Sechstes Capitel.


Sechstes Capitel.

Das Centrum der Erde.

Bei diesen Worten lief mir ein Schauder über den ganzen Körper. Doch nahm ich mich zusammen. Ich entschloß mich sogar, mich wacker zu halten. Wissenschaftliche Gründe allein konnten den Professor Lidenbrock abhalten. Nun gab’s deren, und zwar gewichtige, gegen eine solche Reise.

Nach dem Mittelpunkt der Erde zu reisen! welche Thorheit! Ich sparte meine Einwendungen für den günstigen Moment auf und machte mich an’s Essen.

Wie fluchte mein Oheim, als er den Tisch nicht gedeckt sah. Alles klärte sich auf. Die gute Martha bekam wieder ihre Freiheit, eilte auf den Markt und rührte sich dergestalt, daß nach einer Stunde mein Hunger gestillt war und das Bewußtsein der Lage mir wieder kam.

Während der Mahlzeit war mein Oheim fast lustig; er ließ Scherze hören, die bei einem Gelehrten nie sehr gefährlich sind. Nach dem Dessert winkte er mir, ihm in sein Cabinet zu folgen.

Ich gehorchte. Er setzte sich an’s eine Ende des Tisches, ich an’s andere.

»Axel, sagte er mit ziemlich sanfter Stimme, Du bist ein sehr gescheiter Junge; Du hast mir da einen wackeren Dienst geleistet, als ich des Ringens müde schon den Gedanken aufgeben wollte. Wohin wäre ich gerathen? Niemand kann das wissen! Ich werde Dir’s niemals vergessen, und Du wirst an dem Ruhm, den wir erlangen werden, Deinen Antheil haben.

– Nun, dacht ich, ist er guter Laune; da ist’s Zeit über den Ruhm zu disputiren.

– Vor Allem, fuhr mein Oheim fort, empfehle ich Dir völliges Geheimniß, verstehst Du mich? Es fehlt in der Gelehrtenwelt nicht an Neidischen, und es würden Viele die Reise unternehmen wollen, die bis zu unserer Rückkehr nichts merken sollen.

– Meinen Sie, sagte ich, die Zahl solcher Verwegenen sei so groß?

– Ganz gewiß! Wer würde sich besinnen, solch einen Ruhm zu gewinnen? Wäre dies Document bekannt, so würde ein ganzes Heer von Geologen hineilen, Arne Saknussemm’s Spur zu verfolgen.

– Davon bin ich aber gar nicht überzeugt, lieber Oheim, denn die Aechtheit des Documents ist durch nichts erwiesen.

– Wie? und das Buch, worin wir’s gefunden haben!

– Gut! Ich gebe zu, daß Saknussemm diese Zeilen geschrieben hat, aber folgt daraus, daß er wirklich die Reise vorgenommen hat, und kann nicht das alte Pergament eine Fopperei enthalten?«

Es war mir fast leid, dies letztere etwas kecke Wort herausgesagt zu haben. Der Professor runzelte die Stirn, und ich fürchtete Schlimmes für die Fortsetzung dieser Unterhaltung. Zum Glück hatte es nichts zu bedeuten. Mein strenger Genosse erwiderte mit leichtem Lächeln:

»Das werden wir sehen.

– Ah! sagte ich etwas verdutzt; aber erlauben Sie mir vorzubringen, was sich alles über das Document sagen läßt.

– Rede, lieber Junge, genire Dich nicht. Ich lasse Dir alle Freiheit Deine Meinung zu sagen. Du bist nun nicht mehr mein Neffe, sondern mein College. Also vorwärts.

– Nun, so will ich Sie erst fragen, was sind diese Yokul, Sneffels und Scartaris, wovon ich nie ein Wort habe reden hören?

– Das ist ganz leicht. Ich habe just vor Kurzem von meinem Freunde August Petermann in Gotha eine Karte bekommen, die mir gerade zu rechter Zeit kam. Nimm den dreißigsten Atlas im zweiten Fach der großen Bibliothek, Reihe Z, Brett 4.«

Ich stand auf und fand in Gemäßheit dieser genauen Angaben rasch den begehrten Atlas. Mein Oheim schlug ihn auf und sagte:

»Hier ist eine der besten Karten von Island, die Handerson’sche; ich glaube, die wird uns alle Schwierigkeiten lösen.«.

Ich beugte mich über die Karte.

»Sieh diese aus Vulkanen bestehende Insel, sagte der Professor, und merke, daß sie alle mit dem Namen Yokul bezeichnet sind. Dies Wort bedeutet im Isländischen ‚Gletscher‘, und unter dem hohen Breitegrad Islands geschehen die meisten vulkanischen Ausbrüche durch die Eisdecke.

– Gut, erwiderte ich, aber was ist dann Sneffels?« Ich hoffte, er wisse diese Frage nicht zu beantworten. Wie irrte ich mich! Mein Oheim fuhr fort:

»Folge mir auf die westliche Küste Islands. Siehst Du seine Hauptstadt Reykjawik? Ja. Gut. Fahre über die unzähligen Fjorde dieser zerrissenen Seeküsten, und halte etwas unter dem fünfundsechzigsten Breitegrad an. Was siehst Du da?

– Eine Art Halbinsel, gleich einem abgenagten Knochen.

– Die Vergleichung ist richtig, lieber Junge; jetzt, siehst Du nichts auf dieser Halbinsel?

– Ja, einen Berg, der aus dem Meer emporgewachsen scheint.

– Gut! Dieser Snäfields Jöcul ist der Sneffels.

– Der Snäfields Jöcul?

– Der ist’s, ein fünftausend Fuß hoher Berg, einer der merkwürdigsten auf der Insel, und gewiß der berühmteste der ganzen Welt, wenn sein Krater den Eingang zum Centrum der Erde bildet.

– Aber das ist unmöglich! rief ich mit Achselzucken, und gegen eine solche Annahme mich sträubend.

– Unmöglich! erwiderte der Professor Lidenbrock mit strengem Ton. Und warum?

– Weil dieser Krater offenbar mit Lava verstopft ist, die Felsen glühend, und dann …

– Und wenn’s ein ausgebrannter Krater ist?

– Ausgebrannt?

– Ja. Die Zahl der noch thätigen Vulkane auf der Erdoberfläche beträgt gegenwärtig nur etwa dreihundert; aber es giebt eine noch weit größere Anzahl erloschener Vulkane. Unter die letzteren gehört der Snäfields, der seit den historischen Zeiten nur einen Ausbruch gehabt hat, im Jahre 1219; seitdem ist er allmälig stille geworden, und er gehört nicht mehr zu den thätigen Vulkanen.«

Auf diese bestimmten Angaben hatte ich durchaus nichts zu erwidern; ich warf mich also auf die übrigen Schwierigkeiten, die das Document enthielt.

»Was bedeutet das Wort Scartaris, fragte ich, und was haben die Kalenden des Juli dabei zu schaffen?«

Mein Oheim besann sich einige Augenblicke. Einen Augenblick hatte ich Hoffnung, aber auch nur einen Augenblick, denn bald antwortete er mir folgendermaßen:

»Was Du Dunkelheit nennst, ist für mich Licht. Dies beweist die sinnreiche Sorge, womit Saknussemm seine Entdeckung genau bezeichnen wollte. Der Snäfields hat mehrere Krater, und es war daher erforderlich, denjenigen, welcher zum Mittelpunkt der Erde führt, anzugeben. Wie hat’s nun der gelehrte Isländer gemacht? Er hat bemerkt, daß beim Herannahen des ersten Juli, also gegen Ende des Juni, eine der Bergspitzen, der Scartaris, ihren Schatten bis zu der Mündung des fraglichen Kraters werfe, und hat diese Thatsache in dem Document niedergelegt. Dies war die genaueste Angabe, so daß man, wenn man einmal auf dem Gipfel des Snäfields sich befindet, unmöglich mehr in Zweifel sein kann, welcher Weg einzuschlagen.«

Allerdings wußte mein Oheim eine Antwort auf Alles. Ich sah wohl, daß ihm bei den Worten des alten Pergaments nicht beizukommen war. Ich setzte ihm daher von dieser Seite aus nicht mehr zu, und da ich vor Allem ihn überzeugen mußte, so ging ich zu den wissenschaftlichen Einwendungen über, welche meines Erachtens ganz anders bedeutsam waren.

»Nun, sagt‘ ich, die Phrase Saknussemm’s, ich muß es zugeben, ist klar und läßt über ihren Sinn keinen Zweifel mehr. Ich gebe sogar zu, daß das Document den Anschein völliger Aechtheit hat. Dieser Gelehrte ist in das Innere des Snäfields hinabgestiegen; hat gesehen, wie der Schatten des Scartaris den Rand des Kraters vor dem ersten Juli bestrich; er hat sogar aus den sagenhaften Erzählungen seiner Zeit entnommen, daß dieser Krater zum Centrum der Erde führe; aber daß er selbst dahin gedrungen, daß er von einer Reise dahin wieder zurückgekehrt sei, glaub‘ ich durchaus nicht!

– Und aus welchem Grund? sagte mein Oheim mit ausnehmend spöttischem Ton.

– Weil alle Theorien der Wissenschaft beweisen, daß eine solche Unternehmung unausführbar ist!

– Alle Theorien sprechen das aus? erwiderte der Professor mit gutmüthiger Miene. Ja, die schlechten Theorien! Die armseligen Theorien werden uns geniren!«

Ich sah, daß er sich über mich lustig machte, aber ich fuhr demungeachtet fort:

»Ja! es ist eine ausgemachte Sache, daß die Wärme unter der Erdoberfläche mit siebenzig Fuß Tiefe um einen Grad zunimmt; nehmen wir nun dies steigende Verhältniß als sich gleichbleibend an, so muß, da der Erdradius fünfzehnhundert Meilen beträgt, im Centrum eine Temperatur stattfinden von mehr als zweimalhunderttausend Grad! Die Stoffe im Inneren der Erde befinden sich daher im Zustand des glühenden Gas, denn die Metalle, Gold, Platina, die härtesten Steine widerstehen nicht einer solchen Hitze. Ich darf also fragen, ob es möglich sei, in eine solche Umgebung zu gelangen.

– Also, Axel, die Hitze macht Dir Bedenken?

– Allerdings. Kämen wir bis zu einer Tiefe von nur zehn Meilen, so wären wir an der Grenze der Erdrinde, denn da ist die Temperatur bereits über dreizehnhundert Grad.

– Und Du hast Angst zu zerschmelzen?

– Ich überlasse Ihnen die Entscheidung der Frage, erwiderte ich mit Humor.

– So will ich Dir meine Meinung bestimmt sagen, entgegnete der Professor Lidenbrock, indem er einen hohen Ton annahm: Weder Du, noch irgend ein Mensch weiß einigermaßen zuverlässig, was im Inneren des Erdballs vorgeht, da man kaum erst den zwölftausendsten Theil ihres Radius kennt; daher ist die Wissenschaft außerordentlich vervollkommnungsfähig, und jede Theorie wird von einer neuen umgestürzt. Hat man ja bis auf Fourier geglaubt, die Temperatur der Planetenräume sei stets abnehmend, und jetzt weiß man, daß die höchste Kälte der Aetherregionen nicht über vierzig bis fünfzig Grad unter Null steigt. Warum könnte es mit der Wärme im Inneren nicht ebenso der Fall sein? Weshalb sollte sie nicht in einer gewissen Tiefe eine nicht mehr zu übersteigende Höhe erreichen, anstatt bis zu einer Höhe zu steigen, wo die störrigsten Metalle schmelzen?«

Da mein Oheim die Frage auf das Gebiet der Hypothesen verpflanzte, so hatte ich nichts darauf zu erwidern.

»Nun denn, ich will Dir nur sagen, daß echte Gelehrte, wie Poisson unter Anderen, bewiesen haben, daß, wenn im Inneren des Erdballs eine Hitze von zweimalhunderttausend Grad existirte, das aus den zerschmolzenen Stoffen erzeugte glühende Gas eine solche Spannkraft erlangen würde, daß die Erdrinde nicht mehr Widerstand zu leisten vermöchte und zerspringen müsse, wie die Wände eines Dampfkessels durch die Ausdehnung des Dampfes.

– Das ist Poisson’s Ansicht, lieber Oheim, nichts weiter.

– Einverstanden, aber es ist auch die Ansicht anderer ausgezeichneter Geologen, daß das Innere des Erdballs weder aus Gas, noch Wasser, noch schwereren Steinen besteht, als die wir kennen, denn in diesem Falle würde die Erde ein zweifach geringeres oder verdoppeltes Gewicht haben.

– O! Mit Ziffern beweist man Alles, was man will!

– Und ist’s mit Thatsachen, lieber Junge, ebenso? Ist’s nicht ausgemacht, daß die Zahl der Vulkane seit den ersten Tagen der Welt beständig abgenommen hat? und wenn es eine Centralwärme giebt, kann man nicht daraus schließen, daß sie immer schwächer wird?

– Lieber Oheim, wenn Du Dich auf’s Feld der Voraussetzungen begiebst, habe ich nicht mehr zu reden.

– Und ich habe zu sagen, daß die Ansichten der berufensten Männer mit der meinigen übereinstimmen. Erinnerst Du Dich, wie mir im Jahre 1825 der berühmte englische Chemiker Humphry Davy einen Besuch machte?

– Durchaus nicht, denn ich kam erst neunzehn Jahre später auf die Welt.

– Nun, Humphry Davy besuchte mich auf einer Durchreise durch Hamburg. Wir besprachen uns lange, unter Anderem über die Hypothese der Flüssigkeit des inneren Kerns der Erde. Wir waren einstimmig darin, daß die Flüssigkeit nicht möglich sei, aus einem Grunde, worauf die Wissenschaft nie eine Antwort gefunden hat.

– Und welcher ist das? fragte ich etwas betroffen.

– Weil diese flüssige Masse gleich dem Ocean der Anziehung von Seiten des Mondes ausgesetzt wäre, und folglich zweimal täglich im Inneren Ebbe und Fluth entstehen würden, welche durch Emporheben des Erdbodens zu periodischen Erdbeben Anlaß gäben.

– Aber es ist doch unverkennbar, daß die Erdoberfläche der Verbrennung ausgesetzt gewesen ist, und man darf annehmen, daß die äußere Kruste sich erst abkühlte, während die Hitze sich zum Centrum zurückzog.

