XXIV.


XXIV.

Am 4. December. – Der erste Versuch einer Empörung ist durch das energische Auftreten Robert Kurtis‘ vereitelt worden. Wird der Kapitän in Zukunft ebenso glücklich sein? Man muß es hoffen, denn eine undisciplinirte Mannschaft müßte die ohnehin ernste Situation ganz unerträglich machen.

Auch während der Nacht dürfen die Pumpen nicht feiern. Die Bewegungen des Schiffes sind schwerfällig; da es sich kaum mit den Wellen erhebt, so überfluthen es auch häufig Sturzseen, deren Wasser durch die geöffneten Luken eindringt und das schon im Raume vorhandene vermehrt.

Unsere Lage wird nun bald ebenso bedrohlich, wie in den letzten Tagen der Feuersbrunst. Passagiere, Mannschaften, Alle merken es, daß das Fahrzeug ihnen unter den Füßen schwindet, und sehen langsam, aber ununterbrochen das Wasser in demselben wachsen, das ihnen jetzt eben so furchtbar erscheint, wie früher die Flammen.

Dennoch arbeitet die Mannschaft unausgesetzt unter den Drohungen Robert Kurtis‘, und wohl oder übel kämpfen die Matrosen zwar mit aller Energie, doch fangen die Kräfte ihnen an zu schwinden. Ausschöpfen können sie dieses Wasser, das sich unablässig erneuert, und dessen Niveau von Stunde zu Stunde wächst, doch nicht mehr. Die, welche die Eimer handhaben, sind gezwungen, den Raum zu verlassen, wo sie, schon bis an den Leib im Wasser stehend, zu ertrinken befürchten müssen. Nun giebt es nur noch einen Ausweg, zu dem man sich am nächsten Tage, dem 4., nach einer Berathung zwischen dem Lieutenant, dem Hochbootsmann und Robert Kurtis entschließt, nämlich den, das Schiff zu verlassen. Da die Jolle, das einzige uns verbliebene Boot, nicht Alle zu fassen vermag, so soll sofort ein Floß gezimmert werden, die Mannschaft indessen an den Pumpen thätig bleiben, bis zu dem Augenblick des Befehls zur Einschiffung.

Der Zimmermann Daoulas wird in Kenntniß gesetzt, und man kommt dahin überein, das Floß aus den Reserveraaen und dem entbehrlichen Mastwerk, das vorher in Stücke von gewünschter Länge zerschnitten werden soll, zu erbauen. Das verhältnißmäßig ruhige Meer erleichtert dieses selbst unter den günstigsten Umständen ziemlich schwierige Werk.

Ohne Zeitverlust gehen Robert Kurtis, der Ingenieur Falsten, der Zimmermann und zehn Matrosen mit Sägen und Aexten daran, die Raaen zu zerschneiden, bevor sie in’s Meer geworfen werden. So hat man diese nur noch haltbar zu verbinden und eine Unterlage herzustellen, auf welche die Plateform des Flosses zu liegen kommen soll, die man in einer Länge von vierzig und einer Breite von fünfundzwanzig Fuß projectirt hat.

Wir anderen Passagiere und der Rest der Mannschaft bleiben fortwährend an den Pumpen beschäftigt. Neben mir müht sich André Letourneur nach Kräften ab, den sein Vater fortwährend mit zärtlicher Erregung ansieht. Was soll aus seinem Sohne werden, wenn er gegen die Wellen ankämpfen muß, unter Umständen, aus denen sich kaum ein gesunder und kräftiger Mensch zu retten vermag? Jedenfalls werden wir Zwei sein, die ihn nicht verlassen.

Der Mrs. Kear hat man die drohende Gefahr verhehlt, da eine anhaltende Ohnmacht ihr fast jedes Bewußtsein raubt.

Mehrmals ist Miß Herbey auf dem Verdeck erschienen, doch nur während einiger Augenblicke. Zwar haben die Strapazen sie blasser gemacht, doch immer ist sie stark und muthig. Ich empfehle ihr, sich auf Alles gefaßt zu machen.

»Ich bin immer bereit, mein Herr Doctor«, antwortet mir Miß Herbey, und kehrt sofort zu Mrs. Kear zurück.

André Letourneur’s Blicke folgen dem jungen Mädchen, und sein Gesicht überfliegt ein Schatten von Traurigkeit.

Gegen acht Uhr Abends ist das Untergestell des Flosses nahezu vollendet. Man ist jetzt dabei, leere, luftdicht verspundete Fässer hinabzuschaffen, welche die Schwimmkraft des Apparates erhöhen sollen, und die man sorgfältig zwischen den Stämmen anbringt.

Zwei Stunden später erschallt ein lautes Geschrei auf dem Oberdeck, und Mr. Kear kommt mit dem Ausrufe herauf:

»Wir sinken! Wir sinken!«

Sogleich erblicke ich auch Miß Herbey, wie sie die bewußtlose Mrs. Kear heraufschleppt.

Robert Kurtis eilt nach seiner Cabine, aus der er eine Karte, einen Sextanten und eine Bussole geholt hat.

Unter lautem Verzweiflungsgeschrei herrscht die größte Verwirrung an Bord, und die Mannschaft stürzt nach dem Flosse, dessen Gestell ohne Ueberbau sie ja doch noch nicht aufzunehmen vermag.

Es ist mir unmöglich, weder die Gedanken zu schildern, die jetzt durch mein Gehirn jagen, noch das schnelle Vorüberziehen der Bilder aus meinem ganzen Leben zu malen! Meine ganze Existenz scheint sich in diesen letzten Augenblick, der sie abschließen soll, zusammen zu drängen! Ich fühle, wie sich die Planken unter meinen Füßen beugen, und sehe das Wasser rings um das Schiff aufsteigen, so als ob der Ocean sich unter ihm aushöhlte.

Einige Matrosen flüchten sich auf die Strickleitern und stoßen verzweifelte Flüche aus. Ich versuche ihnen zu folgen …

Eine Hand hält mich zurück, und ich sehe Mr. Letourneur, der auf seinen Sohn hinweist, während ihm große Thränen aus den Augen perlen.

»Ja wohl, sage ich und drücke ihm krampfhaft die Hand, wir Zwei, wir werden ihn retten!«

Noch bevor ich aber bis zu ihm gelange, hat Robert Kurtis schon André Letourneur umfaßt, und trägt ihn nach dem Mastkorbe des großen Mastes, während der Chancellor, den der Wind bislang noch ziemlich schnell forttreibt, plötzlich still hält. Es folgt eine heftige Erschütterung des Fahrzeuges.

Das Schiff sinkt! Das Wasser erreicht schon meine Beine. Instinctiv erfasse ich ein Seil … aber plötzlich steht das Schiff wieder, und bleibt der Chancellor, nachdem das Verdeck etwa zwei Fuß unter das Wasser versunken ist, unbeweglich!

XXV.


XXV.

Die Nacht vom 4. zum 5. December. – Robert Kurtis hat den jungen Letourneur aufgehoben, eilt mit ihm über das überschwemmte Verdeck und setzt ihn auf die Strickleiter am Steuerbord. Sein Vater und ich, wir klettern zu ihm hin.

Dann blicke ich um mich. Die Nacht ist hell genug, um erkennen zu können, was ringsum vorgeht. Robert Kurtis ist auf seinen Posten zurückgekehrt und steht auf dem Oberdeck. Ganz rückwärts, nahe dem noch nicht überflutheten Hackbord, gewahre ich Mr. Kear, seine Frau, Miß Herbey und Falsten; auf der äußersten Spitze des Vorderkastells den Lieutenant und den Bootsmann, in den Mastkörben und auf den Strickleitern den Rest der Mannschaft.

André Letourneur ist nach dem Mastkorbe des Großmastes geklettert, mit Hilfe seines Vaters, der ihm den Fuß Stufe für Stufe heben mußte, und trotz des Rollens ist er ohne Unfall hinaufgekommen. Mrs. Kear Vernunft beizubringen, ist freilich unmöglich gewesen; sie verbleibt auf dem Oberdeck und läuft Gefahr, von den Wellen weggespült zu werden, wenn der Wind noch mehr auffrischt. Auch Miß Herbey hält bei ihr aus, da sie jene nicht verlassen will.

Robert Kurtis‘ erste Sorge nach dem Aufhören des Sinkens war es, alle Segel abnehmen und alle Stengen und die Obermaste herabsenken zu lassen. Hierdurch hofft er das Kentern des Chancellor zu verhindern. Kann er aber nicht jeden Augenblick ganz untergehen? Ich begebe mich zu Robert Kurtis und richte diese Frage an denselben.

»Das kann ich nicht wissen, erwidert er mir mit dem ruhigsten Tone, denn das hängt ganz von dem Zustande des Meeres ab. Gewiß ist für jetzt nur, daß das Schiff sich im Gleichgewicht befindet; leider können sich diese Verhältnisse aber in jeder Minute verschlimmern.

– Kann der Chancellor noch, mit zwei Fuß Wasser über dem Deck, segeln?

– Nein, Mr. Kazallon, wohl aber kann er unter dem Einflüsse des Windes und der Strömung abweichen, und wenn er sich einige Tage so hält, doch irgend einen Küstenpunkt anlaufen. Uebrigens haben wir als letzte Zuflucht das Floß, das in wenigen Stunden fertig sein muß, und auf welchem wir uns, sobald der Tag anbricht, dann einschiffen können.

– Sie haben also noch immer nicht alle Hoffnung aufgegeben? fragte ich Robert Kurtis sehr erstaunt.

– Die Hoffnung darf nie zu Schanden werden, Mr. Kazallon, selbst unter den allerschlimmsten Verhältnissen nicht. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß, wenn unter hundert Chancen neunundneunzig gegen uns sind, doch die hundertste uns gehört. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, so befindet sich der halbversunkene Chancellor genau in derselben Lage, wie im Jahre 1795 der Dreimaster Juno. Länger als zwanzig Tage hat dieses Schiff halb im Wasser sich schwebend erhalten. Passagiere und Mannschaften waren in die Takelage geflüchtet, und als man endlich an’s Land trieb, wurden Alle, die nicht den Strapazen und dem Hunger erlegen waren, glücklich gerettet. Es ist das ein in den Annalen der Seefahrten zu bekanntes Factum, als daß es mir gerade jetzt nicht wieder in den Sinn kommen sollte. Nun, Mr. Kazallon, es liegt kein Grund vor, daß die Ueberlebenden des Chancellor nicht eben so viel Glück haben sollten, als die der Juno.«

Man konnte Robert Kurtis wohl so Manches dagegen einhalten, aus dem Gespräch geht aber doch hervor, daß unser Kapitän noch nicht jede Hoffnung verloren habe.

