Viertes Kapitel

Viertes Kapitel

Unterhalb der Fälle des Oswego ist die Strömung reißender und ungleichmäßiger als oberhalb. Es gibt Stellen, wo der Fluß mit der stillen Ruhe des tiefen Wassers hinfließt, aber auch viele Sandbänke und Stromschnellen, und damals, als sich noch alles im Naturzustand befand, war die Durchfahrt stellenweise nicht ohne Gefahr. Zwar wurde im allgemeinen nur wenig Anstrengung von Seiten der Kahnführer erfordert; an Stellen aber, wo die Schnelligkeit der Strömung und die vorhandenen Felsen Vorsicht verlangten, bedurfte es wirklich nicht nur der Wachsamkeit, sondern auch der größten Besonnenheit, Schnelligkeit und kräftiger Arme, um die Gefahr zu vermeiden. Auf alles dieses hatte der Mohikaner geachtet, und mit Umsicht eine Stelle gewählt, wo der Fluß ruhig genug floß, um die Kähne anhalten und die Verbindung für die, mit denen er sprechen wollte, gefahrlos einleiten zu können.

Sobald der Pfadfinder die Gestalt seines roten Freundes erkannt hatte, ruderte er mit kräftigen Schlägen dem Ufer zu und winkte Jasper, ihm zu folgen. In einer Minute waren beide Kähne in dem Bereich des überhängenden Gebüsches. Es herrschte tiefes Stillschweigen, das die einen aus Furcht, die anderen aus gewohnter Vorsicht beobachteten. Als sich die Reisenden dem Indianer näherten, machte er ein Zeichen, stillzuhalten, und hatte dann mit dem Pfadfinder eine kurze, aber ernste Besprechung in der Sprache der Delawaren.

»Der Häuptling ist nicht der Mann, der einen toten Stamm für einen Feind ansieht«, bemerkte der weiße Mann gegen seinen roten Verbündeten, »warum läßt er uns anhalten?«

»Mingos sind in den Wäldern.«

»Das haben wir in diesen zwei Tagen vermutet. Weiß der Häuptling davon?«

Der Mohikaner hielt ruhig einen steinernen Pfeifenkopf in die Höhe.

»Er lag auf einer frischen Fährte, die gegen die Garnison hinführt« – so wurden nämlich von den Grenzleuten die militärischen Werke genannt, mochten sie Mannschaft: haben oder nicht.

»Das kann ein Pfeifenkopf sein, der einem Soldaten gehört. Viele bedienen sich der Pfeifen der Rothäute.«

»Sieh«, sagte Schlange und hielt aufs neue den gefundenen Gegenstand seinem Freund vor Augen.

Der Pfeifenkopf war mit großer Sorgfalt und Geschicklichkeit aus Seifenstein geschnitten. In der Mitte befand sich ein kleines Kreuz, das mit einer Genauigkeit gefertigt war, die keinen Zweifel über seine Bedeutung gestattete.

»Das prophezeit Unheil und Teufelei«, sagte der Pfadfinder, der den damals in den englischen Provinzen gewöhnlichen Abscheu gegen dieses heilige Symbol teilte; und da man leicht Sachen mit Personen verwechselt, so hatte sich dieses Grauen mit den Vorurteilen der Leute verflochten und einen mächtigen Eindruck auf das moralische Gefühl des Volkes gemacht.

»Kein Indianer, der nicht durch die schlauen Priester Kanadas bekehrt ist, würde sich’s einfallen lassen, ein Ding wie dieses auf seine Pfeife zu schneiden. Ich wette, der Spitzbube betet jedesmal zu diesem Bild, wenn er mit einem Unschuldigen zusammentreffen und seine Schuftigkeit an ihm ausüben will. Ist sie auch frisch, Chingachgook?« »Der Tabak war noch brennend, als ich sie fand.«

»Das wird tüchtige Arbeit geben, Häuptling. Wo ist die Spur?«

Der Mohikaner deutete auf eine Stelle, die keine hundert Ellen von seinem Standpunkt entfernt war.

Die Sache begann nun ein ernsteres Aussehen zu gewinnen. Die zwei Hauptführer besprachen sich einige Minuten beiseite, stiegen dann am Ufer hinauf, näherten sich dem bezeichneten Ort und untersuchten die Fährte mit der größten Sorgfalt. Als ihre Nachforschungen ungefähr eine Viertelstunde gedauert hatten, kehrte der weiße Mann allein zurück, und sein roter Freund verschwand im Wald.

Sonst trug das Gesicht des Pfadfinders ein Gepräge der Einfachheit, Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit, gemischt mit der Miene des Selbstvertrauens, das gewöhnlich allen, die sich unter seiner Hut befanden, Zuversicht einflößte; aber nun warf der Ausdruck der Sorge einen Schatten über seine ehrlichen Züge, der die ganze Gesellschaft beunruhigte.

»Was gibt’s, Meister Pfadfinder?« fragte Cap, indem seine gewohnte, tiefe und zuversichtliche Stimme zu einem scheuen Flüstern herabsank, das sich allerdings mehr für die Gefahren der Wildnis eignete.

»Hat sich der Feind zwischen uns und unseren Hafen gelegt?«

»Wie?«

»Haben einige von diesen bemalten Schalksnarren Anker geworfen vorm Hafen, auf den wir lossteuern, und wollen sie uns die Einfahrt abschneiden?«

»Es mag sein, wie Ihr sagt, Freund Cap, aber ich bin durch Eure Worte um kein Haar weiser geworden, und in kitzligen Zeitumständen wird man um so leichter verstanden, je deutlicher man sein Englisch macht. Ich weiß nichts von Hafen und Anker, aber es liegt eine beängstigende Mingofährte in der Nähe von hundert Ellen, und so frisch wie Wildbret ohne Salz. Wenn einer von diesen argen Teufeln vorübergekommen ist, so sind es auch ein Dutzend; und was das Schlimmste ist, sie sind abwärts gegen die Garnison zu gegangen, und keine Seele kann um die Lichtung herumkommen, ohne daß man einigen ihrer durchbohrenden Augen in den Weg käme. Dann wird’s sicher Kugeln geben.«

»Kann nicht das besagte Fort eine Lage geben und alles innerhalb des Bereichs seiner Klüsen wegfegen?«

»Nein, die Forts sind bei uns nicht wie die Forts in den Ansiedlungen, und zwei oder drei leichte Kanonen sind alles, was sie da unten an der Mündung des Flusses haben. Überhaupt hieße auch ein Lagerfeuer auf ein Dutzend herumstreifender Mingos geben, die sich hinter Baumstämmen und im Walde verbergen können, sein Pulver verschwenden. Wir haben nur einen, und zwar einen sehr kitzligen Weg. Wir sind einmal hier; beide Kähne sind durch das hohe Ufer und das Gebüsch vor aller Augen verborgen, wenn uns nicht einer von jenen Strauchdieben gerade gegenüber in den Weg kommt. Hier wollen wir also bleiben, ohne uns zu ängstigen. Aber wie bringen wir die blutdürstigen Teufel wieder über den Strom hinauf? – Ha, ich hab’s – ich hab’s. Wenn es auch nichts nützt, so kann es doch nichts schaden. Seht Ihr den breitwipfeligen Kastanienbaum dort, Jasper, an der letzten Stromwendung? Auf Eurer Seite, meine ich.«

»Den bei der gestürzten Fichte?«

»Richtig! Nehmt Stein und Feuerzeug, kriecht am Ufer hin und macht ein Feuer. Kann sein, daß sie der Rauch da ‚rauflockt. Mittlerweile bringen wir vielleicht mit der gehörigen Vorsicht die Kähne weiter stromab und finden anderen Schutz. Buschwerk haben wir genug, und ein Versteck ist leicht zu finden, was uns die vielen Hinterhalte beweisen können.«

»Ich will’s tun, Pfadfinder«, sagte Jasper und sprang ans Ufer. »In zehn Minuten soll das Feuer brennen.«

»Und, Eau-douce, nehmt diesmal ordentlich feuchtes Holz dazu«, flüsterte der andere mit seinem eigentümlichen innerlichen Lachen. »Wenn’s an Rauch fehlt, muß Wasser helfen, ihn zu verdicken.«

Der junge Mann eilte rasch dem bezeichneten Punkt zu. Mabel wagte einen leichten Einwurf wegen der Gefahr, der aber nicht beachtet wurde, und die Gesellschaft bereitete sich vor, ihre Stellung unverzüglich zu verändern, da sie von dem Ort aus, wo Jasper das Feuer anzünden sollte, gesehen werden konnten. Die Bewegung forderte keine Eile und wurde mit Ruhe und Vorsicht ausgeführt.

Die Kähne fuhren um die Gebüsche herum und glitten mit der Strömung fort, bis sie eine Stelle erreicht hatten, an der sie von dem Kastanienbaum aus nicht mehr erblickt werden konnten. Hier hielten sie an, und aller Augen richteten sich nun auf den zurückgebliebenen Abenteurer.

»Da steigt der Rauch auf«, rief der Pfadfinder, als ein leichter Windstoß eine kleine Dunstsäule in die Höhe wirbelte und sie in spiralförmigen Wendungen über den Fluß hintrieb. »Ein guter Stein, ein Stückchen Stahl und ein Haufen dürrer Blätter machen schnell ein Feuer. Ich hoffe, Eau-douce wird das feuchte Holz nicht vergessen, wenn uns die List nutzen soll.« »Zuviel Rauch – zuviel Klugheit«, sagte Pfeilspitze in seiner spruchartigen Weise.

»Das war so wahr wie die Bibel, Tuscarora, wenn die Mingos nicht wüßten, daß es Soldaten in der Nähe gibt. Die Soldaten denken aber an einem Rastort gewöhnlich eifriger an ihre Mahlzeit als an das, was klug ist und sie gegen Gefahr schützen könnte. Nein, nein! Mag der Junge immerhin seine Holzklötze aufhäufen, daß es einen tüchtigen Rauch setzt, sie werden es der Dummheit einiger irischer und schottischer Tölpel zuschreiben, die mehr an ihre Hafergrütze und an ihre Kartoffeln denken als an ein Zusammentreffen mit Indianern und indianischen Büchsen.«

»Man sollte aber doch glauben, nach allem, was ich hierüber in den Städten gehört habe, daß die Soldaten an dieser Grenze an die Kunstgriffe ihrer Feinde gewöhnt und fast so listig geworden seien wie die roten Menschen selbst«, erwiderte Mabel.

»Nicht die hier, Kind, nicht die hier. Erfahrung macht sie wenig klüger, und sie diskutieren von ihren Wendungen, ihren Pelotons und Bataillons hier in den Wäldern so behaglich, als wäre sie zu Hause in ihren Pferchen. Eine Rothaut hat mehr Schlauheit in ihrer Natur als ein ganzes Regiment von der anderen Seite des Wassers. Ich nenne das Wälderschlauheit. – Aber auf mein Wort, nun ist’s genug Rauch, und wir werden besser tun, uns ein anderes Versteck aufzusuchen. Der Junge hat den ganzen Fluß in sein Feuer geworfen, und es ist zu besorgen, daß die Mingos glauben, es ist ein ganzes Regiment unterwegs.«

Während er so sprach, trieb der Pfadfinder von dem Busch weg, an dem er angelegt hatte, und in einigen Minuten verbarg ihnen die Biegung des Flusses den Rauch und den Baum. Glücklicherweise zeigte sich auch an dem Ufer, wenige Ellen von dem Punkt, an dem sie eben vorbeifuhren, eine kleine Bucht, zu der die Kähne hinlenkten.

Die Reisenden hätten wohl keinen geschickteren Platz für ihre Absicht auffinden können. Das Gebüsch war dick und hing gegen das Wasser hin, so daß es einen vollständigen Blätterbaldachin bildete. Im Grund der kleinen Bucht befand sich ein schmaler, kiesiger Strand, wo die Mehrzahl der Gesellschaft zu ihrer größeren Bequemlichkeit ans Land ging. Auch konnten sie nur von der gerade entgegengesetzten Seite des Flusses aus bemerkt werden. Von dieser Seite her war jedoch die Gefahr der Entdeckung gering, da das Gesträuch hier dichter als gewöhnlich und das Land jenseits so naß und sumpfig war, daß man nicht ohne große Schwierigkeiten durchkommen konnte.

»Das ist ein guter Schlupfwinkel«, sagte der Pfadfinder, als er seine Stellung mit dem Blick eines Kenners untersucht hatte, »aber man muß ihn noch sicherer machen. Meister Cap, ich verlange nichts von Euch als Stillschweigen und Unterdrückung aller Gaben, die Ihr Euch auf dem Meere erworben habt, während der Tuscarora und ich unsere Vorkehrungen für die Stunde der Gefahr treffen.«

Der Führer ging nun mit dem Indianer etwas weiter in das Gebüsch, wo sie die stärkeren Stämme mehrerer Erlen und anderer Sträucher abschnitten, dabei aber die größte Sorgfalt anwandten, um kein Geräusch zu verursachen. Die Enden dieser kleinen Bäume, denn das waren sie in der Tat, wurden, da das Wasser nur eine geringe Tiefe hatte, an der äußeren Seite der Kähne in den Schlamm gesteckt, und im Verlaufe von zehn Minuten war ein sehr täuschender Schirm zwischen ihnen und dem Orte errichtet, woher die hauptsächlichste Gefahr drohte. Die beiden Arbeiter hatten viel Scharfsinn und Geschicklichkeit bei dieser einfachen Anordnung entwickelt, wobei sie durch die Form des Ufers, seine Einbuchtung, die Seichtigkeit des Wassers und die Art, wie diese Gebüschverzweigungen gegen das Wasser überhängen, wesentlich begünstigt wurden. Der Pfadfinder sah dabei vorzüglich auf gekrümmte Stämme, und da er sie in einiger Entfernung unter der Biegung abschnitt und die letztere das Wasser berühren ließ, so hatte das künstliche Dickicht zwar nicht das Ansehen eines in dem Strom gewachsenen, was wohl hätte Verdacht erregen mögen, aber doch mochte es jeder, der an ihm vorbei kam, für ein Gebüsch halten, das waagrecht vom Ufer ausging, ehe es sich aufwärts gegen das Licht richtete. Kurz, der Schirm war so scharfsinnig angeordnet und so kunstreich zusammengesetzt, daß nur ein ungewöhnlich mißtrauisches Auge hier ein Versteck hätte ahnen mögen.

»Das ist der beste Schlupfwinkel, in dem ich je gesteckt habe«, sagte der Pfadfinder mit seinem ruhigen Lachen, nachdem er sich die Außenseite betrachtet hatte. »Die Blätter unserer neuen Bäume berühren aufs genaueste die des Gebüsches zu unseren Häupten, und selbst der Maler, der kürzlich in der Garnison war, könnte nicht sagen, was hier das Werk der Vorsehung und was das unsere ist. Pst! dort kommt Eau-douce gewatet. Was er doch für ein verständiger Junge ist, seine Fährte dem Wasser zu überlassen! Nun, wir werden bald sehen, ob unser Versteck zu was gut ist oder nicht.«

Jasper war wirklich von seiner Verrichtung zurückgekehrt, und da er die Kähne vermißte, so folgerte er, daß sie sich unter der nächsten Wendung des Flusses verborgen hätten, in der sie von dem Feuer aus nicht bemerkt werden konnten. Seine gewohnte Vorsicht hatte ihn veranlaßt, im Wasser fortzugehen, um nicht eine Verbindung der Spuren erkennen zu lassen, die von der Gesellschaft am Ufer zurückgeblieben waren, und des Platzes, wo er ihren neuen Zufluchtsort vermutete. Würden dann die Kanadaindianer auf ihrer eigenen Fährte zurückkehren und die Spuren bemerken, die Pfadfinder und Schlange bei ihrer Besprechung und Untersuchung hinterlassen hatten, so mußten sie den Schlüssel zu diesen Bewegungen verlieren, da sich keine Fußtapfen dem Wasser aufdrücken.

Der junge Mann war deshalb von diesem Punkt aus knietief im Wasser gewatet und machte nun langsam seinen Weg am Rande des Stromes abwärts, um die Stelle zu suchen, wo die Kähne verborgen lagen.

Wenn die hinter dem Gebüsch Befindlichen ihre Augen näher gegen die Blätter brachten, so konnten sie manche Stellen finden, die ihnen einen Durchblick ließen, indes dieser Vorteil in einiger Entfernung wieder verlorenging. Mochte dann auch ein Auge auf einige solche Öffnungen fallen, so wurde doch durch das Ufer und den Schatten des Gebüsches vermittelt, daß die Gestalten und Umrisse unserer Flüchtlinge keiner Entdeckung ausgesetzt waren. Unsere Gesellschaft, die sich nun in die Kähne begeben hatte und aus ihrem Versteck hervor Jaspers Bewegungen beobachtete, erkannte bald, daß ihm die Stelle entging, wo sich Pfadfinder verborgen hatte. Als er um die Krümmung des Ufers gekommen war und die Aussicht nach dem Feuer hin verlor, hielt der junge Mann an und begann das Ufer mit Bedacht und Vorsicht zu untersuchen. Gelegentlich ging er wieder acht bis zehn Schritte weiter und hielt dann einmal an, um sein Suchen zu erneuern. Das Wasser war viel seichter als gewöhnlich, und er ging an der Seite hin, um sich seinen Spaziergang zu erleichtern, wobei er der künstlichen Plantage so nahe kam, daß er sie mit seinen Händen hätte erreichen können. Aber er entdeckte nichts und war eben daran, seinen Weg weiter fortzusetzen, als der Pfadfinder eine Öffnung in die Zweige machte und ihn mit gedämpfter Stimme eintreten hieß.