– Irrthum, erwiderte mein Oheim; die Erde ist erst durch Verbrennung ihrer Oberfläche in Hitze gerathen, nicht anders. Ihre Oberfläche bestand aus einer großen Quantität von Metallen, wie Potassium und Sodium, welche die Eigenschaft haben, bei der bloßen Berührung mit Luft und Wasser in Brand zu gerathen. Diese Metalle geriethen in Brand, als die atmosphärischen Dünste als Regen auf den Boden herabkamen; und allmälig, als die Gewässer durch die Ritzen der Erdrinde drangen, veranlaßten sie abermals Brand mit Explosionen und Ausbrüchen. Daher die zahlreichen Vulkane in der ersten Zeit der Welt.

– Das ist doch eine sinnreiche Hypothese! rief ich etwas wider Willen.

– Und Humphry Davy machte mir’s durch ein sehr einfaches Experiment erkennbar. Er verfertigte eine metallene Kugel hauptsächlich aus den Metallen, wovon ich eben sprach, als ein vollständiges Ebenbild unseres Erdballs. Als man dieselbe mit einem feinen Thau auf ihrer Oberfläche benetzte, schwoll sie auf, oxydirte und bildete ein kleines Gebirge; an dessen Spitze öffnete sich ein Krater, und es fand ein Ausbruch statt, und theilte der Kugel eine solche Hitze mit, daß man sie nicht mehr in der Hand halten konnte.«

Wahrlich, die Beweisgründe des Professors fingen an auf mich Eindruck zu machen; er machte sie zudem mit seiner gewöhnlichen Leidenschaft und seinem Enthusiasmus geltend.

»Du siehst, Axel, fügte er bei, der Zustand des inneren Kerns hat verschiedene Hypothesen unter den Geologen veranlaßt; nichts ist weniger bewiesen, als die Thatsache einer inneren Hitze; meiner Ansicht nach ist sie nicht vorhanden, könnte nicht vorhanden sein; doch, wir werden’s sehen, und werden, wie Arne Saknussemm, dann wissen, woran man sich hinsichtlich dieser Frage zu halten habe.

– Nun ja! erwiderte ich, indem ich diesen Enthusiasmus zu theilen anfing, ja, wir werden’s sehen, wenn man jedoch dort sehen kann?

– Und warum nicht? Können wir nicht auf elektrische Erscheinungen rechnen, die uns Licht gewähren, und selbst auf die Atmosphäre, welche bei Annäherung an das Centrum durch ihren Druck leuchtend werden kann?

– Ja, sagte ich, ja! Das ist möglich, nach Allem.

– Das ist gewiß, erwiderte mein Oheim triumphirend; aber nur stille, verstehst Du? Kein Wort von alle diesem; kein Mensch soll die Idee bekommen, vor uns das Centrum der Erde zu entdecken.«

Siebentes Capitel.


Siebentes Capitel.

Reise-Vorbereitungen.

So schloß diese merkwürdige Unterredung. Ich war fieberhaft angeregt. Ich verließ ganz verblüfft das Cabinet meines Oheims, und die Luft Hamburgs reichte nicht aus, um mich darin zu erholen. Ich eilte daher an das Elbufer nach der Dampffähre hin, welche zur Verbindung der Stadt mit der Harburger Eisenbahn dient.

War ich von dem, was man mich eben gelehrt hatte, überzeugt? War ich nicht vielmehr dem Professor Lidenbrock erlegen? Sollte ich im Ernst nehmen, daß er entschlossen sei, zum Centrum des Erdkörpers zu dringen? Hörte ich soeben die tollen Speculationen eines Narren, oder die wissenschaftliche Darlegung eines großen Genie? Bei Allem, wo hörte die Wahrheit auf, begann der Irrthum?

Ich schwankte zwischen tausend sich widersprechenden Hypothesen, ohne mich an einer festhalten zu können.

Doch erinnerte ich mich, daß ich überzeugt worden war, obwohl mein Enthusiasmus anfing mäßiger zu werden; aber ich hätte unverzüglich abreisen wollen, ohne mir Zeit zum Ueberlegen zu lassen. Ja, es hätte mir nicht an Muth gefehlt, augenblicklich meinen Ranzen zu schnallen.

Doch muß ich gestehen, eine Stunde hernach war diese Ueberreizung schon gesunken, die Spannung meiner Nerven ließ nach, und ich kam wieder aus den Abgründen der Erde zur Oberfläche empor.

»Das ist ja lächerlich! sagte ich mir; es hat keinen rechten Verstand! Solch einen Vorschlag kann man einem verständigen Jungen nicht im Ernst machen. Das Alles ist eitel Nichts. Ich habe übel geschlafen, einen schlimmen Traum gehabt.«

Inzwischen war ich längs dem Ufer der Elbe um die Stadt herum gekommen und auf die Straße nach Altona. Es hatte mich eine richtige Ahnung diesen Weg geführt, denn ich bemerkte bald mein liebes Gretchen, das raschen Schrittes tapfer nach Hamburg heim ging.

»Gretchen!« rief ich ihr von Weitem zu.

Das Mädchen stand stille, etwas betroffen schien es, auf offener Straße so angerufen zu werden. Mit zehn Schritten war ich bei ihr.

»Axel! sagte sie überrascht. Du bist mir entgegen gegangen, das ist ja recht hübsch.«

Als nun aber Gretchen mich ansah, entging ihr mein unruhiges verstörtes Aussehen nicht.

»Was ist Dir? sagte sie mir die Hand reichend.

– Was mir ist, Gretchen!« rief ich.

Und in zwei Secunden, in drei Sätzen hatte ich meine hübsche Vierländerin über die Lage der Dinge in Kenntniß gesetzt. Einige Augenblicke schwieg sie. Ob ihr Herz gleich dem meinigen klopfte, weiß ich nicht, aber ihre Hand in der meinigen zitterte nicht. Hundert Schritte gingen wir stumm neben einander her.

»Axel! sagte sie endlich.

– Liebes Gretchen!

– Das wird eine schöne Reise sein.«

Ich sprang auf bei diesen Worten.

»Ja, Axel, eine Reise, des Neffen eines Gelehrten würdig. Ein Mann muß sich durch ein großes Unternehmen auszeichnen!

– Wie? Gretchen, Du räthst mir nicht von solch einem Unternehmen ab?

– Nein, lieber Axel, und ich würde Euch gerne begleiten, wenn nicht ein armes Mädchen ein Hinderniß für Euch wäre.

– Ist das wirklich Dein Ernst?

– Wirklich.«

Ach! Wie sind doch Frauen, junge Mädchen, weibliche Herzen stets unbegreiflich! Seid Ihr nicht die schüchternsten Wesen, so seid Ihr die tapfersten! Vernunft hat bei Euch keine Geltung. Wie? dieses Kind ermunterte mich, die Reise mitzumachen! Sie hatte keine Furcht vor einer abenteuerlichen Fahrt! Sie drängte mich dazu, den sie doch liebte.

Ich war verlegen und, offen zu sagen, schämte mich.

»Gretchen, fuhr ich fort, wir wollen sehen, ob Du morgen noch ebenso sprichst.

– Morgen, lieber Axel, werd‘ ich reden, wie heute.«

Wir gingen Hand in Hand, aber in tiefem Schweigen unseres Weges weiter. Die Gemüthsbewegungen des Tages hatten mich kleinlaut gemacht.

»Immerhin, dachte ich, ist der erste Juli noch weit entfernt, und bis dahin kann noch Manches vorgehen, was meinen Oheim von der tollen Lust, eine Reise unter die Erde zu machen, heilen mag.«

Es war schon Nacht geworden, als wir bei dem Hause der Königsstraße anlangten. Ich hatte vermuthet, wir träfen die Wohnung ruhig, meinen Oheim, wie gewöhnlich, schon zu Bette, und Martha mit Abstäuben des Speisezimmers beschäftigt.

Aber ich hatte die Ungeduld des Professors nicht in Anschlag gebracht. Ich fand ihn unter einer Truppe Lastträger, welche allerhand Waaren in die Allee brachten, mit lautem Geschrei hin und her rennend; die alte Dienerin wußte nicht, wo ihr der Kopf stand.

»Aber, so komm doch, Axel; eile doch, Unglückseliger! rief mein Oheim schon von Weitem, wie er mich erblickte. Und Dein Koffer ist noch nicht gepackt, und meine Papiere noch nicht geordnet, und der Schlüssel meines Reisesacks nicht zu finden, und meine Kamaschen bleiben aus!«

Ich war wie vom Donner gerührt, die Stimme versagte mir. Kaum vermochten meine Lippen die Worte hervorzubringen:

»Also reisen wir ab?

– Ja, Unglückseliger, und Du gehst spazieren, anstatt bei der Hand zu sein!

– Wir reisen ab? fragte ich nochmals mit schwacher Stimme.

– Ja, übermorgen in aller Frühe.«

Ich konnte nichts weiter anhören und flüchtete in mein Zimmerchen.

Es war nicht mehr daran zu zweifeln. Mein Oheim hatte den Nachmittag dazu verwendet, einen Theil der Reisebedürfnisse anzuschaffen; die Allee lag voll Strickleitern, Fackeln, Reiseflaschen, eisernen Haken, Spitzhauen, beschlagenen Stöcken, Spaten – wofür man zehn Mann wenigstens zum Herbeischleppen brauchte.

Ich brachte eine entsetzliche Nacht hin. Am folgenden Morgen hörte ich schon frühe mich anrufen. Ich war entschlossen, meine Thüre nicht zu öffnen.

Aber wie hätte ich einer so süßen Stimme widerstehen können, die mir zurief: »Lieber Axel!«

Ich ging aus meiner Kammer, und dachte, mein verstörtes blasses Aussehen, meine rothen Augen würden auf Gretchen wirken, daß sie ihre Gedanken änderte.

»Nun! mein lieber Axel, sagte sie zu mir, ich sehe, Du befindest Dich besser, und die Nacht hat Dich beruhigt.

– Beruhigt!« rief ich.

Ich eilte vor meinen Spiegel. Ei nun! Ich sah nicht so übel aus, als ich gedacht hatte. Kaum glaublich.

»Axel, sprach Gretchen zu mir, ich habe lange mit meinem Vormund geplaudert. Es ist ein kühner Gelehrter, ein muthiger Mann, und Du wirst Dich erinnern, daß sein Blut in Deinen Adern fließt. Er hat mir von seinen Plänen erzählt, von seinen Hoffnungen, weshalb und wie er seinen Zweck zu erreichen hofft. Ich zweifle nicht, daß er ihn erreichen wird. Ach! lieber Axel, wie schön ist’s, sich so seiner Wissenschaft zu widmen! Welcher Ruhm wird Herrn Lidenbrock zu Theil werden, und auf seinen Genossen zurückstrahlen! Bei der Rückkehr wirst Du ein Mann sein, seines Gleichen, frei zu reden, zu handeln, frei endlich zu …«

Erröthend stockte das Mädchen. Seine Worte machten mir wieder Muth. Dennoch wollte ich noch nicht an unsere Abreise glauben. Ich zog Gretchen mit mir zu dem Zimmer des Professors.

»Lieber Oheim, sagte ich, es ist also ausgemacht, daß wir abreisen?

– Wie? Du zweifelst daran?

– Nein, sagte ich, um ihm nicht zu widersprechen. Nur möcht‘ ich Sie fragen, ob es so Eile damit hat.

– Ja wohl! die Zeit drängt! die Zeit, die unwiederbringlich schnell entflieht!

– Wir haben ja doch erst den 26. Mai, und bis zu Ende Juni …

– Hm! meinst Du denn, Unwissender, daß man so leicht nach Island komme? Wärest Du nicht wie ein Narr von mir gelaufen, so hätte ich Dich mit auf das Kopenhagener Bureau, zu Lissender & Cie., genommen. Da hättest Du erfahren, daß von Kopenhagen nach Reykjawik nur einmal monatlich, am 22., ein Boot abgeht.

– Nun?

– Nun? wenn wir bis zum 22. Juni warteten, würden wir zu spät kommen, um zu sehen, wie ‚des Scartaris Schatten den Krater des Sneffels liebkoset‘. Wir müssen daher so schnell wie möglich nach Kopenhagen kommen, um daselbst für die Ueberfahrt ein Beförderungsmittel zu finden. Geh‘ und pack‘ Deinen Koffer!«

Darauf war kein Wort zu erwidern. Ich begab mich wieder in mein Zimmer. Gretchen folgte mir nach und bemühte sich selbst, meine Reisebedürfnisse in einen kleinen Ranzen zu packen. Es ging ihr das nicht näher zu Herzen, als wenn sich’s um einen Ausflug nach Lübeck oder Helgoland handelte. Ihre kleinen Hände bewegten sich ohne Uebereilung hin und her. Sie plauderte ruhig und führte mir die verständigsten Gründe zu Gunsten unserer Unternehmung an. Sie wirkten zauberhaft auf mich, und ich konnte ihr nicht zürnen. Manchmal, wenn ich aufbrausen wollte, achtete sie nicht darauf, und setzte mit methodischer Ruhe ihre Arbeit fort.

Endlich war der letzte Riemen des Ranzen geschnallt, und ich kam herab in’s Erdgeschoß.

Diesen Tag über kamen die Ablieferungen von physikalischen Instrumenten, Waffen, elektrischen Apparaten noch häufiger. Die gute Martha verlor den Kopf.

»Ist der Herr ein Narr geworden?« sagte sie zu mir.

Ich machte ein Zeichen der Bejahung.

»Und er nimmt Sie mit?«

Gleiches Ja.

»Wohin soll’s gehen?« fragte sie.

Ich deutete mit dem Finger nach dem Inneren der Erde.

»In den Keller? schrie die alte Dienerin.

– Nein, sagte ich endlich, noch tiefer hinab!«

Der Abend kam. Ich wußte gar nicht mehr, wie die Zeit verflossen war.

»Morgen früh, sagte mein Oheim, präcis sechs Uhr reisen wir ab.«

Um zehn Uhr sank ich wie eine träge Masse auf mein Bett. Während der Nacht kam mir wieder die Angst.

Ich träumte in einem fort von Abgründen! Ich verfiel dem Wahnsinn. Ich fühlte mich von des Professors starker Hand ergriffen, fortgezogen, in einen Schlund gestürzt. Ich fiel in unergründliche Schluchten hinab mit der wachsenden Schnelligkeit fallender Körper. Mein Leben war nur noch ein endloses Fallen.

Um fünf Uhr wachte ich auf, zerschlagen durch Erschöpfung und Aufregung. Ich begab mich in’s Speisezimmer hinab. Mein Oheim saß bei Tische und schlang sein Frühstück hinunter. Ich blickte ihn mit einer Art Grauen an. Aber Gretchen war zugegen. Ich sprach nichts, konnte nicht essen.

Um halb sechs Uhr hörte man das Rasseln eines Wagens in der Straße. Es kam ein großer Wagen, uns auf die Altonaer Eisenbahn zu bringen. Er war bald mit den Collis meines Oheims bepackt.

