Vierundzwanzigstes Kapitel

Sergeant Dunhams Augen ließen nicht ab, der Gestalt seiner lieblichen Tochter zu folgen, sobald das Licht erschienen war. Darauf warf er seinen Blick nach der Tür des Blockhauses, um sich zu überzeugen, daß sie gut verschlossen sei, denn man hatte ihn in dem unteren Raum gelassen, weil es an den Mitteln fehlte, ihn in das erste Stockwerk zu bringen. Dann suchte er wieder Mabels Antlitz; denn mit dem raschen Hinschwinden des Lebens steigert sich die Macht der Liebe, und wir würdigen das am meisten, was uns, wie wir fühlen, auf immer entrissen werden soll.

»Gott sei gelobt! mein Kind, du wenigstens bist ihren mörderischen Büchsen entronnen«, sagte er mit einer Stimme, deren Kraft seine Schmerzen nicht zu steigern schien. »Erzählt mir den Verlauf dieser traurigen Geschichte, Pfadfinder.«

»Ach, Sergeant! sie ist traurig gewesen, wie Ihr sagt. Wir sind verraten worden; man muß dem Feind die Lage der Insel mitgeteilt haben – das ist nach meiner Ansicht so gewiß, wie daß wir noch im Besitz des Blockhauses sind. Aber –«

»Major Duncan hatte recht«, unterbrach ihn Dunham, indem er seine Hand auf den Arm seines Freundes legte.

»Nicht in dem Sinne, wie Ihr meint, Sergeant – nein, nicht aus diesem Gesichtspunkt: nimmermehr! Wenigstens nach meiner Ansicht nicht. Ich kenne die Schwäche der menschlichen Natur – aber ich glaube nicht, daß ein treueres Herz an den Grenzen lebt als Jasper Western.«

»Gott segne Euch dafür, Pfadfinder!« rief Mabel aus ganzer Seele, indes eine Flut von Tränen ihrer Erregung Luft machte. »Der Brave darf nie den Braven verlassen – der Ehrliche muß dem Ehrlichen beistehen.«

Des Vaters Augen waren ängstlich auf das Gesicht seiner Tochter gerichtet, bis die letztere ihr Antlitz mit dem Gewand verhüllte, um ihre Tränen zu verbergen; dann blickte er forschend in die harten Züge des Kundschafters. Diese zeigten nur den gewöhnlichen Ausdruck der Freimütigkeit, Einfachheit und Biederkeit; und der Sergeant bat ihn fortzufahren.

»Ihr wißt, wo Chingachgook und ich Euch verlassen haben, Sergeant«, berichtete Pfadfinder weiter, »und ich brauch‘ also nichts von dem zu sagen, was vorher geschah. Es ist nun zu spät, das Vergangene zu bereuen, doch glaub‘ ich, daß es nicht so gekommen wäre, war‘ ich bei den Booten geblieben. Andere Leute mögen wohl auch gute Führer sein – aber es gibt bessere und schlechtere. Ich denke, der arme Gilbert, der meinen Platz einnahm, hat seinen Mißgriff büßen müssen.«

»Er fiel an meiner Seite«, antwortete der Sergeant mit leisem, traurigem Tone. »Wir haben wirklich alle für unsere Mißgriffe büßen müssen.«

»Nein, nein, Sergeant; ich hatte nicht die Absicht, ein Urteil über Euch zu fällen, denn nie waren Leute besser geführt als die Eurigen bei dieser Unternehmung. Nie ist man einem Feinde schöner in die Flanken gefallen, und an der Art, wie Ihr Euer Boot gegen seine Haubitzen führtet, hätte selbst Lundie eine Lektion nehmen können.«

Das Auge des Sergeanten leuchtete, und sein Gesicht trug sogar den Ausdruck eines militärischen Triumphes, der jedoch stets der bescheidenen Stellung angemessen blieb, in der der alte Soldat tätig gewesen war.

»Es war nicht schlecht ausgeführt, mein Freund«, sagte er, »wir nahmen ihr hölzernes Bollwerk im Sturm.«

»Es war schön ausgeführt, Sergeant; obgleich ich fürchte, es kommt am Ende drauf hinaus, daß diese Vagabunden ihre Haubitzen wiederkriegen. Aber – Mut gefaßt! Versucht, alles Unangenehme zu vergessen und denkt nur an die angenehme Seite der Geschichte. Das ist die beste Philosophie und die beste Religion obendrein. Wenn der Feind die Haubitzen wiederkriegt, so hat er nur das, was ihm vorhin gehörte; wir konnten’s nicht ändern. Das Blockhaus aber haben sie noch nicht und sollen’s auch nicht kriegen, wenn sie es nicht in der Dunkelheit anzünden. Nun, Sergeant, Schlange und ich trennten uns ungefähr zehn Meilen weiter unten im Fluß, denn wir hielten’s fürs Klügste, uns auch einem freundlichen Lager nicht ohne die gewöhnliche Vorsicht zu nähern. Was aus Chingachgook geworden, weiß ich nicht, obgleich mir Mabel sagt, er sei nicht fern, und ich zweifle nicht dran, daß der wackere Delaware seine Schuldigkeit tut, wenn er auch unseren Augen nicht sichtbar ist. Merkt Euch meine Worte, Sergeant – ehe diese Sache abgetan ist, werden wir in einem entscheidenden Augenblick und auf eine Weise von ihm hören, die seiner Klugheit und der guten Meinung, die man von ihm hat, angemessen ist. Ach, Schlange ist ein kluger und tugendhafter Häuptling, und manchem weißen Mann wären seine Gaben zu wünschen. Als ich näher gegen die Insel kam, vermißte ich den Rauch, und dies veranlaßte mich, auf der Hut zu sein; denn ich wußte, daß die Soldaten des Fünfundfünzigsten nicht schlau genug sind, um dieses Zeichen zu verbergen, obwohl man sie der Gefährlichkeit wegen oft gewarnt hat. Ich wurde vorsichtiger, bis ich jenen Scheinangler zu Gesicht bekam, wie ich bereits Mabel erzählt habe, wo dann das Ganze ihrer höllischen Künste so klar vor mir lag, als hätte ich’s auf dem Papier. Ich brauch‘ Euch nicht zu erzählen, Sergeant, daß ich zuerst an Mabel dachte, und daß ich, sobald ich fand, sie sei im Blockhaus, hierher kam, um mit ihr zu leben oder zu sterben.«

Der Vater warf seinem Kind einen zufriedenen Blick zu, und Mabel fühlte ein Herzweh, das sie in einem solchen Augenblick, wo sie gewünscht hätte, ihre ganze Sorge nur auf die Lage ihres Vaters zu verwenden, nicht für möglich gehalten hätte. Als der Verwundete die Hand gegen sie ausstreckte, ergriff sie diese und bedeckte sie mit Küssen.

