Vierundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Sergeant Dunhams Augen ließen nicht ab, der Gestalt seiner lieblichen Tochter zu folgen, sobald das Licht erschienen war. Darauf warf er seinen Blick nach der Tür des Blockhauses, um sich zu überzeugen, daß sie gut verschlossen sei, denn man hatte ihn in dem unteren Raum gelassen, weil es an den Mitteln fehlte, ihn in das erste Stockwerk zu bringen. Dann suchte er wieder Mabels Antlitz; denn mit dem raschen Hinschwinden des Lebens steigert sich die Macht der Liebe, und wir würdigen das am meisten, was uns, wie wir fühlen, auf immer entrissen werden soll.

»Gott sei gelobt! mein Kind, du wenigstens bist ihren mörderischen Büchsen entronnen«, sagte er mit einer Stimme, deren Kraft seine Schmerzen nicht zu steigern schien. »Erzählt mir den Verlauf dieser traurigen Geschichte, Pfadfinder.«

»Ach, Sergeant! sie ist traurig gewesen, wie Ihr sagt. Wir sind verraten worden; man muß dem Feind die Lage der Insel mitgeteilt haben – das ist nach meiner Ansicht so gewiß, wie daß wir noch im Besitz des Blockhauses sind. Aber –«

»Major Duncan hatte recht«, unterbrach ihn Dunham, indem er seine Hand auf den Arm seines Freundes legte.

»Nicht in dem Sinne, wie Ihr meint, Sergeant – nein, nicht aus diesem Gesichtspunkt: nimmermehr! Wenigstens nach meiner Ansicht nicht. Ich kenne die Schwäche der menschlichen Natur – aber ich glaube nicht, daß ein treueres Herz an den Grenzen lebt als Jasper Western.«

»Gott segne Euch dafür, Pfadfinder!« rief Mabel aus ganzer Seele, indes eine Flut von Tränen ihrer Erregung Luft machte. »Der Brave darf nie den Braven verlassen – der Ehrliche muß dem Ehrlichen beistehen.«

Des Vaters Augen waren ängstlich auf das Gesicht seiner Tochter gerichtet, bis die letztere ihr Antlitz mit dem Gewand verhüllte, um ihre Tränen zu verbergen; dann blickte er forschend in die harten Züge des Kundschafters. Diese zeigten nur den gewöhnlichen Ausdruck der Freimütigkeit, Einfachheit und Biederkeit; und der Sergeant bat ihn fortzufahren.

»Ihr wißt, wo Chingachgook und ich Euch verlassen haben, Sergeant«, berichtete Pfadfinder weiter, »und ich brauch‘ also nichts von dem zu sagen, was vorher geschah. Es ist nun zu spät, das Vergangene zu bereuen, doch glaub‘ ich, daß es nicht so gekommen wäre, war‘ ich bei den Booten geblieben. Andere Leute mögen wohl auch gute Führer sein – aber es gibt bessere und schlechtere. Ich denke, der arme Gilbert, der meinen Platz einnahm, hat seinen Mißgriff büßen müssen.«

»Er fiel an meiner Seite«, antwortete der Sergeant mit leisem, traurigem Tone. »Wir haben wirklich alle für unsere Mißgriffe büßen müssen.«

»Nein, nein, Sergeant; ich hatte nicht die Absicht, ein Urteil über Euch zu fällen, denn nie waren Leute besser geführt als die Eurigen bei dieser Unternehmung. Nie ist man einem Feinde schöner in die Flanken gefallen, und an der Art, wie Ihr Euer Boot gegen seine Haubitzen führtet, hätte selbst Lundie eine Lektion nehmen können.«

Das Auge des Sergeanten leuchtete, und sein Gesicht trug sogar den Ausdruck eines militärischen Triumphes, der jedoch stets der bescheidenen Stellung angemessen blieb, in der der alte Soldat tätig gewesen war.

»Es war nicht schlecht ausgeführt, mein Freund«, sagte er, »wir nahmen ihr hölzernes Bollwerk im Sturm.«

»Es war schön ausgeführt, Sergeant; obgleich ich fürchte, es kommt am Ende drauf hinaus, daß diese Vagabunden ihre Haubitzen wiederkriegen. Aber – Mut gefaßt! Versucht, alles Unangenehme zu vergessen und denkt nur an die angenehme Seite der Geschichte. Das ist die beste Philosophie und die beste Religion obendrein. Wenn der Feind die Haubitzen wiederkriegt, so hat er nur das, was ihm vorhin gehörte; wir konnten’s nicht ändern. Das Blockhaus aber haben sie noch nicht und sollen’s auch nicht kriegen, wenn sie es nicht in der Dunkelheit anzünden. Nun, Sergeant, Schlange und ich trennten uns ungefähr zehn Meilen weiter unten im Fluß, denn wir hielten’s fürs Klügste, uns auch einem freundlichen Lager nicht ohne die gewöhnliche Vorsicht zu nähern. Was aus Chingachgook geworden, weiß ich nicht, obgleich mir Mabel sagt, er sei nicht fern, und ich zweifle nicht dran, daß der wackere Delaware seine Schuldigkeit tut, wenn er auch unseren Augen nicht sichtbar ist. Merkt Euch meine Worte, Sergeant – ehe diese Sache abgetan ist, werden wir in einem entscheidenden Augenblick und auf eine Weise von ihm hören, die seiner Klugheit und der guten Meinung, die man von ihm hat, angemessen ist. Ach, Schlange ist ein kluger und tugendhafter Häuptling, und manchem weißen Mann wären seine Gaben zu wünschen. Als ich näher gegen die Insel kam, vermißte ich den Rauch, und dies veranlaßte mich, auf der Hut zu sein; denn ich wußte, daß die Soldaten des Fünfundfünzigsten nicht schlau genug sind, um dieses Zeichen zu verbergen, obwohl man sie der Gefährlichkeit wegen oft gewarnt hat. Ich wurde vorsichtiger, bis ich jenen Scheinangler zu Gesicht bekam, wie ich bereits Mabel erzählt habe, wo dann das Ganze ihrer höllischen Künste so klar vor mir lag, als hätte ich’s auf dem Papier. Ich brauch‘ Euch nicht zu erzählen, Sergeant, daß ich zuerst an Mabel dachte, und daß ich, sobald ich fand, sie sei im Blockhaus, hierher kam, um mit ihr zu leben oder zu sterben.«

Der Vater warf seinem Kind einen zufriedenen Blick zu, und Mabel fühlte ein Herzweh, das sie in einem solchen Augenblick, wo sie gewünscht hätte, ihre ganze Sorge nur auf die Lage ihres Vaters zu verwenden, nicht für möglich gehalten hätte. Als der Verwundete die Hand gegen sie ausstreckte, ergriff sie diese und bedeckte sie mit Küssen.

Dann kniete sie an seiner Seite nieder und weinte, als ob ihr das Herz brechen wollte.

»Mabel«, sagte er fest, »der Wille des Herrn geschehe. Es ist vergeblich, dich oder mich selbst täuschen zu wollen; meine Stunde ist gekommen, und es ist mir ein Trost, wie ein Soldat zu sterben. Lundie wird mir Gerechtigkeit widerfahren lassen; denn unser Freund Pfadfinder wird ihm sagen, was geschehen und wie alles so gekommen ist. Du wirst unser letztes Gespräch nicht vergessen haben?«

»Ach, Vater, auch meine Stunde ist wahrscheinlich gekommen!« rief Mabel, der in diesem Augenblick der Tod als ein Bote des Trostes erschienen wäre; »ich hab‘ keine Hoffnung zu entkommen, und Pfadfinder würde besser tun, uns zu verlassen und mit den traurigen Neuigkeiten in die Garnison zurückzukehren, solange es ihm noch möglich ist.«

»Mabel Dunham«, sagte Pfadfinder vorwurfsvoll, obgleich er mit Güte ihre Hand faßte, »ich habe das nicht verdient. Ich weiß, ich bin wild, rauh, unbehilflich –«

»Pfadfinder!«

»Nun, wir wollen’s vergessen; Sie haben es nicht so gemeint, Sie können so was nicht denken. Es ist jetzt nutzlos, von Flucht zu reden, denn der Sergeant kann nicht von der Stelle, und das Blockhaus muß verteidigt werden, kost‘ es, was es wolle. Vielleicht erhält Lundie Nachricht von unserm Unglück und schickt uns Mannschaft, um die Belagerung aufzuheben.«

»Pfadfinder – Mabel!« sagte der Sergeant, der sich vor Schmerzen wand, bis ihm der kalte Schweiß auf der Stirn stand; »kommt beide an meine Seite. Ihr versteht einander, hoffe ich?«

»Vater, sprecht nicht davon. Es ist alles, wie Ihr’s wünscht.«

»Gott sei Dank! Gib mir deine Hand, Mabel – hier, Pfadfinder, nehmt sie. Ich kann nicht mehr tun, als Euch das Mädel auf diese Weise geben. Ich weiß, Ihr werdet ihr ein liebevoller Gatte sein. Verschiebt es nicht wegen meines Todes. Vor dem Eintritt des Winters wird ein Geistlicher in dem Fort eintreffen! laßt Euch dann zusammengeben. Mein Schwager, wenn er noch am Leben ist, wird sich nach dem Meer zurücksehnen, und dann wird das Kind keinen Beschützer haben. Mabel, dein Gatte ist mein Freund gewesen, das wird dir, hoff‘ ich, zu einigem Trost gereichen.«

»Überlaßt diese Sache mir, Sergeant«, warf Pfadfinder ein; »sie ist, wie Euer letzter Wunsch, wohlverwahrt in meinen Händen, und verlaßt Euch drauf, daß alles gehen wird, wie es soll.«

»Es ist recht so; ich setze mein ganzes Vertrauen auf dich, treuer Freund, und ermächtige dich, in allen Stücken zu handeln, wie ich es tun würde. Mabel, Kind – reiche mir das Wasser – du wirst diese Nacht nie bereuen. Gott segne dich, meine Tochter! Gott segne dich und bewahre dich unter seinem heiligen Schutz!«

Diese zärtliche Sorge machte einen unaussprechlich tiefen Eindruck auf Mabels Gefühle, und es war ihr in diesem Augenblick, als ob ihre künftige Verbindung mit Pfadfinder eine Weihe empfangen hätte, die keine kirchliche Zeremonie hätte erhöhen können. Aber doch lag eine Bergeslast auf ihrem Herzen, und sie würde den Tod für ein Glück gehalten haben. Es folgte nun eine kurze Pause, worauf der Sergeant in gebrochenen Sätzen kurz erzählte, wie es ihm gegangen, seit er sich vom Pfadfinder und dem Delawaren getrennt hatte. Der Wind war günstiger geworden, und statt, wie es im Anfang seine Absicht war, auf einer Insel zu lagern, hatte er sich entschlossen, weiterzufahren, um schon in der Nacht die Station zu erreichen. Ihre Annäherung würde, wie er glaubte, nicht bemerkt, und ein Teil des Unglücks verhütet worden sein, wenn sie nicht an der Spitze einer benachbarten Insel auf den Grund gelaufen wären, wo ohne Zweifel der Lärm, den seine Leute beim Aufbringen des Bootes gemacht, ihre Nähe verraten und den Feind in den Stand gesetzt hatte, sich zu ihrem Empfang vorzubereiten. Sie waren ohne die mindeste Ahnung einer Gefahr gelandet, obschon sie das Fehlen einer Schildwache überraschte, und ihre Waffen in den Booten gelassen, um zuvor ihre Tornister und Mundvorräte auszuschiffen. Das feindliche Feuer war so nahe, daß ungeachtet der Dunkelheit fast jeder Schuß tödlich wurde. Alle waren gefallen, obgleich sich nachher zwei oder drei wieder erhoben und verschwanden. Vier oder fünf Soldaten blieben tot auf dem Platze oder waren doch so verwundet, daß sie nur noch wenige Minuten lebten; doch eilte der Feind aus einem unbekannten Grunde nicht wie gewöhnlich herbei, um sich der Skalpe zu bemächtigen. Sergeant Dunham fiel mit den anderen. Mabels Stimme zu der Zeit, als sie das Blockhaus verlassen hatte, war zu seinen Ohren gedrungen, und dieser Ruf der Verzweiflung, der alle seine väterlichen Gefühle aufregte, hatte ihn in den Stand gesetzt, bis an die Tür des Gebäudes zu kriechen, wo er sich auf die bereits erwähnte Weise an dem Gebälk aufrichtete.

Nach dieser einfachen Auseinandersetzung fühlte sich der Sergeant so schwach, daß er der Ruhe bedurfte, und seine Gefährten verhielten sich, während sie auf seine Pflege bedacht waren, eine Weile schweigend. Pfadfinder nahm diese Gelegenheit wahr, durch die Schießscharten und vom Dach herab auszuspähen und untersuchte den Zustand der Büchsen, von denen sich ungefähr ein Dutzend im Gebäude befanden, da sich die Soldaten bei ihrem Ausflug der Musketen des Regiments bedient hatten. Mabel jedoch verließ ihren Vater keinen Augenblick, und wenn sie aus seinem Atmen vermutete, er schlafe, so fiel sie auf ihre Knie nieder und betete.

Die nächste halbe Stunde verfloß in feierlicher Stille. Man hörte im oberen Stock kaum den Mokassin des Pfadfinders und wie er hin und wieder einen Büchsenschaft auf dem Boden aufstellte, denn er war geschäftig, sich die Sicherheit zu verschaffen, daß die Ladungen und Schlösser der Gewehre in Ordnung seien. Außer diesem ließ sich nichts als das Atmen des Verwundeten vernehmen. Aber Dunham schlief nicht. Er war in jenem Zustand, wo die Welt plötzlich ihre Reize, ihre Täuschungen und ihre Macht verliert, und eine unbekannte Zukunft die Seele mit Ahnungen, Lichtblicken und ihrer ganzen Unendlichkeit erfüllt. Er war für einen Soldaten ein sittlicher Mann gewesen, hatte aber wenig über diesen allerwichtigsten Lebensabschnitt nachgedacht. Hätte der Schlachtenruf in seinem Ohr geklungen, so hätte das kriegerische Feuer bis zu seinem Ende ausdauern mögen; hier aber, im Schweigen des fast unbewohnten Blockhauses, ohne irgendeinen belebenden Ton, ohne einen Aufruf, um erkünstelte Gefühle rege zu erhalten, ohne die Hoffnung eines zu erringenden Sieges – fingen die Dinge nun an, ihm in ihren wahren Farben zu erscheinen, und er lernte den Zustand des Daseins in seinem eigentlichen Wert würdigen. Auch fühlte er die volle Verantwortlichkeit eines Vaters, und es kamen ihm einige Gewissensbisse über die Art, mit der er sich seiner Pflichten gegen die arme Waise entledigt hatte. Während derartige Gedanken seine Seele beschäftigten und Mabel auf die leichteste Veränderung in seinem Atem achtete, vernahm sie ein leises Pochen an der Tür. Sie dachte, es möchte von Chingachgook herrühren, stand auf, entfernte zwei Querbalken und fragte, den dritten in ihrer Hand, wer draußen sei. Die Stimme ihres Onkels antwortete und bat um augenblicklichen Einlaß. Ohne die mindeste weitere Zögerung drehte sie den dritten Riegel zurück, und Cap trat ein. Er war kaum durch die Öffnung geschlüpft, als Mabel die Tür wieder so fest wie vorher verschloß, denn die Übung hatte sie mit diesem Teil ihrer Obliegenheit vertraut gemacht.

Als der rauhe Seemann die Lage seines Schwagers erfuhr und sich selbst sowohl als Mabel gerettet sah, wurde er fast zu Tränen bewegt. Sein eigenes Erscheinen erklärte er dadurch, daß er sorglos bewacht worden sei, weil man glaubte, daß er und der Quartiermeister unter dem Einfluß der geistigen Getränke schliefen, die man ihnen in der Absicht, sie bei dem bevorstehenden Geschäft ruhig zu erhalten, in Menge vorgesetzt hatte. Muir schlief oder schien zu schlafen, als sich Cap während der Unruhe des Angriffs in das Gebüsch flüchtete, wo er Pfadfinders Kahn fand und es ihm endlich gelang, das Blockhaus zu erreichen, von wo aus er seine Nichte zu Wasser zu entführen beabsichtigte.

»Wenn es zum Schlimmsten kommt, Meister Pfadfinder«, sagte er, »so müssen wir eben die Flagge streichen, und das wird uns einen Anspruch auf Pardon geben. Wir sind es unserer Mannheit schuldig, uns so lange als tunlich zu halten; für uns selbst aber haben wir die Verpflichtung, die Flagge niederzuhalten, wenn es noch Zeit ist, anständige Bedingungen zu machen. Ich wünschte, Herr Muir sollte dasselbe tun, als wir von diesen Burschen, die Ihr Landstreicher nennt, gefangen wurden – ja, sie heißen mit Recht so, denn elendere Landstreicher gibt es nicht auf der Erde –«

»Ihr habt ihren Charakter jetzt kennengelernt?« unterbrach ihn Pfadfinder, der immer bereit war, ebensogut in die Schmähungen gegen die Mingos wie in das Lob seiner Freunde einzustimmen. »Ja, wenn Ihr in die Hände der Delawaren gefallen wärt, so würdet Ihr wohl einen Unterschied gefunden haben.«

»Ach, mir schienen sie ganz von derselben Art zu sein, Halunken hinten und vorn, natürlich Euren Freund, die Schlange, ausgenommen, der ein wahrer Gentleman von einem Indianer ist. Aber als diese Wilden ihren Ausfall auf uns machten und den Korporal M’Nab und seine Leute wie die Hasen niederschossen, nahmen wir – der Quartiermeister und ich – unsere Zuflucht zu einer der Höhlen dieser Insel, von denen es viele unter den Felsen gibt – regelmäßige, geologische Unterhöhlungen durch das Wasser, wie der Leutnant sagt –, und da blieben wir eingestaut wie zwei Belagerte in einem Schiffsraum, bis uns der Mangel an Nahrung heraustrieb. Man kann sagen, die Nahrung sei das Fundament der Menschennatur. Ich verlangte von dem Quartiermeister, er solle Bedingungen machen, denn wir hätten uns auf dem Platze, so schlecht er auch war, ein oder zwei Stunden verteidigen können; aber er lehnte es ab, weil diese Schurken doch nicht Wort halten würden, wenn man einen von ihnen verwundete, und so war also von Unterhandlungen keine Rede. Ich gab aus zwei Gründen meine Einwilligung zum Streichen; erstens da man von uns sagen konnte, wir hätten bereits gestrichen, denn das Laufen nach unten wird schon im allgemeinen für ein Aufgeben des Schiffes betrachtet, und zweitens hatten wir einen Feind in unserm Magen, dessen Angriffe furchtbarer waren als der Feind auf dem Verdeck. Der Hunger ist ein verdammter Umstand, wie jeder zugeben wird, der sich achtundvierzig Stunden mit ihm ‚rumgeschlagen hat.«

»Onkel!« sagte Mabel mit trauriger Stimme und bittender Gebärde, »mein armer Vater ist schwer, schwer verwundet!«

»Du hast recht, Magnet; du hast recht; ich will mich zu ihm setzen und mein Bestes tun, ihn zu trösten. Sind die Balken gut vorgelegt, Mädel? Denn bei einer solchen Gelegenheit muß der Geist ruhig und ungestört sein.«

»Ich glaube, wir sind vor allem sicher, nur nicht vor diesem schweren Schlag des Schicksals.«

»Gut also, Magnet; geh in den oberen Stock hinauf und versuch, dich zu sammeln, indes der Pfadfinder über dem Verdeck patrouilliert und von dem Mastbaumkreuzen seinen Lugaus nimmt. Dein Vater will mir was anvertrauen, und es wird gut sein, wenn du uns allein läßt. Das sind feierliche Momente, und so unerfahrene Leute, wie ich, haben’s nicht gerne, daß man alles hört, was sie sagen.«

Obgleich Mabel nie der Gedanke gekommen war, daß ihr Onkel an der Seite eines Sterbebettes von den Tröstungen der Religion Gebrauch machen würde, so glaubte sie doch, daß er irgendeinen besonderen Grund zu dieser Bitte habe, der ihr unbekannt sei, und fügte sich deshalb darein. Pfadfinder hatte bereits das Dach bestiegen, um sich in der Gegend umzusehen, und die beiden Schwäger blieben allein. Cap setzte sich an die Seite des Sergeanten und sann ernstlich über die wichtige Pflicht nach, die er zu erfüllen hatte. Einige Minuten herrschte tiefes Schweigen, während der Seemann den Entwurf seiner beabsichtigten Rede überdachte.

»Ich muß sagen, Sergeant Dunham«, begann Cap endlich in seiner eigentümlichen Weise, »daß in diesem unglücklichen Zug eine schlechte Führung stattgefunden hat, und da wir nun Gelegenheit haben, die Wahrheit – und nichts als die Wahrheit – auszusprechen, so halt‘ ich’s für meine Pflicht, dieses unumwunden zu tun. Mit einem Wort, Sergeant – über diesen Punkt kann es nicht wohl zwei Meinungen geben; denn obgleich ich nur ein Seemann und kein Soldat bin, so kann ich doch selbst mehrere Fehler entdecken, deren Auffindung gerade keiner besondern Vorstudien bedarf.«

»Was willst du damit, Bruder Cap?« erwiderte der andere mit schwacher Stimme. »Was geschehen ist, ist geschehen; und es ist jetzt zu spät, es zu ändern.«

»Sehr wahr, Bruder Dunham; aber nicht, es zu bereuen. Das Gute Buch sagt uns, daß die Reue nie zu spät kommt, und ich hab‘ immer gehört, ein Augenblick, wie der gegenwärtige, sei der kostbarste zu einem solchen Geschäft. Wenn du was auf deiner Seele hast, Sergeant, so gib’s los, denn du weißt, daß du dich einem Freund anvertraust. Du bist meiner Schwester Mann gewesen, und die arme kleine Magnet ist meiner Schwester Tochter; magst du nun am Leben bleiben oder sterben, so werd‘ ich dich immer wie einen Bruder betrachten. Es ist jammerschade, daß du nicht mit den Booten liegen bliebst und einen Kahn zum Rekognoszieren vorausschicktest, du würdest dann deine Leute gerettet und diesen Unfall von unseren Häuptern abgewendet haben. Nun, Sergeant, wir sind alle sterblich – das ist ohne Zweifel einiger Trost, und wenn du auch vorangehst, so kommt doch die Reihe bald an uns. Ja, das muß dir zum Trost gereichen.«

»Ich weiß das alles, Bruder Cap, und hoffe, ich bin vorbereitet, das Schicksal eines Soldaten zu erfüllen; – aber die arme Mabel –«

»Ja, ja, das treibt schwer vor Anker, ich weiß; aber du möchtest sie doch nicht mitnehmen, wenn du auch könntest, Sergeant, und so ist es besser, sich die Trennung so leicht wie möglich zu machen. Mabel ist ein gutes Mädel, wie ehedem ihre Mutter; sie war meine Schwester, und ich will dafür sorgen, daß ihre Tochter einen braven Mann bekommt, wenn wir mit dem Leben und unsern Skalpen davonkommen: Denn ich denke, daß es niemand drum zu tun sein würde, in eine Familie, die keine Skalpe hat, reinzuheiraten.«

»Bruder, mein Kind ist versprochen; sie wird das Weib des Pfadfinders werden.«

»Nun, Bruder Dunham, jeder hat seine besonderen Begriffe und Lebensansichten, und der Handel kann, wie mir vorkommt, Mabel nichts weniger als angenehm sein. Ich hab‘ nichts gegen das Alter des Mannes einzuwenden, denn ich gehör‘ nicht zu denen, die es für nötig halten, daß man ein Knabe sein muß, um ein Mädchen glücklich zu machen, sondern halt‘ im allgemeinen einen Fünfziger für den geeignetsten Ehemann; aber es darf kein Umstand zwischen den Parteien obwalten, der sie unglücklich machen könnte. Im Ehestand sind Umstände des Teufels, und es kommt mir fast als ein solcher vor, daß der Pfadfinder nicht soviel Kenntnisse hat wie meine Nichte. Du hast nur wenig von dem Mädel gesehen, Sergeant, und bist mit dem Umfang ihres Wissens nicht bekannt; aber sie soll ihn einmal auskramen, sie soll ihn dir durch und durch zeigen, und du wirst mir beistimmen, daß nur wenige Schulmeister mit ihr Luv halten können.«

»Sie ist ein gutes Kind, ein liebes, gutes Kind«, flüsterte der Sergeant mit tränenfeuchtem Auge; »und es ist mein Mißgeschick, daß ich nur so wenig von ihr gesehen habe.«

»Sie ist, bei Gott! ein gutes Mädel und weiß viel zuviel für den armen Pfadfinder, der zwar in seiner Weise ein ganz vernünftiger und erfahrener Mann ist, aber von der Hauptsache nichts weiter versteht, als du von der sphärischen Trigonometrie, Sergeant.«

»Ach, Bruder Cap, wär‘ der Pfadfinder bei uns in den Booten gewesen, so hätt’s wahrscheinlich nicht diesen traurigen Ausgang genommen.«

»Das ist wohl möglich, denn sein ärgster Feind muß ihm nachsagen, daß er ein guter Kundschafter ist. Aber, Sergeant, die Wahrheit zu sagen, du hast diese Expedition ziemlich auf die leichte Achsel genommen. Du hättest vor dem Hafen bleiben und ein Rekognoszierboot ausschicken sollen, wie ich dir vorhin gesagt habe. Das ist eine Sache, die du bereuen solltest; und ich sag’s dir, weil man in einem solchen Falle die Wahrheit sprechen muß.«

»Meine Verirrungen sind mir teuer zu stehen gekommen, Bruder; und ich fürchte, die arme Mabel wird es auszubaden haben. Doch ich glaube, daß uns das Unglück nicht begegnet wäre, wenn nicht Verrat die Hand im Spiele gehabt hätte. Ich fürchte, Bruder, es ist ein Streich von Eau-douce.«

»Das ist auch meine Ansicht, denn dieses Frischwasserleben muß früher oder später die Sittlichkeit eines jeden untergraben. Leutnant Muir und ich haben viel über diesen Gegenstand gesprochen, während wir da draußen in einem Stückchen Höhle lagen, und wir kamen beide zu dem Schluß, daß nur Jaspers Verräterei uns alle in diese höllische Klemme gebracht hat. Doch, Sergeant, es ist besser, du sammelst deinen Geist und denkst an andere Gegenstände, denn wenn ein Fahrzeug im Begriff ist, in einen fremden Hafen einzufahren, so ist es klüger, an den Ankergrund drinnen zu denken, als sich durch Betrachtung aller Begebnisse während der Reise stören zu lassen. Solche Dinge aufzuzeichnen, ist das Logbuch ausdrücklich vorhanden, und was in dem steht, bildet die Spalten, die für oder gegen uns sprechen. – Nun, Pfadfinder, was gibt’s? Ist was gegen uns in dem Wind, daß Ihr die Leiter herunterkommt, wie ein Indianer in dem Kielwasser eines Skalps?«

Der Kundschafter winkte mit dem Finger zu schweigen, und er bedeutete Cap, daß er die Leiter hinaufsteigen und seinen Platz an der Seite des Sergeanten Mabel einräumen solle.

»Wir müssen klug, aber auch zugleich kühn sein«, sagte er leise. »Dieses Gezücht macht Ernst mit seiner Absicht, das Blockhaus anzuzünden, denn sie wissen, daß jetzt nichts mehr zu gewinnen ist, wenn sie es stehen lassen. Ich hörte die Stimme des Strolches Pfeilspitze unter ihnen, der sie antrieb, ihre Teufelei noch in dieser Nacht auszuführen. Wir müssen rührig sein, Salzwasser, und tätig dazu. Zum Glück sind vier oder fünf Tonnen mit Wasser in dem Blockhaus, und das ist schon ein bißchen was bei einer Belagerung. Auch müßt‘ ich mich sehr verrechnen, wenn wir nicht noch einigen Vorteil aus dem Umstand ernten könnten, daß der ehrliche Chingachgook in Freiheit ist.«

Cap ließ sich nicht zweimal auffordern, sondern schlich sich weg und war bald mit Pfadfinder in dem oberen Raum, indem Mabel seine Stelle an dem ärmlichen Lager ihres Vaters einnahm. Pfadfinder öffnete, nachdem er das Licht so weit verborgen hatte, daß es ihn keinem verräterischen Schuß aussetzen konnte, eine Schießscharte, und hielt, da er eine Aufforderung erwartete, sein Gesicht an die Öffnung, um sogleich antworten zu können. Die nun folgende Stille wurde endlich durch Muirs Stimme unterbrochen.

»Meister Pfadfinder«, rief der Schotte, »ein Freund fordert Euch zu einer Besprechung auf. Kommt ohne Scheu an eine der Öffnungen, denn Ihr habt nichts zu fürchten, solang‘ Ihr mit einem Offizier des Fünfundfünfzigsten verhandelt.«

»Was begehren Sie, Quartiermeister? Was wollen Sie? Ich kenne das Fünfundfünfzigste und glaube, daß es ein braves Regiment ist, obgleich ich’s mit dem Sechzigsten lieber zu tun habe, und am allerliebsten mit den Delawaren. Aber was verlangen Sie von mir, Quartiermeister? Es muß eine dringende Botschaft sein, die Sie zu dieser Stunde der Nacht unter die Schießscharten eines Blockhauses bringt, in dessen Innerem, wie Sie wissen, der Wildtod ist.«

»Oh, ich weiß gewiß, daß Ihr einem Freund kein Leid tun werdet, und das ist meine Beruhigung. Ihr seid ein Mann von Verstand und habt Euch durch Eure Tapferkeit einen zu großen Namen an der Grenze erworben, als daß Ihr es für nötig halten könntet, ihn durch Tollkühnheit in Ehren zu erhalten. Ihr werdet wohl einsehen, mein guter Freund, daß man, wenn Widerstand unmöglich ist, durch eine freiwillige Unterwerfung ebensoviel Achtung gewinnen kann wie durch ein hartnäckiges, gegen alle Kriegsregeln laufendes Ausharren. Der Feind ist zu stark für uns, mein wackerer Kamerad, und ich komme, Euch zu raten, das Blockhaus zu übergeben unter der Bedingung, als Kriegsgefangener behandelt zu werden.«

»Ich dank‘ Ihnen für diesen Rat, Quartiermeister, der um so annehmlicher ist, da er nichts kostet; aber ich glaube, es gehört nicht zu meinen Gaben, einen solchen Platz aufzugeben, solange Proviant und Wasser da ist.«

»Gut, ich würde der letzte sein, Pfadfinder, der gegen ein solches mutiges Vorhaben irgendwas zu erinnern hätte, wenn ich die Möglichkeit seiner Ausführung einsehen könnte. Aber Ihr werdet wissen, daß Meister Cap gefallen ist.«

»Ah, bewahre«, krächzte Cap durch eine andere Schießscharte; »er ist so wenig gefallen, Leutnant, daß er vielmehr zu der Höhe dieser Befestigung gestiegen ist und nicht im Sinn hat, seinen Kopf wieder in die Hände solcher Barbiere zu geben, solange er’s ändern kann. Ich betrachte dieses Blockhaus als einen Umstand und denke nicht daran, ihn von mir zu werfen.«

»Wenn das die Stimme eines Lebenden ist«, erwiderte Muir, »so freut mich’s, sie zu vernehmen; denn wir alle glauben, der Mann, dem sie angehört, sei in der letzten schrecklichen Verwirrung gefallen. Aber Meister Pfadfinder, obgleich Ihr Euch der Gesellschaft Eures Freundes Cap erfreut, was großes Vergnügen gewährt, wie ich aus Erfahrung weiß, da ich zwei Tage und zwei Nächte mit ihm in einer Höhle unter der Erde zubrachte, so haben wir doch den Sergeanten Dunham verloren, der mit allen Tapferen gefallen ist, die er in der letzten Expedition anführte. Lundie wollte es so haben, obschon es vernünftiger und passender gewesen wäre, einem wirklichen Offizier das Kommando zu übertragen. Dunham war aber trotzdem ein braver Soldat; Ehre seinem Andenken! Kurz, wir haben alle unser Bestes getan, und mehr läßt sich selbst zugunsten des Prinzen Eugen oder des Herzogs von Marlborough nicht sagen.«

»Sie sind wieder irrig daran, Quartiermeister, Sie sind wieder irrig daran«, antwortete Pfadfinder, indem er, um der Stärke seiner Verteidigungsmittel mehr Achtung zu verschaffen, zu einer List seine Zuflucht nahm. »Der Sergeant ist gleichfalls wohlbehalten im Blockhaus und daher sozusagen die ganze Familie beieinander.«

»Gut – es freut mich, das zu hören, denn wir hatten den Sergeanten zuverlässig zu den Erschlagenen gezählt. Aber wenn die schöne Mabel noch in dem Blockhaus ist, so laßt sie nur um des Himmels willen keinen Augenblick mehr darin bleiben, denn der Feind ist im Begriff, das Gebäude der Feuerprobe zu unterwerfen. Ihr kennt die Macht dieses fürchterlichen Elements und werdet mehr als der verständige, erfahrene Krieger handeln, für den man Euch allgemein betrachtet, wenn Ihr einen Platz aufgebt, den Ihr nicht verteidigen könnt, als wenn Ihr Eure Gefährten in Euern Untergang mit hereinzieht.«

»Ich kenne die Macht des Feuers, wie Sie es nennen, Quartiermeister, und brauch‘ mir nicht erst sagen zu lassen, daß es sich auch noch zu was anderem als zum Kochen des Mittagessens benutzen läßt. Ich zweifle jedoch nicht, daß auch Sie was von der Macht des Wildtodes gehört haben, und der Mann, der es wagt, einen Reisbündel an diese Balken zu legen, soll was davon zu kosten kriegen. Was die Pfeile anbelangt, so gehört es nicht zu ihren Gaben, dieses Gebäude in Brand zu stecken, denn wir haben keine Schindeln auf unserem Dach, sondern gute, kernige Klötze und grüne Rinde; außerdem Wasser die Fülle. Auch ist das Dach so flach, daß wir darauf herumgehen können, wie Sie wohl wissen, Quartiermeister, und so hat’s also von dieser Seite keine Gefahr, solange das Wasser ausreicht. Ich bin friedlich genug, wenn man mich zufrieden läßt; wer’s aber versucht, dieses Blockhaus über meinem Kopf anzuzünden, der soll finden, daß sich das Feuer in seinem Blut kühlen wird.«

»Das sind unnütze und romanhafte Reden, Pfadfinder, und Ihr werdet sie selbst nicht festhalten, wenn Ihr über die Wirklichkeit nachdenkt. Ich hoffe, Ihr werdet gegen die Loyalität und den Mut des Fünfundfünfzigsten nichts einzuwenden haben, und ich bin überzeugt, daß sich ein Kriegsrat unverzüglich zu einer Übergabe entschließen würde. Nein, nein, Pfadfinder, Tollkühnheit ist der Tapferkeit eines Wallace oder Bruce nicht ähnlicher als Albany am Hudson der alten Stadt Edinburgh.«

»Da ein jeder von uns mit sich im reinen zu sein scheint, so sind weitere Worte fruchtlos. Wenn dieses Gewürm in ihrer Nähe Lust hat, sein höllisches Werk auszuführen, so soll’s bloß mal anfangen. Sie können Holz und ich Pulver verbrennen. Wenn ich ein Indianer am Pfahl wäre, so glaub‘ ich, ich könnte ebensogut prahlen wie die übrigen; aber meine Natur und meine Gaben sind die eines Weißen, und ich halt‘ es daher lieber mit Handlungen als mit Worten. Sie haben nun für einen Offizier in des Königs Dienst genug gesagt; und sollten wir auch alle von den Flammen verzehrt werden, so wird niemand von uns Ihnen einen Groll nachtragen.«

»Pfadfinder, Ihr werdet doch Mabel, die schöne Mabel Dunham, nicht einem solchen Unglück aussetzen wollen?«

»Mabel Dunham ist an der Seite ihres Vaters, und Gott wird für die Sicherheit eines frommen Kindes Sorge tragen. Kein Haar soll von ihrem Haupt fallen, solange mir Arm und Auge treu bleibt. Mögen Sie immer auf die Mingos Ihr Vertrauen setzen, Herr Muir, ich wenigstens tue es nicht. Sie haben dort einen schurkischen Tuscarora in Ihrer Gesellschaft, der Bosheit und Verschlagenheit genug besitzt, die Ehre eines jeden Stammes, zu dem er sich hält, zu vernichten, obgleich er, wie ich fürchte, die Mingos hinlänglich verderbt gefunden hat. Doch kein Wort mehr; mag jede Partei nun von ihren Mitteln und Gaben Gebrauch machen.«

Während des ganzen Gesprächs hatte der Pfadfinder seinen Körper gedeckt gehalten, damit ihn kein verräterischer Schuß durch die Schießscharte treffe, und nun gab er Cap die Weisung, auf das Dach zu steigen, um zur Begegnung des ersten Angriffs bereit zu sein. Obgleich der letztere so ziemlich an Eile gewöhnt war, so fand er doch wenigstens schon zehn flammende Pfeile in der Rinde stecken, indes die Luft von den gellenden Tönen des feindlichen Kriegsgeschreis erfüllt wurde. Darauf folgte ein rasches Büchsenfeuer und die Kugeln knatterten gegen die Holzstämme, so daß es deutlich war, der Kampf habe allen Ernstes begonnen.

Dies waren jedoch Töne, die weder Pfadfinder noch Cap erschreckten, und Mabel war zu sehr in ihren Kummer vertieft, um Unruhe zu fühlen. Auch war sie verständig genug, die Natur der Verteidigungsmittel zu verstehen und ihre Wirksamkeit zu würdigen. In dem Sergeanten jedoch weckte dieser Lärm wieder neues Leben, und mit Wehmut bemerkte in diesem Augenblick sein Kind, daß das matte Auge abermals zu leuchten begann und das Blut in die erblaßten Wangen zurückkehrte, als er diesen Aufruhr vernahm. Mabel bemerkte jetzt zum erstenmal, daß sein Geist anfing, irre zu werden.

»Leichte Kompagnien vor!« flüsterte er. »Grenadiere, Feuer! Wagen sie’s, uns in unserm Fort anzugreifen? Warum gibt die Artillerie nicht Feuer auf sie?«

In diesem Augenblick ließ sich der dumpfe Knall eines schweren Geschützes durch die Nacht vernehmen. Man hörte das Krachen des zersplitterten Holzes, als eine schwere Kugel die Stämme des oberen Raumes zerriß, und das ganze Blockhaus erbebte unter der Gewalt einer Bombe, die in das Haus gedrungen war. Der Pfadfinder entging kaum diesem schrecklichen Geschoß; aber als es platzte, konnte Mabel einen Ruf des Schreckens nicht unterdrücken, da sie alles Lebende und Leblose über ihrem Haupt für zerstört hielt. Um ihr Entsetzen zu vermehren, rief ihr Vater mit wütender Stimme: »Zum Angriff!«

»Mabel«, rief Pfadfinder durch die Falltür herunter, »das ist echte Mingoarbeit – mehr Lärm als Schaden. Die Landstreicher haben sich der Haubitze, die wir den Franzosen abnahmen, bemächtigt und sie gegen das Blockhaus abgefeuert. Zum Glück haben sie jetzt die einzige Bombe, die wir hatten, verschossen, und es ist nun nichts Derartiges mehr zu fürchten. Es ist dadurch zwar einige Verwirrung in die Vorräte dieses Stockwerks gekommen, aber niemand ist verletzt. Ihr Onkel ist noch auf dem Dach, und was mich anbelangt, so hab‘ ich schon zu oft im Kugelregen gestanden, um mich durch ein Ding wie ’ne Haubitze einschüchtern zu lassen, und dazu noch in den Händen von Indianern.«

Mabel flüsterte ihren Dank und versuchte es, ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihren Vater zu wenden, der immer aufstehen wollte und nur durch seine Schwäche davon abgehalten wurde. Während der schrecklichen Minuten, die nun folgten, war sie so sehr mit der Pflege des Kranken beschäftigt, daß sie kaum des Geschreis achtete, das rundherum tobte. Der Aufruhr war aber auch so groß, daß, hätten ihre Gedanken nicht eine andere Richtung genommen, wahrscheinlich eher Verwirrung des Verstandes als Entsetzen die Folge gewesen wäre.

Cap entwickelte eine bewunderungswürdige Besonnenheit. Er hatte allerdings einen großen und sich immer steigernden Respekt vor der Macht der Wilden und der Majestät des Frischwassers; aber alle seine Befürchtungen vor den Wilden gingen mehr von der Scheu, skalpiert und gemartert zu werden, als von einer unmännlichen Todesfurcht aus. Da er nun, wenn auch nicht auf dem Verdeck eines Schiffes, so doch auf dem Verdeck eines Hauses stand und wußte, daß ein Entern nicht zu befürchten war, so bewegte er sich mit einer Furchtlosigkeit und einer tollkühnen Gefährdung seiner Person hin und her, die der Pfadfinder, wenn er sie bemerkt hätte, zuerst getadelt haben würde. Statt nach der Gewohnheit des Indianerkriegs seinen Körper gedeckt zu halten, zeigte er sich an jeder Stelle des Daches und goß rechts und links mit jener Beharrlichkeit und Unbesorgtheit Wasser aus, mit der ein Segelsetzer seine Kunst in einer Seeschlacht ausgeübt hätte. Seine Erscheinung war eine der Ursachen des außerordentlichen Geschreis unter den Angreifenden, die, nicht daran gewöhnt, ihre Feinde so unbekümmert zu sehen, ihre Zungen gegen ihn schießen ließen wie eine Meute Hunde, die den Fuchs im Auge haben. Er schien jedoch ein durch Zauber geschütztes Leben zu besitzen, denn obgleich die Kugeln von allen Seiten um ihn pfiffen und seine Kleider verschiedene Male durchbohrten, so konnte ihm doch keine die Haut ritzen. Als die Bombe weiter unten durch die Balken drang, ließ der alte Seemann seinen Eimer fallen, schwenkte seinen Hut und ließ drei Hurras erschallen, und gerade während dieses heroischen Aktes platzte das gefährliche Geschoß. Diese charakteristische Tat rettete wahrscheinlich sein Leben; denn von diesem Augenblick an ließen die Indianer nach, auf ihn zu feuern oder ihre flammenden Pfeile nach dem Blockhaus zu schießen, da sie gleichzeitig und übereinstimmend die Überzeugung gewannen, daß das »Salzwasser« toll sei; und es ist ein eigentümlicher Zug ihrer Großmut, daß sie nie Hand an jene legten, deren Verstand sie verwirrt glaubten.

Pfadfinders Benehmen war sehr verschieden. Was er tat, geschah mit der genauesten Berechnung – eine Folge langjähriger Erfahrung und gewohnter Besonnenheit. Er hielt sich sorgfältig aus den Linien der Schießscharten, und der Ort, den er zu seinem Lugaus gewählt hatte, war keiner Gefahr ausgesetzt. Man wußte von diesem berühmten Kundschafter, daß er oft, wo nichts mehr zu hoffen war, einen glücklichen Ausweg gefunden hatte: daß er schon einmal am Pfahl stand und die Grausamkeiten und Hohnworte des wilden indianischen Witzes ohne einen Klagelaut erduldete. Erzählungen von seinen Taten, von seiner Besonnenheit und seiner Kühnheit waren an der ganzen weiten Grenze, wo nur immer Menschen wohnten und Menschen kämpften, im Umlauf. Aber bei dieser Gelegenheit hätte einer, der seine Geschichte und seinen Charakter nicht kannte, der außerordentlichen Vorsicht und der großen Aufmerksamkeit auf seine Selbsterhaltung einen unwürdigen Beweggrund unterschieben können. Ein solcher Richter hätte jedoch den Mann nicht verstanden. Der Pfadfinder dachte an Mabel und an die wahrscheinlichen Folgen, denen das arme Mädchen ausgesetzt wäre, wenn ihm selbst ein Unfall begegnete; aber dieser Gedanke – statt seine gewohnte Klugheit zu ändern, schärfte eher seine geistigen Kräfte. Er war wirklich einer von denen, die Furcht so wenig kennen, daß sie gar nicht daran denken, was andere von ihrem Benehmen denken mögen. Aber wenn er in Augenblicken der Gefahr mit der Klugheit der Schlange handelte, so tat er es auch mit der Einfalt eines Kindes.

Während der ersten zehn Minuten des Angriffs erhob Pfadfinder nie den Schaft seiner Büchse von dem Boden, als wenn er seine Stellung wechselte, denn er wußte wohl, daß die feindlichen Kugeln gegen die dicken Holzstämme des Werks vergeblich abgeschossen waren; und da er bei Wegnahme der Haubitze mit tätig gewesen, so konnte er der festen Überzeugung leben, daß die Wilden keine andere Bombe besäßen als jene, die sich in dem genommenen Mörser befunden hatte. Es war daher kein Grund vorhanden, das Feuer der Angreifenden zu fürchten, wenn nicht zufällig eine Kugel durch die Öffnung einer Schießscharte flog. Dies kam ein- oder zweimal vor, aber die Kugeln waren unter einem Winkel eingedrungen, der sie unschädlich machte, solange sich die Indianer in der Nähe des Blockhauses hielten, und wenn sie aus größerer Entfernung abgeschossen wurden, so war kaum die Möglichkeit vorhanden, daß von Hunderten eine die Öffnung träfe. Als aber Pfadfinder den Ton eines Mokassintrittes und das Rascheln von Gestrüpp am Fuß des Gebäudes vernahm, so wurde es ihm klar, daß der Versuch, Feuer an die Balken zu legen, erneuert werden sollte. Er rief daher Cap vom Dach, wo jetzt keine Gefahr mehr zu befürchten war und forderte ihn auf, sich mit seinem Wasser an einer Öffnung, die unmittelbar über der bedrohten Stelle lag, bereit zu halten.

Ein Mann von weniger Erfahrung als unser Held möchte wohl zu hastig einen so gefährlichen Versuch zu vereiteln gesucht und zu früh zu den Hilfsmitteln, die ihm zu Gebote standen, seine Zuflucht genommen haben – aber nicht so Pfadfinder. Seine Absicht war nicht nur, das Feuer zu löschen, das ihm wenig Besorgnis einflößte, sondern vielmehr, dem Feind eine Lehre zu geben, die ihn für den Rest der Nacht vorsichtig machen sollte. Um das letztere Vorhaben auszuführen, mußte er warten, bis ihm das Licht des beabsichtigten Brandes ein Ziel zeigte; denn er wußte wohl, daß dann eine kleine Probe seiner Geschicklichkeit zureichen würde. Er ließ daher die Irokesen unangefochten dürres Gestrüpp sammeln, es am Blockhaus aufhäufen, anzünden und sie wieder in ihre Verstecke zurückkehren. Cap sollte nur ein volles Wasserfaß unmittelbar zu der Öffnung über der bedrohten Stelle rollen, um im geeigneten Augenblick für den Gebrauch bereit zu sein. Dieser Augenblick war aber, nach Pfadfinders Ansicht, nicht früher vorhanden, als bis die Flamme das benachbarte Gebüsch beleuchtete und dem raschen und geübten Auge des Kundschafters Zeit gelassen hatte, die Gestalten von drei oder vier lauernden Wilden zu entdecken, die mit der kalten Gleichgültigkeit von Menschen, die gewöhnt sind, teilnahmslos auf das menschliche Elend zu blicken, auf die Fortschritte des Brandes achteten. Jetzt erst sprach er.

»Seid Ihr bereit, Freund Cap?« fragte er. »Die Hitze fängt an, durch die Spalten zu dringen, und obgleich diese grünen Stämme nicht die feuerfangende Natur eines reizbaren Menschen haben, so mögen sie doch am Ende auflodern, wenn man sie allzusehr herausfordert. Seid Ihr mit dem Faß bereit? Gebt acht, daß Ihr es in die rechte Lage bringt, und daß das Wasser nicht unnötig verwendet wird.«

»Alles bereit!« antwortete Cap in dem Ton, mit dem der Matrose auf dem Schiff eine solche Aufforderung zu erwidern pflegt.

»Dann wartet, bis ich Euch weitere Weisung gebe. Man darf sowenig zu hastig in einem gefährlichen Augenblick sein wie tollkühn in einer Schlacht. Wartet, bis ich’s Euch sage.«

Während der Pfadfinder diese Anweisungen gab, machte er seine eigenen Vorbereitungen, denn er sah, daß der Augenblick des Handelns gekommen sei. Der Wildtod wurde vorsichtig gehoben, angelegt und abgefeuert. Das Ganze dauerte ungefähr eine halbe Minute, und nachdem er die Büchse wieder hereingenommen hatte, brachte der Schütze sein Auge an die Schießscharte.

»Eines von diesen Reptilien weniger«, brummte Pfadfinder in den Bart. »Ich habe diesen Strolch schon früher mal gesehen, und ich kenn‘ ihn als einen schonungslosen Teufel. Noch einen von diesen Schuften, und das wird guttun für diese Nacht. Wenn das Tageslicht kommt, werden wir heißere Arbeit kriegen.«

Mittlerweile wurde eine andere Büchse bereitgehalten, und als Pfadfinder zu sprechen aufgehört hatte, fiel ein zweiter Wilder.

Das war in der Tat hinreichend; denn die ganze Rotte, die sich in das Gebüsch um das Blockhaus herum verkrochen hatte, empfand keine Lust, eine dritte Heimsuchung von derselben Hand abzuwarten, und da keiner wissen konnte, wer dem Auge des Schützen ausgesetzt war, so hüpften sie aus ihren Verstecken und flüchteten sich nach verschiedenen Richtungen, um ihre Haut in Sicherheit zu bringen.

»Jetzt gießt aus, Meister Cap«, sagte Pfadfinder, »ich habe diesen Blaustrümpfen einen Denkzettel gegeben; sie werden uns in dieser Nacht kein Feuer mehr anzünden.«

»Achtung!« schrie Cap, indem er das Faß mit einer Sorgfalt ausschüttete, daß die Flammen auf einmal und vollständig erloschen.