»Und Dein Koffer? sagte er zu mir.

– Er ist fertig, erwiderte ich, und es ward mir schwach.

– So bring‘ ihn rasch herab, oder Du bist Schuld, daß wir den Zug verfehlen!«

Gegen mein Geschick anzukämpfen, schien mir damals unmöglich. Ich begab mich wieder in meine Kammer, ließ meinen Ranzen die Treppe hinab rutschen und folgte hinterdrein.

In diesem Augenblick gab mein Oheim die »Zügel« seines Hauses in Gretchen’s Hände. Meine hübsche Vierländerin bewahrte ihre gewohnte Ruhe. Sie umarmte ihren Vormund, konnte aber, als sie meine Wange mit ihren süßen Lippen berührte, eine Thräne nicht zurückhalten.

»Gretchen! rief ich aus.

– Geh‘, lieber Axel, geh‘, sagte sie zu mir, Du verlässest Deine Braut, aber bei der Rückkehr findest Du Deine Frau.«

Ich schloß Gretchen in meine Arme, dann setzte ich mich in den Wagen. Martha und das junge Mädchen sagten uns von der Schwelle des Hauses aus Lebewohl. Darauf rannten die Pferde, durch das Pfeifen ihres Kutschers angeregt, im Galop über die Altonaer Straße.

Achtes Capitel.


Achtes Capitel.

Reise nach Island.

Von Altona aus, welches zum Weichbild Hamburgs gehört, führt eine Eisenbahn nach Kiel, wo wir an’s Ufer des Belt gelangten. In zwanzig Minuten kamen wir auf Holsteinisches Gebiet.

Um halb sieben hielt der Wagen vorm Bahnhof; die zahlreichen Collis meines Oheims, seine umfangreichen Reiseartikel wurden abgeladen, transportirt, gewogen, etikettirt, in den Gepäckwagen gebracht; und um sieben Uhr saßen wir in derselben Waggonabtheilung einander gegenüber. Der Dampf zischte, die Locomotive setzte sich in Bewegung. Wir befanden uns unterwegs.

Ich hatte mich noch nicht drein gefunden. Doch wirkten die frische Morgenluft, die bei der Schnelligkeit der Fahrt rasch erneuerten Eindrücke darauf hin, mich durch Zerstreuung aus meiner großen Befangenheit zu reißen.

Die Gedanken des Professors eilten offenbar dem Zug voraus, der für seine Ungeduld zu langsam fuhr. Wir befanden uns allein in dem Waggon, sprachen aber kein Wort mit einander. Mein Oheim durchmusterte seine Taschen und seinen Reisesack mit sorgfältiger Achtsamkeit. Ich sah wohl, daß es ihm für die Ausführung seiner Pläne an nichts mangelte.

Unter Anderem hatte er ein sorgfältig zusammengelegtes Blatt Papier mit dem Wappen der dänischen Kanzlei und der Unterschrift des dänischen Consuls zu Hamburg, der ein Freund des Professors war. Mit Hilfe desselben konnten wir leicht in Kopenhagen Empfehlungen an den Gouverneur von Island bekommen.

Ich bemerkte auch das merkwürdige Document in der geheimsten Tasche des Portefeuille auf’s Sorgfältigste aufgehoben. Ich verfluchte es aus Herzens Grund, und sah mir das Land an. Es war eine ungeheure Reihe wenig merkwürdiger Ebenen, die einförmig, schlammig und ziemlich fruchtbar waren: eine Landschaft, die zur Anlage von Eisenbahnen sehr geeignet war und gerade Linien zuließ, welche den Eisenbahngesellschaften so erwünscht sind. Aber diese Einförmigkeit konnte mir nicht einmal langweilig werden, denn bereits drei Stunden nach unserer Abfahrt hielt der Zug in Kiel zwei Schritte vom Meere.

Da unser Gepäck nach Kopenhagen eingeschrieben war, brauchten wir uns nicht darum zu bekümmern. Doch wurde es von dem Professor während des Transports zum Dampfboot mit sorglichem Auge überwacht. Hier wurde es im unteren Schiffsraum geborgen.

Mein Oheim hatte bei seiner übermäßigen Eile die Stunden des Anschlusses von Dampfboot und Eisenbahn so wohl berechnet, daß wir einen vollen Tag zu verlieren hatten. Das Dampfboot Ellenora ging nicht vor Abend ab.

Daraus entsprang ein neunstündiger Fieberzustand, während dessen der zornmüthige Reisende die Verwaltung der Boote und der Eisenbahnen zum Teufel wünschte, sammt den Regierungen, welche dergleichen Mißbräuche gestatteten. Ich mußte darin einstimmen, als er den Kapitän der Ellenora darüber zur Rede stellte. Er wollte ihn nöthigen, unverzüglich heizen zu lassen. Der aber hieß ihn seines Weges gehen.

In Kiel muß wohl, wie anderwärts, ein Tag hinzubringen sein. Wir gingen an den grünen Ufern der Bai, in deren Hintergrund das Städtchen sich erhebt, spazieren, durchliefen die belaubten Gebüsche, welche ihm das Aussehen eines Nestes unterm Gezweig geben, die Villen zu bewundern, welche sämmtlich mit Badehäuschen versehen sind; so kam unter Herumlaufen und Fluchen zehn Uhr Abends heran.

Die Rauchwolken der Ellenora wirbelten in die Lüfte; das Verdeck zitterte unter den Stößen des Dampfkessels; wir befanden uns an Bord im Besitz von zwei Lagerstätten übereinander in der einzigen Kammer des Bootes.

Um zehn Uhr fünfzehn Minuten wurden die Anker gelichtet, und der Dampfer fuhr rasch über die dunkeln Fluthen des Großen Belt.

Es war dunkle Nacht, ein hübscher Seewind, und das Meer stark wogend; einige Feuer an der Küste schimmerten durch die Finsterniß; später, ich weiß nicht wo, glänzte ein Leuchtthurm hell über den Fluthen.

Um sieben Uhr früh landeten wir zu Korsör, einem Städtchen an der Westküste Seelands. Hier stiegen wir unverzüglich in den Waggon einer neuen Eisenbahn und fuhren durch eine Landschaft, die nicht minder flach war, als die Ebenen Holsteins.

Nach drei Stunden langten wir in der Hauptstadt Dänemarks an. Mein Oheim hatte die ganze Nacht kein Auge geschlossen. Ich glaube, in seiner Ungeduld trappelte er im Waggon und stampfte mit den Füßen.

Endlich gewahrte er eine Mündung in’s Meer.

»Der Sund!« rief er.

Zu unserer Linken befand sich ein ungeheurer Bau, der einem Spital glich.

»Das ist ein Irrenhaus, sagte einer unserer Reisegefährten.

– Gut, dachte ich, da sollten wir bis an’s Ende unserer Tage bleiben! Und so groß dies Spital ist, so wäre es doch zu klein für alle Narrheit des Professors Lidenbrock!«

Endlich, um zehn Uhr, stiegen wir zu Kopenhagen aus; das Gepäck wurde auf einen Wagen geladen und mit uns zum Hotel Phönix in Bred-Gade gefahren. Das dauerte eine halbe Stunde, denn der Bahnhof liegt außerhalb der Stadt. Darauf nahm mein Oheim, nachdem er ein wenig seine Toilette geordnet, mich mit sich. Der Portier des Hotels sprach deutsch und englisch; aber der Professor, der vieler Sprachen kundig war, fragte ihn auf gut dänisch, und in gutem Dänisch gab ihm der Mann an, wo das Museum der Nordischen Alterthümer lag.

In dieser merkwürdigen Anstalt sind eine Menge wunderbarer Dinge aufgestapelt, woraus man die Geschichte des Landes mit seinen alten Steinwaffen, seinen Humpen und Schmucksachen wieder aufbauen könnte. Der Director desselben, der gelehrte Professor Thomson, war ein Freund des Hamburgischen Consuls.

Mein Oheim hatte einen Brief an denselben, der ihn warm empfahl. Im Allgemeinen empfängt ein Gelehrter den anderen ziemlich schlecht. Aber hier war’s ganz anders. Herr Thomson als dienstfertiger Mann ließ dem Professor Lidenbrock, und selbst seinem Neffen einen herzlichen Empfang zu Theil werden. Daß mein Oheim dem trefflichen Director gegenüber sein Geheimniß bewahrte, brauch‘ ich kaum zu sagen. Unsere Absicht war ganz einfach, als Liebhaber ohne Interesse Island zu besuchen.

Herr Thomson stellte sich uns ganz zu Verfügung, und wir liefen über die Quais, um ein abfahrendes Schiff aufzusuchen.

Ich hoffte, es werde ganz an Beförderungsmitteln fehlen; aber ich täuschte mich. Eine kleine dänische Corvette, die Valkyrie, sollte am 2. Juni nach Reykjawik unter Segel gehen. Der Kapitän, Herr Bjarne, befand sich an Bord. Sein demnächstiger Passagier drückte ihm in seiner Freude tüchtig die Hände. Der wackere Mann war über diese Herzlichkeit etwas betroffen. Er fand es ganz einfach, daß er, wie es ihm oblag, nach Island fahre. Meinen Oheim kam das als etwas Erhabenes vor. Der würdige Kapitän benutzte diesen Enthusiasmus, um uns für die Ueberfahrt doppelt bezahlen zu lassen. Aber wir machten uns daraus nicht viel.

Herr Bjarne strich eine ansehnliche Summe Speciesthaler ein und sagte: Erscheinen Sie Dienstag um sieben Uhr frühe an Bord.

Wir dankten Herrn Thomson für seine Bemühung und begaben uns in’s Hotel Phönix zurück.

»Das geht ja schön! recht schön! sprach mein Oheim. Welch glücklicher Zufall, daß wir dies Schiff zum Abfahren bereit fanden! jetzt wollen wir frühstücken und dann die Stadt besehen.«

Wir begaben uns zum Kongens-Nye-Torw, einem unregelmäßigen Platz, wo sich ein Posten befand mit zwei aufgeprotzten unschuldigen Kanonen, die keinem Menschen Angst machen. Dicht daneben, Nr. 5, befand sich eine französische »Restauration«, die von einem Koch Namens Vincent gehalten wurde; wir frühstückten daselbst hinlänglich für den mäßigen Preis von vier Mark die Person.

Hernach freute ich mich wie ein Kind, die Stadt zu besehen; mein Oheim ließ sich führen; übrigens sah er nichts, weder den unbedeutenden Königspalast, noch die hübsche Brücke aus dem siebzehnten Jahrhundert, die vor dem Museum über den Canal führt, noch das ungeheure Grabmal Thorwaldsen’s, das an den Wänden mit abscheulichen Gemälden geziert ist und die Werke dieses Bildhauers enthält, noch in einem ziemlich schönen Park das allerliebste Schloß Rosenberg, noch den bewundernswerthen Renaissance-Bau der Börse, noch deren Thurm, der aus den verschlungenen Schwänzen von vier broncenen Drachen gebildet ist, noch die großen Mühlen der Festungswerke, deren ungeheure Flügel gleich den Segeln eines Schiffes im Seewind schwellen.

Was könnten wir da, meine hübsche Vierländerin mit mir, für köstliche Spaziergänge machen längs des Hafens, wo die Zweidecker und Fregatten unter ihrer rothen Bedachung ruhten, an dem grünen Gestade der Meerenge, durch das schattige Buschwerk, in dessen Schoße die Citadelle sich birgt, deren Kanonen zwischen Hollunder und Weidengezweig ihre schwarze Mündung hervorstrecken!

Aber ach! mein armes Gretchen war fern, und konnte ich hoffen, sie jemals wieder zu sehen?

Mein Oheim jedoch hatte kein Auge für diese reizenden Gegenden; um so mehr aber gefiel ihm ein Glockenthurm der Insel Amak, welche den südwestlichen Theil Kopenhagens bildet.

Wir richteten unsere Schritte dorthin, bestiegen ein kleines Dampffahrzeug, welches zum Verkehr auf den Canälen diente, und in einigen Augenblicken legte es am Quai Dock-Yard an.

Nachdem wir durch einige enge Straßen gekommen, wo Galeerensträflinge in halb gelben, halb grauen Hosen unter dem Stock der Profoßen arbeiteten, kamen wir vor Frelsers-Kirk. Diese Kirche bietet nichts Merkwürdiges. Dagegen wurde die Aufmerksamkeit des Professors durch ihren ziemlich hohen Thurm angezogen, um dessen Spitze sich von der Plateform an außen im Freien eine Treppe spiralförmig windet.

»Steigen wir hinauf, sagte mein Oheim.

– Aber der Schwindel? entgegnete ich.

– Um so mehr, man muß sich gewöhnen.

– Doch …

– Komm‘, sag‘ ich Dir, wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Ich mußte mich fügen. Ein Aufseher, der gegenüber wohnte, stellte uns einen Schlüssel zu, und wir begannen hinaufzusteigen.

Mein Oheim ging mit munterem Schritt voran. Ich folgte nicht ohne Angst nach, denn es ward mir sehr leicht schwindelig. Es ging mir die Haltung des Adlers und die Unempfindlichkeit seiner Nerven ab.

So lange wir uns in der inneren Schnecke befanden, ging Alles gut; aber nach etwa hundertundfünfzig Stufen wehte mir die Luft in’s Gesicht; wir waren bis zur Plateform gekommen, von wo aus die Treppe in freier Luft begann, mit einem schwachen Geländer und Stufen, die stets enger wurden und bis zum Unendlichen zu führen schienen.

»Es ist mir nicht möglich! Niemals! – schrie ich.

– Solltest Du wohl so feige sein? Steig‘!« erwiderte unbarmherzig der Professor.

Ich mußte durchaus ihm folgen, und klammerte mich an.

In der freien Luft schwand mir die Besinnung; ich fühlte bei den heftigen Windstößen den Thurm schwanken, meine Beine versagten mir den Dienst; ich ruschte bald auf den Knieen, dann auf dem Leib; ich schloß die Augen; es wurde mir übel.

Endlich, indem mein Oheim mich am Kragen faßte, kam ich bei der Kugel an.

»Jetzt schau‘, sagte er, und schaue recht! Du mußt lernen, in einen Abgrund blicken!«

Ich öffnete die Augen. Ich sah die Häuser platt und zusammengedrückt, wie mitten im Nebel des Rauchs. Ueber meinem Kopf zog flockiges Gewölk, und durch optische Täuschung schien es mir unbeweglich, während der Thurm, die Kugel, wir zugleich mit in phantastischer Eile fortgezogen wurden. In der Ferne sah man auf der einen Seite grüne Felder, auf der andern das im Sonnenschein schimmernde Meer. Bei der Spitze von Helsingör breitete sich der Sund aus, mit etlichen weißen Segeln, und östlich zeigten sich im Nebel wogend die halb vermischten Gestade Schwedens. Dies alles zusammen wirbelte vor meinen Blicken.