Da sich die Bedingungen des Gleichgewichts jeden Augenblick ändern können, werden wir doch den Chancellor früher oder später verlassen müssen. Auch bleibt es dabei, daß morgen, sobald der Zimmermann mit dem Flosse fertig ist, dasselbe bestiegen werden soll.

Nun stelle man sich die dumpfe Verzweiflung der Mannschaft vor, als Daoulas gegen Mitternacht die Bemerkung macht, daß das Gestell des Flosses verschwunden ist. Die Leinen, trotzdem man darauf gesehen hatte, nur haltbare zu verwenden, waren bei dem Auf- und Abschwanken des Fahrzeuges gerissen, und etwa seit einer Stunde trieb der Unterbau des Rettungsflosses in der weiten See.

Als die Matrosen dieses neue Unglück vernahmen, ließen sie manchen Verzweiflungsschrei erschallen.

»In’s Meer! In’s Meer! Die Masten kappen!« riefen sie halb von Sinnen.

Sie wollen die Taue zerschneiden und die Untermasten in’s Wasser stürzen, um sofort ein neues Floß daraus herzurichten.

Aber Robert Kurtis mischt sich ein.

»Auf Euern Posten, Jungens! ruft er. Daß kein Faden ohne meinen Befehl zerschnitten wird! Der Chancellor ist im Gleichgewicht! Der Chancellor geht noch nicht unter!«

Bei der entschiedenen Stimme ihres Kapitäns gewinnt die Mannschaft wieder einige Besinnung, und trotz der bösen Absicht Einiger unter ihnen begiebt sich Jeder wieder auf den ihm angewiesenen Platz.

Sobald der Tag graut, steigt Robert Kurtis so weit als möglich in die Höhe, und sein Blick durchschweift forschend den Umkreis um das Schiff.

Unnützes Suchen! Das Floß ist längst außer Sehweite! Soll man die Jolle bemannen und dasselbe aufzusuchen ausfahren? Auch das ist unmöglich, denn die See geht so hohl, daß das kleine Fahrzeug ihr nicht zu widerstehen vermag. Man muß sich demnach zur Construction eines neuen Flosses entschließen und ohne Zaudern an die Arbeit gehen.

Inzwischen sind die Wellen immer stärker geworden. Mrs. Kear hat sich endlich entschlossen, den Platz auf dem Oberdeck zu verlassen, auf dem sie übrigens in einem Zustande vollständiger Willenlosigkeit lag. Mr. Kear hat sich mit Silas Huntly im Mastkorbe des Besanmastes eingerichtet. Neben Mrs. Kear und Miß Herbey befinden sich die Herren Letourneur, Alle auf der in ihrem größten Durchmesser höchstens zwölf Fuß messenden Plattform enge an einander gedrückt. Von einer Strickleiter zur anderen hat man Seile angebracht, an die sich die Insassen bei dem Schwanken des Schiffes festhalten können. Robert Kurtis hat auch noch ein Dach zum Schutze der beiden Frauen über dem Mastkorbe anbringen lassen.

Einige Fässer, welche nach dem Sinken zwischen den Masten schwimmen, hat man rechtzeitig aufgefischt, und an den Stagen sicher befestigt. Es sind das Behälter mit Conserven und Zwieback, so wie einige Fässer Trinkwasser – unser ganzer Vorrath an Lebensmitteln!

XXVI.


XXVI.

Am 5. December. – Der Tag ist warm. Unter dem sechszehnten Breitengrade ist der December kein Herbst-, sondern ein vollkommener Sommermonat. Wenn der Luftzug nicht die Gluth der Sonne mildert, dürften uns noch grausame Leiden durch dieselbe bevorstehen.

Die See geht noch immer sehr hohl. Der zu drei Viertheilen versunkene Schiffsrumpf wird wie eine Klippe von den Wellen gepeitscht. Der Schaum spritzt bis zu den Mastkörben hinauf, und unsere Kleidungsstücke werden wie von einem feinen Regen durchnäßt.

Ueber der Meeresoberfläche befinden sich von dem Chancellor noch folgende Theile: die drei Masten mit den Mastkörben, das Bugspriet, an dem man jetzt die Jolle aufgehangen hat, um sie vor dem Anprall der Wogen zu sichern, ferner das Oberdeck und das Vorderkastell, beide nur durch den schmalen Rahmen der Schanzkleidung verbunden. Das Verdeck dagegen befindet sich vollständig unter Wasser.

Die Communication zwischen den Mastkörben ist sehr beschwerlich; die Matrosen, welche an den Stagen hinklettern, können sich allein von dem einen zu dem anderen hin begeben. Unter ihnen, zwischen den Masten vom Hackbord bis zum Vorderkastell schäumt das Meer, wie über einem Riffe, und löst nach und nach die Wände des Schiffes ab, deren Planken man zu erhaschen sucht. Für die auf die engen Plateformen geflüchteten Passagiere gewährt es ein erschütterndes Schauspiel, unter ihren Füßen den Ocean zu sehen und zu hören. Die aus dem Wasser emporragenden Maste erzittern bei jedem Wellenschlage, und man möchte glauben, daß sie weggerissen werden müßten.

Besser ist es, die Augen zu schließen, und gar nicht nachzudenken, denn dieser Abgrund übt eine eigene Anziehungskraft aus, und man fühlt die Versuchung, sich hinein zu stürzen!

Inzwischen ist die gesammte Mannschaft unablässig mit der Herstellung eines zweiten Flosses beschäftigt. Dabei finden die Obermasten, die Marsraaen und Bramstengen Verwendung und widmet man unter Robert Kurtis‘ Leitung dieser Arbeit alle mögliche Sorgfalt. Der Chancellor scheint wirklich nicht weiter zu sinken; wie der Kapitän es vorausgesagt, wird er voraussichtlich im Wasser sich eine Zeit lang schwebend erhalten. Robert Kurtis achtet also darauf, daß das Floß so solid als möglich gebaut wird.

Die Ueberfahrt wird bei der noch immer beträchtlichen Entfernung der nächsten Küste, der von Guyana nämlich, lange Zeit in Anspruch nehmen. Es empfiehlt sich also, lieber einen Tag länger in den Mastkörben auszuharren, und sich die nöthige Zeit zur Erbauung eines schwimmenden Gerüstes zu nehmen, auf welches man sich einigermaßen verlassen kann.

Die Matrosen selbst haben sich wieder mehr beruhigt, und jetzt geht die Arbeit ungestört von statten. Ein alter, etwa sechzigjähriger Seemann allein, dem Bart und Haar im Seewinde gebleicht sind, ist nicht der Ansicht, den Chancellor zu verlassen. Es ist ein Ire, mit Namen O’Ready.

Als ich mich eben auf dem Oberdeck befand, gesellte er sich zu mir.

»Mein Herr, beginnt er und schiebt mit bewundernswerther Gleichgiltigkeit sein Priemchen im Munde hin und her, meine Kameraden haben die Absicht, das Schiff zu verlassen. Ich nicht. Ich habe schon neunmal Schiffbruch gelitten – viermal auf offener See, fünfmal an der Küste. Es ist mein eigentliches Geschäft, zu scheitern. Ich kenne das aus dem Grunde. Nun, Gott soll mich verdammen wenn ich nicht immer die Hasenherzen habe elend umkommen sehen, die sich auf Flößen oder Booten zu retten suchten! So lange ein Kasten schwimmt, soll man darauf bleiben. Lassen Sie sich das gesagt sein!«

Nach diesen sehr bestimmt gesprochenen Worten, welche die alte irländische Wasserratte zur Beruhigung seines eigenen Gewissens von sich zu geben schien, versank der Mann wieder in ein vollkommenes Schweigen.

An demselben Tage bemerke ich auch, gegen drei Uhr Nachmittags, Mr. Kear und den Ex-Kapitän Silas Huntly im Mastkorbe des Besanmastes in eifrigem Gespräche. Der Petroleumhändler scheint dem Anderen heftig zuzusetzen, und dieser einem Vorschlage des genannten Mr. Kear gewisse Einwürfe entgegen zu halten. Lange Zeit betrachtet Silas Huntly wiederholt das Meer und den Himmel, und schüttelt mit dem Kopfe. Endlich, nach einer Unterhaltung von einer Stunde, gleitet er an den Besanstagen bis zur Spitze des Vorderkastells, mischt sich unter die Matrosen, und ich verliere ihn aus den Augen.

Uebrigens erscheint mir dieser Vorfall ohne Bedeutung, und ich steige wieder nach dem Großmast hinauf, wo die Herren Letourneur, Miß Herbey, Falsten und ich noch einige Stunden im Gespräche verbringen. Die Sonne brennt gewaltig, und ohne das Segel, welches uns als Zeltdach dient, wäre es hier wohl kaum auszuhalten.

Um fünf Uhr nehmen wir gemeinsam einen Imbiß ein, der aus Schiffszwieback, gedörrtem Fleisch und einem halben Glase Wasser per Mann besteht. Mrs. Kear, welche in heftigem Fieber darnieder liegt, genießt nichts. Mrs. Herbey vermag ihr nur dadurch einige Erquickung zu verschaffen, daß sie die brennenden Lippen der Kranken von Zeit zu Zeit benetzt. Die unglückliche Frau leidet schwer; ich bezweifle, daß sie diesen Zustand lange aushalten wird.

Ihr Mann hat sich auch nicht einmal nach ihr erkundigt. Gegen drei Viertel auf sechs Uhr aber scheint es mir doch, daß das Herz dieses Egoisten zu klopfen beginnt. Mr. Kear ruft nach einigen Matrosen vom Vorderdeck und bittet sie, ihm zum Verlassen des Besanmastes behilflich zu sein. Will er sich nun vielleicht zu seiner Frau nach dem Großmast begeben?

Die Matrosen beachten den Ruf Mr. Kear’s nicht sofort. Dieser wiederholt seine Bitten dringender und verspricht Denen eine gute Belohnung, die ihm diesen Dienst leisten würden.