Dann kniete sie an seiner Seite nieder und weinte, als ob ihr das Herz brechen wollte.

»Mabel«, sagte er fest, »der Wille des Herrn geschehe. Es ist vergeblich, dich oder mich selbst täuschen zu wollen; meine Stunde ist gekommen, und es ist mir ein Trost, wie ein Soldat zu sterben. Lundie wird mir Gerechtigkeit widerfahren lassen; denn unser Freund Pfadfinder wird ihm sagen, was geschehen und wie alles so gekommen ist. Du wirst unser letztes Gespräch nicht vergessen haben?«

»Ach, Vater, auch meine Stunde ist wahrscheinlich gekommen!« rief Mabel, der in diesem Augenblick der Tod als ein Bote des Trostes erschienen wäre; »ich hab‘ keine Hoffnung zu entkommen, und Pfadfinder würde besser tun, uns zu verlassen und mit den traurigen Neuigkeiten in die Garnison zurückzukehren, solange es ihm noch möglich ist.«

»Mabel Dunham«, sagte Pfadfinder vorwurfsvoll, obgleich er mit Güte ihre Hand faßte, »ich habe das nicht verdient. Ich weiß, ich bin wild, rauh, unbehilflich –«

»Pfadfinder!«

»Nun, wir wollen’s vergessen; Sie haben es nicht so gemeint, Sie können so was nicht denken. Es ist jetzt nutzlos, von Flucht zu reden, denn der Sergeant kann nicht von der Stelle, und das Blockhaus muß verteidigt werden, kost‘ es, was es wolle. Vielleicht erhält Lundie Nachricht von unserm Unglück und schickt uns Mannschaft, um die Belagerung aufzuheben.«

»Pfadfinder – Mabel!« sagte der Sergeant, der sich vor Schmerzen wand, bis ihm der kalte Schweiß auf der Stirn stand; »kommt beide an meine Seite. Ihr versteht einander, hoffe ich?«

»Vater, sprecht nicht davon. Es ist alles, wie Ihr’s wünscht.«

»Gott sei Dank! Gib mir deine Hand, Mabel – hier, Pfadfinder, nehmt sie. Ich kann nicht mehr tun, als Euch das Mädel auf diese Weise geben. Ich weiß, Ihr werdet ihr ein liebevoller Gatte sein. Verschiebt es nicht wegen meines Todes. Vor dem Eintritt des Winters wird ein Geistlicher in dem Fort eintreffen! laßt Euch dann zusammengeben. Mein Schwager, wenn er noch am Leben ist, wird sich nach dem Meer zurücksehnen, und dann wird das Kind keinen Beschützer haben. Mabel, dein Gatte ist mein Freund gewesen, das wird dir, hoff‘ ich, zu einigem Trost gereichen.«

»Überlaßt diese Sache mir, Sergeant«, warf Pfadfinder ein; »sie ist, wie Euer letzter Wunsch, wohlverwahrt in meinen Händen, und verlaßt Euch drauf, daß alles gehen wird, wie es soll.«

»Es ist recht so; ich setze mein ganzes Vertrauen auf dich, treuer Freund, und ermächtige dich, in allen Stücken zu handeln, wie ich es tun würde. Mabel, Kind – reiche mir das Wasser – du wirst diese Nacht nie bereuen. Gott segne dich, meine Tochter! Gott segne dich und bewahre dich unter seinem heiligen Schutz!«

Diese zärtliche Sorge machte einen unaussprechlich tiefen Eindruck auf Mabels Gefühle, und es war ihr in diesem Augenblick, als ob ihre künftige Verbindung mit Pfadfinder eine Weihe empfangen hätte, die keine kirchliche Zeremonie hätte erhöhen können. Aber doch lag eine Bergeslast auf ihrem Herzen, und sie würde den Tod für ein Glück gehalten haben. Es folgte nun eine kurze Pause, worauf der Sergeant in gebrochenen Sätzen kurz erzählte, wie es ihm gegangen, seit er sich vom Pfadfinder und dem Delawaren getrennt hatte. Der Wind war günstiger geworden, und statt, wie es im Anfang seine Absicht war, auf einer Insel zu lagern, hatte er sich entschlossen, weiterzufahren, um schon in der Nacht die Station zu erreichen. Ihre Annäherung würde, wie er glaubte, nicht bemerkt, und ein Teil des Unglücks verhütet worden sein, wenn sie nicht an der Spitze einer benachbarten Insel auf den Grund gelaufen wären, wo ohne Zweifel der Lärm, den seine Leute beim Aufbringen des Bootes gemacht, ihre Nähe verraten und den Feind in den Stand gesetzt hatte, sich zu ihrem Empfang vorzubereiten. Sie waren ohne die mindeste Ahnung einer Gefahr gelandet, obschon sie das Fehlen einer Schildwache überraschte, und ihre Waffen in den Booten gelassen, um zuvor ihre Tornister und Mundvorräte auszuschiffen. Das feindliche Feuer war so nahe, daß ungeachtet der Dunkelheit fast jeder Schuß tödlich wurde. Alle waren gefallen, obgleich sich nachher zwei oder drei wieder erhoben und verschwanden. Vier oder fünf Soldaten blieben tot auf dem Platze oder waren doch so verwundet, daß sie nur noch wenige Minuten lebten; doch eilte der Feind aus einem unbekannten Grunde nicht wie gewöhnlich herbei, um sich der Skalpe zu bemächtigen. Sergeant Dunham fiel mit den anderen. Mabels Stimme zu der Zeit, als sie das Blockhaus verlassen hatte, war zu seinen Ohren gedrungen, und dieser Ruf der Verzweiflung, der alle seine väterlichen Gefühle aufregte, hatte ihn in den Stand gesetzt, bis an die Tür des Gebäudes zu kriechen, wo er sich auf die bereits erwähnte Weise an dem Gebälk aufrichtete.

Nach dieser einfachen Auseinandersetzung fühlte sich der Sergeant so schwach, daß er der Ruhe bedurfte, und seine Gefährten verhielten sich, während sie auf seine Pflege bedacht waren, eine Weile schweigend. Pfadfinder nahm diese Gelegenheit wahr, durch die Schießscharten und vom Dach herab auszuspähen und untersuchte den Zustand der Büchsen, von denen sich ungefähr ein Dutzend im Gebäude befanden, da sich die Soldaten bei ihrem Ausflug der Musketen des Regiments bedient hatten. Mabel jedoch verließ ihren Vater keinen Augenblick, und wenn sie aus seinem Atmen vermutete, er schlafe, so fiel sie auf ihre Knie nieder und betete.