So endete dieser sonderbare Kampf, und der Rest der Nacht verfloß in Ruhe. Pfadfinder und Cap wachten abwechselnd, obgleich man von keinem sagen konnte, daß er wirklich schliefe. Auch schien der Schlaf kein Bedürfnis für sie zu sein, da beide an langes Wachen gewöhnt waren, und es gab Zeiten, wo der erstere buchstäblich gegen die Anforderungen des Hungers und Durstes unempfindlich und gegen die Wirkungen der Ermüdung ganz abgestumpft schien.

Mabel wachte an ihres Vaters Lager und begann zu fühlen, wie oft unser zeitliches Glück nur von Dingen abhängt, die in der Einbildung bestehen. Bisher hatte sie eigentlich ohne Vater gelebt, da ihre Verbindung mit ihm eher eine geistige als eine wirkliche zu nennen war. Jetzt aber, da sie ihn verlieren sollte, betrachtete sie den Augenblick seines Todes als den Abschnitt, der ihr die Welt zur Öde machte und all ihr irdisches Glück zerstörte.

Elftes Kapitel

Elftes Kapitel

Selten wird die Hoffnung durch einen so vollkommenen Genuß belohnt wie der war, der den jungen Leuten der Garnison am folgenden Tage durch die günstige Witterung bereitet wurde. Es gehört vielleicht mit zu der gewöhnlichen Verkehrtheit des Menschen, daß die Amerikaner gerne auf Dinge ihren Stolz setzen, denen das Urteil einsichtsvoller Personen in Wirklichkeit nur eine untergeordnete Stelle angewiesen haben würde, indes sie Vorteile, die sie in eine gleiche Höhe mit den meisten ihrer Mitgeschöpfe, wo nicht gar über sie, stellen, übersehen oder unter ihrem Wert anschlagen. Unter diese letztere gehört das Klima, das zwar im ganzen kein vollkommenes, aber doch unendlich angenehmer und ebenso gesund ist wie das der meisten Gegenden, die sich hierin am lautesten rühmen.

Die Hitze des Sommers wurde in der jetzigen Zeit am Oswego wenig gefühlt, denn die Schatten des Urwaldes verminderten in Verbindung mit der erfrischenden Seeluft den Einfluß der Sonne so weit, daß die Nächte immer kühl und die Tage selten drückend waren.

Es war im September, wo die starken Küstenwinde oft durch das Land hin bis zu den großen Seen dringen, so daß der Binnenschiffer bisweilen den eigentümlichen Einfluß, der die Winde des Meeres charakterisiert, in der höheren Kraft seines Körpers, der größeren Frische des Geistes und der Steigerung seiner moralischen Kräfte fühlt. Ein solcher Tag war’s, als sich die Garnison versammelte, um Zeuge des von ihrem Kommandanten scherzweise so betitelten »Waffenganges« zu sein. Lundie war ein Gelehrter, wenigstens in militärischen Dingen, und tat sich etwas darauf zugute, die Lektüre und die Gedanken der unter seinem Befehl stehenden jungen Leute auf die mehr intellektuellen Teile ihres Berufes hinzuleiten. Seine Bibliothek war für einen Mann in seiner Lage gut und umfassend und stand jedem, der von den Büchern Gebrauch zu machen wünschte, offen. Unter die anderen seltsamen Einfälle, die durch solche Hilfsmittel ihren Weg zu der Garnison gefunden hatten, gehörte auch der Geschmack an einer Art von Unterhaltung, der man sich heute hinzugeben anschickte. Dabei hatten einige Chroniken aus den Zeiten des Rittertums Anlaß gegeben, der Belustigung einen Anstrich des Paradeartigen und Romantischen zu verleihen, was gerade nicht ungeeignet für den Charakter und die Gewohnheiten von Soldaten war oder für den wilden und isolierten Posten, den diese Garnison besetzt hielt.

Während man jedoch so ernstlich auf das Vergnügen bedacht war, vernachlässigten die Diensthabenden die Sicherheit der Garnison nicht. Wer an den Bollwerken des Forts stand und auf die ungeheure, fast den ganzen nördlichen Horizont begrenzende Wassermasse und von da aus auf den schlummernden, scheinbar endlosen Wald blickte, der die andere Hälfte des Panoramas ausfüllte, der hätte allerdings denken mögen, daß dieser Ort der wahre Aufenthalt des Friedens und der Sicherheit sei. Aber Duncan of Lundie wußte zu wohl, daß diese Wälder im Augenblick Hunderte auszuschicken vermochten, deren einziger Sinn die Zerstörung des Forts und seines ganzes Inhalts war, und daß gerade der trügerische See einen offenen Weg darbot, auf dem seine zwar mehr zivilisierten, aber kaum weniger hinterlistigen Feinde, die Franzosen, leicht nahe kommen und ihn in einem unwillkommenen und unbewachten Moment überfallen konnten. Es wurden Patrouillen unter alten wachsamen Offiziere ausgeschickt, die sich wenig um die Spiele des Tages kümmerten, um durch den Wald zu streifen, und in dem Fort blieb eine ganze Kompagnie stets unter Waffen, mit dem Befehl ebensosehr auf der Hut zu sein als ob gemeldet worden wäre, daß ein übermächtiger Feind im Anzug sei. Unter diesen Vorsichtsmaßregeln überließ sich der Rest der Offiziere und der Mannschaft ohne Besorgnis der Beschäftigung des Morgens.

Die für die Belustigung ausersehene Stelle war ein freier Platz, etwas westlich vom Fort und unmittelbar an dem Damm des Sees. Man hatte ihn von Bäumen und Strauchwerk gelichtet, um sich seiner als eines Exerzierplatzes zu bedienen, da er den Vorteil hatte, im Hintergrund von dem Wasser und auf einer Seite durch die Festungswerke gedeckt zu sein. Es war daher nur von zwei Seiten ein Angriff möglich, und da sich der freie Raum weit nach Westen und Süden hinzog, so mußten die Angreifer das Versteck in den Wäldern verlassen, wenn sie nahe genug kommen wollten, um wirklich gefährlich zu werden.

Obgleich die gewöhnliche Waffe des Regimentes die Muskete war, brachte man bei dieser Gelegenheit doch etliche und fünfzig Büchsen zum Vorschein. Jeder Offizier hatte eine als einen Teil seiner Privatprovision und zu seinem Vergnügen; viele gehörten den Kundschaftern und befreundeten Indianern, deren sich stets mehr oder weniger um das Fort aufhielten; und einige waren das Eigentum des Bataillons, zum Gebrauch derer bestimmt, die zu Ergänzung des Mundvorrates der Jagd oblagen. Unter denen, die eine eigene Waffe führten, waren etwa fünf oder sechs, die in besonderem Ruf standen und sich durch ihre Geschicklichkeit eine Berühmtheit an der Grenze erworben hatten; zweimal soviel mochten für etwas mehr als gewöhnliche Schützen gelten. Dann gab es aber noch manche, die man für gewandt in fast jeder Lage hätte halten mögen, nur nicht gerade in der, in der sie sich eben jetzt hervortun sollten.

Die Zielweite betrug hundert Ellen; ein Auflegen des Gewehrs war nicht üblich. Das Ziel bestand aus einer mit den gewöhnlichen Kreisen versehenen weißgemalten Scheibe, die im Mittelpunkt das Ochsenauge hatte. Die ersten Geschicklichkeitsversuche begannen mit Herausforderungen unter der unedleren Klasse der Bewerber, um ihre Sicherheit und Gewandtheit in einem unbelohnten Wetteifer zu zeigen. Es nahmen jedoch nur die gemeinen Soldaten an diesem Spiel teil, das für die Zuschauer, unter denen noch kein Offizier erschienen war, wenig Interesse hatte.

Die meisten Soldaten waren Schotten. Das Regiment war vor einer Reihe von Jahren in Stirling und dessen Nachbarschaft ausgehoben worden, und nachdem es in den Kolonien angekommen war, hatten sich mit ihm, wie dies auch mit Sergeant Dunham der Fall war, viele Amerikaner vereinigt. Im allgemeinen waren die aus den Provinzen die erfahrensten Schützen, und nach den Proben einer halben Stunde mußte der Ruhm der größten Geschicklichkeit einem in der Kolonie von New York geborenen Jüngling von holländischer Abkunft zugestanden werden, der den wohlklingenden Namen van Valtenburg trug, gewöhnlich aber Follock genannt wurde. Gerade als man sich über diese Ansicht entschieden hatte, erschien der älteste Kapitän, begleitet von den meisten Herren und Damen, in festlichem Aufzug. Ein Schweif von etlichen zwanzig Frauen und Mädchen geringeren Standes folgte, unter denen auch die gewandte Gestalt, das ausdrucksvolle, blühende, lebhafte Gesicht und der zierliche Anzug Mabel Dunhams zu sehen war.

Von Frauen, die offiziell als zur Klasse der Damen von Stand gehörig betrachtet werden mußten, waren nur drei in dem Fort. Diese waren Offiziersfrauen, gesetzte ältere Damen, in deren Benehmen sich die Einfachheit des mittleren Alters zum Teil mit ihren Begriffen von dem Übergewicht ihres Standes, den Rechten und Pflichten der Kaste und der Etikette des Ranges mischte. Die anderen Frauen waren Frauen von Unteroffizieren und Gemeinen, und Mabel war im eigentlichen Sinne, wie bereits der Quartiermeister bemerkt hatte, die einzige sich für den Ehestand eignende Person unter ihrem Geschlecht. Allerdings waren auch noch ein Dutzend anderer Mädchen da; sie gehörten aber noch unter die Kinder, und es war keine darunter, die schon so alt gewesen wäre, um einen geeigneten Gegenstand der Bewunderung abzugeben.

Um die Frauen auf eine passende Weise zu empfangen, war eine niedrige Art Tribüne unmittelbar am Damm des Sees aufgeschlagen worden. In der Nähe waren die Preise an einem Pfahl aufgehängt. Man ließ den Vordersitz des Gerüstes von den drei Ladys mit ihren Kindern einnehmen, indes Mabel und die Frauen der Unteroffiziere den zweiten Platz besetzten. Die Frauen und Töchter der Gemeinen bildeten eine bunte Reihe; einige standen, andere saßen, wie sie eben Platz finden konnten. Mabel, die bereits in einer Art von Gesellschafterin Zutritt in den Zirkel einiger Offiziersfrauen gefunden hatte, wurde von den Damen auf dem Vordersitz, die eine bescheidene Selbstachtung und höfliche, feine Sitte zu schätzen wußten, sehr beachtet, obgleich sie alle den Wert des Ranges, zumal in einer Garnison, hoch anschlugen.

Sobald dieser wichtige Teil des schaulustigen Publikums seinen Platz eingenommen hatte, gab Lundie den Befehl zur Eröffnung der Belustigung in der Weise, wie er es vorher angeordnet hatte. Acht oder zehn der besten Schützen der Garnison nahmen Besitz von dem Stand und begannen nach der Reihe zu feuern. Sie bestanden aus Offizieren und anderen Leuten ohne Unterschied, da auch die Gelegenheitsbesucher auf dem Fort von der Mitbewerbung nicht ausgeschlossen waren. Man konnte von Leuten, deren Belustigung und behaglicher Unterhalt allein von der Geschicklichkeit in Führung des Gewehrs abhing, erwarten, daß sie alle hinreichend geübt waren, das Ochsenauge oder den weißen Fleck im Zentrum des Zieles zu treffen. Dann folgten andere, die weniger sicher waren und mit ihren Kugeln nur in den verschiedenen Kreisen um das Zentrum blieben, ohne es selbst zu berühren.

Nach den Regeln des Tages konnte keiner einen zweiten Schuß tun, wenn er das erstemal gefehlt hatte, und der Platzadjutant, der den Zeremonienmeister oder Marschall des Tages machte, rief die glücklicheren Bewerber bei ihren Namen auf, sich für einen weiteren Versuch bereit zu halten, indem er zugleich ankündigte, daß alle die das Ochsenauge gefehlt hätten, von aller weiteren Mitbewerbung ausgeschlossen sein sollten. Gerade in diesem Augenblick erschienen Lundie, der Quartiermeister und Jasper Eau-douce unter der Gruppe bei dem Stand, indes der Pfadfinder gemächlich über den Platz schritt, ohne seine beliebte Büchse bei sich zu führen. Dies war ein zu ungewöhnlicher Umstand, als daß nicht alle Anwesenden darauf hätten entnehmen sollen, es geschehe nur deshalb, weil er sich nicht als Mitbewerber um die Ehren des Tages betrachte. Alles machte dem Major Duncan Platz, der sich in gutgelaunter Weise dem Stand näherte, seine Stellung einnahm, sein Gewehr sorglos erhob und Feuer gab. Die Kugel fehlte das erforderliche Ziel um mehrere Zoll.

»Major Duncan ist von den ferneren Versuchen ausgeschlossen!« proklamierte der Adjutant mit einer so starken und zuversichtlichen Stimme, daß alle älteren Offiziere und Sergeanten wohl erkannten, wie dieser Fehlschuß vorher verabredet war, indes sich die jüngeren Herren und die Gemeinen durch die augenscheinliche Unparteilichkeit, mit der die Gesetze des Spiels gehandhabt wurden, aufs neue ermutigt fühlten; denn nichts ist für schlichte Menschen so anziehend wie die Verheißung strenger Gerechtigkeit, und nichts ist so selten wie ihre wirkliche Ausübung.

»Nun kommt die Reihe an Euch, Meister Eau-douce«, sagte Muir, »und wenn Ihr den Major nicht überbietet, so werd‘ ich sagen, daß Eure Hand besser mit dem Ruder als mit der Büchse umzugehen weiß.«

Jaspers hübsches Gesicht errötete. Er schritt gegen den Stand zu, warf einen hastigen Blick auf Mabel, deren zierliche Gestalt, wie er sich überzeugte, sich rasch vorwärts beugte, als ob sie auf das Resultat begierig sei – ließ den Lauf seiner Flinte anscheinend mit geringer Sorgfalt auf die Fläche seiner Linken fallen, erhob die Mündung einen Augenblick mit außerordentlicher Fertigkeit und feuerte. Die Kugel drang genau durch das Zentrum des Ochsenauges – der beste Schuß dieses Morgens, da die anderen das Bild nur berührt hatten.

»Brav gemacht, Meister Jasper«, sagte Muir, sobald das Resultat bekannt gemacht war, »und ein Schuß, der einem älteren Kopf und einem erfahreneren Auge Ehre gemacht haben würde. Doch ich denke, es war etwas dummes Glück dabei, denn Ihr wart nicht besonders genau im Zielnehmen. Ihr mögt wohl schnell in der Bewegung sein, Eau-douce, aber Ihr seid nicht wissenschaftlich genug in der Handhabung Eures Gewehrs. Nun, Sergeant Dunham, ich werd‘ es Euch Dank wissen, wenn Ihr die Damen ersucht, etwas mehr als gewöhnlich acht zu haben; denn ich will jetzt einen Gebrauch von der Büchse machen, den man einen intellektuellen nennen kann. Ich geb‘ zu, Jasper würde einen getötet haben; es hätte aber beim Empfang eines solchen Schusses nicht halb so viel Befriedigung stattgefunden, als beim Empfang einer wissenschaftlich abgefeuerten Ladung.«

Diese ganze Zeit über bereitete sich der Quartiermeister auf seinen wissenschaftlichen Versuch vor. Er verschob es jedoch zu zielen, bis er sah, daß sich das Auge Mabels, ebenso wie die Blicke der übrigen weiblichen Zuschauer, neugierig auf ihn richteten. Da ihm die anderen aus Achtung vor seinem Rang Raum ließen und nur der Kommandant in seiner Nähe stand, so sagte er zu diesem in seiner familiären Weise:

»Sie sehen, Lundie, daß etwas zu gewinnen ist, wenn man die weibliche Neugier aufregt, ’s ist ein lebhaftes Gefühl um die Neugier; und zweckmäßig geleitet mag sie am Ende zu etwas besserem führen.«

»Sehr wahr, David; aber Sie lassen uns mit ihren Vorbereitungen nicht zu lange warten, und da kommt Pfadfinder, der etwas aus Ihrer größeren Erfahrung lernen möchte.«

»Wohl, Pfadfinder, Ihr könnt dabei auch einen Begriff von der Philosophie des Schießens bekommen. Ich hab‘ nicht die Absicht, mein Licht unter den Scheffel zu stellen, und Ihr seid immer willkommen, wenn Ihr was von mir lernen wollt. Habt Ihr nicht auch die Absicht, einen Schuß zu versuchen, Mann?«

»Warum sollt‘ ich, Quartiermeister? Ich brauche keinen von den Preisen, und was die Ehre anbelangt, so hab‘ ich deren genug gehabt, wenn’s überhaupt ’ne Ehre ist, besser zu schießen als Sie. Ich bin kein Weib, um einen Kopfputz zu tragen.«

»Sehr wahr; aber Ihr könntet ein Weib finden, das in Euren Augen kostbar genug ist, ihn von Euch zu tragen, wie –«

»Vorwärts, David«, unterbrach ihn der Major, »wir möchten den Schuß oder Ihren Abzug sehen. Der Adjutant wird ungeduldig.«

»Des Quartiermeisters Geschäftskreis und der des Adjutanten vertragen sich selten miteinander, Lundie. Aber ich bin bereit. Geht ein bißchen auf die Seite, Pfadfinder, und nehmt den Damen nicht die Aussicht.«

Leutnant Muir nahm nun seine Stellung mit einem guten Teil studierter Eleganz ein, erhob seine Büchse langsam, senkte sie, erhob sie aufs neue, wiederholte dieses Manöver nochmals und gab Feuer.

»Gefehlt, die ganze Scheibe«, rief der Mann, der die Treffer zu bezeichnen hatte, und wenig Geschmack an des Quartiermeisters lästiger Wissenschaftlichkeit fand. »Die Scheibe verfehlt.«

»Es kann nicht sein«, schrie Muir, und sein Gesicht glühte ebensosehr vor Entrüstung wie vor Scham. »Es kann nicht sein, Adjutant; denn nie begegnete mir in meinem Leben eine solche Ungeschicklichkeit. Ich appelliere an die Damen um ein gerechtes Urteil!«

»Die Damen schlossen ihre Augen, als Sie feuerten«, riefen die Spötter im Regimente. »Ihre Vorbereitungen erschreckten sie.«

»Ich kann solche Schmähung von den Damen nicht glauben und meine Geschicklichkeit nicht auf solche Weise verunglimpfen lassen«, erwiderte der Quartiermeister, der mehr und mehr in sein Schottisch verfiel, je wärmer seine Gefühle wurden, »’s ist ’ne Verschwörung, um einem verdienten Mann das zu rauben, was ihm gebührt.«

»Es ist eben ein Fehlschuß, Muir«, sagte der Major lachend, »und Sie müssen sich in die Laune des Glücks fügen.«

»Nein, nein, Major«, bemerkte endlich Pfadfinder, »der Quartiermeister ist, seine Langsamkeit ausgenommen, auf eine gemessene Entfernung ein guter Schütze, obgleich nichts Außerordentliches für den wirklichen Dienst. Seine Kugel hat die von Jasper bedeckt, wie man bald sehen kann, wenn sich einer die Mühe nehmen will, die Scheibe zu untersuchen.«

Die Achtung vor Pfadfinders Geschicklichkeit und vor der Schnelligkeit und Sicherheit seines Auges war so groß und allgemein, daß in dem Augenblick, als er diese Erklärung gab, die Zuschauer ihren eigenen Meinungen zu mißtrauen anfingen und ein Dutzend davon gegen die Scheibe stürzten, um sich über die Tatsache Gewißheit zu verschaffen. Man fand auch wirklich, daß des Quartiermeisters Kugel durch das von Jasper gemachte Loch, und zwar mit einer Genauigkeit gegangen war, daß es einer sehr scharfen Untersuchung bedurfte, um den Tatbestand außer Zweifel zu stellen; doch lag es am Tage, als man eine Kugel über der anderen in dem Pfahle fand, an dem die Scheibe befestigt war.

»Ich sagt‘ es ja, meine Damen, daß Sie Zeugen des Einflusses der Wissenschaft auf die Kunst zu schießen sein würden«, sprach der Quartiermeister, indem er auf die Tribüne zuging. »Major Duncan verlacht die Idee, daß sich die Mathematik auf das Scheibenschießen anwenden lasse; aber ich sag’s ihm, Philosophie färbt, vergrößert, verbessert, erweitert und breitet alles aus, was zum menschlichen Leben gehört, sei’s nun ein Wettschießen oder eine Predigt. Mit einem Wort, Philosophie ist Philosophie, und das ist alles, was man über diesen Gegenstand zu sagen nötig hat.«

»Ich denke, Sie schließen die Liebe von diesem Katalog aus«, bemerkte die Frau eines Hauptmanns, die die Geschichte von des Quartiermeisters Heiraten kannte und einen weiblichen Widerwillen gegen diesen Monopolisten ihres Geschlechtes hatte – »mir scheint, daß Philosophie wenig gemein hat mit der Liebe.«

»Sie würden das nicht sagen, Madame, wenn Ihr Herz viele Versuchungen erfahren hätte. Ein Mann oder eine Frau, die viele Gelegenheit gehabt haben, ihre Sympathien auszubilden, können am besten über solche Gegenstände sprechen; und, glauben Sie mir, von aller Liebe ist die philosophische die beste, da sie die vernünftigste ist.«

»So empfehlen Sie wohl die Erfahrung zur Veredelung der Liebe?«

»Ihr schneller Geist hat diese Idee mit einem Blick erfaßt. Die glücklichsten Heiraten sind die, wo Jugend, Schönheit und Vertrauen auf der einen Seite sich auf den Scharfsinn, die Mäßigung und die Klugheit der Jahre verläßt, des mittleren Alters, meine ich, Madame; denn ich will nicht in Abrede stellen, daß es auch so ein Ding von Ehemann geben kann, das zu alt für eine Frau ist. Hier ist Sergeant Dunhams bezaubernde Tochter, die sicherlich solchen Gefühlen Beifall zollen wird, denn die Besonnenheit ihres Charakters ist in der Garnison bereits vollkommen anerkannt, so kurz auch ihr Aufenthalt unter uns sein mag.«

»Sergeant Dunhams Tochter ist kaum eine geeignete Sprecherin bei einer Unterhaltung zwischen Ihnen und mir, Leutnant Muir«, erwiderte die Kapitänsfrau, die ihrer Würde nichts vergeben wollte; »doch, damit wir auf einen anderen Gegenstand kommen – dort schickt sich Pfadfinder an, sein Glück zu versuchen.«

»Ich protestiere, Major Duncan, ich protestiere!« – schrie Muir, indem er mit erhobenen Armen, um seinen Worten Nachdruck zu leihen, gegen den Stand zurückeilte. – »Ich protestiere in strengster Form, meine Herren, daß Pfadfinder bei dieser Unterhaltung mit seinem Wildtod zugelassen wird, denn, abgesehen von seiner langjährigen Fertigkeit, ist dies ein Gewehr, das bei einem Geschicklichkeitsversuch außer allem Verhältnis mit den Büchsen des Gouvernements steht.«

»Der Wildtod schläft zu Hause, Quartiermeister«, erwiderte Pfadfinder, »und niemand denkt hier dran, ihn zu stören. Ich dachte selbst nicht, heute den Drücker zu berühren; aber Sergeant Dunham überzeugte mich, daß ich seiner schönen Tochter, die unter meinem Schutz hierher kam, keine besondere Ehre erweise, wenn ich bei solcher Gelegenheit zurückbleibe. Ich benütze daher Jaspers Büchse, Quartiermeister, wie Sie sehen, und die ist nicht besser als Ihre.«

Leutnant Muir mußte sich zufriedengeben, und jedes Auge richtete sich auf den Pfadfinder, als er die erforderliche Stellung einnahm. Die Haltung dieses gefeierten Kundschafters und Jägers war äußerst straff, als er seine kühne Gestalt erhob und das Gewehr zurechtsetzte, wobei er eine vollkommene Selbstbeherrschung und eine genaue Kenntnis des menschlichen Körpers sowohl als der Waffe entwickelte. Sein Zielen geschah mit der Schnelle des Gedankens, und als der Rauch über seinem Haupt schwebte, erblickte man schon den Schaft der Büchse auf der Erde, die Hand an den Lauf gelehnt, und sein ehrliches Gesicht leuchtend von seinem stillen herzlichen Lachen.

»Wenn man bei solcher Gelegenheit eine Anspielung machen darf«, rief Major Duncan, »so möcht‘ ich sagen, daß der Pfadfinder auch die Scheibe verfehlt hat!«

»Nein, nein Major«, erwiderte Pfadfinder mit Zuversicht, »das würde eine gewagte Behauptung sein. Ich hab‘ das Gewehr nicht geladen und kann nicht sagen, was darin war; wenn es aber geladen war, so werden Sie finden, daß die Kugel die des Quartiermeisters und Jaspers tiefer hineingetrieben hat.«

Ein Ruf von der Scheibe her verkündete die Wahrheit dieser Versicherung.

»Das ist nicht alles, das ist nicht alles, Jungens«, rief Pfadfinder aus, der nun langsam auf die Tribüne der Damen zuging, »wenn ihr die Scheibe nur im mindesten berührt findet, so will ich verloren haben. Der Quartiermeister hat das Holz gestreift, ihr werdet aber nicht finden, daß es die letzte Kugel angegriffen hätte.«

»Sehr wahr, Pfadfinder, sehr wahr«, antwortete Muir, der sich in Mabels Nähe gemacht hatte, obschon er sich scheute, sie in Gegenwart der Offiziersfrauen anzureden. »Der Quartiermeister hat das Holz ausgeschnitten und hierdurch einen Weg für Eure Kugel geöffnet, die durch das Loch durchgegangen ist, das er gemacht hat.«

»Wohl, Quartiermeister; doch jetzt kommt’s an den Nagel, und wir wollen sehen, wer ihn tiefer hineintreiben kann, Sie oder ich, denn obgleich ich heut‘ nicht zeigen wollte, was eine Büchse leisten kann, so will ich doch, da sie mal in meiner Hand ist, keinen, der Königs Georgs Bestallung hat, den Rücken kehren. Chingachgook ist draußen, sonst könnte mich der zu einigen Feinheiten der Kunst veranlassen; aber was Sie anbelangt, Quartiermeister – wenn Sie der Nagel nicht so zufriedenstellt, so wird’s die Kartoffel tun.«

»Ihr tut diesen Morgen gewaltig dick, Pfadfinder; aber Ihr sollt finden, daß Ihr’s nicht mit einem grünen Burschen, frisch von den Ansiedlungen und Städten weg, zu tun habt; das versichere ich Euch.«

»Ich weiß das wohl, Quartiermeister, und will Ihrer Erfahrung nicht zu nah treten. Sie haben schon viele Jahre an der Grenze gelebt, und ich hab‘ von Ihnen in den Kolonien und selbst unter den Indianern schon vor einem ganzen Menschenalter sprechen hören.«

»Na, na«, unterbrach ihn Muir in seinem breitesten Schottisch; »das ist ’ne Ungerechtigkeit, Mann. Ich bin noch nicht so gar alt, nein.«

»Ich will Ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, auch wenn Sie das beste in dem Kartoffelversuch wegkriegen sollten. Sie haben für einen Soldaten ein gutes Menschenalter an Orten verlebt, wo die Büchse täglich gebraucht wird, und ich weiß, Sie sind ein geachteter und scharfblickender Schütze; aber doch sind Sie kein rechter Büchsenschütze. Was das Prahlen anbelangt, so hoff‘ ich, daß ich nicht als ein eitler Auskrämer meiner eigenen Taten bekannt bin; aber die Gaben eines Menschen sind seine Gaben, und es hieße der Vorsehung Trotz bieten, wenn man sie verleugnen wollte. Des Sergeanten Tochter hier soll zwischen uns Richter sein, wenn Sie Lust haben, sich einem so artigen Richter zu unterwerfen.«

Der Pfadfinder hatte Mabel zur Schiedsrichterin gewählt, weil er sie bewunderte und weil der Rang in seinen Augen wenig oder keinen Wert hatte. Aber Leutnant Muir schrak vor einer solchen Berufung in Gegenwart der Offiziersfrauen zurück. Er hätte wohl gern sein Bild beständig vor den Augen und der Seele des Gegenstandes seiner Hoffnungen gewünscht; aber er war doch zu sehr unter dem Einfluß alter Vorurteile und vielleicht zu schlau, um öffentlich als ihr Verehrer aufzutreten, wenn er nicht auf einen sicheren Erfolg hoffen durfte. Zu der Verschwiegenheit des Majors Duncan hatte er volles Vertrauen und fürchtete von dieser Seite aus keinen Verrat. Er mußte aber sehr vorsichtig zu Werk gehen; denn wenn es ruchbar wurde, daß er von der Tochter eines Unteroffiziers zurückgewiesen worden sei, so mochte er bei der Bewerbung um eine andere Frau von Stand – und auf eine solche durfte er vernünftigerweise doch Anspruch machen – wohl große Schwierigkeiten finden. Aber Mabel erschien so hübsch, errötete so niedlich, lächelte so hold und war ein so gewinnendes Bild von Jugend, Bescheidenheit und Schönheit, daß er es, ungeachtet seiner Zweifel und Besorgnisse, für äußerst verführerisch fand, seine Person in ihrer ganzen Erhabenheit von der Phantasie des Mädchens Besitz nehmen zu lassen, weshalb er es über sich gewann, sein Wort frei an sie zu richten.

»Es soll geschehen nach Euerm Wunsch, Pfadfinder«, erwiderte er, sobald er mit seinen Zweifeln ins reine gekommen war; »laßt des Sergeanten reizende Tochter Schiedsrichterin sein, und ihr wollen wir beiden den Preis widmen, den einer oder der andere sicher gewinnen muß. Pfadfinder muß, wie Sie bemerken, meine Damen, eigen gelaunt sein, sonst würden wir ohne Zweifel die Ehre gehabt haben, uns dem Urteil einer Dame aus Ihrer bezaubernden Gesellschaft zu unterwerfen.«

Ein Aufruf an die Bewerber führte nun den Quartiermeister und seinen Gegner hinweg, und in wenigen Minuten begann der zweite Versuch. Ein gewöhnlicher Werknagel, dessen Kopf gefärbt war, wurde leicht in die Scheibe getrieben, und die Schützen mußten ihn treffen, wenn sie nicht ihren Schuß bei den weiteren Proben verlieren wollten. Niemand von denen, die früher das Ochsenauge gefehlt hatten, wurde zugelassen.

Es waren ungefähr ein halbes Dutzend Bewerber um die Ehre dieses Probestückes. Einer oder zwei, die bei dem ersten Schießen den gemalten Fleck nur notdürftig berührt hatten, zogen es vor, ihren Ruf nicht auf Spiel zu setzen, denn sie fühlten, daß bei der schwereren Aufgabe, um die es sich jetzt handelte, nichts für sie zu holen sei. Die drei ersten Schützen fehlten, obschon sie der Marke sehr nahe kamen, ohne sie jedoch zu berühren. Der vierte in der Reihe war der Quartiermeister, der, nachdem er seine gewöhnlichen Stellungen durchgemacht hatte, insoweit glücklich schoß, als seine Kugel ein kleines Stück von dem Kopf des Nagels trennte und an der Seite des Punktes einschlug. Dies wurde als kein außerordentlicher Schuß betrachtet, obgleich er den Bewerber wieder auf die Liste brachte.

»Sie haben Ihre Haut gerettet, Quartiermeister, wie man in den Ansiedlungen von den Kreaturen sagt«, rief Pfadfinder lachend; »aber es würde lang‘ dauern, ein Haus mit einem Hammer zu bauen, der nicht besser als der Ihrige ist. Jasper hier wird Ihnen zeigen, wie man einen Nagel treffen muß, oder der Junge hat was von der Festigkeit seiner Hand und der Sicherheit seines Auges verloren. Sie würden besser getan haben, Leutnant, wenn Sie Ihre Stellungen weniger soldatisch gehalten hätten. Schießen ist eine natürliche Gabe und muß auf natürliche Weise geübt werden.« »Wir werden sehen, Pfadfinder; ich nenne das einen recht artigen Schuß, und ich zweifle, ob das Fünfundfünfzigste einen andern Hammer hat, wie Ihr es nennt, der wieder gerade dahin zu treffen vermag.«

»Jasper ist nicht im Fünfundfünfzigsten, aber da geht sein Schlag hin.«

Als der Pfadfinder sprach, traf Eau-douces Kugel das Viereck des Nagels und trieb den Kopf ungefähr einen Zoll tief in die Scheibe.

»Nietet ihn aus, Jungens«, schrie der Pfadfinder, indem er in die Fußtapfen seines Freundes in dem Augenblick trat, als sie frei wurden. »Laßt es gut sein mit dem neuen Nagel. Ich kann ihn sehen, obgleich die Farbe weggegangen ist, und was ich sehen kann, kann ich auch auf hundert Ellen treffen, und wär’s nur das Auge eines Moskitos. Habt ihr ihn ausgenietet?«

Die Flinte krachte; die Kugel flog ihren Weg, und der Kopf des Nagels wurde in dem Holz begraben, bedeckt von einem Stück plattgedrückten Bleis.

»Nun, Jasper, Junge«, fuhr der Pfadfinder fort, indem er den. Schaft seines Gewehrs zur Erde sinken ließ und das Gespräch wieder aufnahm, als ob er gar nicht an seinen eigenen Schuß dächte. »Ihr verbessert Euch täglich. Noch einige Züge am Land in meiner Gesellschaft, und der beste Schütze an der Grenze wird sich zusammennehmen müssen, wenn er seinen Stand nach Euch nimmt. Der Quartiermeister ist respektabel; aber er wird’s nicht weiter bringen. Dagegen habt Ihr, Jasper, die Gabe, und könnt’s eines Tags mit jedem Schützen aufnehmen.«

»Ho, ho!« rief Muir, »Ihr nennt das Streifen eines Nagelkopfs nur respektabel, da es doch die Vollkommenheit der Kunst ist? Jeder, der nun ein etwas verfeinertes und gebildetes Gefühl hat, weiß, daß die leichten Berührungen den Meister bekunden. Dagegen kommen Eure Schmiedhammerschläge nur aus dem Rohen und Ungebildeten. Wenn’s beim Schießen heißt: Um ein Haar gefehlt ist so gut wie um eine Meile gefehlt, so muß dies doch noch mehr bei einem Treffer gelten, Pfadfinder, ob er nun verwundet oder tötet.«

»Der sicherste Weg, diese Nebenbuhlerschaft zu beruhigen, wird wohl ein anderer Versuch sein«, bemerkte Lundie, »und das soll durch die Kartoffel geschehen. Sie sind ein Schotte, Herr Muir, und möchten vielleicht besser fahren, wenn es ein Kuchen oder eine Distel wäre, aber der Grenzbrauch hat sich für die amerikanische Frucht, die Kartoffel, erklärt.«

Da Major Duncan in seiner Weise einige Ungeduld kundgab, so hatte Muir zuviel Takt, den Fortgang der Belustigung noch länger durch seine Bemerkungen zu unterbrechen, sondern bereitete sich klugerweise für den nächsten Aufruf vor. Der Quartiermeister hatte zwar in der Tat wenig oder kein Vertrauen, daß er den nun folgenden Versuch glücklich bestehen werde, und würde es wohl nicht gewagt haben, sich unter die Bewerber zu mischen, wenn er vorausgesehen hätte, daß er wirklich stattfinden würde. Aber Major Duncan, der etwas humoristisch in seiner ruhigen, schottischen Weise war, hatte – ausdrücklich um ihn zu wählen – insgeheim bereits die nötigen Vorbereitungen treffen lassen; denn da er selbst ein Laird war, so konnte er dem Gedanken keinen Geschmack abgewinnen, daß ein Mann, der als ein Edelmann betrachtet werden wollte, seiner Kaste durch Eingehung einer ungleichen Verbindung Unehre zu machen gedachte. Sobald alles eingeleitet war, wurde Muir aufgefordert, seinen Stand zu nehmen, und die Kartoffel zum Wurf in Bereitschaft gehalten. Bei dem Ruf »auf«, den der Schütze gab, wurde das Gewächs mit einem sanften Stoß in die Luft geworfen, und es war nun des Quartiermeisters Aufgabe, eine Kugel durchzuschießen, ehe es den Boden wieder erreichte. Der Schuß fiel; aber das fliegende Ziel blieb unberührt.

»Rechts um – durchgefallen, Quartiermeister«, sagte Lundie mit einem Lächeln über diesen Erfolg, »die Ehre des seidenen Kopfputzes wird zwischen Jasper Eau-douce und Pfadfinder liegen.«

»Und wie soll der Versuch enden, Major«, fragte dieser. »Soll der mit den zwei Kartoffeln noch dazukommen, oder ist es mit Zentrum und Haut abgetan?«

»Mit Zentrum und Haut, wenn ein bemerklicher Unterschied stattfindet; im andern Fall muß der Doppelschuß folgen.«

»Das ist für mich ein entsetzlicher Augenblick, Pfadfinder«, bemerkte Jasper, und die Gewalt seiner Gefühle trieb alle Farbe aus seinem Gesicht, als er sich gegen den Stand hinbewegte.

Pfadfinder blickte ernst auf den jungen Mann; dann bat er den Major, einen Augenblick Geduld zuhaben, und führte seinen Freund etwas beiseite, so daß sie die nahe Stehenden nicht hören konnten.

»Ihr scheint Euch diese Sache zu Herzen zu nehmen, Jasper?« bemerkte der Jäger, indem er dem Jüngling mit festen Blicken ins Auge sah.

»Ich muß zugeben, Pfadfinder, daß sich meine Gefühle nie vorher so sehr an den Erfolg knüpften.«

»Und verlangt Ihr so sehr, mich auszustechen, einen alten geprüften Freund? – und das, sozusagen, auf meinem eigenen Wege? Schießen ist meine Gabe, Junge, und keine gewöhnliche Hand kann sich mit der meinigen messen.«

»Ich weiß es, ich weiß es, Pfadfinder, aber doch –«

»Aber was, Jasper, Junge? – Sprecht frei, Ihr sprecht mit einem Freund.«

Der junge Mann biß sich in die Lippen, fuhr mit der Hand über das Auge und errötete und erblaßte wechselweise wie ein Mädchen, das seine Liebe gesteht. Dann drückte er des andern Hand und sagte ruhig, und mit einer Männlichkeit, die alle andern Gefühle überwältigte:

»Ich wollte einen Arm drum geben, Pfadfinder, wenn ich diesen Kopfputz Mabel Dunham anbieten könnte.«

Der Jäger ließ seine Augen zur Erde sinken, und als er langsam gegen den Stand zurückging, schien er das, was er eben gehört hatte, tief zu erwägen.

»Es kann Euch nie bei dem Doppelversuch glücken, Jasper!« bemerkte er plötzlich.

»Des bin ich nur zu gewiß, und eben das quält mich.«

»Was für ein Geschöpf ist doch der sterbliche Mensch! Er sehnt sich schmerzlich nach Dingen, die nicht zu seinen Gaben gehören, und behandelt die Wohltaten, die ihm durch die Vorsehung zugewiesen werden, mit Leichtfertigkeit. Macht nichts – macht nichts! Stellt Euch auf, Jasper, denn der Major wartet – und hört, Junge – ich muß die Haut berühren, denn ich könnte mit weniger als so viel mein Gesicht nicht mehr in der Garnison zeigen.«

»Ich glaube, ich muß mich meinem Schicksal unterwerfen«, erwiderte Jasper, wie früher bald errötend, bald erbleichend – »aber ich will mir Mühe geben, als ob’s mein Leben gälte.«

Die Kartoffel wurde geworfen, Jasper feuerte, und das darauf folgende Geschrei leitete die Ankündigung ein, die Kugel sei in das Zentrum oder ihm doch so nahe eingedrungen, daß der Schuß wohl als Zentrumsschuß gelten könne.

»Das ist ein Mitbewerber, der Eurer würdig ist, Pfadfinder«, rief Major Duncan vergnügt, als der erstere seinen Stand einnahm, »und wir werden noch einige schöne Schüsse bei dem Doppelversuch zu sehen bekommen.«

»Was für ein Ding ist der sterbliche Mensch!« wiederholte der Jäger, der so sehr in seine eigenen Betrachtungen vertieft war, daß er kaum auf das, was um ihn vorging, zu achten schien, »Auf!«

Die Kartoffel flog, und die Flinte krachte gerade, als der kleine, schwarze Ball in der Luft zu stehen schien; denn der Schütze nahm augenscheinlich ungewöhnliche Sorgfalt auf sein Ziel. Dann folgte ein Blick der getäuschten Erwartung und Verwunderung unter denen, die das fallende Ziel aufgefangen hatten.

»Zwei Löcher auf einer Seite?« rief der Major aus.

»Die Haut, die Haut«, war die Antwort, »nur die Haut!«

»Was ist das, Pfadfinder? Soll Jasper Eau-douce die Ehre des Sieges davontragen?«

»Der Gewinn ist sein«, erwiderte der andere mit Kopfschütteln und verließ ruhig den Stand.

Da der Pfadfinder seine Kugel nicht durch die Mitte der Kartoffel geschickt, sondern nur die Haut durchschnitten hatte, so wurde der Preis Jasper zugesprochen. Der Kopfputz war in seinen Händen, als der Quartiermeister herzutrat und mit einem glatten Schein von Herzlichkeit seinem glücklicheren Nebenbuhler Glück zu dem Sieg wünschte.

»Aber nun habt Ihr den Putz gewonnen, Junge, der Euch zu nichts nütze ist«, fügte er bei. »Ihr könnte weder ein Segel noch eine Flagge daraus machen. Ich denke, Eau-douce, daß es Euch nicht leid täte, seinen Wert in gutem königlichem Silber in Eurer Tasche zu sehen?«

»Er ist für kein Geld feil, Leutnant«, erwiderte Jasper, dessen Auge von dem ganzen Feuer des Glückes und der Freude strahlte. »Dieser gewonnene Kopfputz ist mir lieber als fünfzig neue vollständige Segel für den Scud!«

»Ho, ho! Junge! Ihr werdet mir so toll wie all die andern. Ich hab’s eben wagen wollen, Euch eine halbe Guinea für diese Kleinigkeit anzubieten, ’s wär‘ doch besser, als wenn er in der Kajüte Eures Kutters unter den Füßen umherfährt oder am Ende ein Kopfputz für eine Squaw wird.«

Obgleich Jasper nicht wußte, daß der schlaue Quartiermeister ihm nicht die Hälfte des wirklichen Wertes seiner Prämie angeboten hatte, hörte er doch seinen Vorschlag mit Gleichgültigkeit an. Er schüttelte verneinend den Kopf und ging auf die Tribüne zu, wo seine Annäherung eine kleine Bewegung veranlaßte, da sich die Offiziersfrauen samt und sonders entschlossen hatten, wenn Galanterie den jungen Schiffer veranlassen sollte, mit seinem Gewinst ein Geschenk machen zu wollen, es anzunehmen. Aber Jaspers Schüchternheit nicht weniger als seine Bewunderung für eine andere würde ihn gehindert haben, nach der Ehre eines Komplimentes an die, die er so hoch über sich dachte, zu streben.

»Mabel«, sagte er, »dieser Preis ist für Sie, wenn nicht –«

»Wenn nicht was, Jasper?« antwortete das Mädchen, die bei dem natürlichen und großmütigen Wunsch, ihn seiner Verlegenheit zu entheben, ihre eigene Schüchternheit verlor, obgleich beide in einer Weise erröteten, die tiefere Gefühle verriet.

»Wenn Sie ihn nicht für zu unbedeutend halten, da er von einem angeboten wird, der kein Recht haben mag, zu glauben, daß seine Gabe angenommen werde.«

»Ich nehme sie an, Jasper; sie soll mir ein Erinnerungszeichen der Gefahr sein, die ich in Eurer Gesellschaft durchgemacht habe, und der Dankbarkeit, die ich für Eure Sorgfalt um mich fühle für Eure und des Pfadfinders Sorgfalt.«

»Laßt’s gut sein; laßt’s gut sein«, rief der letztere. »Dies ist Jaspers Glück und Jaspers Gabe. Geben Sie ihm vollen Kredit für beides. Die Reihe kann an einem andern Tag an mich kommen, an mich und den Quartiermeister, der wegen des Kopfputzes dem Jungen zu grollen scheint, obgleich ich nicht einsehe, zu was er ihn braucht, da er kein Weib hat.«

»Und hat Jasper Eau-douce ein Weib? oder habt Ihr selbst ein Weib, Pfadfinder? Ich kann ihn brauchen, daß er mir ein Weib kriegen helfe, oder als ein Erinnerungszeichen, daß ich ein Weib hatte, oder als einen Beweis, wie sehr ich dieses Geschlecht bewundere, oder weil er ein Frauenschmuck ist, oder aus irgendeinem anderen gleich achtbaren Grund. Die Nichtreflektierenden sind nicht die Geachtetsten bei den Gedankenvollen, und es gibt, laßt’s euch allen gesagt sein, kein besseres Zeichen, daß ein Mann ein guter Gatte seiner ersten Gefährtin war, als wenn er sich eilig nach einer geeigneten Nachfolgerin umsieht. Die Liebe ist eine schöne Gabe der Vorsehung, und wer wahrhaft geliebt hat, beweist, wie reichlich er diese Wohltat genossen, wenn er sobald wie möglich wieder eine andere liebt.«

»Es mag so sein. Ich bin kein Praktiker in solchen Dingen; aber Mabel hier, des Sergeanten Tochter, wird Ihre Worte voll zu würdigen wissen. Kommt, Jasper! obschon wir nichts dabei zu tun haben, so wollen wir doch sehen, was die andern Jungens mit ihren Büchsen ausrichten.«

Pfadfinder und seine Gefährten zogen sich zurück, denn die Belustigung nahm nun wieder ihren Fortgang. Die Damen jedoch waren nicht so sehr von dem Schießen in Anspruch genommen, um den Kopfputz darüber zu vernachlässigen. Er ging von Hand zu Hand; man befühlte die Seide, krittelte an der Fasson und untersuchte die Arbeit. Dann wagte man auch verschiedene Meinungen zu äußern, ob es auch passend sei, daß ein so schöner Putz in den Besitz einer Unteroffizierstochter gekommen.

»Ihr werdet vielleicht geneigt sein, den Kopfputz zu verkaufen, Mabel, wenn Ihr ihn eine kurze Zeit besessen habt?« fragte die Kapitänsfrau, »denn tragen könnt Ihr ihn doch nie, sollte ich denken.«

»Ich will ihn nicht tragen«, erwiderte unsere Heldin bescheiden, »doch möchte ich mich auch nicht von ihm trennen.«

»Sergeant Dunham versetzt Euch freilich nicht in die Notwendigkeit, Eure Kleider zu verkaufen, mein Kind, es ist aber immer weggeworfenes Geld, einen Putzartikel zu behalten, den Ihr doch nie tragen könnt.«

»Ich würde mich ungerne von der Gabe eines Freundes trennen.«

»Aber der junge Mann wird um so besser von Eurer Klugheit denken, wenn der Triumph dieses Tages vergessen ist. Es ist ein artiger und anständiger Schmuck und sollte nicht weggeworfen werden.«

»Es ist nicht meine Absicht, ihn wegzuwerfen, Madame, und wenn Sie erlauben, will ich ihn lieber behalten.«

»Wie Ihr wollt, Kind; Mädchen in Eurem Alter übersehen oft ihren wahren Vorteil. Doch erinnert Euch, daß er bestellt ist, wenn Ihr Euch entschließt, über ihn zu verfügen, und daß ich ihn nicht nehmen werde, wenn Ihr ihn je einmal selbst aufgesetzt hättet.«

»Ja, Madame«, sagte Mabel mit möglichst demütiger Stimme, obgleich ihre Augen glänzten und ihre Wangen sich röteten, als sie den verbotenen Schmuck eine Minute lang über ihre wohlgeformten Schultern legte, als ob sie versuchen wolle, wie er ihr passe, und ihn dann ruhig wieder abnahm.

Der Rest der Belustigung bot wenig Interesse. Man schoß wohl gut, aber in keinem Vergleich mit den eben erzählten Leistungen, und die Bewerber wurden bald sich selbst überlassen. Die Damen und die meisten Offiziere zogen sich zurück, und die übrigen Frauen folgten ihrem Beispiel. Mabel kehrte über die niedrigen Felsenplatten, die das Ufer des Sees bedeckten, heim und ließ den zierlichen Kopfputz auf ihrem noch zierlicheren Finger flattern, als der Pfadfinder zu ihr trat. Er führte die Büchse bei sich, deren er sich an diesem Tage bedient hatte; aber sein Benehmen zeigte weniger von der freien Leichtigkeit des Jägers als gewöhnlich, und sein Auge schien unstet und düster. Nach einigen nichtssagenden Worten über die vor ihnen liegende großartige Wasserfläche wandte er sich mit dem Ausdruck eines großen Anliegens in seinem Gesicht gegen das Mädchen und sprach:

»Jasper erntete diesen Putz für Sie, Mabel, ohne seine Gaben sehr anzustrengen.«

»Er hat sich gut gehalten, Pfadfinder.«

»Kein Zweifel. Die Kugel ging hübsch durch die Kartoffel, und niemand hätte mehr tun können, obgleich andere hätten ebensoviel leisten mögen.«

»Aber keiner leistete ebensoviel«, rief Mabel mit einer Lebhaftigkeit, die sie im Augenblick bereute; denn sie sah aus dem schmerzlichen Blick des Pfadfinders, wie sehr er durch diese Bemerkung sowohl als durch das Gefühl, mit dem sie sprach, gekränkt wurde.