»Es ist ganz gut so«, sagte der Pfadfinder lachend, »obgleich die Augen eines Bleichgesichtes von denen einer Rothaut so verschieden sind wie die Fernrohre untereinander. Ich wollte mit des Sergeanten Tochter ein Pulverhorn gegen einen Wampumgürtel wetten, daß ihres Vaters Regiment an unserer Einsiedlung vorbeimarschieren könnte, ohne je die List auszufinden. Aber wenn die Mingos wirklich wie Jasper in dem Bett des Flusses herunterkämen, so würde ich für diese Anpflanzung zittern. Über den Fluß hinüber mag sie wohl ihre Augen täuschen und insofern nicht ohne Nutzen sein.«

»Glaubt Ihr nicht, Meister Pfadfinder«, sagte Cap, »daß es das Beste wäre, uns auf den Weg zu machen und so schnell wie möglich stromabwärts zu segeln, sobald wir gewiß sind, daß diese Schufte in unserem Stern sind? Wir Seeleute nennen eine Sternjagd eine lange Jagd.«

»Ich möchte mich mit des Sergeanten Tochter nicht um alles Pulver, das da unten im Fort liegt, von der Stelle rühren, bis wir was von Schlange gehört haben. Sichere Gefangenschaft oder gewisser Tod würden die Folge sein. Wenn sich so ein zartes Schmaltierchen wie das Mädchen, das wir zur Fracht haben, durch die Wälder finden könnte, wie ein alter Hirsch, so möcht‘ es allerdings angehen, die Kähne zu verlassen, denn auf einem Umweg könnten wir die Garnison noch vor Anbruch des Morgens erreichen.«

»Dann tut es«, sagte Mabel, rasch unter dem plötzlichen Einfluß erweckter Energie aufspringend. »Ich bin jung, behend, an Anstrengung gewöhnt und möchte es leicht meinem lieben Onkel zuvortun. Ich will durchaus kein Hindernis sein und könnte es nicht ertragen, daß euer aller Leben um meinetwillen gefährdet sein sollte.«

»Nein, nein, gutes Kind! Wir halten Sie keineswegs für ein Hindernis oder eine Belästigung und würden uns gern noch einmal dieser Gefahr unterziehen, um Ihnen und dem wackeren Sergeanten einen Dienst zu leisten. Ist das nicht auch Eure Meinung, Eaudouce?«

»Ihr einen Dienst zu leisten?« rief Jasper mit Nachdruck. »Nichts soll mich bewegen, Mabel Dunham zu verlassen, bis ich sie sicher in ihres Vaters Armen weiß!«

»Wohl gesprochen, Junge; brav und ehrenhaft gesprochen, und ich stimme bei mit Herz und Hand. Nein, nein, Sie sind nicht die erste Ihres Geschlechts, die ich durch die Wälder geleitet habe, und keine hat dabei je Schaden genommen mit Ausnahme einer einzigen. Das war freilich ein trüber Tag; aber seinesgleichen wird wohl nicht wiederkommen.«

Mabel blickte von einem ihrer Beschützer auf den anderen, und ihre schönen Augen schwammen in Tränen. Sie reichte jedem ihre Hand und sprach, obgleich anfangs mit erstickter Stimme:

»Ich tue unrecht, euch um meinetwillen der Gefahr auszusetzen. Mein lieber Vater wird es euch danken. Auch ich danke euch – Gott vergelt es euch; aber laßt uns hier nicht unnötigerweise die Gefahr erwarten. Ich kann wohl gehen und bin oft in mädchenhafter Laune meilenweit gegangen. Warum sollte ich es jetzt nicht können, da es mein Leben – nein, da es euer kostbares Leben gilt?«

»Sie ist eine treue Taube, Jasper«, sagte der Pfadfinder, indem er ihre Hand so lange festhielt, bis das Mädchen selbst aus angeborener Bescheidenheit die Gelegenheit ergriff, sie zurückzuziehen, »und wunderbar anziehend! Wir sind in den Wäldern rauh und bisweilen auch hartherzig geworden, Mabel, aber ein Anblick wie der Ihrige erweckt unsere jugendlichen Gefühle wieder und tut uns wohl für den Rest unserer Tage. Jasper wird dasselbe sagen; denn wie ich in den Wäldern, so sieht Jasper auf dem Ontario wenige von Ihresgleichen, die sein Herz zu erweichen und ihn an die Liebe seines Geschlechts zu erinnern vermöchten. Sprecht selbst, Jasper, und sagt, ob es nicht so ist.«

»Ich zweifle, ob viele wie Mabel Dunham irgendwo gefunden werden können«, entgegnete der junge Mann artig und mit einem Blick voll ehrlicher Aufrichtigkeit, der mehr als seine Zunge ausdrückte. »Ihr braucht nicht die Seen und Wälder herauszufordern; ich möchte lieber die Städte und Ansiedlungen darum befragen.«

»Wir würden besser tun, die Kähne zu verlassen«, erwiderte Mabel hastig; »denn ich fühle, es ist nicht länger sicher hier.«

»Ihr könnt nicht fort von hier, in keinem Fall. Wir hätten einen Marsch von mehr als zwanzig Meilen vor uns, durch Dickicht und Sümpfe und noch obendrein in der Finsternis. Auch gäbe unsere Gesellschaft eine breite Fährte, und wir dürften allem nach unsern Weg in die Garnison erkämpfen müssen. Wir wollen auf den Mohikaner warten.«

Nach dieser Entscheidung des Mannes, von dem alle in der gegenwärtigen gefährlichen Lage Rat erwarteten, wurde nichts mehr über diesen Gegenstand gesprochen. Die Gesellschaft bildete nun Gruppen. Pfeilspitze und sein Weib saßen abgesondert unter dem Gebüsch und besprachen sich mit leiser Stimme, der Mann mit Ernst, das Weib mit der untertänigen Sanftmut, wie sie die herabgewürdigte Lage des Weibes eines Wilden bezeichnete. Pfadfinder und Cap hatten in einem der Kähne Platz genommen und schwatzten von ihren verschiedenen Abenteuern zu Wasser und zu Land, während Jasper und Mabel in dem andern saßen, wobei ihre Vertraulichkeiten in einer Stunde größere Fortschritte machte, als dies unter anderen Umständen vielleicht in einem Jahr der Fall gewesen wäre. Ungeachtet ihrer bedrängten Lage verging ihnen die Zeit schnell, und besonders die jungen Leute waren verwundert, als ihnen Cap sagte, wie lange sie sich in dieser Weise beschäftigt hätten.

»Wenn man rauchen könnte, Freund Pfadfinder, so möchte dieser Raum behaglich genug sein; denn um auch dem Teufel sein Recht widerfahren zu lassen, Ihr habt die Kähne hübsch eingebuchtet und in eine Reede gebracht, die dem Passatwind trotzen würde. Das einzige Unbequeme ist, daß man von seiner Pfeife soll keinen Gebrauch machen können.«

»Der Tabaksgeruch würde uns verraten, und welchen Vorteil hätten wir von allen gegen die Augen der Mingos gerichteten Vorsichtsmaßregeln, wenn ihnen ihre Nase sagte, wo unser Versteck zu finden ist? Nein, nein, unterdrückt Eure Begierden, unterdrückt sie und lernt eine Tugend von der Rothaut, die eine ganze Woche das Essen vergessen kann, um einen einzigen Skalp zu erbeuten. Hört Ihr nichts, Jasper?«

»Schlange kommt.«

»Dann laßt uns sehen, ob die Augen des Mohikaners besser sind als die eines gewissen Burschen, den sein Gewerbe aufs Wasser führt.«

Der Mohikaner folgte derselben Richtung, die Jasper eingeschlagen hatte, um sich mit seinen Freunden zu vereinen; aber statt geradeaus zu gehen, drückte er sich in der Windung des Flusses, die so verhinderte, daß er von höher gelegenen Punkten gesehen wurde, dicht an das Ufer und suchte mit der größten Sorgfalt eine Stellung in dem Gebüsch, die ihm den Rückblick gestattete, ohne daß man ihn bemerken konnte.

»Schlange sieht die Schufte!« flüsterte der Pfadfinder. »So wahr ich ein Christ und ein Weißer bin, sie haben angebissen und den Rauch umzingelt.«

Hier unterbrach ein herzliches, aber stilles Lachen seine Worte, indem er zugleich mit dem Ellenbogen Cap anstieß, und alle verfolgten mit gespannter Aufmerksamkeit die lautlosen Bewegungen Chingachgooks. Der Mohikaner blieb volle zehn Minuten so unbeweglich wie der Fels, an dem er stand; dann war ihm augenscheinlich ein Gegenstand von Interesse zu Gesicht gekommen, denn er ließ einen ängstlichen und scharfen Blick längs des Stromrandes hingleiten und bewegte sich schnell abwärts, wobei er Sorge trug, daß er seine Fährte dem seichten Wasser überließ. Er war sichtlich in großer Hast und Unruhe und blickte bald hinter sich, bald untersuchte sein Auge jede Stelle des Ufers, wo er sich die Kähne verborgen denken mochte.

»Ruft ihn herein«, flüsterte Jasper, kaum fähig, seine Ungeduld zurückzuhalten, »ruft ihn herein, ehe es zu spät ist. Seht, er kommt eben an uns vorbei.«

»Nicht doch, nicht doch, Junge; es drängt nicht«, entgegnete sein Gefährte, »sonst würde die Schlange zu kriechen anfangen. Der Herr helfe uns und lehre uns Weisheit! Aber ich glaube gar, daß uns Chingachgook übersieht, dessen Augen so zuverlässig sind wie der Geruch des Hundes, und uns nicht auffindet in dem künstlichen Gebüsch!«

Dieser Ausbruch war unzeitig, denn die Worte waren kaum ausgesprochen, als der Indianer, der bereits einige Fuß über das künstliche Versteck hinausgeschritten war, plötzlich anhielt, einen festen und scharfen Blick auf die Anpflanzung warf, schnell einige Schritte rückwärts machte, sich beugte und, nachdem er das Gebüsch vorsichtig auseinandergebogen hatte, unter der Gesellschaft erschien.

»Die verfluchten Mingos!« sagte Pfadfinder, sobald sein Freund nahe genug war, um ohne Gefahr angeredet werden zu können.

»Irokesen«, erwiderte kurz der Indianer.

»Gleichviel, gleichviel; Irokesen, Teufel, Mingos, Mengwes oder Furien – alles ist beinahe das nämliche. Ich nenne alle Schurken Mingos. Komm hierher, Häuptling, und laß uns vernünftig miteinander reden.« Beide begaben sich auf die Seite und besprachen sich ernsthaft in der Sprache der Delawaren. Als ihr Gespräch zu Ende war, trat Pfadfinder wieder zu den übrigen und teilte ihnen alles mit, was er eben erfahren hatte.

Der Mohikaner hatte die Spur ihrer Feinde eine Strecke weit gegen das Fort hin verfolgt, bis sie den Rauch von Jaspers Feuer zu Gesicht bekamen, worauf sie alsbald ihre Schritte anhielten. Da Chingachgook hierdurch in die größte Gefahr, entdeckt zu werden, geriet, so mußte er ein Versteck auffinden, wo er sich verbergen konnte, bis der Haufe vorüber war. Es war vielleicht ein Glück für ihn, daß die Wilden zu sehr auf diese neue Entdeckung achteten, um auf die Spuren im Walde ihre gewöhnliche Aufmerksamkeit zu verwenden. Kurz, sie eilten, fünfzehn an der Zahl, rasch an ihm vorüber, indem jeder in die Fußtapfen des anderen trat, und so wurde es dem Lauscher unmöglich gemacht, wieder in ihren Bereich zu gelangen. Als sie zu der Stelle gekommen waren, wo sich die Spuren des Pfadfinders und des Mohikaners mit ihrer eigenen Fährte vermischten, zogen sich die Irokesen gegen den Fluß hin und erreichten diesen, als Jasper gerade hinter der Biegung verschwunden war. Die Aussicht nach dem Rauch hin war nun frei, und die Wilden stürzten sich in die Wälder, um sich unbemerkt dem Feuer zu nähern. Chingachgook benützte diese Gelegenheit, um landab ins Wasser zu steigen und gleichfalls die Flußbiegung zu gewinnen, die ihn gegen Entdeckung schützen sollte.

Über die Beweggründe der Irokesen konnte der Mohikaner nur aus ihren Handlungen urteilen. Er vermutete, daß sie die List mit dem Feuer entdeckt und sich überzeugt hatten, es sei nur in der Absicht, sie irrezuleiten, angezündet worden; denn nach einer hastigen Untersuchung der Stelle hatten sie sich getrennt und einige davon sich in die Wälder begeben, indes sechs oder acht den Fußtritten Jaspers an dem Ufer hin folgten und stromabwärts zu der Stelle kamen, wo die Kähne gelandet hatten. Welchen Weg sie nun von dieser Stelle weiter gemacht, konnte nur vermutet werden, denn die Gefahr war zu drängend, als daß Schlange länger hätte zögern sollen, sich nach seinen Freunden umzusehen. Aus einigen Anzeichen, die er aus ihren Gebärden entnehmen konnte, hielt er es für wahrscheinlich, daß die Feinde am Rande des Flusses herunterkommen würden. Er konnte dies jedoch nicht mit Sicherheit behaupten.

Als der Pfadfinder diese Umstände seinen Gefährten mitgeteilt hatte, gewannen bei den zwei anderen weißen Männern die Gefühle ihres Berufes die Oberhand, und bei beiden entsprach die Behandlung der Frage über die Mittel des Entrinnens natürlich ihren Beschäftigungen.

»Laßt schnell die Kähne frei«, sagte Jasper lebhaft, »die Strömung ist stark, und wenn wir tüchtig rudern, werden wir bald aus dem Bereich dieser Schurken sein.«

»Und diese arme Blume, die kaum erst aufblühte in den Lichtungen – soll sie im Walde verwelken?« entgegnete sein Freund mit einer Poesie, die er unwillkürlich aus seinem langen Umgang mit den Delawaren geschöpft hatte.

»Wir müssen alle einmal sterben«, antwortete der Jüngling, indem ein kühnes Rot seine Wangen färbte; »Mabel und Pfeilspitzes Weib können sich in den Kähnen niederlegen, indes wir aufrecht, wie es Männern ziemt, unsere Pflicht erfüllen.«

»Ja, Ihr seid ein gewandter Ruderer, aber die Bosheit eines Mingo ist noch viel gewandter. Die Kähne sind schnell, aber eine Büchsenkugel ist schneller.«

»Da wir einem vertrauenden Vater unser Wort gegeben haben, so ist es Männerpflicht, uns dieser Gefahr zu unterziehen.«

»Aber es ist nicht unsere Pflicht, die Klugheit außer acht zu lassen.«

»Klugheit? Man kann seine Klugheit auch so weit treiben, den Mut darüber zu vergessen!«

Die Gruppe stand an dem nahen Ufer, Pfadfinder auf seine Büchse gelehnt, deren Schaft auf dem Kiesgrund ruhte, indes er den Lauf, der bis zu seinen Schultern reichte, mit beiden Händen umfaßte. Als Jasper diesen schweren und unverdienten Vorwurf ausstieß, blieb das tiefe Rot auf dem Gesicht seines Kameraden unverändert, obgleich der junge Mann bemerkte, daß seine Hände das Eisen des Gewehres mit der Festigkeit eines Schraubstockes umfaßten. Weiter verriet sich keine Bewegung.

»Ihr seid jung und heißköpfig«, erwiderte der Pfadfinder mit einer Würde, die die Zuhörer seine moralische Überlegenheit deutlich fühlen ließ, »aber mein Leben war eine Reihe von Gefahren wie diese, und meine Erfahrung und meine Gaben sind von der Art, daß sie nicht nötig haben, sich durch die Ungeduld eines Knaben meistern zu lassen. Was den Mut anlangt, Jasper, so will ich kein kränkendes, bedeutungsloses Wort einem ähnlichen entgegensetzen, denn ich weiß, daß Ihr treu auf Eurem Posten seid, so gut Ihr’s eben versteht; aber beachtet den Rat eines Mannes, der den Mingos schon ins Auge schaute, als Ihr noch ein Kind wart und der weiß, daß man ihre Schlauheit weit eher durch Klugheit umgeht, als durch Torheit überlistet.«

»Ich bitte Euch um Verzeihung, Pfadfinder«, sagte der reuige Jasper, indem er mit Feuer nach der Hand des anderen griff, die ihm dieser überließ, »ich bitte aufrichtig um Verzeihung. Es war töricht und schlecht von mir, einen Mann zu beschuldigen, von dem man weiß, daß sein Herz in einer guten Sache so fest ist wie die Felsen am Seeufer.«

Zum erstenmal vertiefte sich die Röte auf den Wangen des Pfadfinders, und die feierliche Würde, die er angenommen hatte, wich dem Ausdruck der ernsten Einfachheit, die alle seine Gefühle durchdrang. Er erwiderte den Händedruck seines jungen Freundes so herzlich, als ob keine Saite einen Mißton zwischen ihnen hätte laut werden lassen, und ein leichter Ernst, der noch seine Augen umfangen hielt, gab dem Ausdruck natürlicher Güte Raum.

