die Flaschen, und versuchen dann die Oeffnung zu stopfen.«

Man folgte meinem Rath. Hans versuchte mit Granitsplittern und Werch die gehauene Oeffnung zu stopfen. Das war nicht leicht, weil man sich die Hände verbrannte, ohne den Zweck zu erreichen. Der Druck war zu stark und die Versuche mißglückten.

»Offenbar liegt die Quelle dieses Stromes sehr hoch.

– Ohne Zweifel, versetzte mein Oheim. Wenn dieser Wasserstrahl aus einer Höhe von zweiunddreißigtausend Fuß kommt, so ist’s ein Druck von tausend Atmosphären. Aber es fällt mir etwas ein.

– Was?

– Warum setzen wir uns in den Kopf die Oeffnung zu verstopfen?

– Weil …«

Ich war in Verlegenheit, einen Grund zu finden.

»Wenn unsere Flaschen leer sind, werden wir sie wieder füllen können?

– Nein, offenbar.

– Nun, so lassen wir dies Wasser fließen! Es wird seinen natürlichen Lauf abwärts nehmen, uns den Weg zeigen und zugleich erfrischen!

– Ein guter Gedanke! rief ich aus, und in Begleitung dieses Baches haben wir um so mehr Grund für das Gelingen unsers Vorhabens.

– Ah! Jetzt kommst Du darauf, lieber Junge, sagte der Professor lachend.

– Noch besser, ich bin schon darauf.

– Einen Augenblick! Ruhen wir erst einige Stunden aus.«

Ich hatte wirklich vergessen, daß es Nacht war. Der Chronometer zeigte mir’s. Bald verfielen wir, hinlänglich gestärkt und erquickt, in tiefen Schlummer.

Vierundzwanzigstes Capitel.


Vierundzwanzigstes Capitel.

Weiter hinab.

Am folgenden Morgen hatten wir schon die bestandenen Leiden vergessen. Ich war erstaunt, daß ich keinen Durst mehr hatte, und fragte nach dem Grund. Der zu meinen Füßen rieselnde Bach gab mir murmelnd die Antwort.

Man frühstückte und trank dies köstliche Stahlwasser. Ich fühlte mich wieder ganz gekräftigt und entschlossen zur weiteren Reise. Warum sollte ein Mann von Ueberzeugung, wie mein Oheim, nebst einem sinnreichen Führer, wie Hans, und einem »entschlossenen« Neffen, wie ich, nicht zum Ziel gelangen? So schöne Gedanken schlichen nun in meinen Kopf! Hätte man mir jetzt den Vorschlag gemacht, nach der Höhe des Snäfields zurück zu kehren, ich hätte ihn mit Unwillen zurück gewiesen.

Es handelte sich aber nur um’s Hinabsteigen.

»Vorwärts!« rief ich, und rief durch enthusiastische Betonung die alten Echo der Erde wach.

Freitags um acht Uhr frühe wurde die Reise fortgesetzt. Der Granitgang zog sich in krummen Umwegen mit unerwarteten Winkeln labyrinthähnlich hin; doch im Ganzen in der Hauptrichtung nach Südost. Mein Oheim befragte unaufhörlich auf’s Sorgfältigste den Compaß, um über den zurückgelegten Weg klar zu sein.

Die Galerie lief fast horizontal mit höchstens zwei Zoll Fall per Klafter. Der Bach floß zu unseren Füßen gemächlich murmelnd. – Mein Oheim verwünschte das Horizontale der Richtung. Sein Weg zog sich unendlich in die Länge, und anstatt längs dem Erdradius hinabzugleiten, machte er, wie er sich ausdrückte, den Weg der Hypothenuse. Aber wir hatten keine andere Wahl, und so lange man nur abwärts dem Centrum näher kam, wenn auch langsam, durfte man sich nicht beklagen. Doch nahm von Zeit zu Zeit der Fall zu; unser Bach eilte brausend, und wir gelangten mit ihm mehr in die Tiefe.

Im Ganzen lief diesen und den folgenden Tag der Weg meistentheils horizontal, und verhältnißmäßig wenig vertical.

Am 10. Juli, Freitag Abends, mußten wir unserer Schätzung nach uns dreißig Meilen südöstlich von Reykjawik, und in einer Tiefe von zweieinhalb Meilen befinden.

Damals öffnete sich vor unseren Füßen ein etwas erschrecklicher Schacht. Mein Oheim konnte sich nicht enthalten in die Hände zu klatschen, als er die steilen Wände in Berechnung zog.