Demungeachtet mußte ich aufstehen, mich gerade halten, schauen. Meine erste Schwindellection dauerte eine Stunde. Als ich endlich wieder hinabsteigen und den festen Boden des Pflasters betreten durfte, war ich an allen Gliedern steif.

»Morgen wiederholen wir die Lection«, sagte mein Professor.

Und wirklich, fünf Tage wurde diese Schwindelübung fortgesetzt, und ich machte, mit und wider Willen, merkliche Fortschritte in der Kunst, von einem hohen Standpunkt aus zu betrachten.

Neuntes Capitel.


Neuntes Capitel.

Ankunft auf Island.

Der Tag der Abreise kam heran. Tags zuvor überbrachte uns der gefällige Herr Thomson dringende Empfehlungsbriefe an den Statthalter Islands, Grafen Trampe, den Coadjutor des Bischofs, Herrn Picturson, und den Bürgermeister von Reykjawik, Herrn Finsen. Mein Oheim dankte ihm mit wärmstem Händedruck.

Am 2., sechs Uhr frühe, befand sich unser kostbares Gepäck an Bord der Valkyrie. Der Kapitän führte uns in ziemlich enge Cabinen.

»Haben wir günstigen Wind? fragte mein Oheim.

– Vortrefflichen, erwiderte der Kapitän Bjarne; Südost. Wir werden mit vollen Segeln aus dem Sund in die weite See stechen.«

Nach einer kleinen Weile stach die Goelette, mit Fockmast, Mars- und Bramstange, in See und fuhr mit vollen Segeln in die Meerenge ein. Eine Stunde hernach schien die Hauptstadt Dänemarks fern in den Fluthen zu versinken, und die Valkyrie fuhr längs der Küste von Helsingör. Ich befand mich in reizbarer Stimmung, glaubte Hamlet’s Schatten auf der Terrasse des alten Schlosses zu sehen, das übrigens weit jünger ist, als der heroische Prinz von Dänemark. Es dient gegenwärtig als kostbare Hütte des Pförtners am Sund, wo jährlich fünfzehntausend Schiffe aller Nationen vorüber fahren.

Das Schloß Kronborg verschwand bald im Nebel, ebenso der Thurm von Helsingborg auf dem schwedischen Gestade, und die Goelette neigte sich ein wenig unterm Wehen der Seewinde des Kattegat.

Die Valkyrie segelte trefflich, aber auf ein Segelschiff kann man sich nie sehr verlassen. Es war für Reykjawik mit Kohlen, Haushaltungsgegenständen, Töpferwaaren, wollenen Kleidungsstücken und einer Ladung Getreide befrachtet. Fünf Mann, lauter Dänen, genügten als Bemannung.

»Wie lange wird die Ueberfahrt dauern? fragte mein Oheim den Kapitän.

– Zehn Tage etwa, erwiderte letzterer, wenn wir nicht bei den Faröern allzuviel widrigen Wind aus Nordwest gegen uns haben.

– Aber Sie werden dadurch doch nicht einer bedeutenden Verspätung ausgesetzt sein?

– Nein, Herr Lidenbrock; seien Sie ruhig, wir werden ankommen.«

Gegen Abend fuhr die Goelette um das Cap Skagen an der Nordspitze Dänemarks, dann während der Nacht durch den Skager-Rak, streifte beim Cap Lindenäs an der Südspitze Norwegens vorüber und stach in das Nordmeer.

Zwei Tage nachher bekamen wir die schottische Küste bei Peterhead in Sicht, und die Valkyrie fuhr zwischen den Orcaden und den Shetlandinseln auf die Faröer zu.

Bald glitt unsere Goelette über die Wogen des Atlantischen Meeres; sie mußte gegen den Nordwind laviren und kam mit Mühe bei diesen Inseln an. Am 8. erkannte der Kapitän Myggenäs, die östlichste der Gruppe, und von nun an fuhren wir gerade auf Cap Portland an der Südküste Islands.

Es kam nichts Merkwürdiges bei der Fahrt vor. Ich bestand leicht die Seekrankheit; mein Oheim war zu seinem großen Leidwesen beständig unwohl, und schämte sich dessen.

Er konnte also den Kapitän Bjarne nicht über den Snäfields, über die Verkehrsmittel und den Transport befragen. Er mußte dies also auf seine Ankunft verschieben, und brachte seine ganze Zeit in seiner Cabine liegend zu, deren Scheidewände vom Wogenschlag krachten. Er verdiente auch wirklich ein wenig sein Schicksal.

Am 11. bekamen wir Cap Portland in Sicht. Das damals helle Wetter ließ Myrdals Yokul, der es beherrscht, erkennen. Das Cap besteht aus einer starken, vereinzelt am Ufer sich erhebenden Anhöhe mit steilen Abhängen.

Die Valkyrie hielt sich in mäßiger Entfernung von den Küsten, indem sie längs derselben westwärts mitten durch Heerden von Hai- und Wallfischen fuhr. Bald zeigte sich ein ungeheurer durchbrochener Felsen, durch welchen das schäumende Meer mit wüthendem Brausen eindrang. Die Westmaninselchen schienen wie hingesäete Felsen über dem Meeresspiegel emporzuragen. Von hier fuhr die Goelette weiter vom Land ab, um das Cap Reykjanäs, welches die Westspitze von Island bildet, in gehöriger Entfernung zu umsegeln.

Mein Oheim war durch das starke Wogen des Meeres gehindert das Verdeck zu betreten, um die ausgezackten Küsten zu bewundern.

Achtundvierzig Stunden darauf, nach einem Sturm, der mit zusammengeschlagenen Segeln zu fliehen zwang, gewahrte man östlich die Boje der Spitze Skagen, deren gefährliche Felsen sich weit hin unter dem Wasserspiegel ziehen. Es kam ein isländischer Lootse an Bord und nach drei Stunden ankerte die Valkyrie in der Bai Faxa vor Reykjawik.

Nun kam endlich der Professor aus seiner Cabine heraus, etwas blaß und zerschlagen, aber stets enthusiastisch, und Befriedigung sprach aus seinen Augen.

Die Bevölkerung der Stadt, die sich für das ankommende Schiff ungemein interessirte, strömte am Quai zusammen.

Mein Oheim eilte, sein Gefängniß, um nicht zu sagen, sein Krankenhaus, zu verlassen. Bevor er aber vom Verdeck stieg, zog er mich in den Vordergrund und zeigte mir mit dem Finger auf der Nordseite der Bai einen hohen Berg mit zwei Spitzen, einen doppelten mit ewigem Schnee bedeckten Kegel.

»Der Snäfields! rief er aus, der Snäfields!«

Darauf, nachdem er mir mit einem Wink unbedingtes Schweigen anempfohlen, stieg er in das Landungsboot; ich ihm nach, und bald betraten wir den Boden Islands.

Sofort zeigte sich ein stattlicher Mann in Generalsuniform. Es war jedoch nur ein Magistrat, der Statthalter der Insel, Baron Trampe, in eigener Person. Der Professor überreichte ihm seine Briefe aus Kopenhagen, und es entspann sich in dänischer Sprache eine kurze Unterhaltung, woran ich, aus gutem Grunde, mich durchaus nicht betheiligte. Das Resultat war, daß der Baron Trampe sich dem Professor Lidenbrock völlig zur Verfügung stellte.

Ein herzlicher Empfang wurde meinem Oheim von dem Bürgermeister Finsen zu Theil, der gleich dem Statthalter in militärischer Uniform ebenso friedlichen Charakters war.

Der Coadjutor Pictursson befand sich eben auf einer bischöflichen Rundreise im nördlichen Bezirk; wir mußten vorerst darauf verzichten, ihm vorgestellt zu werden. Aber der Professor der Naturwissenschaften an der Schule zu Reykjawik, Herr Fridrickson, ein sehr gefälliger Mann, gewährte uns einen sehr schätzbaren Beistand. Dieser bescheidene Gelehrte sprach nur Isländisch und Latein; er bot mir in letzterer Sprache seine Dienste an, und wir konnten uns in derselben leicht verständigen. Er war auch in der That der einzige Mann, mit dem ich mich während meines Aufenthalts auf Island unterhalten konnte.

Von den drei Zimmern, welche seine Wohnung enthielt, stellte uns der treffliche Mann zwei zur Verfügung, und wir richteten uns flugs bei ihm ein, über die Menge unseres Gepäcks waren die Bewohner von Reykjawik etwas erstaunt.

»Nun, Axel, sagte mein Oheim, es geht gut; die Hauptschwierigkeit ist schon beseitigt.

– Wie, die Hauptschwierigkeit? rief ich aus.

– Allerdings, wir brauchen nur hinabzusteigen.

– Wenn Sie’s so verstehen, haben Sie Recht; aber am Ende, denk‘ ich, müssen wir auch wieder herauskommen?

– O! Das macht mir keine Sorgen! Wohlan! Es ist keine Zeit zu verlieren. Ich gehe nun auf die Bibliothek, da findet sich vielleicht ein Manuscript von Saknussemm, das ich sehr gerne zu Rathe ziehen würde.

– Dann besehe ich mir unterdessen die Stadt. Wollen Sie das nicht auch thun?

– Das interessirt mich sehr wenig. Die Merkwürdigkeiten dieses Landes sind nicht über, sondern unter der Erde.«

Ich ging aus, streifte umher.

In den zwei Straßen Reykjawiks irre gehen, wäre nicht leicht gewesen. Ich brauchte daher nicht nach dem Weg zu fragen, was in der Geberdensprache zu Mißverständnissen führt.

Die Stadt zieht sich auf ziemlich niederem und sumpfigem Boden zwischen zwei Anhöhen hin. Auf der einen Seite ist sie von einer ungeheuren Lavaschicht bedeckt, die in allmäligen Stufen nach dem Meer zu abfällt; auf der anderen erstreckt sich die ungeheure, nördlich von dem großen Gletscher des Snäfields begrenzte Bai Faxa, worin eben die Valkyrie das einzige vor Anker liegende Schiff war. Gewöhnlich liegen hier die englischen und französischen Fischerboote in Menge; diese waren aber damals auf der Nordküste der Insel beschäftigt.

Die längere der beiden Straßen von Reykjawik läuft mit dem Ufer parallel; in derselben wohnen die Kauf- und Geschäftsleute in hölzernen Hütten, die aus rothen, horizontal gelegten Balken aufgebaut sind; die andere läuft westlicher zwischen den Häusern des Bischofs und der anderen, nicht dem Handel angehörigen Personen einem kleinen See zu.

Diese trübseligen, düsteren Straßen hatte ich rasch durchschritten. Ich sah darin mitunter ein Stückchen farblosen Rasen gleich einem alten abgetragenen Teppich; oder auch ein Fleckchen, das wie ein Nutzgarten aussah, mit etwas Gemüse, Erdäpfeln, Kohl und Lattich, welches wohl für eine Liliputertafel ausgereicht haben würde; einige kränkelnde Levkojen suchten auch am Sonnenstrahl Erquickung.

Ungefähr in der Mitte der nicht geschäftlichen Straße fand ich, umgeben von einer Erdmauer, den öffentlichen Friedhof, worin es an Raum nicht gebrach. Hierauf, nach einigen Schritten, gelangte ich zur Wohnung des Statthalters, einem Gemäuer gleich dem Stadthause zu Hamburg, einem Palast neben den Hütten der isländischen Bewohner. Zwischen dem kleinen See und der Stadt erhob sich die Kirche, die im protestantischen Styl aus verkalktem, von den Vulkanen ausgeworfenem Gestein erbaut war; durch die argen Westwinde wäre ihr Dach aus rothem Ziegelstein augenscheinlich in alle Lüfte zerstreut worden.

Auf einer nahen Anhöhe erblickte ich die Nationalschule, wo man, wie ich hernach von unserem Hauswirth hörte, die hebräische, englische, französische und dänische Sprache lehrte, von welchen vier Sprachen ich, zu meiner Schande, nicht ein Wörtchen verstand. Ich wäre unter den vierzig Schülern dieses kleinen Gymnasiums der unterste gewesen, und nicht würdig, mit ihnen in den Schränken mit zwei Abtheilungen zu schlafen, worin die schwächeren in der ersten Nacht ersticken konnten.

In drei Stunden hatte ich nicht allein die Stadt, sondern auch ihre Umgebung gemustert. Im Allgemeinen ein höchst trauriger Anblick. Keine Bäume, so zu sagen keine Vegetation. Ueberall lebende Spitzen vulkanischen Gesteins. Die Hütten der Isländer sind aus Erde und Torf verfertigt, ihre Wände nach innen geneigt. Sie sehen wie Dächer aus, die unmittelbar auf dem Boden ruhen. Nur sind diese Dächer Wiesen, die einigermaßen ergiebig sind. In Folge der Wärme ihrer Bewohner sproßt das Gras darauf ziemlich gut, und man mäht es zur Zeit der Heuernte sorgfältig ab, sonst würden die Hausthiere auf den grünen Dächern weiden.

Während meines Spaziergangs begegneten mir wenig Leute. Auf dem Heimweg durch die gewerbliche Straße fand ich die meisten Einwohner beschäftigt, Kabljau zu trocknen, zu salzen und einzuladen; denn es ist dies der Hauptausfuhrartikel. Die Menschen scheinen kräftig, aber schwerfällig, Musterstücke von blonden Deutschen mit gedankenvollem Auge, die sich etwas außerhalb der menschlichen Gesellschaft fühlen, arme, in dieses Eisland verwiesene Verbannte, welche die Natur dazu verurtheilte, auf dieser Grenze des Polarkreises zu leben! Ich bemühte mich vergebens, ein Lächeln auf ihrem Antlitz zu gewahren; manchmal lachten sie wohl aus unwillkürlicher Muskelbewegung, niemals aber kam’s zur Freundlichkeit des Lächelns.

Ihre Tracht bestand in einem groben Rock von schwarzer Wolle, die in den scandinavischen Ländern unter dem Namen »Vadmel« bekannt ist, einem breitgerandeten Hut, Hosen mit rother Borde, und einem Stück Leder, das zu einer Art Fußbekleidung zusammengelegt ist.

Die Frauen, von traurigem Aussehen, zeigten ziemlich angenehme aber ausdruckslose Züge; ihr Anzug bestand aus Leibchen und Rock aus dunklem »Vadmel«; die Mädchen trugen ihr Haar in Zöpfen geflochten unter einem braunen gestrickten Häubchen; die Verheirateten hatten als Kopfbedeckung ein buntes Tuch, worüber eine Verzierung von weißer Leinwand.