Die nächste halbe Stunde verfloß in feierlicher Stille. Man hörte im oberen Stock kaum den Mokassin des Pfadfinders und wie er hin und wieder einen Büchsenschaft auf dem Boden aufstellte, denn er war geschäftig, sich die Sicherheit zu verschaffen, daß die Ladungen und Schlösser der Gewehre in Ordnung seien. Außer diesem ließ sich nichts als das Atmen des Verwundeten vernehmen. Aber Dunham schlief nicht. Er war in jenem Zustand, wo die Welt plötzlich ihre Reize, ihre Täuschungen und ihre Macht verliert, und eine unbekannte Zukunft die Seele mit Ahnungen, Lichtblicken und ihrer ganzen Unendlichkeit erfüllt. Er war für einen Soldaten ein sittlicher Mann gewesen, hatte aber wenig über diesen allerwichtigsten Lebensabschnitt nachgedacht. Hätte der Schlachtenruf in seinem Ohr geklungen, so hätte das kriegerische Feuer bis zu seinem Ende ausdauern mögen; hier aber, im Schweigen des fast unbewohnten Blockhauses, ohne irgendeinen belebenden Ton, ohne einen Aufruf, um erkünstelte Gefühle rege zu erhalten, ohne die Hoffnung eines zu erringenden Sieges – fingen die Dinge nun an, ihm in ihren wahren Farben zu erscheinen, und er lernte den Zustand des Daseins in seinem eigentlichen Wert würdigen. Auch fühlte er die volle Verantwortlichkeit eines Vaters, und es kamen ihm einige Gewissensbisse über die Art, mit der er sich seiner Pflichten gegen die arme Waise entledigt hatte. Während derartige Gedanken seine Seele beschäftigten und Mabel auf die leichteste Veränderung in seinem Atem achtete, vernahm sie ein leises Pochen an der Tür. Sie dachte, es möchte von Chingachgook herrühren, stand auf, entfernte zwei Querbalken und fragte, den dritten in ihrer Hand, wer draußen sei. Die Stimme ihres Onkels antwortete und bat um augenblicklichen Einlaß. Ohne die mindeste weitere Zögerung drehte sie den dritten Riegel zurück, und Cap trat ein. Er war kaum durch die Öffnung geschlüpft, als Mabel die Tür wieder so fest wie vorher verschloß, denn die Übung hatte sie mit diesem Teil ihrer Obliegenheit vertraut gemacht.

Als der rauhe Seemann die Lage seines Schwagers erfuhr und sich selbst sowohl als Mabel gerettet sah, wurde er fast zu Tränen bewegt. Sein eigenes Erscheinen erklärte er dadurch, daß er sorglos bewacht worden sei, weil man glaubte, daß er und der Quartiermeister unter dem Einfluß der geistigen Getränke schliefen, die man ihnen in der Absicht, sie bei dem bevorstehenden Geschäft ruhig zu erhalten, in Menge vorgesetzt hatte. Muir schlief oder schien zu schlafen, als sich Cap während der Unruhe des Angriffs in das Gebüsch flüchtete, wo er Pfadfinders Kahn fand und es ihm endlich gelang, das Blockhaus zu erreichen, von wo aus er seine Nichte zu Wasser zu entführen beabsichtigte.

»Wenn es zum Schlimmsten kommt, Meister Pfadfinder«, sagte er, »so müssen wir eben die Flagge streichen, und das wird uns einen Anspruch auf Pardon geben. Wir sind es unserer Mannheit schuldig, uns so lange als tunlich zu halten; für uns selbst aber haben wir die Verpflichtung, die Flagge niederzuhalten, wenn es noch Zeit ist, anständige Bedingungen zu machen. Ich wünschte, Herr Muir sollte dasselbe tun, als wir von diesen Burschen, die Ihr Landstreicher nennt, gefangen wurden – ja, sie heißen mit Recht so, denn elendere Landstreicher gibt es nicht auf der Erde –«

»Ihr habt ihren Charakter jetzt kennengelernt?« unterbrach ihn Pfadfinder, der immer bereit war, ebensogut in die Schmähungen gegen die Mingos wie in das Lob seiner Freunde einzustimmen. »Ja, wenn Ihr in die Hände der Delawaren gefallen wärt, so würdet Ihr wohl einen Unterschied gefunden haben.«

»Ach, mir schienen sie ganz von derselben Art zu sein, Halunken hinten und vorn, natürlich Euren Freund, die Schlange, ausgenommen, der ein wahrer Gentleman von einem Indianer ist. Aber als diese Wilden ihren Ausfall auf uns machten und den Korporal M’Nab und seine Leute wie die Hasen niederschossen, nahmen wir – der Quartiermeister und ich – unsere Zuflucht zu einer der Höhlen dieser Insel, von denen es viele unter den Felsen gibt – regelmäßige, geologische Unterhöhlungen durch das Wasser, wie der Leutnant sagt –, und da blieben wir eingestaut wie zwei Belagerte in einem Schiffsraum, bis uns der Mangel an Nahrung heraustrieb. Man kann sagen, die Nahrung sei das Fundament der Menschennatur. Ich verlangte von dem Quartiermeister, er solle Bedingungen machen, denn wir hätten uns auf dem Platze, so schlecht er auch war, ein oder zwei Stunden verteidigen können; aber er lehnte es ab, weil diese Schurken doch nicht Wort halten würden, wenn man einen von ihnen verwundete, und so war also von Unterhandlungen keine Rede. Ich gab aus zwei Gründen meine Einwilligung zum Streichen; erstens da man von uns sagen konnte, wir hätten bereits gestrichen, denn das Laufen nach unten wird schon im allgemeinen für ein Aufgeben des Schiffes betrachtet, und zweitens hatten wir einen Feind in unserm Magen, dessen Angriffe furchtbarer waren als der Feind auf dem Verdeck. Der Hunger ist ein verdammter Umstand, wie jeder zugeben wird, der sich achtundvierzig Stunden mit ihm ‚rumgeschlagen hat.«

»Onkel!« sagte Mabel mit trauriger Stimme und bittender Gebärde, »mein armer Vater ist schwer, schwer verwundet!«

»Du hast recht, Magnet; du hast recht; ich will mich zu ihm setzen und mein Bestes tun, ihn zu trösten. Sind die Balken gut vorgelegt, Mädel? Denn bei einer solchen Gelegenheit muß der Geist ruhig und ungestört sein.«