»’s ist gut, Jasper, ’s ist gut«, antwortete er lachend. »Ich trage nichts nach, und mir soll auch niemand was nachtragen. Meine Natur ist die eines Weißen, und die hegt keinen Groll im Herzen. Es möchte übrigens ein kitzliges Werk gewesen sein, der Schlange da nur halb soviel zu sagen, obschon er ein Delaware ist; denn jede Farbe hat ihre Art.«

Eine Berührung seiner Schulter machte den Sprecher schweigen. Mabel stand aufrecht im Kahn, und ihre leichte, schwellende Gestalt beugte sich vorwärts in eine Stellung des anmutigsten Ernstes, während sie den Finger an die Lippen legte, mit abgewandtem Kopf ihre ausdrucksvollen Augen auf eine Öffnung im Gebüsch richtete und dabei mit dem Ende einer Fischerrute, die sie in dem ausgestreckten Arm hielt, den Pfadfinder berührte. Letzterer beugte seinen Kopf gegen eine Öffnung, der er absichtlich nahe geblieben war, und flüsterte dann Jasper zu –

»Die verfluchten Mingos! Greift zu euren Waffen, Männer, aber verhaltet euch so ruhig, wie die Stämme toter Bäume!«

Jasper eilte mit lautlosen Tritten zum Kahn und veranlaßte mit höflicher Gewalt Mabel, eine Stellung anzunehmen, durch die ihr ganzer Körper verborgen wurde, obschon es wahrscheinlich über seine Macht gegangen wäre, das Mädchen zu bewegen, ihren Kopf so niedrig zu halten, daß sie nicht noch einen Blick auf die Feinde hätte werfen können. Er stellte sich dann in ihre Nähe und brachte das gespannte Gewehr in Anschlag. Pfeilspitze und Chingachgook krochen zu dem Versteck und lauerten wie die Schlangen, mit bereitgehaltenen Waffen, während das Weib des ersteren den Kopf zwischen die Knie beugte, ihn mit ihrem Kattunkleide bedeckte und sich ganz ruhig und unbeweglich verhielt. Cap zog seine beiden Pistolen aus dem Gürtel, schien aber ganz verlegen zu sein, welchem Kurs er folgen solle. Der Pfadfinder stand bewegungslos. Er hatte gleich im Anfang eine Stellung eingenommen, die ihm gestattete, mit gutem Erfolg durch die Blätter zu zielen und die Bewegungen der Feinde zu überwachen. Er war zu standhaft, um sich durch diesen kritischen Moment aus der Fassung bringen zu lassen.

Es war in der Tat ein beängstigender Augenblick. Gerade, als Mabel die Schulter ihres Führers berührt hatte, zeigten sich drei Irokesen im Wasser an der Biegung des Flusses, etwa hundert Ellen von dem Versteck, und hielten an, um den Strom nach unten zu untersuchen. Sie waren nackt bis zum Gürtel, für einen Feldzug gegen ihre Feinde bewaffnet und mit ihren Kriegsfarben bemalt. Sie schienen über den Weg, den sie zur Verfolgung der Flüchtlinge einzuschlagen hätten, unentschieden zu sein; denn der eine deutete stromabwärts, der andere aufwärts und der dritte auf das entgegengesetzte Ufer. Ihre Zweifel waren sichtlich.

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Männer, die an solch kriegerische Szenen gewöhnt sind, eignen sich gerade nicht besonders, auf dem Walplatz dem Einfluß zarterer Gefühle Raum zu geben. Trotzdem weilte aber während dieser Begebnisse mehr als ein Herz bei Mabel in dem Blockhaus, und das wichtige Geschäft der Mahlzeit wollte sogar dem kühnsten Krieger nicht besonders behagen, da man wußte, daß der Sergeant im Sterben lag.

Als Pfadfinder von dem Blockhaus zurückkehrte, traf er auf Muir, der ihn beiseite führte, um eine geheime Besprechung mit ihm zu halten. Das Benehmen des Quartiermeisters trug das Gepräge einer übergebührlichen Höflichkeit, die fast immer der Arglist als Hülle dient: Es ist das untrügliche Zeichen einer unredlichen Absicht, offene Handlungen ausgenommen – wenn ein Gesicht immer lächelt oder eine Zunge übermäßig glatt ist. Muir hatte im allgemeinen viel von diesem Ausdruck an sich, obschon sich einige scheinbare Freimütigkeit damit verband, die durch seine derbe schottische Stimme, seinen schottischen Akzent und seine schottische Ausdrucksweise auf eine eigentümliche Art gehoben wurde. Er verdankte nämlich seine Stellung auch nur einer lang an den Tag gelegten Ergebenheit gegen Lundie und seine Familie; denn wenn auch der Major zu scharfblickend war, um sich von einem Mann täuschen zu lassen, der so weit an wirklichen Kenntnissen und Talenten unter ihm stand, so liegt es doch in der Natur der meisten Menschen, dem Schmeichler freigebige Zugeständnisse zu machen, selbst wenn sie seiner Aufrichtigkeit mißtrauen und seine Beweggründe vollkommen durchschauen. Bei der gegenwärtigen Gelegenheit versuchten zwei Männer gegenseitig ihre Gewandtheit, die sich in den Grundzügen des Charakters so verschieden verhielten wie nur immer möglich. Pfadfinder war so einfach wie der Quartiermeister verschlagen, so aufrichtig wie der andere falsch, und so unbefangen wie der andere schleichend. Beide waren besonnen und berechnend, und beide mutig, obgleich in verschiedener Art und in verschiedenem Grade, da sich Muir nie einer persönlichen Gefahr aussetzte, wenn er nicht seine eigenen Zwecke dabei hatte, während Pfadfinder die Furcht unter die Vernunftschwächen zählte oder als ein Gefühl betrachtete, das nur zulässig sei, wenn etwas Gutes dabei herauskomme.

»Mein teuerster Freund«, begann Muir, »denn nach Eurem letzten Benehmen müßt Ihr uns allen siebenundsiebzigmal teurer sein, als Ihr uns je gewesen, da Ihr Euch in dieser kürzlichen Verhandlung so sehr hervorgetan habt – es ist zwar wahr, man wird Euch nicht zu einem Offizier machen, da diese Art von Bevorzugung nicht für Euren Stand paßt, und, wie ich vermute, auch nicht nach Eurem Wunsch ist; aber als Kundschafter, als Berater, als treuer Untertan und erfahrener Schütze hat Euer Ruf sozusagen seine Glanzhöhe erreicht. Ich zweifle, ob der Oberbefehlshaber so viel Ruhm von Amerika mit fortnehmen wird, wie auf Euren Teil kommt. Ihr könnt nun ruhig Euer Haupt niederlegen und Euch für den Rest Eurer Tage gütlich tun. Heiratet, Mann – ohne Verzug, und bereitet Euch das schönste Glück; denn Ihr habt keine Gelegenheit, Euch nach noch mehr Ruhm umzusehen. Nehmt um Himmels willen Mabel Dunham an Euer Herz, und Ihr habt beides, eine gute Braut und einen guten Namen.«

»Ei, Quartiermeister, das ist ja ein ganz nagelneuer Rat aus Ihrem Munde. Man hat mir gesagt, ich hätt‘ in Ihnen einen Nebenbuhler?«

»Den hattet Ihr, Mann, und zwar einen furchtbaren, kann ich Euch sagen – einen, der nie vergebens freite und doch fünfmal freite. Lundie reibt mir immer vier unter die Nase, und ich weise den Angriff zurück, aber er hat keine Ahnung davon, daß die Wahrheit sogar seine Arithmetik übersteigt. Ja, ja, Ihr hattet einen Nebenbuhler, Pfadfinder; das ist aber jetzt nicht mehr der Fall. Ich wünsche Euch alles Glück zu Euren Fortschritten bei Mabel, und wenn der wackere Sergeant am Leben bliebe, so könntet Ihr Euch noch obendrein sicher darauf verlassen, daß ich bei ihm ein gutes Wort für Euch einlegen würde.«

»Ich erkenne Ihre Freundschaft, Quartiermeister, obgleich ich Ihrer Fürsprache bei Sergeant Dunham, der mein langjähriger Freund ist, nicht bedarf. Ich glaube, wir dürfen die Sache als so sicher abgemacht betrachten, wie es nur immer in Kriegszeiten möglich ist; denn Mabel und ihr Vater stimmen ein, und das ganze Fünfundfünfzigste wird es nicht ändern können. Ach! der arme Vater wird es kaum erleben, seinen so lange gehegten Herzenswunsch erfüllt zu sehen.«

»Aber er hat den Trost, die Gewißheit mit in die Ewigkeit zu nehmen. Oh, es ist eine große Beruhigung für den scheidenden Geist, Pfadfinder, mit der Überzeugung zu sterben, daß die zurückbleibenden Lieben gut versorgt sind. Alle meine Frauen haben auf ihrem Sterbebett pflichtgemäß dieses Gefühl ausgesprochen.«

»Alle Ihre Frauen haben wahrscheinlich diesen Trost gefühlt, Quartiermeister.«

»Pfui, Mann! Ich hätte Euch nicht für einen solchen Schalk gehalten. Nun, Scherzworte bringen keinen Groll zwischen alte Freunde. Wenn ich Mabel nicht heiraten kann, so werdet Ihr mich doch nicht hindern wollen, sie zu achten und gut von ihr zu sprechen, und von Euch dazu, bei jeder tunlichen Gelegenheit und in allen Gesellschaften. Aber Pfadfinder, Ihr werdet wohl einsehen, daß ein armer Teufel, der eine solche Braut verliert, wahrscheinlich auch einiges Trostes bedarf?«

»Sehr wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich, Quartiermeister«, erwiderte der einfache Kundschafter. »Ich weiß, daß es mir selber äußerst schwer fiele, Mabels Verlust zu ertragen. Es mag wohl drückend auf Ihren Gefühlen lasten, uns verheiratet zu sehen. Aber der Tod des Sergeanten wird die Sache wahrscheinlich hinausschieben, und Sie haben dann Zeit, sich männlich drein zu finden.«

»Ich will dieses Gefühl bekämpfen, ja ich will’s bekämpfen, obgleich mir das Herz dabei bricht; und Ihr könnt mir an die Hand gehen, Mann, wenn Ihr mir was zu tun gebt. Ihr begreift, daß es mit dieser Expedition eine eigentümliche Bewandtnis hat, denn ich bin hier, obgleich ein Offizier des Königs, sozusagen nur ein Freiwilliger, während eine bloße Ordonnanz das Kommando geführt hat. Ich habe mich aus verschiedenen Gründen drein gefügt, obschon ich mit heißem Verlangen auf diesen Auftrag gehofft habe, während ihr als kühne Streiter für die Ehre des Landes und die Rechte des Königs –«

»Quartiermeister«, unterbrach ihn Pfadfinder, »Sie fielen zu früh in die Hände des Feindes, so daß Sie in diesem Betracht Ihr Gewissen leicht beruhigen können. Lassen Sie sich also raten und sprechen Sie nichts mehr davon.«

»Das ist grade auch meine Meinung, Pfadfinder; wir wollen alle nichts mehr davon reden. Sergeant Dunham ist hors de combat

»Wie?« sagte der Pfadfinder. »Nun, der Sergeant kann nicht mehr kommandieren, und es würde kaum angehen, einen Korporal an die Spitze einer siegreichen Partei wie diese zu stellen; denn Blumen, die in einem Garten blühen, sterben auf einer Heide, und ich dachte eben daran, den Anspruch an diese Ehre für einen Mann, der Seiner Majestät Patent als Leutnant hat, geltend zu machen. Was die Mannschaft anbelangt, so darf diese keinen Einwurf dagegen erheben, und was Euch betrifft, mein teurer Freund – Ihr habt schon so viel Ruhm geerntet, habt obendrein Mabel und das Bewußtsein, Eure Pflicht getan zu haben, was noch das kostbarste von allem ist; ich hoffe daher, daß ich eher in Euch einen Verbündeten als einen Gegner meines Planes finden werde.«

»Was den Befehl über die Soldaten des Fünfundfünfzigsten betrifft, Leutnant, so glaub‘ ich, daß Sie ein Recht daran haben, und niemand hier wird was dagegen einwenden. Zwar sind Sie ein Kriegsgefangener gewesen, und manche könnten es vielleicht nicht ertragen, einen Gefangenen an ihrer Spitze zu haben, der durch ihre Taten befreit worden ist; doch hier wird sich wahrscheinlich niemand Ihren Wünschen entgegenstellen.«

»Das ist’s gerade, Pfadfinder; und wenn ich den Bericht von unserem Sieg über die Boote, die Verteidigung des Blockhauses und die Hauptoperationen, mit Einschluß der Kapitulation, abfassen werde, so sollt Ihr finden, daß ich Eure Ansprüche und Verdienste nicht übergangen habe.«

»Still von meinen Ansprüchen und Verdiensten, Quartiermeister! Lundie weiß, was ich im Wald und was ich in einem Fort bin, und der General weiß es noch besser als er. Kümmern Sie sich nicht um mich, und erzählen Sie Ihre Geschichte; nur lassen Sie dabei Mabels Vater Gerechtigkeit widerfahren, der in einem Sinne noch gegenwärtig der kommandierende Offizier ist.«

Muir drückte seine vollkommene Zufriedenheit mit dieser Verhandlung und seinen Entschluß aus, allen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; dann gingen beide wieder zu der an dem Feuer versammelten Gruppe zurück. Hier begann der Quartiermeister das erstemal, seit er Oswego verlassen hatte, einigermaßen seine Ansprüche auf die Würde geltend zu machen, die eigentlich seinem Range zu gebühren schien. Er nahm den am Leben gebliebenen Korporal beiseite und erklärte ihm unumwunden, daß er ihn für die Zukunft als einen Offizier im aktiven Dienst betrachten müsse, und diese Veränderung im Stande der Dinge seinen Untergebenen mitteilen solle. Dieser Dynastienwechsel wurde ohne die gewöhnlichen revolutionären Erscheinungen bewerkstelligt; denn da alle des Leutnants gesetzliche Ansprüche an das Kommando kannten, so fühlte sich niemand geneigt, seinen Befehlen zu widersprechen. Lundie und der Quartiermeister hatten ursprünglich aus Gründen, die ihnen selbst am besten bekannt waren, eine andere Verfügung getroffen, und jetzt betrachtete es Muir aus eigenen Gründen für zweckmäßig, davon abzugehen. Dies mußte den Soldaten genügen, obgleich die tödliche Verwundung des Sergeanten Dunham den Umstand hinreichend erklärt haben würde, wenn er einer Erklärung bedurft hätte.

Diese ganze Zeit über beschäftigte sich Kapitän Sanglier nur mit seinem Frühstück und zeigte dabei die Ergebung des Philosophen, die Ruhe eines alten Soldaten, die Freimütigkeit und Kenntnisse eines Franzosen und die Gefräßigkeit eines Straußes. Dieser Mann befand sich schon an dreißig Jahre in den Kolonien und hatte Frankreich in ungefähr derselben Stellung bei der Armee verlassen, die Muir bei dem Fünfundfünfzigsten einnahm. Eine eiserne Körperbeschaffenheit, vollkommene Abstumpfung der Gefühle, eine gewisse Gewandtheit, mit den Wilden umzugehen, und ein unbeugsamer Mut hatten ihn früh dem Oberbefehlshaber als einen Mann bezeichnet, der sich als ein geschickter Leiter der militärischen Operationen unter den alliierten Indianern verwenden ließ. In dieser Eigenschaft hatte er sich den Titel eines Kapitäns erworben, und mit dieser Rangeserhöhung sich zugleich einen Teil der Sitten und Ansichten seiner Verbündeten mit jener Leichtigkeit und Gefügigkeit angeeignet, die in diesem Teil der Welt als Eigentümlichkeiten seiner Landsleute betrachtet werden. Er hatte oft die Indianerhorden in ihren Raubzügen angeführt, er entwarf Unternehmungen, deren Wichtigkeit und Folgen die gewöhnliche Politik der Indianer weit überragten, und schritt dann ein, um die selbstgeschaffenen Übel zu mindern. Kurz, er war ein Abenteurer, den die Umstände in eine Lage geworfen hatten, wo sich die rauhen Eigenschaften von Leuten seiner Klasse im Guten wie im Schlimmen entwickeln konnten; und er war nicht der Mann, das Glück durch unzeitige Gewissenhaftigkeit, etwa die Folge früherer Eindrücke – zu verscherzen oder mit dieser Gunst zu spielen, indem er unnötigerweise durch mutwillige Grausamkeit seinen Groll herausforderte. Doch da sein Name unvermeidlich mit vielen von seinen Horden begangenen Ausschweifungen und Überschreitungen in Verbindung gebracht wurde, so betrachtete man ihn allgemein in den amerikanischen Provinzen als einen Elenden, der seine Lust am Blutvergießen habe und sein größtes Glück in den Qualen der Hilflosen und Unschuldigen finde; und der Name Sanglier, was Eber bedeutet und den er sich beigelegt hatte, oder Kieselherz, wie man ihn gewöhnlich an den Grenzen nannte, war den Weibern und Kindern dieser Gegend furchtbar geworden.