Als ich nach einem hübschen Spaziergang in die Behausung des Herrn Fridrickson zurückkam, fand ich meinen Oheim bereits in Gesellschaft seines Hauswirths.

Vierzigstes Capitel.


Vierzigstes Capitel.

Cap Saknussemm.

Seit Anfang der Reise habe ich viel Erstaunliches erlebt, und ich durfte glauben nun vor Ueberraschungen sicher und gegen Verwunderung abgestumpft zu sein. Doch beim Anblick dieser beiden seit dreihundert Jahren hier eingegrabenen Buchstaben erstaunte ich ganz über die Maßen. Nicht nur die Handschrift des gelehrten Alchymisten stand auf dem Felsen, sondern auch das Stilet, womit er sie eingegraben hatte, war in meinen Händen. Wollte ich nicht ganz allen Glauben verleugnen, so konnte ich die Existenz des Reisenden und die Wirklichkeit seiner Reise nicht mehr in Zweifel stellen.

Während diese Gedanken meinen Kopf in Bewegung setzten, gab sich der Professor Lidenbrock einem Schwung der Begeisterung gegen Arne Saknussemm hin, indem er das Vorgebirge, wo er dieses Meer entdeckt hatte, nach seinem Namen Cap Saknussemm benannte.

Diese Begeisterung zündete in mir ein gleiches Feuer. Ich vergaß alle Gefahren der Reise und der Rückkehr; was Andere vollbracht, wollte ich auch fertig bringen, und nichts, was menschlich ist, schien mir unmöglich.

»Vorwärts, vorwärts!« rief ich aus.

Ich stürzte schon auf den dunkeln Gang zu, als der Professor mich hemmte, und der ungestüme Mann rieth mir Geduld und Gemüthsruhe an.

»Erst wollen wir zu Hans zurück und das Floß herbeiholen.«

Ich folgte der Weisung nicht ohne Mißbehagen, und schlüpfte rasch zwischen den Felsen des Ufers hin.

»Wissen Sie, Oheim, sagte ich beim Fortgehen, daß wir bisher viel Glück gehabt haben!

– So, Du meinst, Axel?

– Allerdings, und sogar der Sturm hat uns glücklich auf den rechten Weg geführt; gutes Wetter hätte uns davon entfernt. Dann wäre uns Saknussemm’s Name nicht zu Gesicht gekommen, und wir befänden uns jetzt verlassen ohne Ausweg.

– Ja, Axel, es ist eine Art göttlicher Fügung, daß wir, südwärts schiffend, nach dem Norden verschlagen wurden zum Cap Saknussemm. Diese Thatsache enthält wirklich etwas Unerklärliches.

– Nun, gleichviel! Es gilt hier nicht die Thatsachen zu erklären, sondern zu benutzen.

– Allerdings, lieber Junge, aber …

– Aber wir wollen uns jetzt wieder nach dem Norden wenden, unsern Weg unter Schweden, Rußland, Sibirien und was es sonst für Nordländer Europas giebt, einschlagen, anstatt unter den Wüsten Afrikas oder den Fluthen des Oceans.

– Ja, Axel, Du hast Recht, und das Alles ist ganz gut, weil wir jetzt das horizontale Meer verlassen, welches zu nichts führen konnte. Wir werden jetzt abwärts dringen, immer abwärts! Weißt Du, daß wir bis zum Centrum nur noch fünfzehnhundert Meilen zurückzulegen haben!

– Bah! rief ich aus, das ist wahrhaftig nicht der Rede werth! Also vorwärts! auf den Weg!«

Solche unsinnige Reden führten wir noch, bis wir zu dem Jäger kamen. Alles war zur sofortigen Abfahrt gerüstet, wir bestiegen das Floß, das Segel wurde aufgespannt, und Hans steuerte längs der Küste nach dem Cap Saknussemm.

Der Wind war für ein solches Fahrzeug nicht günstig. Wir mußten daher an manchen Stellen unsere Stöcke zu Hilfe nehmen, um vorwärts zu kommen. Oft waren wir durch Felsen, die bis an die Oberfläche des Wassers strichen, genöthigt, einen weiten Umweg zu nehmen. Endlich, nach drei Stunden, gegen sechs Uhr Abends, kamen wir an einen günstigen Landungsplatz.

Ich sprang an’s Land, hinter mir mein Oheim und der Isländer. Diese Ueberfahrt hatte mich nicht ruhiger gemacht. Ich schlug sogar vor, »unsere Schiffe zu verbrennen«, um uns die Rückkehr abzuschneiden. Aber mein Oheim war dagegen; ich fand ihn äußerst lau.

»Wenigstens, sagte ich, wollen wir unverzüglich uns auf den Weg machen.

– Ja, lieber Junge; aber zuvor müssen wir diese neue Galerie untersuchen, um zu wissen, ob wir unsere Leitern dazu bereit machen müssen.«

Mein Oheim setzte seinen Rühmkorff’schen Apparat in Thätigkeit; das Floß wurde am Ufer angebunden; übrigens war die Mündung der Galerie kaum zwanzig Schritte von da, und wir begaben uns, ich voran, unverzüglich dahin.

Die fast kreisrunde Oeffnung hatte etwa fünf Fuß Durchmesser; der dunkle Tunnel war in lebendig Gestein gebrochen und durch Auswurf-Material, welches durch denselben seinen Weg gefunden, geglättet; unten reichte sie an den Boden, so daß man ohne Schwierigkeit hinein konnte.

Wir gingen erst ganz horizontal, als uns nach sechs Schritten der Weg durch einen ungeheuren Felsblock versperrt war.

»Verdammter Block!« rief ich zornig, als ich mich plötzlich durch ein unübersteigliches Hinderniß gehemmt sah.

Wir mochten suchen, wie wir wollten, rechts und links, oben und unten, es fand sich kein Zugang, keine Spaltung. Ich fühlte mich sehr herabgestimmt und wollte die Wirklichkeit des Hindernisses nicht gelten lassen. Ich bückte mich nieder, schaute oben über den Felsblock. Kein Zwischenraum, überall dieselbe Schranke von Granit. Hans beleuchtete mit der Lampe die Wand allerwärts, aber sie zeigte nirgends eine Lücke. Man mußte darauf verzichten, hier weiter zu kommen.

Ich hatte mich auf den Boden gesetzt; mein Oheim ging mit großen Schritten auf und ab.

»Aber wie ging’s denn Saknussemm? rief ich.

– Ja, sagte mein Oheim, ist er durch diesen Felsen gehemmt gewesen?

– Nein, nein, fuhr ich lebhaft fort. Dieses Felsstück hat, sei’s in Folge eines Erdbebens oder einer magnetischen Einwirkung, den Gang plötzlich versperrt. Offenbar hat diese Galerie früher der Lava einen Weg zum Abfluß gegeben, und die Auswurfgegenstände hatten darin Spielraum. Sehen Sie, es sind frische Ritzen da an der Granitdecke; diese sind durch ungeheure Steine, die sich durchzwängten, entstanden, als wenn Riesen daran gearbeitet hätten; eines Tages hat ein stärkerer Druck diesen Block hineingedrängt, und mit demselben, wie mit einem Gewölbeverschluß, den ganzen Weg versperrt. Dieses Hinderniß, welches Saknussemm nicht vorfand, ist später dahin gekommen. Wir müssen es beseitigen, sonst verdienen wir nicht das Ziel des Mittelpunkts zu erreichen!«

So sprach ich; des Professors Seele war ganz in mich eingedrungen. Der Entdeckungstrieb beseelte mich; ich vergaß darüber die Vergangenheit, verachtete die Zukunft. Es existirte für mich nichts mehr auf der Erdoberfläche; Städte und Land, Hamburg und die Königsstraße zogen mich nicht mehr an, und mein armes Gretchen mußte glauben, ich sei im Schoße der Erde für immer vergraben!

»Nun! fuhr mein Oheim fort, wir wollen mit Spitzhaue und Steinbrecher uns Bahn machen! die Wand sprengen!

– Sie ist zu hart dafür und zu dick!

– Aber …

– Wir haben ja Pulver! Machen wir eine Mine und zersprengen den Block!

– Ja Pulver!

– Es handelt sich nur darum, ein Loch in den Fels zu hauen!

– Hans! an’s Werk!« rief mein Oheim.

Der Isländer holte alsbald von dem Floß eine Spitzhaue, womit er das Loch für die Mine aushauen konnte. Es war das keine geringe Arbeit. Es handelte sich um eine Oeffnung, die fünfzig Pfund Schießbaumwolle fassen konnte, deren Treibkraft viermal so stark ist, als die des Kanonenpulvers.

Ich war erstaunlich aufgeregt. Während Hans die Arbeit verrichtete, war ich meinem Oheim behilflich, eine lange Lunte zu fertigen.

»Wir werden durchdringen! sagte ich.

– Ja durchdringen«, wiederholte mein Oheim.

Zu Mitternacht war unsere Minenarbeit fertig, die Ladung mit Baumwolle in die Höhlung gebracht, und die durch die Galerie laufende Lunte endigte außen.

Ein Funke war im Stande, die fürchterliche Vorrichtung in Thätigkeit zu versetzen.

»Auf Morgen«, sagte der Professor.

Ich mußte mich wohl fügen, und noch fünf volle Stunden warten!

Einundvierzigstes Capitel.


Einundvierzigstes Capitel.

Eine Explosion.

Der folgende Tag, 27. August, war für diese unterirdische Reise von der größten Bedeutung. Ich kann nicht an denselben zurückdenken, ohne daß mir vor Entsetzen das Herz bebt. Von diesem Moment an hatte unsere Vernunft, unser Urtheil, unser Erfindungstalent nichts mehr bei der Sache mitzusprechen, wir sollten ein Spielball der in der Erde wirkenden Naturkräfte sein.

Um sechs Uhr waren wir bei der Hand. Der Moment war gekommen, mittels Pulver einen Weg durch die Granitrinde zu bahnen.

Ich bat mir die Ehre aus, die Mine anzuzünden. Darauf sollte ich zu meinen Gefährten auf das gar nicht abgeladene Floß eilen, um das Weite zu suchen. So suchten wir den Gefahren der Explosion auszuweichen, deren Wirkungen sich über das Innere des Granitkerns hinaus weiter erstrecken konnten.

Die Lunte mußte zehn Minuten lang, unserer Berechnung nach, brennen, bevor das Feuer zum Pulver kam. Ich hatte also Zeit genug, um wieder auf das Floß zu kommen.

Ich rüstete mich, meine Rolle auszuführen, nicht ohne Herzklopfen.

Nachdem wir rasch ein Mahl eingenommen, begaben sich mein Oheim und der Jäger auf das Floß, während ich am Ufer zurückblieb. Ich war zum Behuf des Anzündens mit einer brennenden Laterne versehen.

»Geh, lieber Junge, sagte mein Oheim, und komme gleich wieder zu uns.

– Seien Sie ruhig, versetzte ich, ich werde mich unterwegs nicht aufhalten.«

Alsbald ging ich zur Mündung der Galerie, öffnete die Laterne und faßte das Ende der Lunte.

Der Professor hielt seinen Chronometer in der Hand.

»Fertig? rief er mir zu.

– Fertig! war die Antwort.

– Nun denn! Feuer, mein Junge!«

Rasch zündete ich die Lunte und eilte in vollem Lauf zum Ufer.

»Einsteigen! rief mein Oheim, und abfahren!«

Hans stieß uns mit einem kräftigen Druck vom Ufer ab; das Floß kam in eine Entfernung von zwanzig Klaftern.

Es war ein ängstlicher Augenblick. Der Professor begleitete mit dem Auge den Zeiger des Chronometers.

»Noch fünf Minuten! sprach er. Noch vier! drei!«

Mein Puls schlug die halben Secunden.

»Noch zwei! eine! … Stürze zusammen, Granitbau!«

Was begab sich darauf? Das Donnergetöse vernahm ich gar nicht. Aber die Form der Felsen sah ich plötzlich vor meinen Augen sich ändern; sie gingen wie ein Vorhang auseinander. Ich gewahrte eine unergründliche Schlucht, die am Ufer klaffte. Das Meer, im Wirbel gedreht, thürmte sich auf zu einer ungeheuren Woge, auf deren Rücken das Floß senkrecht sich erhob.

Wir wurden alle Drei niedergeworfen. Das Licht wich tiefster Dunkelheit. Ich fühlte, daß der zuverlässige Grund mangelte, nicht meinen Füßen, sondern dem Floß. Ich meinte, es werde untersinken. Doch kam es dazu nicht. Ich hätte gern mit meinem Oheim gesprochen, aber das Tosen des Wassers hätte ihn gehindert mich zu verstehen.

Trotz dem Dunkel, dem Getöse, der Ueberraschung, der Gemüthsaufregung begriff ich, was vorgegangen war.

Hinter dem Felsen, der eben zersprengt ward, befand sich ein Abgrund. Die Explosion hatte in diesem zerklüfteten Boden eine Art von Erdbeben verursacht, der Schlund sich geöffnet, und das in einen reißenden Strom umgewandelte Meer riß uns mit fort hinein.

Ich hielt mich für verloren.

Eine, zwei Stunden – ich weiß nicht – verflossen dergestalt. Wir schlossen die Ellenbogen an einander, reichten uns die Hände, um nicht aus dem Floß geworfen zu werden. Es setzte die ärgsten Stöße, wenn es an die Wand stieß. Doch traten solche Stöße selten ein, woraus ich schloß, daß die Galerie beträchtlich weiter ward. Es war dies ohne Zweifel Saknussemm’s Weg; aber anstatt denselben allein hinabzusteigen, hatten wir aus Unvorsichtigkeit ein ganzes Meer zur Begleitung.

Diese Gedanken, begreift man, drangen in unbestimmter, unklarer Form in meinen Geist. Es hielt mir schwer, während dieser schwindelhaften Fahrt, die einem Hinabsturz glich, sie in Verbindung zu bringen. Nach dem Luftstrom, der mir in’s Angesicht blies, zu urtheilen, übertraf die Schnelligkeit die unserer Eilzüge. Eine Fackel anzuzünden, war unter diesen Umständen nicht möglich, und unser letzter elektrischer Apparat war bei der Explosion zerbrochen.

Ich war daher überrascht, als ich in meiner Nähe plötzlich ein Licht erglänzen sah. Es beleuchtete das ruhige Antlitz unseres Hans. Dem geschickten Jäger war es gelungen, die Laterne anzuzünden, und obwohl die Flamme hin und her flackerte, warf sie doch einige Strahlen in dies fürchterliche Dunkel.