»Dieser wird uns weit führen, rief er aus, und leicht, denn die Felsenvorsprünge bilden eine wirkliche Leiter!«

Die Stricke wurden von Hans derart verwendet, daß jeder Unfall dadurch verhütet wurde. Wir begannen hinabzusteigen. Ich getraue mir nicht, es gefährlich zu nennen, denn ich war mit dergleichen Uebungen bereits vertraut.

Dieser Schacht war eine enge, in dem Grundbau angebrachte Spalte von der Art, welche man »faille« nennt. Offenbar war derselbe durch Zusammenziehung des Gerippes der Erde zur Zeit ihrer Erkaltung entstanden. Wenn vormals die von dem Snäfields ausgeworfenen Gegenstände durch denselben ihren Weg fanden, so war mir unerklärlich, warum diese keine Spur davon darin zurück ließen. Wir stiegen eine Art von Wendeltreppe hinab, die man für ein Werk menschlicher Hände hätte halten können.

Von Viertelstunde zu Viertelstunde mußte man anhalten, um gehörig auszuruhen, daß unsere Kniekehlen ihre Elasticität wieder gewannen. Man setzte sich dann auf einen Vorsprung und ließ die Beine hängen, man plauderte beim Essen und trank dazu aus dem Bach.

Es versteht sich, daß der Hansbach zum Wasserfall geworden war und sich dabei sein Umfang vermindert hatte; aber er war noch mehr als hinreichend, um unsern Durst zu stillen; übrigens bekam er an minder rauhen Stellen seinen gewöhnlichen ruhigen Lauf.

Am 6. und 7. Juli folgten wir den Windungen dieses Ganges, und drangen dabei wieder zwei Meilen in der Erdrinde weiter vor, das machte fast fünf Meilen unter dem Meeresspiegel. Aber am 8. gegen Mittag bekam derselbe in südöstlicher Richtung einen weit sanfteren Abfall, von etwa fünfundvierzig Grad.

Der Weg wurde sodann bequem und völlig einförmig. Es hätte auch nicht leicht anders sein können; es war keine Landschaft da, welche hätte Abwechselung gewähren können.

Endlich, Mittwoch 15., befanden wir uns sieben Meilen unter der Erde, und etwa fünfzig Meilen vom Snäfields entfernt. Obwohl wir etwas ermüdet waren, so hielt sich doch unsere Gesundheit in gutem Zustand, und die Reise-Apotheke war noch unberührt.

Mein Oheim verzeichnete von Stunde zu Stunde die Angaben des Compasses, des Chronometers, Manometers und Thermometers, dieselben, welche er in dem wissenschaftlichen Bericht von seiner Reise veröffentlicht hat. Er konnte sich daher von seiner Lage genaue Rechenschaft geben. Als er mir mittheilte, wir befänden uns horizontal fünfzig Meilen entfernt, konnte ich einen lebhaften Ausdruck meines Staunens nicht zurückhalten.

»Was hast Du vor? fragte er.

– Nichts, ich machte nur eine Bemerkung.

– Welche, mein Lieber?

– Sind Ihre Berechnungen richtig, so befinden wir uns nicht mehr unter Island.

– Meinst Du?

– Wir können uns leicht davon überzeugen.«

Ich maß mit dem Zirkel auf der Karte.

»Ich irrte nicht, sagte ich. Wir sind über Cap Portland hinaus, und die fünfzig Meilen in südöstlicher Richtung versetzen uns mitten unter’s Meer.

– Unter’m Meer, versetzte mein Oheim und rieb sich die Hände.

– Also, rief ich aus, haben wir den Ocean über unserem Kopf!

– Bah! Axel, ganz natürlich! Ziehen nicht zu Newcastle die Kohlengruben weit unter dem Meere hin?«

Der Professor fand wohl diese Lage sehr einfach; aber der Gedanke, daß ich unter der Masse des Meeres wandelte, machte mir doch etwas Sorge. Jedoch, ob die Ebenen und Gebirge Islands über unserm Kopf waren, oder die Wogen des Atlantischen Meeres, machte im Ganzen wenig Unterschied, wenn nur der Granitbau fest war. Uebrigens gewöhnte ich mich bald an diesen Gedanken; denn der Gang, welcher bald geradaus, bald in Krümmungen launenhaft hinzog, führte doch immer südöstlich und stets weiter in die Tiefe hinab.

Vier Tage darauf, Samstags, 18. Juli, kamen wir Abends in einer Art von geräumiger Grotte an; mein Oheim stellte Hans seine wöchentlichen drei Reichsthaler zu, und es wurde beschlossen, morgen solle Rasttag sein.