Das Zusammentreffen zwischen Pfadfinder und Sanglier fand bei dem Feuer statt, und beide Teile betrachteten sich eine Weile, ohne zu sprechen. Jeder fühlte, daß er in dem anderen einen furchtbaren Feind hatte, und daß ein großer Unterschied zwischen ihren Charakteren und Interessen obwaltete, obschon sie sich gegenseitig mit der männlichen Freimütigkeit von Kriegern behandeln mußten. Der eine diente um Geld und Beförderung, der andere, weil ihn sein Schicksal in die Wälder geschleudert hatte und weil sein Geburtsland seines Armes und seiner Erfahrung bedurfte. Der Wunsch, sich über seine gegenwärtige Lage zu erheben, trübte Pfadfinders Ruhe nicht; auch hatte er nie einen ehrgeizigen Gedanken im gewöhnlichen Sinne des Wortes gehegt, bis er mit Mabel bekannt wurde. Seit dieser Zeit aber hatten ihn allerdings sein geringes Selbstvertrauen, Verehrung für seine Geliebte und der Wunsch, ihr eine bessere Stellung zu verschaffen, manche unbehagliche Augenblicke gemacht; doch die Geradheit und Einfachheit seines Charakters gewährte ihm bald die erforderliche Beruhigung, und er begann zu fühlen, daß die Frau, die keinen Anstand nahm, ihn zum Gatten zu wählen, auch kein Bedenken tragen würde, sein Los, so gering es auch sein mochte, zu teilen. Er achtete Sanglier als einen tapferen Krieger und besaß viel zuviel von jener Freisinnigkeit, die das Ergebnis durch Erfahrung erworbenen Wissens ist, um nur die Hälfte von dem zu glauben, was er zum Nachteil seines Gegners gehört hatte; denn gewöhnlich sind die, die am wenigsten von einer Sache verstehen, die befangensten und unduldsamsten Beurteiler davon. Doch konnte er die Selbstsucht des Franzosen, seine kaltblütigen Berechnungen und die Beweise nicht billigen, mit der er seine »weißen Gaben« vergessen und sich die rein »roten« angeeignet hatte. Auf der anderen Seite war Pfadfinder dem Kapitän Sanglier ein Rätsel, da letzterer die Beweggründe des anderen nicht zu begreifen vermochte.

Er hatte oft von der Geradheit, Gerechtigkeit und Wahrheitsliebe des Kundschafters gehört, und diese hatten ihn schon zu großen Irrtümern verleitet, nach demselben Grundsatz, nach dem ein freimütiger und offener Diplomat sein Geheimnis weit besser bewahren soll als der listige und verschlossene.

Als sich die beiden Helden auf die erwähnte Weise betrachtet hatten, berührte Monsieur Sanglier seine Mütze, denn das wilde Grenzleben hatte die feineren Sitten seiner Jugend und den Anstrich von Bonhomie, die den Franzosen angeboren scheint, nicht ganz zerstört.

»Monsieur, le Pfadfinder«, sagte er mit sehr entschiedenem Ton, obgleich mit freundlichem Lächeln; »un militaire ehren le courage et la loyauté. Sie sprechen Irokesisch?«

»Ja, ich verstehe die Sprache dieses elenden Gezüchtes und kann damit fortkommen, wenn sich eine Gelegenheit dazu bietet«, erwiderte der wahrheitliebende Kundschafter, »obgleich mir weder die Sprache noch der Stamm behagt. Wo Sie immer auf Mingoblut stoßen, Meister Kieselherz, finden Sie einen Schurken. Nun, ich habe Sie oft gesehen, zwar nur in der Schlacht, aber ich muß gestehen – immer im Vordertreffen. Sie müssen die meisten unserer Kugeln aus eigener Anschauung kennen?«

»Nie, Herr, Ihre eigene; une balle aus Ihrer verehrten Hand sein sicherer Tod. Sie töten wird meine beste Krieger auf einer Insel.«

»Das kann sein, das kann sein; obgleich ich sagen darf, daß sie sich, wenn man’s genauer betrachtet, als die größten Schurken ausweisen werden. Nehmen Sie mir’s nicht übel, Herr Kieselherz, Sie halten sich zu einer verzweifelt schlechten Gesellschaft.«

»Ja, Herr«, antwortete der Franzose, der etwas Artiges erwidern wollte, und da er den anderen nur schwer verstehen konnte, seine Worte für ein Kompliment gehalten hatte; »Sie sein zu gütig. Aber un brave immer comme ça. Was das bedeuten? ha! was dies jeune homme tun?«

Die Hand und das Auge Kapitän Sangliers leitete den Blick Pfadfinders auf die entgegengesetzte Seite des Feuers, wo Jasper in diesem Augenblick von zwei Soldaten gepackt wurde, die ihm auf Muirs Befehl die Hände banden.

»Was soll das heißen, he?« rief der Kundschafter, indem er vorwärts eilte und die zwei Untergebenen mit unwiderstehlicher Muskelkraft zurückdrückte. »Wer wagt es, so mit Jasper umzugehen? Und wer erkühnt sich, das vor meinen Augen zu tun?«

»Es geschieht auf meinen Befehl, Pfadfinder«, antwortete der Quartiermeister; »und ich werde es verantworten. Ihr werdet Euch doch nicht herausnehmen, die Gesetzlichkeit der Befehle, die ein königlicher Offizier des Königs Soldaten gibt, zu bestreiten?«

»Ich bestreite die Worte des Königs, wenn ich sie aus seinem eigenen Mund habe, sobald sie behaupten, daß Jasper eine solche Behandlung verdiene. Hat nicht der Junge eben die Skalpe von uns allen gerettet? Und uns zum Sieg verholfen? Nein, nein, Leutnant; wenn das der erste Gebrauch ist, den Sie von Ihrem Ansehen machen wollen, so werd‘ ich mich ein für allemal dagegen stemmen.« »Das riecht ein wenig nach Insubordination«, antwortete Muir; »aber wir lassen uns viel von Pfadfinder gefallen. Es ist wahr, daß uns Jasper in dieser Angelegenheit zu dienen schien; wir dürfen aber die Vergangenheit nicht außer acht lassen. Hat ihn nicht Major Duncan selbst dem Sergeanten Dunham als verdächtig bezeichnet, ehe wir die Garnison verließen? Haben wir nicht genug mit unseren eigenen Augen gesehen, um überzeugt sein zu dürfen, daß wir verraten wurden? Und ist es nicht natürlich und fast notwendig, diesen jungen Menschen für den Verräter zu halten? Ach, Pfadfinder, Ihr werdet nie ein großer Staatsmann oder ein großer Feldherr werden, wenn Ihr so sehr dem Schein vertraut. Du lieber Himmel! Die Heuchelei ist ein noch gewöhnlicheres Laster als der Neid, der doch der Krebsschaden der menschlichen Natur ist.«

Kapitän Sanglier zuckte die Achsel; dann blickte er ernst von Jasper auf den Quartiermeister und von dem Quartiermeister wieder auf Jasper zurück.

»Ich bekümmere mich wenig um Ihren Neid oder Ihre Heuchelei oder um Ihre ganze menschliche Natur«, erwiderte Pfadfinder. »Jasper Eau-douce ist mein Freund, Jasper Eau-douce ist ein mutiger Bursche, ein ehrlicher Bursche, ein loyaler Bursche, und niemand vom Fünfundfünfzigsten soll Hand an ihn legen, solang ich’s verhindern kann – es sei denn auf Lundies eigenen Befehl. Sie mögen meinetwegen Macht über Ihre Soldaten haben, aber Sie haben keine über Jasper oder mich, Herr Muir.«

»Bon!« rief Sanglier in einem Ton, an dessen Energie die Kehle und die Nase in gleicher Weise teilnahm.

»Wollt Ihr der Vernunft kein Gehör geben, Pfadfinder? Bedenkt doch unsere Vermutungen und unseren Argwohn; auch hab‘ ich noch ein weiteres Indiz bereit, das alle anderen vermehrt und erschwert. Betrachtet einmal dieses Stückchen Segeltuch; dieses fand Mabel Dunham – und noch obendrein an einem Baumast auf unserer Insel, kaum eine Stunde, ehe der Feind seinen Angriff machte. Wenn Ihr Euch nun die Mühe nehmen wollt, die Länge des Scudwimpels zu betrachten, so werdet Ihr selbst sagen müssen, daß dieser Streifen davon abgeschnitten ist. Ein umständlicherer, augenscheinlicherer Beweis ist nie geliefert worden.«

»Ma foi c’est un peu trop, ceci«, murmelte Sanglier zwischen den Zähnen.

»Was schwatzen Sie mir da von Wimpeln und Signalen, wenn ich das Herz kenne!« fuhr Pfadfinder fort. »Jasper hat die Gabe der Ehrlichkeit, und die ist zu selten, um damit sein Spiel treiben zu dürfen, wie mit dem Gewissen eines Mingos. Nein, nein; die Hände weg, oder wir werden sehen, wer sich am wackersten im Kampf hält – Sie und Ihre Leute vom Fünfundfünfzigsten oder Chingachgook hier, der Wildtod und Jasper mit seinen Bootsleuten. Leutnant Muir, Sie überschätzen Ihre Macht ebensosehr, wie Sie Jaspers Treue zu gering achten.«

»Très-bon!«

»Nun, wenn ich offen sprechen muß, Pfadfinder, so muß ich’s eben tun. Kapitän Sanglier hier und der brave Tuscarora da haben mir mitgeteilt, daß dieser unglückselige Jüngling der Verräter ist. Nach einem solchen Zeugnis könnt Ihr mein Recht, ihn zu bestrafen, ebensowenig länger bestreiten wie die Notwendigkeit dieser Handlung.«

»Scélérat«, brummte der Franzose.

»Kapitän Sanglier ist ein wackerer Soldat und wird nichts gegen das Benehmen eines ehrlichen Schiffers zu sagen wissen«, warf Jasper ein. »Ist ein Verräter hier, Kapitän Kieselherz?«

»Ja«, fügte Muir bei, »er soll sich aussprechen, da Ihr selbst wünscht, unglücklicher Jüngling, daß die Wahrheit bekannt werde; und ich kann Euch nur wünschen, daß Ihr mit dem Leben davonkommen möchtet, wenn ein Kriegsgericht über Euer Verbrechen aburteilt. Wie ist es, Kapitän? Sehen Sie einen Verräter unter uns oder nicht?«

»Oui – ja, Herr – bien sûre!«

»Zuviel lügen!« rief Pfeilspitze mit einer Donnerstimme, indem er in hastiger Bewegung mit seinem Handrücken Muirs Brust berührte. »Wo meine Krieger? – Wo Yengeese Skalp? Zuviel lügen!«

Es fehlte Muir weder an persönlichem Mut noch an einem gewissen persönlichen Ehrgefühl. Er nahm die Berührung des Tuscarora, die nur die unwillkürliche Folge einer raschen Gebärde war, irrigerweise für einen Schlag: Denn das Gewissen erwachte in ihm plötzlich, und mit einem Schritt zurück streckte er die Hand nach einem Gewehr aus. Sein Gesicht war bleich vor Wut, und seine Züge drückten die volle Absicht seines Innern aus. Aber Pfeilspitze war schneller als er. Der Tuscarora warf einen wilden Blick um sich, griff dann in seinen Gürtel, zog ein verborgenes Messer daraus hervor und hatte es in einem Augenblick bis ans Heft in dem Körper des Quartiermeisters begraben. Sanglier nahm, als Muir zu seinen Füßen niederstürzte und ihm mit dem stieren Blicke des überraschten Todes ins Gesicht starrte, eine Prise Schnupftabak und sagte mit ruhiger Stimme:

»Voilà l’affaire finie; mais«, er zuckte die Achsel, »ce n’est qu’un scélérat de moins.«

Die Tat war zu rasch geschehen, um verhindert werden zu können, und als Pfeilspitze mit einem gellenden Schrei in das Gebüsch enteilte, waren die Weißen zu bestürzt, um ihm zu folgen. Nur Chingachgook war gefaßter, und die Büsche hatten sich kaum hinter dem Körper des Tuscarora geschlossen, als der des Delawaren ihm in rascher Verfolgung nachrauschte.

Jasper sprach geläufig Französisch, und die Worte wie das Benehmen Sangliers waren ihm daher aufgefallen.

»Sprechen Sie, Monsieur«, sagte er englisch, »bin ich ein Verräter?«

»Le voilà«, antwortete der kaltblütige Franzose, »das is unser éspion – unser Agent – unser Freund – ma – foi – c’était un grand scélérat voici.«

Bei diesen Worten beugte sich Sanglier über den toten Körper und griff mit der Hand in die Tasche des Quartiermeisters, aus der er eine Börse zog. Als er den Inhalt auf die Erde leerte, rollten mehrere Doppel-Louisdors gegen die Soldaten hin, die nicht säumten, sie aufzulesen. Dann warf der Glücksritter die Börse verächtlich weg, wendete sich zu der Suppe, die er mit so großer Sorgfalt bereitet hatte, und da er sie nach seinem Geschmack fand, so begann er sein Frühstück mit einer Gleichgültigkeit, um die ihn der stoischste indianische Krieger hätte beneiden können.

Achtzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Gegen Mittag legte sich der Sturm. Seine Wut sänftigte sich ebenso schnell, wie sie ausgebrochen war. In wehiger als zwei Stunden nach dem Abfallen des Windes war der glänzende Schaum auf der Oberfläche des Sees verstoben, obgleich dieser noch immer sehr bewegt war, und in der doppelten Zeit zeigte die ganze Wassermasse das gewöhnliche unruhige Wogen, auf das der Sturm keinen Einfluß mehr übt. Die Wellen schlugen zwar noch ohne Unterlaß gegen das Ufer, und die Linie der Brandungen blieb bestehen, aber das Auffliegen des Gischtes hatte nachgelassen. Das Wogen der Fluten war gemäßigter, und was noch von stärkerer Erregung zurückblieb, konnte als die Nachwirkung des erschöpften Sturmes betrachtet werden.

Da es nicht möglich war, bei dem leichten Gegenwind, der aus Osten wehte, gegen die noch aufgeregten Wellen zu steuern, so wurde der Gedanke, sich noch an diesem Nachmittag auf den Weg zu machen, aufgegeben. Jasper, der nun ungehindert sein Kommando wieder aufgenommen hatte, beschäftigte sich mit den Ankern, die nacheinander gelichtet wurden. Die Ketschen, mit denen sie verkettet waren, wurden aufgezogen und alles in segelfertigen Stand gesetzt, um abfahren zu können, sobald es das Wetter zuließ. Inzwischen ergingen sich die bei der Arbeit Unbeteiligten in Belustigungen, wie sie ihre eigentümliche Lage gerade erlaubte.

Mabel ließ sehnsüchtige Blicke nach dem Ufer herübergleiten, wie es denen zu gehen pflegt, die nicht an den engen Raum eines Schiffes gewöhnt sind, und bald gab sie den Wunsch zu erkennen, daß man womöglich landen möchte. Der Pfadfinder versicherte, daß nichts leichter sei, als ihrem Anliegen zu entsprechen, da sie einen Rindenkahn auf dem Deck hätten, mit dem sich die Durchfahrt durch die Brandung am besten bewerkstelligen lasse. Nach den gewöhnlichen Zweifeln und Bedenklichkeiten wurde der Sergeant aufgerufen, nach dessen Zustimmung sogleich die geeigneten Anstalten getroffen wurden, der Laune des Mädchens zu willfahren.

Die Gesellschaft, die zu landen wünschte, bestand aus Sergeant Dunham, seiner Tochter und dem Pfadfinder. An die Bewegungen eines Kahns gewöhnt, nahm Mabel ihren Sitz mit großer Festigkeit in der Mitte, ihr Vater setzte sich in den Bug, und Pfadfinder übernahm das Geschäft des Fährmannes, indem er das Ruder im Stern ergriff. Man bedurfte jedoch des Ruders nur wenig, denn die Rollwogen warfen den Kahn oft mit einer Heftigkeit vorwärts, die jede Anstrengung, die Bewegungen zu leiten, fruchtlos machte. Bis sie das Ufer erreichten, bereute Mabel mehr als einmal ihre Verwegenheit; aber Pfadfinder ermutigte sie und zeigte dabei soviel Selbstbeherrschung, Gelassenheit und persönliche Kraft, daß selbst eine Frau Anstand nehmen mußte, ihre Besorgnis einzugestehen. Mabel war nicht feigherzig, und während ihr die Fahrt durch eine Brandung als etwas ganz Neues vorkommen mochte, fühlte sie zugleich auch einen großen Teil der damit verbundenen wilden Lust. Bisweilen wollte ihr freilich der Mut sinken, wenn diese Schaumblase von einem Boot auf dem obersten Kamm der schäumenden Brandung das Wasser nur wie eine streichende Schwalbe zu berühren schien; dann aber lachte sie wieder errötend, wenn man das Element durchschnitten hatte und die Woge hinten zu weilen schien, als ob sie sich schäme, in diesem ungestümen Wettlauf besiegt worden zu sein. Diese Aufregung dauerte jedoch nur kurze Zeit, denn obgleich der Abstand zwischen dem Kutter und dem Land beträchtlich mehr als eine Viertelmeile betrug, so wurde er doch in einigen Minuten zurückgelegt.

Als sie ans Land gestiegen waren, küßte der Sergeant seine Tochter zärtlich (denn er war so sehr Soldat, daß er sich in jeder Hinsicht auf dem Festland heimischer fühlte als auf dem Wasser), ergriff dann sein Gewehr und gab seine Absicht zu erkennen, sich eine Stunde auf der Jagd zu ergehen.