Die Galerie war breit. Ich hatte sie richtig geschätzt. Das schwache Licht ließ nicht die beiden Wände auf einmal erkennen. Der Fall des Wassers, auf dem wir so reißend fuhren, übertraf den der reißendsten Ströme Amerika’s. Das Floß, manchmal von Wirbeln ergriffen, fuhr dann wie ein Kreisel. Wenn wir einer Wand nahe kamen, hielt ich die Laterne daran, und ich konnte die Schnelligkeit, womit wir fuhren, daraus abnehmen, daß die Vorsprünge wie fortlaufende Linien aussahen. Ich schätzte sie auf dreißig Meilen in der Stunde.

Mein Oheim und ich kauerten mit verstörtem Blick neben dem Stumpf des Mastes, der bei der Katastrophe abgebrochen war, und kehrten der Luftströmung den Rücken, um nur athmen zu können.

Inzwischen verflossen Stunden. Die Lage war unverändert, aber ein Umstand machte sie mißlicher. Ein großer Theil der mitgenommenen Gegenstände war bei der Explosion, als das Meer so ungestüm uns zusetzte, abhanden gekommen. Mit der Laterne in der Hand untersuchte ich unsere Vorräthe. Von den Instrumenten waren nur noch ein Compaß und der Chronometer vorhanden; von Takelwerk nur ein Stück Tau, das um den Maststumpf gewunden war; kein Werkzeug mehr, und Lebensmittel nur noch auf einen Tag, ein Stück getrocknetes Fleisch und etliche Zwieback!

Ich sah mit starrem Blick drein, wollt‘ es nicht begreifen! Wenn auch die Lebensmittel auf Monate reichten, wie konnten wir aus den Abgründen, wohin das reißende Wasser uns trug, herauskommen?

Demnach vergaß ich die unmittelbare Gefahr vor den Schrecken der Zukunft. Wie konnten wir ihnen entrinnen? Aber der Hunger drohte baldige Vernichtung.

Ich getraute mit meinem Oheim nicht davon zu sprechen, um seine Kaltblütigkeit zu schonen.

Nun ward das Licht in der Laterne allmälig schwächer und verlosch endlich, da der Docht völlig verbrannt war. Es ward wieder stockfinster, und es war nicht daran zu denken, das undurchdringliche Dunkel zu verscheuchen. Zwar hatten wir noch eine Fackel, aber man hätte sie gar nicht in der Hand halten können. Da machte ich’s wie ein Kind und schloß die Augen, um die Finsterniß nicht zu sehen.

Nach geraumer Zeit ward die Schnelligkeit unserer Fahrt verdoppelt, wie mir durch die Stärke des Luftzugs, der wider mein Gesicht schlug, fühlbar wurde. Der Fall des Wassers wurde übermäßig; ich glaube wirklich, wir glitten nicht mehr, sondern fielen hinab. Es war mir, als stürzten wir fast senkrecht. Mein Oheim und Hans, die sich fest an meine Arme klammerten, hielten mich kräftig zurück.

Plötzlich spürte ich einen Stoß; das Floß war nicht wider einen harten Körper gestoßen, sondern hielt in seinem Abfall auf einmal inne, und ein Wasserwirbel, eine ungeheure Säule stürzte über seine Oberfläche. Ich verlor den Athem, war überschwemmt …

Doch dauerte diese plötzliche Ueberfluthung nicht lange. In einigen Secunden fühlte ich mich in freier Luft und konnte wieder ungehindert athmen. Mein Oheim und Hans hielten mir den Arm fest, und das Floß trug uns noch alle Drei.

Zweiundvierzigstes Capitel.

Zweiundvierzigstes Capitel.

Bergfahrt im Tunnel.

Es mochte damals zehn Uhr Abends sein. Das erste, was nach diesem letzten Stoß mir auffiel, war, daß es stille ward in der Galerie, nach dem Tosen und Brausen, welches bisher seit langen Stunden mein Ohr erfüllt hatte. Endlich drangen wie ein Gemurmel einige Worte meines Oheims zu meinem Ohr:

»Nun geht’s aufwärts!

– Was meinen Sie damit? rief ich.

– Ja, aufwärts! wir fahren zu Berg!«

Ich streckte den Arm aus, die Wand zu betasten; meine Hand ward blutig. Wir fuhren äußerst rasch bergan.

»Die Fackel! die Fackel!« rief der Professor.

Nicht ohne Schwierigkeit kam Hans damit zu Stande, sie anzuzünden, und die Flamme, welche trotz der aufsteigenden Bewegung aufrecht flackerte, reichte hin, die Scene zu beleuchten.

»Das dacht‘ ich mir wohl, sagte mein Oheim. Wir befinden uns in einem engen Schacht von kaum vier Klafter Durchmesser. Wenn das Wasser auf dem Grund ankommt, trachtet es sein Niveau zu gewinnen, und hebt uns mit sich empor.

– Wohin?

– Ich weiß nicht, aber man muß sich auf Alles gefaßt halten. Die Geschwindigkeit, mit der wir aufwärts kommen, schlage ich auf zwei Klafter in der Secunde an, also hundertundzwanzig in der Minute, d.i. über drei und eine halbe Meile in der Stunde. Auf diese Weise kommt man vorwärts.

– Ja, wenn uns nichts hemmt, wenn dieser Schacht offen ist! Aber wenn er geschlossen ist, wenn die Luft unter dem Druck der Wassersäule allmälig sich verdichtet, wenn wir dann zerdrückt werden!

– Axel, erwiderte der Professor mit großer Ruhe, die Lage ist allerdings fast zum Verzweifeln, aber es ist doch einige Aussicht auf Rettung da, und dies fasse ich jetzt in’s Auge. Können wir jeden Augenblick zu Grunde gehen, so können wir auch jeden Augenblick gerettet werden. Halten wir uns daher gefaßt, die geringsten Umstände zu benützen.

– Aber was fangen wir jetzt an?

– Stärken wir uns durch eine Mahlzeit.«

Bei diesen Worten sah ich meinen Oheim mit starren Augen an. Was ich nicht gestehen wollte, mußte ich nun heraussagen:

»Essen? fragte ich.

– Ja, unverzüglich.«

Der Professor sprach einige Worte dänisch. Hans schüttelte den Kopf.

»Wie, schrie mein Oheim, unsere Lebensmittel verloren?

– Ja, hier dies der ganze Rest! ein Stück Dürrfleisch für uns drei!«

Mein Oheim sah mich an, ohne begreifen zu wollen.

»Nun, sagt‘ ich, glauben Sie noch, daß wir davon kommen können?«

Keine Antwort auf meine Frage.

Eine Stunde verlief, ich fing an starken Hunger zu leiden. Meine Gefährten ebenfalls, aber Keiner wagte den armseligen Rest anzutasten.

Inzwischen kamen wir mit äußerster Schnelligkeit aufwärts. Manchmal versagte uns der Athem, wie den Luftschiffern, welche zu schnell auffahren. Aber wenn diese, nach Verhältniß wie sie in die höheren Luftschichten kommen, gesteigerte Kälte zu empfinden haben, so hatten wir gerade das Gegentheil zu leiden. Die Wärme nahm in beunruhigender Weise zu, und hatte gewiß in diesem Moment vierzig Grad.

Was hatte diese Aenderung zu bedeuten? Bisher hatten die Thatsachen die Theorien Davy’s und Lidenbrock’s bestätigt; bisher hatten die besonderen Bedingungen von feuerbeständigem Gestein, Elektricität, Magnetismus die allgemeinen Naturgesetze modificirt und uns eine gemäßigte Temperatur verschafft, denn in meinen Augen war die Theorie vom Centralfeuer doch die einzig richtige, die allein erklärbare. Sollten wir nun in eine Umgebung kommen, wo diese Erscheinungen in aller Strenge sich vollzogen und die Felsen durch die Hitze vollständig zerschmolzen? Ich fürchtete es und sagte zum Professor:

»Sind wir nicht ertrunken oder zerquetscht, sterben wir nicht Hungers, so bleibt uns immer noch die Aussicht, lebendig zu verbrennen.«

Er zuckte nur die Achseln und sank in seine Betrachtungen zurück.

Eine Stunde verlief weiter, und, ausgenommen eine geringe Steigerung der Temperatur, hatte kein Zwischenfall die Lage verändert. Endlich brach mein Oheim das Schweigen.

»Sehen wir, sprach er, man muß eine Entschließung fassen.

– Eine Entschließung fassen? entgegnete ich.

– Ja. Wir müssen unsere Kräfte ersetzen. Wenn wir versuchen, durch Sparung dieses Restes unser Dasein um einige Stunden zu verlängern, so werden wir bis zu Ende schwach sein.

– Ja, bis zum Ende, das nicht auf sich warten lassen wird.

– Wenn nun eine Gelegenheit der Rettung sich ergiebt, das Handeln im Moment nothwendig wird, woher nehmen wir die Kraft zum Handeln, wenn wir uns durch Nahrungsmangel abschwächen lassen?

– Aber, Oheim, was bleibt uns dann, wenn dieser Rest aufgezehrt ist?

– Nichts, Axel, nichts. Aber wird’s Dich mehr nähren, wenn Du es mit den Augen verzehrst? Du urtheilst wie ein Mensch ohne Willenskraft, ein Geschöpf ohne Energie!

– Verlieren Sie denn nicht die Hoffnung? rief ich gereizt.

– Nein! entgegnete fest der Professor.

– Wie? Sie glauben noch an eine Möglichkeit der Rettung?

– Ja! Gewiß, ja! und ich lasse nicht gelten, daß ein mit Willen begabtes Geschöpf, so lange sein Herz schlägt, so lange sein Fleisch zuckt, der Verzweiflung Raum gebe.«

Welche Worte! Der Mann, welcher unter solchen Umständen sie aussprach, hatte sicherlich einen ungewöhnlich festen Charakter.

»Schließlich, sagte ich, was denken Sie zu thun?

– Diesen Rest von Nahrung bis zum letzten Krümchen aufzehren, und damit unsere Kräfte ersetzen. Wird dieses Mahl unser letztes sein, gut! aber zum Mindesten werden wir dann, anstatt entkräftet, wieder Menschen geworden sein.

– Nun denn! so verschlingen wir’s!« rief ich aus.

Mein Oheim nahm das Stück Fleisch und den wenigen Zwieback, welcher aus dem Schiffbruch gerettet war, machte daraus drei gleiche Portionen und theilte sie aus. Es betrug für den Mann etwa ein Pfund Nahrung. Der Professor verzehrte es gierig, mit fieberhaftem Ungestüm; ich, ohne Behagen, trotz meines Hungers fast mit Widerwillen; Hans ruhig, langsam, kaute stille kleine Stückchen, und genoß sie mit der Ruhe eines Menschen, den die Sorgen um die Zukunft nicht quälten. Er hatte noch eine halbe Flasche Wachholderbranntwein aufgefunden und bot uns denselben an. Dieser wohlthuende Trunk vermochte mich ein wenig wieder zu beleben.

»Förtrafflig! sagte Hans, indem er trank.

– Vortrefflich!« stimmte mein Oheim ein.

Ich hatte wieder einige Hoffnung gefaßt. Aber unser letztes Mahl war nun zu Ende. Es war fünf Uhr frühe.

Nach dieser Mahlzeit gab sich jeder seinem Gedankenspiel hin, Hans, dieser Mann des äußersten Westens, einer fatalistischen Resignation der Orientalen. Meine Gedanken bestanden nur aus Erinnerungen, und die führten mich auf die Oberfläche der Erde, welche ich nie hätte verlassen sollen: das Haus der Königsstraße, mein armes Gretchen, die gute Martha, schwebten mir als wie Phantome vor Augen. Mein Oheim, der stets, was er that, mit ganzer Seele betrieb, untersuchte mit der Fackel achtsam die Natur der Erdarten. Ich hörte ihn geologische Worte murmeln; ich verstand sie und interessirte mich wider Willen dafür.

»Ausgeworfener Granit, sagte er. Wir befinden uns noch in der Urzeit; aber es geht aufwärts! Wer weiß?«

Wer weiß? Er hegte stets Hoffnung. Eigenhändig betastete er die senkrechte Wand, und nach einigen Augenblicken fuhr er fort:

»Hier ist Gneis! Hier Glimmerschiefer! Gut! Bald wird das Erdreich aus der Uebergangsepoche kommen, und dann …«

Was wollte der Professor damit sagen? Konnte er die Dicke der Erdrinde über unserem Kopf messen? Besaß er irgend ein Mittel, diese Berechnung vorzunehmen? Nein. Es fehlte der Manometer, und keine Schätzung konnte ihn ersetzen.

Indessen nahm die Wärme in steigendem Verhältniß zu, und wir waren von Schweiß bedeckt inmitten glühender Atmosphäre. Hans, mein Oheim und ich, wir hatten allmälig unsere Westen und Gilets ablegen müssen; die leichteste Kleidung verursachte Uebelbefinden, wo nicht Schmerzen.

»Fahren wir denn auf einen weißglühenden Herd zu? rief ich aus, als die Hitze zunahm.

– Nein, erwiderte mein Oheim, das ist unmöglich! unmöglich!

– Jedoch, sagte ich, die Wand betastend, diese Wand ist ja brennend heiß!«

In dem Augenblick gerieth meine Hand in’s Wasser und ich mußte sie rasch herausziehen.

»Das Wasser ist siedend!« rief ich aus.

Diesmal antwortete der Professor nur mit einer zornigen Bewegung.

Jetzt aber befiel mein Gehirn ein unüberwindlicher Schrecken, und verließ es nicht mehr. Ich hatte die Ahnung einer bevorstehenden Katastrophe, so wie die kühnste Phantasie sie nicht hätte fassen können. Eine Idee, erst unbestimmt, unsicher, wurde mir im Geiste zur Gewißheit. Ich wies sie zurück, aber sie drängte sich hartnäckig wieder auf. Ich wagte nicht, ihr eine Fassung zu geben. Doch einige unwillkürliche Beobachtungen bestimmten meine Ueberzeugung. Beim unstäten Fackelschein bemerkte ich in den Granitschichten außerordentliche Bewegungen; eine Naturerscheinung, wobei die Elektricität eine Rolle spielte, war offenbar im Begriff, sich zu vollziehen; sodann diese übermäßige Hitze, dies siedende Wasser! … Ich wollte den Compaß befragen.

Dreiundvierzigstes Capitel.


Dreiundvierzigstes Capitel.

Ausgeworfen aus dem Krater.

Ja, irre! Die Nadel sprang von einem Pole zum andern in grellen Stößen, durchlief die ganze Zeigerscheibe und dann rückwärts, als sei sie von Schwindel befallen.