»Es ist wahr – es ist wahr, Mabel, keiner leistete ebensoviel; aber – doch ich sehe keinen Grund, warum ich meine Gaben, die von der Vorsehung kommen, verleugnen sollte – ja, ja; keiner leistete dort so viel, aber Sie sollen sehen, was hier getan werden kann. Sehen Sie die Möwen, die über unsern Köpfen fliegen?«

»Gewiß, Pfadfinder; es sind zu viele, um der Beobachtung zu entgehen.«

»Hier, wo sie quer übereinander hinfliegen«, setzte er hinzu, indem er den Hahn spannte und die Büchse erhob; »die zwei – die zwei: Nun sehen Sie!«

Das Gewehr wurde mit Gedankenschnelle angelegt, als gerade zwei Vögel in eine Linie kamen, obgleich ihre Entfernung voneinander viele Ellen betragen mochte; der Schuß fiel und die Kugel drang durch die Körper der beiden Opfer. Die Möwen waren kaum in den See gefallen, als der Pfadfinder seinen Büchsenschaft fallen ließ und in seiner eigentümlichen Weise auflachte. Jeder Schatten von Unzufriedenheit und gekränktem Stolz hatte sein ehrliches Gesicht verlassen.

»Das ist was, Mabel – das ist was; obgleich ich Ihnen keinen Siegespreis zu geben habe. Aber fragen Sie Jasper selbst; ich will alles Jasper überlassen, denn eine wahrere Zunge und ein treueres Herz ist nicht in Amerika.«

»Es war also nicht Jaspers Verdienst, daß er den Preis gewonnen hat?«

»Nicht doch! Er tat sein Bestes und traf gut. Für einen, der bessere Wassergaben als Landgaben hat, ist Jasper ungemein erfahren, und man kann sich weder auf dem Wasser noch auf dem Land einen bessern Rückhalt wünschen. Aber es war mein Werk, Mabel, daß er gewonnen hat, obgleich es gerade keinen Unterschied macht – es macht keinen Unterschied, denn das Ding ist an die rechte Person gekommen.«

»Ich glaube, ich verstehe Euch, Pfadfinder«, sagte Mabel mit unwillkürlichem Erröten; »und ich betrachte nun den Putz als die vereinte Gabe von Euch und Jasper.«

»Da würden Sie dem Jungen unrecht tun. Er gewann das Kleidungsstück und hatte ein Recht, es wegzugeben. Ich wünsche nur, Mabel, Sie möchten glauben, daß, wenn ich es gewonnen hätte, es an dieselbe Person gekommen wäre.«

»Ich will’s nicht vergessen, Pfadfinder, und Sorge tragen, daß auch andere Eure Geschicklichkeit erfahren, die Ihr in meiner Gegenwart an den armen Möwen erprobt habt.«

»Gott segne Sie, Mabel; aber jedermann weiß, was ich in dieser Beziehung leisten kann, und Ihre Worte wären ebenso verloren wie das Französische bei einem amerikanischen Bären.«

»Ihr denkt wohl, Jasper wisse, daß Ihr ihm den Vorteil verschafft habt, den er auf eine so unschöne Weise benutzt hat?« sagte Mabel, indem die Farbe, die ihren Augen soviel Glanz verliehen hatte, allmählich ihr Gesicht verließ, das nun den Ausdruck eines gedankenvollen Ernstes annahm.

»Ich bin weit entfernt, das zu sagen. Wir alle vergessen Dinge, die wir gewußt haben, wenn wir auf unsere Wünsche sehr erpicht sind. Jasper weiß wohl, daß ich eine Kugel ebensogut durch zwei Kartoffeln schicken kann, wie ich’s eben bei diesen Möwen getan habe, und er weiß, daß dies kein anderer Mann an der Grenze vermag. Aber mit dem Kopfputz von seinen Augen und der Hoffnung, ihn Ihnen zu geben, war der Junge vielleicht gerade in diesem Augenblicke geneigt, besser von sich selbst zu denken, als er hätte tun sollen. Nein, nein; es ist nichts Niedriges oder Verdächtiges an Jasper Eau-douce, denn es ist eine natürliche Gabe aller jungen Leute, sich vor den Augen schöner, junger Frauen auszeichnen zu wollen.«

»Ich will versuchen, alles zu vergessen, mit Ausnahme der Güte, die ihr beide gegen ein armes, mutterloses Mädchen gezeigt habt«, sagte Mabel, indem sie sich bemühte, Bewegungen zu unterdrücken, von denen sie kaum einen Grund anzugeben wußte. »Glaubt mir, Pfadfinder, ich werde es nie vergessen, was Ihr schon alles für mich getan habt – Ihr und Jasper; und dieser neue Beweis Eurer Achtung soll nicht verloren sein. Hier, hier ist eine silberne Busennadel, und ich biete sie Euch an als ein Wahrzeichen, daß ich Euch mein Leben oder meine Freiheit verdanke.«

»Was soll ich damit tun, Mabel?« fragte der Jäger verlegen, als er den einfachen Zierat in seiner Hand hielt. »Ich hab‘ weder Schnalle noch Knopf an mir, denn ich trage nichts als lederne Schnüre, und zwar aus guten Hirschhäuten. Es fällt hübsch ins Auge, aber es ist weit schöner an der Stelle, von der es kam, als an mir.«

»Nein, steckt sie in Euer Jagdhemd; sie wird Euch gut stehen. Erinnert Euch, daß es ein Zeichen unserer Freundschaft ist und ein Merkmal, daß ich Euch und Eure Dienste nie vergessen kann.«

Mabel grüßte lächelnd zum Abschied, und an dem Damm hinhüpfend verlor sich ihre Gestalt bald hinter dem Wall des Forts.

Zwölftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Einige Stunden später stand Mabel in tiefen Gedanken auf dem Bollwerk, von dem aus man den Fluß und den See überblicken konnte. Der Abend war ruhig und sanft, und es hatte sich die Frage aufgeworfen, ob die Mannschaft wegen der gänzlichen Windstille diese Nacht abfahren könne oder nicht. Die Waffen und Mundvorräte waren bereits eingeschifft und auch Mabels Effekten an Bord; aber die kleine Anzahl Leute, die mitsegeln sollte, war noch am Ufer, und es hatte nicht das Aussehen, als ob sich der Kutter auf den Weg machen werde. Da Jasper den Scud aus der Bai stromaufwärts gewunden hatte, um nach Belieben die Mündung des Flusses passieren zu können, so blieb das Fahrzeug dort ruhig vor einem einzelnen Anker liegen, indes die Mannschaft müßig am Ufer der Bai hin und her ging, ohne zu wissen, ob es überhaupt zur Abfahrt kommen werde.

Die Belustigungen des Morgens hatte eine Ruhe in der Garnison zurückgelassen, die mit der Schönheit des gegenwärtigen Schauspiels im Einklang war, und Mabel fühlte diesen Einfluß, obgleich sie wahrscheinlich zu wenig gewöhnt war, über solche Empfindungen nachzusinnen, um den Grund zu bemerken. Alles in der Nähe schien lieblich und mild, während die feierliche Größe der schweigenden Wälder und die sanfte Fläche des Sees das Gepräge einer Erhaben heit trugen, die man bei andern Szenen wohl vergebens gesucht haben würde. Das erstemal fühlte Mabel den Einfluß merklich geschwächt, den die Städte und die Zivilisation auf ihre Gewohnheiten geübt hatten, und ihr warmes Herz fing an zu glauben, daß ein Leben unter den sie umgebenden Verhältnissen wohl ein glückliches sein könnte. Wie weit jedoch die Erfahrung der letzten zehn Tage dieser ruhigen und heiligen Abendstunde zu Hilfe kam und zur Bildung die jungen Überzeugung beitrug, dessen war sie sich nicht bewußt.

»Ein herrlicher Sonnenuntergang, Mabel«, sagte die kräftige Stimme ihres Onkels so dicht an ihrem Ohr, daß sie erschrak – »ein herrlicher Sonnenuntergang; was das Frischwasser betrifft, obgleich wir auf dem Meer nur wenig davon halten würden.«

»Ist nicht die Natur dieselbe, am Land oder auf dem Meer, auf einem See – wie dieser – oder dem Ozean? Scheint die Sonne nicht überall gleich, lieber Onkel?«

»Das Mädel ist über einige von ihrer Mutter Büchern gekommen – obgleich ich gedacht hätte, der Sergeant würde kaum einen zweiten Marsch mit solchem Plunder unter seiner Bagage machen. Ist nicht die Natur dieselbe – in der Tat! Wie, Mabel, bildest du dir etwa ein, daß die Natur eines Soldaten dieselbe sei wie die eines Seemanns? Du hast Verwandte in diesen beiden Geschäftszweigen und mußt mir antworten können.«

»Aber, Onkel, ich meine die menschliche Natur –«

»Ja, grade die mein‘ ich, Mädel; die menschliche Natur eines Seemanns und die menschliche Natur eines dieser Burschen vom Fünfundfünfzigsten, selbst deinen eigenen Vater nicht ausgenommen. Da haben sie heut‘ ein Wettzielscheibenschießen, wie ich’s nennen möchte, gehalten, und was für ein ganz ander Ding ist das gewesen als ein Scheibenfeuer auf dem Meer. Da hätten wir unsere Breitseite springen und die Kugeln spielen lassen auf einen Gegenstand, eine halbe Meile in der größten Nähe entfernt. Und die Kartoffeln? – Wenn sich etwa eine an Bord verirrt hätte, was aber wahrscheinlich nicht der Fall gewesen wäre, die wären wohl in des Kochs Kupferkessel geblieben. Es mag ein ehrenwerter Beruf sein, der eines Soldaten, Mabel; aber ein erfahrener Kerl sieht viele Torheiten und Schwächen in einem gewissen Fort. Was das bißchen See da anlangt, so weißt du bereits, was ich davon denke, und ich will nichts verachten. Kein rechter Seefahrer verachtet was! Aber ich will verdammt sein, wenn ich diesen Ontario da, wie sie ihn nennen, anders betrachte als so viel Wasser in einer Schiffluckenrinne. Nun sieh mal, Mabel, wenn du den Unterschied zwischen dem Ozean und einem See kennenlernen willst, so kann ich dir das auf einen einzigen Blick begreiflich machen. Dies ist, was man einen Kalm oder eine Windstille nennen könnte, denn du siehst, daß kein Wind da ist, obgleich ich, die Wahrheit zu gestehen, nicht glaube, daß diese Stille so ruhig ist, wie wir sie draußen haben –«

»Onkel, es geht ja kein Lüftchen. Die Blätter können unmöglich noch unbeweglicher sein, als sie es in diesem Augenblick durch den ganzen Forst sind.«

»Blätter! Was sind Blätter, Kind? Es gibt keine Blätter auf dem Meer. Wenn du wissen willst, ob ein toter Wind da ist oder nicht, so zünde ein gegossenes Licht an – die gezogenen flackern zuviel –, und dann kannst du sicher wissen, ob ein Wind da ist oder keiner. Wenn du in einer Breite wärst, wo die Luft so still ist, daß es dir schwer würde, sie sogar durch deine Atemzüge zu stören, so könntest du dir einen Begriff von einem Kalm machen. In den Kalmbreiten können die Leute nur ganz kurz Atem holen. Nun sieh mal wieder auf dies Wasser. Es ist wie Milch in der Pfanne, mit nicht mehr Bewegung als in einem vollen Faß, ehe der Spund gesprungen ist. Auf dem Meer ist das Wasser nie still, mag die Luft so ruhig sein wie sie will.«

»Das Wasser auf dem Meer ist nie still, Onkel Cap, nicht einmal bei Windstille?«

»Gewiß nicht, mein Kind. Das Meer atmet wie ein lebendiges Wesen, und sein Busen hebt sich immer, wie die Versemacher es nennen, wenn auch gleich nicht mehr Luft da ist, als man etwa in einem Heber finden kann. Niemand hat je das Meer so still wie diesen See gesehen; es hebt sich und senkt sich, als ob’s Lungen hätte.«

»Aber auch dieser See ist nicht ganz ruhig, denn dort bemerkt Ihr den leichten Wellenschlag am Ufer, und zeitweise könnt Ihr auch die Brandung hören, die sich an den Felsen bricht.«

»Alles verdammte Dichterei. Man kann, wenn man will, ebensogut eine Wasserblase einen Wellenschlag und eine Deckwäsche eine Brandung nennen. Nein, der Ontario-See ist gegen das Atlantische Meer nichts weiter als ein Fischerkahn gegen ein Kriegsschiff ersten Ranges. Übrigens, der Jasper da, das ist ein ordentlicher Bursche, und es fehlt ihm nichts als Unterricht, um einen Mann aus ihm zu machen.«

»Ihr haltet ihn für unwissend, Onkel«, erwiderte Mabel, indem sie ihre Locken zurechtmachte, wobei sie ihr Gesicht abwandte. »Mir scheint Jasper Eau-douce mehr zu wissen als die meisten jungen Leute seines Berufs. Er hat zwar wenig gelesen, denn Bücher sind nicht sehr häufig in dieser Gegend; aber er hat, wie mir scheint, viel gedacht für einen so jungen Menschen.«

»Er ist unwissend, er ist unwissend, wie’s alle sein müssen, die auf solchem Binnenwasser segeln. Es ist wahr, er kann einen flachen Knopf machen und einen Timmerstich, aber er hat so wenig Begriff von Schauermannsknopf und Rahbandknopf wie du vom Verkatten eines Ankers. Doch, Mabel, wir beide sind dem Jasper und dem Pfadfinder verpflichtet; und ich hab‘ dran gedacht, wie ich ihnen am besten einen Dienst erweisen kann; denn ich halte die Undankbarkeit für das Laster eines Schweins. Einige Leute sagen, sie sei das Laster eines Königs, aber ich sage, es ist das eines Schweins; denn bewirte es mit deinem eigenen Mittagsmahl, so wird es dich zum Dessert verspeisen.«

»Sehr wahr, lieber Onkel! Wir müssen auch wirklich tun, was wir können, um diesen beiden braven Männern für die geleisteten Dienste unseren Dank auszudrücken.«

»Gesprochen wie deiner Mutter Tochter, Mädel, und auf eine Art, die der Capschen Familie Ehre macht. Nun, es ist mir da ein Gegendienst eingefallen, der alle Teile zufriedenstellen wird, und sobald wir von dieser kleinen Expedition an dem See da drunten, wo die Tausendinseln sind, zurückkommen und ich mich zur Heimreise anschicke, so ist’s meine Absicht, ihn auszuführen.«

»Liebster Onkel, das ist recht und vernünftig. Darf ich fragen, was Eure Absichten sind?«

»Ich sehe keinen Grund, warum ich sie gegen dich geheimhalten soll; nur ist’s nicht gerade nötig, daß du deinem Vater was davon sagst, denn der Sergeant hat seine Vorurteile und könnte Schwierigkeiten in den Weg legen. Weder aus Jasper noch aus seinem Freund Pfadfinder kann hier herum was werden, und ich will ihnen daher den Vorschlag machen, sie mit mir an die Küste und an Bord zu nehmen. Jasper würde sich in vierzehn Tagen in die Ozeanschuhe finden, und eine Reise von zwölf Monaten würde einen ganzen Mann aus ihm machen. Der Pfadfinder würde freilich mehr Zeit brauchen oder vielleicht nie ganz tauglich werden; doch könnte man auch was aus ihm machen, einen Ausluger etwa, weil er so ungewöhnlich gute Augen hat.«

»Onkel, glaubt Ihr wohl, daß sie mit Euch gleiche Ansichten haben werden?« sagte das Mädchen lächelnd.

»Müßte ich sie nicht für Tröpfe halten? Welches vernünftige Wesen wird sein Weiterkommen vernachlässigen? Wenn Jasper diesen Weg verfolgt, kann er noch als der Herr irgendeines Schiffes mit langen Rahen absterben.«

»Und würde er darum glücklicher sein, lieber Onkel? Um wieviel ist denn der Herr eines Schiffes mit langen Rahen besser als der eines Fahrzeugs mit kurzen?«

»Pah, pah! Magnet; du bist gerade geeignet, vor irgendeiner hysterischen Gesellschaft Vorlesungen über Schiffe zu halten, denn du weißt nicht einmal, wovon du sprichst. Überlaß diese Dinge mir, und sie werden besser ausfallen. Ah! Da ist der Pfadfinder selbst. Ich möcht‘ ihm wohl so einen kleinen Wink über meine wohlwollenden Gesinnungen gegen ihn hinwerfen.«

Cap nickte mit dem Kopf und beendete seine Rede, als der Jäger näher kam. Dies geschah jedoch nicht mit seiner gewöhnlichen, freien, leichten Manier, sondern mehr in einer Weise, die andeutete, daß er etwas verwirrt, wo nicht mißtrauisch wegen der Art seines Empfanges war.

»Onkel und Nichte bilden eine Familienpartei«, sagte der Pfadfinder, als er beiden nahe stand, »und ein Fremder möchte wohl nicht der willkommenste Gesellschafter sein.«

»Ihr seid kein Fremder, Meister Pfadfinder«, erwiderte Cap, »und niemand kann willkommener sein als Ihr. Wir sprachen diesen Augenblick von Euch, und wenn Freunde von einem Abwesenden sprechen, kann er den Inhalt ihrer Worte erraten.«

»Ich frage nicht nach Geheimnissen, nein. Jeder Mensch hat seine Feinde, und ich habe die meinen, obgleich ich weder Euch, Meister Cap, noch die liebliche Mabel hier unter ihre Zahl rechne. Was die Mingos anbelangt, so will ich davon schweigen, obschon sie keine gerechte Ursache haben, mich zu hassen.«

»Dafür will ich einstehen, Pfadfinder, denn ich betrachte Euch als ein gutgesinntes und aufrichtiges Wesen. Doch gibt’s eine Methode, wie Ihr der Feindschaft gerade dieser Mingos entgehen könnt; und wenn Ihr Euch entschließen könnt, sie zu ergreifen, so würde niemand geneigter sein, sie Euch mitzuteilen als ich, ohne daß mein Rat gerade maßgebend sein soll.«

»Ich wünsche keine Feinde, Salzwasser« – denn so fing Pfadfinder an, Cap zu nennen, indem er unwillkürlich den Namen aufgegriffen hatte, der letzterem von den Indianern in und außer dem Fort gegeben wurde; – »ich wünsche keine Feinde und wäre bereit, die Axt sowohl mit den Mingos als mit den Franzosen zu vergraben; aber Ihr wißt wohl, daß es von einem Größeren, als wir sind, abhängt, die Herzen so zu lenken, daß ein Mensch ohne Feinde bleibt.«

»Wenn Ihr Euren Anker lichtet und mich an die Küsten hinab begleitet, Freund Pfadfinder, sobald wir von diesem kurzen Kreuzzug zurückkehren, so werdet Ihr Euch außer dem Bereich des Kriegsgeschreies und sicher genug vor einer indianischen Kugel befinden.«

»Und was soll ich am Salzwasser tun? Jagen in Euren Städten? Die Fährten der Leute, die auf den Markt und wieder zurückgehen, verfolgen und gegen Hunde und Hühner im Hinterhalt liegen? Ihr seid kein Freund meines Glückes, Meister Cap, wenn Ihr mich dem Schatten der Wälder entführen und in die Sonne des gelichteten Landes setzen wollt.«

»Mein Vorschlag geht nicht dahin, Euch in den Ansiedlungen zu lassen, sondern Euch aufs Meer hinauszuführen, wo man allein sagen kann, daß man frei Atem schöpft. Mabel kann mir’s bezeugen, daß das meine Absicht war, ehe ich Euch noch ein Wort über diesen Gegenstand mitteilte.«

»Und was denkt Mabel wohl, daß bei einem solchen Tausch herauskomme? Sie weiß, daß der Mensch seine Gaben hat und daß es ebenso nutzlos ist, denen eines anderen nachzustreben, wie denen zu widerstehen, die von der Vorsehung kommen. Ich bin ein Jäger und Kundschafter, Salzwasser, und es liegt nicht in mir, dem Himmel Trotz zu bieten und etwas anderes werden zu wollen. Hab‘ ich recht, Mabel, oder sind Sie so sehr Weib, daß Sie eine Natur verändert sehen möchten?«

»Ich möchte keinen Wechsel in Euch sehen, Pfadfinder«, erwiderte Mabel mit einer herzlichen Aufrichtigkeit und Freimütigkeit, die des Jägers Herz traf; »und so sehr mein Onkel das Meer bewundert und so groß auch das Gute sein mag, das wir ihm nach seiner Meinung verdanken, so wünscht‘ ich doch den besten und edelsten Jäger der Wälder nicht einmal in einen Admiral verwandelt zu sehen. Bleibt, was Ihr seid, mein wackerer Freund, und Ihr braucht nichts zu fürchten als den Zorn Gottes.«

»Hört Ihr’s, Salzwasser? Hört Ihr, was des Sergeanten Tochter sagt, und sie ist viel zu aufrichtig und gut, um anders zu denken, als sie spricht. Solang sie mit mir zufrieden ist, wie ich bin, werd‘ ich gewiß nicht den Gaben der Vorsehung Trotz bieten und was anderes werden wollen. Ich mag in der Garnison unnütz scheinen; aber wenn wir nach den Tausendinseln hinunterkommen, so gibt’s vielleicht Gelegenheit zu beweisen, daß eine sichere Büchse bisweilen eine wahre Gottesgabe ist.«

»So seid Ihr also auch von unserer Partie«, sagte Mabel, indem sie dem Pfadfinder so offen und freundlich zulächelte, daß er ihr bis ans Ende der Erde gefolgt wäre. »Ich werde mit Ausnahme einer Soldatenfrau das einzige Mädel sein und mich um so sicherer fühlen, Pfadfinder, da Ihr unter unseren Beschützern sein werdet.«

»Sie würden unter des Sergeanten Schutz sicher genug sein, auch wenn Sie nicht seine Verwandte wären. Alles wird auf Sie Bedacht nehmen. Ich denke, auch Ihr Onkel hier wird an einer derartigen Expedition Vergnügen finden, wenn es an ein Segeln geht und sich ein Blick auf das Binnenmeer werfen läßt?«

»Euer Binnenmeer ist von keinem Belang, Meister Pfadfinder, und ich erwarte nichts von ihm. Doch geb‘ ich zu, daß es mir angenehm sein würde, den Zweck dieses Kreuzzuges kennenzulernen. Man will nicht gerade müßig sein, und mein Schwager, der Sergeant, ist so verschlossen wie ein Freimaurer. Weißt du, Mabel, was das alles bedeutet?«

»Nicht im mindesten, Onkel. Ich darf meinen Vater um nichts fragen, was mit seinem Dienst in Verbindung steht, da er diesen für kein Geschäft der Weiber betrachtet. Alles, was ich sagen kann, ist, daß wir absegeln werden, sobald es der Wind zuläßt, und daß wir einen Monat ausbleiben sollen.«

»Vielleicht kann uns Meister Pfadfinder einen nützlichen Wink geben, denn eine Reise ohne Zweck ist nie besonders belustigend für einen alten Seemann.«

»Es ist kein großes Geheimnis, Salzwasser, was unsern Hafen und unsern Zweck anlangt, obgleich es verboten ist, in der Garnison viel davon zu reden. Doch ich bin kein Soldat und kann meine Zunge nach Gefallen brauchen, obgleich ich sie, wie ich hoffe, so wenig wie ein anderer zu einem eitlen Geschwätz benütze. Da wir aber so bald absegeln und wir beide von der Partie sind, so kann ich wohl sagen, wo’s hingeht. Ich setze voraus, daß Ihr wißt, es gibt solche Dinger wie die Tausendinseln, Meister Cap?«

»Ja, was man hier herum so nennt, obgleich ich’s für ausgemacht halte, daß es keine wirklichen Inseln sind, nämlich solche, wie wir sie auf dem Meer treffen, und daß man unter den Tausenden etwa zwei oder drei versteht, wie das auch bei den Getöteten und Verwundeten nach einer großen Schlacht zu geschehen pflegt.«

»Meine Augen sind gut, und doch haben sie mir oft versagt, wenn ich es versuchte, diese wirklichen Inseln zu zählen.«

»Schön, schön, ich hab‘ Leute gekannt, die nicht über eine gewisse Zahl zählen konnten. Die Sache scheint mir ganz unmöglich.«

»Ihr kennt die Seen nicht, Meister Cap, sonst würdet Ihr das nicht sagen. Ehe wir noch zu den Tausendinseln kommen, werdet Ihr andere Begriffe von dem kriegen, was die Natur in dieser Wildnis getan hat.«

»Ich hab‘ meine Zweifel, ob Ihr so ’n Ding, wie eine wirkliche Insel in dieser ganzen Gegend habt. Nach meinen Begriffen kann das frische Wasser gar keine echte und gerechte Insel machen – nicht das, was ich eine Insel nenne.«

»Wir können Euch Hunderte davon zeigen. Wenn es auch nicht gerade tausend sind, so sind es doch so viele, daß das Auge nicht alle sehen kann.«

»Und was für ’ne Art von Dingern mag das sein?«

»Land, rund umher von Wasser umgeben.«

»Gut, aber was für ’ne Art Land und was für ’ne Art Wasser? Ich wette, daß sie, wenn man die Wahrheit wüßte, zu nichts als Halbinseln oder Vorgebirgen oder Teilen des Festlandes würden, obgleich das, wie ich wohl sagen darf, Sachen sind, von denen Ihr wenig oder nichts versteht. – Aber Inseln oder nicht Inseln, was ist der Zweck des Kreuzzugs, Pfadfinder?«

»Nun, da Ihr des Sergeanten Schwager seid und die artige Mabel hier seine Tochter ist, so kann’s nichts schaden, wenn ich Euch ein bißchen einen Begriff von dem beibringe, was wir vorhaben. Da Ihr ein alter Seemann seid, Meister Cap, so habt Ihr ohne Zweifel von so einem Hafen wie Frontenac gehört?«

»Wer sollte nicht?. Ich will nicht gerade sagen, daß ich in dem Hafen selbst gewesen bin – aber doch oft auf der Höhe dieses Platzes.«

»So steht es Euch bevor, einen bekannten Boden zu betreten, obgleich ich nicht verstehe, wie Ihr vom Ozean aus dahin kommen konntet. Diese großen Seen bilden, wie Ihr wissen müßt, eine Kette, und das Wasser fließt aus dem einen in den anderen, bis es den Eriesee erreicht, der von hier aus gegen Westen liegt und ebenso groß ist wie der Ontario selbst. Aus dem Eriesee kommt nun das Wasser, bis es so eine Art niederen Bergrand erreicht, über den es weggeht –«

»Ich möchte doch wissen, wie zum Teufel das geschehen kann?«

»Leicht genug, Meister Cap«, erwiderte Pfadfinder lachend, »denn es darf nur über den Hügel hinunterfallen. Hätt‘ ich gesagt, daß es das Gebirge hinangehe, so wär’s gegen die Natur gewesen; aber wir halten’s für nichts Besonderes, daß das Wasser einen Berg runterstürzt – ich meine nämlich das frische Wasser.«

»Ja, ja; aber Ihr sprecht von Wasser, das von einem See an der Seite des Gebirges herabkommt. Das heißt ja geradezu, der Vernunft gegen den Stachel lecken, wenn die Vernunft einen Stachel hat.«

»Nun, wir wollen über diesen Punkt nicht streiten; aber was ich gesehen habe, habe ich gesehen. Ob die Vernunft einen Stachel hat, kann ich nicht sagen, aber das Gewissen hat einen, und dazu einen scharfen. Wenn das Wasser aller dieser Seen in den Ontario gelangt ist, so fließt es durch einen Fluß nach dem Meer ab, und in der Enge, wo die Wassermasse weder als Fluß noch als See betrachtet werden kann, liegen die besprochenen Inseln. Frontenac ist ein über diesen Inseln gelegener Posten der Franzosen. Die haben weiter unten eine Garnison, und so können sie ihre Mund- und Waffenvorräte flußaufwärts nach Frontenac bringen und sie längs der Ufer dieses und der andern Seen weiterschaffen, um den Feind instand zu setzen, seine Teufeleien unter den Wilden zu spielen und christliche Kopfhäute zu gewinnen.«

»Und wird unsere Gegenwart einem solch schrecklichen Treiben vorbeugen können?« fragte Mabel mit Teilnahme.

»Vielleicht, vielleicht auch nicht, wie es die Vorsehung will. Lundie sandte Mannschaft aus, um auf einer dieser Inseln Posto zu fassen und einige der französischen Boote abzuschneiden. Unsere Expedition ist nun die zweite Ablösung. Sie haben bis jetzt noch wenig getan, obgleich sie zwei mit indianischen Gütern beladene Kähne gekapert haben. Aber in der letzten Woche kam ein Bote und brachte solche Nachrichten, daß der Major jetzt damit umgeht, die letzte Anstrengung zu machen, die Schurken zu überlisten. Jasper kennt den Weg, und wir werden in guten Händen sein, denn der Sergeant ist klug, zumal in einem Hinterhalt; ja, er ist beides, klug und rasch.«

»Ist das alles?« sagte Cap verächtlich. »Aus den Vorbereitungen und Zurüstungen dacht‘ ich mir, wir hätten auch ein rechtes Stück Arbeit im Wind, und es sei ein ehrlicher Pfennig bei diesem Abenteuer zu gewinnen. Wahrscheinlich teilt man sich nicht in Eure Frischwasserprisengelder?«

»Wie?«

»Ich nehme es für ausgemacht an, daß alles, was durch diese Soldatenmärsche und Hinterhalte, wie Ihr’s nennt, gewonnen wird, dem König zufällt?«

»Davon weiß ich nichts, Meister Cap. Ich nehme mir meinen Anteil Pulver und Blei weg, wenn uns was in die Hände fällt, und sage dem König nichts davon. Andere mögen wohl besser dabei wegkommen, obgleich es nun auch für mich Zeit wird, an ein Haus, eine Einrichtung und eine Heimat zu denken.

Pfadfinder wagte es nicht, als er diese Anspielung auf eine Veränderung in seinem Leben machte, Mabel anzusehen, und doch hätte er eine Welt darum geben mögen, zu wissen, ob sie ihn gehört und wie dabei der Ausdruck ihres Gesichts gewesen wäre. Aber Mabel ahnte die Natur dieser Anspielung wenig, und mit völlig unbefangenem Gesicht richtete sie ihre Augen auf den Fluß, wo eine Bewegung an Bord des Scud sichtbar zu werden begann.

»Jasper bringt den Kutter hinaus«, bemerkte der Kundschafter, dessen Blick durch den Fall irgend eines schweren Körpers auf dem Verdeck nach derselben Richtung geleitet wurde. »Der Junge sieht ohne Zweifel Zeichen von Wind und wünscht bereit zu sein.«

»Nun, da werden wir wohl Gelegenheit haben, was von der Seefahrerkunst zu lernen«, erwiderte Cap mit einem höhnischen Blick. »Es liegt was Subtiles darin, wie man ein Fahrzeug unter Segel bringt, und man kann daran einen erfahrenen Seemann so gut wie an was anderem erkennen, ’s ist dabei wie mit dem Zuknöpfen eines Soldatenrocks, ob einer damit oben oder unten anfängt.«

»Ich will nicht sagen, daß man Jasper mit den Matrosen da unten vergleichen kann«, bemerkte Pfadfinder, dessen aufrichtige Seele das unwürdige Gefühl des Neides oder der Eifersucht fremd war; »aber er ist ein kühner Bursche und handhabt seinen Kutter so geschickt, wie man es nur immer verlangen kann – auf diesem See wenigstens. Ihr habt gesehen, daß er sich an den Oswegofällen nicht ungeschickt benahm, wo das frische Wasser ohne besondere Schwierigkeit über den Berg niederstürzt.«

Cap antwortete nur mit einem Ausruf der Unzufriedenheit; dann folgte allgemeines Schweigen. Alle auf der Bastei betrachteten die Bewegungen des Kutters mit großer Teilnahme. Noch war eine tote Windstille, und die Oberfläche des Sees erglänzte im eigentlichsten Sinne von den letzten Strahlen der Sonne. Der Scud war auf einen Kat-Anker gewarpt worden, der etwa hundert Ellen über der Flußmündung lag, wo der Strom den Hafen des Oswego bildete und hinreichenden Raum für die Handhabung des Fahrzeugs bot. Aber die völlige Windstille verhinderte einen solchen Versuch, und es wurde bald klar, daß das leichte Schiff nur mittels der Ruder durch die Passage gebracht werden könne. Es wurde kein Segel losgemacht, aber sobald der Anker aus dem Grund gehoben war, ließ sich der schwere Fall der Ruder vernehmen, und der Kutter begann mit stromaufwärts gerichteter Spitze gegen die Mitte der Strömung zu fahren. Als er diese erreicht hatte, ließ die Tätigkeit der Mannschaft nach, und er trieb gegen den Ausfluß hin. In dem engen Paß selbst beschleunigte sich seine Bewegung, und in weniger als fünf Minuten schwamm der Scud außerhalb der beiden niederen Kieseinschnitte, an denen sich die Wellen des Sees brachen. Da man keinen Anker auswarf, fuhr das Fahrzeug fort, sich vom Land zu entfernen, bis sein dunkler Rumpf auf der glatten Fläche des Sees, eine volle Viertelmeile jenseits des niedrigen Vorsprungs, still hielt, der die östliche Begrenzung des Raumes bildete, den man den äußersten Hafen oder den Ankerplatz hätte nennen können. Hier ließ der Einfluß der Strömung nach, und das Fahrzeug kam zur Ruhe.

»Das Schiff kommt mir sehr schön vor, Onkel«, sagte Mabel, deren Blick sich während dieser Stellungsveränderung keinen Augenblick von dem Kutter abgewendet hatte. »Ihr mögt vielleicht Fehler in seinem Aussehen und der Art seiner Führung entdecken; aber in meinen unwissenden Augen sind beide gleich vollkommen.«

»Ja, ja, es schwimmt mit der Strömung gut genug, Mädchen, und das würde ein Hobelspan auch tun. Wenn man aber auf die Feinheiten eingeht, so braucht ein alter Teer keine Brille, um Fehler dran zu finden.«

»Aber, Meister Cap«, warf Pfadfinder ein, der selten ein Vorurteil über Jasper aussprechen ließ, ohne sich zum Widerspruch geneigt zu zeigen, »ich habe gehört, wie alte und erfahrene Salzwasserschiffer zugestanden, daß der Scud ein so artiges Fahrzeug sei, wie nur eins auf dem Wasser schwimme. Ich verstehe mich nicht auf solche Dinge; man kann aber doch seine Begriffe von einem Schiff haben, wenn sie auch nicht ganz vollständig sind, und es würde mehr als Eures Zeugnisses bedürfen, mich zu überreden, daß Jasper sein Boot nicht in guter Ordnung halte.«

»Ich sage nicht, Meister Pfadfinder, daß der Kutter gar nichts tauge; aber er hat seine Fehler, und große Fehler.«

»Und was sind das für Fehler, Onkel? Wenn sie Jasper kennen würde, so würde er sie mit Vergnügen verbessern.«

»Was es für Fehler sind? Ei, es sind ihrer mehr als fünfzig, hundert sogar; sehr wesentliche und in die Augen fallende Fehler.«

»So nennt sie uns, Herr, und Pfadfinder wird sie seinem Freunde sagen.«

»Sie nennen? Es ist keine leichte Sache, die Sterne mit Namen zu nennen, aus dem einfachen Grunde, weil sie so zahlreich sind. Sie nennen! In der Tat. – Ei, meine artige Nichte, Miß Magnet, was hältst du von diesem Hauptmast da? Meinen unwissenden Augen erscheint er um wenigstens einen Fuß zu hoch getoppt, und dann ist der Wimpel falsch und – und – ja, ich will verdammt sein, wenn da nicht eine Toppsegelseisung losgetrieben ist – und, es würde mich nicht mal besonders überraschen, wenn dieses dicke Troß einen runden Schlag machen würde, ließe man in diesem Augenblick den Anker los. Fehler? – In der Tat! Kein Seemann kann’s nur einen Augenblick ansehen, ohne daß er fände, es sei so voller Fehler, wie ein Bedienter, der schon seinen Abschied in der Tasche hat.«

»Das mag sehr wahr sein, Onkel, obgleich es eine große Frage ist, ob Jasper davon weiß. Ich glaube nicht, Pfadfinder, daß er solche Übelstände dulden würde, wenn man sie ihm einmal zeigte.«

»Lassen Sie Jasper nur selber für seinen Kutter sorgen, Mabel. Seine Gabe liegt auf diesem Wege, und ich stehe dafür, daß niemand ihn lehren kann, wie er ihn den Händen der Frontenacer und ihrer teuflischen Freunde, der Mingos, zu entziehen hat. Wer kümmert sich um einen runden Schlag des Ankers und um Trosse, die zu hoch getoppt sind, Meister Cap, solang das Fahrzeug gut segelt und sich klar gegen die Franzosen hält? Ich verlasse mich trotz allen Seefahrern an den Küsten hier oben an den Seen auf Jasper, obgleich ich damit nicht sagen will, daß seine Gaben auch für das Meer passen, weil er sich da noch nie versucht hat.«

Cap lächelte herablassend, hielt es aber nicht für nötig, im Augenblick seine Kritteleien noch weiter fortzuführen. Sein Aussehen und Benehmen wurde jedoch allmählich übermütiger und hochfahrender, obgleich er bei der Behandlung von Streitpunkten, mit denen eine der Parteien gänzlich unbekannt war, als ganz gleichgültig zu erscheinen wünschte. Inzwischen hatte der Kutter angefangen, in den Strömungen des Sees hin und her zu treiben, und seine Spitze wendete sich, obgleich nur langsam und nicht in einer Weise, die besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, nach allen Richtungen. Auf einmal aber wurde der Klüver losgemacht und aufgehißt, und das Segel blähte sich gegen das Land zu, obschon auf der Oberfläche des Wassers noch keine Spuren des Windes zu entdecken waren. So gering übrigens dieser Einfluß war, so gab ihm doch der leichte Rumpf nach, und eine Minute später sah man den Scud sich quer in der Strömung des Flusses halten, mit einer so leichten und gemäßigten Bewegung, daß man sie kaum bemerken konnte. Als er die Strömung übersetzt hatte, stieß er auf einen Wirbel und schoß gegen das Land, gerade auf die Anhöhe zu, wo das Fort stand. Hier ließ Jasper den Anker fallen.

»Nicht tölpelig getan«, brummte Cap in einer Art von Selbstgespräch, »nicht besonders tölpelig, obgleich er sein Steuer an den Steuerbord, statt an den Backbord hätte setzen sollen, denn ein Fahrzeug muß immer den Stern gegen das Ufer kehren, sei es nun eine Meile vom Land oder eine Kabellänge. Es gewinnt dadurch ein achtsameres Aussehen, und das Aussehen gilt etwas auf dieser Welt.«

»Jasper ist ein gewandter Bursche«, bemerkte plötzlich Sergeant Dunham hart an seines Schwagers Seite, »und wir können uns bei unsern Ausflügen auf seine Geschicklichkeit verlassen. Aber kommt samt und sonders, wir haben nur noch eine halbe Stunde Tag, um unsere Sache zu besorgen, und die Kähne werden so schnell für uns bereit sein, wie wir es für sie sind.«

Auf diese Mitteilung trennte sich die ganze Gesellschaft, und jeder suchte noch die Kleinigkeiten zusammenzuraffen, die nicht bereits an Bord waren. Einige Trommelschläge gaben den Soldaten das nötige Signal, und in wenigen Minuten war alles in Bewegung.

Dreizehntes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Die Einschiffung des kleinen Häufleins ging schnell und ohne Verwirrung vonstatten. Die ganze unter dem Befehl des Sergeanten Dunham stehende Macht bestand nur aus zehn Gemeinen und zwei Unteroffizieren. Es war zwar bald bekannt, daß Herr Muir an der Expedition teilnehmen werde; doch wollte der Quartiermeister nur als Freiwilliger mitgehen und sich dabei, wie er es mit dem Kommandanten abgemacht hatte, des Vorwandes einiger Geschäfte, die in sein eigenes Departement gehörten, bedienen. Hierzu kamen noch der Pfadfinder und Cap mit Jasper und seinen Untergebenen, von denen einer ein Knabe war. Der männliche Teil der Gesellschaft bestand also aus nicht ganz zwanzig Personen und einem vierzehnjährigen Jungen, indes das weibliche Geschlecht durch Mabel und die Frau eines Gemeinen repräsentiert wurde.

Sergeant Dunham führte sein Kommando in einem großen Kahn über und kehrte dann zurück, um die Schlußbefehle einzuholen und nachzusehen, ob für seinen Schwager und seine Tochter Sorge getragen werde. Nachdem er Cap das Boot gezeigt hatte, dessen er und Mabel sich bedienen sollten, ging er in das Fort zurück, um seine letzte Zusammenkunft mit Lundie zu halten.

Es war schon ziemlich dunkel, als Mabel das Boot bestieg, das sie zu dem Kutter führen sollte. Die Oberfläche des Sees war so glatt, daß es nicht nötig wurde, die Kähne in den Fluß zu bringen, um ihre Fracht aufzunehmen, denn da das äußere Ufer ganz ohne Brandung und das Wasser ruhig wie in einem Teich war, konnte die Einschiffung hier geschehen. Man bemerkte, wie Cap gesagt hatte, auf dem See nichts von dem Heben und Sinken, dem Arbeiten der weiten Lungen und der Atmung eines Meeres; denn der Umfang des Ontario erlaubt es nicht, daß an einer Stelle Stürme toben, während an einer anderen Windstille herrscht, wie es auf dem Atlantischen Ozean der Fall ist. Es gehört auch zu den gewöhnlichen Bemerkungen der Seeleute, daß das Wasser auf allen den großen Seen des Westens schneller hochgeht und sich früher wieder legt als auf den verschiedenen Meeren, die sie kennen. Als daher Mabel das Land verließ, hatte sie aus keiner Bewegung des Wassers, die unter solchen Umständen so gewöhnlich ist, die Größe der Masse erkennen können. Nach einem Dutzend Ruderschlägen lag das Boot an der Seite des Kutters.

Jasper hielt sich bereit, seine Passagiere zu empfangen, und da das Verdeck des Scud nur zwei oder drei Fuß über dem Wasser lag, war es nicht schwierig, an Bord zu gelangen. Sobald dies geschehen war, zeigte der junge Mann Mabel und ihrer Gefährtin die Bequemlichkeiten, die er für ihren Empfang vorbereitet hatte, von denen sie auch ohne weiteres Besitz nahmen. Das kleine Fahrzeug hatte in seinem unteren Raum vier Kabinette, da alles zwischen den Decken ausdrücklich zum Zweck des Transports von Offizieren und Mannschaft mit ihren Weibern und Familien eingerichtet war. Das erste im Rang war die sogenannte Nebenkajüte, ein kleines Stübchen, das vier Lagerstellen enthielt und den Vorteil hatte, daß durch kleine Fenster Licht und Luft eindringen konnte. Dieses wurde gewöhnlich für die Frauen, die sich an Bord befanden, bestimmt, und da Mabel und ihre Gefährtin allein waren, so fehlte es nicht an Raum und Bequemlichkeit. Die Hauptkajüte war größer und erhielt ihr Licht von oben. Sie diente zum Gebrauch des Quartiermeisters, des Sergeanten, Caps und Jaspers, da sich der Pfadfinder, mit Ausnahme der Frauenkabine, überall herum aufhielt. Die Korporale und Gemeinen hatten ihren Platz unter der großen Luke, die zu diesem Zweck mit einem Deck verseben war, während die Ruderer wie gewöhnlich im Vorderkastell ihr Lager aufschlugen. Obgleich der Kutter nicht ganz fünfzig Tonnen führte, so war doch die Befrachtung durch die Offiziere und Mannschaft so gering, daß für alle, die an Bord waren, ein weiter Raum blieb, der im Notfall die dreifache Anzahl zu bergen imstande gewesen wäre.

Sobald Mabel von ihrem in der Tat recht anständigen und bequemen Kabinett Besitz genommen hatte, wobei sie sich nicht enthalten konnte, der angenehmen Betrachtung Raum zu geben, daß sie hierbei manches Jaspers Gunst zu verdanken habe – ging sie wieder auf das Verdeck zurück. Hier war alles in Bewegung. Die Soldaten liefen hin und her, um nach ihren Tornistern und anderen Effekten zu sehen; doch stellten Methode und Gewohnheit die Ordnung bald wieder her, und es herrschte nun an Bord eine tiefe Stille, die mit dem Gedanken an das künftige Abenteuer und an die verhängnisvolle Vorbereitung in Verbindung stand.

Die Finsternis fing an, die Gegenstände am Ufer undeutlich zu machen. Das ganze Land bildete einen gestaltlosen schwarzen Umriß an den Spitzen des Waldes und war nur von dem darüber hängenden Himmel durch das höhere Licht dieses Gewölbes zu unterscheiden. Bald begannen dort auch die Sterne nach und nach mit ihrem milden, angenehmen Licht zu schimmern und brachten das Gefühl der Ruhe mit sich, das gewöhnlich die Nacht begleitet. Es lag etwas Besänftigendes und zugleich etwas Aufregendes in dieser Szene, und Mabel, die auf der Schanze saß, fühlte sich lebhaft von diesen beiden Einflüssen ergriffen. Der Pfadfinder stand in ihrer Nähe, wie gewöhnlich an seine lange Büchse gelehnt, und es kam ihr selbst trotz der zunehmenden Dunkelheit der Stunde vor, als ob sie schärfere Linien des Nachdenkens als gewöhnlich in seinen rauhen Zügen entdeckte.

»Eine solche Fahrt kann Euch nichts Neues sein, Pfadfinder«, sagte sie, »und es überrascht mich daher, die Leute so still und in Gedanken vertieft zu sehen.«

»Wir lernen dies aus dem Krieg gegen die Indianer. Die Milizen schwatzen viel und handeln im allgemeinen wenig; aber die Soldaten, die oft mit den Mingos zusammentreffen, lernen den Wert einer klugen Zunge schätzen. Eine schweigende Armee ist in den Wäldern doppelt stark und eine lärmende doppelt schwach. Wenn Zungen Soldaten machten, so würden auf dem Schlachtfeld gewöhnlich die Weiber die Herren des Tages sein.«

»Aber wir sind weder eine Armee noch in den Wäldern! Man hat sich doch in dem Scud nicht vor den Mingos zu fürchten?«

»Fragen Sie Jasper, wie er Herr dieses Kutters geworden ist, und Sie werden sich dies selbst beantworten können. Niemand ist vor einem Mingo sicher, wenn er nicht dessen eigentliche Natur kennt, und gerade dann muß er sorgfältig seiner Kenntnis gemäß handeln. Fragen Sie nur den Jasper, wie er zu dem Kommando dieses Kutters gekommen ist.«

»Und wie kam er dazu?« fragte Mabel mit einem Ernst und einer Teilnahme, die einen angenehmen Einfluß auf ihren einfachen und treuherzigen Gefährten übten, der nie vergnügter war, als wenn er Gelegenheit hatte, zugunsten eines Freundes etwas zu sagen. »Es ist ehrenvoll für ihn, daß er bei seiner Jugend diese Stellung erreicht hat.«

»Es ist so; aber er hat sie verdient und wohl noch mehr. Eine Fregatte war‘ nicht zuviel gewesen, um seinen Geist und seine Besonnenheit zu belohnen, wenn es so ein Ding auf dem Ontario gäbe, was aber nicht der Fall ist und auch wahrscheinlich nie der Fall sein wird.«

»Aber Jasper – Ihr habt mir noch nicht erzählt, wie er zu dem Kommando dieses Schoners gekommen ist.«

»Es ist eine lange Geschichte, Mabel, die Ihnen Ihr Vater, der Sergeant, besser erzählen kann als ich; denn er war dabei und ich auf Kundschaft abwesend. Ich muß zugeben, daß Jasper kein guter Erzähler ist, und ich hab‘ ihn, wenn er um diese Sache befragt wurde, immer nur eine schlechte Erzählung geben hören, obschon jedermann weiß, daß es eine gute Sache war. Nein, nein, Jasper erzählt nicht gut; das müssen seine besten Freunde zugestehen. Der Scud war nahe daran, in die Hände der Franzosen und der Mingos zu fallen, als Jasper ihn auf eine Weise rettete, die nur ein schnell besonnener Geist und ein kühnes Herz versuchen konnte. Der Sergeant kann Ihnen die Geschichte besser mitteilen als ich, und ich wünsche, daß Sie ihn einmal fragen möchten, wenn es gerade nichts Besseres zu tun gibt. Was den Jasper anbelangt, so wird es nichts nützen, den Jungen damit zu plagen, denn er wird die Sache ganz verstümpern, weil er durchaus keine Geschichte zu geben weiß.«

Mabel entschloß sich, ihren Vater um die Mitteilung der Einzelheiten dieses Ereignisses noch in dieser Nacht anzugehen, denn für ihre jugendliche Phantasie konnte es wohl nichts Besseres zu tun geben, als auf das Lob eines Mannes zu hören, der nur ein schlechter Erzähler seiner eigenen Taten war.