»Ich glaube, wir sind vor allem sicher, nur nicht vor diesem schweren Schlag des Schicksals.«

»Gut also, Magnet; geh in den oberen Stock hinauf und versuch, dich zu sammeln, indes der Pfadfinder über dem Verdeck patrouilliert und von dem Mastbaumkreuzen seinen Lugaus nimmt. Dein Vater will mir was anvertrauen, und es wird gut sein, wenn du uns allein läßt. Das sind feierliche Momente, und so unerfahrene Leute, wie ich, haben’s nicht gerne, daß man alles hört, was sie sagen.«

Obgleich Mabel nie der Gedanke gekommen war, daß ihr Onkel an der Seite eines Sterbebettes von den Tröstungen der Religion Gebrauch machen würde, so glaubte sie doch, daß er irgendeinen besonderen Grund zu dieser Bitte habe, der ihr unbekannt sei, und fügte sich deshalb darein. Pfadfinder hatte bereits das Dach bestiegen, um sich in der Gegend umzusehen, und die beiden Schwäger blieben allein. Cap setzte sich an die Seite des Sergeanten und sann ernstlich über die wichtige Pflicht nach, die er zu erfüllen hatte. Einige Minuten herrschte tiefes Schweigen, während der Seemann den Entwurf seiner beabsichtigten Rede überdachte.

»Ich muß sagen, Sergeant Dunham«, begann Cap endlich in seiner eigentümlichen Weise, »daß in diesem unglücklichen Zug eine schlechte Führung stattgefunden hat, und da wir nun Gelegenheit haben, die Wahrheit – und nichts als die Wahrheit – auszusprechen, so halt‘ ich’s für meine Pflicht, dieses unumwunden zu tun. Mit einem Wort, Sergeant – über diesen Punkt kann es nicht wohl zwei Meinungen geben; denn obgleich ich nur ein Seemann und kein Soldat bin, so kann ich doch selbst mehrere Fehler entdecken, deren Auffindung gerade keiner besondern Vorstudien bedarf.«

»Was willst du damit, Bruder Cap?« erwiderte der andere mit schwacher Stimme. »Was geschehen ist, ist geschehen; und es ist jetzt zu spät, es zu ändern.«

»Sehr wahr, Bruder Dunham; aber nicht, es zu bereuen. Das Gute Buch sagt uns, daß die Reue nie zu spät kommt, und ich hab‘ immer gehört, ein Augenblick, wie der gegenwärtige, sei der kostbarste zu einem solchen Geschäft. Wenn du was auf deiner Seele hast, Sergeant, so gib’s los, denn du weißt, daß du dich einem Freund anvertraust. Du bist meiner Schwester Mann gewesen, und die arme kleine Magnet ist meiner Schwester Tochter; magst du nun am Leben bleiben oder sterben, so werd‘ ich dich immer wie einen Bruder betrachten. Es ist jammerschade, daß du nicht mit den Booten liegen bliebst und einen Kahn zum Rekognoszieren vorausschicktest, du würdest dann deine Leute gerettet und diesen Unfall von unseren Häuptern abgewendet haben. Nun, Sergeant, wir sind alle sterblich – das ist ohne Zweifel einiger Trost, und wenn du auch vorangehst, so kommt doch die Reihe bald an uns. Ja, das muß dir zum Trost gereichen.«

»Ich weiß das alles, Bruder Cap, und hoffe, ich bin vorbereitet, das Schicksal eines Soldaten zu erfüllen; – aber die arme Mabel –«

»Ja, ja, das treibt schwer vor Anker, ich weiß; aber du möchtest sie doch nicht mitnehmen, wenn du auch könntest, Sergeant, und so ist es besser, sich die Trennung so leicht wie möglich zu machen. Mabel ist ein gutes Mädel, wie ehedem ihre Mutter; sie war meine Schwester, und ich will dafür sorgen, daß ihre Tochter einen braven Mann bekommt, wenn wir mit dem Leben und unsern Skalpen davonkommen: Denn ich denke, daß es niemand drum zu tun sein würde, in eine Familie, die keine Skalpe hat, reinzuheiraten.«

»Bruder, mein Kind ist versprochen; sie wird das Weib des Pfadfinders werden.«

»Nun, Bruder Dunham, jeder hat seine besonderen Begriffe und Lebensansichten, und der Handel kann, wie mir vorkommt, Mabel nichts weniger als angenehm sein. Ich hab‘ nichts gegen das Alter des Mannes einzuwenden, denn ich gehör‘ nicht zu denen, die es für nötig halten, daß man ein Knabe sein muß, um ein Mädchen glücklich zu machen, sondern halt‘ im allgemeinen einen Fünfziger für den geeignetsten Ehemann; aber es darf kein Umstand zwischen den Parteien obwalten, der sie unglücklich machen könnte. Im Ehestand sind Umstände des Teufels, und es kommt mir fast als ein solcher vor, daß der Pfadfinder nicht soviel Kenntnisse hat wie meine Nichte. Du hast nur wenig von dem Mädel gesehen, Sergeant, und bist mit dem Umfang ihres Wissens nicht bekannt; aber sie soll ihn einmal auskramen, sie soll ihn dir durch und durch zeigen, und du wirst mir beistimmen, daß nur wenige Schulmeister mit ihr Luv halten können.«

»Sie ist ein gutes Kind, ein liebes, gutes Kind«, flüsterte der Sergeant mit tränenfeuchtem Auge; »und es ist mein Mißgeschick, daß ich nur so wenig von ihr gesehen habe.«

»Sie ist, bei Gott! ein gutes Mädel und weiß viel zuviel für den armen Pfadfinder, der zwar in seiner Weise ein ganz vernünftiger und erfahrener Mann ist, aber von der Hauptsache nichts weiter versteht, als du von der sphärischen Trigonometrie, Sergeant.«

»Ach, Bruder Cap, wär‘ der Pfadfinder bei uns in den Booten gewesen, so hätt’s wahrscheinlich nicht diesen traurigen Ausgang genommen.«

»Das ist wohl möglich, denn sein ärgster Feind muß ihm nachsagen, daß er ein guter Kundschafter ist. Aber, Sergeant, die Wahrheit zu sagen, du hast diese Expedition ziemlich auf die leichte Achsel genommen. Du hättest vor dem Hafen bleiben und ein Rekognoszierboot ausschicken sollen, wie ich dir vorhin gesagt habe. Das ist eine Sache, die du bereuen solltest; und ich sag’s dir, weil man in einem solchen Falle die Wahrheit sprechen muß.«