Jetzt begeben sich zwei Matrosen, Burke und Sandon, über die Schanzkleidung hin nach dem Besanmast und steigen nach dem Mastkorbe.

Mit Mr. Kear feilschen sie lange um die Bedingungen für ihre Bemühung. Offenbar verlangen sie viel, und der Erdölbaron will nur wenig geben. Schon schicken sich die Seeleute wieder an, den Passagier an seinem Platze zurück zu lassen. Endlich wird man einig und zieht Mr. Kear ein Päckchen Papierdollars hervor, das er dem einen Matrosen einhändigt. Dieser zählt die Summe sorgfältig durch, und scheint es mir, daß er wenigstens hundert Dollars in der Hand hat.

Es handelt sich nämlich, wie ich gewahr werde, darum, Mr. Kear längs der Besanstagen nach dem Vorderkastell zu befördern. Burke und Sandon umwickeln Jenen mit einem Tau, das sie um die Stagen schlingen; dann lassen sie ihn unter Nachhilfe einiger Rippenstöße wie ein Colli vor sich hergleiten, was nicht ohne ein spöttisches Gelächter ihrer Kameraden abgeht.

Aber ich hatte mich getäuscht. Mr. Kear fiel es gar nicht ein, seine Frau im Mastkorbe aufsuchen zu wollen. Er bleibt auf dem Vorderkastell in Gesellschaft Silas Huntly’s und die eintretende Dunkelheit wehrt mir, etwas Weiteres zu erkennen.

Die Nacht bricht an; der Wind hat sich gelegt, aber die See geht hohl. Der Mond, schon seit vier Uhr Nachmittags am Horizonte, wird nur dann und wann zwischen Wolkenstreifen sichtbar. Die niedrigeren derselben färben sich am Horizonte mit röthlichem Tone, was für morgen eine steife Brise erwarten läßt. Gott gebe, daß sie aus Nordosten weht und uns nach dem Lande zu treibt, denn jede andere Windrichtung wäre für uns verderblich, wenn wir erst auf dem Flosse eingeschifft sind, das nur mit dem Wind im Rücken einige Fahrt machen kann!

Robert Kurtis ist gegen acht Uhr nach unserem Mastkorbe gekommen. Ich bin der Meinung, daß ihm der Anblick des Himmels Sorge verursacht und er im Voraus beobachten will, was für Witterung morgen sein werde. Eine Viertelstunde lang beobachtete er; dann drückt er mir, vor dem Herabsteigen, ohne ein Wort zu sagen, die Hand und nimmt seinen Platz auf dem Oberdeck wieder ein.

Ich versuche auf dem beengten Raume des Mastkorbes zu schlafen, kann aber nicht dazu gelangen. Böse Ahnungen beunruhigen mich. Die Atmosphäre kommt mir »gar zu ruhig« vor. Kaum streicht von Zeit zu Zeit ein Lüftchen durch das Takelwerk und läßt die Metallfäden in demselben ertönen. Indessen, das Meer »fühlt« etwas, denn es bleibt in hochgehender Bewegung und unterliegt offenbar der Rückwirkung eines entfernten Sturmes.

Gegen elf Uhr Nachts leuchtet einmal der Mond mit hellem Scheine in dem Zwischenraume zweier Wolken, und das Wasser erglänzt, als würde es von unten her erhellt.

Ich erhebe mich und blicke hinaus. Sonderbar. Ich glaube einige Augenblicke einen dunklen Punkt wahrzunehmen, der sich mitten in der intensiven Weiße der Wellen hebt und senkt. Ein Felsen kann das nicht sein, da er die Bewegungen der See mitmacht und wahrscheinlich hat mich eine Illusion getäuscht. Dann verschleiert sich der Mond von Neuem, und wird es tief dunkel, so daß ich mich nahe der Backbordstrickleiter wieder niederlege.

XXVII.


XXVII.

Am 6. December. – Ich habe einige Stunden schlafen können. Um vier Uhr Morgens erweckt mich das Pfeifen des Windes, und ich vernehme Robert Kurtis‘ Stimme, welche noch das Brausen der Windstöße, unter denen die Masten erzittern, hörbar durchdringt.

Ich erhebe mich, packe die um unseren luftigen Aufenthalt gezogenen Leinen und versuche mir darüber klar zu werden, was unter mir und um mich herum vorgeht.

Mitten durch die Dunkelheit grollt das Meer unter meinen Augen, und zwischen den Masten schäumen die jetzt mehr bleichen als weißen Wellen auf. Zwei schwarze Schatten ganz am Hintertheile heben sich von der helleren Farbe des Wassers ab. Diese Schatten sind der Kapitän Kurtis und der Hochbootsmann.

Ihre bei dem Klatschen der Wellen und dem Pfeifen der Brise nur wenig verständlichen Stimmen dringen nur wie ein zerrissenes Seufzen zu meinem lauschenden Ohre. Was geht wohl vor?

Da kommt ein Matrose, der in die Takelage gestiegen war, um ein Tau zu befestigen, an mir vorüber.

»Was ist geschehen? frage ich ihn.

– Der Wind ist umgesprungen …«

Noch einige Worte fügt der Matrose hinzu, die ich nicht genau verstehen kann. Indessen glaubte ich die Worte »gerade umgekehrt« zu hören.

Gerade umgekehrt! Dann müßte der Wind aber von Nordosten nach Südwesten umgeschlagen sein, und er müßte uns jetzt in die offene See hinaustreiben! Meine Ahnungen trügten mich also nicht!

Nach und nach wird es heller. Der Wind hat sich zwar nicht vollkommen verkehrt, aber – ein ebenso verderblicher Umstand für uns, – er bläst aus Nordwesten und entfernt uns von dem Lande. Jetzt stehen nun fünf Fuß Wasser über dem Deck, und die Linie der Schanzkleidung ist vollkommen verschwunden. Das Schiff sank in der Nacht noch tiefer ein, auch Vorderkastell und Oberdeck befinden sich jetzt in gleichem Niveau mit dem Wasser, das ununterbrochen darüber hinströmt. Unter dem Winde arbeiteten Robert Kurtis und seine Leute an der Herstellung des Flosses, doch machen sie bei der bewegten See nur langsame Fortschritte, und erforderte es die aufmerksamste Fürsorge, die Balken des Unterbaues sich nicht verschieben zu lassen, bevor sie unverrückbar fest verbunden wurden.

Die Herren Letourneur stehen an meiner Seite; der Vater umschlingt mit den Armen den Sohn, den er bei dem heftigen Rollen des Schiffes zu halten sucht.

»Dieser Mastkorb wird brechen!« ruft Mr. Letourneur, der in der beschränkten Plateform, die uns trägt, ein Krachen vernommen hat.

Miß Herbey erhebt sich bei diesen Worten und zeigt auf die neben ihr liegende Mrs. Kear.

»Was sollen wir thun, meine Herren? fragt sie.

– Wir müssen bleiben, wo wir sind, habe ich ihr geantwortet.

– Hier ist noch unsere sicherste Zuflucht, Miß Herbey, fügt Andre Letourneur hinzu. Fürchten Sie nichts, Miß …

– O, für mich fürchte ich auch nicht, erwidert das junge Mädchen mit ruhiger Stimme, aber für Diejenigen, welche Ursache haben, an ihrem Leben zu hängen!«

Um acht ein viertel Uhr ruft der Bootsmann seinen Leuten zu:

»He! Ihr da auf dem Kastell!

– Was wollen Sie, Meister, antwortet einer der Matrosen, ich glaube O’Ready.

– Habt Ihr die Jolle dort?

– Nein, Meister.

– Nun, dann ist sie also weggeschwemmt worden.« In der That hängt die Jolle nicht mehr am Bugspriet, fast gleichzeitig gewahrt man aber auch das Verschwundensein Mr. Kear’s, Silas Huntly’s und dreier Leute von der Mannschaft, eines Schotten und zweier Engländer. Jetzt wird mir der Gegenstand der gestrigen Unterhaltung zwischen Kear und dem Ex-Kapitän klar. In der Befürchtung, daß der Chancellor noch vor Fertigstellung des Flosses untergehen könne, sind sie überein gekommen, zu entfliehen, und haben drei Matrosen durch Geld bestochen, sich des kleinen Bootes zu bemächtigen. Auch über den schwarzen Punkt, den ich verwichene Nacht vorübergehend sah, geht mir nun ein Licht auf. Der Elende hat seine Frau im Stiche gelassen! Der unwürdige Kapitän sein Schiff! Sie haben uns die Jolle gestohlen, das einzige noch übrig gebliebene Boot.

»Fünf Gerettete! sagt der Bootsmann.

– Fünf Verlorene!« antwortet der alte Irländer.

Wirklich giebt der Zustand des Meeres O’Ready’s Worten am meisten recht. Wir sind nur noch Zweiundzwanzig an Bord. Wie weit wird sich diese Zahl noch vermindern?

Bei dem Bekanntwerden jener feigen Flucht und des diebischen Schurkenstreichs macht sich die Stimmung der Mannschaft in einem Schwall von Flüchen über die Entflohenen Luft, und wenn der Zufall sie an Bord zurückführen sollte, würden sie ihren Verrath schwer zu büßen haben!

Ich halte es für gerathen, der Mrs. Kear die Flucht ihres Mannes zu verheimlichen. Die bedauernswerthe Frau wird vom Fieber furchtbar geschüttelt, gegen das wir völlig ohnmächtig dastehen, weil das Schiff so schnell gesunken ist, daß auch die Arzneikiste nicht zu retten war. Und wenn wir auch Arzneimittel gehabt hatten, welchen Erfolg hätten sie bei dem Zustande, in dem sich Mrs. Kear thatsächlich befand, wohl noch erzielen können?

XVII.


XVII.

Fortsetzung vom 30. Oktober. – Gelegentlich eines unsere jetzige Lage betreffenden Gespräches mit Mr. Letourneur habe ich ihm die Versicherung geben zu können geglaubt, daß unser Aufenthalt auf dem Riffe nur von kurzer Dauer sein werde, wenn uns die Umstände nur irgend begünstigen. Mr. Letourneur scheint meine Ansicht aber nicht zu theilen.

»Im Gegentheil, sagt er, ich glaube, wir werden auf diesem Felsen lange Zeit zurückgehalten bleiben.