»Pfadfinder wird bei dir bleiben, Mädel, und dir vielleicht einiges von der Geschichte dieses Weltteils oder von seinen Erfahrungen unter den Mingos erzählen.«

Pfadfinder lachte, versprach, für das Mädchen Sorge zu tragen, und in wenigen Minuten hatte der Vater eine Anhöhe erstiegen, wo er im Wald verschwand. Die Zurückgebliebenen schlugen eine andere Richtung ein und erreichten gleichfalls nach wenigen Minuten eine kleine kahle Spitze des Vorgebirges, wo sich dem Auge ein weites und ganz eigentümliches Rundgemälde darbot. Mabel setzte sich auf die Trümmer eines umgestürzten Felsblockes, um auszuruhen und wieder zu Atem zu kommen, während ihr Gefährte, auf dessen Sehnen keinerlei körperliche Anstrengung einen Einfluß zu üben schien, neben ihr stand und sich in seiner eigentümlichen, nicht anmutlosen Weise auf seine lange Büchse lehnte. So vergingen einige Minuten in Stillschweigen, während der besonders Mabel in Bewunderung des Anblicks verloren war.

Der Ort ihrer Rast lag hoch genug, um den weiten Bereich des Sees zu beherrschen, der sich endlos gegen Nordost erstreckte und, erglänzend unter den Strahlen der Nachmittagssonne, noch die Spuren der Bewegung trug, in die ihn der letzte Sturm versetzt hatte. Das Land säumte seine Ränder mit einem Ungeheuern Halbmond und verschwand gegen Südost und Norden in der Ferne. So weit das Auge reichte, erblickte es nichts als Wälder, und auch nicht eine Spur von Zivilisation unterbrach die gleichförmige und hehre Größe der Natur. Der Sturm hatte den Scud über die Linie des Forts hinausgetrieben, mit der die Franzosen damals die englischen Besitzungen in Nordamerika zum umgürten bemüht waren: Denn ihre Posten lagen, da sie den Verbindungskanälen der großen Seen folgten, an den Ufern des Niagara, indes unsere Abenteurer sich um viele Stunden westlich von dieser berühmten Wasserstraße befanden. Der Kutter lag vor einem einzelnen Anker außerhalb der Brandungen und glich einem artigen, sorgfältig gearbeiteten Spielzeug, daß eher für einen Glasschrank als für den Kampf der Elemente, dem er eben erst ausgesetzt gewesen, bestimmt schien, während der Kahn auf dem schmalen Strand gerade außer dem Bereich der Wellen ruhte, die am Land anschlugen und sich wie ein dunkler Punkt auf den Ufersteinchen ausnahm.

»Wir sind hier wohl sehr fern von menschlichen Wohnungen!« rief Mabel, als sich nach einem langen und sinnenden Blick auf dieses Panorama seine Haupteigentümlichkeiten ihrer geschäftigen Phantasie bemächtigt hatten. »Das heißt in der Tat an der Grenze sein.«

»Gibt es wohl ansprechendere Bilder als diese in der Nähe des Meeres und in der Umgebung großer Städte?« fragte Pfadfinder mit so viel Wärme, wie er nur auszudrücken vermochte.

»Ich will das nicht sagen. Man erinnert sich dort mehr an seinen Nebenmenschen als hier, aber vielleicht auch weniger an Gott.«

»Ja, Mabel, das sind ganz meine Gefühle. Ich weiß zwar wohl, daß ich nur ein armer unwissender Jäger bin. Aber Gott ist mir in dieser meiner Heimat so nahe wie dem König in seinem Palast.«

»Wer kann daran zweifeln?« erwidert Mabel, indem sie ihren Blick von der Aussicht weg auf die harten ehrlichen Züge ihres Gefährten richtete, da sie der kräftige Ausdruck seiner Worte überrascht hatte. »Man fühlt, glaub‘ ich, die Nähe Gottes mehr an einer solchen Stelle, als wenn der Geist durch das Gewühl der Städte zerstreut wird.«

»Sie sagen da alles, was ich sagen könnte, Mabel, aber in einer so viel einfacheren Sprache, daß ich erröten muß, wenn ich das, was ich bei solchen Anlässen fühle, anderen mitteilen möchte. Ich habe vor dem Kriege die Küsten dieses Sees durchstreift, um Felle zu erbeuten, und bin schon einmal hier gewesen – nicht gerade auf dieser Stelle, denn wir landeten dort, wo Sie die dürre Eiche über der Gruppe von Schierlingstannen sehen –«

»Wie, Pfadfinder? Ihr könnt Euch aller dieser Einzelheiten so genau erinnern?«

»Sie sind unsere Straßen und Häuser, unsere Kirchen und Paläste. Ob ich mich ihrer erinnere? – Aber ganz genau! Ich machte einmal der Schlange den Vorschlag, mit ihm nach sechs Monaten mittags um zwölf Uhr an dem Fuße einer gewissen Fichte zusammenzutreffen, obschon damals jeder an dreihundert Meilen von der Stelle entfernt war. Der Baum stand und steht noch, wenn nicht auch ihn sein Schicksal ereilt hat, in der Mitte des Waldes, fünfzig Meilen von der nächsten Ansiedlung, aber in einer Gegend, wo es ungewöhnlich viel Biber gibt.«

»Und traft Ihr ihn zur Stunde an Ort und Stelle?«

»Auf die Minute! Als ich bei dem Baum anlangte, fand ich den Häuptling mit zerrissenen Beinkleidern und schmutzigen Mokassins an dem Stamm lehnend. Der Delaware war in einen Sumpf gekommen und hatte nicht wenig Not gehabt, seinen Weg wieder ‚rauszufinden; aber er hielt Ort und Zeit so genau ein wie die Sonne, die über die östlichen Berge am Morgen heraufkommt und abends hinter den westlichen untergeht. Chingachgook kennt keine Furcht, mag sich’s um einen Freund oder einen Feind handeln; er hält jedem Wort.«

»Und wo ist der Delaware jetzt? Warum ist er heute nicht bei uns?«

»Er spürt die Mingofährte aus, was ich eigentlich auch tun sollte und aus einer großen menschlichen Schwäche unterlassen habe.«

»Ihr scheint über alle menschlichen Schwächen weit erhaben zu sein, Pfadfinder. Ich habe noch nie einen Mann getroffen, der den Schwachheiten der Natur so wenig unterworfen zu sein schien.«

»Wenn Sie damit Gesundheit und Kraft meinen, Mabel, so hat mich die Vorsehung allerdings gütig behandelt, obgleich ich denke, daß frische Luft, das Jagdleben, rührige Kundschaftsmärsche, Wälderkost und der Schlaf eines guten Gewissens den Doktor immer fernhalten können. Im Grunde bin ich aber doch ein Mensch; ja, und ich fühle, daß ich es bisweilen recht sehr bin.«

Mabel blickte ihn überrascht und mit einem ziemlichen Anteil Neugier an, obgleich ihre Zunge rücksichtsvoller war.

»Es liegt etwas Bezauberndes in Eurem wilden Leben, Pfadfinder«, rief sie aus, und die Glut der Begeisterung legte sich auf ihre Wangen. »Ich finde, daß ich schnell zu einem Grenzmädchen werde und anfange, dieses großartige Schweigen der Wälder zu lieben. Die Städte erscheinen mir schal, und da mein Vater den Rest seiner Tage wahrscheinlich da zubringen will, wo er so lange gelebt hat, so kann ich mich wohl in das Gefühl finden, daß ich bei ihm glücklich sein werde, ohne nach dem Meeresufer zurückkehren zu wollen.«

»Die Wälder schweigen für den nie, der ihre Stimmen versteht, Mabel. Ich hab‘ sie tagelang allein durchwandert, ohne einen Mangel an Gesellschaft zu fühlen; und wenn man ihre Sprache zu deuten weiß, so fehlt’s auch nicht an verständiger und belehrender Unterhaltung.«

»Ich glaube, Ihr seid glücklicher, Pfadfinder, wenn Ihr allein seid, als im Gewühle Eurer Mitmenschen.«

»Ich will das nicht gerade sagen. Ich hab‘ ’ne Zeit gekannt, wo ich glaubte, daß mir Gott in meinen Wäldern genug sei, und wo ich um nichts flehte, als um seinen Schutz und seine Gnade. Jetzt haben aber andere Gefühle die Oberhand gewonnen, und ich denke, man muß der Natur ihren Lauf lassen. Alle anderen Geschöpfe paaren sich, Mabel, und es ist die Einrichtung getroffen, daß der Mensch ein Gleiches tue.«

»Und habt Ihr nie daran gedacht, Euch ein Weib zu suchen, Pfadfinder, und Euer Geschick mit ihm zu teilen?« fragte das Mädchen mit der Offenheit, die am besten die Reinheit und Arglosigkeit des Herzens bezeichnet, und mit dem Gefühl der Teilnahme, das dem weiblichen Geschlecht angeboren ist. »Mir scheint, es fehlt Euch nichts als ein Herd, zu dem Ihr von Euren Wanderungen heimkehren könnt, um das Glück Eures Lebens vollständig zu machen. Wenn ich ein Mann wäre, so würd‘ es meine größte Lust sein, nach Gefallen durch diese Wälder zu streifen und über diesen prächtigen See zu segeln.«

»Ich versteh‘ Sie, Mabel, und Gott segne Sie, daß Sie an die Wohlfahrt so geringer Leute, wie wir sind, denken. Es ist wahr, wir haben unsere Vergnügungen so gut wie unsere Gaben; aber wir möchten gern noch glücklicher sein. Ja, ich glaube, wir könnten noch glücklicher sein.«

»Glücklicher? – und wie das, Pfadfinder? In dieser reinen Luft, mit diesen kühlen, schattigen Wäldern durch die Ihr wandert, diesem lieblichen See, auf dem Ihr segelt: dazu noch ein reines Gewissen und der Überfluß an allen leiblichen Bedürfnissen – müssen da die Menschen nicht so vollkommen glücklich sein, wie es nur überhaupt bei ihrer Gebrechlichkeit möglich ist?«

»Jedes Geschöpf hat seine Gaben, Mabel, und auch die Menschen haben die ihren«, antwortete der Kundschafter mit einem verstohlenen Blick auf seine schöne Gefährtin, deren Wangen erglühten und deren Augen leuchteten – »und alles muß ihnen gehorchen. Sehen Sie die Wildtaube, die sich gerade gegen das Ufer hinunterläßt, dort in einer Linie mit dem umgestürzten Kastanienbaum?«

»Gewiß, denn es ist ja das einzige lebendige Geschöpf, das sich außer uns in dieser weiten Einsamkeit blicken läßt.«

»Nicht doch, Mabel, nicht doch; die Vorsehung schafft kein Leben, um es ganz allein hinzubringen. Da fliegt gerade ihr Männchen auf; es hat auf einer anderen Seite des Ufers Nahrung gesucht, aber es wird nicht lange von seiner Gefährtin getrennt bleiben.«

»Ich versteh‘ Euch, Pfadfinder«, erwiderte Mabel mit leisem Lächeln, obgleich sie dabei so ruhig blieb, als ob sie mit ihrem Vater spräche. »Aber ein Jäger kann auch in dieser wilden Gegend eine Gefährtin finden. Die indianischen Mädchen sind, soviel ich weiß, zärtlich und treu, denn so war wenigstens das Weib Pfeilspitzes, obgleich ihr Mann weit öfter die Stirn runzelte als lächelte.«

»Das würde nun und nimmermehr angehen, und nie könnte was Gutes dabei ‚rauskommen. Art darf nicht von Art und Land nicht vom Lande lassen, wenn einer sein Glück finden will. Wenn ich freilich jemand wie Sie treffen könnte, die sich entschlösse, einen Jäger zu heiraten und meine Unwissenheit und Rauheit nicht verspottete, dann würden mir sicher alle Mühen der Vergangenheit nur wie das Spielen des jungen Hirsches und meine künftigen Tage im Glänze der Sonne erscheinen.«

»Jemand wie ich? Ein Mädchen von meinen Jahren und meiner Unbesonnenheit möchte kaum eine passende Gefährtin für den kühnsten Kundschafter und den sichersten Jäger an den Grenzen abgeben.«

»Ach, ich fürchte, Mabel, ich hab‘ zuviel von den Gaben der Rothäute mit der Natur eines Bleichgesichts verbunden! Ein solcher Mann sollte sich wohl ein Weib aus einem indianischen Dorfe suchen.«

»Gewiß, Pfadfinder – gewiß! es ist nicht Euer Ernst, ein so simples, eitles und unerfahrenes Geschöpf wie mich zum Weibe zu nehmen.«

Mabel würde noch hinzugesetzt haben: »und ein so junges«; aber ein instinktartiges Zartgefühl unterdrückte diese Worte.

»Und warum nicht, Mabel? Wenn Sie unwissend sind, was die Grenzbräuche betrifft, so kennen Sie mehr angenehme Geschichtchen von dem Stadtleben als wir alle miteinander. Was Sie unter simpel verstehen, weiß ich nicht; wenn es aber ›schön‹ bedeutet, ach! dann fürcht‘ ich, daß es kein Fehler in meinen Augen ist. Eitel sind Sie nicht, wie man aus der Art bemerken kann, mit der Sie meinen müßigen Erzählungen von Fährten und Kundschaftszügen zuhören, und was die Erfahrung anbetrifft, so kommt diese mit den Jahren. Außerdem fürchte ich, Mabel, daß die Männer über solche Sachen wenig nachdenken, wenn sie ein Weib nehmen wollen; wenigstens geht’s mir so.«

»Pfadfinder, Eure Worte – Eure Blicke – sicherlich, alles dies ist nur Tändelei, nur Scherz von Euch?«

»Mir ist es immer angenehm, in Ihrer Nähe zu sein, Mabel, und ich würde in dieser Nacht weit gesünder schlafen, als ich die ganze vergangene Woche über getan habe, wenn ich denken könnte, daß Sie an solchen Unterhaltungen ebensoviel Vergnügen fänden wie ich.«

Obschon sich Mabel Dunham schon immer für den Liebling des Pfadfinders hielt, wie es ihr schneller weiblicher Scharfsinn bald entdeckt und vielleicht auch gelegentlich bemerkt hatte, da sich in seine Achtung und Freundschaft zugleich auch etwas von der männlichen Zärtlichkeit mischte, die das stärkere Geschlecht, wenn seine Sitten nicht ganz verwildert sind, dem zarteren hin und wieder zu zeigen geneigt ist, so war doch der Gedanke einer ernstlichen Werbung nie in ihrer Seele aufgetaucht. Jetzt aber traf sie eine Ahnung der Wahrheit, die vielleicht weniger durch die Worte als vielmehr durch das ganze Benehmen ihres Gefährten geweckt wurde.

Als Mabel mit Ernst in das faltige, ehrliche Gesicht des Waldläufers blickte, gewannen ihre Züge den Ausdruck der Sorge und der Bekümmernis; dann begann sie wieder in einer so gewinnenden Weise zu sprechen, daß Pfadfinder nur noch mächtiger durch sie angezogen wurde, obgleich ihre Worte die Absicht hatten, ihn zurückzuweisen.

»Ihr und ich sollten einander verstehen, Pfadfinder«, sagte sie mit aufrichtigem Ernst, »und es sollte sich keine Wolke zwischen uns legen. Ihr seid zu aufrichtig und offen, als daß ich Euch nicht auch mit Aufrichtigkeit und Offenheit entgegenkommen sollte. Gewiß, gewiß – Ihr habt mit allem dem nichts sagen wollen; es hat keine andere Verbindung mit Euren Gefühlen als die der Freundschaft, die ein Mann von Eurem Wissen und Charakter für ein Mädchen wie mich natürlicherweise fühlen kann.«

»Ich glaube, ’s ist alles natürlich, Mabel; ja, das glaub‘ ich. Der Sergeant sagt mir, er hätte solche Gefühle gegen Ihre Mutter gehegt; und ich denke, ich hab‘ auch etwas der Art bei den jungen Leuten gesehen, die ich von Zeit zu Zeit durch die Wildnis führte. Ja, ja; ich darf sagen, ’s ist alles natürlich genug, deshalb kommt es auch so leicht, und es wird einem so wohl dabei ums Herz.«

»Pfadfinder, Eure Worte machen mich unruhig. Sprecht deutlicher oder laßt uns den Gegenstand für immer abbrechen. Ich glaube nicht – ich kann nicht glauben, daß – daß Ihr mir wollt verstehen geben –« die Zunge des Mädchens stotterte, und die jungfräuliche Scham erlaubte ihr nicht, das zu vollenden, was sie noch so gern gesagt hätte. Sie sammelte jedoch ihren Mut wieder, entschlossen, so bald und so unumwunden wie möglich der Sache auf den Grund zu gehen, und fuhr daher nach einem kurzen Zögern fort:

»Ich meine, Pfadfinder, Ihr wollt mir doch nicht zu verstehen geben, daß Ihr mich im Ernst zu Eurem Weibe haben möchtet?«

»Freilich, Mabel, das ist’s; das ist’s eben, und Sie haben die Sache in ein weit helleres Licht gerückt, als ich mit meinen Waldgaben und meiner Grenzweise je fähig gewesen wäre. Der Sergeant und ich haben den Handel unter der Bedingung abgemacht, daß Sie damit einverstanden seien, und er meint, daß dies wahrscheinlich der Fall sein werde, wenngleich ich zweifle, ob ich die Eigenschaften besitze, einem Mädchen zu gefallen, das den besten Mann in ganz Amerika verdient.«

Mabels Gesicht ging von dem Ausdruck des Unbehagens zu dem des Staunens und dann, in noch rascherer Folge, zu dem des Schmerzes über.