»Wird der Scud bei uns bleiben, wenn wir die Inseln erreicht haben?« fragte sie nach einem leichten Zögern ob der Schicklichkeit dieser Frage; »oder werden wir dann uns selbst überlassen sein?«

»Je nachdem es kommt. Jasper läßt den Kutter nicht gern müßig sein, wenn es was zu tun gibt, und wir dürfen von seiner Seite Tätigkeit erwarten. Doch wenn’s nicht grade die Stromschnellen, die Fälle und Kähne betrifft, so mach‘ ich keinen Anspruch drauf, was von der Sache zu verstehen. Ich zweifle übrigens nicht, daß unter Jasper alles gut gehen wird, da er auf dem Ontario so gut eine Fährte finden kann, wie sie ein Delaware auf dem Land zu entdecken weiß.«

»Und unser Delaware, Pfadfinder – die Schlange – warum ist er diese Nacht nicht bei uns?«

»Ihre Frage würde natürlicher sein, wenn Sie sagten ›Warum seid Ihr hier, Pfadfinder?‹ – Der Häuptling ist an seinem Platz, während ich nicht auf dem meinigen bin. Er ist mit zweien oder dreien ausgezogen, um die Seeufer auszukundschaften, und wird unten bei den Inseln wieder zu uns stoßen, um uns seine gesammelten Nachrichten mitzuteilen. Der Sergeant ist ein zu guter Soldat, um die Nachhut zu vergessen, wenn er im Angesicht des Feindes steht. Es ist tausendschade, Mabel, daß Ihr Vater nicht als ein General geboren wurde, wie wir da so einige Engländer unter uns haben, denn ich bin fest überzeugt, daß in einer Woche kein einziger Franzose mehr in Kanada wäre, wenn er seinen eigenen Weg gehen dürfte.«

»Werden wir den Feind zu Gesicht bekommen?« fragte Mabel lächelnd und fühlte dabei zum erstenmal eine leichte Furcht wegen der Gefahren dieser Fahrt. »Werden wir wohl in ein Treffen verwickelt werden?«

»Wenn das wär‘, Mabel, so wird’s Leute genug geben, die bereit sind, sich zwischen Sie und die Gefahr zu werfen. Doch Sie sind die Tochter eines Soldaten und haben, wie wir alle wissen, den Mut eines Soldaten. Lassen Sie deshalb die Furcht vor einem Gefecht den Schlaf nicht von Ihren schönen Augen scheuchen.«

»Ich fühle mich mutiger, Pfadfinder, hier außen in den Wäldern, als ich mich je mitten in der Weichlichkeit der Städte gefunden habe, obgleich ich’s immer versuchte, mich zu erinnern, was ich meinem lieben Vater schuldig bin.«

»Nun ja, Ihre Mutter dachte vor Ihnen ebenso. – ›Ihr werdet Mabel wie ihre Mutter finden, kein kreischendes und verzärteltes Mädchen, daß ein Mann seine Not mit ihr hat, sondern sie wird ihren Gatten ermutigen und aufrichten, wenn er bei Gefahren unter der Sorge erliegen will‹, sagte der Sergeant zu mir, ehe ich noch Ihr hübsches Gesichtchen gesehen hatte; – ja, das sagte er!«

»Und warum sollte mein Vater Euch das gesagt haben, Pfadfinder?« fragte das Mädchen mit einigem Ernst. »Vielleicht glaubte er, Ihr würdet besser von mir denken, wenn Ihr mich nicht für ein einfältiges, furchtsames Geschöpf halten müßtet, wie unser Geschlecht davon soviele aufweist?«

Täuschung, wenn es nicht gerade auf Kosten seiner Feinde im Felde ging – ja selbst das Verbergen eines Gedankens war so wenig im Einklang mit dem Wesen des Pfadfinders, daß er bei dieser einfachen Frage in keine geringe Verlegenheit kam. Er fühlte aus einer Art von Instinkt, von dem er sich keine Rechenschaft zu geben vermochte, daß es nicht geeignet sei, die Wahrheit offen zu gestehen; und sie zu verbergen? – das wollte sich nicht mit seinem Rechtlichkeitsgefühl und seinen Gewohnheiten vertragen. In dieser Klemme nahm er unwillkürlich seine Zuflucht zu einem Mittelweg, der das, was er nicht zu sagen wagte, zwar nicht entschleierte, aber auch nicht geradezu verhehlte.

»Sie müssen wissen, Mabel«, sagte er, »daß der Sergeant und ich alte Freunde sind und wir in manchem harten Gefecht, an manchem blutigen Tag Seite an Seite gestanden haben. Es ist dann so die Weise von uns Scharmützlern, daß wir wenig an den Kampf denken, wenn die Büchse das ihrige getan hat; und des Nachts an unseren Feuern oder auf unseren Märschen, plaudern wir von Gegenständen, die wir lieben, wie ihr jungen Mädchen euch über eure Träumereien und Meinungen unterhaltet und miteinander über eure Einfälle lacht. Nun, da war’s natürlich, daß der Sergeant, der eine Tochter wie Sie hat, die er mehr als alles andere liebt, von ihr öfter als von irgendwas anderem sprach. Da ich nun weder Tochter noch Schwester, noch Mutter oder sonstige Verwandte und Bekannte, mit Ausnahme der Delawaren, zu lieben habe, so stimmte ich natürlich mit ein, und ich gewann Sie lieb, Mabel, ehe ich Sie noch gesehen hatte – ja das tat ich, Mabel, gerade deshalb, weil wir soviel von Ihnen sprachen.«

»Und nun, da Ihr mich gesehen habt«, entgegnete das lächelnde Mädchen, deren unverändert natürliche Weise bewies, wie wenig sie an etwas mehr als an elterliche oder brüderliche Zuneigung dachte, »fangt Ihr an, die Torheit einzusehen, Freundschaft mit Leuten zu schließen, ehe man sie näher als nur vom Hörensagen kennt.«

»Es war nicht Freundschaft – nicht Freundschaft, Mabel, was ich für Sie fühle. Ich bin der Freund der Delawaren und bin’s von meinen Knabenjahren an gewesen; aber meine Gefühle für jene oder für den Besten unter ihnen sind nicht dieselben, die mir der Sergeant gegen Sie einflößte, um so mehr, da ich Sie nun näher kennenzulernen anfange. Bisweilen fürcht‘ ich freilich, es sei nicht gut für einen Mann, der einem wahrhaft männlichen Beruf folgt – sei er nun Kundschafter oder ein Soldat – Freundschaft mit Frauen und zumal mit jungen Frauen zu schließen, da sie mir den Unternehmungsgeist zu schwächen und die Gefühle von den Gaben und natürlichen Beschäftigungen abzulenken scheint.«

»Ihr meint doch sicherlich nicht, Pfadfinder, daß Freundschaft gegen ein Mädchen wie ich Euch weniger kühn und weniger geneigt machen würde, mit den Franzosen im Kriegsfall wie früher anzubinden?«

»Nein, nicht so, nicht so. Mit Ihnen in Gefahr würd‘ ich zum Beispiel fürchten, zu tollkühn zu werden. Aber ehe wir miteinander sozusagen vertraut wurden, dachte ich gerne an meine Kundschaftszüge, meine Märsche und Auslager, meine Gefechte und andere Abenteuer. Jetzt kümmert sich mein Geist wenig mehr drum, und ich denke mehr an die Hütten, an die Abende, die man im Gespräch hinbringen kann, an Gefühle, die nichts mit Hader und Blutvergießen zu tun haben, und an junge Frauen, ihr Lachen, ihre heiteren, sanften Stimmen, ihre lieblichen Blicke und ihre gewinnenden Weisen. Ich sage dem Sergeanten bisweilen, daß er und seine Tochter noch einen der besten und erfahrensten Kundschafter an den Grenzen verderben werden.«

»Nicht doch, Pfadfinder; sie wollen es nur versuchen, das, was schon ausgezeichnet ist, vollkommen zu machen. Ihr kennt uns nicht, wenn Ihr glaubt, daß einer von uns wünsche, Euch nur im mindesten verändert zu sehen. Bleibt, was Ihr schon seid, derselbe ehrliche, aufrichtige, gewissenhafte, furchtlose, einsichtsvolle und zuverlässige Kundschafter, und weder mein lieber Vater noch ich werden je anders von Euch denken, als wir es jetzt tun.«

Es war zu dunkel für Mabel, als daß sie die Bewegungen in dem Gesicht ihres Zuhörers hätte bemerken können; aber ihre liebliche Gestalt war gegen ihn gekehrt, als sie mit ebensoviel Feuer wie Freimütigkeit diese Worte sprach, die zeigten, wie aufrichtig sie gemeint und wie wenig ihre Gedanken in Verwirrung gebracht waren. Ihr Gesicht war zwar leicht gerötet, aber es zeigte den Ausdruck des Ernstes und der Wahrheit ihrer Gefühle, ohne daß dabei ein Pulsschlag rascher flog.

Der Pfadfinder war übrigens zu unerfahren, um in derartige Unterscheidungen eingehen zu können; und seine Bescheidenheit wurde durch die Geradheit und die Kraft der Worte, die er eben gehört hatte, ermutigt. Nicht geneigt, vielleicht auch nicht fähig, weiter zu sprechen, entfernte er sich und blickte, an seine Büchse gelehnt, eine Weile in tiefem Schweigen zu den Sternen auf.

Während dieses auf dem Kutter vorging, fand die bereits erwähnte Unterredung Lundies mit dem Sergeanten auf dem Bollwerk statt.

»Sind die Tornister der Mannschaft untersucht worden?« fragte Major Duncan, nachdem er einen Blick auf den geschriebenen Rapport, der ihm von dem Sergeanten eingehändigt worden, geworfen hatte, denn es war bereits zu dunkel, um zu lesen.

»Alle, Euer Gnaden, und alle sind in Ordnung.«

»Waffen und Kriegsbedarf?«

»Alles in Richtigkeit, Major Duncan, und für den Dienst bereit.«

»Ihr habt die von mir vorgezeichneten Leute genommen, Dunham?«

»Ohne Ausnahme, Sir. Bessere Leute können nicht in dem Regiment gefunden werden.«

»Ihr braucht auch die Besten von unserer Mannschaft, Sergeant. Dies ist nun der dritte Versuch, und er wurde immer unter einem von den Fähnrichen gemacht, auf die ich das größte Vertrauen setzte, und doch sind mir alle früheren fehlgeschlagen. Nach soviel Vorbereitungen und Kosten wollt‘ ich das Projekt doch nicht ganz aufgeben, aber dies soll die letzte Bemühung sein. Das Resultat wird hauptsächlich von Euch und dem Pfadfinder abhängen.«

»Auf uns beide können Sie zählen, Major Duncan. Der Auftrag, den Sie uns gegeben haben, geht nicht über unsere Kräfte und unsere Erfahrung, und ich denke, er soll gut ausgerichtet werden. Ich weiß, daß es der Pfadfinder nicht fehlen lassen wird.«

»Darauf wird man sich freilich sicher verlassen können. Er ist ein außerordentlicher Mann, Dunham – ein Mann, der mich lange in Verlegenheit gesetzt hat, der aber, da ich ihn nun kenne, so sehr über meine Achtung zu gebieten hat wie irgendein General in Seiner Majestät Diensten.«

»Ich hoffe, Sir, daß Sie die projektierte Heirat mit Mabel als einen Umstand betrachten würden, den ich wünschen und beschleunigen sollte.«

»Was das anbelangt, Sergeant, so wird’s die Zeit lehren«, erwiderte Lundie lächelnd; »ein Weib ist bisweilen schwieriger zu leiten als ein ganzes Regiment Soldaten. Zudem wißt Ihr auch, daß Euer Möchte-gern-Schwiegersohn, der Quartiermeister, mit von der Partie sein wird, und ich versehe mir’s von Euch, daß Ihr ihm wenigstens ein gleiches Feld einräumen werdet für den Versuch, Eurer Tochter ein Lächeln abzugewinnen.«

»Ich habe Achtung vor seinem Rang, Sir, und wenn mich auch dieser nicht schon dazu veranlaßte, so würde der Wunsch Euer Gnaden genügen.«

»Ich danke Euch, Sergeant. Wir haben lange miteinander gedient und müssen uns gegenseitig in unseren Stellungen schätzen. Doch, versteht mich wohl; ich verlange für David Muir nichts weiter als freies Feld, keine Begünstigung. In der Liebe wie im Krieg muß jeder sich selbst den Sieg erringen. – Seid Ihr gewiß, daß die Rationen gehörig berechnet sind?«

»Dafür steh‘ ich, Major Duncan; aber wenn’s auch nicht war‘, so brauchten wir nicht Not zu leiden mit zwei solchen Jägern in unserer Gesellschaft, wie der Pfadfinder und Chingachgook.«

»Das geht nicht, Dunham«, unterbrach ihn Lundie scharf; »das kommt von Eurer amerikanischen Geburt und Erziehung. Kein rechter Soldat verläßt sich auf was anderes als auf seinen Proviantkommissär, und ich muß bitten, daß kein Angehöriger meines Regiments zuerst ein Beispiel von dem Gegenteil gibt.«

»Sie haben zu befehlen, Major Duncan, und es wird gehorcht werden; und doch, wenn ich voraussetzen dürfte, Sir –«

»Sprecht frei. Sergeant; Ihr redet mit einem Freund.«

»Ich wollte nur sagen, daß, wie ich finde, die Schotten Wildbret und Vögel ebensosehr lieben wie Schweinefleisch, wenn sie schwer zu bekommen sind.«

»Das mag wohl wahr sein; aber Lieben oder Nichtlieben hat nichts mit dem System zu schaffen. Eine Armee kann sich auf nichts verlassen als auf ihre Kommissäre. Die Unregelmäßigkeit der Provinzler hat zu oft Teufeleien in des Königs Dienst gebracht, um da länger die Augen zu schließen.«

»General Braddoek, Euer Gnaden, hätte sich von dem Oberst Washington sollen raten lassen.«

»Weg mit Eurem Washington! Ihr seid alle miteinander Provinzler, Mann, und jeder hält den anderen, als ob Ihr von einer geschworenen Verbindung wäret.«

»Ich glaube, Seine Majestät hat keine loyaleren Untertanen als die Amerikaner, Euer Gnaden.«

»Was das anbelangt, so habt Ihr recht, glaube ich, und ich bin vielleicht ein bißchen zu warm geworden. Ich betrachte Euch nicht als einen Provinzler, Sergeant, denn obgleich Ihr in Amerika geboren seid, so hat doch nie ein besserer Soldat eine Muskete geschultert.«

»Und Oberst Washington, Euer Gnaden?«

»Nu ja – Oberst Washington mag auch ein brauchbarer Untertan sein. Er ist das Wundertier der Amerikaner, und ich denke, ich kann ihm wohl all die Ehre widerfahren lassen, die Ihr verlangt. Ihr zweifelt nicht an der Geschicklichkeit dieses Jasper Eau-douce?«

»Der Junge ist erprobt und allem gewachsen, was man von ihm verlangen kann.«

»Er führt einen französischen Namen und hat seine Kindheit meistens in den französischen Kolonien zugebracht: Hat er französisches Blut in seinen Adern, Sergeant?«

»Nicht einen Tropfen, Euer Gnaden. Jaspers Vater war ein alter Kamerad von mir, und seine Mutter ist aus einer ehrbaren und loyalen Familie in unserer Provinz.«

»Wie kam er denn soviel unter die Franzosen, und woher hat er seinen französischen Namen? Er spricht auch die Sprache der Kanadier, wie ich finde.«

»Das ist leicht auseinandergesetzt, Major Duncan. Der Knabe blieb unter der Obhut eines unserer Seeleute aus dem alten Heer, und so kam er zu Wasser wie eine Ente. Euer Gnaden weiß, daß wir an dem Ontario keine Häfen haben, die diesen Namen verdienen, und so brachte er natürlich den größten Teil seiner Zeit auf der anderen Seite des Sees zu, wo die Franzosen seit fünfzig Jahren mehrere Schiffe haben. Er lernte da gelegentlich ihre Sprache und erhielt seinen Namen von den Indianern und Kanadiern, die wahrscheinlich die Leute gerne nach ihren Eigenschaften nennen.«

»Demungeachtet ist aber ein französischer Meister nur ein schlechter Lehrer für einen britischen Schiffer.«

»Ich bin‘ um Verzeihung, Sir; Jasper Eau-douce ist von einem wirklichen englischen Seemann erzogen worden, von einem Mann, der unter des Königs Flagge segelte und ein Befahrener genannt werden kann; er ist in den Kolonien geboren, aber deshalb, wie ich hoffe, Major Duncan, keiner der schlechtesten von seinem Gewerbe«

»Vielleicht nicht, Sergeant, vielleicht nicht; aber auch nicht besser. Außerdem hat sich dieser Jasper brav gehalten, als ich ihm das Kommando des Scud übergab. Kein Bursche hätt‘ sich loyaler oder besser betragen können.«

»Oder tapferer, Major Duncan. Es bekümmert mich, sehen zu müssen, Sir, daß Sie Zweifel in Jaspers Treue setzen.«

»Es ist die Pflicht eines Soldaten, dem die Obhut über einen so entfernten und wichtigen Posten wie diesen anvertraut ist, nie in seiner Wachsamkeit zu erschlaffen, Dunham. Wir haben mit zweien der listigsten Feinde, die je die Welt hervorgebracht hat, in ihrer verschiedenen Weise zu kämpfen – mit den Indianern und den Franzosen; und es darf nichts übersehen werden, was uns in Nachteil bringen könnte.«

»Ich hoffe, Euer Gnaden halten mich für den Mann, dem man irgendeinen besonderen Grund, der einen Zweifel an Jasper rechtfertigte, anvertrauen kann, da Sie mich für geeignet halten, mir dieses Kommando zu übertragen?«

»Es ist nicht der Zweifel an Euch, Dunham, der mich veranlaßt, die Enthüllung dessen, was mir zur Kunde gekommen ist, zu verzögern, sondern der Widerwille, eine üble Nachricht über einen Mann, auf den ich bisher was gehalten habe, in Umlauf zu bringen. Ihr müßt wohl gut von dem Pfadfinder denken, sonst würdet Ihr nicht wünschen, ihm Eure Tochter zu geben?«

»Für des Pfadfinders Ehrlichkeit steh‘ ich mit meinem Leben, Sir«, erwiderte der Sergeant mit Festigkeit und nicht ohne eine Würde in seinem Benehmen, die auf den Vorgesetzten Eindruck machte. »Solch ein Mann weiß gar nicht, was falsch sein heißt.«

»Ich glaube, Ihr habt recht, Dunham; und doch hat diese letzte Mitteilung all meine alten Meinungen zum Wanken gebracht. Ich hab‘ ein anonymes Schreiben erhalten, Sergeant, das mich anweist, gegen Jasper Western oder Jasper Eau-douce, wie man ihn nennt, auf der Hut zu sein. Es wird darin behauptet, daß er vom Feinde erkauft sei, und man gibt mir Hoffnung, daß mir eine weitere und genauere Mitteilung bald zugehen werde.«

»Briefe ohne Unterschriften verdienen im Krieg kaum beachtet zu werden.«

»Im Frieden, Dunham. Niemand kann unter gewöhnlichen Umständen von dem Schreiber eines anonymen Briefes eine geringere Meinung haben als ich selbst. Diese Handlung verrät Feigheit und Gemeinheit und ist gewöhnlich ein Beweis der Falschheit sowohl als auch anderer Laster. Aber im Krieg ist es nicht derselbe Fall. Außerdem sind mir mehrere verdächtige Umstände namhaft gemacht worden.«

»Sind sie von der Art, daß eine Ordonnanz sie hören darf, Euer Gnaden?«

»Gewiß, wenn es eine ist, der ich so vertraue, wie Euch, Dunham. Es wurde zum Beispiel gesagt, daß die Irokesen Eure Tochter und ihre Gesellschaft nur deshalb entrinnen ließen, um Jasper bei mir in Kredit zu bringen. Es heißt dabei, daß den Herren zu Frontenac mehr daran gelegen sei, den Scud mit dem Sergeanten Dunham und seiner Mannschaft wegzunehmen und unseren Lieblingsplan zunichte zu machen, als ein Mädchen und den Skalp ihres Onkels zu erbeuten.«

»Ich verstehe den Wink, Sir, aber ich schenke ihm keinen Glauben. Jasper kann freilich nicht treu sein, wenn Pfadfinder falsch ist; aber was den letzteren anlangt, so möcht‘ ich ebensogut Euer Gnaden mißtrauen wie ihm.«

»Es würde so scheinen, Sergeant; es würde in der Tat so scheinen. Aber Jasper ist jedenfalls nicht Pfadfinder, und – ich muß gestehen, Dunham, ich würde mehr Vertrauen in den Burschen setzen, wenn er nicht Französisch spräche.«

»Ich versicher‘ Euer Gnaden, ’s ist auch keine Empfehlung in meinen Augen, aber der Junge hat’s durch Zwang gelernt, und da ’s mal so ist, so soll man ihn, mit Eurer Gnaden Erlaubnis, um dieses Umstandes willen nicht zu schnell verdammen. Wenn er Französisch spricht, so ist’s deshalb, weil er’s nicht wohl los werden kann.«

»Es ist ein verdammtes Gewelsch, und nie hat’s einem gut getan, wenigstens keinen britischen Untertanen, denn die Franzosen selbst müssen doch in irgendeiner Sprache miteinander sprechen! – Ich würde mehr Vertrauen in diesen Jasper setzen, wenn er nichts von ihrer Sprache verstände. Dieser Brief hat mich ganz konfus gemacht. Wenn nur noch ein anderer da wäre, dem ich den Kutter anvertrauen könnte, so wollt‘ ich wohl meine Maßregeln treffen, um ihn hier zurückzubehalten. Ich hab‘ schon wegen Eures Schwagers, der von der Partie ist, mit Euch gesprochen, Sergeant. Nicht wahr, er ist ein Schiffer?«

»Er ist ein wirklicher Seefahrer, Euer Gnaden, und etwas von Vorurteilen befangen gegen das frische Wasser. Ich zweifle, ob er veranlaßt werden könnte, seinen Charakter an eine Fahrt auf dem See wegzuwerfen, und ich bin überzeugt, daß er den Posten nie finden würde.«

»Das letztere hat wahrscheinlich seine Richtigkeit, und dann kennt der Mann diesen trügerischen See nicht genug, um einem solchen Auftrag gewachsen zu sein. Ihr müßt daher doppelt wachsam sein, Dunham. Ich geb‘ Euch unbeschränkte Vollmacht, und solltet Ihr an diesem Jasper irgendeine Verräterei entdecken, so laßt ihn als Opfer der beleidigten Gerechtigkeit fallen.«

»Da er im Dienst der Krone ist, Euer Gnaden, so steht er unter dem Kriegsgericht –«

»Sehr wahr; dann legt ihn in Eisen vom Kopf bis zu den Füßen und sendet ihn hierher in seinem eigenen Kutter. Euer Schwager muß doch imstande sein, den Weg wieder zurückzufinden, wenn er ihn einmal gemacht hat?«

»Ich zweifle nicht, Major Duncan, daß wir imstande sein werden, alles zu tun, was nötig ist, wenn Jasper entfernt werden müßte, wie Sie zum voraus anzunehmen scheinen – obgleich ich denke, ich könnte mein Leben an seine Treue setzen.«

»Eure Zuversicht gefällt mir – sie spricht für den Burschen; – aber der verwünschte Brief! Er hat so das Aussehen der Wahrheit an sich; nein, es ist so viel Wahres darin, was auf andere Gegenstände Bezug hat.«

»Ich glaube, Euer Gnaden sagten, es fehle die Unterschrift des Namens; ein großes Versehen, wenn man da auf einen Ehrenmann schließen soll.«

»Ganz recht, Dunham, und nur ein Schurke, und obendrein ein feiger Schurke kann in Privatangelegenheiten einen anonymen Brief schreiben. Doch das ist im Kriege anders. Da werden Nachrichten fingiert, und List ist immer zu rechtfertigen.«

»Eine männliche Kriegslist, Sir, wenn Sie so wollen, Hinterhalte, Überraschungen, fingierte Angriffe und auch noch Spione; aber nie hab‘ ich gehört, daß ein rechter Soldat den Charakter eines ehrenhaften jungen Mannes durch derartige Mittel zu untergraben beabsichtigt hätte.«

»Ich hab‘ im Laufe meiner Erfahrung manches ungewöhnliche Ereignis erlebt und manchen auf dem faulen Pferde erwischt. Doch, lebt wohl, Sergeant; ich darf Euch nicht länger aufhalten. Ihr seid nun gewarnt, und ich empfehle Euch unermüdete Wachsamkeit. Ich glaube, Muir beabsichtigt, sich bald zurückzuziehen, und wenn Ihr mit dieser Unternehmung gut zustande kommt, so will ich meinen ganzen Einfluß aufbieten, Euch an seine Stelle zu bringen, auf die Ihr so manche Ansprüche habt.«

»Ich danke Euer Gnaden untertänig«, erwiderte der Sergeant ruhig, der schon seit zwanzig Jahren immer auf diese Weise ermutigt worden war, »und ich hoffe, ich werde meiner Stellung nie Unehre machen, welche sie auch immer sein mag. Ich bin, was die Natur und Vorsehung aus mir gemacht hat, und ich hoffe zu Gott, daß ich mich nie über meinen Posten beklagt habe.«

»Ihr habt doch die Haubitze nicht vergessen?«

»Jasper nahm sie diesen Morgen an Bord, Sir.«

»Seid vorsichtig und traut diesem Manne nicht ohne Not. Macht dem Pfadfinder zu Eurem Vertrauten, er mag zur Entdeckung einer Verräterei, die allenfalls am Werke sein könnte, beitragen. Seine ehrliche Einfalt wird seinen Beobachtungen Vorschub leisten, wenn er sie gehörig zu verbergen weiß. Er muß treu sein.«

»Für ihn, Sir, steh‘ ich mit meinem Kopf oder mit meinem Rang im Regiment. Ich hab‘ ihn zu oft geprüft, um an ihm zu zweifeln.«

»Von allen peinigenden Gefühlen, Dunham, ist Mißtrauen da, wo man zum Vertrauen genötigt ist, das peinlichste. Ihr habt doch darauf gedacht, daß es Euch nicht an überzähligen Flintensteinen fehlt?«

»Ein Sergeant ist ein sicherer Besorger aller derartigen Einzelheiten, Euer Gnaden.«

»Wohl! Nun, so gebt mir Eure Hand, Dunham. Gott segne Euch und laß es Euch wohl gelingen! Muir beabsichtigt sich zurückzuziehen – doch, da wir gerade auf den kommen, laßt ihm gleiches Feld bei Eurer Tochter, denn dies kann eine künftige Bewerkstelligung Eures Vorrückens erleichtern. Man wird sich mit einer Gefährtin wie Mabel lieber zurückziehen, als im freudlosen Witwenstand, wo man nichts als sein Ich zu lieben hat und noch dazu solch ein Ich, wie das Davids!«

»Ich hoffe, Sir, mein Kind wird eine kluge Wahl treffen, und denke, sie hat sich schon so ziemlich für den Pfadfinder entschieden. Doch sie soll freies Spiel haben, obgleich Ungehorsam ein Verbrechen ist, das der Meuterei am nächsten steht.«

»Untersucht und prüft den Kriegsbedarf sorgfältig, sobald Ihr ankommt; die Ausdünstung des Sees könnte ihm schaden. Und noch einmal, lebt wohl, Sergeant. Gebt auf diesen Jasper acht, und in irgendeiner Schwierigkeit zieht den Muir zu Rat. Ich erwarte, daß Ihr heute über einen Monat siegreich zurückkehrt.«

»Gott segne Euer Gnaden! Wenn mir etwas zustoßen sollte, so verlaß ich mich auf Sie, Major Duncan, daß Sie Sorge tragen werden für die Ehre eines alten Soldaten.«

»Verlaßt Euch auf mich, Dunham – Ihr verlaßt Euch auf einen Freund. Seid wachsam, erinnert Euch, daß Ihr in dem Rachen des Löwen sein werdet – doch nein, nicht einmal in dem Rachen des Löwen, sondern in dem eines verräterischen Tigers, in seinem wahren Rachen und außer dem Bereich einer Unterstützung. Habt Ihr diesen Morgen die Flintensteine gezählt und untersucht? – Und nun lebt wohl, Dunham, lebt wohl!«

Der Sergeant nahm die dargebotene Hand seines Vorgesetzten mit dem gehörigen Respekt, und endlich trennten sie sich, Ludie eilte in seine Wohnung, während der andere das Fort verließ, ans Ufer hinabging und ein Boot bestieg.

Der Anker des Scud wurde gelichtet, sobald man das Boot mit dem Sergeanten, der die letzterwartete Person war, vom Ufer abstoßen sah, und man richtete das Vorderteil des Kutters gegen Osten. Einige kräftige Schläge brachten das leichte Fahrzeug in gleiche Linie mit der nachwirkenden Strömung des Flusses, und so kam es wieder weiter vom Lande ab. Es war jetzt gänzliche Windstille, da der leichte Luftzug, der den Untergang der Sonne begleitete, wieder nachgelassen hatte.

Die ganze Zeit über herrschte eine ungewöhnliche Ruhe auf dem Kutter. Es schien, als fühlten die an Bord befindlichen Personen, daß sie in der Dunkelheit der Nacht auf ein ungewisses Unternehmen ausgehen sollten: Und die Wichtigkeit ihres Auftrags, die Stunde und die Art der Abfahrt verlieh ihren Bewegungen eine gewisse Feierlichkeit. Diese Gefühle wurden noch durch die Vorschriften der Disziplin unterstützt. Die meisten schwiegen, und wer sprach, tat es selten und mit gedämpfter Stimme. In dieser Weise bewegte sich der Kutter langsam in den See hinaus, bis er dahin gelangte, wo die Strömung des Flusses aufhörte, und blieb dort in der Erwartung des gewöhnlichen Landwindes stehen. Eine halbe Stunde lang lag der Scud nun so bewegungslos wie ein auf dem Wasser schimmernder Stamm. Obschon während der geringen Veränderungen, die in der Lage des Schiffes vorgingen, eine allgemeine Ruhe herrschte, so blieb doch nicht alle Mitteilung unterdrückt; denn der Sergeant führte, nachdem er sich überzeugt hatte, daß sich seine Tochter und ihre Gefährtin auf der Schanze befanden, den Pfadfinder zu der Nebenkajüte, versicherte sich, daß kein Horcher in der Nähe sei, schloß die Tür mit großer Vorsicht und begann mit folgenden Worten: »Es ist nun schon so manches Jahr, mein Freund, seit Ihr angefangen habt, die Beschwerlichkeiten und Gefahren der Wälder in meiner Gesellschaft zu versuchen.«

»Es ist so, Sergeant. Ich fürchte bisweilen, ich sei zu alt für Mabel, die noch nicht geboren war, als wir schon als Kameraden miteinander gegen die Franzosen fochten.«

»Seid deshalb ohne Furcht, Pfadfinder. Ich war fast so alt wie Ihr, als ich mein Auge auf ihre Mutter warf, und Mabel ist ein festes und verständiges Mädchen, die mehr den Charakter als etwas anderes beachtet. Ein Bursche, wie Jasper Eau-douce zum Beispiel, würde kein Glück bei ihr machen, obgleich er jung und hübsch ist.«

»Denkt Jasper ans Heiraten?« fragte der Pfadfinder mit ernster Einfalt.

»Ich hoffe nicht – wenigstens nicht, bis er jeden überzeugt hat, daß er wirklich geeignet sei, ein Weib zu besitzen.«

»Jasper ist ein braver Junge und hat für sein Fach große Gaben. Er möchte wohl so gut wie ein anderer auf ein Weib Anspruch machen können.«

»Ich will offen gegen Euch sein, Pfadfinder; ich hab‘ Euch hierhergebracht, um gerade wegen dieses jungen Burschen ein Wörtchen mit Euch zu sprechen. Major Duncan hat eine Mitteilung erhalten, die ihm den Verdacht beibrachte, daß Jasper falsch Sei und im Solde des Feindes stehe. Ich wünsche Eure Meinung über diesen Gegenstand zu hören.«

»Wie?«

»Ich sage, der Major argwöhnt, Jasper sei ein Verräter, ein französischer Spion oder was noch schlimmer ist, erkauft, um uns auszuliefern. Er hat über diesen Umstand einen Brief erhalten und mich beauftragt, ein wachsames Auge auf alle Bewegungen des Jungen zu haben. Er fürchtet, daß wir mit den Feinden zusammentreffen werden, wenn wir’s am wenigsten vermuten, und zwar durch seine Schuld.«

»Duncan of Lundie hat Euch dies gesagt, Sergeant Dunham?«

»Ja, Pfadfinder; und obgleich ich nicht geneigt war, von Jasper so was Schlimmes zu glauben, so regt sich in mir doch ein Gefühl, das mir sagt, ich dürfe ihm nicht zu sehr trauen. Glaubt Ihr an Ahnungen, Freund?«

»An was, Sergeant?«

»An Ahnungen, eine Art geheimen Vorgefühls zukünftiger Ereignisse. Die Schotten in unserem Regiment sind große Verfechter solcher Dinge, und meine Meinung von Jasper ist so entschieden verändert, daß ich zu fürchten anfange, es sei was Wahres in ihren Behauptungen.«

»Aber Ihr habt mit Duncan of Lundie über Jasper gesprochen, und seine Worte haben in Euch Zweifel erregt.«

»Das ist’s nicht, nicht im mindesten; denn während ich mit dem Major sprach, dachte ich ganz anders, und ich gab mir alle Mühe, ihm zu beweisen, daß er dem Jungen unrecht tue. Aber ich finde, es hilft nichts, sich gegen eine Ahnung zu sträuben, und ich fürchte, daß doch etwas an dem Verdacht ist.«

»Ich weiß nichts von Ahnungen, Sergeant; aber ich habe Jasper von seinen Knabenjahren an gekannt und hege ein so großes Vertrauen zu seiner Ehrlichkeit wie zu meiner eigenen oder selbst der Chingachgooks.«

»Aber, Chingachgook, Pfadfinder, hat seine Kniffe und Hinterhalte im Krieg so gut wie ein anderer.«

»Ja, sie sind seine natürlichen Gaben und sind so, wie die seines Volkes. Aber Chingagook ist nicht der Mann, gegen den man eine Ahnung haben kann.«

»Ich glaube das, und ich würde noch diesen Morgen nicht übel von Jasper gedacht haben. Aber es scheint mir, Pfadfinder, seit diese Ahnung in mir aufgestiegen ist, als ob sich der Junge auf seinem Verdeck nicht mehr so natürlich rühre, wie er es sonst gewohnt ist. Er ist still, schwermütig und gedankenvoll, wie ein Mann, der was auf seinem Gewissen hat.«

»Jasper ist nie laut, und er sagt mir, daß geräuschvolle Schiffe im allgemeinen übel geführte Schiffe seien. Auch Meister Cap gibt dies zu. Nein, nein, ich will nichts gegen Jasper glauben, bis ich’s sehe. Schickt nach Eurem Schwager, Sergeant, und laßt uns ihn über die Sache befragen; denn mit dem Verdacht gegen einen Freund im Herzen zu schlafen, ist ein Schlaf mit Blei auf dem Herzen. Ich hab‘ keinen Glauben an Eure Ahnungen.«

Da der Sergeant hiergegen kaum etwas einwerfen konnte, so fügte er sich darein, und Cap wurde aufgefordert, sich ihrer Beratung anzuschließen. Pfadfinder war gesammelter als sein Gefährte, und in der vollen Überzeugung von der Treue des angeschuldigten Teiles übernahm er das Geschäft des Sprechers.

»Wir haben Euch gebeten, zu uns herunterzukommen, Meister Cap«, fing er an, »um Euch zu fragen, ob Ihr diesen Abend nicht was Ungewöhnliches in den Bewegungen des Eau-douce bemerkt habt?«

»Seine Bewegungen sind gewöhnlich genug für das frische Wasser, Meister Pfadfinder, obgleich wir das meiste von seinem Verfahren unten an der Küste für unregelmäßig halten würden.«

»Ja, ja, wir wissen, daß Ihr nie mit dem Burschen über die Art, wie ein Kutter zu handhaben ist, einig werden könnt. Aber es ist was anderes, worüber wir Eure Meinung hören möchten.«

Der Pfadfinder setzte nun Cap von dem Verdacht in Kenntnis, den der Sergeant gegen Jasper hegte, und gab ihm die Veranlassung dazu an, soweit sich Major Duncan darüber ausgesprochen hatte. »Wie? – der Junge spricht Französisch?« sagte Cap.

»Man sagt, er spreche es besser, als es gewöhnlich gesprochen wird«, erwiderte der Sergeant mit Ernst, »Pfadfinder weiß, daß dies wahr ist.«

»Ich kann nichts dagegen sagen«, antwortete der Wegweiser; »wenigstens erzählt man sich so. Aber dieses würde nichts gegen einen Mississagua, geschweige gegen einen Menschen wie Jasper, beweisen. Ich spreche auch die Sprache der Mingos, die ich gelernt habe, als ich ein Gefangener unter diesem Gewürm war; wer wird mich aber deshalb für ihren Freund halten? Nicht, daß ich nach indianischen Begriffen ihr Feind wäre, obgleich ich zugebe, daß ich in den Augen der Christen ihr Feind bin.«

»Wohl, Pfadfinder; – aber Jasper hat sein Französisch nicht als Gefangener gelernt, er lernte es in seiner Kindheit, wo der Geist am empfänglichsten ist und leicht bleibende Eindrücke aufnimmt wo die Natur ein Vorgefühl von dem Weg hat, den der Charakter wahrscheinlich später einschlagen wird.«

»Eine sehr wahre Bemerkung«, fügte Cap bei, »denn das ist die Lebenszeit, wo wir alle den Katechismus und andere moralische Lehren lernen. Die Bemerkung des Sergeanten zeigt, daß er die menschliche Natur kennt, und ich bin vollkommen seiner Ansicht. Es ist eine Heillosigkeit, daß so’n junger Bursche auf diesem bißchen Frischwasser da oben Französisch kann. Wenn’s noch unten auf dem Atlantischen Meer wär‘, wo ein Seemann bisweilen Gelegenheit hat, mit einem Lotsen oder Sprachgelehrten in dieser Sprache zu reden, so würd‘ ich mir nicht soviel draus machen, obschon wir immer – selbst da – einen Schiffsmat mit Argwohn betrachten, wenn er zuviel davon versteht. Aber hier oben, auf dem Ontario, halt‘ ich’s für einen äußerst verdächtigen Umstand.«

»Aber Jasper muß mit den Leuten am anderen Ufer Französisch sprechen«, sagte Pfadfinder, »oder ganz schweigen, da man dort nur diese Sprache kennt.«

»Ihr wollt mir doch nicht weismachen, Pfadfinder, daß dort drüben auf der entgegengesetzten Küste Frankreich liegt?« rief Cap, indem er mit seinem Daumen über die Schulter weg gegen Kanada hinwies. »Wie, soll auf der einen Seite dieses Frischwasserstreifens York und auf der anderen Frankreich liegen?«

»Ich will Euch nur sagen, daß hier York und dort Oberkanada ist und daß man hier Englisch, Holländisch und Indianisch und drüben Französisch und Indianisch spricht. Selbst die Mingos haben manche französische Worte in ihren Dialekt aufgenommen, wodurch er gerade nicht besser geworden ist.«

»Sehr wahr; aber was für ’ne Art Leute sind diese Mingos, mein Freund?« fragte der Sergeant, indem er Pfadfinders Schulter berührte, um seiner Bemerkung mehr Nachdruck zu geben: »Niemand kennt sie besser als Ihr, und ich frag‘ Euch, was ist’s für ein Menschenschlag?«

»Jasper ist kein Mingo, Sergeant.«

»Er spricht Französisch und könnte deshalb ebensogut einer sein. Bruder Cap, kannst du dich nicht auf irgendeine Bewegung in der Führung seines Berufes besinnen, die auf eine Verräterei hindeuten könnte?«

»Nicht bestimmt, Sergeant, obgleich er die halbe Zeit über das Hinterste zuvorderst angegriffen hat. Es ist wahr, daß einer seiner Handlanger ein Tau gegen die Sonne aufgeschlagen hat, was er, als ich ihn um den Grund fragte, ein Tauquerlen nannte; aber ich weiß nicht, was er damit meinte, obgleich ich sagen darf, daß die Franzosen die Hälfte ihres laufenden Tauwerks unrecht aufschlagen, und es deshalb vielleicht auch Querlen nennen. Dann splißte Jasper selbst das Ende der Klüverfallen mit den Fußstöcken des Tauwerks, anstatt sie an dem Mast anzubringen, wohin sie, wenigstens nach dem Urteil britischer Seeleute, gehören.«

»Es ist wohl möglich, daß Jasper, der sich so viel auf der anderen Seite des Sees aufgehalten, bei Behandlung seines Fahrzeugs einige von den kanadischen Kunstgriffen angenommen hat«, warf Pfadfinder ein; »aber das Aufgreifen eines Gedankens oder eines Wortes ist weder Verräterei noch Treulosigkeit. Ich habe bisweilen selbst von den Mingos eine Idee aufgefangen, und doch war mein Herz immer bei den Delawaren. Nein, nein, Jasper ist treu, und der König könnte ihm seine Krone anvertrauen, ebensogut wie seinem ältesten Sohn, der gewiß der letzte sein wird, der sie ihm stehlen möchte, da er sie eines Tages tragen soll.«

»Schöne Reden, schöne Reden!« sagte Cap, der sich erhob, um durch das Kajütenfenster zu spucken, wie es bei Leuten gewöhnlich ist, wenn sie die ganze Macht ihrer moralischen Überlegenheit fühlen und dabei zufällig Tabak kauen. »Nichts als schöne Reden, aber verdammt wenig Logik. Einmal kann des Königs Majestät seine Krone nicht herleihen, da dies gegen die Gesetze des Reichs ist, denen zufolge er sie immer tragen muß, damit man seine geheiligte Person erkenne, wie auch der Scherif auf der See stets das silberne Ruder bei sich führen muß. Dann ist es nach den Gesetzen Hochverrat, wenn Seiner Majestät ältester Sohn nach der Krone trachtet oder ein Kind erzeugt, es sei denn in einer gesetzlichen Ehe, da dadurch die Nachfolge in Unordnung kommen würde. Ihr könnt also daraus sehen, Freund Pfadfinder, daß man, wenn man richtig räsonieren will, die richtigen Segel beisetzen muß. Gesetz ist Vernunft, und Vernunft ist Philosophie, und Philosophie ist ein beständiges Vor-Anker-Treiben; woraus denn folgt, daß die Kronen durch Gesetz, Vernunft und Philosophie geregelt werden.«

»Ich verstehe wenig von alledem, Meister Cap; aber nichts soll mich veranlassen, Jasper Western für einen Verräter zu halten, bis ich mich durch meine eigenen Augen und Ohren überzeugt habe.«

»Da habt Ihr wieder unrecht, Pfadfinder, denn es gibt einen Weg, eine Sache viel folgerichtiger zu prüfen, als durch Sehen und Hören, oder beides zusammen, und das ist der Indizienbeweis.«

»So mag’s in den Ansiedlungen sein, aber nicht hier an der Grenze.«

»Es liegt in der Natur, und diese herrscht überall gleich. So ist Euren Sinnen zufolge Jasper Eau-douce in diesem Augenblicke auf dem Verdeck, und jeder, der da hinaufgeht, kann sich durch seine Augen und seine Ohren davon überzeugen. Sollte sich’s aber nachher herausstellen, daß in diesem nämlichen Augenblicke den Franzosen eine Mitteilung gemacht wurde, die nur von Jasper ausgehen konnte, warum sollten wir uns nicht zu der Annahme verpflichtet fühlen, daß das Indiz wahr ist und daß uns unsere Sinne getäuscht haben? Jeder Rechtsgelehrte wird Euch dasselbe sagen.«

»Das ist kaum richtig«, sagte Pfadfinder; »auch ist es nicht möglich, da es aller Wirklichkeit widerspricht.«

»Es ist noch viel mehr als möglich, mein würdiger Pfadfinder; es ist Gesetz, ein unbedingtes Gesetz des Königreiches, und als solches verlangt es Achtung und Gehorsam. Ich würde meinen eigenen Bruder auf ein solches Zeugnis hin hängen, ohne weitere Rücksicht auf die Familie zu nehmen, Sergeant.«

»Gott weiß, wie weit dies alles auf Jasper anwendbar ist, Pfadfinder, obgleich ich glaube, daß Meister Cap, was das Gesetz anbelangt, recht hat; denn bei solchen Gelegenheiten haben Indizien eine weit größere Bedeutung als die Sinne. Wir müssen sehr auf unserer Hut sein und dürfen nichts Verdächtiges übersehen.«

»Ich erinnere mich nun«, fuhr Cap fort, indem er sich wieder des Fensters bediente, »daß, gerade als wir diesen Abend an Bord kamen, ein Indiz stattfand, das äußerst verdächtig ist, und recht wohl einen neuen Punkt gegen diesen jungen Menschen abgeben mag. Jasper befestigte des Königs Flagge mit eigenen Händen, und während er sich das Ansehen gab, als blicke er auf Mabel und das Soldatenweib, und die Anweisung erteilte, sie da herunterzuführen und ihnen alles zu zeigen, zog er die Flagge der Union nieder.«

»Das kann ein Zufall gewesen sein«, erwiderte der Sergeant, »denn etwas Derartiges ist mir selbst schon begegnet; zudem führen die Fallen zu einem Flaschenzug, und die Flagge muß recht oder unrecht kommen, je nachdem sie der Junge aufgehißt hatte.«

»Ein Flaschenzug?« rief Cap mit Unwillen, »ich wünschte, Sergeant, ich könnte dich dahin bringen, dich der geeigneten Ausdrücke zu bedienen. Ein Flaggenfallblock ist ebensowenig ein Flaschenzug wie deine Hellebarde ein Enterhaken. Es ist zwar wahr, wenn man an dem einen Teil zieht, so muß der andere in die Höhe gehen, aber da Ihr mir mal Euren Verdacht mitgeteilt habt, so betracht‘ ich die Geschichte mit der Flagge als ein Indiz, das ich nicht außer acht lassen will. Ich denke übrigens, daß das Abendessen nicht vergessen worden ist, und wenn der ganze Raum voll Verräter wäre.«

»Es wird dafür gehörige Sorge getragen sein, Bruder Cap; aber ich rechne auf deinen Beistand bezüglich der Führung des Scuds, wenn was vorfallen sollte, was zu Jaspers Verhaftung Anlaß gäbe.«

»Ich werde dich nicht verlassen, Sergeant; und in diesem Falle kannst du wahrscheinlich lernen, was der Kutter wirklich zu leisten vermag, denn bis jetzt, meine ich, müßte man das mehr erraten.«

»Wohl, was mich anbelangt«, sagte Pfadfinder mit einem tiefen Seufzer, »so will ich die Hoffnung auf Jaspers Unschuld festhalten und empfehle ein offenes Verfahren, indem man den Jungen ohne weiteren Verzug selbst fragt, ob er ein Verräter sei oder nicht. Ich setze auf Jasper mein Vertrauen, trotz allen Ahnungen und Indizien in der Kolonie.«

»Das geht nicht«, erwiderte der Sergeant. »Die Verantwortlichkeit dieses Geschäftes liegt auf mir, und ich bitte und befehle, daß gegen niemanden ohne mein Vorwissen irgendwas verlaute. Wir wollen alle ein wachsames Auge haben und auf die Indizien geeignete Rücksicht nehmen.«

»Ja, ja! die Indizien sind im Grund die Hauptsache«, erwiderte Cap. »Ein einziges Indiz gilt für fünfzig Tatsachen. Dies ist, so viel ich weiß, das Gesetz des Königreichs. Mancher ist schon auf Indizien hin gehenkt worden.«

Die Besprechung war nun zu Ende, und nach einem kurzen Zögern kehrten sie auf das Verdeck zurück, wobei jeder in der Absicht, das Betragen des verdächtigen Jasper zu beobachten, der seinen Gewohnheiten und seinem Charakter angemessenen Weise folgte.

Vierzehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Inzwischen ging alles auf dem Schiff seinen gewohnten Gang, Jasper schien mit seinem Fahrzeug auf den Landwind zu warten, indes die Soldaten, die an ein frühes Aufstehen gewöhnt waren, bis auf den letzten Mann ihre Schlafstätten in dem Hauptraum aufgesucht hatten. Nur die Schiffsleute, Muir und die beiden Frauen waren noch auf dem Verdeck. Der Quartiermeister bemühte sich, bei Mabel den Angenehmen zu spielen, während diese wenig auf seine Bemühungen achtete, die sie teilweise der soldatischen Galanterie, teilweise vielleicht auch ihrem hübschen Gesicht zuschrieb, und sich an den Eigentümlichkeiten eines Schauspiels und einer Lage erfreute, die ihr so viele Reize der Neuheit darboten.

Die Segel waren gehißt, aber noch regte sich kein Lüftchen, und der See war so ruhig und eben, daß an dem Kutter nicht die mindeste Bewegung zu erkennen war. Die Flußströmung hatte ihn nicht ganz auf eine Viertelmeile vom Lande abgetrieben, und da lag er nun wie festgenagelt in der ganzen Schönheit seiner Form und seines Ebenmaßes. Der junge Jasper war auf der Schanze und stand nah genug, um gelegentlich die stattfindende Unterhaltung zu vernehmen; doch wagte er es nicht, sich darein zu mischen, teils weil er seinen eigenen Ansprüchen zu sehr mißtraute, teils weil er von den Obliegenheiten seines Dienstes in Anspruch genommen war. Mabels schöne blaue Augen folgten seinen Bewegungen in neugieriger Erwartung und betrachteten die kleinen Begebnisse auf dem Fahrzeug mit einer solchen Aufmerksamkeit, daß sie die Artigkeiten des Quartiermeisters, die er mehr als einmal an sie richten mußte, bis sie gehört wurden, nur mit Gleichgültigkeit hinnahm. Endlich schwieg selbst Muir, und eine tiefe Stille herrschte auf dem Wasser. Da fiel plötzlich unter dem Fort eine Ruderschaufel in ein Boot, und der Ton war auf dem Kutter so vernehmlich, als ob er von seinem eigenen Verdeck ausgegangen sei. Dann kam ein Gemurmel, wie ein Seufzen der Nacht: das Flattern eines Segels, das Knarren des Mastes und das Schlagen des Klüvers. Diesen wohlbekannten Tönen folgte eine leichte Hielung des Kutters und das Blähen aller Segel.

»Da kommt der Wind, Anderson«, rief Jasper dem ältesten seiner Schiffsleute zu. »Nimm das Steuer.«

Dieser kurzen Anweisung wurde gehorcht, das Steuer gehoben, und die Buge fielen ab. Nach einigen Minuten hörte man das Murmeln des Wassers unter dem Schnabel, und der Scud schoß in den See mit der Geschwindigkeit von fünf Meilen in einer Stunde. Alles dieses geschah mit tiefem Schweigen, als Jasper aufs neue den Befehl gab:

»Fiert die Schoten ein wenig und haltet längs dem Lande hin.«

In diesem Augenblick erschienen die drei Männer aus der Nebenkajüte wieder auf der Schanze.