– Und warum? erwidere ich; einige hundert Ballen Baumwolle über Bord zu werfen ist doch weder eine lange, noch allzu beschwerliche Arbeit, die in zwei bis drei Tagen recht wohl geschehen sein kann.

– Gewiß, Mr. Kazallon, das möchte schnell genug gehen, wenn sich die Mannschaft nur heute schon an’s Werk machen könnte. Vorläufig ist es absolut unmöglich, in den Kielraum des Chancellor hinabzusteigen, denn die Luft darin ist völlig irrespirabel, und wer weiß, ob nicht mehrere Tage vergehen, ehe sich das ändert, da die mittleren Lagen des Cargo noch immer in Brand sind. Uebrigens, wenn wir nun wirklich Herr des Feuers geworden sind, werden wir deshalb auch weiter schiffen können? Nein; erst muß die Eintrittsstelle des Wassers, die eine ziemliche Ausdehnung haben mag, verschlossen werden, und zwar mit größter Sorgfalt, wenn wir nicht sinken wollen, nachdem wir der Gefahr zu verbrennen entgangen waren. Nein, nein, Mr. Kazallon, ich mache mir keine Illusion und werde es als einen glücklichen Umstand betrachten, wenn wir das Riff nach drei Wochen wirklich verlassen haben werden. Nun gebe nur der Himmel, daß kein Sturm ausbricht, noch bevor wir wieder flott sind, denn der Chancellor müßte an diesen Klippen wie ein Glas zerschellen!«

In der That ist hierin die größte Gefahr zu suchen, welche uns drohen könnte. Das Feuer wird nun vollends gelöscht werden, das Fahrzeug wird wieder flott gemacht werden, mindestens haben wir allen Grund es zu glauben – aber wir leben vor der Hand von der Gnade eines Windstoßes! Zugegeben auch, daß der höchste Theil des nahen Riffes während eines Sturmes als Zuflucht dienen könnte, was soll aus den Passagieren und Mannschaften des Chancellor werden, wenn ihr Schiff in Stücke ginge!

»Mr. Letourneur, habe ich diesen darauf gefragt, Sie haben Vertrauen zu Robert Kurtis?

– Ein vollkommenes Vertrauen, Mr. Kazallon. Und ich sehe es für eine Gnade Gottes an, daß der Kapitän Huntly ihm das Commando des Schiffes abgetreten hat. Ich bin überzeugt, daß Robert Kurtis alles thun wird, was nöthig und möglich ist, um uns aus dieser schlimmen Lage zu reißen.«

Auf meine Frage an den Kapitän, auf wie lange er den entstehenden Aufenthalt veranschlage, antwortet er mir, daß er das jetzt, da es von verschiedenen Umständen abhänge, noch nicht abzuschätzen im Stande sei, er hoffe aber wenigstens, daß die Witterung nicht allzu ungünstig sein werde.

Wirklich steigt das Barometer ununterbrochen, ohne das gewöhnliche Auf- und Abschwanken der Quecksilbersäule, das ihr eigen ist, so lange die Luftschichten noch nicht vollkommen in’s Gleichgewicht gekommen sind. Jene Erscheinung ist also ein Vorzeichen dauernder Ruhe – ein wahres Glück für unsere nothwendigen Arbeiten.

Uebrigens wird keine Stunde vergeudet, und Jeder geht freudig an seine Thätigkeit.

Vor allem Andern hat Robert Kurtis die Absicht, die Feuersbrunst vollkommen zu löschen, welche noch in den oberen Lagen der Baumwollballen, über dem Niveau des Wassers im Kielraum, fortdauert. Es kann sich aber nicht darum handeln, die Ladung zu schonen, offenbar gilt es nur, das Feuer zwischen zwei Wasserschichten zu ersticken. Die Pumpen beginnen ihr Werk demnach auf’s Neue.

Bei diesen ersten Vornahmen reichen die Mannschaften zur Bedienung der Pumpen aus. Die Passagiere werden nicht in Anspruch genommen, obgleich wir Alle zur Hilfe bereit sind; doch dürfte unsere Unterstützung nicht zu unterschätzen sein, wenn man zur Entlastung des Fahrzeuges vorschreiten wird. Die Mr. Letourneur und ich, wir verbringen unsere Zeit entweder mit Plaudern oder mit Lectüre, und außerdem verwende ich täglich einige Stunden auf die Fortführung meines Tagebuches. Der wenig mittheilsame Ingenieur Falsten ist ganz von seinen Ziffern in Anspruch genommen und entwirft fortwährend Maschinen im Aufriß, wie im Durchschnitte. Wenn es doch dem Himmel gefiele, ihn einen kräftigen Apparat ersinnen zu lassen, der den Chancellor wieder flott zu machen vermöchte! Die beiden Kear halten sich abseits und ersparen uns dadurch das langweilige Anhören ihrer unablässigen Entschädigungsansprüche; leider ist auch Miß Herbey genöthigt, an der Seite Jener zu verbleiben, und sehen wir das junge Mädchen sehr wenig oder gar nicht. Silas Huntly bekümmert sich um nichts, was auf das Schiff Bezug hat, der Seemann in ihm ist gestorben und der Mann vegetirt nur noch mühsam. Der Steward Hobbart versieht seinen Dienst, wie gewöhnlich, als befinde sich das Schiff auf der regelmäßigsten Ueberfahrt. Dieser Hobbart ist ein unterwürfiger Kriecher und unterscheidet sich sehr auffallend von seinem Koch Jynxtrop, einem häßlichen Neger mit brutalen und unverschämten Manieren, der sich mehr als nöthig zu den Matrosen hält.

Zerstreuungen können an Bord natürlich nicht allzu häufig sein. Da kommt mir zum Glück der Gedanke, das unbekannte Riff, auf dem der Chancellor gestrandet ist, näher zu untersuchen. Der Ausflug wird weder weit sein, noch besondere Abwechselungen bieten, doch giebt er Gelegenheit, das Schiff auf einige Stunden zu verlassen und einen Boden zu untersuchen, der einen interessanten Ursprung haben muß.

Uebrigens ist es von Wichtigkeit, daß der Plan dieses Riffes, das man noch auf keiner Karte verzeichnet findet, sorgfältig aufgenommen wird. Ich glaube mit den Herren Letourneur diese hydrographische Arbeit ausführen zu können, wobei wir dem Kapitän Kurtis natürlich die Sorge überlassen, sie durch genaue Aufnahme der geographischen Länge und Breite zu vervollständigen. Die Herren Letourneur stimmen meinem Vorschlage bei. Ein Boot nebst Tiefloth wird uns zur Verfügung gestellt, dazu ein Matrose zur Leitung desselben, und am Morgen des 31. Octobers verlassen wir den Chancellor.

XVIII.


XVIII.

Vom 31. Oktober bis 5. November. – Wir haben damit begonnen, das Riff, dessen Länge eine Viertelmeile betragen mag, zu umfahren.

Diese kleine »Umschiffung« ist bald beendigt, und wir bestätigen, die Sonde in der Hand, daß die Ränder des Gesteins unter Wasser sehr steil abfallen. Das Meer zeigt sich noch ganz nahe daran sehr tief, und es unterliegt kaum einem Zweifel, daß eine auf plutonische Kräfte zurückzuführende plötzliche Erhebung, ein heftiger Druck von unten, das Riff über die Meeresfläche gedrängt haben.

Auch über den rein vulkanischen Ursprung des ganzen Eilandes ist gar nicht zu streiten. Durchweg besteht es aus ungeheuren Basaltblöcken, deren regelmäßige Prismen ihm das Aussehen einer gigantischen Krystallisation verleihen. Das Meer ist rund um den Rand des Riffes ganz wunderbar durchsichtig, und läßt die sonderbaren Bündel prismatischer Schafte erkennen, welche den merkwürdigen Bau tragen.

»Das ist ein eigenthümliches Gebilde, bemerkt Mr. Letourneur, und gewiß neueren Ursprungs.

– Ohne Zweifel, Vater, antwortet der junge André, und ich füge noch hinzu, daß es dieselbe Ursache, welcher z. B. die Insel Julia an der Küste Siciliens und die Insel Santorin im griechischen Archipel ihre Entstehung verdanken, gewesen ist, die dieses Eiland zur gelegenen Zeit erschuf, um den Chancellor darauf stranden zu lassen!

– Eine Bodenerhebung in diesem Theile des Atlantischen Oceans, bestätige ich, muß nothwendig stattgefunden haben, da dieses Riff auch auf den neuesten Karten sich nicht verzeichnet findet, und schwerlich konnte es doch den Augen der Seeleute in dieser vielbefahrenen Gegend des Oceanes bis jetzt entgehen. Wir wollen es deshalb sorgfältig untersuchen und zur Kenntniß der Seefahrer bringen.

– Wer weiß, ob es nicht in Folge eines ähnlichen Processes, wie dessen, der es erhob, nicht auch bald wieder verschwinden wird? antwortet Andre Letourneur. Sie wissen, Mr. Kazallon, daß solche vulkanische Inseln häufig nur von ganz ephemerem Bestande sind, und wenn die Geographen diese hier in ihre Karten eingetragen haben, existirt sie vielleicht schon nicht mehr.

– Das thut Nichts, liebes Kind, wendet Mr. Letourneur ein. Es ist besser, vor einer nicht mehr vorhandenen Gefahr zu warnen, als eine tatsächlich bestehende geringschätzig zu übergehen, und die Seeleute werden sich deshalb nicht zu beklagen haben, wenn sie ein Riff auch nicht mehr da antreffen, wo wir ein solches fanden.

– Du hast recht, mein Vater, erwidert André, nach Allem ist es ja auch möglich, daß ihm eine ebenso lange Dauer bestimmt ist, wie unseren Continenten. Wenn es aber verschwinden soll, so würde es Kapitän Kurtis gewiß gern sehen, daß es nach einigen Tagen, wenn er seine Havarien ausgebessert hat, geschähe, denn das würde ihm die Mühe ersparen, sein Schiff wieder flott zu machen.

– Wahrlich, André, rief ich da scherzend, sie wollen wohl mit der Natur ganz nach eigenem Gutdünken schalten und walten! Sie verlangen, daß jene ein Riff ganz nach Ihrem Willen hebe oder senke, so ganz nach Ihrem höchsteigenen persönlichen Bedürfnisse, und nachdem sie diese Felskanten ganz speciell geschaffen hat, um den brennenden Chancellor löschen zu können, mag sie dieselben, nur auf die Berührung Ihrer Wünschelruthe, wieder versenken, um denselben wieder frei zu machen?