»Meine Verirrungen sind mir teuer zu stehen gekommen, Bruder; und ich fürchte, die arme Mabel wird es auszubaden haben. Doch ich glaube, daß uns das Unglück nicht begegnet wäre, wenn nicht Verrat die Hand im Spiele gehabt hätte. Ich fürchte, Bruder, es ist ein Streich von Eau-douce.«

»Das ist auch meine Ansicht, denn dieses Frischwasserleben muß früher oder später die Sittlichkeit eines jeden untergraben. Leutnant Muir und ich haben viel über diesen Gegenstand gesprochen, während wir da draußen in einem Stückchen Höhle lagen, und wir kamen beide zu dem Schluß, daß nur Jaspers Verräterei uns alle in diese höllische Klemme gebracht hat. Doch, Sergeant, es ist besser, du sammelst deinen Geist und denkst an andere Gegenstände, denn wenn ein Fahrzeug im Begriff ist, in einen fremden Hafen einzufahren, so ist es klüger, an den Ankergrund drinnen zu denken, als sich durch Betrachtung aller Begebnisse während der Reise stören zu lassen. Solche Dinge aufzuzeichnen, ist das Logbuch ausdrücklich vorhanden, und was in dem steht, bildet die Spalten, die für oder gegen uns sprechen. – Nun, Pfadfinder, was gibt’s? Ist was gegen uns in dem Wind, daß Ihr die Leiter herunterkommt, wie ein Indianer in dem Kielwasser eines Skalps?«

Der Kundschafter winkte mit dem Finger zu schweigen, und er bedeutete Cap, daß er die Leiter hinaufsteigen und seinen Platz an der Seite des Sergeanten Mabel einräumen solle.

»Wir müssen klug, aber auch zugleich kühn sein«, sagte er leise. »Dieses Gezücht macht Ernst mit seiner Absicht, das Blockhaus anzuzünden, denn sie wissen, daß jetzt nichts mehr zu gewinnen ist, wenn sie es stehen lassen. Ich hörte die Stimme des Strolches Pfeilspitze unter ihnen, der sie antrieb, ihre Teufelei noch in dieser Nacht auszuführen. Wir müssen rührig sein, Salzwasser, und tätig dazu. Zum Glück sind vier oder fünf Tonnen mit Wasser in dem Blockhaus, und das ist schon ein bißchen was bei einer Belagerung. Auch müßt‘ ich mich sehr verrechnen, wenn wir nicht noch einigen Vorteil aus dem Umstand ernten könnten, daß der ehrliche Chingachgook in Freiheit ist.«

Cap ließ sich nicht zweimal auffordern, sondern schlich sich weg und war bald mit Pfadfinder in dem oberen Raum, indem Mabel seine Stelle an dem ärmlichen Lager ihres Vaters einnahm. Pfadfinder öffnete, nachdem er das Licht so weit verborgen hatte, daß es ihn keinem verräterischen Schuß aussetzen konnte, eine Schießscharte, und hielt, da er eine Aufforderung erwartete, sein Gesicht an die Öffnung, um sogleich antworten zu können. Die nun folgende Stille wurde endlich durch Muirs Stimme unterbrochen.

»Meister Pfadfinder«, rief der Schotte, »ein Freund fordert Euch zu einer Besprechung auf. Kommt ohne Scheu an eine der Öffnungen, denn Ihr habt nichts zu fürchten, solang‘ Ihr mit einem Offizier des Fünfundfünfzigsten verhandelt.«

»Was begehren Sie, Quartiermeister? Was wollen Sie? Ich kenne das Fünfundfünfzigste und glaube, daß es ein braves Regiment ist, obgleich ich’s mit dem Sechzigsten lieber zu tun habe, und am allerliebsten mit den Delawaren. Aber was verlangen Sie von mir, Quartiermeister? Es muß eine dringende Botschaft sein, die Sie zu dieser Stunde der Nacht unter die Schießscharten eines Blockhauses bringt, in dessen Innerem, wie Sie wissen, der Wildtod ist.«

»Oh, ich weiß gewiß, daß Ihr einem Freund kein Leid tun werdet, und das ist meine Beruhigung. Ihr seid ein Mann von Verstand und habt Euch durch Eure Tapferkeit einen zu großen Namen an der Grenze erworben, als daß Ihr es für nötig halten könntet, ihn durch Tollkühnheit in Ehren zu erhalten. Ihr werdet wohl einsehen, mein guter Freund, daß man, wenn Widerstand unmöglich ist, durch eine freiwillige Unterwerfung ebensoviel Achtung gewinnen kann wie durch ein hartnäckiges, gegen alle Kriegsregeln laufendes Ausharren. Der Feind ist zu stark für uns, mein wackerer Kamerad, und ich komme, Euch zu raten, das Blockhaus zu übergeben unter der Bedingung, als Kriegsgefangener behandelt zu werden.«

»Ich dank‘ Ihnen für diesen Rat, Quartiermeister, der um so annehmlicher ist, da er nichts kostet; aber ich glaube, es gehört nicht zu meinen Gaben, einen solchen Platz aufzugeben, solange Proviant und Wasser da ist.«

»Gut, ich würde der letzte sein, Pfadfinder, der gegen ein solches mutiges Vorhaben irgendwas zu erinnern hätte, wenn ich die Möglichkeit seiner Ausführung einsehen könnte. Aber Ihr werdet wissen, daß Meister Cap gefallen ist.«

»Ah, bewahre«, krächzte Cap durch eine andere Schießscharte; »er ist so wenig gefallen, Leutnant, daß er vielmehr zu der Höhe dieser Befestigung gestiegen ist und nicht im Sinn hat, seinen Kopf wieder in die Hände solcher Barbiere zu geben, solange er’s ändern kann. Ich betrachte dieses Blockhaus als einen Umstand und denke nicht daran, ihn von mir zu werfen.«

»Wenn das die Stimme eines Lebenden ist«, erwiderte Muir, »so freut mich’s, sie zu vernehmen; denn wir alle glauben, der Mann, dem sie angehört, sei in der letzten schrecklichen Verwirrung gefallen. Aber Meister Pfadfinder, obgleich Ihr Euch der Gesellschaft Eures Freundes Cap erfreut, was großes Vergnügen gewährt, wie ich aus Erfahrung weiß, da ich zwei Tage und zwei Nächte mit ihm in einer Höhle unter der Erde zubrachte, so haben wir doch den Sergeanten Dunham verloren, der mit allen Tapferen gefallen ist, die er in der letzten Expedition anführte. Lundie wollte es so haben, obschon es vernünftiger und passender gewesen wäre, einem wirklichen Offizier das Kommando zu übertragen. Dunham war aber trotzdem ein braver Soldat; Ehre seinem Andenken! Kurz, wir haben alle unser Bestes getan, und mehr läßt sich selbst zugunsten des Prinzen Eugen oder des Herzogs von Marlborough nicht sagen.«