»Ihr habt wohl nicht die Absicht, Junge, unseren Nachbarn, den Franzosen, allzu nahe zu kommen«, bemerkte Muir, der die Gelegenheit ergriff, ein Gespräch anzufangen. »Na, gut! Ich ziehe Eure Klugheit nicht im mindesten in Zweifel, denn ich liebe die Kanadier so wenig, wie Ihr sie wahrscheinlich liebt.«

»Ich halte am Ufer wegen des Windes, Herr Muir. Der Landwind ist immer in der Nähe des Strandes am frischesten, vorausgesetzt, daß man nicht nahe genug kommt, um die Bäume im Lee zu haben. Wir haben die Mexikobai zu kreuzen, und diese wird uns bei dem gegenwärtigen Kurs grade genug offene See geben.«

»Es ist mir recht lieb, daß es nicht die Bai von Mexiko ist«, warf Cap ein, »denn diese ist ein Teil der Welt, den ich in einem von Euren Binnenschiffen lieber nicht besuchen möchte. Hat Euer Kutter ein Luvsteuer, Meister Eau-douce?«

»Er geht leicht nach dem Steuer, Meister Cap, aber er sieht so gern wie ein anderes Fahrzeug nach dem Wind, wenn er erst mal in lebhafter Bewegung ist.«

»Ich hoffe, Ihr habt doch solche Dinger, die man Reffe heißt, obgleich Ihr kaum eine Gelegenheit haben könnt, sie zu benützen?«

Mabels leuchtende Augen entdeckten das Lächeln, das einen Augenblick Jaspers Gesicht überflog, obschon niemand anders diesen vorübergehenden Ausdruck der Überraschung und Verachtung bemerkte.

»Wir haben Reffe, und es gibt oft Gelegenheit, sie zu benützen«, erwiderte der junge Mann mit Ruhe. »Ehe wir einlaufen, wird sich’s machen, Euch die Art, wie wir sie gebrauchen, zu zeigen; denn im Osten braut das Wetter etwas, und selbst auf dem Meer kann der Wind nicht schneller umspringen, als er auf dem Ontariosee seinen Kehrum macht.«

»Nun, Ihr sprecht wie einer, der’s nicht besser versteht. Ich hab‘ den Wind auf dem Atlantischen Meer sich wie ein Kutschenrad drehen sehen, in einer Weise, daß die Segel stundenlang bebten und das Schiff vollkommen bewegungslos stand, weil es nicht wußte, wohin es sich drehen solle.«

»Wir haben hier freilich keine so plötzlichen Wechsel«, erwiderte Jasper ruhig, »obgleich wir glauben, daß wir manchen unerwarteten Veränderungen des Windes ausgesetzt sind. Ich hoffe übrigens, daß wir diesen Landwind bis zu den ersten Inseln behalten werden, und dann wird die Gefahr, von einem Frontenacschen Lugausboot gesehen und verfolgt zu werden, weniger groß sein.«

»Meint Ihr, die Franzosen halten Spione hier außen auf dem See, Jasper?« fragte der Pfadfinder.

»Wir wissen, daß es so ist. Letzte Montagnacht war sogar einer vor Oswego. Ein Rindenkahn kam bis an die östliche Spitze und setzte einen Indianer und einen Offizier ans Land. Wenn Ihr damals, wie gewöhnlich, außen gewesen wärt, so hätten wir, wenn nicht beide, doch gewiß einen aufgreifen können.«

Es war zu dunkel, um die Röte zu bemerken, die die Farbe auf den sonnverbrannten Zügen des Pfadfinders vertiefte, denn er war sich bewußt, daß er sich damals in dem Fort aufgehalten hatte, um auf Mabels süße Stimme zu hören, als sie ihrem Vater Balladen vorsang, und ihr in das Auge zu schauen, das für ihn Zauberstrahlen schoß. Rechtschaffenheit im Denken und Handeln war eine charakteristische Eigenschaft in der Seele dieses außerordentlichen Mannes, und obgleich er fühlte, daß eine Art von Schmach seiner bei dieser Gelegenheit bewiesenen Trägheit anklebe, so wäre ihm doch der Versuch, seine Nachlässigkeit zu bemänteln oder in Abrede zu ziehen, am allerletzten eingefallen.

»Ich geb’s zu, Jasper, ich geb’s zu«, sagte er bescheiden. »Wär‘ ich in jener Nacht außen gewesen – und ich kann mich keines zureichenden Grundes erinnern, warum ich’s nicht war – so möcht’s wirklich so gegangen sein, wie Ihr sagt.«

»Das war an jenem Abend, Pfadfinder, den Ihr bei uns zubrachtet«, bemerkte Mabel unschuldig; »und gewiß ist ein Mann, der so viel Zeit in den Wäldern und im Angesicht des Feindes verlebt, zu entschuldigen, wenn er einige Stunden einem alten Freund und seiner Tochter widmet.«

»Nein, nein, ich bin, seit ich in das Fort zurückgekommen, fast nichts als müßig gewesen«, erwiderte der andere mit einem Seufzer, »und es ist gut, daß der Junge davon spricht. Der Müßige bedarf das Tadels, ja er bedarf des Tadels.«

»Tadel, Pfadfinder? Ich hab‘ nie im Traum daran gedacht, Euch was Unangenehmes zu sagen, und am wenigsten fällt mir’s ein, Euch zu tadeln, weil uns ein Spion und ein oder zwei Indianer entwischt sind. Überhaupt halt‘ ich, da ich nun weiß, wo Ihr wart, Eure Abwesenheit für die natürlichste Sache von der Welt.«

»Tut nichts, Jasper, tut nichts, daß Ihr mir’s gesagt habt, denn ich hab’s verdient. Wir sind alle Menschen und tun alle unrecht.«

»Das ist unfreundlich, Pfadfinder.«

»Gebt mir Eure Hand, Junge. Nicht Ihr habt mir diese Lehre gegeben, sondern mein Gewissen.«

»Gut, gut!« unterbrach Cap. »Dieser letztere Gegenstand ist nun zur Zufriedenheit aller Teile beigelegt. Ihr werdet uns aber vielleicht sagen, wie es zuging, daß man Kunde von Spionen erhielt, die erst kürzlich in unserer Nähe waren. Dies sieht einem Indiz zum Erstaunen ähnlich.«

Als der Seemann diese letzte Äußerung laut werden ließ, drückte er seinen Fuß leicht auf den des Sergeanten, stieß Pfadfinder mit dem Ellenbogen an und blinzelte zu gleicher Zeit mit den Augen, obgleich dieses Zeichen in der Dunkelheit verlorenging.

»Es wurde bekannt, weil Schlange am anderen Tag ihre Fährte fand, die aus der Spur eines Soldatenstiefels und der eines Mokassins bestand. Zudem hat einer unserer Jäger am anderen Morgen den Kahn gegen Frontenac rudern sehen.«

»Führte die Spur in die Nähe der Garnison, Jasper?« fragte Pfadfinder in dem sanften und demütigen Ton eines getadelten Schulknaben.

»Wir glaubten das nicht zu finden, obgleich sie natürlicherweise auch nicht übern Fluß führte. Man verfolgte sie bis zur östlichen Spitze an der Mündung des Flusses hinab, wo man sehen konnte, was im Hafen geschah. Soviel wir aber entdecken konnten, kreuzte sie den Fluß nicht.«

»Und warum begabt Ihr Euch nicht auf den Weg, Meister Jasper«, fragte Cap, »um auf sie Jagd zu machen? Wir hatten am Dienstagmorgen guten Wind, bei dem der Kutter wohl hätte neun Knoten ablaufen können.«

»Das mag auf dem Ozean angehen, Meister Cap«, warf Pfadfinder ein, »aber hier ließ sich das nicht machen. Das Wasser hinterläßt keine Fährte, und einen Indianer oder einen Franzosen mag der Teufel verfolgen.«

»Was braucht’s einer Fährte, wenn man den Gegenstand der Jagd vom Verdeck aus sehen kann, wie dies nach Jaspers Äußerung mit dem Kahn der Fall war? Bei einem guten britischen Kiel in seinem Fahrwasser hätt’s nichts zu sagen, wenn es ihrer zwanzig von Euren Mingos und Franzosen wären. Ich wette, Meister Eaudouce, daß wir, wenn Ihr mir an jenem Dienstagmorgen was von der Sache gesagt hättet, diese Blaustrümpfe überholt hätten.«

»Ich glaube wohl, Meister Cap, daß der Rat eines alten Seemanns, wie Ihr seid, einem so jungen Schiffer, wie ich bin, nicht hätte schaden mögen, aber die Jagd auf einen Rindenkahn ist eine lange und hoffnungslose.«

»Ihr hättet ihm nur hart zusetzen und ihn ans Ufer treiben dürfen.«

»Ans Ufer, Meister Cap? Ihr kennt die Schiffahrt auf unserem See nicht im mindesten, wenn Ihr’s für eine Kleinigkeit haltet, einen Rindenkahn ans Ufer zu treiben. Wenn sich diese Wasserblasen gedrängt fühlen, so rudern sie recht in des Windes Auge, und ehe Ihr’s Euch verseht, so befindet Ihr Euch eine Meile oder zwei tot unter ihrem Lee.«

»Ihr wollt mir doch nicht weismachen, Meister Jasper, daß sich irgend jemand so unbesonnen der Gefahr des Ertrinkens aussetzt, um in einer dieser Eierschalen in den See hineinzufahren, wenn Wind da ist?«

»Ich hab‘ oft bei ziemlich hoher See in einem Rindenkahn über den Ontario gesetzt. Gut gehandhabt sind sie die erprobtesten Fahrzeuge, die wir kennen.«

Cap nahm darauf seinen Schwager und den Pfadfinder beiseite und versicherte, daß Jaspers Zugeständnis bezüglich der Spione »ein Indiz«, und zwar »ein gewichtiges Indiz« sei, das wohl eine weitere Überlegung und Nachforschung verdiene, indes seine Erzählung im Betreff der Kähne so unwahrscheinlich klinge, daß sie das Aussehen habe, als wolle er sich nur über seine Zuhörer lustig machen. Jasper hatte zuversichtlich von dem Charakter der zwei gelandeten Personen gesprochen, und dies schien Cap ein ziemlich bündiger Beweis, daß jener mehr von ihnen wisse, als sich aus einer bloßen Fährte erkennen lasse. Von den Mokassins sagte er, daß sie in diesem Teile der Welt von den Weißen sowohl als von den Indianern getragen würden; er hätte selbst ein Paar gekauft, und Stiefel machten bekanntermaßen nicht den Soldaten. Obgleich vieles von dieser Logik dem Sergeanten gegenüber verlorenging, so hatte sie doch einigen Erfolg. Es kam ihm ein wenig sonderbar vor, daß in der Nähe des Forts Spione entdeckt sein sollten, ohne daß er etwas davon wußte. Auch glaubte er, daß dies eine Art von Kenntnis sei, die nicht gerade in Jaspers Sphäre einschlage. Allerdings war der Scud ein- und zweimal über See geschickt worden, um Mannschaft ans Land zu setzen oder weiterzuschaffen; aber damals spielte Jasper, wie er wohl wußte, eine sehr untergeordnete Rolle, und der Führer des Kutters kannte von dem Auftrag der Leute, die er ab- und zuführte, so wenig wie ein anderer. Auch sah er nicht ein, warum Eau-douce allein von allen Anwesenden etwas von dem letzten Besuch wissen sollte. Pfadfinder betrachtete übrigens die Sache von einem ganz anderen Standpunkt. Mit seinem gewohnten Mißtrauen tadelte er sich selbst wegen Vernachlässigung seiner Pflicht, und jene Kenntnis, deren Mangel ihm bei einem Mann, der sie besitzen sollte, als ein Fehler erschien, rechnete er dem jungen Mann als Verdienst an. Er sah nichts Außerordentliches in der Bekanntschaft Jaspers mit den von ihm mitgeteilten Tatsachen, während er fühlte, daß es ungewöhnlich, wo nicht gar entehrend für ihn selbst sei, jetzt zum erstenmal davon zu hören.

»Was die Mokassins angeht, Meister Cap«, sagte er, als ihn eine kurze Pause zum Sprechen veranlaßte, »so mögen sie allerdings von Bleichgesichtern so gut wie von Rothäuten getragen werden, doch lassen sie nie dieselben Fußspuren zurück. Wer an die Wälder gewöhnt ist, weiß wohl die Fußstapfen eines Indianers von denen eines weißen Mannes zu unterscheiden, mögen sie nun von einem Stiefel oder einem Mokassin stammen. Man muß mir mit besseren Gründen kommen, wenn man mich glauben machen will, daß Jasper falsch sei.«

»Ihr werdet doch zugeben, Pfadfinder, daß es Leute auf der Welt gibt, die man Verräter nennt?« warf Cap mit einer hochweisen Miene ein.

»Ich hab‘ nie einen ehrlich gesinnten Mingo gekannt, das heißt, einen dem man vertrauen konnte, wenn sich ihm eine Versuchung zum Betrug darbot. Arglist freilich scheint ihre Gabe zu sein, und es kommt mir bisweilen vor, als ob man sie deshalb mehr bedauern als verfolgen sollte.«

»Warum dann aber nicht glauben, daß Jasper die nämliche Schwäche haben könnte? Mensch ist Mensch, und die menschliche Natur ist bisweilen nur ein armes Ding, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, ja ich kann sagen, recht gut aus eigener Erfahrung weiß – wenigstens, soweit ich von meiner eigenen menschlichen Natur spreche.«

Dies gab die Einleitung zu einer langen und wechselnden Unterhaltung, in der für und wider die Wahrscheinlichkeit von Jaspers Schuld oder Unschuld gesprochen wurde, bis sich der Sergeant und sein Schwager fast ganz in die volle Überzeugung von der Schuld Jaspers hineinräsoniert hatten, indes ihr Gefährte in seiner Verteidigung des Angeklagten immer derber und standhafter wurde, und sich in der Meinung, daß man Jasper mit Unrecht Verräterei zur Last lege, nur noch mehr befestigte. Das war nun freilich ganz der gewöhnliche Lauf der Dinge; denn es gibt keinen sicheren Weg, sich irgendeine besondere Ansicht zu eigen zu machen, als wenn man ihre Verteidigung unternimmt, und zu unseren hartnäckigsten Meinungen mögen die gerechnet werden, die aus Erörterungen fließen, in denen wir die Erforschung der Wahrheit zum Vorwand nehmen, während sie in Wirklichkeit nur zur Kräftigung unserer Vorurteile dienen. Mittlerweile war der Sergeant in eine Gemütsstimmung geraten, die ihn geneigt machte, jede Handlung des jungen Schiffers mit Mißtrauen zu betrachten, und bald kam er mit seinem Verwandten über die Ansicht in Einklang, daß das, was Jasper von den Spionen wußte, nicht in den Kreis seiner regelmäßigen Pflichten gehöre und demnach »ein Indiz« sei.

Während dieses in der Nähe des Hakebords verhandelt wurde, saß Mabel still an der Kajütentreppe. Herr Muir war in den unteren Raum gegangen, um nach seinen eigenen Bequemlichkeiten zu sehen, und Jasper stand ein wenig luvwärts mit gekreuzten Armen, indes seine Augen von den Segeln nach den Wolken, von den Wolken zu den dunklen Umrissen des Ufers, vom Ufer zum See und vom See wieder zurück zu den Segeln wanderten. Auch unsere Heldin fing an, mit ihren Gedanken geheime Zwiesprache zu halten. Die Aufregung der letzten Reise, die Ereignisse, die mit dem Tage ihrer Ankunft im Fort verbunden waren, das Zusammentreffen mit einem Vater, der ihr eigentlich fremd war, die Neuheit ihrer Lage in der Garnison und die gegenwärtige Reise – alles dies bildete für das Auge ihres Geistes eine Perspektive, die ihr auf Monate zurückzudeuten schien. Sie konnte kaum glauben, daß sie erst vor so kurzer Zeit die Stadt mit all den Gewohnheiten des zivilisierten Lebens verlassen habe, und staunte, daß namentlich die Ereignisse, die ihr während der Fahrt auf dem Oswego begegnet waren, einen so geringen Eindruck in ihrem Gemüt zurückgelassen hätten. Da sie zu unerfahren war, um zu wissen, daß sich häufende Ereignisse die Wirkung der Zeit haben oder daß eine rasche Aufeinanderfolge neuer Zustände, die uns auf Reisen begegnen, jene fast zu der Bedeutung wichtiger Begebenheiten erhebt, so forschte ihr Gedächtnis nach Zeit und Tagen, um sich zu überzeugen, daß sie mit Jasper, dem Pfadfinder und ihrem Vater wenig mehr als seit vierzehn Tagen bekannt war. Mabel war ein Mädchen, bei der das Herz über die Einbildungskraft herrschte, obgleich ihr die letztere keineswegs fehlte; sie vermochte sich nicht leicht Rechenschaft über die Gewalt der Gefühle zu geben, die sie gegen Männer hegte, die ihr kurz vorher noch fremd waren, da sie nicht hinreichend geübt war, ihre Empfindungen zu zergliedern und daraus die Natur der erwähnten Einflüsse sich klarzumachen. Ihr reiner Sinn war jedoch bis jetzt frei von dem Gift des Mißtrauens; keine Ahnung tauchte in ihr auf von den Absichten ihrer beiden Anbeter, und der Gedanke, daß einer ein Verräter an König und Vaterland sein könne, würde wohl zuletzt ihre Zuversicht getrübt haben.

Amerika zeichnete sich zu der Zeit durch seine Anhänglichkeit an die deutsche Familie aus, die auf dem britischen Thron saß, wie man denn überhaupt in allen Provinzen findet, daß die Vorzüge und Eigenschaften, die man in der Nähe der Macht aus Klugheit und Schmeichelei preist, in solcher Entfernung bei Leichtgläubigen und Unwissenden Teile eines politischen Glaubensbekenntnisses werden. Diese Beobachtung findet man heutzutage in Beziehung auf die Matadore der Republik ebenso wahr, wie sie damals in betreff dieser entfernten Herrscher galt, deren Verdienste zu erheben die Klugheit anriet, und deren Mängel zu enthüllen als Hochverrat betrachtet wurde.

Die Franzosen bedrängten damals die britischen Kolonien durch einen Gürtel von Festungen und Ansiedlungen an den Grenzen, wodurch sie auch die Wilden in ihrem Bund erhielten: Man konnte daher kaum sagen, ob die Liebe der Amerikaner zu den Engländern größer war oder ihr Haß gegen die Franzosen, und wer zu jenen Zeiten lebte, würde wahrscheinlich das Bündnis, das etliche zwanzig Jahre später zwischen den cisatlantischen Untertanen und den alten Nebenbuhlern der britischen Krone stattfand, als ein Ereignis betrachtet haben, das außer dem Kreis der Möglichkeit liege. Mit einem Wort – die Ansichten werden in Provinzen wie die Moden übertrieben, und die Loyalität, die in London zum Teil nur eine politische Form war, steigerte sich in New York zu einem Vertrauen, das fast Berge hätte versetzen können. Man traf daher selten Unzufriedene, und Verrat zugunsten Frankreichs oder der Franzosen wäre in den Augen der Provinzbewohner am allerverhaßtesten erschienen. Mabel würde das Verbrechen, das man Jasper insgeheim zu Last legte, am wenigsten geahnt haben, und wenn andere in ihrer Nähe die Qual des Argwohns fühlten, so war wenigstens sie von der edlen Zuversicht einer weiblichen Seele erfüllt. Noch war kein Flüstern zu ihr gedrungen, um das Gefühl des Vertrauens zu stören, mit dem sie vom Anfang an auf den jungen Schiffer geblickt hatte, und ihr eigener Geist würde ihr gewiß zuletzt einen solchen Gedanken von selbst zugeführt haben.

Die Jahreszeit und die Nacht waren ganz geeignet, die Gefühle zu steigern, die Jugend, Gesundheit und Glück mit dem Reiz der Neuheit zu verbinden gewohnt ist. Das Wetter war warm, wie es selbst im Sommer in dieser Gegend nicht immer der Fall ist, während die Luft, die vom Lande her strömte, die Kühle und den Duft der Wälder mit sich führte. Man konnte den Wind bei weitem keinen steifen nennen, obwohl er kräftig genug war, den Scud lustig vor sich herzutreiben und vielleicht die Aufmerksamkeit in der Unsicherheit rege zu erhalten, die mehr oder weniger das Dunkel begleitet. Jasper schien diesen Wind mit Wohlgefallen zu betrachten.

»Wenn es so fortgeht, Eau-douce« – denn so hatte bereits Mabel den jungen Schiffer nennen gelernt – »so kann’s nicht lange anstehen, bis wir den Ort unserer Bestimmung erreichen.«

»Hat Ihr Vater Ihnen den Namen genannt, Mabel?«

»Er hat mir nichts gesagt. Mein Vater ist zu sehr Soldat und zuwenig an ein Familienleben gewöhnt, um über solche Dinge mit mir zu sprechen. Ist es verboten zu sagen, wohin wir gehen?«

»Da wir in dieser Richtung steuern, so kann’s nicht weit sein, denn mit sechzig oder siebzig Meilen kommen wir in den S. Lorenzo, den uns die Franzosen heiß genug machen dürften. Auch kann keine Reise auf diesem See besonders lange dauern.«

»So sagt mein Onkel Cap; aber mir, Jasper, scheint der Ontario und der Ozean ziemlich das gleiche zu sein.«

»Sie sind also auf dem Ozean gewesen, während ich, der ich mich für einen Schiffer ausgebe, noch nie Salzwasser gesehen habe? Sie müssen wohl einen Seemann, wie ich bin, in Ihrem Herzen recht verachten, Mabel?«

»Verachtung wohnt nicht in meinem Herzen, Jasper Eau-douce. Was hätte auch ein Mädchen ohne Erfahrung und Kenntnis für ein Recht, irgend jemanden zu verachten, geschweige einen Mann wie Euch, der das Vertrauen des Majors besitzt und ein Schiff wie dieses hier befehligt. Ich bin nie auf dem Ozean gewesen, obgleich ich ihn gesehen habe, und ich wiederhole es, daß ich keinen Unterschied zwischen diesem See und dem Atlantischen Meer gewahren kann.«

»Auch nicht zwischen denen, die auf beiden segeln? Ich fürchtete, Mabel, Ihr Onkel hätte so viel gegen uns Frischwasserschiffer gesagt, daß Sie uns für wenig mehr als für anmaßende Leute halten müssen?«

»Laßt Euch das nicht kümmern, Jasper, denn ich kenne meinen Onkel, und er sagt, wenn wir in York sind, ebensoviel gegen die die am Lande leben, wie er hier gegen die sagt, die das Frischwasser befahren. Nein, nein, weder mein Vater noch ich halten etwas von solchen Ansichten. Mein Onkel Cap möchte wohl, wenn er sich offen ausspräche, von einem Soldaten noch eine geringere Meinung kundgeben als von einem Schiffer, der nie das Meer gesehen hat.«

»Aber Ihr Vater, Mabel, hat eine bessere Meinung von einem Soldaten als von irgend jemand anderem. Er wird wohl wünschen, Sie an einen Soldaten zu verheiraten?«

»Jasper Eau-douce! – ich, einen Soldaten heiraten? – Mein Vater sollte das wünschen? – Warum sollte er das tun? Was für ein Soldat ist denn in der Garnison, den ich heiraten könnte, daß er wünschen sollte, mich zu verheiraten?«

»Man kann einen Beruf so sehr lieben, daß man sich denkt, er verdecke tausend Unvollkommenheiten.«

»Aber man kann doch wahrscheinlich seinen Beruf nicht so sehr lieben, daß man alles andere dabei übersieht. Ihr sagt, mein Vater wünsche mich an einen Soldaten zu verheiraten, und doch ist in Oswego keiner, dem er mich wahrscheinlich geben möchte. Ich bin in einer unangenehmen Lage, denn während ich nicht gut genug bin, um die Frau eines Gentleman in der Garnison zu werden, halte ich mich doch – und Ihr werdet mir beistimmen, Jasper – für zu gut, um einen gemeinen Soldaten zu heiraten.«

Als Mabel so offen sprach, errötete sie unwillkürlich, obgleich dies in der Dunkelheit von ihrem Gefährten nicht bemerkt wurde, und lächelte dabei wie jemand, der es fühlt, daß ein Gegenstand von so zarter Natur aufrichtig behandelt zu werden verdiene. Jasper jedoch schien ihre Lage von einem verschiedenen Gesichtspunkte aus zu betrachten.

»Es ist wahr, Mabel«, sagte er, »Sie sind nicht, was man im gewöhnlichen Sinne des Worts eine Dame nennt –«

»In keinem Sinne des Worts, Jasper«, unterbrach ihn das edle Mädchen mit Lebhaftigkeit, »und ich hoffe, ich bin in diesem Punkt frei von aller Eitelkeit. Die Vorsehung hat mich zu der Tochter eines Sergeanten gemacht, und ich bin zufrieden mit der Stellung, in der ich geboren bin.«

»Aber nicht alle bleiben in der Stellung, in der sie geboren sind, Mabel. Einige erheben sich darüber, und einige sinken noch tiefer. Viele Sergeanten sind Offiziere, sogar Generäle geworden, und warum sollten Sergeantentöchter nicht Offiziersfrauen werden können.«

»In dem Falle von Sergeant Dunhams Tochter weiß ich keinen besseren Grund anzugeben, als daß mich wahrscheinlich kein Offizier zu seinem Weibe machen will«, erwiderte Mabel lachend.

»Sie mögen so denken; aber es gibt einige im Fünfundfünfzigsten, die das besser wissen. Es ist gewiß ein Offizier in diesem Regiment, der Sie zu seiner Frau zu machen wünscht.«

Mit der Schnelligkeit des Blitzes eilten Mabels Gedanken über die fünf oder sechs Subalternoffiziere des Korps weg, deren Alter und Neigungen auf einen derartigen Wunsch mochten schließen lassen; und wir würden vielleicht ihren Gesinnungen unrecht tun, wenn wir es verschwiegen, daß einen Augenblick das Gefühl der Freude lebhaft in ihrem Busen aufleuchtete, als sie sich die Möglichkeit dachte, sich über eine Stellung zu erheben, von der sie trotz ihrer vorgeblichen Zufriedenheit fühlte, daß sie nicht ganz mit ihrer Erziehung im Einklang stehe. Diese Bewegung verschwand jedoch ebenso schnell, wie sie erschienen war, denn Mabels Gefühle waren viel zu rein und weiblich, um den Bund der Ehe von einem so weltlichen Gesichtspunkt aus zu betrachten, den nur die Vorteile des Standes boten.

»Ich kenne keinen Offizier des fünfundfünfzigsten oder irgendeines anderen Regiments, von dem ich eine solche Torheit vermuten könnte. Auch glaub‘ ich nicht, daß ich selbst die Torheit begehen würde, einen Offizier zu heiraten.«

»Torheit, Mabel?«

»Ja, Torheit, Jasper. Ihr wißt so gut wie ich, was die Welt von solchen Verbindungen denkt, und ich müßte wohl mit Grund befürchten, es könnte meinen Gatten einmal reuen, daß er sich durch ein Äußeres, an dem er Gefallen fand, verleiten ließ, die Tochter eines Sergeanten zu heiraten.«

»Ihr Gatte wird wahrscheinlich mehr an die Tochter als an den Vater denken.«

Das Mädchen hatte mit einem Anflug von Laune gesprochen, obgleich auch sichtlich ihre Gefühle an der Unterhaltung teilnahmen. Auf Jaspers letzte Bemerkung schwieg sie beinahe eine Minute und fuhr dann in einer Weise fort, in der ein aufmerksamer Beobachter einen leichten melancholischen Zug hätte entdecken mögen:

»Vater und Kind müssen leben, als ob sie nur ein Herz, nur eine Gefühls- und Denkweise hätten. Ein gemeinschaftliches Interesse unter allen Verhältnissen ist für Mann und Frau so gut ein Erfordernis zu ihrem Glück, wie für die übrigen Glieder einer und derselben Familie. Am allerwenigsten darf aber der Mann oder die Frau irgendeinen ungewöhnlichen Grund haben, sich unglücklich zu fühlen, da die Welt ohnehin deren so viele liefert.«

»Ich soll daraus wohl entnehmen, Mabel, daß Sie die Verheiratung mit einem Offizier nur darum ausschlagen würden, weil er ein Offizier ist?«

»Habt Ihr ein Recht, eine solche Frage zu stellen, Jasper?« sagte Mabel lächelnd.

»Kein anderes Recht, als es der eifrige Wunsch, Sie glücklich zu sehen, geben kann, und dieses mag im Grunde gering genug sein. Meine Besorgnis hatte zugenommen, als ich zufällig erfuhr, daß Ihr Vater die Absicht habe, Sie zu einer Verbindung mit dem Leutnant Muir zu bereden.«

»Mein lieber Vater kann keinen so lächerlichen, so grausamen Gedanken hegen.«

»Wär‘ es denn so grausam, wenn er Sie als die Frau eines Quartiermeisters zu sehen wünschte?«

»Ich hab‘ Euch gesagt, was ich über diesen Gegenstand denke, und kann mich darüber nicht deutlicher ausdrücken. Da ich Euch aber so freimütig geantwortet habe, Jasper, so hab‘ ich wohl ein Recht zu fragen, wie Ihr etwas von den Gedanken meines Vaters erfahren habt?«

»Daß er einen Mann für Sie ausgesucht hat, weiß ich aus seinem eigenen Munde; er erzählte mir’s bei Gelegenheit der häufigen Besprechungen, die ich mit ihm hielt, als er bei der Einschiffung der Vorräte die Aufsicht führte, und daß sich Herr Muir Ihnen antragen wird, hat mir dieser Offizier selbst mitgeteilt. Da ich nun diese beiden Umstände zusammenhielt, so kam ich natürlich zu der vorhin ausgesprochenen Meinung.«

»Kann nicht mein lieber Vater, Jasper« – Mabels Gesicht glühte wie Feuer, während sie sprach, obgleich ihr die Worte nur langsam und wie unter einer Art unwillkürlichen Antriebs von den Lippen glitten – »kann nicht mein lieber Vater an einen anderen gedacht haben? Aus dem, was Ihr mir sagtet, folgt nicht, daß er den Herrn Muir meine.«

»Ist es nicht nach allen Vorgängen sehr wahrscheinlich, Mabel? Was bringt den Quartiermeister hierher? Er hat es früher nie für nötig gefunden, die Mannschaft, die herunter geht, zu begleiten. Er wünscht, Sie zum Weibe zu haben, und Ihr Vater ist damit einverstanden. Es muß Ihnen einleuchten, Mabel, daß Herr Muir nur um Ihretwillen mitgeht.«

Mabel gab keine Antwort. Ihr weiblicher Instinkt hatte ihr allerdings bereits gesagt, daß sie ein Gegenstand von des Quartiermeisters Bewunderung sei, obgleich sie dies kaum in der Ausdehnung vermutet hatte, die Jasper der Sache gab. Auch hatte sie aus einem Gespräch mit ihrem Vater vernommen, daß er ernstlich daran denke, über ihre Hand zu verfügen; aber kein Grübeln hätte sie je auf den Gedanken gebracht, daß Herr Muir der Mann sei. Sie glaubte es auch jetzt noch nicht, obgleich sie weit entfernt war, die Wahrheit zu ahnen. In der Tat betrachtete sie die gelegentlichen Bemerkungen ihres Vaters, die ihr aufgefallen waren, mehr für die Ergüsse des Wunsches, sie überhaupt versorgt zu sehen, als für die Ergebnisse eines Planes, sie mit irgendeinem bestimmten Manne zu vereinigen. Sie hielt jedoch diese Gedanken geheim, da es die Selbstachtung und weibliche Zurückhaltung als unpassend erscheinen ließen, sie zum Gegenstand einer Besprechung mit ihrem gegenwärtigen Gesellschafter zu machen. Um daher dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, fuhr sie nach einer Pause fort, die lange genug gewesen war, um beide Teile in Verlegenheit zu setzen:

»Auf eines könnt Ihr Euch verlassen, Jasper, und dies ist auch alles, was ich Euch über den Gegenstand noch zu sagen wünsche – Leutnant Muir wird, selbst wenn er Oberst wäre, nie der Gatte von Mabel Dunham sein. Und nun erzählt mir von Eurer Reise – wann wird sie enden?«

»Das ist ungewiß. Wenn man erst mal auf dem Wasser ist, so ist man dem Wind und den Wellen preisgegeben. Pfadfinder wird Ihnen sagen, daß, wer einen Hirsch am Morgen aufjagt, nicht sagen kann, wo er des Nachts schlafen wird.«

»Aber wir sind weder auf der Hirschjagd noch ist es Morgen. Pfadfinders Vergleich hinkt also.«

»Wir sind freilich nicht auf der Hirschjagd, jagen aber hinter etwas her, was wohl ebenso schwer zu fangen ist. Ich kann Ihnen darüber nicht mehr sagen, denn es ist unsere Pflicht, den Mund zu halten, ob etwas davon abhängt oder nicht. Ich fürchte jedoch, ich werde Sie nicht lange genug auf dem Scud behalten, um Ihnen zeigen zu können, was er im Notfall zu leisten imstande ist.«

»Ich halte ein Mädchen für unklug, das je einen Seemann heiratet«, sagte Mabel abgebrochen und fast unwillkürlich.

»Das ist eine sonderbare Ansicht; warum glauben Sie das?«

»Weil eines Seemanns Weib darauf rechnen kann, an seinem Schiff eine Nebenbuhlerin zu haben. Selbst Onkel Cap sagt, daß ein Schiffer nie heiraten sollte.«

»Er meint die Salzwasserschiffer«, erwiderte Jasper mit Lachen. »Wenn er glaubt, daß die Frauen nicht genug für die Ozeanfahrer sind, so wird er gewiß denken, sie sind für die, die auf den Seen segeln, eben recht. Ich hoffe, Mabel, Sie lassen sich in Ihren Meinungen über uns Frischwassermatrosen nicht so ganz von dem bestimmen, was Meister Cap von uns sagt?«

»Segel, ho!« rief auf einmal der Mann, von dem eben die Red war, »oder Boot ho! Um der Wahrheit näher zu kommen.«

Jasper eilte vorwärts. Wirklich ließ sich auch etwa hundert Ellen vor dem Kutter nahe an seinem Leebug ein kleiner Gegenstand bemerken. Jasper erkannte in ihm auf den ersten Blick einen Rindenkahn; denn obgleich die Finsternis das Erkennen der Farben verhindert, so konnte doch ein an die Nacht gewöhntes Auge nahe liegende Gestalten unterscheiden, zumal ein Auge wie Jaspers, das zu lange mit den Ereignissen auf dem Wasser vertraut war, um die Umrisse zu verkennen, die ihn zu solcher Folgerung veranlaßten.

»Das kann ein Feind sein«, bemerkte der junge Mann, »und es ist wohl ratsam, ihn zu überholen.«

»Er rudert mit aller Macht, Junge«, erwiderte Pfadfinder, »und beabsichtigt, unseren Bug zu kreuzen und windwärts zu kommen, wo Ihr dann ebensogut einem ausgewachsenen Bock in Schneeschuhen nachjagen könntet.«

»Halt bei dem Wind!« rief Jasper dem Steuermann zu, »luv auf, solang sich das Schiff halten läßt. Nun fest und nahe gehalten.«

Der Steuermann gehorchte, und da der Scud nun die Wellen lustig auf die Seite warf, so brachten eine oder zwei Minuten den Kahn so weit leewärts, daß ein Entrinnen unausführbar war. Jasper sprang nun selbst ans Steuer, und durch eine geschickte und vorsichtige Bewegung kam er dem Gegenstand seiner Jagd so nahe, daß man sich seiner durch einen Bootshaken versichern konnte. Die zwei in dem Kahn befindlichen Personen verließen nun auf erhaltenen Befehl das Boot, und sie waren kaum auf dem Verdeck des Kutters angelangt, als man in ihnen Pfeilspitze und sein Weib erkannte.

Fünfzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Das Zusammentreffen mit dem Indianer und seinem Weib hatte für die Mehrzahl der Zeugen dieses Ereignisses nichts überraschendes. Aber Mabel und alle, die wohl wußten, wie sich dieser Häuptling von Caps Gesellschaft getrennt hatte, unterhielten gleichzeitig argwöhnische Vermutungen, die sich weit leichter fühlen als verfolgen und durch irgendeinen Schlüssel zur Gewißheit erheben ließen. Pfadfinder, der sich allein mit den Gefangenen – denn als solche konnten sie jetzt betrachtet werden – zu unterhalten vermochte, führte Pfeilspitze beiseite und besprach sich lange mit ihm über die Gründe, die ihn veranlaßt hatten, sich seinem Auftrag zu entziehen und über die Weise, wie er sich bisher beschäftigt hatte.

Der Tuscarora antwortete auf die an ihn gestellten Fragen mit der Ruhe eines Indianers. In betreff seines Entweichens waren seine Entschuldigungen einfach und schienen hinreichend annehmbar. Als er gefunden hatte, daß die Gesellschaft in ihrem Versteck entdeckt worden war, hatte er natürlich an seine eigene Sicherheit gedacht, die er am besten in den Wäldern zu finden hoffte; denn er zweifelte nicht, daß alle, denen dieses nicht glückte, auf der Stelle getötet werden würden. Mit einem Wort – er hatte Reißaus genommen, um sein Leben zu retten.

»Das ist gut«, erwiderte Pfadfinder, indem er sich das Ansehen gab, als ob er der Rechtfertigung des anderen Glauben beimesse; »mein Bruder hat sehr weise gehandelt. Aber sein Weib folgte ihm?«

»Folgen die Bleichgesichtsweiber ihren Männern nicht? Würde Pfadfinder nicht zurückgeblickt haben, um zu sehen, ob die, die er liebte, komme?«

Diese Berufung traf den Kundschafter gerade in der günstigsten Gemütsstimmung, um ihre Kraft fühlbar zu machen; denn Mabels gewinnende Eigenschaften und Entschlossenheit waren bereits zu Bildern geworden, mit denen sich seine Gedanken vertrauter gemacht hatten. Obgleich der Tuscarora den Grund nicht erraten konnte, so sah er doch, daß seine Entschuldigung angenommen wurde, und erwartete mit ruhiger Würde die weitere Untersuchung.

»Das klingt glaublich«, erwiderte Pfadfinder in englischer Sprache, denn er ging unwillkürlich von der einen in die andere über, wie es ihm gerade Gefühl und Gewohnheit geboten, »es ist natürlich und mag sich wohl so verhalten. Wahrscheinlich würde ein Weib dem Manne folgen, dem sie Treue gelobt hat, und Mann und Weib sind ein Fleisch. Mabel würde auch dem Sergeanten gefolgt sein, wenn er dabeigewesen war‘ und sich auf diese Weise zurückgezogen hätte, und ich zweifle nicht im mindesten, daß das warmherzige Mädchen mit ihrem Gatten gegangen wäre. Eure Worte sind ehrlich, Tuscarora« – er sprach dieses wieder in der Zunge des letzteren – »und annehmbar. Aber warum ist mein Bruder so lange von dem Fort weggeblieben? Seine Freunde haben oft an ihn gedacht, aber ihn nicht wieder zu Gesicht bekommen.«

»Wenn die Damgais dem Bock folgt, muß nicht der Bock der Gais folgen?« antwortete der Tuscarora lächelnd und legte dabei den Finger bedeutungsvoll auf die Schulter des Fragers. »Pfeilspitzes Weib folgte Pfeilspitze; es war daher billig, daß Pfeilspitze seinem Weibe folgte. Sie verlor den Weg, und man zwang sie, in einem fremden Wigwam zu kochen.«

»Ich versteh‘ Euch, Tuscarora. Das Weib fiel in die Hände der Mingos, und Ihr bliebt auf ihrer Fährte.«

»Pfadfinder kann einen Grund so leicht sehen, als er das Moos der Bäume sieht. Es ist so.«

»Seit wann habt Ihr das Weib wieder zurückerhalten, und wie ist dies geschehen?«

»Zwei Sonnen. Junitau ließ nicht lange auf sich warten, als ihr Gatte ihr den Pfad zuflüsterte.«

»Gut, gut, alles dies scheint mir glaublich. Aber, Tuscarora, wie erhieltet Ihr diesen Kahn, und warum rudert Ihr dem S. Lorenzo zu, statt gegen die Garnison hin?«

»Pfeilspitze weiß sein Eigentum von dem eines anderen zu unterscheiden. Der Kahn ist mein; ich fand ihn an dem Ufer, nahe dem Fort.«

»Auch das klingt glaublich; denn zu einem Kahn gehört ein Mensch, und ein Indianer gibt nicht viele Worte aus, wenn er sich etwas aneignen will. Es ist aber doch nicht in der Ordnung, daß wir von dem Burschen und seinem Weib nichts gesehen haben, da doch der Kahn den Fluß vor uns verlassen haben muß.«

Dieser Gedanke, der Pfadfinder plötzlich durch die Seele fuhr, wurde nun dem Indianer in der Form einer Frage vorgelegt.

»Pfadfinder weiß, daß ein Krieger Scham haben kann. Der Vater würde mich nach seiner Tochter gefragt haben, und ich konnte sie ihm nicht geben. Ich schickte Junitau nach dem Kahn aus, und niemand redete das Weib an. Ein Tuscaroraweib wagt es nicht, mit fremden Männern zu sprechen.«

Alles dieses war annehmbar, auch dem Charakter und den Gewohnheiten der Indianer gemäß. Wie gewöhnlich hatte Pfeilspitze die Hälfte seiner Belohnung im voraus erhalten, als er den Mohawk verließ, und es war ein Beweis von dem Bewußtsein gegenseitiger Rechte, das oft ebenso bezeichnend für die Moral der Wilden wie für die der Christen ist, daß er es nicht wagte, den Rest anzusprechen. In den Augen eines so rechtlichen Mannes, wie es der Pfadfinder war, hatte sich Pfeilspitze mit Zartheit und Schicklichkeit benommen, obgleich es mit seinem eigenen freimütigen Wesen besser im Einklang gewesen wäre, zu dem Vater zu gehen und bei der einfachen Wahrheit zu bleiben; da er jedoch an die Weise des Indianers gewöhnt war, so sah er nichts Auffallendes in dem Benehmen des anderen.

»Das geht wie Wasser, das den Berg ‚runterkommt, Pfeilspitze«, antwortete er nach einer kurzen Überlegung, »und die Wahrheit muß ich anerkennen. Es war die Gabe einer Rothaut, auf diese Weise zu handeln, obgleich ich nicht glaube, daß es die Gabe eines Bleichgesichts wäre. Ihr wolltet wohl den Gram nicht sehen, den der Vater um das Mädchen empfand?«

Pfeilspitze machte eine ruhige Verbeugung, als ob er dies zugestehen wolle.

»Mein Bruder wird mir noch eins sagen«, fuhr Pfadfinder fort, »und es wird keine Wolke mehr zwischen seinem Wigwam und dem festen Hause der Yengeese stehen. Wenn er noch dieses bißchen Nebel mit dem Hauch seines Mundes wegblasen kann, so werden seine Freunde auf ihn sehen, wie er bei seinem eigenen Feuer sitzt, und er kann auf sie sehen, wie sie ihre Waffen weglegen und vergessen, daß sie Krieger sind. Warum war die Spitze von seinem Kahn gegen den S. Lorenzo zugekehrt, wo er doch nur Feinde finden wird?«

»Warum blicken der Pfadfinder und seine Freunde auf denselben Weg?« fragte der Tuscarora ruhig. »Ein Tuscarora kann in dieselbe Richtung wie ein Yengeese schauen.«

»Warum, Pfeilspitze? Um die Wahrheit zu gestehen, wir sind aufs Kundschaften aus, wie – das zu Schiff geschehen kann – oder mit anderen Worten, wir sind im Dienste des Königs und haben ein Recht, hier zu sein, obgleich wir vielleicht kein Recht haben zu sagen, warum wir hier sind.«

»Pfeilspitze sah den großen Kahn, und er liebt es, in das Gesicht von Eau-douce zu sehen. Er ging am Abend gegen die Sonne, um seinen Wigwam zu suchen? da er aber fand, daß der junge Seemann einen anderen Weg gehen wolle, so kehrte er um, um dieselbe Richtung zu schauen. Eau-douce und Pfeilspitze waren beieinander auf der letzten Fährte.«

»Das mag alles wahr sein, Tuscarora, und Ihr seid willkommen. Ihr sollt von unserem Wildbret essen, und dann müssen wir uns trennen. Die untergehende Sonne ist hinter uns, und wir beide bewegen uns schnell. Mein Bruder wird sich zu weit von dem entfernen, was er sucht, wenn er nicht umkehrt.«

Pfadfinder kehrte nun zu den übrigen zurück und berichtete das Ergebnis seiner Untersuchung. Er schien selbst zu glauben, daß Pfeilspitzes Erzählung wahr sein könne, obgleich er zugestand, daß die Klugheit Vorsicht gegen einen Menschen fordere, der ihm mißfiel. Seine Zuhörer jedoch waren mit Ausnahme Jaspers wenig geneigt, seinen Erklärungen Glauben zu schenken.

»Dieser Kerl muß sogleich in Eisen gelegt werden, Bruder Dunham«, sagte Cap, als Pfadfinder seine Erzählung beendet hatte; »er muß dem Profos übergeben werden, wenn es solchen Beamten auf dem frischen Wasser gibt. Man muß ein Kriegsgericht über ihn halten lassen, sobald wir den Hafen erreichen.«

»Ich denke, es ist das klügste, den Burschen festzuhalten«, antwortete der Sergeant. »Aber Eisen ist unnötig, solang er auf dem Kutter bleibt. Morgen soll die Sache untersucht werden.«

Man forderte nun Pfeilspitze vor und verkündete ihm die Entscheidung. Der Indianer hörte ernst zu und machte keine Einwürfe; im Gegenteil unterwarf er sich mit der ruhigen und zurückhaltenden Würde, mit der sich die amerikanischen Ureingeborenen in ihr Schicksal zu ergeben pflegten, und blieb als ein aufmerksamer, aber ruhiger Beobachter dessen, was vorging, seitwärts stehen. Jasper ließ des Kutters Segel in den Wind, und der Scud nahm seinen Kurs wieder auf.

Es kam nun die Stunde heran, wo die Wachen ausgestellt wurden und man sich wie gewöhnlich zur Ruhe begab. Der größte Teil der Mannschaft ging nach unten und nur Cap, der Sergeant, Jasper und zwei Matrosen blieben auf dem Verdeck. Auch Pfeilspitze mit seinem Weib blieb; jener stand luvwärts in stolzer Abgemessenheit, indes Junitau in ihrer Haltung und Hingebung die demütige Unterwürfigkeit äußerte, die das Weib eines Indianers charakterisiert.

»Ihr werdet unten einen Platz für Euer Weib finden, Pfeilspitze, wo meine Tochter für ihre Bedürfnisse Sorge tragen wird«, sagte der Sergeant mit Güte, als er gerade im Begriff war, das Deck zu verlassen, »und dort ist ein Segel, auf dem Ihr selbst schlafen könnt.«

»Ich danke meinem Vater. Die Tuscaroras sind nicht arm. Das Weib wird nach meinen Decken im Kahn sehen.«

»Wie Ihr wollt, mein Freund; wir halten es für nötig, Euch zurückzuhalten, aber nicht, Euch einzusperren oder übel zu behandeln. Schickt Euer Weib nach den Decken in den Kahn, und Ihr selbst könnt ihr folgen und uns die Ruder überliefern. Da es einige schläfrige Köpfe in dem Scud geben könnte, Eau-douce«, fügte der Sergeant leise bei, »so wird’s wohl gut sein, sich der Ruder zu versichern.«

Jasper nickte, und Pfeilspitze und sein Weib, von denen man sich keines Widerstandes versah, gehorchten stillschweigend der Anweisung. Als beide in dem Kahn beschäftigt waren, hörte man einige Ausdrücke scharfen Tadels aus dem Munde des Indianers gegen sein Weib, die diese mit unterwürfiger Ruhe hinnahm und den begangenen Fehler dadurch zu verbessern suchte, daß sie die Decke, die sie ergriffen hatte, beiseite legte und nach einer anderen suchte, die mehr nach dem Sinne ihres Tyrannen war.

»Kommt, reicht mir die Hand, Pfeilspitze«, sagte der Sergeant, der auf dem Schandeck stand und die Bewegungen der beiden beobachtete, die für die Ungeduld eines schläfrigen Mannes viel zu langsam waren; »es wird spät, und wir Soldaten werden beizeiten geweckt – da heißt’s früh ins Bett und früh ‚raus.«

»Pfeilspitze kommt«, war die Antwort, als der Tuscarora vorwärts in den Bug seines Kahnes trat.

Ein Schnitt mit seinem scharfen Messer trennte das Tau, an dem das Boot lag: Der Kutter schoß vorwärts, und ließ die leichte Blase von Barke fast unbeweglich hinter sich. Dieses Manöver war mit einer solchen Schnelligkeit und Geschicklichkeit ausgeführt worden, daß der Kahn auf der Leeseite des Scud war, ehe der Sergeant die List bemerkte, und schon in dem Kielwasser schwamm, ehe er es seinen Gefährten mitteilen konnte.

»Hart am Lee!« rief Jasper und stach mit eigener Hand die Klüverschote auf, worauf der Kutter schnell gegen den Wind fuhr und alle Segel hängen ließ oder, wie die Seeleute sagen, in des Windes Auge lief, bis sich das leichte Fahrzeug hundert Fuß windwärts von seiner früheren Lage befand.

So schnell und sicher diese Bewegung ausgeführt wurde, so war sie doch nicht schneller und geschickter als die des Tuscarora. Mit einer Geschicklichkeit, die seine Vertrautheit mit Fahrzeugen bekundete, hatte er das Ruder ergriffen und flog, von seinem Weibe unterstützt, auf dem Wasser dahin. Er schlug seine Richtung nach Südwesten ein, in einer Linie also, die ihn zugleich gegen den Wind und gegen das Ufer führte, und ihn so weit von dem Kutter luvwärts brachte, daß dadurch die Gefahr des Zusammenstoßens mit dem großen Fahrzeug vermieden wurde, wenn letzteres seinen zweiten Gang ausführte. Da der Scud schnell gegen den Wind geschossen war und mit Gewalt vorangetrieben hatte, so wurde es für Jasper nötig, abzufallen, ehe das Fahrzeug seinen Weg ganz verlor, und das Steuer wurde kaum zwei Minuten niedergehalten, als das lebhafte kleine Schiff backvorwärts lag und so schnell abfiel, daß die Segel sich für den entgegengesetzten Gang füllen konnten.