– Nein, nein, Mr. Kazallon, erwidert der junge Mann lächelnd, ich will gar nichts, als Gott danken, daß er uns so sichtbar beschützt hat. Er hat unser Fahrzeug auf dieses Riff werfen wollen und er wird es schon wieder schwimmen lassen, wenn die Zeit dazu gekommen ist.

– Und wir werden dazu mit allen Kräften helfen, nicht wahr, meine Freunde?

– Gewiß, Mr. Kazallon, erwidert Mr. Letourneur, denn es ist eine unabweisliche Pflicht, sich selbst zu helfen; dennoch thut André sehr recht daran, sein Vertrauen auf Gott zu setzen. Wenn sich der Mensch auf das Meer hinauswagt, so wendet er die ihm von Natur verliehenen Fähigkeiten in weitestem Umfange an; auf dem grenzenlosen Oceane fühlt er aber auch, wenn die Elemente sich entfesseln, wie zerbrechlich das Fahrzeug, das ihn trägt, wie schwach und ohnmächtig er selbst ist! Deshalb meine ich, sollte die Devise des Seemanns lauten: Vertrauen zu sich selbst und Glauben an Gott!

– Wie wahr ist das, Mr. Letourneur, habe ich geantwortet. Auch glaube ich, es wird nur wenig Seeleute geben, deren Herzen religiösen Eindrücken hartnäckig verschlossen sind!«

Also sprechend untersuchen wir die Felsmassen, welche die Basis des Eilandes bilden, mit aller Sorgfalt, und überzeugen uns immer mehr von dessen ganz neuerlichem Ursprunge. Nirgends findet sich eine Muschel oder ein Barecbüschel an die Basaltwände geheftet. Ein Liebhaber der Naturkunde möchte bei der Durchsuchung dieser Steinhaufen schwerlich auf seine Kosten kommen, hier, wo weder Thier- noch Pflanzenreich ihren Stempel aufgedrückt haben. Schalthiere fehlen ebenso vollständig wie Wasserpflanzen. Noch hat der Wind kein Samenkörnchen hierher geweht und haben die Seevögel hier kein Obdach gesucht. Dem Geologen allein böte sich vielleicht Stoff zu interessanten Forschungen über dieses basaltische Gebilde, welches die Spuren seines plutonischen Herkommens noch unverwischt an der Stirn trägt.

Eben jetzt erreicht unser Canot die Südspitze des Eilandes, neben der der Chancellor aufgefahren ist. Ich schlage meinen Begleitern vor, an’s Land zu gehen, sie gehen mit großem Vergnügen darauf ein.

»Im Fall das Eiland wieder untergehen sollte, sagt der junge André lachend, müssen ihm menschliche Wesen wenigstens einen Besuch abgestattet haben!«

Das Canot landet, und wir betreten den Basaltfelsen. André geht bei dem ziemlich bequem zu ersteigenden Steinboden voraus; der junge Mann braucht keinen Arm, der ihn stützte. Sein Vater bleibt etwas hinter ihm, in meiner Nähe, zurück, und so ersteigen wir das Riff auf einem sanften Abhange, der zu seinem Gipfel empor führt.

In einer Viertelstunde legen wir die Entfernung bis dahin zurück und setzen uns alle Drei auf eine Basaltsäule, welche den höchsten Felsen des Eilands krönt. André Letourneur zieht dann ein Notizbuch aus der Tasche und beginnt, das Riff, dessen Ränder sich von dem grünlichen Wasser deutlich vor unseren Augen abheben, sorgsam abzuzeichnen.

Der Himmel ist rein, und das jetzt niedrige Meer entblößt auch die letzten Felsenvorsprünge im Süden, welche eine schmale Straße zwischen sich lassen, die der Chancellor vor dem Auffahren passirt hat.

Die Gestalt des ganzen Riffs erscheint sehr eigenthümlich und erinnert lebhaft an die eines »Yorker Schinkens«, dessen mittlerer Theil bis zu der Höhe anschwillt, die wir jetzt einnehmen.

Nachdem André die Umrisse des Eilandes zu Papier gebracht hat, sagt sein Vater:

»Du zeichnest ja da einen Schinken, mein Kind!

– Ja wohl, Vater, aber einen Schinken von Basalt, dessen Größe wohl auch einen Riesen zufrieden stellen würde, und wenn Kapitän Kurtis zustimmt, werden wir das Riff »Ham-Rock« (d. i. Schinken-Stein) taufen.

– Herrlich, rufe ich, ein gut erfundener Name! Das Schinkenstein-Riff! Mögen sich ihm die Seefahrer immer in respektvoller Entfernung halten, denn sie haben die Zähne nicht hart genug, dasselbe anzubeißen!«

An der Südspitze des Eilandes ist der Chancellor aufgefahren, d. h. auf dem Knochen oder Stiel des Schinkens und in der kleinen Ausbuchtung, welche seine Biegung bildet. Er neigt gerade jetzt sehr stark nach Steuerbord, da es eben tiefe Ebbe ist.

Nach Vollendung der Skizze durch André Letourneur steigen wir über eine andere schiefe, nach Westen zu abfallende Ebene wieder herab und treffen bald auf eine hübsche, niedliche Grotte. Zuerst möchte man sie für ein Werk der Architektur halten, und ähnelt sie sehr den von der Natur in den Hebriden geschaffenen, und speciell der Grotte auf der Insel Staffa. Die Herren Letourneur, welche die Fingalshöhle besucht haben, wollen diese, wenn auch in kleinerem Maßstabe, hier vollständig wieder finden; hier zeigt sich dieselbe Anordnung concentrischer Prismen, welche von der Art der Erstarrung des Basaltes herrührt; dieselbe Decke schwarzer Balken, deren Fugen mit einer gelblichen Masse verkittet erscheinen; dieselbe Reinheit der Krystallkanten, wie sie der Meißel eines Bildhauers nicht sauberer herzustellen vermöchte, endlich dasselbe Klingen in den tönenden Basalten, aus denen die gaëlische Volkssage Harfen der Schatten Fingal’s gemacht hat. Auf Staffa bildet aber das Meer den Boden der Höhle, der hier nur von hohen Wogen erreicht werden kann, wo eine Schicht von Basaltschaften einen festen Grund darstellt.

»Uebrigens, bemerkt André Letourneur, ist die Grotte auf Staffa eine ungeheure gothische Kathedrale, diese hier aber nur eine Capelle zu jener. Wer hätte jedoch ein solches Wunder auf einem unbekannten Riffe des Oceans zu finden erwartet?«

Nach einstündigem Ausruhen in der Ham-Rock-Grotte gehen wir längs dem Ufer des Eilandes hin und kommen nach dem Chancellor zurück. Robert Kurtis wird von den Resultaten unseres Ausfluges in Kenntniß gesetzt und verzeichnet auf der Karte das Eiland unter dem ihm von André Letourneur beigelegten Namen.

Die folgenden Tage haben wir niemals versäumt, einen Spaziergang nach der Ham-Rock-Grotte zu machen, in der wir so manche Stunde verbringen. Auch Robert Kurtis besuchte sie, doch ist er jetzt mit hunderterlei anderen Dingen zu sehr beschäftigt, um zur Bewunderung der Natur gestimmt zu sein. Falsten begab sich nur einmal dahin, um die Natur des Gesteins kennen zu lernen, und mit der für Schönheiten an sich unempfindlichen Ruhe des Geologen einige Brocken loszubrechen. Mr. Kear hat sich darum nicht incommodiren wollen, er ist an Bord geblieben. Der Mrs. Kear habe ich das Anerbieten gemacht, uns bei einer solchen Excursion zu begleiten, aber die Unannehmlichkeit, sich nach dem Boote zu begeben und vielleicht einiger Anstrengung ausgesetzt zu sein, hat sie veranlaßt, es abzuschlagen.

Mr. Letourneur hat auch Miß Herbey gefragt, ob sie Lust habe, das Riff zu besuchen. Das junge Mädchen glaubte dazu Ja sagen zu dürfen, glücklich, der launischen Tyrannei ihrer Herrin, wenn auch nur auf eine kurze Stunde, zu entfliehen. Als sie aber Mrs. Kear um die Erlaubniß bittet, das Schiff verlassen zu dürfen, schlägt diese es ihr rundweg ab.

Mich ärgert das, und ich lege bei Mrs. Kear ein Wort für Miß Herbey ein. Ich habe zwar meine Noth mit Jener, da ich aber früher schon Gelegenheit hatte, der Egoistin einige Dienste zu leisten, und sie nicht weiß, ob sie meiner vielleicht später wieder bedarf, so giebt sie endlich meinen Bitten nach.

Miß Herbey begleitet uns also nun mehrere Male beim Spaziergange über die Felsen. Oefter fischen wir auch am Ufer des Eilandes und verzehren heiter ein Frühstück in der Grotte, wozu die Basaltharfen im Winde tönen. Wir sind selbst ganz beglückt über das Vergnügen Miß Herbey’s, sich einige Stunden frei zu fühlen. Das Eiland ist gewiß nur klein, aber niemals ist dem jungen Mädchen Etwas in der Welt größer erschienen. Auch wir lieben dieses dürre, trostlose Riff, und bald giebt es keinen Stein mehr, den wir nicht kennten, keinen Pfad, den wir nicht fröhlich gewandelt wären. Gegen den Chancellor gehalten, ist es immer ein großes Gebiet, und ich weiß bestimmt, daß wir es zur Stunde der Abfahrt nur ungern verlassen werden.

Bezüglich der Insel Staffa theilt uns André Letourneur noch mit, daß sie der Familie Mac-Donald gehöre, welche sie für den jährlichen Zins von zwölf Pfund Sterling verpachtet hat.

»Nun, meine Herren, begann darauf Miß Herbey, glauben Sie, daß man für diese hier mehr als eine halbe Krone verlangen würde?

– Keinen Pfennig, Miß, antwortete ich lachend. Hätten Sie Lust, dieselbe in Pacht zu nehmen?

– Nein, Mr. Kazallon, erwidert das junge Mädchen mit einem unterdrückten Seufzer, und doch ist hier vielleicht der einzige Ort, an dem ich glücklich gewesen bin!