»Mein Vater!« rief sie, »mein lieber Vater hatte den Gedanken, daß ich Euer Weib werden sollte, Pfadfinder?«

»Ja, den hatte er, Mabel; den hatte er in der Tat. Er glaubte sogar, diese Sache dürfte Ihnen angenehm sein, und hat mich solange ermutigt, bis ich glaubte, es sei wahr.«

»Aber Ihr – Ihr kümmert Euch gewiß wenig darum, ob diese sonderbare Hoffnung je in Erfüllung gehen wird oder nicht?«

»Wie?«

»Ich meine, Pfadfinder, daß Ihr von dieser Angelegenheit mehr wegen meines Vaters als um eines anderen Grundes willen mit mir gesprochen habt und daß Eure Gefühle keineswegs dabei beteiligt sind, mag nun meine Antwort ausfallen, wie sie will?«

Der Kundschafter blickte mit Ernst in Mabels schönes Antlitz, das unter der Glut ihrer Gefühle errötete, und man konnte den Ausdruck der Bewunderung unmöglich verkennen, der sich in jedem Zug seines sprechenden Gesichts verriet.

»Ich habe mich oft glücklich gefühlt, Mabel, wenn ich in der Fülle der Gesundheit und Kraft auf einer ertragreichen Jagd durch die Wälder streifte und die reine Luft der Berge atmete. Ich weiß aber jetzt, daß dies noch gar nichts heißen will im Vergleiche mit der Wonne, die mir das Bewußtsein geben würde, daß Sie besser von mir als von den meisten anderen denken.«

»Besser von Euch? – Wirklich, Pfadfinder, ich denke besser von Euch als von den meisten, vielleicht als von allen anderen; denn Eure Wahrheitsliebe, Ehrlichkeit, Einfachheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit finden kaum ihresgleichen auf Erden.«

»Ach, Mabel, wie süß und ermutigend klingen diese Worte aus Ihrem Munde, und der Sergeant hat im Grunde doch nicht so ganz unrecht gehabt, wie ich fürchtete.«

»Nein, Pfadfinder; ich beschwör‘ Euch bei allem, was heilig ist, laßt in einer Sache von so großer Wichtigkeit kein Mißverständnis zwischen uns Platz greifen. Wenn ich Euch auch schätze, achte nein, sogar verehre, fast so sehr, wie ich meinen teuren Vater verehre, so ist es doch nicht möglich, daß ich je Euer Weib werde – daß ich –«

Der Wechsel in den Zügen ihres Gefährten war so plötzlich und auffallend, daß Mabel in dem Augenblick, als sie die Wirkung ihrer Äußerungen in Pfadfinders Gesicht las, ungeachtet des sehnlichen Wunsches einer Verständigung, ihre Worte unterbrach und, weil sie ihm nicht weh tun wollte, stillschwieg. Es folgte eine lange Pause.

Der Schatten getäuschter Hoffnung, der sich über die rauhen Züge des Jägers gelagert hatte, wurde immer dunkler, so daß Mabel fast Angst und Furcht empfand, während das Gefühl des Erstickens bei dem Pfadfinder so mächtig wurde, daß er nach seiner Kehle griff wie einer, der gegen körperliches Leiden Hilfe sucht. Das krampfhafte Arbeiten seiner Finger erfüllte das beunruhigte Mädchen mit wahrer Todesangst.

»Nein, Pfadfinder«, fuhr Mabel hastig fort, sobald sie wieder über ihre Stimme gebieten konnte – »ich hab‘ vielleicht mehr gesagt, als ich sagen wollte; denn auf dieser Welt sind alle Dinge möglich, und die Frauen, sagt man, sind in ihren Entschließungen nicht immer am festesten. Ich wollte Euch nur zu verstehen geben, daß Ihr, Pfadfinder, und ich wahrscheinlich nie voneinander würden denken können, wie Mann und Weib voneinander denken sollen.«

»Ich denke nicht – ich werde nie wieder in dieser Weise an Sie denken, Mabel«, keuchte der Pfadfinder aus der zum Ersticken gepreßten Brust. »Nein, nein – ich werde nie, weder an Sie noch an jemand anders wieder in dieser Weise denken.«

»Pfadfinder, lieber Pfadfinder, versteht mich wohl! Legt nicht mehr Sinn in meine Worte, als ich selbst hineinlege. Eine derartige Heirat wäre unklug, vielleicht unnatürlich!«

»Ja, unnatürlich – gegen die Natur; ich hab‘ das auch dem Sergeanten gesagt, aber er wollt’s besser wissen.«

»Pfadfinder! Oh, das ist schlimmer, als ich mir einbilden konnte. Nehmt meine Hand, vortrefflicher Pfadfinder, und laßt mich daraus erkennen, daß Ihr mich nicht haßt. Um Gottes willen, seht mich nur wieder freundlich an.«

»Sie hassen, Mabel? Sie freundlich ansehen? Wehe mir!«

»Nein, gebt mir Eure Hand, Eure kühne, treue und männliche Hand – beide, beide, Pfadfinder! denn es wird mir nicht wohl, bis ich gewiß weiß, daß wir wieder Freunde sind und daß dies alles nur ein Mißverständnis war.«

»Mabel«, sagte der Pfadfinder, indem er einen langen und sinnenden Blick auf das Antlitz des erregten Mädchens warf, das seine harten, sonnverbrannten Hände zwischen ihren Fingern hielt, und dazu in seiner eigentümlichen lautlosen Weise lachte, obgleich in jeder Linie seines Gesichtes, das keiner Täuschung fähig zu sein schien, der Ausdruck des Schmerzes hervortrat, da sich die widersprechendsten Gefühle in seinem Mienenspiel bekämpften – »Mabel! der Sergeant hatte unrecht.«

Die verhaltenen Gefühle waren nun nicht mehr zurückzudrängen, und Tränen rollten über die Wangen des Kundschafters wie Regengüsse. Seine Finger arbeiteten wieder krampfhaft an seiner Kehle, und seine Brust hob sich wie unter einer schweren Last, die sie unter verzweifelten Anstrengungen abwerfen wollte.

»Pfadfinder! Pfadfinder!« rief Mabel laut; »alles, nur das nicht! Sprecht mit mir, Pfadfinder, lächelt wieder; sagt mir nur ein freundliches Wörtchen, zum Beweis, daß Ihr mir vergeben habt.«

»Der Sergeant hatte unrecht«, rief Pfadfinder, indem er mitten in seinem Seelenkampf ein Lachen aufschlug, daß seine Gefährtin vor dieser unnatürlichen Mischung von Beängstigung und Heiterkeit zurückbebte. »Ich wußt‘ es, ich wußt‘ es und hab’s vorausgesagt; ja, der Sergeant hatte doch unrecht, wie ich deutlich einsehe.«

»Wir könnten Freunde sein, ohne daß wir gerade Eheleute sind«, fuhr Mabel fort, die sich in einem fast ebenso verwirrten Zustand befand wie ihr Gefährte und kaum wußte, was sie sagte. »Wir können immer Freunde sein und wollen es auch stets bleiben.«

»Ich dachte mir’s immer, daß der Sergeant in einem Irrtum befangen sei«, fuhr der Pfadfinder fort, als er mit gewaltiger Anstrengung wieder Herr seiner Bewegungen geworden war, »denn ich bildete mir nie ein, daß meine Gaben von der Art seien, um mir die Neigung eines Stadtmädchens gewinnen zu können. Er hätte besser getan, wenn er unterlassen hätte, mir das Gegenteil aufzuschwatzen, und es war‘ vielleicht auch besser gewesen, wenn Sie weniger gefällig und zutraulich gewesen wären; ja, gewiß! das wäre es.«

»Wenn ich dächte, daß ein Irrtum von meiner Seite, wie unabsichtlich er auch sein mochte, trügerische Hoffnungen in Euch erweckt habe, Pfadfinder, so könnt‘ ich mir nimmer vergeben; denn glaubt mir, ich möchte lieber alles über mich ergehen lassen, als Euch leiden sehen.«

»Das ist’s eben, Mabel; das ist’s eben. Diese Worte und Gedanken, die Sie mit so weicher Stimme und auf eine Weise aussprechen, wie ich sie in den Wäldern noch nie gehört habe, haben all dies Unheil angerichtet. Es wird mir aber jetzt klarer, und ich fange an, den Unterschied zwischen uns besser zu erkennen. Ich will mir Mühe geben, meine Gedanken zu zügeln, und wieder hinausgehen in die Wälder, um dem Wild und dem Feind aufzulauern. Ach, Mabel! ich bin wahrlich auf einer ganz falschen Fährte gewesen, seit ich das erstemal mit Ihnen zusammentraf.«

»Aber Ihr werdet nun wieder auf der rechten wandeln. Bald habt Ihr dies alles vergessen und blickt auf mich als auf eine Freundin, die Euch ihr Leben verdankt.«

»Das mag vielleicht die Weise der Städter sein; aber ich zweifle, ob dies in den Wäldern ebenso natürlich ist. Wenn bei uns das Auge einen lieblichen Anblick trifft, so haftet es lange darauf, und wenn ihn die Seele aufrichtig und auf eine schickliche Weise lieb gewinnt, so mag sie sich nicht mehr davon trennen.«

»Aber Eure Liebe zu mir ist weder ein schickliches Gefühl noch mein Anblick ein lieblicher. Ihr werdet alles das vergessen, wenn Ihr zu ernsterer Besinnung kommt und auf einmal einseht, daß ich durchaus nicht zu Eurem Weibe passe.«

»Das hab‘ ich auch dem Sergeanten gesagt, aber er wollt’s besser wissen. Ich wußte wohl, daß Sie zu jung und zu schön sind für einen Mann, der bereits in den mittleren Jahren steht und selbst als Jüngling nie besonders liebenswürdig ausgesehen hat. Dann sind auch Ihre Wege nicht die meinigen gewesen, und die Hütte eines Jägers würde wohl keine schickliche Wohnung für ein Mädchen sein, das sozusagen unter Häuptlingen erzogen wurde. Freilich, wenn ich jünger und schöner wäre, etwa wie Jasper Eau-douce –«

»Nichts von Jasper Eau-douce«, unterbrach ihn Mabel ungeduldig; »wir können von was anderem sprechen.«

»Jasper ist ein tüchtiger Bursche, Mabel, ja, und ein hübscher dazu«, erwiderte der arglose Pfadfinder mit einem ernsten Blick auf das Mädchen, als ob er ihren Worten nicht traue, da sie sich so geringschätzig über seinen Freund äußerte. »Wär‘ ich nur halb so schön als Jasper Western, so würden meine Besorgnisse in dieser Angelegenheit nicht halb so groß und auch wahrscheinlich weniger begründet gewesen sein.«

»Wir wollen nicht von Jasper Western reden«, wiederholte Mabel, bis zur Stirn errötend; »er mag wohl gut genug für einen Sturm sein oder auf dem See, aber er ist nicht gut genug, hier den Gegenstand unseres Gespräches zu bilden.«

»Ich fürchte, Mabel, er ist besser als jeder andere Mann, der einmal Ihr Gatte wird. Zwar sagte der Sergeant, daß aus dieser Sache nie was werden könne; aber er hat einmal unrecht gehabt, und so mag dies wohl auch zum zweitenmal der Fall sein.«

»Und wer wird denn wohl wahrscheinlich mein Gatte werden, Pfadfinder? Ihr sprecht da von etwas, was mich kaum weniger befremdet als das, was eben zwischen uns vorgegangen ist.«

»Ich weiß, es ist natürlich, daß Gleiches das Gleiche sucht, und daß solche, die viel mit Offiziersfrauen umgegangen sind, gern selbst Offiziersfrauen werden möchten. Aber, Mabel, ich weiß auch, daß ich mich unverhohlen gegen Sie aussprechen darf, und hoffe, daß Sie mir meine Worte nicht übelnehmen; denn da es mir nun bekannt ist, wie schmerzlich derartige Täuschungen auf unserer Seele lasten, so möcht‘ ich nicht einmal über das Haupt eines Mingo einen solchen Kummer bringen. Aber das Glück findet sich in einem Offizierszelt nicht häufiger als in dem eines gemeinen Soldaten, und wenn auch die Wohnungen der Offiziere verführerischer aussehen als die übrigen Baracken, so fühlt sich doch oft ein Ehepaar innerhalb der Türen der erstem recht unglücklich.«

»Ich zweifle nicht im mindesten daran, Pfadfinder, und beruhte die Entscheidung auf mir, so würd‘ ich Euch lieber zu irgendeiner Hütte in die Wälder folgen und Euer Schicksal, möchte es nun gut oder schlimm sein, mit Euch teilen, ehe ich das Innere der Wohnung irgendeines mir bekannten Offiziers in der Absicht beträte, als die Frau ihres Bewohners dort zu bleiben.«

»Lundie hofft oder glaubt, es werde sich wohl anders machen.«

»Was kümmere ich mich um Lundie? Er ist Major vom Fünfundfünfzigsten und mag seine Leute ›Rechts um‹ und ›Marsch‹ machen lassen, solang‘ es ihm beliebt; er kann mich nicht zwingen, irgendeinen zu heiraten, sei er nun der Erste oder der Letzte seines Regiments. Doch was kann Euch von Lundies Wünschen über diesen Gegenstand bekannt sein?«

»Ich hab‘ es aus Lundies eigenem Munde. Der Sergeant sagte ihm, daß er mich zu seinem Schwiegersohn haben möchte, und der Major, mein alter und treuer Freund, sprach mit mir über die Sache. Er machte mir unumwunden Vorstellungen, ob es nicht edelmütiger von mir wäre, zugunsten eines Offiziers zurückzutreten, als ob ich mir Mühe gäbe, Sie in das Schicksal eines Jägers zu verflechten. Ich gab zu, daß er recht haben möge – ja, ich tat das; als er mir aber sagte, daß er unter dem Offizier den Quartiermeister meine, so wollt‘ ich nichts mehr von seinen Vorschlägen wissen. Nein, nein, Mabel, ich kenne Davy Muir genau, und wenn er Sie auch zu einer Dame machen kann, so kann er Sie doch nie zu einer glücklichen Frau und sich selbst zu einem Ehrenmann machen. Das ist so meine ehrliche Meinung, ja, ja; denn ich seh‘ nun deutlich, daß der Sergeant unrecht gehabt hat.«

»Mein Vater hat sehr unrecht gehabt, wenn er etwas sagte oder tat, was Euch Kummer machte, Pfadfinder: Und meine Achtung gegen Euch ist so groß und meine Freundschaft so aufrichtig, daß ich, wäre es nicht um eines willen – ich will damit sagen, daß niemand den Einfluß des Leutnants Muir auf mich zu fürchten hat – lieber bis zu meinem Todestag bleiben würde wie ich bin, ehe ich um den Preis meiner Hand durch den Quartiermeister eine vornehme Frau werden möchte.«

»Ich glaub‘ nicht, daß Sie was sagen, was Sie nicht fühlen?« erwiderte Pfadfinder mit Ernst.