»Er wird entrinnen!« sagte Jasper, als er einen Blick auf die wechselnden Stellungen und Bewegungen des Kutters und des Kahnes warf. »Der schlaue Schurke rudert windwärts tot, und der Scud kann ihn niemals überholen.«

»Ihr habt einen Kahn!« rief der Sergeant, der auf der Verfolgung mit der Heftigkeit eines Knaben beharrte, »wir wollen ihn ins Wasser lassen und die Jagd fortsetzen!«

»Es wird vergeblich sein. Wenn Pfadfinder auf dem Verdeck gewesen wär‘, so hätte es vielleicht gehen mögen; doch damit ist’s jetzt vorbei. Bis der Kahn im Wasser ist, gehen drei oder vier Minuten herum, und diese Zeit ist hinreichend für des Indianers Zweck.«

Cap und der Sergeant sahen die Wahrheit davon ein, die übrigens auch einem in derartigen Dingen ganz Unerfahrenen hätte einleuchten müssen. Das Ufer war kaum eine halbe Meile entfernt, und der Kahn schoß bereits in dessen Schatten, in einer Weise, die deutlich erkennen ließ, daß er das Land erreicht haben würde, ehe noch seine Verfolger die Hälfte dieser Entfernung zurücklegen konnten. Man hätte sich dann allerdings des Kahnes bemächtigen können; er wäre aber eine nutzlose Prise gewesen, da Pfeilspitze in den Wäldern wahrscheinlich eher das andere Ufer unentdeckt erreichen konnte, als wenn er sich mit dem Nachen wieder auf den See wagte, obgleich bei ersterem die körperliche Anstrengung größer sein mochte. Das Steuer des Scuds wurde – zwar nur ungern – wieder aufgenommen; der Kutter drehte sich auf seiner Hielung und kam bei dem anderen Gang fast instinktartig wieder in seinen Kurs. Alles dieses wurde von Jasper mit der größten Stille vollführt; seine Gehilfen wußten, was not tat, und unterstützten ihn mit einer fast mechanischen Nachahmung. Während diese Bewegungen gemacht wurden, nahm Cap den Sergeanten an einem Knopf, führte ihn gegen die Kajütentür, wo er außer dem Bereich des Horchens war, und begann seinen Gedankenvorrat abzuladen.

»Hör‘, Bruder Dunham«, sagte er mit einer geheimnisvollen Miene, »das ist ein Gegenstand, der reifliche Überlegung und viel Umsicht fordert.«

»Das Leben eines Soldaten besteht aus steter Überlegung und Umsicht, Bruder Cap. Würden wir sie an dieser Grenze außer acht lassen, so könnten uns bei dem ersten besten Nicken die Hirnhäute vom Kopf genommen werden.«

»Aber ich betrachte Pfeilspitzes Ergreifung als ein Indiz, und ich möchte hinzusetzen, sein Entweichen als ein zweites. Dieser Jasper Frischwasser mag sich in acht nehmen.«

»Beides sind in der Tat Indizien, wie du’s nennst, Schwager, aber sie führen zu verschiedenen Resultaten. Es ist ein Indiz gegen den Burschen, daß der Indianer entschlüpfte, und eins für ihn, daß er vorher festgenommen wurde.«

»Schön, schön, aber zwei Indizien heben sich gegenseitig nicht auf, wie zwei Verneinungen. Wenn du dem Rat eines alten Seemanns folgen willst, Sergeant, darfst du keinen Augenblick verlieren, um die nötigen Schritte für die Sicherheit des Schiffes und seiner Bemannung zu tun. Der Kutter gleitet nun in einer Geschwindigkeit von sechs Knoten durch das Wasser, und da die Entfernungen auf diesem Stückchen Weiher ja nur gering sind, können wir uns vor Anbruch des Morgens in einem französischen Hafen, und, ehe es Nacht wird, in einem französischen Gefängnis befinden.«

»Das war‘ wohl möglich, aber wozu rätst du mir, Schwager?«

»Nach meiner Meinung sollte man diesen Meister Frischwasser auf der Stelle in den Arrest schicken. Laß ihn in den unteren Raum bringen, gib ihm eine Wache und übertrage das Kommando des Kutters mir. Zu all diesem hast du die Vollmacht, da das Fahrzeug zu der Armee gehört und du der kommandierende Offizier der gegenwärtigen Truppen bist.«

Sergeant Dunham überlegte mehr als eine Stunde die Tunlichkeit dieses Vorschlages, denn obgleich er rasch in seinen Handlungen war, wenn er sich einmal zu etwas entschlossen hatte, so pflegte er doch nichts zu übereilen und die Klugheit nie außer acht zu lassen.

Da er die polizeiliche Aufsicht über die Personen in der Garnison hatte, so war er mit deren Charakteren genau bekannt geworden und hatte seit langer Zeit eine gute Meinung von Jasper. Aber jenes schleichende Gift, der Argwohn, hatte Zutritt zu seiner Seele, gefunden: Die List und die Ränke der Franzosen wurden so sehr gefürchtet, daß es, zumal infolge der vorangegangenen Warnung des Kommandanten, kein Wunder war, wenn die Erinnerung an ein jahrelanges gutes Betragen durch den Einfluß eines so scharfen und gegründet scheinenden Verdachts verwischt wurde. In dieser Verlegenheit zog der Sergeant den Quartiermeister zu Rat, dessen Ansicht, da er sein Vorgesetzter war, Dunham zu respektieren hatte, obgleich er bei dem gegenwärtigen Streifzug unabhängig von dessen Befehlen war. Es ist ein unglücklicher Umstand, wenn man in zweifelhaften Fällen einen Mann zu Rate zieht, der sich bei dem Fragenden in Gunst setzen will, denn man darf fast mit Gewißheit darauf rechnen, daß der gefragte Teil versuchen wird, in die Weise einzugehen, die dem anderen am angenehmsten ist. In gegenwärtigem Fall war es ein weiterer unglücklicher Umstand für eine vorurteilsfreie Betrachtung der Sache, daß nicht der Sergeant selbst, sondern Cap die Verhältnisse auseinandersetzte; denn der eifrige alte Seemann ließ seinen Zuhörer deutlich genug merken, auf welche Seite er den Quartiermeister zu lenken wünschte. Leutnant Muir war viel zu klug, um den Onkel und den Vater des Mädchens, das er zu gewinnen hoffte und erwartete, zu beleidigen, wenn ihm der Fall auch wirklich zweifelhaft vorgekommen wäre; aber bei der Art, wie ihm die Sache vorgelegt wurde, war er ernstlich geneigt, es für zweckmäßig zu halten, die Führung des Scud einstweilen, als eine Vorsichtsmaßregel gegen Verrat, in Caps Hände zu legen. Diese Ansicht entschied über den Sergeanten, der ohne Verzug die nötigen Maßregeln treffen ließ.

Ohne in weitere Erörterungen einzugehen, gab Sergeant Dunham Jasper die einfache Erklärung, daß er es für seine Pflicht halte, ihm vorderhand das Kommando des Kutters zu entziehen und es seinem Schwager zu übertragen. Ein natürlicher unwillkürlicher Ausbruch der Überraschung, der dem jungen Manne entfuhr, wurde mit der ruhigen Erinnerung erwidert, daß der Militärdienst oft ein Geheimhalten der Gründe fordere: Das gegenwärtige Verfahren – wurde ihm weiter erklärt – gehöre unter diese Reihe, und die getroffene Anordnung sei unvermeidlich gewesen. Obgleich Jaspers Erstaunen ungemindert blieb, denn der Sergeant hatte absichtlich jede Anspielung auf seinen Verdacht umgangen – so war doch der junge Mann an militärischen Gehorsam gewöhnt; er verhielt sich ruhig und forderte noch selbst die kleine Rudermannschaft auf, für die Zukunft Caps Befehlen zu gehorchen, bis die Sache eine andere Wendung nehmen würde. Als man ihm jedoch sagte, die Verhältnisse forderten es, daß nicht nur er, sondern auch sein erster Gehilfe, der wegen seiner langen Vertrautheit mit dem See gewöhnlich der Lotse genannt wurde, in dem unteren Raum bleiben müsse, trat eine Veränderung in seinen Gesichtszügen und seinem Benehmen ein, die ein tiefes schmerzliches Gefühl bezeichnete, obgleich es Jasper so sehr zu beherrschen wußte, daß selbst der argwöhnische Cap im Zweifel blieb, was er davon denken solle. Wie natürlich blieben aber, da ein Mißtrauen einmal vorhanden war, auch die schlimmsten Deutungen über die Sache nicht aus.

Sobald Jasper und der Lotse im unteren Raum waren, erhielt die Schildwache an der Luke geheimen Befehl, auf beide sorgfältig acht zu geben, keinem zu erlauben, wieder auf das Verdeck zu kommen, ohne vorher dem dermaligen Befehlshaber des Kutters Nachricht zu geben und dann darauf zu bestehen, daß sie so bald wie möglich wieder in ihren Raum zurückkehrten. Es bedurfte jedoch dieser Vorsichtsmaßregeln nicht, da sich Jasper und sein Gehilfe ruhig auf ihre Streu warfen und sie in dieser Nacht nicht wieder verließen.

»Und nun, Sergeant«, sagte Cap, sobald er sich als den Herrn des Verdecks sah, »wirst du die Güte haben, mir die Kurse und Entfernungen anzugeben, damit ich sehe, ob der Schnabel des Schiffes in der rechten Richtung ist.«

»Ich weiß nichts von beiden, Bruder Cap«, erwiderte Dunham, den diese Frage nicht wenig in Verlegenheit setzte. »Wir müssen eben so bald wie möglich die Station auf den Tausendinseln erreichen, wo wir landen, die dortige Mannschaft ablösen und weitere Instruktionen für unsere Schritte erhalten sollen. Das steht fast Wort für Wort in dem geschriebenen Befehl.«

»Aber du kannst doch eine Karte beibringen, auf der die Höhen und Entfernungen verzeichnet sind, damit ich mich über den Weg ins klare setze?«

»Ich glaube nicht, daß Jasper etwas der Art bei sich hat.«

»Keine Karte, Sergeant Dunham?«

»Nein, nicht die Spur davon. Unsere Schiffe befahren diesen See, ohne sich je der Karten zu bedienen.«

»Den Teufel auch! – Das müssen ja wahre Yahs sein. Glaubst du denn, Sergeant Dunham, ich könne eine Insel aus Tausenden herausfinden, ohne ihren Namen und ihre Lage zu wissen? – Ja, nicht einmal den Kurs und die Entfernung?«

»Der Name, Bruder Cap, braucht dich nicht gerade anzufechten, denn keine von diesen Tausenden hat einen, und so kann in dieser Hinsicht kein Mißgriff stattfinden. Was die Lage betrifft, so kann ich von dieser nichts sagen, da ich nie dort gewesen bin; doch glaube ich, daß sie nicht von besonderem Belang ist, wenn wir nur den Ort ausfindig machen. Vielleicht kann aber einer von den Matrosen auf dem Verdeck uns den Weg angeben.«

»Halt, Sergeant – halt einen Augenblick, wenn’s gefällig ist, Sergeant Dunham. Wenn ich das Kommando über diesen Kutter führen soll, so muß dies geschehen, ohne daß man mit dem Koch oder Kajütenjungen ratschlägt. Ein Schiffsmeister ist ein Schiffsmeister und muß seiner eigenen Einsicht folgen, wenn sie auch noch so unrichtig ist. Ich denke, du kennst den Dienst gut genug, um einzusehen, daß es besser ist, wenn ein Kommandant einen unrichtigen Weg nimmt, als wenn er gar keinen geht. Jedenfalls könnte der Lord Oberadmiral nicht einmal ein Boot mit Würde kommandieren, wollte er den Bootsmann alle Augenblicke um Rat fragen, wann er ans Ufer zu gehen wünschte. Nein, Herr! Wenn ich sinke, so sink‘ ich – aber, Gott verdamm mich, wenn ich nicht nach Schiffsart und mit Würde untergehen will.«

»Aber, Bruder Cap, ich wünsche nirgends anders hinzugehen als zu der Station an den Tausendinseln, wohin uns unsere Pflicht ruft.«

»Schön, schön, Sergeant! Aber eh‘ ich bei einem Matrosen vom Vordermast oder irgendeinem anderen als bei einem Deckoffizier Rat einhole, ich meine einen direkten, unverhohlenen Rat, will ich lieber um das ganze Tausend herumgehen und eine nach der anderen untersuchen, bis wir den rechten Hafen treffen. Aber es gibt so eine Art, was herauszukriegen, ohne daß man seine Unwissenheit zutage bringt, und ich will’s schon so einleiten, daß ich aus diesen Matrosen alles rauslocke, was sie wissen, indem ich sie zugleich glauben mache, daß ich sie mit den Vorräten meiner Erfahrung überschütte. Wir müssen uns auf dem offenen Meer manchmal des Seerohrs bedienen, wenn weit und breit nichts zu sehen ist, und das Lot auswerfen, wenn wir noch lange nicht auf den Grund kommen.«

»Ich weiß, daß wir augenblicklich in der rechten Richtung steuern«, erwiderte der Sergeant, »aber nach einigen Stunden werden wir an ein Vorgebirge kommen, wo wir acht geben müssen.«

»Ich will den Mann an dem Steuer anpumpen, und du wirst sehen, daß er in wenigen Minuten trocken liegen wird.«

Cap und der Sergeant begaben sich nun zu dem Steuermann, wobei ersterer die Sicherheit und Ruhe eines Mannes zur Schau trug, der sich seiner eigenen Überlegenheit bewußt ist.

»Das ist ’ne gesunde Luft, Junge«, bemerkte Cap, als ob es nur so nebenher geschehe, und in einer Weise, wie sich die Oberen am Bord eines Schiffes bisweilen zu einem begünstigten Untergebenen herabzulassen pflegen. »Ihr habt sie wohl alle Nacht vom Lande her in dieser Weise?«

»In dieser Jahreszeit wohl, Herr!« erwiderte der Mann, indem er aus Achtung vor seinem neuen Befehlshaber und dem Verwandten des Sergeanten Dunham an den Hut griff.

»Ich denk‘, es wird bei den Tausendinseln gerad‘ so sein? Der Wind wird wohl die gleiche Richtung halten, obgleich wir dann auf jeder Seite Land haben werden?«

»Wenn wir weiter nach Osten kommen, wird der Wind wahrscheinlich umspringen, denn dort haben wir keinen eigentlichen Landwind.«

»Ja, ja, so ist’s mit Eurem Frischwasser. Es hat immer eine Tücke, die der Natur entgegen ist. Zwar da unten an den westindischen Inseln darf man ebensogut auf den Landwind wie auf den Seewind rechnen; es war‘ daher in dieser Beziehung kein Unterschied, obgleich es in der Ordnung wäre, wenn sich’s hier oben auf dem Fleckchen Frischwasser anders verhielte. Ihr kennt demnach alles um die genannten Tausendinseln herum?«

»Gott behüte Euch, Meister Cap, niemand weiß alles oder auch nur etwas über diese Inseln. Sie bringen den ältesten Schiffer auf dem See in Verwirrung, und wir machen nicht einmal einen Anspruch darauf, ihre Namen zu kennen. Ja, die meisten von ihnen haben so wenig einen Namen wie ein Kind, das vor der Taufe stirbt.«

»Seid Ihr ein römischer Katholik?« fragte Cap scharf.

»Weder das noch was anderes. Ich bin ein Generalisierer in Religionssachen und werde nie beunruhigen, was mich nicht beunruhigt.«

»Hm! ein Generalisierer; das ist ohne Zweifel eine von den neuen Sekten, die das Land bedrängen«, brummte Dunham, dessen Großvater ein Neujerseyquäker und dessen Vater ein Presbyterianer gewesen war, indes er sich selbst, nach seinem Eintritt in das Heer, der Kirche von England angeschlossen hatte.

»Ich vermute, John«, nahm Cap wieder auf, »doch ich glaube, Euer Name ist Jack?«

»Nein, Herr! Ich heiße Robert.«

»Nun also, Robert – es ist fast dasselbe, Jack oder Bob; wir brauchen diese zwei Namen ohne Unterschied. Ich sage, Bob, ist es ein guter Haltegrund da unten an der Station, zu der wir gehen sollen?«

»Gott behüte Euch, Herr! ich weiß davon nicht mehr als einer von den Mohawkern oder ein Soldat vom Fünfundfünfzigsten.«

»Habt Ihr dort nie geankert?«

»Nie, Herr; Meister Eau-douce legt immer selbst am Ufer an.«

»Aber wenn Ihr auf die Stadt zulauft, werft Ihr doch ohne Zweifel das Lot aus; auch müßt Ihr, wie gewöhnlich, getalgt haben.«

»Talg? und noch dazu eine Stadt? Gott sei bei Euch, Meister Cap! – da ist so wenig ’ne Stadt wie auf Euerm Kinn und nicht halb so viel Talg.«

Der Sergeant lächelte sauertöpfisch, aber sein Schwager bemerkte diesen Witz nicht.

»Kein Kirchturm, kein Leuchtturm, kein Fort? Na, es wird doch wenigstens so was um den Weg sein, was Ihr Garnison nennt?«

»Fragt den Sergeanten Dunham, Herr, wenn Ihr das zu wissen wünscht. Die ganze Garnison ist an Bord des Scud.«

»Welchen Kanal haltet Ihr für den geeignetsten zum Einlanden, Bob? den, den Ihr das letztemal fuhrt, oder, oder, oder – ja, oder den anderen?«

»Ich kann das nicht sagen, denn ich weiß von keinem was.« »Wie, Ihr habt doch nicht an dem Steuer geschlafen, Bursche? Habt Ihr das?«

»Nicht am Steuer, Herr, aber unten in meiner Koje, unter der Fockgaffel. Eau-douce schickte die Soldaten und alles hinunter, den Lotsen ausgenommen, und wir wußten von dem Weg nicht mehr, als ob wir nie darüber gekommen wären. So hat er es immer gehalten, wir mochten gehen oder kommen, und ich könnte Euch ums Leben nicht was von dem Kanal oder dem Kurs sagen, nachdem wir erst mal glücklich an den Inseln angelangt waren. Niemand weiß davon als Jasper und der Lotse.«

»Da hast du wieder ein Indiz, Sergeant«, sagte Cap, indem er seinen Schwager etwas beiseite führte. »Es ist niemand an Bord, bei dem was herauszupumpen wäre, denn schon bei dem ersten Zug zeigt sich die Trockenheit ihrer Ignoranz. Wie zum Teufel soll ich nun den Weg zu der Station finden, nach der unser Auftrag geht?«

»Deine Frage, Bruder Cap, ist wahrhaft leichter gestellt als beantwortet. Läßt sich denn dies durch die Schiffahrtskunst nicht herausbringen? Ich glaubte, das sei für Euch Salzwasserschiffer eine Kleinigkeit. Ich hab‘ auch in der Tat oft gelesen, wie sie Inseln entdeckten.«

»Das hat ganz seine Richtigkeit, Bruder; und diese Entdeckung würde die größte von allen sein, da es sich dabei nicht um die Entdeckung einer einzigen Insel, sondern einer aus Tausenden heraus handelt. Ich könnte wohl, so alt ich auch bin, eine einzelne Nadel auf diesem Verdeck auffinde», aber ich zweifle, ob ich sie aus einem Heuschober herauskriegte.«

»Die Schiffer auf diesem See haben aber doch eine Methode, die Plätze zu finden, die sie besuchen wollen.«

»Wenn ich dich recht verstanden habe, Sergeant, so liegt diese Station oder dieses Blockhaus besonders verborgen?«

»So ist’s bei Gott! Man hat die größte Sorgfalt angewendet, daß der Feind keine Kunde von ihrer Lage erhalte.«

»Und du erwartest von mir, daß ich als Fremder auf diesem See jenen Platz auffinden soll ohne Karte, Kurs, Entfernung, Länge, Breite, Tiefe – ja, ich will verdammt sein, nicht mal mit dem Talg? Meinst du denn, ein Matrose brauche bloß seiner Nase nachzugehen wie einer von Pfadfinders Hunden?«

»Nun, Schwager, vielleicht kannst du doch von dem jungen Mann am Steuer noch was durch Fragen herausbringen. Ich kann kaum glauben, daß er so unwissend ist wie er sich stellt.«

»Hm! das sieht wieder einem Indiz ähnlich. In dem ganzen Fall häufen sich die Indizien nachgerade so sehr, daß man kaum weiß, wie man der Wahrheit auf die Sprünge kommen soll. Wir werden aber bald sehen, wie es mit dem Wissen dieses Burschen beschaffen ist.«

Cap und der Sergeant kehrten nun zu dem Steuer zurück, und Cap nahm seine Fragen wieder auf.

»Kennt Ihr vielleicht die Länge und Breite der gesuchten Insel, Junge?«

»Was, Herr?«

»Nun die Länge oder Breite – eins oder beides; ich mach‘ mir zwar nichts daraus, denn ich frage bloß, um zu sehen, wie man die jungen Leute hier auf diesem Frischwasserstreifen erzieht.«

»Ich mach‘ mir auch nichts aus solchen Dingen, Herr, und weiß daher zufällig nicht, was Ihr meint.«

»Nicht was ich meine? – Wie? Ihr wißt nicht, was Breite ist?«

»Nein, Herr!« erwiderte der Steuermann zögernd – »obgleich ich glaube, daß es Französisch von den oberen Seen ist.«

»Hu – hu – hu – uh!« stöhnte Cap mit einem schweren Atemzuge, gleich dem Ton einer zerbrochenen Orgelpfeife; »Breite, Französisch von den oberen Seen! Hört, junger Mann, wißt Ihr, was Länge bedeutet?«

»Ich glaube, ich weiß das Herr – fünf Fuß sechs Zoll, die regelmäßige Höhe für einen Soldaten in des Königs Dienst.«

»Das ist eine Höhe nach dem Meßstock, eine, die für dich paßt, Sergeant. – Ihr habt doch hoffentlich einige Kenntnisse von Graden, Minuten und Sekunden?«

»Ja, Herr; unter Grad versteht man einen Vorgesetzten, und Minuten und Sekunden bedeuten die langen und kurzen Loglinien. Wir wissen diese Dinge so gut wie das Salzwasservolk.«

»Ich will verdammt sein, Bruder Dunham, wenn ich denke, daß selbst der Glaube über diesen See weghelfen kann, so viel man auch davon spricht, daß er Berge versetzen kann. So viel ist wenigstens gewiß, daß hier das Amt nicht den Verstand gibt. Nun, mein Bursch, Ihr versteht Euch vielleicht auf das Azimut, das Messen der Entfernungen, und wie man die Punkte des Kompasses in gehöriger Ordnung benennt?«

»Was das erste anbelangt, so weiß ich davon nichts. Die Entfernungen kennen wir alle wohl, da wir sie von einer Landspitze zur anderen messen, und wegen des Kompasses da werde ich keinem Admiral von Seiner Majestät Flotte den Rücken kehren. Nord, Nord zu Ost, Nordnordost, Nordost zu Nord, Nordost; Nordost zu Ost, Ostnordost, Ost zu Nord, Ost –«

»Nun, das geht, das geht. Ihr werdet den Wind ganz herumbringen, wenn Ihr auf diese Weise weiter segelt. Ich sehe deutlich, Sergeant«, sagte er, indem er den Steuermann verließ, mit gedämpfter Stimme, »daß wir von diesem Burschen nichts zu hoffen haben. Ich will noch zwei Stunden auf diesem Gang halten und dann anholen und das Lot auswerfen. Wir müssen uns dann eben nach den Umständen richten.«

Der Sergeant hatte nichts dagegen einzuwenden, und da der Wind, wie gewöhnlich bei fortschreitender Nacht, leichter wurde und sich der Fahrt keine unmittelbaren Hindernisse in den Weg legten, so machte sich Dunham auf dem Verdeck aus einem Segel ein Lager und verfiel bald in den festen Schlaf eines Soldaten. Cap fuhr fort, auf dem Deck auf und ab zu gehen, denn er war ein Mann, dessen eiserner Körper jeder Ermüdung Trotz bot: Er schloß die ganze Nacht kein Auge.

Als Sergeant Dunham erwachte, war es heller Tag. Da er sich aber erhob und umherblickte, entfuhr ihm ein Ausruf der Überraschung, der kräftiger tönte, als es bei einem Mann gewöhnlich war, der so oft veranlaßt wurde, sich hören zu lassen. Er fand das Wetter ganz verändert; die Aussicht war durch einen treibenden Nebel verhüllt, der den sichtbaren Horizont auf einen Kreis beschränkte, der im Durchmesser etwa eine Meile haben mochte. Der See tobte in schäumenden Wellen, während der Scud einen Beilieger machte. Eine kurze Besprechung mit seinem Schwager gab ihm Aufschluß über diesen plötzlichen Wechsel.

Caps Bericht zufolge hatte sich der Wind gegen Mitternacht gelegt und in ein totes Wetter verwandelt, als er gerade beilegen und das Lot auswerfen wollte, weil vor ihm einige Inseln aufzutauchen begannen. Gegen ein Uhr fing er an, aus Nordost zu wehen, und führte einen Nebelregen mit sich; worauf Cap gegen Nord und West seewärts anlag, da er wußte, daß sich die Küste von New York auf der entgegengesetzten Seite befand. Gegen halb zwei Uhr beschlug er den obern Klüver, reffte das Hauptsegel und nahm den Bonnet von dem Klüver. Um zwei Uhr mußte er hinten reffen und um halb drei ein Schunerreff an das Segel legen und einen Beilieger machen.

»Ich kann’s nicht anders sagen, Sergeant, das Boot hält sich gut«, fügte der alte Seemann bei, »aber es bläst Zweiundvierzigpfünder. Ich hätte mir’s nicht gedacht, daß es solche Luftströmungen hier auf diesem Fetzchen Frischwasser gäbe; doch das kümmert mich so wenig wie ein Stümpfchen Garn, denn Euer See erhält dadurch doch ein mehr natürliches Aussehen, und« – er spuckte mit Ekel einen Schaumguß, der gerade sein Gesicht benetzt hatte, aus dem Munde – »und wenn dieses verflixte Wasser einen Salzgeschmack hätte, so könnt‘ man sich recht behaglich darauf fühlen.«

»Wie lange bist du in dieser Richtung vorwärts gefahren, Bruder Cap?« fragte der vorsichtige Krieger – »und mit welcher Geschwindigkeit gehen wir jetzt durch das Wasser?«

»Nun, so etwa zwei oder drei Stunden. In den zwei ersten flog das Schiff wie ein Pferd. Wir haben nun schöne offene See, denn, um die Wahrheit zu gestehen, ich fand an der Nachbarschaft der genannten Inseln wenig Geschmack, obgleich sie windwärts lagen, nahm daher selbst das Steuer und machte mich eine oder zwei Meilen davon weg. Ich wette, sie sind jetzt ziemlich leewärts von uns; – ich sage leewärts, denn wenn man auch wünschen mag, von einer oder auch einem halben Dutzend Inseln windwärts zu sein, so ist es doch besser, wenn mal von Tausenden die Rede ist, sich von ihnen fernzuhalten und so schnell wie möglich unter ihr Lee zu gleiten. Nein, nein; dort drüben sind sie im Nebelduft und mögen da meinetwegen liegenbleiben.«

»Da das Nordufer nur fünf bis sechs Meilen von uns liegt, Bruder, und mir bekannt ist, daß sich dort eine weite Bucht befindet, möcht‘ es da nicht gut sein, einige von dem Schiffsvolk über unsere Lage zu Rat zu ziehen, wenn wir nicht lieber Jasper Eau-douce heraufrufen und ihn darum angehen wollen, uns wieder nach Oswego zurückzuführen? Wir können jetzt unmöglich die Station erreichen, da wir den Wind gerade in unseren Zähnen haben.«

»Ein Seemann hat mehrere wichtige Gründe gegen alle deine Vorschläge, Sergeant. Einmal würde ein Zugeständnis der Unwissenheit von seitens eines Kommandanten alle Subordination aufheben. Nichts davon, Bruder; ich verstehe dein Kopfschütteln: Aber nichts stört die Disziplin mehr als das Bekenntnis, daß man sich nicht zu raten wisse. Ich hab‘ mal einen Schiffsmeister gekannt, der lieber eine Woche auf einem falschen Kurs blieb, als daß er einen Mißgriff zugestanden hätte, und es war überraschend, wie sehr er sich dadurch in der Meinung seiner Leute hob, grade weil sie ihn nicht begreifen konnten.«

»Das mag sich auf dem Salzwasser tun lassen, Bruder Cap, aber schwerlich auf diesem See. Ehe ich mein Kommando an Kanadas Ufer scheitern lasse, halt‘ ich’s für meine Pflicht, Jasper aus seiner Haft heraufzunehmen –«

»Und in Frontenac ans Land zu gehen. Nein, Sergeant; der Scud ist in guten Händen und kann jetzt was von Seemannskunst erfahren. Wir haben schöne offene See, und nur ein Verrückter würde in einer Kühlte wie dieser dran denken, sich einer Küste zu nähern. Ich werde jede Wache vieren, und dann werden wir gegen alle Gefahr sicher sein, das Abtreiben ausgenommen, was jedoch in einem so leichten und niedrigen Fahrzeug, wie diesem ohne Windfang von keinem Belang sein kann. Überlaß nur mir die ganze Sache, Sergeant, und ich stehe mit meiner Ehre dafür, daß alles gutgehen wird.«

Sergeant Dunham mußte wohl oder übel nachgeben. Er hatte ein großes Vertrauen zu der seemännischen Geschicklichkeit seines Schwagers und hoffte, er werde sich bei dem Kutter Mühe geben, diese gute Meinung noch zu erhöhen. Auf der andern Seite war er, da der Verdacht wie die Sorge immer größer wird, je mehr man ihm Nahrung läßt – so besorgt des Verrats wegen, daß er jedem, andern als Jasper gern das Schicksal der ganzen Gesellschaft in die Hände gegeben haben würde. Er hatte übrigens, um die Wahrheit zu gestehen, noch einen weiteren Grund. Der Auftrag, der ihm anvertraut war, hätte eigentlich einem Offizier überlassen werden sollen, und der Umstand, daß Major Duncan das Kommando einem untergeordneten Sergeanten gegeben, hatte unter den Subalternoffizieren eine große Unzufriedenheit erregt. Wenn er nun zurückkehrte, ohne den Ort seiner Bestimmung erreicht zu haben, so mußte dadurch ein Schatten auf ihn fallen, der sich nicht so bald verwischt haben würde, und die unausbleibliche Folge dieser Maßregel war, daß ihm der Befehl abgenommen und ein Offizier an seine Stelle gesetzt wurde.

Sechzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Mit dem fortschreitenden Tag erschienen nach und nach alle, die sich auf dem Schiff befanden und nicht ihrer Freiheit beraubt waren, auf dem Verdeck. Die Wogen gingen noch nicht besonders hoch, woraus man schloß, daß der Kutter noch unter dem Lee der Inseln liege; aber es war alles, die den See kannten klar, daß sie einen der schweren Herbststürme durchzumachen haben würden, die zu dieser Jahreszeit in jener Gegend nicht selten sind. Man sah nirgends Land, und der Horizont bot nach allen Seiten nichts als jene düstere Leere, die der Aussicht auf weiten Wasserflächen den Charakter einer geheimnisvollen Erhabenheit aufdrückt. Die Deinigen, oder, wie man es an Land nennt, die Wogen, waren kurz und kräuselnd und brachen sich notwendigerweise früher als die längeren Wellen des Ozeans, während das Element selbst, statt die schöne Farbe zu zeigen, die mit den tiefen Tönungen des südlichen Himmels wetteifert, grün und zürnend aussah, obgleich ihm der Glanz mangelte, den es sonst den Strahlen der Sonne verdankt.

Die Soldaten hatten an diesem Anblick bald genug und es verschwand einer nach dem anderen, so daß außer den Matrosen zuletzt nur noch der Sergeant, Cap, Pfadfinder, der Quartiermeister und Mabel auf dem Verdeck waren. Es lagerte sich ein Schatten um das Auge des Mädchens, da sie den wirklichen Stand der Dinge erfahren und es vergebens versucht hatte, die Zurückgabe des Kommandos an Jasper zu erwirken. Auch den Pfadfinder schien die Ruhe und Überlegung einer Nacht in seiner Überzeugung von der Schuldlosigkeit des jungen Mannes befestigt zu haben, so daß er gleichfalls mit Wärme, obschon mit demselben ungünstigen Erfolg, zugunsten seines Freundes sprach.

So vergingen einige Stunden, wobei der Wind allmählich immer heftiger wurde und der See sich hob, bis die Bewegung des Kutters auch Mabel und den Quartiermeister zum Rückzug veranlaßte. Cap vierte öfters, und es war nun klar, daß der Scud in die breiteren und tieferen Gegenden des Sees trieb, wobei die Wogen mit einer solchen Wut auf ihn einstürmten, daß sich nur ein Fahrzeug von besserer Form und stärkerem Bau lange gegen sie halten und Widerstand leisten konnte. Doch Cap machte sich nichts aus alledem; denn wie der Jagdhund beim Schmettern des Hornes die Ohren spitzt oder das Kriegsroß beim Wirbeln der Trommeln scharrt und schnaubt, so wurden bei dem Anblick dieser ganzen Szene alle Lebensgeister des Mannes rege, und statt der zanksüchtigen, hochmütigen und absprechenden Tadelsucht, die an jeder Kleinigkeit krittelte und unwesentliche Dinge übertrieb, begann er die Eigenschaften des kühnen und erfahrenen Seemannes zu entwickeln, der er in der Tat war. Die Matrosen hegten bald Achtung vor seiner Geschicklichkeit, und obgleich sie sich wunderten über das Verschwinden ihres früheren Befehlshabers und des Lotsen, dessen Grund ihnen nicht mitgeteilt worden war, so zollten sie doch gern ihrem neuen Gebieter unbedingten Gehorsam.

»Dieses bißchen Frischwasser, Bruder Dunham, hat im Grunde doch einiges Leben, wie ich merke«, rief Cap gegen Mittag und rieb vor lauter Vergnügen die Hände, weil er nun wieder einmal seine Kraft gegen die der Elemente versuchen konnte. »Der Wind scheint eine ehrliche, altmodische Kühlte zu sein, und die Wellen haben eine wunderliche Ähnlichkeit mit denen des Golfstromes. Ich liebe das, Sergeant; ich liebe das und werde Euern See achten lernen, wenn er noch so vierundzwanzig Stunden in der angefangenen Weise fortmacht.«

»Land ho!« rief der Mann, der in der Back aufgestellt war.

Cap eilte vorwärts; und wirklich war durch den Nebelregen in der Entfernung einer halben Meile Land sichtbar, auf das der Scud lostrieb. Zuerst wollte der alte Seemann Befehl geben, beizulegen und vom Ufer abzuvieren; aber der besonnene Soldat hielt ihn zurück.

»Wenn wir etwas näher kommen«, sagte der Sergeant, »so erkennen vielleicht einige die Gegend. Die meisten von uns kennen das amerikanische Ufer an diesem Teil des Sees, und wir werden dadurch über unsere Stellung ins klare kommen.«

»Sehr wahr, sehr wahr. Wahrscheinlich wird dieses der Fall sein, und wir wollen darauf anhalten. Was ist das dort, ein wenig vor unserem Luvbug? Es sieht wie ein niedriges Vorgebirge aus!«

»Die Garnison, beim Jupiter!« rief der andere, dessen geübtes Auge die Umrisse des Forts früher erkannte, als das weniger scharfe seines Verwandten.

Der Sergeant hatte sich nicht geirrt. Es war wirklich das Fort, obgleich es in dem feinen Regen nur dunkel und unbestimmt wie im Düster des Abends oder im Morgennebel erschien. Die niedrigen, grünen Rasenwälle, die düstern Palisaden, die im Regen noch dunkler erschienen, die Dächer einiger Häuser, die hohe einsame Wimpelstange, deren Flaggenfälle mit einer Stetigkeit dem Zug des Windes folgten, daß sie wie unbewegliche, krumme Linien in der Luft erschienen – alles dieses wurde nach und nach sichtbar, obgleich sich keine Spur des Lebens entdecken ließ. Selbst die Schildwache war untergetreten, und man glaubte zuerst, daß kein Auge die Annäherung des eigenen Schiffes entdecken würde. Aber die unablässige Wachsamkeit einer Grenzgarnison schlummerte nicht, und wahrscheinlich machte einer der Ausluger die interessante Entdeckung. Bald erschienen einige Männer auf den höheren Standorten, und bald wimmelten alle Wälle in der Nähe des Sees von menschlichen Wesen.

Es war eine der Szenen, deren Großartigkeit noch insbesondere durch den Reiz des Malerischen gehoben wird. Das Wüten des Sturmes war so anhaltend, daß man sich zu der Vermutung geneigt fühlen konnte, es gehöre zu dem beständigen Charakter dieser Gegend. Das Brüllen des Windes tobte in einem fort, und das empörte Wasser begleitete diese gewaltigen, dumpfen Töne mit seinem gischtenden Schaum, der drohenden Brandung, und den steigenden Wogen. Der leichte Regen ließ dem Auge alles wie in einem dünnen Nebel erscheinen, der die Bilder sanfter machte und einen geheimnisvollen Schleier darüber warf, während die erhebenden Gefühle, die ein Seesturm leicht zu erregen imstande ist, die milderen Eindrücke des Augenblicks steigerten. Der dunkle, unabsehbare Wald erhob sich großartig düster aus dem Nebelgrau, während die einsamen eigentümlichen und malerischen Bilder des Lebens, die man bei und in dem Fort entdecken konnte, dem Auge einen Ruhepunkt boten, wenn es die schrofferen Züge der Natur erdrücken wollten.

»Sie sehen uns«, sagte der Sergeant, »und glauben, wir seien wegen des Sturmes zurückgekehrt, der uns zu weit leewärts von unserem Hafen getrieben hat. Ja, dort ist Major Duncan selbst auf dem nördlichen Bollwerk. Ich kenne ihn an seiner Höhe und den Offizieren, die ihn umgeben.«

»Sergeant, es war‘ wohl der Mühe wert, sich ein wenig auslachen zu lassen, wenn wir in den Fluß kommen und einen sichern Ankerplatz gewinnen könnten. Wir würden bei dieser Gelegenheit auch den Meister Eau-douce ans Land setzen und das Boot reinigen.«

»Allerdings; aber so wenig ich auch von der Schiffahrt verstehe, so weiß ich doch, daß sich das nicht tun läßt. Nichts, was auf dem See segelt, kann sich windwärts gegen diese Kühlte wenden, und hier außen ist bei diesem Wetter kein Ankerplatz.«

»Ich weiß es, ich sehe es, Sergeant; und so lieblich auch dieser Anblick für Euch Landratten sein mag, so müssen wir ihm doch den Rücken kehren. Was mich anbelangt, so fühle ich mich nie wohler, als wenn ich gewiß bin, daß in einem rechten Unwetter das Land weit hinter mir liegt.«

Der Scud war nun so nahe gekommen, daß es unumgänglich nötig wurde, seinen Schnabel wieder vom Lande abzuwenden, wozu denn auch die geeigneten Befehle gegeben wurden. Das untere Stagsegel wurde vorwärts losgemacht, die Gaffel herabgelassen, das Steuer aufgestellt, und das leichte Fahrzeug, das wie eine Ente mit dem Element zu spielen schien, fiel ein wenig ab, drückte schnell von vorn um, folgte dem Ruder und flog bald, tot vor der Kühlte, über die Spitzen der Wellen hin. Während es diese schnelle Flucht machte, verschwanden das Fort und die ängstlichen Zuschauergruppen auf den Wällen bald in dem Nebel, obgleich das Land am Backbord noch sichtbar war. Nun folgten die nötigen Schwenkungen, um das Vorderteil des Kutters in die Richtung des Windes zu bringen, worauf er ermattet den schwierigen Weg gegen das Nordufer wieder aufnahm.

Stunden vergingen nun, ohne daß eine weitere Veränderung vorgenommen wurde. Die Macht des Windes steigerte sich so sehr, daß endlich selbst der eigensinnige Cap zugeben mußte, es wehe nun eine tüchtige Kühlte. Gegen Sonnenuntergang vierte der Scud wieder, um in der Dunkelheit der Nacht nicht an das Nordufer getrieben zu werden, und gegen Mitternacht glaubte der dermalige Schiffsmeister, der sich durch sein indirektes Ausforschen der Matrosen einige allgemeine Kenntnisse über die Größe und die Gestalt des Sees erworben hatte, daß er sich ungefähr in der Mitte zwischen beiden Ufern befinde. Die Höhe und Länge der Wellen machte diese Vermutung wahrscheinlich, und wir müssen noch beifügen, daß Cap zu dieser Zeit eine Achtung vor dem Frischwasser zu fühlen anfing, die er vierundzwanzig Stunden früher als eine Unmöglichkeit verlacht haben würde. Eben, als der Tag zu grauen begann, wurde die Wut des Windes so heftig, daß sich der Seemann nicht mehr gegen sie zu halten vermochte, denn die Wogen fielen in solchen Massen über das Verdeck des kleinen Fahrzeugs, daß sie es in seinem Innersten erschütterten und ungeachtet seiner Behendigkeit unter ihrem Gewicht zu begraben drohten. Die Matrosen des Scud versicherten, daß sie früher nie einen solchen Sturm auf dem See durchgemacht hätten, was auch richtig war, denn Jasper würde, bei seiner genauen Kenntnis aller Flüsse, Vorgebirge und Hafen, den Kutter lange vorher ans Ufer geführt und auf einen sicheren Ankergrund gebracht haben. Aber Cap verschmähte es noch immer, den jungen Schiffer, der sich fortwährend im unteren Raum befand, um Rat zu fragen, und war entschlossen, wie ein Seemann auf dem großen Weltmeer zu handeln.

Um ein Uhr morgens wurde das untere Stagsegel wieder an den Scud gelegt, der obere Teil des Hauptsegels niedergelassen und der Kutter vor den Wind gebracht. Obgleich nun die Oberfläche der Leinwand dem Wind nur einen Streifen darbot, so machte doch das kleine Fahrzeug seinem edlen Namen Ehre, denn es flog in der Tat acht Stunden lang wie eine Wolke dahin, beinahe mit derselben Geschwindigkeit, mit der die Möwen über ihn wegschössen, augenscheinlich vor Furcht, in den kochenden Kessel des Sees herunterzufallen. Das Aufdämmern des Tages brachte wenig Veränderung. Der Horizont blieb auf den kleinen bereits beschriebenen Nebelkreis beschränkt, in dem die Elemente in chaotischer Verwirrung zu toben schienen. Während dieser Zeit verhielten sich die Matrosen und Passagiere des Kutters in gezwungener Untätigkeit. Jasper und der Lotse blieben unten; als aber die Bewegung des Fahrzeuges leichter wurde, so kamen fast alle übrigen auf das Verdeck. Das Frühstück wurde schweigend eingenommen, und jeder blickte dem anderen ins Auge, als ob sie sich in dieser stummen Weise fragen wollten, wohin dieser Kampf der Elemente wohl noch führen werde. Cap erhielt sich jedoch vollkommen seine Fassung; sein Auge strahlte, sein Tritt wurde fester und seine ganze Haltung zuversichtlicher, als der Sturm zunahm und größere Anforderungen an seine Geschicklichkeit und seinen Mut machte. Er stand mit gekreuzten Armen und mit seemännischem Instinkt seinen Körper wiegend auf der Back, indes seine Augen auf die Spitzen der Wellen achteten, die sich brachen und an dem taumelnden Kutter vorbeischössen, wobei sie in ihrer raschen Bewegung selbst wie zum Himmel steigende Wolken erschienen. In diesem erhabenen Augenblick gab einer der Matrosen den unerwarteten Ruf: »Ein Segel!«

Der Ontario hatte so viel von dem wilden und einsamen Charakter der Wälder, daß man kaum hoffen durfte, auf seinem Wasser mit einem Schiff zusammenzutreffen. Der Scud selbst erschien denen, die er trug, wie ein einzelner Wanderer in der Wildnis, und dieses Zusammentreffen glich dem zweier einsamer Jäger unter dem breiten Blättergewölbe, das damals so viele Millionen Morgen des amerikanischen Festlandes bedeckte. Der eigentümliche Wetterstand diente dazu, das Romantische und fast Übernatürliche dieser Begegnung zu steigern. Cap allein war an derartige Erscheinungen mehr gewöhnt; aber doch bebten auch seine eisernen Nerven unter den Gefühlen, die die wilden Züge dieser Szene erweckten.

Das fremde Schiff befand sich ungefähr zwei Kabellängen vor dem Scud, stand mit seinen Bügen quer gegen den Wind und steuerte in einem Kurs, daß der letztere wahrscheinlich in einer Entfernung von einigen Ellen daran vorbeikommen mußte. Es war vollständig aufgetakelt, und in der stürmischen Nebelluft konnte selbst das geübteste Auge keine Unvollkommenheit in seinem Bau und seiner Takelage erkennen. Die einzige losgemachte Leinwand war das dicht gereffte große Marssegel und zwei kleine untere Stagsegel, das eine vorn, das andere hinten. Doch die Gewalt des Windes drängte das Fahrzeug so heftig, daß es sich fast bis an seine Deckbalkenenden umbeugte, wenn es nicht durch das Steigen der Wellen unter seinem Lee aufgerichtet wurde. Die Spieren waren alle an ihrer Stelle, und an der Bewegung, die mit einer Geschwindigkeit von vier Knoten in der Stunde vonstatten ging, konnte man erkennen, daß es ein wenig frei steuerte.

»Der Bursch muß seine Stellung gut kennen«, sagte Cap, als der Kutter mit einer Geschwindigkeit, die beinahe der des Sturmes glich, auf das Schiff zuflog, »denn er steht so kühn gegen Süden an, daß er dort sicher einen Hafen oder Ankerplatz zu finden weiß. Kein vernünftiger Mensch würde in dieser Weise frei davonfahren, ohne genau zu wissen, wohin er will; es müßte denn sein, daß ihn der Sturm, einer Wolke gleich, vor sich herjagte, wie dies bei uns der Fall ist.«

»Wir haben einen Lauf gemacht, von dem man allen Respekt haben muß, Kapitän«, erwiderte der Mann, an den die vorige Bemerkung gerichtet war. »Dies ist das französische Königsschiff Lee-my Calm (le Montcalm) und segelt nach dem Niagara, wo sein Eigner eine Garnison und einen Hafen hat. Wir haben einen respektabeln Lauf gemacht.«

»Ach, hol‘ ihn der Henker! Wie ein echter Franzose rennt er augenscheinlich dem Hafen zu, sobald er einen englischen Kiel sieht.«

»Es möchte für uns gut sein, wenn wir ihm folgen könnten«, erwiderte der Mann mit zaghaftem Kopfschütteln, »denn wir kommen hier oben am Ende des Sees in eine Bai, und es ist zweifelhaft, ob wir je wieder aus ihr herauskommen.«

»Pah, pah, Mann! Wir haben die offene See vor und einen guten englischen Boden unter uns. Wir sind keine Johnny Crapauds, um uns wegen eines Windstoßes hinter eine Bergspitze oder ein Fort zu verstecken. Vergeßt Euer Steuer nicht, Herr!«

Dieser Befehl wurde wegen des drohenden Näherrückens des feindlichen Schiffes gegeben. Der Scud schoß nun gerade auf die Kielkinnbacke des Franzosen zu, und da sich die Entfernung zwischen den beiden Fahrzeugen bis auf hundert Ellen vermindert hatte, so war es einen Augenblick zweifelhaft, ob Raum genug vorhanden sei, um aneinander vorbeizukommen.

»An Backbord, an Backbord das Ruder und hinten vorbei!« rief Cap.

Man sah die Schiffsmannschaft des Franzosen sich windwärts versammeln und einige Musketen anlegen, als ob sie der Mannschaft des Scud befehlen wolle, sich fernzuhalten. Auch wurden noch andere Gebärden bemerkt, aber der See war zu wild und drohend, um irgendeine feindselige Demonstration zuzulassen. Aus den Mündungen der zwei oder drei leichten Kanonen an Bord des Schiffes tropfte Wasser, und niemand dachte daran, sich ihrer in diesem Sturm bedienen zu wollen. Die schwarzen Seiten des Fahrzeugs glänzten, wenn sie aus einer Welle auftauchten, und schienen zu zürnen, während der Wind durch das Takelwerk heulte und in den tausend Tönen eines Schiffes herumorgelte, so daß man davor nicht einmal das auf den französischen Schiffen gewöhnliche Rufen und Schreien vernehmen konnte.

»Mag er sich heiser schreien«, grollte Cap. »Wir haben jetzt kein Wetter, in dem man sich Geheimnisse zuflüstern kann. An Backbord das Ruder, Herr!«

Der Mann am Steuer gehorchte, und der nächste Wogenguß trieb den Scud so nahe gegen die Windvierung des Schiffes hinab, daß selbst der alte Seemann einen Schritt zurückprallte und erwartete, daß, sobald die Wellen den Schnabel wieder in die Höhe brächten, die vordersten Büge gerade in die Planken des Gegners treiben müßten. Dies geschah jedoch nicht; denn als der Kutter sich wieder aus seiner geduckten Stellung aufrichtete, die der eines lauernden Panthers vor dem Sprunge glich, schoß er vorwärts und im nächsten Augenblick an dem Stern des feindlichen Schiffes vorüber, wobei er gerade noch dessen Spenkerspierende mit seiner eigenen unteren Rah klärte.