Ich wußte wohl, daß, nach den verbreitetsten Theorien die minerale Erdrinde nie im Zustand völliger Ruhe ist; die von der Zersetzung der inneren Stoffe veranlaßten Modificationen, die von den großen Strömungen herrührende Erschütterung, die Einwirkung des Magnetismus trachten sie unablässig zu erschüttern, selbst dann, wenn die auf ihrer Oberfläche verbreiteten Geschöpfe keine Ahnung von seiner Thätigkeit haben. Diese Erscheinung hätte mich daher nicht weiter erschreckt, oder hätte wenigstens nicht in meinem Geiste eine schreckliche Idee aufkommen lassen.

Aber andere Thatsachen, gewisse Details eigenthümlicher Art, konnten mich nicht länger täuschen. Mit erschreckender Heftigkeit wiederholte sich häufiges Getöse. Ich konnte es nur mit dem Lärm vergleichen, welchen eine große Anzahl Karren, die reißend schnell über’s Pflaster fahren, verursachen. Es war ein ununterbrochenes Donnergeroll.

Sodann die durch elektrische Erscheinungen aus der Ordnung gebrachte Magnetnadel bestätigte meine Vermuthung, die minerale Rinde drohte zu bersten, der granitene Grundbau sich zusammenzufügen, die Spalten fest zu schließen, die leeren Räume sich auszufüllen, und wir arme Atome würden dann jämmerlich zerdrückt.

– »Oheim, lieber Oheim! wir sind verloren! rief ich aus.

– Was für ein neuer Schrecken? erwiderte er mit auffallender Ruhe. Was hast Du denn vor?

– Sehen Sie doch, wie diese Wände wanken, der Grundbau aus den Fugen geht, diese glühende Hitze, dies siedende Wasser, diese sich verdichtenden Dünste, die irre Magnetnadel, lauter Anzeigen eines Erdbebens!«

Mein Oheim schüttelte sanft den Kopf.

»Ein Erdbeben? sagte er.

– Ja!

– Lieber Junge, ich glaube, Du irrst!

– Wie? Erkennen Sie diese Voranzeichen nicht? …

– Eines Erdbebens? nein! Ich bin auf Besseres gefaßt!

– Was meinen Sie damit?

– Einen Ausbruch, Axel.

– Einen Ausbruch! sagte ich. Wir befinden uns im Schlund eines thätigen Vulkans!

– Ich denke, sagte der Professor lächelnd, und das ist ja das Glücklichste, was uns treffen kann!«

Das Glücklichste! War mein Oheim ein Narr geworden? Was wollte das bedeuten? Und dabei die Gemüthsruhe und das Lächeln?

»Wie! rief ich aus, wir sind in einem Ausbruch begriffen! Das Verhängniß hat uns zur glühenden Lava verschlagen, den Felsen im Feuer, dem siedenden Wasser, allem Auswurfstoff! Wir werden hinausgestoßen, weggeworfen, ausgespieen, in die Lüfte geschleudert mit den Felsblöcken, dem Aschenregen, den Schlacken, in einem Flammenstrudel, und dies ist das Glücklichste, was uns begegnen kann!

– Ja, versetzte der Professor, und sah mich durch seine Brille an, denn es liegt darin die einzige Aussicht, wieder auf die Oberfläche der Erde zu kommen!«

Tausend Ideen kreuzten sich in meinem Gehirn. Mein Oheim hatte Recht, unbedingt Recht, und nie ist er mir kühner, nie überzeugter vorgekommen, als in dem Moment, wo er auf einen Ausbruch gefaßt, die Aussichten dabei mit Seelenruhe erwog.

Inzwischen kamen wir stets aufwärts; die Nacht verlief unter dieser Bewegung nach oben; das Getöse umher verdoppelte sich; ich war am Ersticken, glaubte, meine letzte Stunde sei gekommen, und doch, die Phantasie ist so wunderlich, daß ich mich einer wahrhaft kindischen Untersuchung hingab. Ich war nicht Herr meiner Gedanken, sondern von ihnen fortgerissen.

Offenbar wurden wir von einem Drängen zum Ausbruch fortgeschoben; unter dem Floß befand sich siedendes Wasser, und unter diesem Wasser eine Lavateig-Masse, eine Anhäufung von Felsstücken, die auf dem Kratergipfel in alle Richtungen zerstreut werden sollten. Wir befanden uns also in dem Schlund eines Vulkans; daran war nicht zu zweifeln.

Aber diesesmal handelte sich’s, anstatt des erloschenen Snäfields um einen solchen in voller Thätigkeit. Ich stellte mir also die Frage, was dies für ein Berg sein könne, und an welcher Stelle der Welt wir sollten ausgeworfen werden.

In den Nordgegenden, daran war nicht zu zweifeln. Von dem Cap Saknussemm an waren wir einige hundert Meilen weit gerade nördlich fortgerissen worden. Befanden wir uns unter Island? Sollten wir durch den Krater des Hekla oder einen der andern sieben feuerspeienden Berge der Insel ausgeworfen werden? In einem Umkreis von fünfhundert Meilen sah ich westwärts unter diesem Breitegrad nur die wenig bekannten Vulkane der Nordwestküste von Amerika. Ostwärts gab’s nur einen unterm achtzigsten Grad, den Esk auf der Insel Mayen unweit Spitzbergen! Allerdings an Kratern fehlte es nicht, und zwar die geräumig genug waren, um eine ganze Armee auszuspeien! Aber welcher uns dienen sollte, um herauszukommen, das bemühte ich mich zu errathen.

Gegen Morgen beschleunigte sich die aufsteigende Bewegung. Nahm die Hitze zu, anstatt bei Annäherung an die Erdoberfläche abzunehmen, so war die Ursache eine locale unter Einfluß eines Vulkans. Ueber die Art unserer Fortbewegung hatte ich nicht den geringsten Zweifel mehr. Eine ungeheure Gewalt, die Kraft von mehreren hundert Atmosphären, welche im Schoße der Erde aufgehäufte Dünste erzeugt hatten, drängte uns unwiderstehlich. Aber welchen unzähligen Gefahren setzte sie uns aus!

Bald drangen gelbe Reflexe in die Galerie, welche nun weiter wurde; ich bemerkte rechts und links tiefe Gänge gleich ungeheuren Tunnels, woraus dichte Dünste entwichen; Flammenzungen beleckten knisternd ihre Wände.

»Sehen Sie! Sehen Sie, lieber Oheim, rief ich.

– Nun, das sind Schwefelflammen. Das ist bei einem Ausbruch ganz natürlich.

– Aber wenn sie uns umgeben?

– Sie werden uns nicht umgeben.

– Aber wenn sie uns ersticken?

– Sie werden uns nicht ersticken. Die Galerie wird weiter, und nöthigenfalls verlassen wir das Floß, und flüchten uns in eine Kluft.

– Und das Wasser! das steigende Wasser?

– Es ist kein Wasser mehr, Axel, sondern eine Art Lavateig, die uns bis zur Mündung des Kraters emporschiebt.«

An Stelle der Wassersäule waren in der That jetzt ziemlich dichte, obwohl siedende Auswurfstoffe getreten. Die Temperatur ward unerträglich, und ein Thermometer würde über siebenzig Grad gezeigt haben! Der Schweiß rann mir aus allen Poren. Nur das rasche Aufwärtsfahren bewahrte uns vor Ersticken.

Doch führte der Professor den Vorschlag, das Floß zu verlassen, nicht aus, und that wohl daran. So schlecht diese Balken zusammengefügt waren, boten sie doch eine feste Oberfläche, einen Stützpunkt, der uns sonst überall gefehlt hätte.

Gegen acht Uhr Morgens ergab sich zum ersten Mal ein neuer Zwischenfall. Die aufsteigende Bewegung hörte plötzlich auf. Das Floß hielt durchaus unbeweglich an.

»Was ist das? fragte ich, durch das plötzliche Anhalten wie durch einen Stoß gerüttelt.

– Ein Halt, erwiderte mein Oheim.

– Hält der Ausbruch inne?

– Ich hoffe nicht.«

Ich stand auf, versuchte umher zu schauen. Vielleicht verursachte das Floß, indem es durch einen Felsvorsprung aufgehalten wurde, einen vorübergehenden Widerstand gegen die ausbrechende Masse. In diesem Falle mußte man sich beeilen, es so schnell wie möglich frei zu machen.

Dies war nicht der Fall. Die Masse von Asche, Schlacken und Steingerölle hatte selbst zu steigen aufgehört.

»Wird der Ausbruch inne halten? rief ich.

– Ah! sagte mein Oheim, Du fürchtest es, lieber Junge; aber beruhige Dich, diese Pause kann nicht lange dauern; bereits fünf Minuten sind vorüber, und bald werden wir unser Emporsteigen zur Mündung des Kraters fortsetzen.«

Der Professor beobachtete, während er sprach, unablässig seinen Chronometer, und er sollte nochmals Recht haben in seinen Vorausvermuthungen. Bald wurde das Floß wieder von einer raschen unordentlichen Bewegung ergriffen, die etwa zwei Minuten dauerte.

»Gut, sagte mein Oheim, und sah dabei auf die Uhr, in zehn Minuten wird es sich wieder in Bewegung setzen.

– Zehn Minuten?

– Ja. Wir haben’s mit einem Vulkan zu thun, dessen Ausbrüche mit Unterbrechungen vor sich gehen. Er läßt uns ausruhen.«

Dies war völlig richtig. Auf die angesagte Minute wurden wir von Neuem mit äußerster Schnelligkeit fortgestoßen. Wir mußten uns an die Balken festklammern, um nicht von dem Floß weggeschleudert zu werden. Dann hielt der Stoß wieder ein.

Seitdem hab‘ ich über diese auffallende Erscheinung nachgedacht, ohne eine befriedigende Erklärung zu finden. Doch scheint es mir klar, daß wir uns nicht in dem Hauptschlund des Vulkans befanden, sondern etwa in einem Nebengang, wo in der That ein Gegenschlag sich fühlbar machte.

Wie oft sich solch ein Ruck wiederholte, kann ich nicht sagen. Nur das kann ich angeben, daß wir bei jeder Erneuerung der Bewegung mit zunehmender Gewalt, und wie von einem Projectil fortgerissen, emporgeschoben wurden. Während der Pausen war’s zum Ersticken; während des Fortschiebens machte mir die glühende Luft das Athmen unmöglich. Allmälig übrigens, durch die wiederholten Erschütterungen erschöpft, verlor ich die Besinnung. Ohne unsers Hans Arme hätte ich mehr wie einmal mir den Schädel an der Granitwand zerschmettert.

Ich habe daher keine genaue Erinnerung von dem, was in den folgenden Stunden vorging, behalten. Ich habe das unklare Bewußtsein von unaufhörlichem donnerartigen Getöse, von der Erschütterung des Grundbaues, von einer kreiselartigen Bewegung, welche das Floß ergriff. Es schaukelte über Lavawogen inmitten eines Aschenregens, umgeben von schnaufenden Flammen. Ein Orkan, als käme er von einem ungeheuren Blasebalg, fachte die unterirdischen Feuer an. Zum letzten Male sah ich unsers Hans Antlitz im Widerschein einer Feuersbrunst, und ich hatte kein anderes Gefühl, als das unselige Entsetzen der Unglücklichen, welche vor die Mündung einer Kanone gebunden sind, im Moment wo der Schuß losgeht, um ihre Glieder in die Lüfte zu zerstreuen.

Vierundvierzigstes Capitel.


Vierundvierzigstes Capitel.

Stromboli.

Als ich wieder die Augen aufschlug, fühlte ich mich von der kräftigen Hand unsers Führers am Gürtel gefaßt. Mit der andern stützte er meinen Oheim. Ich war nicht schwer verwundet, sondern mehr am ganzen Körper zerschlagen und gelähmt. Ich lag auf dem Abhang eines Berges, zwei Schritte von einem Schlund, in welchen die geringste Bewegung mich hinabgestürzt hätte. Hans hatte mich vom Tode gerettet, während ich über die Seitenwand des Kraters rollte.

»Wo sind wir?« fragte mein Oheim, welcher mir aufgebracht vorkam, daß er wieder auf die Erde zurück gekommen sei.

Der Jäger zuckte mit den Achseln, um kund zu geben, daß er’s nicht wisse.

»In Island, sagte ich.

– Nej, erwiderte Hans.

– Wie? Nein? rief der Professor.

– Hans irrt«, sagte ich; und stand auf.

Nach den unzähligen Ueberraschungen dieser Reise war uns eine erstaunliche noch vorbehalten. Ich war darauf gefaßt, einen mit ewigem Schnee bedeckten Kegel zu sehen, mitten in den dürren Wüsteneien der nördlichen Gegenden, und ganz dem entgegen lagen wir am Abhange eines Berges, der von den glühenden Strahlen einer versengenden Sonne ausgetrocknet war.

Ich wollte nicht meinen Augen trauen; aber der Sonnenbrand, den mein Körper wirklich zu erleiden hatte, benahm allen Zweifel. Wir waren halbnackt aus dem Krater herausgekommen, und das strahlende Gestirn, welches uns seit zwei Monaten nichts gespendet hatte, zeigte sich gegen uns freigebig mit Licht und Wärme.

Als sich meine Augen an diesen Glanz wieder gewöhnt hatten, war ich bemüht, unseren Irrthum zu berichtigen.

Der Professor ergriff zuerst das Wort, und sprach:

»Wirklich, das sieht nicht aus wie Island.

– Aber doch wie die Insel Mayen? erwiderte ich.

– Auch das nicht, lieber Junge; es ist kein Vulkan des Nordens mit einer Schneekoppe.

– Doch …

– Sieh! Axel, sieh nur!«

Höchstens fünfhundert Fuß über unserm Kopf öffnete sich der Krater eines Vulkans, aus welchem von Viertel- zu Viertelstunde mit starkem Donnergetöse eine hohe Flammensäule, vermischt mit Bimsstein, Asche und Lava hervordrang. Nach unten, über einen ziemlich steilen Abhang, ergossen sich ausgeworfene Stoffe in Streifen sieben- bis achthundert Fuß hinab, woraus sich für den Vulkan eine Gesammthöhe von dreihundert Klafter ergab. Sein Fuß verlor sich in einem wahren Garten grüner Bäume, unter denen ich Oelbäume, Feigen und mit rothen Trauben reich beladene Reben unterschied.

So sehen nicht nordische Länder aus, das mußte man zugeben.