»Nicht in einem solchen Augenblick, nicht in einer solchen Sache und am allerwenigsten gegen Euch. Nein, Leutnant Muir soll sich seine Frau suchen, wo er will – mein Name wenigstens wird nie auf seiner Liste stehen.«

»Ich dank‘ Ihnen, Mabel, ich dank‘ Ihnen dafür; denn wenn schon für mich die Hoffnung entschwunden ist, so könnt‘ ich doch nie glücklich sein, wenn Sie den Quartiermeister nähmen. Ich fürchtete, sein Rang möchte für etwas angeschlagen werden – und ich kenne diesen Mann. Es ist nicht die Eifersucht, die mich so sprechen läßt, sondern die reine Wahrheit, denn ich kenne den Mann. Ja, wenn Ihre Neigung auf einen verdienstvollen jungen Mann fiele, so einen, wie Jasper Western zum Beispiel –«

»Warum kommt Ihr mir immer mit diesem Jasper Eau-douce, Pfadfinder? Er steht in keiner Beziehung zu unserer Freundschaft; laßt uns daher von Euch sprechen und von der Weise, wie Ihr den Winter hinzubringen beabsichtigt.«

»Ach! – Ich bin nur wenig wert, Mabel, wenn es nicht etwa einer Fährte oder einer Büchse gilt; und jetzt um so weniger, seit ich des Sergeanten Mißgriff entdeckt habe, ’s ist daher nicht nötig, von mir zu sprechen. Es ist mir recht angenehm gewesen, solang in Ihrer Nähe zu sein und mir dabei ein bißchen einzubilden, daß der Sergeant recht habe; das ist aber nun alles vorbei. Ich will mit Jasper den See hinabgehen, und dann wird es genug Beschäftigung für uns geben, um unnütze Gedanken fernzuhalten.«

»Und Ihr werdet dies vergessen – mich vergessen? Nein, nicht mich vergessen, Pfadfinder; aber Ihr werdet Eure frühere Beschäftigung wieder aufnehmen und aufhören, ein Mädchen für bedeutend genug zu halten, Euren Frieden zu stören.«

»Ich wußte früher nie was von solchen Dingen, Mabel; aber die Mädchen haben doch ’ne größere Bedeutung im Leben, als ich früher glauben konnte. Ja, eh‘ ich Sie kannte, schlief das neugeborene Kind nicht süßer, als dies bei mir gewöhnlich der Fall war; mein Haupt lag kaum auf einer Wurzel, einem Stein oder vielleicht auf einem Fell, so war den Sinnen alles entschwunden, wenn nicht etwa die Beschäftigung des Tages in meine Träume überging: Und so lag ich, bis der Zeitpunkt des Erwachens kam, und ebenso gewiß, wie die Schwalbe mit ihren Schwingen das Licht begrüßt, war ich in dem gewünschten Augenblick auf den Beinen. Alles das schien eine Gabe zu sein, und ich konnte selbst mitten in einem Mingolager darauf rechnen; denn ich hab‘ mich meiner Zeit selbst bis in die Dörfer dieser Vagabunden gewagt.«

»Alles dies wird wiederkommen, Pfadfinder; denn ein so wackerer und biederer Mann wird nimmermehr sein Glück an einen bloßen Wahn wegwerfen. Ihr werdet wieder von Euren Jagden träumen, von dem Hirsch, den Ihr erlegt, und dem Biber, den Ihr gefangen habt.«

»Ach, Mabel! Ich wünsche nie wieder zu träumen. Ehe ich Sie kannte, gewährte es mir eine gewisse Lust, in meinen Phantasien den Hunden zu folgen und der Fährte der Irokesen nachzustreichen – ja, meine Gedanken führten mich in Scharmützel und Hinterhalte, und ich fand darin mein Behagen. Aber all das hat seinen Reiz verloren, seit ich mit Ihnen bekannt geworden bin. Von solchen rohen Dingen kommt nichts mehr in meinen Träumen vor. So dünkte mich in der letzten Nacht, die wir in der Garnison zubrachten, ich hätte eine Hütte in einem Lustwäldchen von Zuckerahorn, und am Fuß eines jeden Baumes stand eine Mabel Dunham, indes die Vögel auf den Zweigen statt ihrer natürlichen Weisen Liedchen sangen, daß selbst der Hirsch horchend stille hielt. Ich versuchte es, ein Schmaltier zu schießen, aber mein Wildtod gab nicht Feuer, und die Kreatur lachte mir so vergnügt ins Gesicht, wie ein junges Mädel in ihrer Heiterkeit zu tun pflegt, und dann hüpfte sie fort, wobei sie nach mir zurücksah, als erwarte sie, daß ich ihr folgen werde.«

»Nichts mehr davon, Pfadfinder! Wir wollen nicht mehr über diese Dinge reden«, sagte Mabel, indem sie die Tränen von ihren Augen wischte, denn die einfache und ernste Weise, mit der dieser rauhe Waldbewohner verriet, wie tiefe Wurzeln seine Gefühle gefaßt hatten, überwältigte fast ihr gutes Herz. »Wir wollen uns jetzt nach meinem Vater umsehen; er kann nicht weit weg sein, denn ich hörte den Knall seiner Flinte ganz in der Nähe.«

»Der Sergeant hatte unrecht – ja, er hatte unrecht, und es wird nichts nützen, die Taube mit dem Wolf paaren zu wollen.«

»Hier kommt mein lieber Vater«, unterbrach ihn Mabel. »Wir müssen heiter und zufrieden aussehen, Pfadfinder, wie sich’s für gute Freunde ziemt, und unsere Geheimnisse für uns behalten.«

Es folgte nun eine Pause; dann hörte man ganz nahe den Fuß des Sergeanten die trockenen Zweige zertreten, bis endlich seine Gestalt seitwärts an dem Gebüsch des Unterholzes sichtbar wurde. Als der alte Soldat auf dem freien Platz anlangte, betrachtete er prüfend seine Tochter und ihren Gefährten und sprach in guter Laune:

»Mabel, Kind, du bist jung und leicht auf den Beinen. Sieh nach dem Vogel, den ich geschossen habe, und der gerade dort bei dem Dickicht der jungen Schierlingstanne am Ufer niederfiel. Du brauchst dir dann nicht die Mühe zu geben, wieder den Hügel heraufzukommen; denn da uns Jasper ein Zeichen machen will, wenn es Zeit ist zu kommen, so können wir nach ein paar Minuten am Gestade zusammentreffen.«

Mabel gehorchte und sprang mit den leichten Schritten der Jugend und Gesundheit den Hügel hinab. Aber ungeachtet der Leichtigkeit ihres Trittes war doch das Herz des Mädchens schwer, und sobald sie das Dickicht der Beobachtung entzog, warf sie sich an dem Fuß eines Baumes nieder und weinte, als ob ihr das Herz brechen wollte. Der Sergeant betrachtete sie, bis sie verschwunden war, mit dem Stolz eines Vaters und kehrte sich dann mit einem so freundlichen und vertraulichen Lächeln, wie ihm seine Gewohnheit gegen irgend jemand gestatten mochte, zu dem Kundschafter.

»Sie hat die Leichtigkeit und Rührigkeit ihrer Mutter und etwas von der Kraft ihres Vaters«, sagte er. »Ihre Mutter war, glaub‘ ich, nicht ganz so schön; aber die Dunhams hielt man immer für hübsch, mochten es Männer oder Weiber sein. Nun, Pfadfinder, ich zweifle nicht, daß Ihr die Gelegenheit nicht entschlüpfen ließt und mit dem Mädchen offen gesprochen habt? Frauen lieben in solchen Dingen die Freimütigkeit.«

»Ich glaube, Mabel und ich verstehen einander wenigstens, Sergeant«, erwiderte der andere und schaute nach der entgegengesetzten Richtung, um dem Blick des Soldaten auszuweichen.

»Um so besser. Es gibt Leute, die immer glauben, daß ein bißchen Zweifel und Ungewißheit der Liebe noch mehr Leben gebe; ich halt‘ es aber mit der Offenheit und denke, sie führt weit eher zu einem Verständnis. War Mabel überrascht?«

»Ich fürchte, ja – Sergeant, ich fürchte, sie war nur allzusehr überrascht – ja, das fürchte ich.«

»Gut, gut! Überraschungen in der Liebe sind was die Hinterhalte im Krieg und ebenso zulässig, obgleich die Überraschung eines Weibes nicht so leicht zu erkennen ist wie die eines Feindes. Mabel lief nicht davon, mein Freund – nicht wahr?«

»Nein, Sergeant; Mabel versuchte nicht auszuweichen; das kann ich mit gutem Gewissen sagen.«

»Ich hoffe, daß das Mädel doch nicht allzu willig gewesen ist? Ihre Mutter tat wenigstens einen Monat lang spröde und zimperlich. Aber die Freimütigkeit ist schließlich doch der beste Empfehlungsbrief für Mann und Weib.«

»Ja, das ist sie, das ist sie; aber ein gesundes Urteil auch.«

»Ach, nach dem darf man bei einem jungen Geschöpf von zwanzig Jahren nicht allzuviel fragen; aber es kommt mit der Erfahrung. Ein Mißgriff von Euch oder mir zum Beispiel dürfte freilich nicht so leicht übersehen werden.«

Die Muskeln im Gesicht des Zuhörers zuckten, als der Sergeant seinen Gefühlen in dieser Weise Luft machte, obgleich der Pfadfinder nun wieder einen Teil jenes Stoizismus erlangt hatte, der ein hervorstechender Zug in seinem Charakter und wahrscheinlich eine Folge seines langen Umgangs mit den Indianern war. Seine Augen hoben und senkten sich, und einmal schoß ein Strahl über seine harten Züge, als ob er im Begriff sei, seinem eigentümlichen Lachen Raum zu geben. Aber dieser Anflug von Heiterkeit verlor sich schnell in einen Blick der Bekümmernis. Diese ungewöhnliche Mischung eines wilden und schmerzlichen Seelenkampfes mit der natürlichen einfachen Heiterkeit hatte Mabel am meisten erschreckt. Wenn während ihrer Unterredung die Bilder des Glückes und der frohen Laune in einem Gemüt auftauchten, das in seiner Einfalt und Natürlichkeit beinah kindlich erschien, so fühlte sich das Mädchen zuerst zu der Annahme versucht, daß das Herz ihres Verehrers nur leicht berührt sei; dieser Eindruck verwischte sich aber bald, als sie die schmerzlichen und tiefen Erregungen bemerkte, die das Innerste seiner Seele zu zerschneiden schienen. Pfadfinder war in dieser Beziehung wirklich ein bloßes Kind. Unerfahren in der Weise der Welt, fiel es ihm nicht ein, irgendeinen Gedanken zu verhehlen: Sein Gemüt nahm jeden Eindruck auf und gab ihn ebenso leicht zurück. Ein Kind konnte seine launische Einbildungskraft kaum mit einer größeren Leichtigkeit einer vorübergehenden Erregung hingeben als dieser Mann, der so einfach in seinen Gefühlen, so ernst, so gelassen und männlich und so streng in allem war, was sein gewöhnliches Treiben berührte.

»Ihr habt recht, Sergeant«, antwortete der Pfadfinder; »ein Mißgriff von Eurer Seite ist schon eine ernstere Sache.«

»Ihr werdet Mabel zuletzt doch aufrichtig und ehrlich finden; laßt ihr nur ein bißchen Zeit.«

»Ach, Sergeant!«

»Ein Mann von Euren Verdiensten würde auf einen Stein Eindruck machen, wenn Ihr ihm Zeit ließt, Pfadfinder.«

»Sergeant Dunham, wir sind alte Kriegskameraden – das heißt, wie man den Krieg eben hier in den Wäldern führt –, und wir haben uns gegenseitig so viel Liebes erwiesen, daß wir wohl aufrichtig gegeneinander sein können. – Was hat Euch denn veranlaßt, zu glauben, daß Mabel einen so rauhen Burschen, wie ich bin, gern haben könne?«

»Was? – ach, eine Menge von Gründen, und dazu recht gute, mein Freund. Vielleicht die Liebesbeweise, von denen Ihr eben spracht, und die Kämpfe, die wir miteinander bestanden; und dann seid Ihr mein geschworener und geprüfter Freund.«

»All das klingt ja ganz gut, soweit es Euch und mich betrifft; aber es steht in keiner Berührung mit Eurer hübschen Tochter. Sie denkt vielleicht, daß gerade die Kämpfe das etwas schmuckere Aussehen verheerten, das ich einmal gehabt haben mag; und ich bin nicht darüber im reinen, ob des Vaters Freundschaft besonders geeignet ist, einem Anbeter die Liebe eines jungen Mädchens zu verschaffen. Gleich und gleich gesellt sich, sag‘ ich Euch, Sergeant; und meine Gaben sind nicht ganz Mabel Dunhams Gaben.«

»Das sind wieder einige von Euren alten überbescheidenen Skrupeln, Pfadfinder, die Euch bei dem Mädchen nicht weiterbringen werden. Weiber vertrauen den Männern nicht, wenn diese sich selbst nicht vertrauen, und halten sich an solche, die gegen nichts ein Mißtrauen haben. Ich gebe zwar zu, die Bescheidenheit ist eine Kardinaltugend für einen Rekruten oder für einen jungen Leutnant, der eben zum Regiment gekommen ist, denn sie hält ihn ab, einen Unteroffizier auszuzanken, ehe er weiß, ob er einen Grund dazu hat; auch weiß ich nicht gewiß, ob sie nicht auch bei einem Kriegskommissär oder einem Pfarrer am Platz wäre, aber sie ist des Teufels, wenn sie von einem wirklichen Soldaten oder einem Liebhaber Besitz nimmt. Ihr dürft sowenig wie möglich mit ihr zu tun haben, wenn Ihr ein Weiberherz gewinnen wollt. Was Euren Grundsatz, daß sich nur das Gleiche gefalle, anbelangt, so ist er in solchen Dingen so unrichtig wie nur immer möglich. Wenn Gleiches das Gleiche liebte, so würden die Weiber einander lieben, und dasselbe müßte auch bei den Männern der Fall sein. Nein, nein; Gleiches liebt Ungleiches –« der Sergeant hatte nämlich seine Schule nur in der Kaserne und dem Lager gemacht – »und Ihr habt in dieser Hinsicht von Mabel nichts zu fürchten. Betrachtet einmal den Leutnant Muir; der Mann hat schon fünf Weiber gehabt, wie ich höre, und es steckt nicht mehr Bescheidenheit in ihm als in einer neunschwänzigen Katze.«

»Leutnant Muir wird nie der Mann von Mabel Dunham werden, wenn er auch seine Federn noch so schön fliegen läßt.«

»Das ist eine vernünftige Bemerkung von Euch, Pfadfinder; denn ich bin damit im reinen, daß Ihr mein Schwiegersohn werden sollt. Wenn ich selbst ein Offizier wäre, so möchte vielleicht Herr Muir einige Aussicht haben. Aber die Zeit hat eine Tür zwischen mich und mein Kind gestellt, und ich wünsche nicht, daß es auch noch die eines Offizierszeltes sein soll.«

»Sergeant, wir müssen Mabel ihrer Neigung folgen lassen. Sie ist jung und leichten Herzens, und Gott verhüte, daß irgendein Wunsch von mir auch nur das Gewicht einer Feder auf ihr immer heiteres Gemüt lege oder das Glück ihrer Fröhlichkeit nur einen Augenblick verstimme.«

»Habt Ihr frei mit dem Mädchen gesprochen?« fragte der Sergeant rasch und etwas rauh.

Pfadfinder war zu ehrlich, um nicht die unumwundene Wahrheit zu antworten, und doch zu ehrenhaft, um Mabel zu verraten und sie dem Unwillen eines Vaters auszusetzen, von dem er wußte, daß er sehr streng in seinem Zorn war.

»Wir haben uns offen ausgesprochen«, sagte er; »und obgleich Mabel ein Mädchen ist, das jeder gerne ansieht, so find‘ ich dabei doch wenig, Sergeant, was mich besser von mir selbst denken ließe.«

»Das Mädel hat sich doch nicht unterstanden, Euch zurückzuweisen – ihres Vaters besten Freund zurückzuweisen?«

Pfadfinder wandte sein Gesicht ab, um den Blick der Bekümmernis zu verbergen, die, wie er fühlte, seine Züge umdüsterte, fuhr jedoch mit ruhiger männlicher Stimme fort:

»Mabel ist zu gut, um irgend jemanden zurückzuweisen oder selbst nur gegen einen Hund harte Worte zu gebrauchen. Ich habe meinen Antrag nicht so gestellt, daß er geradezu zurückgewiesen werden konnte, Sergeant.«

»Und habt Ihr erwartet, daß meine Tochter nur so in Eure Arme fliegen sollte, ehe Ihr Euch vollkommen erklärt habt? Sie wäre nicht ihrer Mutter Kind gewesen, wenn sie das getan hätte, und ich glaube, auch nicht das meinige. Die Dunhams lieben die Offenheit so gut wie des Königs Majestät, aber sie werfen sich nicht weg. Laßt mich die Sache für Euch abmachen, Pfadfinder, und sie wird sich nicht unnötig in die Länge ziehen. Ich will diesen Abend noch selbst mit dem Mädchen reden, und Euer Name soll den Hauptgegenstand des Gespräches bilden.«

»Ich wünschte, Ihr tätet’s lieber nicht, Sergeant. Überlaßt die Sache Mabel und mir, und ich denke, daß zuletzt noch alles recht werden soll. Junge Mädchen sind wie scheue Vögel und lieben es nicht sehr, übereilt und hart angegangen zu werden. Überlaßt mir und Mabel die Sache.«

»Nun, meinetwegen, aber nur unter einer Bedingung, mein Freund. Ihr müßt mir nämlich mit Eurem Ehrenwort versprechen, daß Ihr bei der nächsten schicklichen Gelegenheit offen und ohne gezierte Worte mit Mabel redet.«

»Ich will sie fragen, Sergeant – Ja, ich will sie fragen; aber Ihr müßt mir versprechen, daß Ihr Euch nicht in unsere Angelegenheiten mischen wollt. Ich verspreche Euch dann, Mabel zu fragen, ob sie mich heiraten will, selbst auf die Gefahr hin, daß sie mir ins Gesicht lacht.«

Sergeant Dunham gab gerne das verlangte Versprechen, denn er hatte sich vollständig in die Überzeugung hineingearbeitet, daß der Mann, den er so sehr achtete und schätzte, auch seiner Tochter annehmbar erscheinen müsse. Er hatte selbst auch eine Frau, die viel jünger als er war, geheiratet und sah daher nichts Unpassendes in dem Altersunterschied des Paares.

Als der Pfadfinder und sein kriegerischer Freund den Hügel hinab gegen das Seeufer stiegen, wurde die Unterhaltung noch immer weitergeführt. Letzterer fuhr fort, dem ersteren einzureden, daß seine Schüchternheit allein einem vollständigen Erfolg bei Mabel im Wege stehe und daß es nur der Ausdauer bedürfe, um zum Ziel zu kommen. Pfadfinder war von Natur zu bescheiden und durch das Gespräch mit Mabel auf eine zwar schonende, aber zu unumwundene Weise entmutigt worden, um all dem, was er hörte, Glauben zu schenken. Der Vater hatte aber so viele annehmlich scheinende Gründe bei der Hand, und der Gedanke, Mabel doch noch besitzen zu können, enthielt so viel Anziehendes, daß dieser Sohn der Natur Mabels Benehmen doch nicht ganz in dem Lichte betrachten zu müssen glaubte, wie er es zu tun geneigt gewesen war. Er glaubte allerdings nicht alles, was ihm der Sergeant sagte; aber er fing an zu vermuten, daß jungfräuliche Scheu und Unsicherheit ihrer eigenen Gefühle Mabel veranlaßt hätte, sich auf die obenerwähnte Weise auszusprechen.