»Sie sind wieder irrig daran, Quartiermeister, Sie sind wieder irrig daran«, antwortete Pfadfinder, indem er, um der Stärke seiner Verteidigungsmittel mehr Achtung zu verschaffen, zu einer List seine Zuflucht nahm. »Der Sergeant ist gleichfalls wohlbehalten im Blockhaus und daher sozusagen die ganze Familie beieinander.«

»Gut – es freut mich, das zu hören, denn wir hatten den Sergeanten zuverlässig zu den Erschlagenen gezählt. Aber wenn die schöne Mabel noch in dem Blockhaus ist, so laßt sie nur um des Himmels willen keinen Augenblick mehr darin bleiben, denn der Feind ist im Begriff, das Gebäude der Feuerprobe zu unterwerfen. Ihr kennt die Macht dieses fürchterlichen Elements und werdet mehr als der verständige, erfahrene Krieger handeln, für den man Euch allgemein betrachtet, wenn Ihr einen Platz aufgebt, den Ihr nicht verteidigen könnt, als wenn Ihr Eure Gefährten in Euern Untergang mit hereinzieht.«

»Ich kenne die Macht des Feuers, wie Sie es nennen, Quartiermeister, und brauch‘ mir nicht erst sagen zu lassen, daß es sich auch noch zu was anderem als zum Kochen des Mittagessens benutzen läßt. Ich zweifle jedoch nicht, daß auch Sie was von der Macht des Wildtodes gehört haben, und der Mann, der es wagt, einen Reisbündel an diese Balken zu legen, soll was davon zu kosten kriegen. Was die Pfeile anbelangt, so gehört es nicht zu ihren Gaben, dieses Gebäude in Brand zu stecken, denn wir haben keine Schindeln auf unserem Dach, sondern gute, kernige Klötze und grüne Rinde; außerdem Wasser die Fülle. Auch ist das Dach so flach, daß wir darauf herumgehen können, wie Sie wohl wissen, Quartiermeister, und so hat’s also von dieser Seite keine Gefahr, solange das Wasser ausreicht. Ich bin friedlich genug, wenn man mich zufrieden läßt; wer’s aber versucht, dieses Blockhaus über meinem Kopf anzuzünden, der soll finden, daß sich das Feuer in seinem Blut kühlen wird.«

»Das sind unnütze und romanhafte Reden, Pfadfinder, und Ihr werdet sie selbst nicht festhalten, wenn Ihr über die Wirklichkeit nachdenkt. Ich hoffe, Ihr werdet gegen die Loyalität und den Mut des Fünfundfünfzigsten nichts einzuwenden haben, und ich bin überzeugt, daß sich ein Kriegsrat unverzüglich zu einer Übergabe entschließen würde. Nein, nein, Pfadfinder, Tollkühnheit ist der Tapferkeit eines Wallace oder Bruce nicht ähnlicher als Albany am Hudson der alten Stadt Edinburgh.«

»Da ein jeder von uns mit sich im reinen zu sein scheint, so sind weitere Worte fruchtlos. Wenn dieses Gewürm in ihrer Nähe Lust hat, sein höllisches Werk auszuführen, so soll’s bloß mal anfangen. Sie können Holz und ich Pulver verbrennen. Wenn ich ein Indianer am Pfahl wäre, so glaub‘ ich, ich könnte ebensogut prahlen wie die übrigen; aber meine Natur und meine Gaben sind die eines Weißen, und ich halt‘ es daher lieber mit Handlungen als mit Worten. Sie haben nun für einen Offizier in des Königs Dienst genug gesagt; und sollten wir auch alle von den Flammen verzehrt werden, so wird niemand von uns Ihnen einen Groll nachtragen.«

»Pfadfinder, Ihr werdet doch Mabel, die schöne Mabel Dunham, nicht einem solchen Unglück aussetzen wollen?«

»Mabel Dunham ist an der Seite ihres Vaters, und Gott wird für die Sicherheit eines frommen Kindes Sorge tragen. Kein Haar soll von ihrem Haupt fallen, solange mir Arm und Auge treu bleibt. Mögen Sie immer auf die Mingos Ihr Vertrauen setzen, Herr Muir, ich wenigstens tue es nicht. Sie haben dort einen schurkischen Tuscarora in Ihrer Gesellschaft, der Bosheit und Verschlagenheit genug besitzt, die Ehre eines jeden Stammes, zu dem er sich hält, zu vernichten, obgleich er, wie ich fürchte, die Mingos hinlänglich verderbt gefunden hat. Doch kein Wort mehr; mag jede Partei nun von ihren Mitteln und Gaben Gebrauch machen.«

Während des ganzen Gesprächs hatte der Pfadfinder seinen Körper gedeckt gehalten, damit ihn kein verräterischer Schuß durch die Schießscharte treffe, und nun gab er Cap die Weisung, auf das Dach zu steigen, um zur Begegnung des ersten Angriffs bereit zu sein. Obgleich der letztere so ziemlich an Eile gewöhnt war, so fand er doch wenigstens schon zehn flammende Pfeile in der Rinde stecken, indes die Luft von den gellenden Tönen des feindlichen Kriegsgeschreis erfüllt wurde. Darauf folgte ein rasches Büchsenfeuer und die Kugeln knatterten gegen die Holzstämme, so daß es deutlich war, der Kampf habe allen Ernstes begonnen.

Dies waren jedoch Töne, die weder Pfadfinder noch Cap erschreckten, und Mabel war zu sehr in ihren Kummer vertieft, um Unruhe zu fühlen. Auch war sie verständig genug, die Natur der Verteidigungsmittel zu verstehen und ihre Wirksamkeit zu würdigen. In dem Sergeanten jedoch weckte dieser Lärm wieder neues Leben, und mit Wehmut bemerkte in diesem Augenblick sein Kind, daß das matte Auge abermals zu leuchten begann und das Blut in die erblaßten Wangen zurückkehrte, als er diesen Aufruhr vernahm. Mabel bemerkte jetzt zum erstenmal, daß sein Geist anfing, irre zu werden.