– Und ich auch!« sagt halblaut André.

Welch heimliches Leiden spricht aus dieser Antwort Miß Herbey’s! Das junge Mädchen in ihrer Armuth, ohne Eltern oder Freunde hat noch nirgends ein Glück – das Glück einiger flüchtiger Minuten – gefunden, als auf einem unbekannten Felsen des Atlantischen Oceans!

XIX.


XIX.

Vom 6. bis 15. November. – Während der fünf ersten Tage nach der Strandung sind dem Kielraum des Chancellor stets dicke, beißende Dämpfe entströmt; dann haben sie sich nach und nach vermindert und am 6. November kann man die Feuersbrunst als erloschen ansehen. Aus Fürsorge aber läßt Robert Kurtis die Pumpen noch fortarbeiten, so daß der Schiffsrumpf jetzt bis zum Zwischendeck mit Wasser gefüllt ist. Nur zur Zeit der Ebbe sinkt das Wasser im Raum, und stellen sich die Oberflächen im Inneren und Aeußeren auf gleiches Niveau.

»Es beweist das, sagt Robert Kurtis zu mir, daß der Leck ein ziemlich beträchtlicher sein muß, da das Wasser mit solcher Schnelligkeit nachsinkt.«

Wirklich beträgt die Oberfläche der Oeffnung im Rumpfe nicht weniger als vier Quadratfuß. Einer der Matrosen, Flaypol, ist in’s Meer getaucht und hat die Stelle und Ausdehnung der Havarie untersucht. Die Eintrittsöffnung des Wassers befindet sich etwa dreißig Fuß vom Steuer nach vorn zu; es sind drei Planken durch eine Felsenspitze eingedrückt, und zwar zwei Fuß über der Kielfuge. Der Anprall muß ein sehr starker gewesen sein, denn das Fahrzeug war schwer beladen und das Meer ging hoch. Fast möchte man bewundern, daß der Rumpf sich nicht an noch mehr Stellen geöffnet hat.

Ob der Leck leicht zu stopfen sein wird, läßt sich erst dann beurtheilen, wenn die Ladung entweder entfernt oder doch weggeräumt ist, so daß der Zimmermann denselben erreichen kann. Zwei Tage dürfen indeß noch vergehen, um in den Raum des Chancellor eindringen zu können und diejenigen Baumwollenballen zu entfernen, welche das Feuer noch unversehrt gelassen hat.

Während dieser Zeit bleibt Robert Kurtis nicht müßig, und es werden, unter thatkräftiger Unterstützung der Mannschaft, sehr wichtige Arbeiten ausgeführt. So läßt der Kapitän den Besanmast, der beim Auffahren abgebrochen war, wieder herstellen, da es gelungen ist, denselben mit seinem ganzen Takelwerk anzuholen. Mittels starker Stützbalken am Hintertheile gelangt man dazu, ihn auf seinen früheren Stumpf wieder aufzusetzen, nachdem der Zimmermann diesen mit Zapfenlöchern versehen hat. Angelegte Wangen, welche durch eiserne Bänder und tüchtige Bolzen gehalten sind, sichern die Verbindung der beiden Bruchstücke.

Nachdem das geschehen, mustert man sorgfältig die Strickleitern und das Tauwerk, prüft die Stagen, wechselt einige Segel aus, ordnet die laufenden Seile, und so dürfen wir hoffen, mit aller Sicherheit segeln zu können.

Am Vorder- und Hintertheile des Schiffes giebt es viel Arbeit, denn das Oberdeck und die Mannschaftskajüte sind von den Flammen arg mitgenommen. Es ergiebt sich also die Nothwendigkeit, Alles wieder in Stand zu setzen, was natürlich einige Zeit und Mühe erfordert. An Zeit fehlt es nicht, an Mühe spart man nicht, und bald können wir in unsere Cabinen zurückkehren.

Erst am 8. kann die Entladung des Chancellor mit Aussicht auf Erfolg begonnen werden. Da die Baumwollenballen von dem Wasser, das bei der Fluth den ganzen Kielraum erfüllt, durchnäßt sind, bringt man über den Deckluken Krahnen an, und wir gehen der Mannschaft mit zur Hand, die schweren Ballen herauf zu winden, die sich zum größten Theile zerstört zeigen. Einer nach dem anderen wird auf die Jolle verladen und nach dem Riff geschafft.

Nach Löschung der obersten Schicht des Cargo wird es nothwendig, das Wasser aus dem Raume mindestens zum Theil auszupumpen. Das erfordert aber einen möglichst guten Verschluß des Leckes, welchen der Felsen in den Rumpf gestoßen hat. Eine schwere Arbeit; doch der Matrose Flaypol und der Hochbootsmann unternehmen diese mit dem lobenswerthesten Eifer. Zur Zeit der Ebbe ist es ihnen geglückt, unter die Steuerbordseite zu tauchen, und eine Kupferplatte über die Oeffnung zu nageln; da dieses Blech aber dem Drucke von außen schwerlich Widerstand zu leisten im Stande sein kann, wenn sich in Folge des Pumpens das Niveau im Inneren senkt, so versucht Robert Kurtis dasselbe durch Baumwollenballen, welche gegen die eingedrückten Planken gepreßt werden, zu unterstützen. Material ist ja genug vorhanden, und bald ist der Grund des Chancellor wie gepolstert mit jenen schweren und undurchdringlichen Ballen, welche die Widerstandsfähigkeit des Kupferbleches erhöhen sollen.

Das Verfahren des Kapitäns hatte den gewünschten Erfolg. Man erkennt es deutlich, seitdem die Pumpen in Thätigkeit sind, denn das Wasserniveau im Raume sinkt immer mehr, und die Leute setzen die Entladung rüstig fort.

»Es wird nun wahrscheinlich, sagt Robert Kurtis zu uns, daß wir bis zu der Havarie hinunter gelangen und sie vom Inneren aus wieder ausbessern können. Freilich wäre es gerathener, das Schiff zu kielholen, doch fehlen mir dazu die Hilfsmittel gänzlich. Ich würde mich davon auch durch die Befürchtung abhalten lassen, daß schlechtes Wetter einträte, während das Schiff auf der Seite läge. Nichts destoweniger glaube ich Ihnen versichern zu können, daß der Zugang des Wassers auf geeignete Weise verschlossen werden wird, und daß wir in nicht zu ferner Zeit und unter Verhältnissen, welche eine genügende Sicherheit garantiren, nach der nächsten Küste absegeln können.«

Nach zweitägiger Arbeit war das Wasser zum größten Theile ausgepumpt, und die Entladung der letzten Ballen des Cargo ging ohne Schwierigkeit von statten. Auch wir haben bei den Pumpen jetzt mit Hand anlegen müssen, um die Mannschaft abzulösen, und haben das gewissenhaft gethan. Trotz seiner Schwäche hat sich auch André Letourneur uns angeschlossen, und Jeder erfüllt seine Pflicht nach besten Kräften.

Doch das war eine anstrengende Arbeit; wir vermochten sie nicht lange fortzusetzen, ohne einmal auszuruhen. Die fortwährende auf- und abgehende Bewegung brach uns fast die Arme, und ich begreife recht wohl, daß die Matrosen sich gern von ihr wegzustehlen suchen. Wir befinden uns dabei noch unter günstigen Verhältnissen, da das Schiff auf festem Grunde liegt und unter unseren Füßen kein Abgrund gähnt. Wir vertheidigen jetzt nicht unser Leben gegen das anstürmende Meer und bekämpfen kein Wasser, welches ebenso wie es ausgeschöpft wird, immer wieder nachdringt! Gebe der Himmel, daß wir nie auf einem sinkenden Schiffe eine solche Prüfung auszuhalten haben.

XX.


XX.

Vom 15. bis 20. November. – Heute endlich hat man den Schiffsraum eingehender untersuchen können; endlich ist das Colli mit dem Pikrat ganz hinten an einer Stelle aufgefunden worden, welche das Feuer glücklicher Weise nicht erreicht hat. Das Colli zeigt sich unversehrt, nicht einmal durch das Wasser hat sein Inhalt Schaden genommen, und man bringt es an einem sicheren Platze an der Spitze des Eilandes unter. Warum es nicht sofort in’s Meer geworfen wurde? – Ich weiß es nicht; mit einem Worte; es ist nicht geschehen.

Robert Kurtis und Daoulas haben gelegentlich ihrer Untersuchung das Deck und seine Tragbalken minder zerstört gefunden, als man erwartete. Die intensive Hitze, der sie ausgesetzt gewesen sind, hat sie zwar verzogen, ohne sie tief anzunagen, und scheint sich die Wirkung des Feuers mehr gegen die Seiten des Schiffsrumpfes geäußert zu haben.

Wirklich sind die Weger auf eine große Strecke hin von den Flammen verzehrt; da und dort ragen die Köpfe verkohlter Holzpflöcke hervor, und leider ist das ganze Rippenwerk sehr tiefgehend ergriffen worden. Das Werg an den Stoßverbindungen und in den Fugen muß bald verbrannt gewesen sein, und man darf es als ein reines Wunder betrachten, daß das Fahrzeug sich nicht schon längst geöffnet hat.

Man muß zugeben, daß das mißliche Umstände sind. Die Beschädigungen sind thatsächlich so ernster Natur, daß Robert Kurtis, wenn er sich jetzt auf einer Insel und nicht auf einem, jeden Augenblick dem Wogenschwalle preisgegebenen Riffe befände, gar nicht zögern würde, das ganze Schiff zu demoliren, und daraus ein kleineres, aber verläßlicheres zu erbauen.

Robert Kurtis ist sich jedoch über die Situation völlig klar; er läßt uns Alle, Mannschaften und Passagiere, auf dem Deck des Chancellor zusammentreten.

»Meine Freunde, beginnt er, unsere Havarieen erweisen sich weit bedeutender, als sie vorher angenommen wurden, und ist der Rumpf des Schiffes ganz besonders schwer betroffen. Da uns einerseits jedes Mittel abgeht, jenen wieder zu repariren, und wir andererseits auf diesem Eilande, nur abhängig von der Gnade des Windes, keine Zeit haben, ein anderes Fahrzeug zu erbauen, so geht mein Vorschlag dahin: wir verstopfen den Leck so gut als nur möglich, und suchen den nächsten Hafen zu erreichen. Wir sind nur achthundert Meilen von der Küste von Paramaribo, das den nördlichen Theil des holländischen Guyana bildet, entfernt und können dort bei einigermaßen günstigem Winde schon in zehn bis zwölf Tagen eine Zuflucht finden!«

Wirklich war ja nichts Anderes zu thun; so wurde denn Robert Kurtis‘ Vorschlag einstimmig gebilligt.