Wenn der Blick über diese grüne Umgebung hinausschweifte, verlor er sich gleich in den Gewässern eines wunderlichen Meers oder See’s, der dieses Zauberland zu einer großen Insel von kaum einigen Meilen machte. Oestlich sah man hinter einigen Häusern einen kleinen Hafen, worin eigenthümlich geformte Schiffe auf azurblauen Wogen schaukelten. Weiter hinaus ragten Inselgruppen aus der Wasserfläche hervor, so zahlreich, daß sie wimmelten wie ein Ameisenhaufen. Westlich begrenzte fernes Küstenland den Horizont; auf der einen war in harmonisch geformten Umrissen blaues Gebirg gezeichnet; auf den anderen, die ferner waren, sah man einen erstaunlich hohen Bergkegel, aus dessen Spitze eine Rauchsäule aufstieg. Nördlich schimmerte in den Sonnenstrahlen eine unendlich weite Wasserfläche, woraus hier und dort ein Mast oder ein schwellendes Segel hervorglänzte.

Das Ueberraschende eines solchen Anblicks erhöhte noch hundertfach die wunderbare Schönheit desselben.

»Wo sind wir? wo sind wir?« wiederholte ich leise. Hans schloß gleichgiltig seine Augen, und mein Oheim schaute das zauberhafte Bild, ohne es zu begreifen.

»Wie auch dieser Berg heißen mag, sagte er endlich, es ist hier ein wenig heiß; die Explosionen dauern ununterbrochen fort, und es verlohnte wahrhaftig nicht der Mühe, einem Ausbruch glücklich entronnen zu sein, um einen Felsblock auf den Kopf zu bekommen. Wir wollen hinabsteigen, da werden wir erfahren, woran wir sind. Uebrigens hab‘ ich Hunger und Durst zum Sterben.«

Gewiß, der Professor war kein schwärmerischer Kopf. Ich meinerseits hätte Bedürfniß und Strapazen vergessen, und wäre noch Stunden lang an dieser Stelle geblieben, aber ich mußte mich meinen Gefährten anschließen.

Der Abhang des Vulkans war sehr steil; wir glitten in Schluchten voll Asche, indem wir den Lavaströmen auswichen, welche gleich feurigen Schlangen hinabflossen. Beim Hinabsteigen plauderte ich geschwätzig, denn meine volle Phantasie mußte sich aussprechen.

»Wir sind in Asien, rief ich aus, an Indiens Küsten, auf den Malaischen Inseln, in Oceanien! Wir sind durch die Hälfte des Erdballs gefahren, um bei den Antipoden Europa’s herauszukommen.

– Aber die Magnetnadel? erwiderte mein Oheim.

– Ja, die Magnetnadel! sagte ich verlegen. Sollten wir ihr glauben, so sind wir stets nordwärts gefahren.

– Also hat sie gelogen?

– O! Gelogen!

– Sofern nicht hier der Nordpol liegt!

– Der Pol nicht; aber …«

Es lag hier eine unerklärliche Thatsache vor.

Indessen näherten wir uns der grünen Ebene, welche einen so freundlichen Anblick gewährte. Hunger und Durst quälten mich. Zum Glück bot sich, nachdem wir zwei Stunden gegangen, unsern Blicken ein hübsches Feldstück dar, das ganz mit Oliven- und Granatbäumen und Reben bedeckt war, welche aussahen, als seien sie Jedermanns Eigenthum. Uebrigens nahmen wir’s, in unserem entblößten Zustand, damit nicht so genau. Wie erquickten uns da die saftigen Früchte und die rothen Trauben, womit wir zur Sättigung uns labten! Nicht weit entfernt entdeckte ich im Grase unter köstlichem Baumschatten eine kalte, sprudelnde Quelle, womit wir uns Angesicht und Hände erfrischten.

Während wir so in diesen Labungen uns erholten, zeigte sich ein Knabe zwischen dem Olivengebüsch.

»Ah! rief ich, ein Bewohner dieser glücklichen Landschaft!« Es war ein armer, elend gekleideter Junge, den offenbar unser Anblick in Schrecken setzte; und wirklich, halb bekleidet mit wilden Bärten, hatten wir wohl ein schlimmes Aussehen, und wäre dies Land nicht eine Räuberheimat, so waren wir geeignet, seinen Bewohnern Schrecken einzujagen.

Sowie der Junge entfliehen wollte, lief ihm Hans nach und brachte ihn trotz alles Schreiens und Sträubens zurück. Mein Oheim, um ihn auf’s beste zu beruhigen, redete ihn zuerst auf gut Deutsch an:

»Wie heißt dieser Berg, lieber Kleiner?«

Keine Antwort.

»Gut, sagte mein Oheim, in Deutschland sind wir nicht.«

Er that dieselbe Frage auf Englisch.

Der Knabe antwortete auch darauf nicht. Ich war sehr verlegen.

»Ist er denn stumm?« rief der Professor, und da er auf seine Sprachenkenntniß sich etwas einbildete, stellte er ihm dieselbe Frage im Französischen.

Wieder keine Antwort.

»So versuchen wir Italienisch«, fuhr mein Oheim fort, und fragte in dieser Sprache:

»Wo sind wir?«

Gleiches Schweigen. Nun aber ward mein Oheim zornig, und zupfte den Knaben bei den Ohren und rief: »Ei was! wirst Du reden? Wie heißt diese Insel?«.

– Stromboli, erwiderte der Hirtenknabe, machte sich von Hans los und lief querfeldein durch den Olivengarten.

Wir dachten nicht mehr an ihn. Stromboli! Wie regte dieses unerwartete Wort meine Phantasie an! Wir befanden uns in der Mitte des Mittelländischen Meeres, auf der Insel, wo einst Aeolus die Winde und Stürme gefesselt hielt. Und diese blauen Berge im Osten waren die Berge Calabriens! und dieser am südlichen Horizont ragende Vulkan der fürchterliche Aetna.

»Stromboli! Stromboli!« rief ich wiederholt, und stimmte ein Loblied an, wobei mein Oheim mich begleitete:

O! wundervolle Reise! Hinabgefahren durch einen Vulkan in den Schoß der Erde, kamen wir durch einen anderen wieder heraus, und dieser lag über zwölfhundert Meilen vom Snäfields entfernt, von dem öden Island an den Grenzmarken der Erde! Die Wechselfälle dieser Fahrt haben uns unter den lieblichsten Gegenden des Erdbodens hergeführt. Wir verließen die Region des ewigen Schnees gegen die des ewigen Grün, und den grauen Nebel der Eiszonen über unseren Köpfen gegen den lasurblauen Himmel Siciliens!

Nach einem köstlichen Mahl aus Obst und frischem Wasser machten wir uns wieder auf den Weg nach dem Hafen von Stromboli. Es schien uns nicht klug, offen zu sagen, wie wir auf die Insel gekommen waren; der abergläubische Sinn der Italiener würde uns für Teufel, welche die Hölle ausgespien, angesehen haben; es war daher gerathen, daß wie uns für Schiffbrüchige ausgeben.

Unterwegs hörte ich meinen Oheim murmeln:

»Aber die Magnetnadel! Die Magnetnadel, die Norden zeigte! wie ist dies zu erklären?

– Wahrhaftig! sagte ich mit vornehmer Verachtung, man braucht gar nicht zu erklären, das ist leichter!

– Das wäre! ein Professor am Johanneum sollte den Grund einer kosmischen Naturerscheinung nicht anzugeben wissen! Das wäre eine Schande!«

Bei diesen Worten ward mein Oheim, halb bekleidet, den Ledergürtel um die Hüften und die Brille über der Nase wieder der fürchterliche Professor der Mineralogie.

Eine Stunde, nachdem wir das Olivenwäldchen verlassen, kamen wir im Hafen S. Vicenzo an, wo Hans den Lohn für seine dreizehnte Woche forderte, der ihm auch mit wärmstem Handschlag verabfolgt wurde.

Er fühlte einige besondere Rührung, drückte mit seinen Fingern leise unsere Hände und lächelte.

Fünfundvierzigstes Capitel.


Fünfundvierzigstes Capitel.

Schluß.

Nun komme ich zum Schluß meines Berichts, welchem Manche, so sehr sie sich auch gewöhnt haben über nichts zu erstaunen, den Glauben versagen werden. Aber ich bin zum Voraus gegen den Unglauben der Menschen gerüstet.

Die Fischer zu Stromboli nahmen uns mit allen Rücksichten auf, welche man Schiffbrüchigen zollt. Sie beschenkten uns mit Kleidung und Lebensmitteln. Nachdem wir achtundvierzig Stunden gewartet, brachte uns eine kleine Barke nach Messina, wo wir uns in einigen Tagen völlig ausruhten und erholten.

Freitags, 4. September, gingen wir auf dem Volturno, einem Post-Packetboot der kaiserlichen Messagerien, unter Segel, und landeten nach drei Tagen zu Marseille, ohne weitere Sorge, als über die verdammte Magnetnadel, denn diese unerklärliche Thatsache quälte mich ernstlich. Am 9. September Abends langten mir zu Hamburg an. Unbeschreiblich war das Erstaunen Martha’s, Gretchen’s Jubel.

»Nun, da Du ein Held bist, sagte meine liebe Braut, brauchst Du mich nicht mehr zu verlassen, Axel!«

Ich sah ihr in’s Auge. Sie weinte lächelnd.

Daß des Professors Lidenbrock Rückkehr zu Hamburg Aufsehen machte, versteht sich von selbst. Durch Martha’s Redseligkeit war die Nachricht von seiner Abreise nach dem Mittelpunkt der Erde überall verbreitet worden. Man glaubte nicht daran, und als man ihn wiedersah, glaubte man’s noch weniger.

Jedoch durch die Anwesenheit unsers Hans, und einige Nachrichten, die man aus Island erhielt, änderte sich allmälig die öffentliche Meinung. Nun wurde mein Oheim ein großer Mann, und ich der Neffe eines großen Mannes, und das ist schon Etwas. Hamburg gab uns zu Ehren ein Fest. Im Johanneum fand eine öffentliche Sitzung statt, worin der Professor einen Bericht über seine Unternehmung vortrug. An demselben Tage legte er Saknussemm’s Document im Archiv der Stadt nieder, und erklärte sein lebhaftes Bedauern, daß ihm die Umstände nicht erlaubt hätten, die Spuren des isländischen Reisenden bis zum Mittelpunkt der Erde weiter zu verfolgen.

So viel Ehre mußte ihm Neider erwecken. Es fehlte daran nicht, und da seine Theorien, auf zuverlässige Thatsachen gestützt, den wissenschaftlichen Systemen über die Frage des Centralfeuers widersprachen, so hatte er mit den Gelehrten aller Länder merkwürdige Streitigkeiten zu bestehen.

Ich meines Theils kann seine Theorie des Erkaltens nicht gelten lassen, trotzdem, was ich gesehen habe, glaube ich an die Centralwärme, und werde stets daran glauben; doch gebe ich zu, daß gewisse, noch nicht hinlänglich bestimmte Umstände dieses Gesetz unter Einwirkung von Naturerscheinungen modificiren können.

Zur Zeit als diese Fragen lebhaft im Zug waren, erlitt mein Oheim einen herben Kummer. Hans, den das Heimweh befiel, verließ trotz seiner Bitten Hamburg. Der Mann, dem wir Alles verdankten, wollte das nicht gestatten, ihm den Tribut unserer Dankbarkeit zu zollen.

»Farval«, sagte er eines Tages, und nach diesem einfachen Abschied reiste er nach Reykjawik, wo er glücklich ankam.

Wir waren unserem wackeren Eiderjäger sehr anhänglich. Die ihm ihr Leben verdankten, werden seiner stets in Liebe gedenken, und ich werde gewiß vor meinem Ende ihn noch besuchen.

Zum Schluß darf ich beifügen, daß diese Reise nach dem Mittelpunkt der Erde ungeheures Aufsehen in der ganzen Welt erregte. Sie wurde gedruckt und in alle Sprachen übersetzt; die gelesensten Journale eigneten sich ihre wichtigsten Capitel an, und sie wurden dann erläutert, erörtert, angegriffen, vertheidigt mit gleicher Ueberzeugung im Lager der Gläubigen und Ungläubigen. Es wurde meinem Oheim die seltene Gunst des Schicksals zu Theil, daß er noch bei Lebzeiten seinen vollen Ruhm genoß, sodaß sogar Barnum ihm den Antrag machte, ihn für hohen Preis in allen Vereinigten Staaten öffentlich sehen zu lassen.

Aber mitten in diesem Ruhm beschlich ihn ein Unbehagen, quälte ihn eine Pein: die unerklärliche Thatsache der Magnetnadel. Für einen Gelehrten wird eine solche unerklärte Thatsache zu einer Qual des Verstandeslebens. Nun, der Himmel beschied meinem Oheim die Vollständigkeit seines Glückes.

Eines Tages, als ich eine Sammlung Mineralien in seinem Cabinet ordnete, kam mir dieser merkwürdige Compaß unter die Augen, und ich beobachtete ihn.

Seit sechs Monaten befand er sich in seinem Winkel, ohne zu ahnen, welche Unruhe er verursachte.

Auf einmal, welch Erstaunen! Ich schrie laut auf. Der Professor kam eilig herbei.

»Was giebt’s, fragte er.

– Dieser Compaß! …

– Nun?

– Seine Nadel weist auf Süden und nicht auf Norden!

– Was sagst Du?

– Sehen Sie! Die Pole verkehrt.

– Verkehrt!«

Mein Oheim schaute, verglich und sprang auf, daß das Haus erzitterte.

Welches Licht drang auf einmal in seinen und meinen Geist!

»Also, rief er aus, sobald er wieder sprechen konnte, seit unserer Ankunft am Cap Saknussemm zeigte die verdammte Nadel auf Süden anstatt auf Norden?

– Offenbar.

– Dadurch erklärt sich unsere Irrfahrt. Aber welches Ereigniß konnte die Umkehrung der Pole bewirken?

– Ein sehr einfaches.

– Sprich Dich aus, lieber Junge.

– Während des Sturmes auf dem Meer Lidenbrock hat die Kugel, welche das Eisen des Flosses magnetisirte, unsere Nadel ganz einfach irre gemacht.

– So! rief der Professor mit hellem Lachen, da hat also die Elektricität einen Streich gespielt?«

Von diesem Tag an war mein Oheim der glücklichste Gelehrte, und ich der glücklichste Mensch, denn meine hübsche Vierländerin, die mündig geworden, nahm in dem Hause in der Königsstraße die doppelte Stellung an als Nichte und Ehefrau. Dazu kam sodann, daß ihr Oheim der berühmte Professor Otto Lidenbrock war, correspondirendes Mitglied aller wissenschaftlichen, geographischen und mineralogischen Gesellschaften der ganzen Welt.