Der junge Franzose, der den Montcalm befehligte, sprang auf den Hackebord, lüpfte mit jenem zierlichen Anstand, der auch den niedrigsten Handlungen seiner Landsleute eine gewisse Feinheit verleiht, seine Mütze und winkte einen lächelnden Gruß, als der Scud vorüberschoß. Es lag, da die Umstände keine anderen Mitteilungen gestatteten, eine gewisse Leutseligkeit und feine Bildung in diesem Akt der Höflichkeit, die aber bei Cap verlorenging; denn mit dem seinen Leuteschlag eigenen Instinkt schüttelte er drohend seine Faust und brummte vor sich hin: »Ja, ja, es ist ein verflixtes Glück für euch, daß wir kein schweres Geschütz hier an Bord haben, sonst wollte ich euch was ‚rüberschicken, was euch neue Kajütenfenster nötig machen dürfte.«

»Er war höflich, Bruder Cap«, erwiderte der andere, indem er seine Hand sinken ließ, da sein Soldatenstolz ihn veranlaßt hatte, die militärische Begrüßung zu erwidern; »er war höflich, und das ist so viel, wie man von einem Franzosen erwarten kann. Was er damit wirklich meinte, kann wohl niemand sagen.«

»Er setzt sich gewiß nicht umsonst bei diesem Wetter der See aus. Je nun, lassen wir ihn einlaufen, wenn er kann, indes wir uns wie mutige englische Matrosen auf dem Wasser halten wollen.«

Das klang wohl schön, aber Cap blickte doch neidisch auf den glänzenden schwarzen Rumpf des Montcalm, sein flatterndes Segel und die verschwimmenden Spierenkreuzungen, bis sich sein Bild immer mehr und mehr verwischte und zuletzt wie ein wesenloser Schatten im Nebel verschwand. Cap wäre gern seinem Fahrwasser gefolgt, wenn er es hätte wagen dürfen; denn die Aussicht auf eine zweite Sturmnacht mitten auf dem wilden Wasser, das rund um ihn her tobte, hatte in der Tat wenig Tröstliches für ihn. Sein seemännischer Stolz erlaubte ihm jedoch nicht, eine Unbehaglichkeit merken zu lassen, und die seiner Obhut Anvertrauten verließen sich auf seine Kenntnisse und Geschicklichkeit mit dem blinden und unbedingten Vertrauen, das bei Unkundigen so gewöhnlich ist.

Es vergingen nun einige Stunden, und die Finsternis begann wieder, die Gefahren des Scud zu vermehren. Doch hatte ein Nachlassen der Kühlte Cap veranlaßt, wieder einmal in den Wind umzulenken, und der Kutter lag die ganze Nacht über, wie früher, bei, indes er jedoch stets nach vorn trieb und gelegentlich vierte, um vom Lande abzuhalten. Die Ereignisse dieser Nacht waren übrigens so ziemlich dieselben wie bei anderen Kühlten: ein Schwanken des Schiffes, ein Gischen des Wassers, ein Spritzen des Schaumes und Erschütterungen, die das von den Wellen hin und her geschleuderte Fahrzeug zu vernichten drohten; das unablässige Heulen des Windes und die Schrecken erregende Abtrift. Letztere waren am gefährlichsten; denn obgleich der Scud außerordentlich gut Luv unter seinem Segel hielt und durchaus keinen Windfang hatte, so war er doch so leicht, daß ihn die steigenden Wogen bisweilen in reißender Schnelle in ihr Lee hinabzuwaschen schienen.

Während dieser Nacht überließ sich Cap einige Stunden einem gesunden Schlaf. Der Morgen dämmerte eben auf, als er sich an der Schulter ergriffen fühlte: Als er sich aufrichtete, sah er den Pfadfinder an seiner Seite stehen. Während des Sturmes hatte sich der Kundschafter wenig auf dem Verdeck gezeigt, denn seine natürliche Bescheidenheit belehrte ihn, daß die Leitung des Schiffes nur in den Bereich der Seeleute gehöre, und er war geneigt, den Führern des Scud dasselbe Vertrauen zu schenken, das er von denen erwartete, die ihm durch die Wälder folgten. Jetzt aber hielt er eine Einmischung für gerechtfertigt und vollführte diese in seiner eigentümlichen, ehrlichen Weise.

»Der Schlaf ist süß, Meister Cap, wie ich aus eigener Erfahrung weiß; aber das Leben ist noch süßer«, sagte er, als sich Caps Augen geöffnet hatten und er sich in seine Lage zu finden begann. »Seht um Euch und sagt mir, ob das nicht ein Augenblick ist, wo ein Befehlshaber auf seinen Beinen sein muß.«

»Wie, wie – Meister Pfadfinder?« brummte Cap in den ersten Augenblicken des wiederkehrenden Bewußtseins. »Habt Ihr Euch auch auf die Seite der Murrenden geschlagen? Auf dem Lande bewunderte ich Eure Klugheit, die Euch über die gefährlichsten Untiefen ohne Kompaß wegführte; und seit wir auf dem Wasser sind, hat mir Eure Mäßigung und Ergebenheit ebensowohl gefallen wie die Zuversicht, mit der Ihr auf Eurem eigenen Boden auftratet. Ich hätte eine solche Aufforderung von Euch am wenigsten erwartet.«

»Was mich angeht, Meister Cap, so fühl‘ ich, daß ich meine Gaben habe, die wohl denen eines andern nicht ins Gehege kommen werden. Mit Mabel Dunham mag es aber ein anderer Fall sein, ’s ist wahr, sie hat auch ihre Gaben; sie sind aber nicht so rauh wie die unsrigen, sondern sanft und weiblich, wie sie sein müssen. Ich spreche daher mehr um ihret- als um meinetwillen.«

»Ja, ja – ich fange an zu begreifen. Das Mädchen ist ein gutes Kind, mein werter Freund; aber sie ist die Tochter eines Soldaten und die Nichte eines Seemanns und sollte daher in einem Sturm nicht zu furchtsam sein. Läßt sie Furcht blicken?«

»Nein, nicht doch. Mabel ist zwar ein Weib, aber vernünftig und schweigsam. Ich hab‘ sie nicht ein Wort über unser Handeln äußern hören, obgleich ich glaube, Meister Cap, daß es ihr lieber wäre, wenn Jasper wieder seine frühere Stellung einnähme und alles in den alten Zustand versetzt würde. Das ist so die menschliche Natur.«

»Das will ich ohne Schwur glauben – ’s ist so ganz nach der Art der Mädels und zumal der Dunhams. Alles ist besser als ein alter Onkel, und jedermann weiß mehr als ein alter Seemann. Das ist menschliche Natur, Meister Pfadfinder, und hol‘ mich der Teufel, wenn ich der Mann bin, der, sei es am Back- oder Steuerbord, um der ganzen Menschennatur willen, die in einem solchen zwanzigjährigen Naseweis steckt, auch nur einen Faden ab- oder angiere; – ja, auch nicht um aller willen« (er dämpfte hierbei seine Stimme ein wenig), »die in seiner Majestät fünfundfünfzigstem Regiment zu Fuß auf die Parade ziehen. Ich hab‘ mich nicht vierzig Jahre auf dem Meer ‚rumgetrieben, um hier auf diesem Fetzen Frischwasser zu lernen, was Menschennatur ist. – Wie diese Kühlte anhält! Sie bläst in diesem Augenblick so kräftig, als ob Boreas selber seine Schläuche quetschte. Und was ist das alles auf der Leeseite?« (er rieb die Augen) – »Land! So wahr ich Cap heiße – und dazu Hochland!«

Der Pfadfinder gab keine unmittelbare Antwort, betrachtete aber mit Kopfschütteln und ängstlicher Sorge den Gesichtsausdruck seines Gefährten.

»Land, so wahr wie dieses der Scud ist!« wiederholte Cap. »Ein Legerwall und noch dazu in der Entfernung von einer Stunde, mit einer so schönen Linie von Brandungen, wie man nur eine an dem Ufer von ganz Long-Island finden kann!«

»Und ist das ermutigend oder niederschlagend?« fragte der Pfadfinder.

»Ah! Ermutigend – niederschlagend! – ’s ist keines von beiden. Nein, nein! Ich kann nichts Ermutigendes daran sehen, und einen Seemann darf nichts niederschlagen. Es schlägt Euch wohl auch nichts nieder in den Wäldern, mein Freund?«

»Ich will das nicht sagen – ich will das nicht sagen. Wenn die Gefahr groß ist, so hab‘ ich die Gabe, sie zu sehen, zu erkennen und den Versuch zu ihrer Vermeidung zu machen, sonst würde wohl mein Skalp schon längst in dem Wigwam eines Mingo trocknen. Auf diesem See aber kann ich keine Spur sehen und muß mich daher unterwerfen, obgleich ich meine, wir sollten uns daran erinnern, daß eine Person wie Mabel Dunham an Bord ist. Doch da kommt ihr Vater und wird ohne Zweifel um sein Kind besorgt sein.«

»Wir sind da, glaub‘ ich, in einer bedenklichen Lage, Bruder Cap, soviel ich von den beiden Matrosen am Backbord entnehmen kann«, sagte der Sergeant, als er bei den beiden angelangt war. »Sie sagen mir, der Kutter könne kein Segel mehr führen, und die Abtrift sei so stark, daß sie uns in einer oder zwei Stunden ans Ufer werfen werde. Ich hoffe, daß ihre Furcht sie täuscht.«

Cap antwortete nicht, sondern blickte nur mit einem kläglichen Gesicht gegen das Land, worauf er sich jedoch mit dem Ausdruck der Entrüstung gegen den Wind kehrte, als ob er gerne mit dem Wetter Händel angefangen hätte.

»Es möchte wohl gut sein, Bruder«, fuhr der Sergeant fort, »nach Jasper zu schicken, um mit ihm über das zu beraten, was geschehen muß. Hier sind keine Franzosen zu fürchten, und möglicherweise wird uns der Junge doch vor dem Ertrinken retten.«

»Ja, ja, diese verwünschten Indizien haben uns in all dieses Ungemach geführt. Doch laßt den Burschen kommen, laßt ihn kommen. Einige gut angebrachte Fragen werden ihm wohl die Wahrheit entlocken – ich stehe dafür.«

Sobald die Zustimmung des starrköpfigen Cap erlangt war, wurde nach Jasper geschickt. Der junge Mann erschien sogleich und trug in seiner Miene wie auch seinem ganzen Äußeren den Ausdruck eines gekränkten und gedemütigten Gefühls, den jedoch einige der Beobachter als die Befangenheit der überführten Schuld betrachteten. Kaum war er auf dem Verdeck angelangt, so warf er einen schnellen ängstlichen Blick um sich, als ob er neugierig sei, die Lage des Kutters kennenzulernen, und dieser Blick schien hinreichend zu sein, ihm die ganze Gefahr zu enthüllen. Zuerst blickte er nach Seemannsweise gegen den Wind und sah sich dann rings am Horizont um, bis sein Auge auf dem leewärts gelegenen Hochland haften blieb, von wo aus ihm auf einmal die traurige Wahrheit in lebendigen Zügen vors Auge trat.

»Ich hab‘ nach Euch geschickt, Meister Jasper«, sagte Cap, indem er die Arme kreuzte und mit der ganzen Backbordwürde seines Körpers wiegte, »um was über den Hafen in unserem Lee zu erfahren, denn wir denken, Ihr werdet Euren Unwillen nicht so weit treiben, daß Ihr uns alle ersäuft sehen möchtet, zumal die Weiber. Auch denk‘ ich, Ihr werdet Manns genug sein, uns den Kutter auf ein sicheres Lager bringen zu helfen, bis dieses bißchen Kühlte zu blasen nachgelassen hat.«

»Ich wollte lieber zugrunde gehen, als daß Mabel Dunham ein Leid geschehen sollte«, antwortete der Jüngling mit ruhigem Ernst.

»Ich wußte es – ich wußte es!« rief der Pfadfinder, indem er Jasper freundlich auf die Schulter klopfte. »Der Junge ist so treu wie der beste Kompaß, der je an der Grenze war oder irgend jemanden von einer blinden Fährte half. Es ist eine Todsünde, etwas anderes zu glauben.«

»Hum!« rief Cap, »zumalen die Weiber! Als ob die in einer besonderen Gefahr wären. Doch es macht nichts, junger Mensch; wir werden einander verstehen, wenn wir wie ein paar ehrliche Seeleute miteinander reden. Kennt Ihr irgendeinen Hafen unter unserem Lee?«

»Nein. Es ist eine weite Bucht an diesem Ende des Sees; sie ist uns allen aber unbekannt und die Einfahrt schwierig.«

»Und diese Küste im Lee – sie hat nichts besonders Einladendes, denk‘ ich?«

»Es ist eine Wildnis, die auf der einen Seite bis zur Mündung des Niagara und auf der anderen zum Fort Frontenac reicht. Ich hab‘ mir sagen lassen, daß nördlich und westlich tausend Meilen weit nichts als Wälder und Prärien sind.«

»Gott sei Dank! Dann können doch keine Franzosen da sein. Sind auf dem Lande dort vielleicht viele Wilde um den Weg?«

»Man findet in allen Richtungen Indianer, obgleich sie nirgends sehr zahlreich sind. Man kann zufällig auf eine Partie an irgendeinem Punkt des Ufers stoßen, aber auch monatelang wandern, ohne einen einzigen zu sehen.«

»Nun, was diese Blaustrümpfe anbelangt, so müssen wir’s eben nehmen, wie’s kommt. Aber um offen mit Euch zu reden, Meister Western, wenn dieser kleine, unangenehme Vorfall mit den Franzosen nicht dazwischengekommen wäre – was würdet Ihr jetzt mit dem Kutter anfangen?«

»Ich bin ein viel jüngerer Schiffer als Ihr, Meister Cap«, sagte Jasper bescheiden, »und also kaum geeignet, hier eine Meinung zu äußern.«

»Ja, ja – wir wissen das wohl. In einem gewöhnlichen Fall vielleicht nicht. Aber das ist ein ungewöhnlicher Fall, ein Umstand, und dieses Stückchen Frischwasser hat sozusagen seine Eigentümlichkeiten. Ihr mögt also, wenn man es beim Licht betrachtet, wohl geeignet sein, hier Eure Ansichten auszusprechen, und wenn es gegen Euren Vater wäre. In jedem Falle könnt Ihr sprechen, und ich kann Eure Meinung meiner Erfahrung gemäß beurteilen.«

»Ich denke, Herr, daß der Kutter, ehe noch zwei Stunden vorüber sind, vor Anker gebracht werden sollte.«

»Vor Anker? – Doch nicht hier draußen auf dem See?«

»Nein, Herr, aber dort drinnen, in der Nähe des Landes.«

»Ihr wollt mir doch nicht weismachen, Meister Eau-douce, daß Ihr bei einer solchen Kühlte an einem Legerwall ankern würdet?«

»Wenn ich mein Schiff retten will, so kann ich nichts anderes tun.«

»Hu, hu-u! Das ist ein verteufeltes Frischwasser. Hört, junger Mensch, ich bin ein seefahrendes Tier gewesen, als Knabe und Mann, einundvierzig Jahre lang, und nie hab‘ ich von so was gehört; auch wollt‘ ich lieber alles Tauwerk über Bord werfen, ehe ich mich eines solchen Schuljungenstreiches schuldig machen würde!«

»Wir handeln so hier auf dem See, wenn wir hart gedrängt werden«, erwiderte Jasper bescheiden. »Vielleicht könnten wir etwas Besseres tun, wenn man’s uns gelehrt hätte.«

»Das möchte in der Tat der Fall sein! Nein, niemand wird mich veranlassen, eine solche Sünde gegen meine Erziehung zu begehen. Ich könnte ja nie wieder mein Gesicht innerhalb Sandy-Hook zeigen, wenn ich mir einen solchen Schülerstreich hätte zuschulden kommen lassen. Da hat sogar der Pfadfinder mehr Seemannslust in seinem Leib. Ihr könnt wieder hinuntergehen, Meister Eau-douce.«

Jasper verbeugte sich ruhig und schied. Als er jedoch die Leiter hinunterstieg, warf er, wie die Zuschauer bemerkten, zögernd einen ängstlichen Blick gegen den Horizont windwärts und gegen das Gestade im Lee, worauf er mit dem Ausdruck schweren Kummers in jedem Zug seines Gesichts verschwand.

Siebzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Da die Soldatenfrau auf ihrem Lager krank lag, befand sich, als Jasper zurückkehrte, nur Mabel Dunham in der äußeren Kajüte, denn der Sergeant hatte ihm die Gunst widerfahren lassen, seinen ihm gebührenden Platz in diesem Teil des Schiffes einnehmen zu dürfen. Als er seinen Sitz neben ihr einnahm und sein ganzes Gesicht die deutlichen Züge seiner Bekümmernis über die Lage des Kutters trug, schwand jede Spur von Verdacht aus ihrer Seele, und sie erblickte in ihm nur den gekränkten Mann.

»Ihr nehmt Euch diese Sache zu sehr zu Herzen, Jasper!« sagte sie hastig mit jener Selbstvergessenheit, mit der die Jüngeren ihres Geschlechts ihre Gefühle zu verraten pflegen, wenn eine lebhafte Teilnahme die Oberhand gewinnt. »Niemand, der Euch kennt, kann oder wird an Eure Schuld glauben. Pfadfinder sagt, er stehe mit seinem Leben für Euch.«

»So betrachten Sie mich also nicht als einen Verräter, Mabel, wie dies Ihr Vater zu tun scheint?« erwiderte der Jüngling mit glänzenden Blicken.

»Vater ist Soldat und muß als ein solcher handeln. Bei meines Vaters Tochter ist das nicht so, und ich will von Euch nicht anders denken, als ich von einem Manne denken muß, der mir bereits soviel Dienste erwiesen hat.«

»Mabel, ich bin nicht gewöhnt, mit Ihresgleichen zu reden oder alles, was ich denke und fühle, auszusprechen. Ich habe nie eine Schwester gehabt, und meine Mutter starb, als ich noch ein Kind war, so daß ich wenig davon weiß, was Ihr Geschlecht am liebsten hört –«

Mabel hätte die ganze Welt darum geben mögen, wenn sie gewußt hätte, was dem Wort, bei dem Jasper steckenblieb, folgen sollte; aber das wachsame Gefühl weiblicher Schüchternheit, das sich nicht beschreiben läßt, hieß sie ihre Neugier unterdrücken. Sie erwartete daher schweigend die weitere Erklärung.

»Ich wollte sagen, Mabel«, fuhr der junge Mann nach einer Weile der peinlichsten Verlegenheit fort, »daß ich nicht an die Weise und die Ansichten von Ihresgleichen gewohnt bin, und daß sie sich alles, was ich hinzufügen möchte, denken müssen.«

Es fehlte nun allerdings Mabel nicht an Einbildungskraft: Aber es gibt Gedanken und Gefühle, die das weibliche Geschlecht gern ausgedrückt wissen möchte, ehe es seine eigenen Sympathien dagegen gibt, und sie hatte ein dunkles Vorgefühl, daß Jaspers Gedanken gerade in diese Reihe gehören dürften. Sie zog es deshalb vor, mit der ihrem Geschlechte eigentümlichen Gewandtheit dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, als in dieser unbefriedigenden Weise fortzufahren.

»Sagt mir nur eines, Jasper, und ich werde zufrieden sein«, sagte sie mit einer Hastigkeit, die nicht nur ihre Zuversicht zu sich selbst, sondern auch zu ihrem Gefährten bekundete: »Habt Ihr keinen Anlaß gegeben zu dem grausamen Verdacht, der auf Euch lastet?«

»Gewiß nicht, Mabel«, antwortete Jasper und blickte ihr dabei mit einer Offenheit und Einfalt in die Augen, daß dadurch auch ein tiefer haftender Argwohn hätte erschüttert werden mögen, »so wahr ich dereinst auf Gnade hoffe.«

»Ich wußte es – ich hätte darauf schwören wollen«, erwiderte das Mädchen mit Wärme. »Und doch ist mein Vater ein wohlmeinender Mann. – Aber laßt Euch diese Sache nicht beunruhigen, Jasper.«

»Ach, es gibt gegenwärtig so ganz andere Dinge, die mich beunruhigen, daß ich an diese kaum denke.«

»Jasper!«

»Ich möchte Sie nicht in Sorge bringen, Mabel; aber wenn nur Ihr Onkel dahin zu bringen wäre, daß er seine Ansichten über die Handhabung des Scud änderte. Freilich ist er viel älter und erfahrener als ich, so daß er vielleicht mit Recht mehr Vertrauen auf sein eigenes Urteil als auf das meinige setzt.«

»Glaubt Ihr, der Kutter sei in Gefahr?« fragte Mabel mit Gedankenschnelle.

»Ich fürchte so, wenigstens würden ihn alle von diesem See für höchst gefährdet halten. Vielleicht stehen aber einem alten Seemann von dem Ozean besondere Mittel zu Gebote, um ihn zu retten.«

»Jasper, alle stimmen darin überein, daß Ihr volles Vertrauen verdient, was Eure Geschicklichkeit in der Führung des Scud anbelangt. Ihr kennt den See und den Kutter und müßt daher am besten über unsere gegenwärtige Lage urteilen können.«

»Vielleicht, Mabel, macht mich meine Besorgnis um Sie furchtsamer als gewöhnlich. Aber, um mich frei auszusprechen, ich kenne nur einen Weg, zu verhindern, daß der Scud nicht im Laufe der nächsten zwei oder drei Stunden scheitert, und Ihr Onkel weigert sich, ihn einzuschlagen. Doch vielleicht versteh‘ ich’s nicht besser, denn er sagt, der Ontario sei nur Frischwasser.«

»Ihr glaubt doch nicht, daß dies einen Unterschied macht? Denkt an meinen lieben Vater, Jasper! denkt an Euch selbst – an alle, deren Leben von einem Wort abhängt, das Ihr zur rechten Zeit aussprecht.«

»Ich denke an Sie, Mabel, und das ist mehr, viel mehr als alles andere zusammengenommen!« erwiderte der junge Mann mit einer Kraft des Ausdrucks und einem Ernst des Blicks, die unendlich mehr sagten als seine Worte.

Mabels Herz schlug heftig, und ein Strahl zufriedenen Dankes leuchtete aus ihrem errötenden Antlitz. Aber die Beunruhigung war zu lebhaft und ernst, als daß sie glücklicheren Gedanken hätte Raum geben können. Sie versuchte es nicht, einen dankbaren Blick zu unterdrücken, dann kehrte sie aber schnell wieder zu dem Gefühl zurück, das nunmehr die Oberhand gewann.

»Man darf’s nicht zugeben, daß meines Onkels Starrsinn Anlaß zu diesem Unglück gibt. Geht noch einmal auf das Verdeck und ersucht meinen Vater, in die Kajüte zu kommen.«

Während der junge Mann dieser Bitte entsprach, horchte Mabel mit einer Furcht, die ihr bisher fremd geblieben war, auf das Heulen des Sturmes und das Schlagen der Wellen gegen den Kutter. Von Konstitution ein wahrer Matrose, wie die Passagiere die zu nennen pflegen, denen das Wasser nichts anhaben kann, hatte sie bisher nicht im mindesten an eine Gefahr gedacht und die ganze Zeit seit dem Beginn des Sturmes mit weiblichen Beschäftigungen zugebracht, wie sie ihre Lage erlaubte: Seitdem aber ihre Besorgnisse ernstlich geweckt waren, erinnerte sie sich nicht, daß sie früher jemals bei einem solchen Unwetter auf dem Wasser gewesen sei. Die paar Minuten, die vergingen, bis der Sergeant kam, erschienen ihr wie eine Stunde, und als er mit Jasper die Leiter herunterstieg, wagte sie kaum, Atem zu holen. Sie teilte ihrem Vater so schnell wie die Sprache ihren Gedanken folgen konnte, Jaspers Ansicht über ihre gemeinschaftliche Lage mit und beschwor ihn, wenn er sie liebe oder wenn ihm sein eigenes Leben und das seiner Leute teuer sei, gegen ihren Onkel Einrede zu tun und ihn zu veranlassen, daß er die Führung des Kutters wieder in die Hände seines eigentlichen Befehlshabers abgebe.

»Jasper ist treu, Vater«, fügte sie mit Ernst hinzu, »und wenn er auch falsch wäre, so könnte er doch keinen Grund haben, uns, unter Gefährdung des Lebens aller wie auch seines eigenen, in diesem entfernten Teil des Sees scheitern zu lassen. Ich setze mein Leben an seine Redlichkeit.«

»Ja, das ist wohl genug für ein in Furcht gesetztes Weib«, antwortete der phlegmatische Vater; »aber bei einem Mann, der das Kommando für einen Feldzug übernommen hat, möchte es weder klug noch entschuldbar sein. Jasper denkt, vielleicht, daß die Möglichkeit, bei einem Näherkommen an das Ufer zu ertrinken, durch die Möglichkeit, beim Landen zu entspringen, voll aufgewogen werde.«

»Sergeant Dunham!«

»Vater!«

Diese Ausrufe erklangen gleichzeitig, äußerten jedoch in ihrem Ton den Ausdruck verschiedener Gefühle. Bei Jasper trug er vorzugsweise das Gepräge der Überraschung, bei Mabel das des Tadels. Der alte Soldat war übrigens zu sehr gewohnt, seine Untergebenen ohne Umstände zu behandeln, als daß er hierauf geachtet hätte, und fuhr nach einer kleinen Weile des Nachdenkens, als ob nichts gesprochen worden wäre, fort:

»Auch ist Bruder Cap wahrscheinlich nicht der Mann, der sich am Bord eines Schiffes Belehrungen gefallen läßt.«

»Aber, Vater, wenn unser aller Leben in der größten Gefahr ist?«

»Um so schlimmer. Ein Schiff bei gutem Wetter zu kommandieren, hat nicht viel auf sich, aber wenn es drunter und drüber geht, zeigt sich der gute Offizier in seinem wahren Licht. Charles Cap wird wahrscheinlich schon deshalb das Steuer nicht abgeben, weil das Schiff in Gefahr ist. Außerdem, Eau-douce, sagte er, daß Euer Vorschlag gar verdächtig aussehe und mehr nach Verrat als nach Vernunft rieche.«

»Er mag so denken, aber laßt ihn nach dem Lotsen schicken und seine Meinung hören. Man weiß wohl, daß ich diesen Mann seit gestern abend nicht mehr gesehen habe.«

»Das klingt vernünftig, und der Versuch soll gemacht werden. Folgt mir auf das Verdeck, daß alles ehrlich und über Bord hergehe.«

Casper gehorchte, und Mabel nahm an der Sache so lebhaften Anteil, daß sie sich bis an die Kajütentreppe wagte, wo ihre Kleidung hinlänglich gegen die Macht des Windes und sie selbst gegen den Schaum der Wogen geschützt war. Ihre Bescheidenheit erlaubte ihr nicht, weiter zu gehen, und so blieb sie hier, ein verborgener Zeuge dessen, was vorgehen sollte.

Der Lotse erschien bald, und der Blick der Beängstigung, den er auf die Umgebung warf, als er sich in der freien Luft befand, war nicht zu mißverstehen. Allerdings hatten auch schon einige Gerüchte über die Lage des Scud ihren Weg in den unteren Raum gefunden; aber in dem gegenwärtigen Fall hatten sie, statt die Gefahr zu vergrößern, diese eher vermindert. Es wurde ihm gewährt, sich einige Minuten umzusehen, und dann legte man ihm die Frage vor, was er unter diesen Verhältnissen für das klügste halte.

»Ich sehe kein Mittel, den Kutter zu retten, als ihn vor Anker zu bringen«, antwortete er einfach und ohne Zögern.

»Was? hier draußen auf dem See?« fragte Cap, wie er es früher bei Jasper getan hatte.

»Nein, weiter innen; gerade an der äußeren Linie der Brandungen.«

Das Ergebnis dieser Besprechung ließ Cap keinen Zweifel, daß es zwischen Jasper und dem Lotsen im geheimen abgekartet worden sei, den Scud zugrunde zu richten, wobei sie wahrscheinlich zu entspringen hofften. Infolgedessen behandelte er die Ansicht des Lotsen mit derselben Gleichgültigkeit, die er gegen die Jaspers an den Tag gelegt hatte.

»Ich sage dir, Bruder Dunham«, erwiderte er auf die Einwendungen des Sergeanten, der ihn bat, gegen diese von zweien ausgesprochene übereinstimmende Ansicht nicht taub zu bleiben, »daß kein ehrlicher Seemann eine solche Meinung aussprechen kann. An einem Legerwall in einer solchen Kühlte zu ankern, wäre eine Tollheit, die ich gegen keinen Assekuranten zu verantworten wüßte, solang mir nur noch ein Fetzen Segel auszusetzen bleibt. Der allertollste Unsinn wär’s aber, wenn ich dicht an den Brandungen vor Anker gehen wollte.«

»Ihre Majestät ist der Assekurant des Scud, Bruder, und ich bin für das Leben der meinem Kommando anvertrauten Leute verantwortlich. Diese Männer kennen den Ontariosee besser als wir, und ich glaube, daß man ihrer übereinstimmenden Aussage einigen Glauben schenken sollte.«

»Onkel!« rief Mabel mit Ernst; aber eine Bewegung von Jasper veranlaßte das Mädchen, ihre Gefühle zurückzuhalten.

»Wir triften so schnell gegen die Brandungen ab«, sagte der junge Mann, »daß über diesen Gegenstand wenig mehr gesagt zu werden braucht. Eine halbe Stunde wird die Sache auf eine oder die andere Weise ins reine bringen. Aber ich gebe Meister Cap zu bedenken, daß sich selbst der festeste Fuß keinen Augenblick auf dem Verdeck dieses niedrigen Fahrzeugs wird aufrecht erhalten können, wenn wir erst einmal in die Brandung eingetreten sind! Ich zweifle in der Tat keinen Augenblick, daß das Schiff sich füllen und sinken wird, ehe wir noch über die zweite Linie der Rollwogen wegkommen.«

»Und wie könnte uns da ein Ankern helfen?« fragte Cap wütend, als ob ihm Jasper ebenso verantwortlich für die Wirkungen des Sturmes wie für die gerade ausgesprochene Ansicht sei.

»Es würde wenigstens nicht schaden«, erwiderte Eau-douce mit Sanftmut. »Wenn wir den Schnabel des Kutters seewärts bringen, so werden wir die Abtrift vermindern; und sollten wir auch durch die Brandungen geschleppt werden, so wird es doch mit der möglichst geringen Gefahr geschehen. Ich hoffe, Meister Cap, Ihr werdet mir und dem Lotsen erlauben, wenigstens die Vorbereitungen zum Ankerwerfen zu treffen, da eine solche Vorsorge uns zugute kommen und in keinem Fall schaden kann.«

»Überholt Eure Taue, wenn Ihr wollt, und macht die Anker klar – von ganzem Herzen. Wir sind nun mal in einer Lage, daß an solchen Dingen nicht mehr viel liegt. Sergeant, auf ein Wort dahinten, wenn’s gefällig ist.«

Cap führte seinen Schwager außer Hörweite und öffnete ihm nun sein Herz über die wahre Lage mit mehr menschlichem Gefühl in seiner Stimme und seinen Gebärden, als sich von ihm erwarten ließ.

»Das ist eine traurige Geschichte für die arme Mabel«, sagte er mit leichtem Beben und erweiterten Nüstern. »Du und ich, wir sind ein paar alte Gesellen und an die Nähe des Todes gewöhnt, wenn auch nicht an den Tod selbst. Unser Gewerbe hat uns für solche Szenen abgehärtet; aber die arme Mabel! – Sie ist ein liebes und gutherziges Mädel, und ich habe gehofft, sie anständig versorgt und als Mutter lieber Kinder zu sehen, ehe mein Stündlein kommt. Doch, es muß so auch recht sein! Wir müssen das Schlimme wie das Gute auf unsern Reisen hinnehmen, und der einzige ernstliche Kummer, den sich ein alter Seefahrer mit Recht über ein solches Ereignis machen kann, ist der, daß es auf diesem verdammten Fetzen Frischwasser stattfinden soll.«

Sergeant Dunham war ein wackerer Mann und hatte seinen Mut unter Umständen erprobt, die noch weit hoffnungsloser schienen als die gegenwärtigen. Aber bei solchen Gelegenheiten hatte er doch die Macht gehabt, seinen Feinden Widerstand zu leisten, während er hier von einem Gegner gedrängt wurde, zu dessen Bekämpfung ihm die Mittel fehlten. Er war weniger für sich als für seine Tochter bekümmert; denn er fühlte etwas von dem Selbstvertrauen, daß einen Mann selten verläßt, der in der Blüte der Kraft und Gesundheit steht und an persönliche Anstrengungen in Augenblicken der Gefahr gewöhnt ist. Für Mabel sah er aber kein Mittel des Entkommens, und mit der Zärtlichkeit: eines Vaters entschloß er sich, wenn ihr Untergang unvermeidlich sein sollte, zugleich mit ihr zu sterben.

»Glaubst du, daß es so kommen müsse?« fragte er Cap mit Festigkeit, aber mit tiefem Gefühl.

»Zwanzig Minuten werden uns in die Brandungen führen; und betrachte selbst, Sergeant, welche Wahrscheinlichkeit auch der kräftigste Mann unter uns haben kann, aus dem Kessel dort im Lee zu entrinnen.«

Der Anblick war allerdings wenig geeignet, die Hoffnung zu ermutigen. Mittlerweile war der Scud auf eine Meile in die Nähe des Ufers gekommen, auf das der Sturm unter einem rechten Winkel mit einer Heftigkeit blies, daß das Prangen eines weiteren Segels, um vom Legerwall abzuarbeiten, nicht zu denken war. Der beigesetzte kleine Streifen des großen Segels, das jedoch nur dazu diente, das Vorderteil des Scud dem Winde so nah‘ zu halten, daß die Wellen nicht über ihm zusammenbrechen, zitterte unter den Stößen des Sturmes, unter denen die starken Taue, die die komplizierte Maschine zusammenhielten, jeden Augenblick zu zerreißen drohten. Der Regen hatte nachgelassen, aber die Luft war hundert Fuß über der Oberfläche des Sees mit blendendem Gischt erfüllt, der einem funkelnden Wasserstaub nicht unähnlich war, indes über dem Ganzen die Sonne glorreich an dem wolkenlosen Himmel strahlte. Jasper bemerkte diese Vorzeichen und erklärte, daß es ein schleuniges Ende des Sturmes bedeute, obgleich die nächsten paar Stunden über ihr Schicksal entscheiden müßten. Zwischen dem Kutter und dem Ufer war der Anblick noch wilder und niederschlagender.

Die Brandungen erstreckten sich fast auf eine halbe Meile in den See hinein, indes das Wasser innerhalb ihrer Linie wie weißer Schaum erschien und die Luft darüber so hoch mit Dunst und Gischt erfüllt war, daß man das jenseitige Land nur unbestimmt und wie durch einen Nebel erblicken konnte. Stets blieb aber seine steile Ansteigung – eine ungewöhnliche Erscheinung an den Ufern des Ontario – und der grüne Mantel des endlosen Waldes, womit es bedeckt war, zu erkennen.

Während der Sergeant und Cap stillschweigend auf dieses Schauspiel blickten, war Jasper mit seinen Leuten am Backbord beschäftigt. Der junge Mann hatte kaum die Erlaubnis erhalten, sein früheres Geschäft wieder aufzunehmen, so ließ er, da er einige Soldaten zur Handreichung aufgerufen hatte, seine fünf oder sechs Gehilfen antreten, und begann mit allem Ernst eine Vorrichtung auszuführen, die nur zu lange schon verzögert worden war. Auf diesem schmalen Wasserbecken werden weder die Anker in Bord gestaut, noch die für den Dienst bestimmten Kabeln von den Ankerringen losgemacht, was Jasper einen großen Teil der Mühe, die auf dem Meer nötig gewesen wäre, ersparte. Der tägliche Anker und der Teuanker waren bald in dem Zustand, losgelassen zu werden, und der auf dem Deck befindliche Teil der Ankertaue überholt, worauf dann innegehalten und nach weiterer Weisung ausgesehen wurde. Bis jetzt hatte sich noch nichts zum Besseren gekehrt; aber der Kutter trieb langsam weiter, und man gewann mit jedem Augenblick mehr Gewißheit, daß man ihn nicht um einen Zoll weiter windwärts bringen könne.

Nach einem langen und ernsten Blick über den See gab Jasper neue Befehle, in einer Weise, die deutlich bewies, wie drängend ihm der Augenblick vorkommen mochte. Zwei Wurfanker wurden auf das Verdeck gebracht und die dicken Trosse dran befestigt; dann wurden die inneren Enden der Trosse wieder um die Kronen der Anker geschlungen und alles bereitgehalten, um sie in dem geeigneten Augenblick über Bord zu werfen. Als Jasper mit diesen Vorbereitungen zu Ende war, beruhigte sich seine geschäftige Aufregung, obgleich in seinem Blick noch die Sorge lag. Er verließ das Vorderkastell, wo die Wellen bei jeder Schwankung des Schiffes an Bord schlugen und wo das eben erwähnte Geschäft unter häufigen Wassergüssen, die die Arbeiter ganz überschütteten, vollführt worden war, und ging an einen trockenen Platz weiter hinten auf dem Verdeck. Hier traf er den Pfadfinder, der bei Mabel und dem Quartiermeister stand. Die meisten der an Bord befindlichen Personen, mit Ausnahme der bereits genannten, waren in dem unteren Raum und suchten teilweise Linderung ihrer körperlichen Leiden auf ihren Betten, während andere allmählich mit ihrem Gewissen ins reine zu kommen suchten. Es war wahrscheinlich das erstemal, seit dieser Kiel in das klare Wasser des Ontario getaucht hatte, daß der Ton eines Gebetes am Bord des Scud gehört wurde.

»Jasper«, begann der freundlich gesinnte Kundschafter; »ich bin diesen Morgen zu nichts nütze gewesen, denn ich verstehe nun mal von Schiffsdingen nichts. Wenn es aber Gott gefallen sollte, des Sergeanten Tochter lebend das Ufer erreichen zu lassen, so dürfte meine Bekanntschaft mit den Wäldern sie wohl glücklich wieder in die Garnison zurückbringen.«

»Es ist eine schreckliche Entfernung bis dahin, Pfadfinder!« entgegnete Mabel, denn die Gesellschaft stand so nahe beieinander, daß alles, was irgendeiner sprach, auch von den andern gehört werden konnte. »Ich fürchte, daß niemand von uns das Fort lebend erreichen wird.«

»Es würde einen gefährlichen Marsch mit vielen Umwegen abgeben, Mabel, obgleich einige Ihres Geschlechts noch viel mehr in dieser Wildnis durchgemacht haben. Aber, Jasper, Ihr oder ich oder wir beide müssen diesen Rindenkahn bemannen. Mabels Rettung ist nur dadurch möglich, daß wir sie auf diese Weise durch die Brandungen bringen.«

»Ich wollte gern alles tun, um Mabel zu retten«, erwiderte Jasper mit einem trüben Lächeln; »aber keine menschliche Hand, Pfadfinder, vermag den Kahn in einer solchen Kühlte durch jene Brandungen zu führen. Ich verspreche mir übrigens doch noch was vom Ankerwerfen, denn wir haben früher einmal den Scud in einer fast ebenso großen Gefahr auf diese Weise gerettet.«

»Wenn wir ankern müssen«, fragte der Sergeant, »warum geschieht dies nicht gleich jetzt? Jeder Fußbreit, den wir an der Abtrift verlieren, würde wahrscheinlich unserem Fahrzeug vor dem Ankern einen Spielraum geben, wenn er jetzt ausgeworfen würde.«

Jasper näherte sich dem Sergeanten, ergriff mit Ernst seine Hand und drückte sie auf eine Weise, die ein tiefes, fast unwiderstehliches Gefühl verriet.

»Sergeant Dunham«, sagte er feierlich – »Ihr seid ein guter Mann, obgleich Ihr mich in dieser Angelegenheit sehr hart behandelt habt. Ihr liebt Eure Tochter?«

»Ihr könnt das nicht bezweifeln, Eau-douce«, antwortete der Sergeant mit tonloser Stimme.

»Wollt Ihr ihr – wollt Ihr uns allen das einzig wahrscheinliche Mittel, das zur Rettung des Lebens noch übrig ist, zugestehen?«

»Was wollt Ihr von mir, Junge? Was soll ich tun? Ich hab‘ bisher immer nach meiner Einsicht gehandelt – was verlangt Ihr aber jetzt von mir?«

»Unterstützt mich fünf Minuten gegen Meister Cap, und es wird alles geschehen sein, was ein Mensch tun kann, um den Scud zu retten.«

Der Sergeant zögerte, denn er war zu sehr an die Disziplin gewöhnt, um regelmäßigen Befehlen entgegen zu handeln. Auch mißfiel ihm jeder Schein von Wankelmut, und zudem hatte er eine große Achtung vor der Seemannskunst seines Verwandten. Während er so überlegte, kam Cap von seinem Platz, den er seit einiger Zeit an der Seite des Steuermanns eingenommen hatte, und näherte sich der Gesellschaft.

»Meister Eau-douce«, sagte er, als er nahe genug war, um verstanden zu werden; »ich komme, Euch zu fragen, ob Euch nicht in der Nähe ein Ort bekannt ist, wo man den Kutter ans Ufer bringen könnte. Der Zeitpunkt ist gekommen, der zu diesem schweren Entschluß drängt.«

Dieser Augenblick der Unentschlossenheit bei Cap sicherte Jaspers Sieg. Er sah den Sergeanten an, und ein Kopfnicken versicherte den jungen Mann, daß ihm in allem freie Hand gelassen würde. Er zögerte daher nicht, die Minuten, die so kostbar zu werden anfingen, zu benützen.

»Soll ich das Steuer nehmen«, fragte er Cap, »und sehen, ob wir einen Schlupfhafen, der dort im Lee liegt, erreichen können?«

»Macht es so, macht es so«, sagte der andere mit einigem Räuspern, denn er fühlte das Gewicht der Verantwortlichkeit um so schwerer auf seiner Schulter lasten, da er sich seine Unwissenheit eingestehen mußte. »Macht es so, Eau-douce, denn, um frisch von der Leber weg zu reden, ich seh‘ nicht ein, was man Besseres tun könnte. Wir müssen entweder ans Land kommen oder versinken.«

Jasper verlangte nichts weiter. Er eilte nach hinten und hatte bald die Speichen des Steuerrads in seinen Händen. Der Lotse war auf das Folgende vorbereitet, und auf einen Wink seines jungen Gebieters wurde der Fetzen Segel, der noch ausgesetzt war, gestrichen. In diesem Augenblick hob Jasper, der seine Zeit ausnutzte, das Steuer. Der obere Teil eines Stagsegels wurde nach vorn gelöst, und der leichte Kutter fiel ab, als ob er es fühlte, daß er wieder unter der Leitung vertrauter Hände war, und lag bald in dem hohlen Raum zweier Wellen. Dieser gefährliche Augenblick ging glücklich vorüber, und im nächsten Moment flog das kleine Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit gegen die Brandungen nieder, daß man seine plötzliche Vernichtung befürchten mußte. Die Entfernungen waren nun so kurz geworden, daß fünf oder sechs Minuten für alle Wünsche Jaspers genügten, und als die Buge des Scud gegen den Wind aufkamen, was ungeachtet des tobenden Wassers mit der Anmut einer Ente geschah, die ihre Richtung auf einem spiegelglatten Teich verändert – ließ Jasper das Steuer wieder nieder. Ein Zeichen von ihm setzte alles auf dem Backbord in Bewegung, und an jedem Bug wurde ein Wurfanker ausgeworfen. Die furchtbare Natur der Abtrift war nun sogar Mabels Augen anschaulich, denn die zwei dicken Trosse liefen aus wie Bugsiertaue. Sobald man an ihnen eine leichte Spannung gewahr wurde, ließ man beide Anker gehen und gab jedem ein Kabel fast bis zu den Betingschlagenden. Es war kein schwieriges Geschäft, den Gang eines so leichten Fahrzeugs mit einem ungewöhnlich guten Ankertauwerk zu hemmen; und in weniger als zehn Minuten von dem Augenblick an, wo Jasper das Steuer ergriffen hatte, lag der Scud, mit dem Schnabel seewärts, an zwei vorwärts gestreckten Kabeln wie zwischen zwei Eisenbalken vor Anker.

»Das ist nicht wohlgetan, Meister Jasper«, rief Cap mit Ärger, sobald er den Streich, den man ihm gespielt hatte, bemerkte. »Das ist nicht wohlgetan, Herr! Ich befehle Euch, zu kappen und den Kutter ohne den geringsten Verzug ans Ufer zu führen.«

Es schien jedoch niemand geneigt, diesem Befehl Folge zu leisten; denn die Rudermannschaft wollte, solange Jasper das Kommando nicht abzugeben geneigt war, nur ihm gehorchen. Da nun Cap, der das Fahrzeug in der allergrößten Gefahr glaubte, sah, daß die Mannschaft untätig blieb, so wendete er sich stolz gegen Jasper und erneuerte seine Gegenrede.

»Ihr seid nicht auf den angeblichen Schlupfhafen zugesteuert«, fuhr er fort, nachdem er einige Schmähworte ausgestoßen hatte, »sondern auf diesen Vorsprung, wo jede Seele an Bord hätte ersaufen müssen, wenn wir da das Land erreicht hätten.«

»Und Ihr wollt, daß man kappen solle, damit jede Seele an derselben Stelle ans Ufer geworfen werde?« erwiderte Jasper etwas sarkastisch.

»Werft am Schnabel ein Lot über Bord und vergewissert die Abtrift«, brüllte Cap den vornstehenden Matrosen zu.

Ein Zeichen Jaspers unterstützte diesen Befehl, worauf augenblicklich Folge geleistet wurde. Alle auf dem Verdeck versammelten sich um die Stelle und achteten mit fast atemloser Teilnahme auf das Ergebnis dieses Versuchs. Das Blei war kaum auf dem Grund, als sich die Leine nach vorn dehnte, und in ungefähr zwei Minuten sah man, daß der Kutter um seine Länge tot gegen den Vorsprung hin abgetriftet hatte. Jasper sah ernst aus, denn er wußte wohl, daß nichts das Schiff anhalten konnte, wenn es in den Strudel der Brandungen gelangt war, deren erste Linie ungefähr eine Kabellänge gerade unter seinem Stern erschien und verschwand.

»Verräter!« schrie Cap und schüttelte die Faust gegen den jungen Befehlshaber, wobei der ganze übrige Körper vor Wut zitterte. »Ihr sollt mir mit Eurem Leben dafür einstehen!« fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. »Wenn ich an der Spitze dieses Zuges stände, Sergeant, so ließ‘ ich ihn an das Ende des großen Mastes hängen, damit der Milchbart nicht entwischt.«

»Mäßige deine Hitze, Bruder; ich bitte dich, sei ein wenig gelassener. Jasper scheint in der besten Absicht gehandelt zu haben, und die Sache steht vielleicht nicht so schlimm wie du glaubst.«

»Warum steuert er nicht auf die Bucht zu, von der er gesprochen hat? Warum hat er uns hierher gebracht, tot windwärts von diesem Vorsprung, und auf einen Fleck, wo die Brandungen nur die Hälfte der gewöhnlichen Weite haben, als ob er sich nicht genug beeilen könne, um alles an Bord zu ersäufen?«

»Ich lief, gerade weil an dieser Stelle die Brandungen so schmal sind, gegen das Vorgebirge«, antwortete Jasper sanft, obgleich ihm bei diesen Worten seines Gegners die Kehle schwoll.

»Wollt Ihr einem alten Seemann wie ich bin weismachen, daß der Kutter sich in diesen Brandungen halten könne?«

»Nicht doch, Herr. Ich glaube, er würde sich füllen und sinken, wenn er in ihre erste Linie gelangte. Sicherlich würde er das Ufer nicht auf seinem Ziel erreichen, wenn er einmal drinnen wäre. Ich hoffe übrigens, ihn gegen alles das klar zu halten.«

»Mit der Abtrift einer Schiffslänge in der Minute?«

»Die Anker haben noch nicht in den Grund gebissen. Auch hoffe ich nicht einmal, daß sie das Fahrzeug ganz anhalten können.«

»Auf was verlaßt Ihr Euch denn? Soll vielleicht Glaube, Hoffnung und Liebe das Fahrzeug vorn und hinten ankerfest machen?«

»Nein, Herr, ich verlasse mich auf den Unterschlepper. Ich hielt deshalb auf das Vorgebirge ab, weil ich weiß, daß er an dieser Stelle stärker ist als an anderen Orten und weil wir dadurch näher an Land kommen, ohne in die Brandungen einzutreten.«

Jasper sprach diese Worte mit Kraft, ohne jedoch irgendeine Empfindlichkeit blicken zu lassen. Auch machten sie einen augenscheinlichen Eindruck auf Cap, bei dem das Gefühl der Überraschung sichtlich die Oberhand gewann. »Unterschlepper?« wiederholte er, »wer Teufel hat je gehört, daß ein Fahrzeug durch einen Unterschlepper vom Stranden abgehalten wurde?«

»Vielleicht kommt so was auf dem Meer nie vor, Herr«, antwortete Jasper bescheiden; »aber wir wissen, daß es hier schon hin und wieder der Fall war.«

»Der Junge hat recht, Bruder«, warf der Sergeant ein; »denn obgleich ich’s nicht besonders verstehe, so hab ich doch die Schiffer auf diesem See oft von einem solchen Ding reden hören. Wir werden wohltun, Jasper in dieser Klemme zu vertrauen.«

Cap brummte und fluchte, mußte sich aber doch zuletzt wohl oder übel zufriedengeben. Jasper gab nun auf die Frage, was er unter dem Unterschlepper verstehe, die gewünschte Erklärung. Das Wasser, das durch den Sturm an das Ufer getrieben wurde, mußte notwendig zur Herstellung seines Gleichgewichts auf geheimen Wegen wieder in den See zurückfließen. Dieses konnte auf der Oberfläche wegen des Sturms und der Wellen, die es beständig landwärts drängten, nicht stattfinden, woraus denn eine Art Ebbe in der Tiefe gebildet wurde, mittels der das Wasser wieder in sein früheres Bett abfloß. Diese Tiefenströmung hatte den Namen Unterschlepper erhalten; und da sie auf den Kiel eines Fahrzeugs, das so tief wie der Scud im Wasser ging, wirken mußte, so konnte Jasper wohl hoffen, daß diese Beihilfe das Zerreißen der Ankertaue verhindern werde. Mit einem Wort, die obere und die untere Strömung sollten wechselweise einander entgegenarbeiten.