Daoulas und seine Gehilfen bemühen sich nun, das Leck auch von Innen her zu verschließen, und verstärken die angekohlten Rippenpaare auf’s Beste. Trotz alledem leuchtet es ein, daß der Chancellor für eine längere Fahrt die nöthige Sicherheit nicht bietet und da er im ersten besten Hafen, den er anläuft, condemnirt werden wird.

Der Zimmermann kalfatert auch die äußeren Fugen der Verplankung, soweit diese während der Ebbe bloß gelegt wird; denjenigen Theil aber, der auch zu dieser Zeit unter Wasser bleibt, kann er nicht untersuchen und muß sich begnügen, denselben inwendig möglichst auszubessern.

Diese verschiedenen Arbeiten dauern bis zum 20. November; nun, nachdem man alles Mögliche gethan hat, das Schiff wieder in Stand zu setzen, beschließt Robert Kurtis, es wieder in tieferes Wasser zu bringen.

Es versteht sich von selbst, daß der Chancellor, seit der Entfernung der Frachtgüter und des Wassers aus dem Raume selbst, vor Eintritt der vollen Fluth sich schwimmend erhielt. Da man die Vorsicht gebraucht hatte, ihn an beiden Enden zu verankern, so wurde er nicht weiter auf die Klippe gehoben, sondern verblieb in dem kleinen natürlichen Bassin, das zur Rechten und zur Linken von Felsen begrenzt ist, die sich auch während des höchsten Standes der Fluth nicht mit Wasser bedecken. Das Bassin erweist sich auch geräumig genug, um das Schiff zu wenden, was mit Hilfe starker Taue leicht ausgeführt wird, so daß sein Vordertheil jetzt nach Süden zu gekehrt ist. Es erscheint demnach gar nicht so schwierig, den Chancellor ganz frei zu machen, entweder durch Aufhissen der Segel, wenn der Wind dazu günstig wäre, oder durch Schleppen desselben durch die Einfahrtsöffnung bei conträrer Luftströmung. Der Ausführung dieses Vorhabens stellen sich freilich Hindernisse anderer Art entgegen, die dabei zu überwinden sind.

Der Eingang der Durchfahrt ist nämlich durch eine quer vorliegende Basaltbarriere verschlossen, welche auch beim höchsten Stande der Fluth kaum so hoch mit Wasser überdeckt ist, als es der Tiefgang des Chancellor, trotz der möglichsten Entlastung desselben, erfordert. Wenn er vor seiner Strandung dennoch über diesen Felsengrath hinweg gekommen ist, so erklärt sich das, ich wiederhole es, dadurch, daß er von einer gewaltigen Welle emporgehoben und in das Bassin hinein geworfen wurde. Dazu kommt noch, daß an jenem Tage nicht die gewöhnliche beim Neumond eintretende, sondern die stärkste Hochfluth des Jahres war, und dauert es einige Monate, bis sich eine so hohe äquinoctiale Springfluth wiederholt.

Nun leuchtet es aber ein, daß Robert Kurtis nicht mehrere Monate lang warten kann. Heute ist Syzygien-Springfluth; er muß diese benutzen, um sein Schiff zu befreien; gelangt es erst bis über das Bassin hinaus, so soll es auf’s Neue so weit belastet werden, um Segel tragen und Fahrt machen zu können.

Glücklicher Weise weht ein erwünschter Nordostwind in der Richtung der Durchfahrt. Der Kapitän ist aber mit Recht zu vorsichtig, mit vollen Segeln gegen ein Hinderniß anzufahren, das ihn doch vielleicht aufhalten konnte, noch dazu mit einem Fahrzeuge, dessen Haltbarkeit jetzt so fraglich geworden ist. Nach einer Berathung mit dem Lieutenant Walter und dem Hochbootsmann entscheidet er sich dahin, den Chancellor zu schleppen. In Folge dessen wird unter seinem Hintertheile ein Anker eingelegt, um für den Fall des Mißlingens der Operation das Schiff nach dem Ankerplatze zurückwinden zu können. Zwei weitere Anker werden außerhalb der kaum zweihundert Fuß langen Durchfahrt auf den Grund gelassen. Die Ketten derselben legt man an die Spille, die Mannschaften begaben sich an die Drehbalken derselben und um vier Uhr Nachmittags setzt sich der Chancellor in Bewegung.

Um vier Uhr dreiundvierzig Minuten muß die Fluth am höchsten sein. Schon zehn Minuten vorher ist das Schiff so weit angeholt, als es sein Tiefgang gestattet; bald aber streifte der vordere Theil des Kiels die Felskante und mußte es anhalten.

Jetzt, wo der Vorderstern schon über das Hinderniß hinweg ist, hat Robert Kurtis keine Ursache mehr, die Kraft des Windes nicht der mechanischen Wirkung der Spille beizugesellen; man entfaltet also möglichst viele Segel und stellt sie rechtwinkelig gegen den Wind.

Jetzt gilt es! Die Fluth steht. Passagiere und Matrosen sind an den Balken der Spille. Robert Kurtis befindet sich auf dem Oberdeck zur Beobachtung der Segel, der Lieutenant auf dem Vordercastell, der Hochbootsmann am Steuer.

Der Chancellor erzittert von einigen Stößen, und ein wenig hebt ihn auch das zum Glücke ruhige Meer.

»Nun vorwärts, meine Freunde, ruft Robert Kurtis mit seiner ruhigen, Vertrauen erweckenden Stimme, jetzt mit vereinten Kräften – los!«

Die Balken der Spille werden in Bewegung gesetzt, daß das Holz ächzt, die angezogenen Ketten scharren und klirren in den Klüsen. Da erhebt sich etwas Wind, und weil das Schiff ihm nicht nachgeben und sich fortbewegen kann, biegen sich die Masten unter seinem Drucke. Wir gewinnen gegen zwanzig Fuß. Ein Matrose stimmt eines jener monotonen Lieder an, deren Rhythmus die Gleichzeitigkeit der Bewegungen sichert. Wir verdoppeln unsere Anstrengungen, der Chancellor erzittert …

Vergeblich; das Meer sinkt schon wieder. Wir kommen nicht hindurch.

Auf der schmalen Felskante kann aber das Schiff unmöglich gelassen werden, da es bei voller Ebbe zerbrechen müßte. Auf Befehl des Kapitäns werden die Segel schleunigst wieder eingezogen und der hinter uns versenkte Anker soll nun in Anspruch genommen werden. Kein Augenblick ist jetzt zu verlieren. Man dreht rückwärts, es sind Augenblicke der entsetzlichsten Angst … Doch, der Chancellor gleitet auf dem Kiele und gelangt in das Bassin, jetzt sein Gefängniß, zurück.

»Nun, Kapitän, fragt da der Hochbootsmann, wie werden wir durchkommen?

– Ich weiß es noch nicht, antwortet Robert Kurtis, aber wir müssen hindurch.«

III.


III.

Am 29. September. – Das Connossament des Kapitän Huntly, d. h. die Acte, in welcher die im Chancellor verladenen Waaren aufgeführt und die Frachtbedingungen festgestellt sind, lautet wörtlich folgendermaßen:

»Herren Bronsfield u. Co., Commissionäre, Charleston.

»Ich, John Silas Huntly aus Dundee (Schottland), Commandant des Schiffes Chancellor, neunhundert Tonnen Last, gegenwärtig in Charleston, um mit dem ersten günstigen Winde auf kürzestem Wege und unter dem Schutze Gottes abzufahren und bis vor die Stadt Liverpool zu segeln, – bekenne hiermit von den Herren Bronsfield u. Co., Handelscommissionären in Charleston, unter das sonst leere Oberdeck des erwähnten Schiffes siebenzehnhundert Ballen Baumwolle im Werthe von 26.000 Pfd. Sterl., Alles in gutem Zustande, markirt und numerirt laut Buch, angeliefert erhalten zu haben, welche Waaren ich, abgesehen von den Gefahren und Zufällen des Meeres, in bestem Zustande in Liverpool an die Herren Gebr. Leard oder deren Ordre abliefern und mich für meine Frachtspesen mit 2000 Pfd. Sterl., nicht mehr, laut Charterbrief bezahlt machen werde; Havarieschäden nach Seegebrauch und Herkommen. Zur Bekräftigung dieses habe ich verpflichtet und verpflichte hiermit meine Person, mein Vermögen und das genannte Fahrzeug mit allem Zubehör.

»Zu dem Zwecke habe ich drei gleichlautende Connossamente unterzeichnet und sollen nach Erledigung eines derselben die anderen null und nichtig sein.

»Geschehen zu Charleston, am 13. Sept. 1869. J. S. Huntly.«

Der Chancellor führt also 1700 Ballen Baumwolle nach Liverpool. Absender: Bronsfield & Co. in Charleston. Empfänger: Gebrüder Leard in Liverpool.

Da das Schiff eigens zum Baumwollentransport eingerichtet ist, so wurde die Ladung mit größter Sorgfalt verstaut. Bis auf einen kleinen für das Passagiergepäck freigelassenen Theil nehmen jene Ballen den ganzen Schiffsraum ein und bilden, da sie mittels Winden sehr fest verschnürt sind, nur eine äußerst compacte Masse. Kein Eckchen des unteren Raumes ist auf diese Weise unbenutzbar geblieben, ein günstiger Umstand für ein Schiff, welches dabei seine volle Waarenladung aufzunehmen vermag.

XIII.


XIII.

Vom 24. bis 29. October. – Während der nun folgenden fünf Tage geht das Meer sehr hohl. Der Chancellor hat es aufgeben müssen, dagegen anzukämpfen, und trotzdem er jetzt mit dem Winde und den Wellen geht, wird er doch ganz außerordentlich umhergeworfen. Bei dieser Fahrt auf einem Brander ist uns auch kein Augenblick der Ruhe gegönnt. Man betrachtet das Wasser, welches das Schiff umgiebt und anzuziehen scheint, fast mit Vergnügen.