»Leichte Kompagnien vor!« flüsterte er. »Grenadiere, Feuer! Wagen sie’s, uns in unserm Fort anzugreifen? Warum gibt die Artillerie nicht Feuer auf sie?«

In diesem Augenblick ließ sich der dumpfe Knall eines schweren Geschützes durch die Nacht vernehmen. Man hörte das Krachen des zersplitterten Holzes, als eine schwere Kugel die Stämme des oberen Raumes zerriß, und das ganze Blockhaus erbebte unter der Gewalt einer Bombe, die in das Haus gedrungen war. Der Pfadfinder entging kaum diesem schrecklichen Geschoß; aber als es platzte, konnte Mabel einen Ruf des Schreckens nicht unterdrücken, da sie alles Lebende und Leblose über ihrem Haupt für zerstört hielt. Um ihr Entsetzen zu vermehren, rief ihr Vater mit wütender Stimme: »Zum Angriff!«

»Mabel«, rief Pfadfinder durch die Falltür herunter, »das ist echte Mingoarbeit – mehr Lärm als Schaden. Die Landstreicher haben sich der Haubitze, die wir den Franzosen abnahmen, bemächtigt und sie gegen das Blockhaus abgefeuert. Zum Glück haben sie jetzt die einzige Bombe, die wir hatten, verschossen, und es ist nun nichts Derartiges mehr zu fürchten. Es ist dadurch zwar einige Verwirrung in die Vorräte dieses Stockwerks gekommen, aber niemand ist verletzt. Ihr Onkel ist noch auf dem Dach, und was mich anbelangt, so hab‘ ich schon zu oft im Kugelregen gestanden, um mich durch ein Ding wie ’ne Haubitze einschüchtern zu lassen, und dazu noch in den Händen von Indianern.«

Mabel flüsterte ihren Dank und versuchte es, ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihren Vater zu wenden, der immer aufstehen wollte und nur durch seine Schwäche davon abgehalten wurde. Während der schrecklichen Minuten, die nun folgten, war sie so sehr mit der Pflege des Kranken beschäftigt, daß sie kaum des Geschreis achtete, das rundherum tobte. Der Aufruhr war aber auch so groß, daß, hätten ihre Gedanken nicht eine andere Richtung genommen, wahrscheinlich eher Verwirrung des Verstandes als Entsetzen die Folge gewesen wäre.

Cap entwickelte eine bewunderungswürdige Besonnenheit. Er hatte allerdings einen großen und sich immer steigernden Respekt vor der Macht der Wilden und der Majestät des Frischwassers; aber alle seine Befürchtungen vor den Wilden gingen mehr von der Scheu, skalpiert und gemartert zu werden, als von einer unmännlichen Todesfurcht aus. Da er nun, wenn auch nicht auf dem Verdeck eines Schiffes, so doch auf dem Verdeck eines Hauses stand und wußte, daß ein Entern nicht zu befürchten war, so bewegte er sich mit einer Furchtlosigkeit und einer tollkühnen Gefährdung seiner Person hin und her, die der Pfadfinder, wenn er sie bemerkt hätte, zuerst getadelt haben würde. Statt nach der Gewohnheit des Indianerkriegs seinen Körper gedeckt zu halten, zeigte er sich an jeder Stelle des Daches und goß rechts und links mit jener Beharrlichkeit und Unbesorgtheit Wasser aus, mit der ein Segelsetzer seine Kunst in einer Seeschlacht ausgeübt hätte. Seine Erscheinung war eine der Ursachen des außerordentlichen Geschreis unter den Angreifenden, die, nicht daran gewöhnt, ihre Feinde so unbekümmert zu sehen, ihre Zungen gegen ihn schießen ließen wie eine Meute Hunde, die den Fuchs im Auge haben. Er schien jedoch ein durch Zauber geschütztes Leben zu besitzen, denn obgleich die Kugeln von allen Seiten um ihn pfiffen und seine Kleider verschiedene Male durchbohrten, so konnte ihm doch keine die Haut ritzen. Als die Bombe weiter unten durch die Balken drang, ließ der alte Seemann seinen Eimer fallen, schwenkte seinen Hut und ließ drei Hurras erschallen, und gerade während dieses heroischen Aktes platzte das gefährliche Geschoß. Diese charakteristische Tat rettete wahrscheinlich sein Leben; denn von diesem Augenblick an ließen die Indianer nach, auf ihn zu feuern oder ihre flammenden Pfeile nach dem Blockhaus zu schießen, da sie gleichzeitig und übereinstimmend die Überzeugung gewannen, daß das »Salzwasser« toll sei; und es ist ein eigentümlicher Zug ihrer Großmut, daß sie nie Hand an jene legten, deren Verstand sie verwirrt glaubten.

Pfadfinders Benehmen war sehr verschieden. Was er tat, geschah mit der genauesten Berechnung – eine Folge langjähriger Erfahrung und gewohnter Besonnenheit. Er hielt sich sorgfältig aus den Linien der Schießscharten, und der Ort, den er zu seinem Lugaus gewählt hatte, war keiner Gefahr ausgesetzt. Man wußte von diesem berühmten Kundschafter, daß er oft, wo nichts mehr zu hoffen war, einen glücklichen Ausweg gefunden hatte: daß er schon einmal am Pfahl stand und die Grausamkeiten und Hohnworte des wilden indianischen Witzes ohne einen Klagelaut erduldete. Erzählungen von seinen Taten, von seiner Besonnenheit und seiner Kühnheit waren an der ganzen weiten Grenze, wo nur immer Menschen wohnten und Menschen kämpften, im Umlauf. Aber bei dieser Gelegenheit hätte einer, der seine Geschichte und seinen Charakter nicht kannte, der außerordentlichen Vorsicht und der großen Aufmerksamkeit auf seine Selbsterhaltung einen unwürdigen Beweggrund unterschieben können. Ein solcher Richter hätte jedoch den Mann nicht verstanden. Der Pfadfinder dachte an Mabel und an die wahrscheinlichen Folgen, denen das arme Mädchen ausgesetzt wäre, wenn ihm selbst ein Unfall begegnete; aber dieser Gedanke – statt seine gewohnte Klugheit zu ändern, schärfte eher seine geistigen Kräfte. Er war wirklich einer von denen, die Furcht so wenig kennen, daß sie gar nicht daran denken, was andere von ihrem Benehmen denken mögen. Aber wenn er in Augenblicken der Gefahr mit der Klugheit der Schlange handelte, so tat er es auch mit der Einfalt eines Kindes.