So einfach und sinnreich übrigens diese Theorie war, so blieb doch noch wenig Anschein vorhanden, aus ihr praktischen Nutzen ziehen zu können. Die Abtrift machte fort, obgleich sie sich sichtlich verminderte, da sich die Ketschen und Trosse, mit denen die Anker verkattet waren, ausspannten. Endlich gab der Mann am Blei den erfreulichen Bericht, daß die Anker nicht mehr weitertrieben und das Fahrzeug festliege. In diesem Augenblick war die erste Linie der Brandungen noch ungefähr hundert Fuß von dem Stern des Scud entfernt und schien sogar noch näher zu kommen, wenn der Schaum verschwand und auf den tobenden Wogen zurückkehrte. Jasper eilte vorwärts, warf einen Blick über die Buge und lächelte triumphierend, als er auf die Kabeln zeigte. Statt wie früher die Starrheit von Eisenstangen zu zeigen, beugten sie sich nun abwärts, und ein Seemann konnte deutlich bemerken, daß sich der Kutter mit einer Leichtigkeit auf den Wellen hob und senkte, wie dies auf einem Kanal zur Zeit der Ebbe und Flut der Fall ist, wenn die Macht des Windes durch den Gegendruck des Wassers gemildert wird.

»’s ist der Unterschlepper!« rief Jasper voll Wonne, wobei er das Verdeck entlang gegen das Steuer flog, um es zu stellen und den Kutter noch leichter vor Anker zu legen. »Die Vorsehung hat uns gerade in seine Strömung gebracht, und wir haben keine weitere Gefahr zu befürchten.«

»Ja, ja, die Vorsehung ist ein guter Seemann«, grollte Cap, »und hilft oft dem Unwissenden aus der Not. Unterschlepper oder Oberschlepper – der Wind hat nachgelassen, und zu gutem Glück für uns alle hat das Schiff zugleich einen ordentlichen Haltegrund gefunden. Ah, dieses verdammte Frischwasser hat eine ganz unnatürliche Art an sich.«

Der Mensch ist selten geneigt, mit dem Glück zu hadern, während er gewöhnlich durch das Unglück vorlaut und zänkisch wird. Die meisten am Bord glaubten, daß Jaspers Kenntnisse und Geschicklichkeit den Schiffbruch verhindert hätten, ohne Caps Gegenreden zu berücksichtigen, dessen Bemerkungen jetzt nur noch wenig beachtet wurden. Allerdings verging noch eine halbe Stunde der Ungewißheit und des Zweifels, während das Blei die ängstliche Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Dann aber bemächtigte sich ein Gefühl der Sicherheit aller Gemüter, und die Ermatteten gaben sich der Ruhe hin, ohne von dem drohenden Tode zu träumen.

Zehntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Eine Woche verging in der gewöhnlichen Weise eines Garnisonlebens. Mabel gewöhnte sich an ihre Lage, die sie im Anfang nicht nur neu, sondern auch ein wenig lästig gefunden hatte. Die Offiziere und Soldaten machten sich der Reihe nach allmählich mit der Anwesenheit eines jungen und blühenden Mädchens vertraut, dessen Anmut und Betragen das Gepräge einer bescheidenen höheren Bildung an sich trug, die sie dem Aufenthalt in der Familie ihrer Beschützerin verdankte. Dabei ließ sie sich wenig beunruhigen durch die schlecht verhehlte Bewunderung dieser Leute, indem sie deren Achtungsbeweise gern auf Rechnung ihres Vaters schrieb, obschon sie ihr lediglich ihres eigenen bescheidenen, aber würdevollen Benehmens willen gezollt wurden.

Bekanntschaften, die in einem Urwald oder unter Umständen von ungewöhnlicher Aufregung gemacht werden, erreichen bald ihre Grenzen. Mabel fand den Aufenthalt einer Woche an dem Oswego hinreichend, ihr alle die zu bezeichnen, mit denen sie einen vertraulichem Umgang wünschen konnte, und auch alle, die sie meiden mußte. Die gewissermaßen neutrale Stellung, die ihr Vater einnahm, da er kein Offizier war und doch so weit über dem gemeinen Soldaten stand, um diese beiden militärischen Klassen von ihr fern zu halten, verminderte die Zahl derer, mit denen sie sich bekannt machen mußte, und machte ihr die Entscheidung verhältnismäßig leicht. Doch bemerkte sie bald, daß es selbst unter denen, die auf einen Sitz an der Tafel des Kommandanten Anspruch machen konnten, einige gab, die nicht abgeneigt waren, um der Neuheit einer gewandten Figur und eines artigen, gewinnenden Gesichtes willen die Hellebarde des Unteroffiziers zu übersehen, und nach den ersten zwei oder drei Tagen hatte sie ihre Bewunderer auch unter den Vornehmeren der Garnison. Besonders war der Quartiermeister, ein Soldat von mittlerem Alter, der schon mehr als einmal die Segnungen des Ehestandes versucht hatte, zur Zeit aber als Witwer lebte, augenscheinlich bemüht, mit dem Sergeanten in ein noch vertrauteres Verhältnis zu treten, als es schon durch die Pflicht des Dienstes bestand. Die Jüngeren seiner Kameraden ermangelten daher nicht, ihre Bemerkungen zu machen, als dieser methodische Mann, der ein Schotte war und of Muir hieß, die Quartiere seines Untergeordneten öfter als bisher besuchte. Ein Gelächter oder ein Scherz zu Ehren der »Sergeantentochter« machte dann gewöhnlich den Schluß ihrer Witzeleien, obgleich »Mabel Dunham« bald ein Toast wurde, den kein Fähnerich oder Leutnant auszubringen Anstand nahm.

Am Ende der Woche ließ Duncan of Lundie nach dem Abendverlesen den Sergeanten Dunham eines Geschäftes wegen rufen, das, wie es hieß, einer persönlichen Besprechung bedurfte. Der alte Veteran wohnte in einer beweglichen Baracke, die er nach Belieben umherschieben lassen konnte, da sie auf Rädern stand, so daß er das eine Mal in diesem, das andere Mal in jenem Teile des innern Raumes der Feste sein Quartier hielt. Bei der gegenwärtigen Gelegenheit hatte er so ziemlich im Mittelpunkt haltgemacht, und hier fand ihn sein Untergebener, der, ohne lange im Vorzimmer warten zu müssen, eintreten durfte. In der Tat war auch nur ein sehr geringer Unterschied in der Beschaffenheit der Offizierswohnungen und denen der Mannschaft.

Erstere hatten nur den größeren Raum voraus, und Mabel mit ihrem Vater wohnte fast – wo nicht ganz – ebensogut wie der Kommandant des Platzes selbst.

»Herein, Sergeant, herein, mein guter Freund«, sagte der alte Lundie herzlich, als sein Untergebener in respektvoller Haltung an der Tür von einer Art Bibliothek- und Schlafzimmer stehenblieb. »Herein, und nehmt auf diesem Stuhl da Platz. Ich habe nach Euch geschickt, Mann, aber nicht, um diesen Abend von den Zahlungslisten mit Euch zu sprechen. Wir sind nun schon so manches Jahr Kameraden gewesen, und so eine lange Bekanntschaft alter Burschen mag doch für etwas gelten, zumal zwischen einem Major und seiner Ordonnanz, einem Schotten und einem Yankee. Sitzt nieder, Mann, und macht’s Euch bequem. – Es ist ein schöner Tag gewesen, Sergeant.«

»Freilich, Major Duncan«, erwiderte der andere, der sich zwar anschickte, Platz zu nehmen, doch viel zu erfahren war, um nicht zu wissen, welchen Grad von Achtung er zu beobachten habe; »ein sehr schöner Tag ist heute gewesen, Sir, und wir möchten wohl gerne noch mehrere solche in dieser Jahreszeit sehen.«

»Ich hoffe das von Herzen. Die Früchte sehen, gut aus, Mann, und Ihr werdet finden, daß das Fünfundfünfzigste fast ebenso gute Bauern wie Soldaten bildet. Ich sah nie bessere Kartoffeln in Schottland, als die sind, die wir wahrscheinlich von unserem Neubruch kriegen werden.«

»Sie versprechen einen guten Ertrag, Major Duncan, und in dieser Hinsicht einen behaglicheren Winter, als der letzte war.«

»Das Leben ist fortschreitend, Sergeant, in seinen Bequemlichkeiten sowohl als in den Bedürfnissen. Wir werden alt und fangen an, auf den Rückzug und an ein Ruheplätzchen zu denken. Ich fühle, daß meine Arbeitstage bald vorüber sind.«

»Der König, Gott segne ihn, hat noch einen guten Diener in Euer Gnaden.«

»Kann sein, Sergeant Dunham, besonders wenn sich’s zutragen sollte, daß eine Oberstleutnantsstelle für mich übrig bleibt.«

»Das Fünfundfünfzigste wird sich geehrt fühlen an dem Tage, wo das Patent Duncan of Lundie übertragen wird, Sir.«

»Und Duncan of Lundie wird sich geehrt fühlen an dem Tage, wo er’s erhält. Aber wenn Ihr auch nie eine Oberstleutnantsstelle hattet, so habt Ihr doch ein gutes Weib gehabt, und das ist das Nächste nach dem Rang, um einen Mann glücklich zu machen.«

»Ich bin verheiratet gewesen, Major Duncan; aber es ist schon so lange her, daß ich keinen Vorbehalt mehr habe vor der Liebe, die ich für Seine Majestät und meine Pflicht hege.«

»Was, Mann, nicht einmal die Liebe, die Ihr gegen die kleine, fixe und rundliche Tochter hegt, die ich in den letzten paar Tagen im Fort gesehen habe? Pfui, Sergeant! So ein alter Bursch‘ ich bin, so könnt‘ ich doch fast das Mädel selbst lieb haben und die Oberstleutnantsstelle zum Teufel schicken.«

»Wir wissen alle, wo Major Duncans Herz ist; das weilt in Schottland, wo eine schöne Dame bereit ist, ihn glücklich zu machen, sobald es sein eigenes Pflichtgefühl zuläßt.«

»Ach, die Hoffnung liegt immer fern«, erwiderte der Oberst, indes ein Schatten von Melancholie über seine harten schottischen Züge glitt, »und das hübsche Schottland ist ein fernes Land. Nun, wenn wir auch keine Heiden und kein Hafermehl in dieser Gegend haben, so haben wir doch Hochwild zu schießen und Lachse in einer Fülle, wie zu Berwick überm Tweed. Ist’s wahr, Sergeant, daß sich die Mannschaft beklagt, weil sie in der letzten Zeit überwildbretet und übertäubt worden sei?«

»Seit einigen Wochen nicht, Major Duncan, denn weder Hirsche noch Vögel sind in dieser Jahreszeit so häufig wie sonst. Sie fängt zwar an, ihre Bemerkungen über den Lachs zu machen, aber ich denke, wir werden ohne irgend ernsthafte Störung wegen der Kost durch den Sommer kommen. Nur die Schotten in dem Bataillon sprechen mehr als klug ist über den Mangel an Hafermehl und murren gelegentlich über unser Weizenbrot.«

»Ah! das ist die menschliche Natur, Sergeant – reine, unverfälschte schottische Menschennatur. Ein Haferkuchen, Mann, ist wirklich ein angenehmer Bissen, und ich schmachte oft selbst nach einem Mund voll davon.« »Wenn dies Gefühl so beunruhigend wird, Major Duncan – ich meine bei der Mannschaft, Sir, denn ich möchte nicht so respektwidrig von Euer Gnaden sprechen –, wenn die Soldaten so ernstlich nach ihrer natürlichen Nahrung schmachten, so möcht‘ ich untertänig empfehlen, daß etwas Hafermehl für sie eingeführt oder in dieser Gegend bereitet würde. Man würde dann, meines Erachtens, keine Klagen mehr hören. Ein klein wenig möchte wohl für die Kur zureichen.«

»Ihr seid ein Schalk, Sergeant, aber ich will gehangen sein, wenn ich weiß, ob Ihr nicht recht habt. Es mag noch manche angenehmeren Dinge in der Welt geben als Hafermehl. Einmal habt Ihr eine angenehme Tochter, Dunham –-«

»Das Mädchen gleicht ihrer Mutter, Major Duncan, und kann sich wohl sehen lassen«, sagte der Sergeant stolz. »Nirgends gedeiht was besser, als auf echt amerikanischem Boden. Das Mädchen kann sich sehen lassen, Sir.«

»Das kann sie, dafür stehe ich. Nun, ich kann ebensogut auf einmal zur Sache kommen und meine Reserve ins Treffen führen. Da ist David Muir, der Quartiermeister, der geneigt ist, Eure Tochter zu seinem Weib zu machen. Er hat mich eben angegangen, Euch die Sache zu eröffnen, weil er befürchtete, seine Würde zu kompromittieren, und ich möchte dem noch beifügen, daß die Hälfte der jungen Leute im Fort Toaste auf sie ausbringen und von ihr reden vom Morgen bis in die Nacht.«

»Es ist eine große Ehre für uns, Sir«, erwiderte der Vater steif; »aber ich glaube, daß die Herren bald einen würdigeren Gegenstand finden werden, um darüber lange zu sprechen. Ich hoffe, sie als das Weib eines rechtschaffenen Mannes zu sehen, ehe noch einige Wochen um sind, Sir.«

»Ja, Davis ist ein rechtschaffener Mann, und das ist, denk‘ ich, mehr, als man von allen in des Quartiermeisters Departement sagen kann«, entgegnete Lundie mit einem leichten Lächeln. »Nun denn, darf ich dem in Liebe verstrickten jungen Mann sagen, daß die Sache abgemacht ist?«

»Ich danke Euer Gnaden; aber Mabel ist einem anderen verlobt.«

»Zum Teufel, ist’s wahr? Das wird eine Störung im Fort hervorbringen. Doch um frei mit Euch zu reden, Sergeant, es tut mir nicht leid, so was zu hören; denn ich bin kein großer Bewunderer von ungleichen Verbindungen.«

»Ich denke wie Euer Gnaden und trage kein Verlangen danach, meine Tochter als eine Offiziersfrau zu sehen. Wenn sie erreichen kann, was ihre Mutter war, so muß sie als eine vernünftige Person zufrieden sein.«

»Und darf ich fragen, Sergeant, wer der glückliche Mann ist, den Ihr Euch zum Schwiegersohn ausersehen habt?«

»Der Pfadfinder, Euer Gnaden.«

»Der Pfadfinder?«

»Ja, Major Duncan, und indem ich Ihnen seinen Namen nenne, geb‘ ich Ihnen seine ganze Geschichte. Niemand ist an dieser Grenze bekannter als mein ehrlicher, braver, treuherziger Freund.«

»Das ist alles sehr wahr. Ist er aber auch so eine Art Person, die ein Mädchen von zwanzig glücklich machen kann?«

»Warum nicht, Euer Gnaden? Der Mann ist der erste seines Berufs. Es gibt keinen anderen Waldläufer oder Kundschafter bei der Armee, der nur halb soviel Achtung besäße wie der Pfadfinder oder sie nur halb so gut verdiente.«

»Ganz richtig, Sergeant; aber ist die Achtung, die ein Kundschafter genießt, so eine Art Ruf, um die Phantasie eines Mädchens anzusprechen?«

»Von den Phantasien eines Mädchens zu reden, Sir, ist nach meiner untertänigen Meinung, ebensoviel, als wenn man von dem Urteil eines Rekruten sprechen wollte. Wenn wir uns von den Bewegungen einer tölpischen Rekrutenabteilung wollten leiten lassen, so würden wir das Bataillon nie in eine anständige Linie bringen, Major Duncan.«

»Aber Eure Tochter hat nichts Tölpisches an sich, denn ein anständigeres Mädchen in ihrem Stande findet man selbst in Altengland nicht. Teilt sie über diesen Punkt Eure Ansichten? – doch ich denke, sie muß wohl, da Ihr mir sagt, sie sei verlobt.«

»Wir haben noch nicht über diesen Gegenstand miteinander gesprochen, Euer Gnaden; aber ich betrachte sie in ihrem Sinn für so gut als einverstanden, nach mehreren kleinen Umständen, die wohl von Bedeutung sein möchten.«

»Und was sind das für Umstände, Sergeant?« fragte der Major, der an der Sache mehr teilzunehmen begann, als er im Anfang gefühlt hatte. »Ich bekenne, ich bin ein bißchen neugierig, etwas von dem Sinn der Weiber kennenzulernen, da ich, wie Ihr wißt, selbst ein Junggeselle bin.«

»Euer Gnaden, wenn ich von dem Pfadfinder zu dem Mädchen spreche, so blickt sie mir immer voll ins Gesicht, stimmt mit allem überein, was ich zu seinen Gunsten sage, und benimmt sich dabei auf eine freie und offene Weise, die so viel sagt, als ob sie ihn schon halb als ihren Ehemann betrachte.« »Hm – und diese Zeichen, Sergeant, glaubt Ihr, seien die treuen Merkmale ihrer Gefühle?«

»Ja, Euer Gnaden, denn sie sind auffallend genug. Wenn ich einen Mann finde, Sir, der mir frei ins Gesicht sieht, während er einen Offizier lobt – denn, ich bitte Euer Gnaden um Verzeihung, die Soldaten machen bisweilen ihre Bemerkungen über die Vorgesetzten – wenn ich einen Mann finde, der mir in die Augen sieht, wenn er seinen Kapitän lobt, so nehm‘ ich immer an, daß der Bursch‘ ehrlich ist und es auch so meint, wie er sagt.«

»Ist aber nicht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Alter des Bräutigams und dem seiner artigen Braut, Sergeant?«

»Ganz recht, Sir; Pfadfinder steht um die Vierzig, und Mabel hat jede Aussicht auf ein Glück, das ein junges Weib mit Sicherheit durch den Besitz eines erfahrenen Ehemannes erwarten darf. Ich war selbst volle vierzig Jahre alt, als ich ihre Mutter heiratete.«

»Aber wird Eure Tochter geneigt sein, ein grünes Jagdhemd, wie es Euer würdiger Kundschafter trägt, mit einer Fuchsmütze, ebenso zu bewundern wie die blanke Uniform des Fünfundfünfzigsten?«

»Vielleicht nicht, Sir; dafür wird sie aber das Verdienst der Selbstverleugnung haben, die immer ein junges Weib weiser und besser macht.«

»Und Ihr befürchtet nicht, daß sie noch als junges Weib Witwe werden möchte? Immer unter wilden Tieren und noch wilderen Menschen – man kann von Pfadfinder sagen, daß er sein Leben in seiner Hand trage.«

»Jede Kugel hat ihr bestimmtes Ziel, Lundie«, denn so ließ sich der Major in Augenblicken der Herablassung, und wenn es sich nicht um militärische Angelegenheiten handelte, gerne nennen; »und kein Mann im Fünfundfünfzigsten kann sich vor einem plötzlichen Tod sicher halten. In dieser Hinsicht würde also Mabel bei dem Tausch nichts gewinnen. Außerdem, Sir, um über einen solchen Gegenstand von der Leber ‚runter zu sprechen, zweifle ich sehr, ob der Pfadfinder je in einer Schlacht oder unter den plötzlichen Wechselfällen der Wildnis stirbt.«

»Und warum das, Sergeant?« fragte der Major, indem er auf seinen Untergebenen mit jener Art von Ehrfurcht blickte, die ein Schotte jener Zeit, mehr als dies gegenwärtig der Fall ist, vor mysteriösen Einwirkungen hegte. »Er ist ein Soldat und, was die Gefahr anlangt, einer von denen, die ihr mehr als gewöhnlich ausgesetzt sind; und wenn er auch keine Kapitulation hat, warum soll er da zu entrinnen hoffen dürfen, wo es andere nicht können?« »Ich glaube nicht, daß der Pfadfinder sein eigenes Geschick für besser hält als das irgendeines anderen; aber der Mann wird nie durch eine Kugel sterben. Ich hab‘ ihn so oft sein Gewehr mit einer Fassung handhaben sehen, als ob’s nur ein Schäferstecken wäre, mitten im dichtesten Kugelregen und unter so manchen außerordentlichen Umständen, daß ich mir nicht denken kann, es sei die Absicht der Vorsehung, ihn je auf diese Weise fallen zu lassen. Und doch, wenn irgendein Mann in Seiner Majestät Besitzungen einen solchen Tod verdient, so ist’s der Pfadfinder.«

»Wir können das nie wissen, Sergeant«, erwiderte Lundie, mit gedankenvollem Ernst in seinen Zügen; »und je weniger wir davon sprechen, desto besser ist’s vielleicht. Aber wird Eure Tochter – Mabel, glaube ich, nennt Ihr sie – wird Mabel geneigt sein, einen Mann zu nehmen, der im Grunde doch nur ein Anhängsel zu der Armee ist, und nicht lieber einen aus dem Dienst selbst wählen? Es ist keine Hoffnung zum Avancieren für den Pfadfinder vorhanden, Sergeant.«

»Er ist bereits an der Spitze seines Korps, Euer Gnaden. Kurz, Mabel ist darauf vorbereitet, und da sich Euer Gnaden so weit herabgelassen haben, mit mir von Herrn Muir zu sprechen, so hoff‘ ich, daß Sie die Güte haben, ihm zu sagen, daß das Mädchen so gut als einquartiert für ihr Leben ist.«

»Wohl, wohl, das ist Eure eigene Sache, und nun – Sergeant Dunham!«

»Euer Gnaden«, sagte der andere, indem er sich erhob und die übliche Begrüßung machte.

»Man hat Euch gesagt, daß es meine Absicht sei, Euch für den nächsten Monat nach den Tausendinseln zu schicken. All die alten Subalternoffiziere haben ihre Diensttour in diesem Quartier gehabt, wenigstens alle, denen ich vertrauen durfte, und es kommt nun endlich die Reihe an Euch. Es ist zwar wahr, Leutnant Muir macht auf sein Recht Anspruch, aber da er Quartiermeister ist, so lieb‘ ich’s nicht, altherkömmliche Anordnungen aufzuheben. Sind die Leute gezogen?«

»Alles ist bereit, Euer Gnaden. Der Zug ist vorüber, und ich hörte von dem Kahn, der in der letzten Nacht Botschaft brachte, die Meldung, daß die dortige Mannschaft bereits nach der Ablösung aussähe.«

»Es ist so, und Ihr müßt übermorgen, wenn nicht schon morgen nacht abgehen. Es wird vielleicht klug sein, in der Dunkelheit zu segeln.«

»So denkt Jasper, Major Duncan, und ich kenne niemand, auf den man sich in einer solchen Angelegenheit besser verlassen könnte als auf den jungen Jasper Western.«

»Der junge Jasper Eau-douce?« sagte Lundie, indem sich ein leichtes Lächeln um seinen gewöhnlich ernsten Mund zog. »Wird dieser junge Mensch auch von Eurer Partie sein, Sergeant?«

»Euer Gnaden wird sich erinnern, daß der Scud nie ohne ihn ausläuft.«

»Wahr, aber alle Regeln haben Ausnahmen. Hab‘ ich nicht einen Seemann in den letzten paar Tagen um das Fort gesehen?«

»Ohne Zweifel, Euer Gnaden. Es ist Meister Cap, mein Schwager, der mir meine Tochter heraufbrachte.«

»Warum nicht ihn für diesen Kreuzzug in den Scud setzen, Sergeant, und den Jasper zurücklassen? Euer Schwager würde wohl gern zur Abwechslung mal auf dem Frischwasser kreuzen, und Ihr habt doch mehr von seiner Gesellschaft.«

»Ich habe beabsichtigt, Euer Gnaden um die Erlaubnis zu bitten, ihn mitnehmen zu dürfen; aber er muß als Volontär mitgehen. Jasper ist ein zu braver Junge, als daß man ihn ohne Grund des Kommandos entheben sollte, Major Duncan; und ich fürchte, mein Schwager Cap verachtet das Frischwasser zu sehr, um darauf Dienste zu tun.«

»Gut, Sergeant, ich überlasse das alles Eurem eigenen Urteil. Wenn man die Sache weiter überlegt, so muß Jasper sein Kommando behalten. Ihr beabsichtigt wohl, den Pfadfinder auch mitzunehmen?«

»Wenn es Euer Gnaden billigt. Es wird Dienste geben für beide Kundschafter, den Indianer sowohl als den Weißen.«

»Ich glaube, Ihr habt recht. Nun, Sergeant, ich wünsche Euch gut Glück zu der Unternehmung, und denkt daran, daß der Posten zerstört und verlassen wird, wenn Euer Kommando abläuft. Er wird dann seine Dienste geleistet haben oder wir begehen einen großen Mißgriff, denn wir sind dort in einer zu kitzligen Stellung, um die unnötigerweise zu unterhalten. Ihr könnt abtreten.«

Sergeant Dunham salutierte auf die übliche Weise, drehte sich auf seinen Fersen wie auf Spindelzapfen und hatte fast die Tür hinter sich geschlossen, als er plötzlich wieder zurückgerufen wurde.

»Ich hab‘ vergessen, Sergeant, daß die jüngeren Offiziere um ein Wettschießen angesucht haben, und der morgende Tag ist dazu bestimmt. Alle Bewerber werden zugelassen, und die Preise bestehen in einem mit Silber ausgelegten Pulverhorn, einer ledernen Flasche dito« – er las dieses von einem Stückchen Papier ab – »wie ich aus dem gewerbsmäßigen Jargon dieser Liste ersehe, und einem seidenen Damenkopfputz. Bei dem letzteren kann der Sieger seine Galanterie zeigen, indem er ihn seiner Liebsten zum Geschenk macht.«

»Alles sehr angenehm, Euer Gnaden, wenigstens für den, dem’s glückt. Darf der Pfadfinder auch teilnehmen?«

»Ich sehe nicht ein, wie man ihn ausschließen könnte, wenn er kommen will. Ich hab‘ aber in letzter Zeit bemerkt, daß er keinen Teil an solchen Belustigungen nimmt, wahrscheinlich, weil er von seiner eigenen unübertroffenen Geschicklichkeit überzeugt ist.«

»Es ist so, Major Duncan. Der ehrliche Bursche weiß, daß es keinen an der Grenze gibt, der sich mit ihm messen kann, und wünscht nicht, andere ihres Vergnügens zu berauben. Ich denke, wir können uns jedenfalls auf sein Zartgefühl verlassen, Sir. Es möchte vielleicht gut sein, ihn seinen eigenen Weg gehen zu lassen?«

»In diesem Fall müssen wir’s, Sergeant. Ob er in allem anderen so guten Erfolg erlebt, werden wir sehen. Ich wünsche Euch guten Abend, Dunham.«

Der Sergeant zog sich zurück und überließ Duncan of Lundie seinen eigenen Gedanken. Daß diese nicht ganz unangenehm waren, konnte man an dem Lächeln bemerken, das gelegentlich auf seinem Gesicht spielte, das gewöhnlich einen harten soldatischen Ausdruck zeigte, obgleich es auf Augenblicke wieder dem besonnenen Ernst wich. So mochte ungefähr eine halbe Stunde vergangen sein, als ein Pochen an der Tür durch die Aufforderung einzutreten beantwortet wurde. Ein Mann von mittlerem Alter in Offiziersuniform, die aber des in diesem Stande gewöhnlichen geputzten Ansehens entbehrte, trat ein und wurde als Herr Muir begrüßt.

»Ich komme auf Ihren Befehl, Sir, um mein Schicksal zu erfahren«, sagte der Quartiermeister mit hartem schottischen Akzent, sobald er den Sitz eingenommen hatte, der ihm angeboten worden war. »Wahrhaftig, Major Duncan, dieses Mädel richtet in der Garnison so viel Zerstörung an wie die Franzosen vor Ty. Ich habe nie in so kurzer Zeit eine so allgemeine Verwirrung gesehen.«

»Sie wollen mich doch sicherlich nicht überreden, David, daß Ihr junges und unverdorbenes Herz in einer solchen Flamme ist, da es erst die Glut einer Woche trägt? Da war‘ noch ein üblerer Umstand als der in Schottland, wo die innere Hitze, wie man sagt, so übermächtig war, daß sie sogar ein Loch durch Ihren kostbaren Körper brannte, durch das alle Mädchen reingucken konnten, um zu sehen, was das entzündliche Material wert sei.«

»Ich sehe nichts so Besonderes dran, wenn junge Leute dem Zug ihrer Neigung folgen.« »Sie sind aber den Ihrigen so oft gefolgt, David, daß man denken sollte, sie hätten nachgerade den Reiz der Neuheit verloren. Einschließlich iener, der nötigen Formalitäten entbehrenden Affäre in Schottland, wo Sie noch ein junger Bursch waren, haben Sie sich schon viermal verheiratet.«

»Nur dreimal, Major, so wahr ich hoffe, noch ein Weib zu bekommen. Ich habe noch nicht meine Zahl; nein, nein, bloß dreimal.«

»Ich glaube, Sie rechnen die erwähnte erste Geschichte nicht mit – ich meine die, wo kein Pfarrer dabei war?«

»Und warum sollt‘ ich, Major? Das Gericht hat entschieden, daß es keine Heirat war, und was braucht ein Mensch weiter? Das Weib zog Vorteile von einer leichten verliebten Neigung, die vielleicht eine Schwäche in meiner Sinnesart sein mochte, und verführte mich zu einem Kontrakt, der als ungesetzlich befunden wurde.«

»Wenn ich mich recht erinnere, Muir, so glaubte man zu jener Zeit, daß diese Angelegenheit zwei Seiten hätte?«

»Es müßte ein sehr gleichgültiger Gegenstand sein, mein lieber Major, der nicht seine zwei Seiten hätte, und ich weiß von manchen, die ihrer drei hatten. Aber das arme Weib ist tot, auch war kein Nachkomme da, und so hatte die Sache keine weiteren Folgen. Dann war ich besonders unglücklich mit meinem zweiten Weib; ich sage zweites, Major, aus Achtung gegen Sie und unter der Voraussetzung, daß hier doch nur von meiner wirklichen ersten Verheiratung die Rede ist; aber erste oder zweite, ich war besonders unglücklich mit Jeannie Graham, da sie in dem ersten Lustrum starb, ohne mir ein Hähnchen oder Hühnchen zurückzulassen. Ich glaube nicht, daß ich, wenn Jeannie am Leben geblieben wäre, je einen Gedanken auf ein anderes Weib gerichtet hätte.«

»Nun sie aber dies nicht tat, so hatten Sie zweimal nach ihrem Tod wieder geheiratet und gehen damit um, es zum drittenmal zu tun.«

»Der Wahrheit kann natürlich nie widersprochen werden, Major, und ich bin immer bereit, sie anzuerkennen. Ich glaube, Lundie, Sie sind melancholisch an diesem schönen Abend?«

»Nein, Muir, nicht gerade melancholisch, aber, ich gesteh’s, ein bißchen in Gedanken. Ich blickte ein wenig zurück auf meine Jugendjahre, wo ich, der Lairdssohn, und Sie, der des Pfarrers, auf unseren heimatlichen Hügeln als glückliche, sorglose Knaben herumstreiften, die sich wenig um die Zukunft kümmerten. Dann kamen mir einige Gedanken, die ein wenig schmerzlicher sind wegen der Folgezeit, wie sie nun geworden ist.« »Sicherlich, Lundie, beklagen Sie sich nicht über den Ihnen beschiedenen Teil? Sie haben es bis zum Major gebracht und werden bald Oberstleutnant werden, wenn man sich auf Briefe verlassen kann, während ich bloß um eine einzige Stufe höher stehe als zur Zeit, wo mir Ihr geehrter Vater meine erste Stelle verschaffte, und ein armer Teufel von einem Quartiermeister bin.«

»Und die vier Weiber?«

»Drei, Lundie; nur drei waren gesetzlich, sogar nach unseren eigenen liberalen und geheiligten Gesetzen.«

»Wohl denn, lassen wir’s drei sein, David«, sagte Major Duncan, indem er unwillkürlich in die Aussprache und den Dialekt seiner Jugend zurückfiel, was auch bei gebildeten Schottländern leicht geschieht, wenn sie über einen Gegenstand warm werden, der ihr Herz näher berührt. – »Sie wissen’s, David, daß meine eigene Wahl schon lange getroffen ist, und wie ich ängstlich und in banger Hoffnung auf die glückliche Stunde gewartet habe, wo ich einmal das Weib, das ich so lange liebte, mein nennen könnte, und Sie haben hier, ohne Vermögen, Namen, Geburt oder Verdienst – ich meine besonderes Verdienst –-«

»Na, na, können Sie so was sagen, Lundie? Die Muirs sind von gutem Blut.«

»Na schön also, ohne was anderes als Blut haben Sie vier Weiber gehabt.«

»Ich sag‘ Ihnen, nur drei, Lundie. Sie werden die alte Freundschaft schwächen, wenn Sie vier sagen.«

»Lassen wir’s bei Ihrer eigenen Zahl, David; auch die ist schon mehr, als Ihnen gebührt. Unser Leben ist sehr verschieden gewesen, im Punkt des Heiratens wenigstens – Sie müssen das zugeben, mein alter Freund.«

»Und wer, meinen Sie wohl, ist dabei der Gewinnende, Major, wenn wir so frei miteinander sprechen wollen, wie wir’s taten, als wir noch Jungens waren?«

»Ich hab‘ nichts zu verhehlen. Meine Tage gingen hin in verzögerter Hoffnung, während die Ihrigen in –-«

»Nicht realisierter Hoffnung, ich geb‘ Ihnen mein Ehrenwort, Major Duncan«, unterbrach ihn der Quartiermeister. »Von jedem neuen Versuch hoffte ich einen Vorteil; aber Täuschung scheint das Los des Menschen zu sein. Ach, es ist eine eitle Welt, Lundie, man muß es zugeben, und in nichts eitler als im Ehestand.«

»Und doch haben Sie keine Furcht, Ihren Nacken zum fünftenmal in die Schlinge zu Stetten?«

»Ich behaupte, daß es das viertemal ist, Major Duncan«, sagte der Quartiermeister mit Bestimmtheit; dann änderte sich der Ausdruck seines Gesichtes plötzlich in den eines knabenhaften Entzückens, und er fuhr fort: »Aber diese Mabel Dunham ist eine rara avis. Unsere schottischen Mädchen sind schön und angenehm, aber man muß zugestehen, diese Kolonialmädchen übertreffen sie an Liebenswürdigkeit.«

»Sie werden wohltun, Ihre Stellung und Ihr Blut nicht aus dem Auge zu verlieren, David. Ich glaube alle Ihre vier Weiber –-«

»Ich wünschte, mein lieber Lundie, daß Sie in Ihrer Arithmetik etwas genauer wären. Drei mal eins macht drei.«

»Alle drei also waren, was man Frauen von Stand zu nennen pflegt?«

»Gerade so ist’s, Major. Drei waren Frauen von Stand, wie ich Ihnen sage, und die Verbindungen waren angemessen.«

»Und die vierte war die Tochter von meines Vaters Gärtner; diese Verbindung war nicht angemessen. Aber fürchten Sie nicht, daß die Verehelichung mit dem Kind eines Unteroffiziers, der noch dazu mit Ihnen bei demselben Korps steht, die Folge haben wird, Ihr Ansehen bei dem Regiment zu schmälern?«

»Das ist gerade mein Leben lang meine schwache Seite gewesen, Major Duncan, denn ich habe immer geheiratet, ohne auf die Folgen Rücksicht zu nehmen. Jedermann hat seinen Fehler, und ich fürchte, der meinige ist das Heiraten. Doch, da wir nun verhandelt haben, was man die Prinzipien der Verbindung nennen könnte, so möchte ich fragen, ob Sie mir die Gunst erwiesen haben, mit dem Sergeanten über diese Kleinigkeit zu sprechen?«

»Ich tat es, David, befürchte aber, daß ich Ihnen wenig Hoffnung zu einem günstigen Erfolg machen kann!«

»Zu keinem günstigen Erfolg? Ein Offizier und Quartiermeister obendrein und kein günstiger Erfolg bei eines Sergeanten Tochter?«

»Das ist’s gerade, David.«

»Und warum nicht, Lundie? Werden Sie wohl die Güte haben, mir das zu beantworten?«

»Das Mädchen ist verlobt. Hand und Wort gegeben, die Liebe verbürgt – nein, ich will gehangen sein, wenn ich das je glaube: Aber sie ist verlobt.«

»Wohl, das ist ein Hindernis, ich geb’s zu, Major, obgleich ich es nur gering anschlage, wenn das Herz frei ist.«

»Ganz wahr; und mir ist es wahrscheinlich, daß das Herz in diesem Falle frei ist. Der beabsichtigte Ehemann scheint eher die Wahl des Vaters als die der Tochter zu sein.«

»Und wer mag das sein, Major?« fragte der Quartiermeister, der die ganze Sache mit der Philosophie und Ruhe eines erfahrenen Mannes überblickte. »Ich kann mir doch keinen passenden Freier denken, der mir im Wege stehen könnte.«

»Nein, Sie sind der einzige passende Freier an der Grenze, David. Der glückliche Mann ist Pfadfinder.«

»Pfadfinder, Major Duncan?«

»Nicht mehr und nicht weniger, David Muir. Pfadfinder ist der Mann. Aber es mag Ihre Eifersucht ein wenig erleichtern, wenn ich Ihnen sage, daß mir der Handel mehr vom Vater als von der Tochter auszugehen scheint.«

»Ich dachte mir’s«, rief der Quartiermeister aus und schöpfte tiefen Atem wie einer, dem eine Last von seiner Brust genommen wird. »Es ist ganz unmöglich, daß mit meiner Erfahrung in der menschlichen Natur –-«

»Besonders in der Weibernatur, David –-«

»Sie wollen Ihren Scherz haben, Lundie, und mag sich auf den einlassen, wer will. Ich kann’s aber nicht für möglich halten, daß ich mich täuschen sollte über die Neigung eines jungen Frauenzimmers, die – ich kann mich wohl kühn darüber aussprechen, da wir unter uns sind – die über den Stand des Pfadfinders hinausgeht. Was den Mann selbst anbelangt – nun, die Zeit wird’s lehren.«

»Sagen Sie mir doch offen, David Muir«, sprach Lundie, indem er eine kurze Weile seinen Spaziergang unterbrach und den anderen ernst und mit einem komischen Ausdruck der Überraschung ins Gesicht faßte, der die Züge des Veteranen in einem spöttischen Ernst erscheinen ließ – »glauben Sie wirklich, daß ‚ein Mädel, wie die Tochter des Sergeanten Dunham, eine ernsthafte Neigung zu einem Mann von Ihren Jahren, Ihrem Aussehen, und – Ihrer Erfahrung, möcht‘ ich hinzusetzen, fassen kann?«

»Bst, ruhig, Lundie; Sie kennen das Geschlecht nicht, und das ist der Grund, warum Sie in Ihrem fünfundvierzigsten Jahre noch unverheiratet sind. Es ist doch ’ne schreckliche Zeit, die Sie als Junggeselle zugebracht haben, Major!«

»Und was mag Ihr Alter sein, Leutnant Muir, wenn man eine so delikate Frage wagen darf?«

»Siebenundvierzig; ich will’s nicht verleugnen, Lundie, und wenn ich Mabel kriege, so kommt gerade auf jedes Jahrzehnt eine Frau. Aber nein, ich kann nicht denken, daß Sergeant Dunham so niedrig gesinnt sein sollte, um sich’s träumen zu lassen, dieses süße Mädel einem Menschen wie dem Pfadfinder zu geben.«

»Er träumt sich nichts dabei, David; der Mann ist so ernsthaft wie ein Soldat, der gepeitscht werden soll.«

»Wohl, wohl, Major, wir sind alte Freunde« – beide kamen in ihr Schottisch oder vergaßen es, je nachdem sie im Gespräch ihre jüngeren Tage berührten oder davon abkamen – »und sollten wissen, wie man außer dem Dienst einen Scherz zu nehmen oder zu geben hat. Es ist möglich, daß der gute Mann meine Winke nicht verstand oder die Sache sich nie so gedacht hat. Der Unterschied zwischen einer Offiziersfrau und dem Weib eines Kundschafters ist so ungeheuer, als der zwischen dem Alter Schottlands und dem Alter Amerikas. Auch bin ich von altem Blut, Lundie.«

»Nehmen Sie mein Wort dafür, David – Ihr Alter wird Ihnen in dieser Angelegenheit nichts nützen, und was Ihr Blut anbelangt, so ist’s nicht älter als Ihre Knochen. Nun gut; Sie kennen des Sergeanten Antwort und werden bemerken, daß mein Einfluß, auf den Sie so viel gezählt haben, nichts für Sie tun kann. Lassen Sie uns ein Glas miteinander leeren, alter Bekanntschaft wegen, und dann werden Sie guttun, sich der Partie zu erinnern, die morgen abgehen soll, und Mabel Dunham, so gut Sie immer können, zu vergessen.«

»Ach, Major! ich hab’s immer leichter gefunden, ein Weib als ein Schätzchen zu vergessen. Wenn ein Paar so recht ordentlich verheiratet ist, so ist alles im reinen, bis der Tod uns am Ende alle trennt; und es scheint mir höchst unehrerbietig, die Hingeschiedenen zu beunruhigen. Dagegen hat man den Mädels gegenüber so viel Angst, Hoffnung und Glückseligkeit in der liebenden Erwartung, daß die Gedanken immer rege erhalten werden.«

»Das ist grade auch meine Ansicht von Ihrer Lage, David; denn ich habe nie vermutet, daß Sie noch eine weitere Glückseligkeit von Ihren Weibern erwarten. Nun, ich hab‘ wohl schon von Burschen gehört, die so einfältig waren, das Glück mit ihren Weibern auch jenseits des Grabes zu suchen. Ich trinke Ihnen zu auf glückliche Fortschritte oder auf baldige Wiedergenesung von diesem Anfall, Leutnant, und ermahne Sie, für die Zukunft vorsichtiger zu sein, da einige solcher heftiger Zufälle Ihnen am Ende den Garaus machen könnten.«

»Schönen Dank, lieber Major, und baldiges Ende einer bekannten alten Freierei. Das ist ein wahrer Bergtau, Lundie, und wärmt das Herz wie ein Strahl aus dem guten Schottland. Was die erwähnten Leute anlangt, so konnten sie nur ein Weib gehabt haben; denn wenn einer einmal einige gehabt hat, so bringen ihn die Weiber selbst durch ihr Benehmen auf andere Gedanken. Ich denke, ein vernünftiger Ehemann muß zufrieden sein, wenn er seine freie Zeit mit einem wunderlichen Weib zubringen kann, das dieser Welt angehört, und soll nicht wegen unerreichbarer Dinge den Kopf hängen lassen. Ich bin Ihnen unendlich verbunden, Major Duncan, für diesen und alle anderen Freundschaftsbeweise, und wenn Sie noch einen weiteren dazufügen wollten, so würde ich glauben, daß Sie den Spielkameraden Ihrer Jugend nicht ganz vergessen hätten.«

»Schön, David, wenn das Gesuch ein vernünftiges ist und so, daß es ein Vorgesetzter zugestehen kann, heraus damit.«

»Wenn Sie nur einen kleinen Dienst für mich da unten an den Tausendinseln ersinnen könnten, so für vierzehn Tage vielleicht. Ich denke, solcher Umstand würde zur Zufriedenheit aller Parteien ausfallen. Es fällt mir eben auch ein, Lundie, daß das Mädel die einzig heiratbare Weiße an dieser Grenze ist.«

»Es gibt immer einen Dienst für einen Mann in Ihrer Stellung auf einem Posten, wenn er auch nur unbedeutend ist; aber dort unten kann er vom Sergeanten ebensogut wie von einem Generalquartiermeister besorgt werden – und wohl noch besser.«

»Aber nicht besser als von einem Regimentsoffizier. Es findet im allgemeinen eine große Verschwendung bei den Ordonnanzen statt.«

»Ich will mir’s überlegen, Muir«, sagte der Major lachend. »Sie sollen morgen meine Antwort haben. Auch wird es morgen für Sie eine schöne Gelegenheit geben, sich vor der Dame zu zeigen. Sie wissen mit der Büchse gut umzugehen, und es gibt Preise zu gewinnen. Machen Sie sich gefaßt, Ihre Geschicklichkeit zu entwickeln, und wer weiß, was geschieht, ehe noch der Scud absegelt.«

»Ich denke, die meisten jungen Leute werden die Sicherheit ihrer Hand bei diesem Spiel versuchen wollen, Major?«

»Das werden sie, und einige von den Alten auch, wenn Sie dabei erscheinen. Um Sie in der Fassung zu erhalten, will ich selbst einen Schuß oder zwei tun, David; und Sie wissen, daß ich in dieser Beziehung einigen Ruf habe.«

»Das weibliche Herz, Major Duncan, ist verschiedenartig empfänglich. Einige verlangen von ihrem Anbeter, daß er gegen sie eine regelmäßige Belagerung eröffne, und kapitulieren bloß, wenn sich der Platz nicht länger halten kann; andere lieben es, wenn sie im Sturm genommen werden, indes wieder andere solche Drachen sind, daß man sie nur fangen kann, wenn man sie in einen Hinterhalt leitet. Das erste ist das anständigste und vielleicht das am meisten für einen Offizier passende Verfahren, obschon ich sagen muß, daß das letztere am meisten Vergnügen macht.«

»Eine Ansicht, die Sie ohne Zweifel Ihrer Erfahrung verdanken. Und wie ist’s mit der Sturmpartie?«

»Die mag für jüngere Leute passen«, erwiderte der Quartiermeister, indem er aufstand und mit den Augen zwinkerte, eine Freiheit, die er sich oft auf Rechnung seiner langjährigen Vertrautheit gegen seinen kommandierenden Offizier herausnahm; »jede Periode des Lebens hat ihre Erfordernisse, und im Siebenundvierzigsten ist’s gerade angemessen, sich ein wenig auf den Kopf zu verlassen. Ich wünsche recht guten Abend, Major Duncan, und gute Besserung mit der Gicht.«

»Danke, Herr Muir. Vergessen Sie morgen das Wettschießen nicht!«

Der Quartiermeister zog sich zurück und überließ es Lundie, in seiner Bibliothek seinen Gedanken nachzuhängen. Langjähriger Umgang hatte den Major Duncan so an den Leutnant Muir und an dessen Weise und Laune gewöhnt, daß ihm sein Betragen nicht mehr auffiel.

Einleitung Coopers

Einleitung Coopers

Der Plan zu dieser Erzählung bot sich dem Autor schon vor Jahren dar, obgleich die Einzelheiten insgesamt von neuer Erfindung sind. Ich teilte einem Verleger die Idee mit, Seeleute und Wilde unter Verhältnissen, die den großen Seen eigentümlich wären, miteinander in Verbindung zu bringen, und übernahm somit gewissermaßen die Verpflichtung, irgendwann das Gemälde auszuführen: eine Verpflichtung, deren ich mich nun hiermit – freilich spät und unvollständig – entledige.

In dem Hauptcharakter dieses Romans wird der Leser einen alten Freund unter neuen Umständen finden. Sollte es sich erweisen, daß die Wiedereinführung dieses alten Bekannten ihn unter den veränderten Verhältnissen in der Gunst der Lesewelt nicht sinken läßt, so wird dies dem Verfasser ein um so größeres Vergnügen gewähren, als er an der fraglichen Person warmen Anteil nimmt – so als hätte sie einmal unter den Lebenden gewandelt. Es ist jedoch kein leichtes Unternehmen, denselben Charakter mit Beibehaltung der bezeichnenden Eigentümlichkeit in mehreren Werken durchzuführen, ohne Gefahr zu laufen, den Leser durch Gleichförmigkeit zu ermüden, und der gegenwärtige Versuch ist ebensosehr infolge derartiger Besorgnisse wie aus irgendeinem andern Grund so lange verzögert worden. Freilich, in diesem wie in jedem andern Unternehmen muß das Ende das Werk krönen.

Der indianische Charakter bietet so wenig Mannigfaltigkeit dar, daß ich es bei der gegenwärtigen Gelegenheit vermied, allzulange dabei zu verweilen; auch fürchte ich, seine Verbindung mit dem des Seemanns wird mehr neu als interessant erscheinen.

Dem Neuling mag es vielleicht als ein Anachronismus auffallen, daß ich schon in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts Schiffe auf den Ontario versetze. In dieser Beziehung aber werden Tatsachen die poetische Lizenz hinreichend rechtfertigen. Zwar haben sich die in diesen Blättern erwähnten Fahrzeuge niemals weder auf dem Ontario noch auf einem andern Gewässer befunden; aber ganz ähnliche befuhren dieses Binnenmeer in einer noch viel früheren Zeit, und dies mag als hinreichende Berechtigung gelten, jene in ein Werk der Poesie einzuführen. Man erinnert sich vielleicht nicht allgemein des bekannten Umstands, daß es längs der Linie der großen Seen vereinzelte Stellen gibt, die ebensolange wie viele der ältesten amerikanischen Städte bewohnt sind und die lange, noch ehe der größere Teil selbst der ältern Staaten der Wildnis entrissen wurden, einen gewissen Grad von Zivilisation aufzuweisen vermochten.

Der Ontario ist in unsern Tagen der Schauplatz wichtiger nautischer Entwicklungen gewesen. Wo sich vor einem halben Jahrhundert nur eine öde Wasserfläche zeigte, haben Flotten manövriert, und der Tag ist nicht fern, wo diese Kette von Seen als der Sitz einer Macht und mit allem befrachtet erscheinen wird, dessen die menschliche Gesellschaft bedarf. Ein Rückblick auf das, was diese weiten Räume ehedem waren, und wäre es auch nur durch die farbigen Gläser der Dichtkunst, mag vielleicht einen Beitrag zu der Vervollständigung des Wissens geben, das uns allein zu einer richtigen Würdigung der wunderbaren Mittel führen kann, deren sich die Vorsehung bedient, um dem Fortschritt der Zivilisation über das ganze amerikanische Festland Bahn zu brechen.

Im Dezember 1839.