»Warum aber,« habe ich zu Robert Kurtis gesagt, wollen Sie das Verdeck nicht öffnen? Warum keine Tonnen mit Wasser in den Kielraum eingießen? Und wenn das Schiff damit angefüllt würde, was thäte das? Wenn das Feuer gelöscht ist, werden die Pumpen das Wasser ja leicht wieder entfernen.

– Mr. Kazallon, antwortet mir Robert Kurtis, ich habe Ihnen schon gesagt und wiederhole es Ihnen, wenn wir der Luft einen auch noch so geringen Zutritt gestatten, so wird das Feuer sich sofort durch das ganze Schiff verbreiten und die Flammen werden dasselbe vom Kiel bis zu den Mastspitzen ergreifen. Wir sind zur Untäthigkeit verurtheilt und befinden uns unter Verhältnissen, in denen man den Muth haben muß, Nichts zu thun!«

Ja! Jede Oeffnung hermetisch verschließen, das ist noch immer das einzige Mittel, die Feuersbrunst zu bekämpfen, und das vernachlässigt auch die Mannschaft nicht.

Inzwischen schreitet das Feuer unablässig fort, und vielleicht schneller, als wir es annehmen. Nach und nach ist die Hitze so unleidlich geworden, daß die Passagiere haben auf das Verdeck flüchten müssen und nur die Cabinen im Hintertheil, welche die größeren Fenster im Spiegel haben, sind noch einigermaßen bewohnbar.

Die eine derselben verläßt die Mrs. Kear niemals, die andere hat Robert Kurtis für den Kaufmann Ruby in Beschlag genommen. Ich habe den Unglücklichen mehrmals besucht; er ist vollkommen närrisch geworden und muß gefesselt gehalten werden, um ihn am Zertrümmern der Thür zu hindern. Sonderbar! In seiner Verwirrtheit hat er doch das Gefühl des furchtbarsten Schreckens noch bewahrt und stößt entsetzliche Schreie aus, als leide er wirklich unter schmerzhaften Brandwunden.

Wiederholt habe ich auch dem Ex-Kapitän einen Besuch abgestattet, und fand in ihm einen ruhigen Mann, der ganz vernünftig spricht, nur nicht über sein Geschäft. Ueber letzteres sind ihm nur ganz allgemeine Anschauungen verblieben. Ich erbiete mich, ihn zu pflegen, denn er leidet offenbar; doch er weist es ab, und will seine Cabine auf keinen Fall verlassen. Heute ist der wachthabende Matrose durch den scharfen und ekeln Rauch, der durch die Fensterritzen dringt, von der gewohnten Stelle vertrieben worden. Es steht fest, daß die Feuersbrunst nach dieser Seite fortschreitet, und wenn man das Ohr an die Zwischenwände legt, hört man ein dumpfes Prasseln. Woher nimmt dieses Feuer die Luft zum Brennen? Wo ist die Oeffnung, die jeder Nachforschung entgeht? Die schreckliche Katastrophe kann nunmehr nicht fern sein! Vielleicht handelt es sich nur noch um wenige Tage, vielleicht nur um Stunden, und zum Unglück geht das Meer so hoch, daß man an eine Einschiffung in die Boote gar nicht denken kann.

Auf Befehl Robert Kurtis‘ ist die Zwischenwand nach den Schlafräumen der Mannschaften mit einem nassen Segel belegt worden. Trotz alledem verbreitet sich der Rauch bei einer feuchten und heißen Temperatur, welche die Luft fast unathembar macht.

Zum Glück sind der große und der Besanmast aus Eisen, sonst wären die unteren Theile derselben gewiß schon durchgebrannt, und sie selbst niedergestürzt, wir aber rettungslos verloren.

Robert Kurtis läßt so viel Segel als möglich beisetzen, und der Chancellor läuft bei dem auffrischenden Nordostwinde mit großer Schnelligkeit.

Schon sind seit Ausbruch des Feuers vierzehn Tage vergangen, immer hat dasselbe zugenommen, da wir nicht im Stande waren, es zu beschränken. Der Dienst an Bord wird allmälig sehr beschwerlich. Auf dem Oberdeck, dessen Fußboden mit dem Kielraum nicht in unmittelbarer Verbindung steht, kann man wohl noch einher gehen, auf dem Verdeck bis zum Vorderkastell ist das aber, selbst mit starken Schuhen, fast unmöglich geworden. Das Wasser reicht nicht mehr hin, die Bretter abzukühlen, an denen die Flammen lecken und die sich auf ihren Balken krümmen. Das Harz des Holzes schwitzt um die Aststellen aus, die Fugen öffnen sich und der durch die Hitze geschmolzene Theer läuft in wunderbaren Windungen, je nach der Bewegung des Schiffes, überall umher.

Um das Unheil voll zu machen, springt der Wind plötzlich nach Nordosten um, und weht mit aller Kraft. Es erhebt sich ein wahrhafter Orkan, wie sie in jenen Gegenden nicht selten sind, und verschlägt uns von den Antillen, nach denen wir steuern. Robert Kurtis will erst beizulegen suchen, das Wasser wird aber so schwer, daß der Chancellor seinem Andrängen von der Seite nicht zu widerstehen vermag.

Am 29. erreicht der Sturm seine größte Heftigkeit. In wilder Empörung schäumt der Ocean und die Wellen fluthen über den Chancellor. Ein jetzt in’s Meer gelassenes Boot müßte sofort umschlagen und sinken. Wir haben uns, die Einen auf das Oberdeck, die Anderen auf das Vorderkastell geflüchtet. Keiner spricht ein Wort. Das Colli mit Pikrat kommt uns fast gar nicht mehr in den Sinn. Wir haben dieses »Detail« vergessen, um mit Robert Kurtis zu reden. Ich weiß wirklich nicht, ob die Explosion des Schiffes, die unsere angstvolle Lage auf einmal beendigen würde, nicht zu wünschen wäre. Ich glaube hiermit die Gedanken aller Uebrigen auszusprechen. Wenn dem Menschen eine Gefahr lange Zeit droht, so wünscht er sie endlich wohl herbei, denn die Erwartung einer unvermeidlichen Katastrophe ist stets schlimmer als die Wirklichkeit selbst.

So lange es noch Zeit war, hat Kapitän Kurtis eine gewisse Menge Nahrungsmittel aus der Kombüse, welche man jetzt nicht mehr betreten könnte, herausschaffen lassen. Schon hat die Hitze viel davon verdorben. Doch sind einige Fässer Salzfleisch und Schiffszwieback, ein Tönnchen Branntwein und einige Behälter mit Wasser auf dem Verdeck untergebracht worden, denen man etwas an Decken, Instrumenten, eine Bussole und Segelleinwand hinzufügt, um im Falle der Noth das Fahrzeug unverweilt verlassen zu können.

Um acht Uhr Abends hören wir trotz des tobenden Orkanes ein entsetzliches Geräusch. Die Luken des Decks haben sich unter dem Druck der erhitzten Luft gehoben, und schwarzer Rauch wirbelt aus ihnen empor, so wie der Dampf unter der Platte des Sicherheitsventils an einem Dampfkessel ausströmt.

Die Mannschaft eilt auf Robert Kurtis zu, als erwarte sie seine Befehle. Ein einziger Gedanke erfaßt uns, der, diesen Vulkan, der sich unter unseren Füßen öffnet, zu fliehen!

Robert Kurtis schaut auf den Ocean hinaus, dessen Wogen sich schäumend überstürzen. Der Schaluppe vermag man sich jetzt nicht einmal zu nähern; nur das Boot, welches in den Krahnen an der Steuerbordseite hängt, ist zu erreichen, so wie die kleine Jolle am Hintertheil des Schiffes. Die Matrosen stürzen auf das Boot zu.

»Nein, ruft ihnen Robert Kurtis zu, nein! Das wäre ein zu verwegenes Spiel, sich jetzt dem Meere anzuvertrauen!«

Einige Matrosen, Owen an der Spitze, wollen dennoch halb von Sinnen das Boot in’s Meer herablassen. Da eilt Robert Kurtis nach dem Oberdeck und ergreift eine Axt:

»Dem Ersten, der an die Taue rührt, ruft er, zerspalte ich den Schädel!«

Die Matrosen ziehen sich zurück. Einige klettern in die Maschen der Strickleitern; Andere flüchten bis in die Mastkörbe.

Um elf Uhr hört man im Kielraum heftige Detonationen. Die Zwischenwände springen, und öffnen der heißen Luft und dem Rauche den Weg. Sofort wälzen sich Dampfströme aus der Treppenkappe der Mannschaftskajüte, und eine lange Flamme leckt am Besanmast in die Höhe.

Da tönt ein Schrei. Mrs. Kear verläßt, unterstützt von Miß Herbey, ihre Cabine, welche das Feuer erreicht. Dann erscheint Silas Huntly, das Gesicht von Rauch geschwärzt, und ruhig begiebt er sich, nach einem Gruße gegen Robert Kurtis, nach der Strickleiter des Besanmastes.

Die Erscheinung Silas Huntly’s erinnert mich noch an einen anderen Menschen, der unter dem Oberdeck eingeschlossen geblieben ist, in der Cabine, welche die Flammen in kurzer Zeit verzehren müssen.

Soll man den unglücklichen Ruby umkommen lassen? Ich eile nach der Treppe … da zeigt sich der Irrsinnige, der seine Fesseln gesprengt hat, schon mit verbrannten Haaren und brennenden Kleidern. Ohne einen Schrei auszustoßen, geht er auf dem Verdecke. Ihn brennt es nicht an die Füße. Er stürzt sich in die Rauchwirbel hinein, der Rauch erstickt ihn nicht! Er macht den Eindruck eines menschlichen Salamanders, der durch die Flammen geht! Eine neue Detonation! Die Schaluppe berstet; die Luke in der Mitte fliegt in die Höhe und zerreißt die übergedeckten Segelstücken. Eine Feuergarbe schießt bis zur Hälfte des Hauptmastes empor.

Da stößt der Irrsinnige ein schreckliches Geschrei aus und ruft:

»Das Pikrat! Das Pikrat! Wir fliegen Alle in die Luft! Alle! Alle!«…

Noch ehe es möglich ist, ihn zurück zu halten, springt er durch die Luke in den glühenden Abgrund.