Während der ersten zehn Minuten des Angriffs erhob Pfadfinder nie den Schaft seiner Büchse von dem Boden, als wenn er seine Stellung wechselte, denn er wußte wohl, daß die feindlichen Kugeln gegen die dicken Holzstämme des Werks vergeblich abgeschossen waren; und da er bei Wegnahme der Haubitze mit tätig gewesen, so konnte er der festen Überzeugung leben, daß die Wilden keine andere Bombe besäßen als jene, die sich in dem genommenen Mörser befunden hatte. Es war daher kein Grund vorhanden, das Feuer der Angreifenden zu fürchten, wenn nicht zufällig eine Kugel durch die Öffnung einer Schießscharte flog. Dies kam ein- oder zweimal vor, aber die Kugeln waren unter einem Winkel eingedrungen, der sie unschädlich machte, solange sich die Indianer in der Nähe des Blockhauses hielten, und wenn sie aus größerer Entfernung abgeschossen wurden, so war kaum die Möglichkeit vorhanden, daß von Hunderten eine die Öffnung träfe. Als aber Pfadfinder den Ton eines Mokassintrittes und das Rascheln von Gestrüpp am Fuß des Gebäudes vernahm, so wurde es ihm klar, daß der Versuch, Feuer an die Balken zu legen, erneuert werden sollte. Er rief daher Cap vom Dach, wo jetzt keine Gefahr mehr zu befürchten war und forderte ihn auf, sich mit seinem Wasser an einer Öffnung, die unmittelbar über der bedrohten Stelle lag, bereit zu halten.

Ein Mann von weniger Erfahrung als unser Held möchte wohl zu hastig einen so gefährlichen Versuch zu vereiteln gesucht und zu früh zu den Hilfsmitteln, die ihm zu Gebote standen, seine Zuflucht genommen haben – aber nicht so Pfadfinder. Seine Absicht war nicht nur, das Feuer zu löschen, das ihm wenig Besorgnis einflößte, sondern vielmehr, dem Feind eine Lehre zu geben, die ihn für den Rest der Nacht vorsichtig machen sollte. Um das letztere Vorhaben auszuführen, mußte er warten, bis ihm das Licht des beabsichtigten Brandes ein Ziel zeigte; denn er wußte wohl, daß dann eine kleine Probe seiner Geschicklichkeit zureichen würde. Er ließ daher die Irokesen unangefochten dürres Gestrüpp sammeln, es am Blockhaus aufhäufen, anzünden und sie wieder in ihre Verstecke zurückkehren. Cap sollte nur ein volles Wasserfaß unmittelbar zu der Öffnung über der bedrohten Stelle rollen, um im geeigneten Augenblick für den Gebrauch bereit zu sein. Dieser Augenblick war aber, nach Pfadfinders Ansicht, nicht früher vorhanden, als bis die Flamme das benachbarte Gebüsch beleuchtete und dem raschen und geübten Auge des Kundschafters Zeit gelassen hatte, die Gestalten von drei oder vier lauernden Wilden zu entdecken, die mit der kalten Gleichgültigkeit von Menschen, die gewöhnt sind, teilnahmslos auf das menschliche Elend zu blicken, auf die Fortschritte des Brandes achteten. Jetzt erst sprach er.

»Seid Ihr bereit, Freund Cap?« fragte er. »Die Hitze fängt an, durch die Spalten zu dringen, und obgleich diese grünen Stämme nicht die feuerfangende Natur eines reizbaren Menschen haben, so mögen sie doch am Ende auflodern, wenn man sie allzusehr herausfordert. Seid Ihr mit dem Faß bereit? Gebt acht, daß Ihr es in die rechte Lage bringt, und daß das Wasser nicht unnötig verwendet wird.«

»Alles bereit!« antwortete Cap in dem Ton, mit dem der Matrose auf dem Schiff eine solche Aufforderung zu erwidern pflegt.

»Dann wartet, bis ich Euch weitere Weisung gebe. Man darf sowenig zu hastig in einem gefährlichen Augenblick sein wie tollkühn in einer Schlacht. Wartet, bis ich’s Euch sage.«

Während der Pfadfinder diese Anweisungen gab, machte er seine eigenen Vorbereitungen, denn er sah, daß der Augenblick des Handelns gekommen sei. Der Wildtod wurde vorsichtig gehoben, angelegt und abgefeuert. Das Ganze dauerte ungefähr eine halbe Minute, und nachdem er die Büchse wieder hereingenommen hatte, brachte der Schütze sein Auge an die Schießscharte.

»Eines von diesen Reptilien weniger«, brummte Pfadfinder in den Bart. »Ich habe diesen Strolch schon früher mal gesehen, und ich kenn‘ ihn als einen schonungslosen Teufel. Noch einen von diesen Schuften, und das wird guttun für diese Nacht. Wenn das Tageslicht kommt, werden wir heißere Arbeit kriegen.«

Mittlerweile wurde eine andere Büchse bereitgehalten, und als Pfadfinder zu sprechen aufgehört hatte, fiel ein zweiter Wilder.

Das war in der Tat hinreichend; denn die ganze Rotte, die sich in das Gebüsch um das Blockhaus herum verkrochen hatte, empfand keine Lust, eine dritte Heimsuchung von derselben Hand abzuwarten, und da keiner wissen konnte, wer dem Auge des Schützen ausgesetzt war, so hüpften sie aus ihren Verstecken und flüchteten sich nach verschiedenen Richtungen, um ihre Haut in Sicherheit zu bringen.

»Jetzt gießt aus, Meister Cap«, sagte Pfadfinder, »ich habe diesen Blaustrümpfen einen Denkzettel gegeben; sie werden uns in dieser Nacht kein Feuer mehr anzünden.«

»Achtung!« schrie Cap, indem er das Faß mit einer Sorgfalt ausschüttete, daß die Flammen auf einmal und vollständig erloschen.

So endete dieser sonderbare Kampf, und der Rest der Nacht verfloß in Ruhe. Pfadfinder und Cap wachten abwechselnd, obgleich man von keinem sagen konnte, daß er wirklich schliefe. Auch schien der Schlaf kein Bedürfnis für sie zu sein, da beide an langes Wachen gewöhnt waren, und es gab Zeiten, wo der erstere buchstäblich gegen die Anforderungen des Hungers und Durstes unempfindlich und gegen die Wirkungen der Ermüdung ganz abgestumpft schien.

Mabel wachte an ihres Vaters Lager und begann zu fühlen, wie oft unser zeitliches Glück nur von Dingen abhängt, die in der Einbildung bestehen. Bisher hatte sie eigentlich ohne Vater gelebt, da ihre Verbindung mit ihm eher eine geistige als eine wirkliche zu nennen war. Jetzt aber, da sie ihn verlieren sollte, betrachtete sie den Augenblick seines Todes als den Abschnitt, der ihr die Welt zur Öde machte und all ihr irdisches Glück zerstörte.