»Der Quartiermeister ist nicht ihr Liebling«, antwortete Pfadfinder auf eine von den Bemerkungen seines Gefährten. »Mabel wird ihn immer bloß als einen Mann betrachten, der bereits vier oder fünf Weiber gehabt hat.«

»Und das ist mehr als ihm gebührt. Ein Mann mag allenfalls zweimal heiraten, ohne gegen die Moral und Ehrbarkeit anzustoßen; aber viermal ist ja was Ungeheures.«

»Ich sollte das Heiraten zum erstenmal schon für einen Umstand oder ein Indiz halten, wie es Meister Cap nennt«, warf Pfadfinder mit seinem ruhigen Lachen ein, da seine Lebensgeister wieder etwas von ihrer Frische gewonnen hatten.

»Das ist’s auch in der Tat und dazu ein recht feierlicher Umstand. Wenn nicht Mabel Euer Weib werden sollte, so würd‘ ich Euch raten, lieber gar nicht zu heiraten. Doch da ist das Mädchen selbst, und da gilt jetzt Schweigen als Losung.«

»Ach, Sergeant, ich fürchte, Ihr seid im Irrtum.«

Einleitung Coopers

Einleitung Coopers

Der Plan zu dieser Erzählung bot sich dem Autor schon vor Jahren dar, obgleich die Einzelheiten insgesamt von neuer Erfindung sind. Ich teilte einem Verleger die Idee mit, Seeleute und Wilde unter Verhältnissen, die den großen Seen eigentümlich wären, miteinander in Verbindung zu bringen, und übernahm somit gewissermaßen die Verpflichtung, irgendwann das Gemälde auszuführen: eine Verpflichtung, deren ich mich nun hiermit – freilich spät und unvollständig – entledige.

In dem Hauptcharakter dieses Romans wird der Leser einen alten Freund unter neuen Umständen finden. Sollte es sich erweisen, daß die Wiedereinführung dieses alten Bekannten ihn unter den veränderten Verhältnissen in der Gunst der Lesewelt nicht sinken läßt, so wird dies dem Verfasser ein um so größeres Vergnügen gewähren, als er an der fraglichen Person warmen Anteil nimmt – so als hätte sie einmal unter den Lebenden gewandelt. Es ist jedoch kein leichtes Unternehmen, denselben Charakter mit Beibehaltung der bezeichnenden Eigentümlichkeit in mehreren Werken durchzuführen, ohne Gefahr zu laufen, den Leser durch Gleichförmigkeit zu ermüden, und der gegenwärtige Versuch ist ebensosehr infolge derartiger Besorgnisse wie aus irgendeinem andern Grund so lange verzögert worden. Freilich, in diesem wie in jedem andern Unternehmen muß das Ende das Werk krönen.

Der indianische Charakter bietet so wenig Mannigfaltigkeit dar, daß ich es bei der gegenwärtigen Gelegenheit vermied, allzulange dabei zu verweilen; auch fürchte ich, seine Verbindung mit dem des Seemanns wird mehr neu als interessant erscheinen.

Dem Neuling mag es vielleicht als ein Anachronismus auffallen, daß ich schon in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts Schiffe auf den Ontario versetze. In dieser Beziehung aber werden Tatsachen die poetische Lizenz hinreichend rechtfertigen. Zwar haben sich die in diesen Blättern erwähnten Fahrzeuge niemals weder auf dem Ontario noch auf einem andern Gewässer befunden; aber ganz ähnliche befuhren dieses Binnenmeer in einer noch viel früheren Zeit, und dies mag als hinreichende Berechtigung gelten, jene in ein Werk der Poesie einzuführen. Man erinnert sich vielleicht nicht allgemein des bekannten Umstands, daß es längs der Linie der großen Seen vereinzelte Stellen gibt, die ebensolange wie viele der ältesten amerikanischen Städte bewohnt sind und die lange, noch ehe der größere Teil selbst der ältern Staaten der Wildnis entrissen wurden, einen gewissen Grad von Zivilisation aufzuweisen vermochten.

Der Ontario ist in unsern Tagen der Schauplatz wichtiger nautischer Entwicklungen gewesen. Wo sich vor einem halben Jahrhundert nur eine öde Wasserfläche zeigte, haben Flotten manövriert, und der Tag ist nicht fern, wo diese Kette von Seen als der Sitz einer Macht und mit allem befrachtet erscheinen wird, dessen die menschliche Gesellschaft bedarf. Ein Rückblick auf das, was diese weiten Räume ehedem waren, und wäre es auch nur durch die farbigen Gläser der Dichtkunst, mag vielleicht einen Beitrag zu der Vervollständigung des Wissens geben, das uns allein zu einer richtigen Würdigung der wunderbaren Mittel führen kann, deren sich die Vorsehung bedient, um dem Fortschritt der Zivilisation über das ganze amerikanische Festland Bahn zu brechen.

Im Dezember 1839.

Neunzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Mabel wartete am Ufer, und der Kahn war bald auf dem Wasser. Pfadfinder brachte seine Begleitung mit derselben Geschicklichkeit über die Brandung, wie er sie hergeführt hatte; und obgleich die Aufregung Mabels Wangen rötete und das Herz ihr oft wieder auf die Zunge zu hüpfen drohte, so erreichten sie doch die Seite des Scud, ohne auch nur im mindesten von dem Gischt benetzt worden zu sein.

Der Ontario gleicht einem Manne von feurigem Temperament, der plötzlich aufbraust, sich aber auch schnell wieder besänftigen läßt. Die Wellen hatten sich gelegt, und obgleich sich die Brandungen, soweit das Auge reichte, am Ufer brachen, so erschienen sie doch dem Auge nur als glänzende Streifen, die kamen und gingen, wie die einzelnen Wellenringe, die ein Steinwurf auf ruhigem Wasser hervorbringt. Die Kabel des Scud war kaum über dem Wasser sichtbar, und Jasper hatte bereits seine Segel gehißt, um abfahren zu können, sobald der erwartete Wind vom Ufer her wehte.

Die Sonne ging eben unter, als das Hauptsegel klappte und der Vordersteven das Wasser zu trennen begann. Der Wind kam leicht aus Süden, und der Schnabel des Schiffes wurde in der Richtung gegen das südliche Ufer gehalten, da man die Absicht hatte, so schnell wie möglich ostwärts zu kommen. Die nun folgende Nacht war ruhig, und man konnte sich eines tiefen, ungestörten Schlafes erfreuen.

Es erhoben sich nur einige Schwierigkeiten wegen des Kommandos des Schiffes, die jedoch zuletzt durch freundliche Übereinkunft ausgeglichen wurden. Da das Mißtrauen gegen Jasper noch lange nicht beseitigt war, so erhielt Cap die Oberaufsicht, während es dem jungen Manne verstattet wurde, das Fahrzeug zu handhaben, wobei er jedoch immer der Kontrolle und der Einrede des alten Seemanns unterworfen war. Jasper ließ sich dies gefallen, damit Mabel nicht länger den Gefahren ihrer gegenwärtigen Lage ausgesetzt bliebe: Denn da der Kampf der Elemente nachgelassen hatte, so wußte er wohl, daß sie von dem Montcalm aufgesucht werden würden. Er war jedoch vorsichtig genug, seine Besorgnisse über diesen Punkt nicht laut werden zu lassen, da zufällig gerade die Mittel, die ihm für das Entrinnen die geeignetsten schienen, in den Augen derer, die die Macht hatten, seine Absichten zu vereiteln, neue Zweifel gegen die Ehrlichkeit seiner Gesinnungen zu wecken imstande sein mochten. Mit anderen Worten – Jasper glaubte, der höfliche, junge Franzose, der das feindliche Schiff befehligte, würde seinen Ankerplatz unter dem Fort am Niagara verlassen und, sobald sich der Wind gelegt hatte, wieder in See stechen, um sich über das Schicksal des Scud Gewißheit zu verschaffen, wobei er sich wahrscheinlich in der Mitte zwischen beiden Ufern hielt, um eine weitere Aussicht zu gewinnen. Es schien daher Jasper am zweckmäßigsten, sich an eine oder die andere Küste anzuschließen, nicht nur um ein Zusammentreffen zu vermeiden, sondern auch um unbemerkt weiterzukommen, da sich seine Segel und Spieren vor der Landschaft im Hintergrund undeutlicher ausnehmen mußten. Er zog das südliche Ufer vor, weil es auf der Luvseite lag und weil er glaubte, daß ihn der Feind hier am wenigsten erwarten werde, da es in die Nähe der französischen Ansiedlungen und zu einem der stärksten Posten führte, den Frankreich in diesem Teil Amerikas besaß.

Von alledem wußte jedoch Cap glücklicherweise nichts, und des Sergeanten Geist war zu sehr mit den Einzelheiten seines Auftrags beschäftigt, als daß er in solche Spitzfindigkeiten eingegangen wäre, die eigentlich außer seinem Bereich lagen. Es wurde daher nichts dagegen eingewendet, und ehe noch der Morgen anbrach, hatte sich Jasper augenscheinlich in aller Ruhe wieder sein früheres Ansehen verschafft und erließ, als ob nichts vorgefallen sei, seine Befehle, denen auch ohne Zögern und Ränke Folge geleistet wurde.

Das Aufdämmern des Tages brachte wieder alles auf das Verdeck, und nun untersuchte man, wie es bei Reisenden auf dem Wasser gewöhnlich ist, neugierig den sich erschließenden Horizont, wie die Bilder aus der Dunkelheit hervortraten und das werdende Licht das herrliche Rundgemälde mit immer helleren Farben übergoß. Gegen Osten, Westen und Norden war nichts als Wasser sichtbar, das unter den Strahlen der aufgehenden Sonne glitzerte; aber im Süden dehnte sich ein endloser Waldgürtel aus, der damals den Ontario mit seinem dunklen Grün umfaßt hielt. Da zeigten sich plötzlich vorn eine Öffnung und dann die festen Mauern eines schloßartigen Gebäudes mit Außenwerken, Basteien, Blockhäusern und Palisaden, das von einem Vorgebirge herabblickte, das die Mündung eines breiten Stromes begrenzte. Eben als das Fort sichtbar wurde, erhob sich darüber eine leichte Wolke, und man sah die weiße Flagge von Frankreich an einem hohen Wimpelstock flattern.

Cap stieß einen Schrei aus, als er diesen unerfreulichen Anblick gewahrte, und warf schnell seinem Schwager einen argwöhnischen Blick zu.

»Da hängt das schmutzige Tischtuch in der Luft, so wahr ich Charles Cap heiße«, brummte Cap, »und wir halten uns an dieses verdammte Ufer, als harrten dort unsere Weiber und Kinder auf die Rückkehr von einer Indienfahrt. Hört, Jasper! sucht Ihr eine Ladung Frösche, daß Ihr diesem Neu-Frankreich so nahe segelt?«

»Ich halte mich ans Land, Herr, weil ich hoffe, so an dem feindlichen Schiff unentdeckt vorbeizukommen, denn ich glaube, es muß dort unten irgendwo in unserem Lee sein.«

»Schön, schön, das klingt nicht übel, und ich hoffe, es wird auf das ‚rauskommen, was Ihr sagt. Es wird doch hier kein Unterschlepper sein?«

»Wir sind jetzt nicht am Luvufer«, sagte Jasper lächelnd, »und ich denke, Ihr werdet zugeben, Meister Cap, daß ein starker Unterschlepper ein gutes Kabel ist. Wir alle haben diesem Unterschlepper des Sees unser Leben zu verdanken.«

»Französisches Gewäsch!« brummte Cap, ohne daß er sich darum kümmerte, ob er von Jasper gehört werde oder nicht. »Gebt mir einen guten, ehrlichen englisch-yankee-amerikanischen Schlepper über Bord und über das Wasser obendrein, wenn ich ja einen Schlepper haben muß, aber nichts von Eurer kriechenden Abtrift unter der Oberfläche, wo man weder was sehen noch fühlen kann. Ich darf sagen, daß, wenn man die Sache im rechten Licht betrachten wollte, unser gestriges Entkommen nichts als ein Pfiff war.«

»Wir haben jetzt wenigstens eine gute Gelegenheit, den feindlichen Posten am Niagara zu rekognoszieren, Bruder; denn dafür muß ich das Fort halten«, warf der Sergeant ein. »Laßt uns beim Vorübersegeln ganz Auge sein und nicht vergessen, daß wir fast im Angesicht des Feindes sind.«

Dieser Rat des Sergeanten bedurfte keiner weiteren Bekräftigung, denn das Interesse und die Neuheit eines von menschlichen Wesen bewohnten Platzes hatte für die Vorbeifahrenden einen hinlänglichen Reiz, um ihre gespannteste Aufmerksamkeit auf dieses Schauspiel einer weiten, aber einsamen Natur zu lenken. Der Wind war jetzt stark genug, um den Scud mit beträchtlicher Schnelle durch das Wasser zu treiben, und Jasper lüpfte das Steuer, als das Fahrzeug durch die Strömung des Flusses fuhr, und luvte fast in der Mündung dieser großartigen Wasserstraße. Ein fernes dumpfes, schweres Donnern kam zwischen den Gestaden herab und verbreitete sich in den Strömungen der Luft wie die tieferen Töne einer ungeheuren Orgel, daß hin und wieder selbst die Erde zu erbeben schien.

»Das tönt wie die Brandung einer langen, ununterbrochenen Küste«, rief Cap, als ein ungewöhnlich tiefer Ton sein Ohr erreichte.

»Ja, das ist so eine Brandung, wie wir sie in dieser Weltgegend haben«, antwortete Pfadfinder. »Da ist kein Unterschlepper, Meister Cap, denn alles Wasser, das dort an die Felsen schlägt, geht nicht wieder zurück. Es ist der alte Niagara, den Ihr hört, oder dieser edle Strom hier, der über ein Gebirge ‚runterstürzt.«

»Es wird doch niemand die Unverschämtheit haben, behaupten zu wollen, daß dieser schöne, breite Fluß über jene Hügel hinabstürze?«

»Ja, das tut er, Meister Cap, das tut er, und aus keinem anderen Grunde, als weil er keine Stiegen oder keinen Weg hat, um anders hinunterzukommen. Das ist eine Natur, wie wir sie hier herum haben, obschon ich nicht sagen will, daß Ihr uns mit Eurem Meer nicht die Spitze bieten könnt. Ach, Mabel! was für eine glückliche Stunde war‘ es, wenn wir an diesem Strom so zehn oder fünfzehn Meilen hinaufgehen und alle die Herrlichkeiten betrachten könnten, die Gott hier geschaffen hat.«

»Ihr habt demnach diese berühmten Fälle gesehen, Pfadfinder?« fragte Mabel lebhaft.

»Ja, Mabel, ich hab‘ sie gesehen und war zu gleicher Zeit der Zeuge eines entsetzlichen Schauspiels. Schlange und ich lagen auf Kundschaft in der Nähe der dortigen Garnison, und er erzählte mir, daß die Überlieferungen seines Volkes von einem mächtigen Wasserfall in der Nachbarschaft berichteten, wobei er mich aufforderte, von der Marschlinie ein wenig abzuweichen, um dieses Weltwunder zu betrachten. Ich hatte wohl schon manches Wunderbare darüber von den Soldaten des sechzigsten Regiments gehört – denn dies ist mein eigentliches Korps und nicht das fünfundfünfzigste, zu dem ich mich später so lange gehalten habe –, aber im ganzen Regiment waren so viel arge Aufschneider, daß ich kaum die Hälfte von dem, was sie sagten, glaubte. Nun schön – wir gingen also, und obgleich wir erwarteten, durch unser Gehör geleitet zu werden, und etwas von dem Donner zu hören hofften, den wir heute vernahmen, so wurden wir doch getäuscht, denn die Natur sprach damals nicht in den gewaltigen Tönen dieses Morgens. So geht es in den Wäldern, Meister Cap; es gibt dort Augenblicke, wo Gott in seiner ganzen Macht einherzugehen scheint, und dann ist wieder alles so still, als ob sich sein Geist in Ruhe über der Erde gelagert hätte. Nun also wir kamen plötzlich an den Strom, nicht weit überm Fall, und ein junger Delaware, der in unserer Gesellschaft war, fand einen Rindenkahn, den er in die Strömung bringen wollte, um eine Insel zu erreichen, die grade im Mittelpunkt des Getümmels und der Verwirrung liegt. Wir suchten ihm seine Torheit auszureden und stellten ihm die Vermessenheit vor, die Vorsehung zu versuchen und sich in eine Gefahr zu stürzen, die zu gar keinem Ziel führte. Aber die jungen Leute unter den Delawaren sind wie die unter den Soldaten – waghalsig und großtuerisch. Er beharrte trotz unserer Einsprache auf seinem Sinn, und so mußten wir den Burschen gehen lassen. Es scheint mir, Mabel, als ob alles wirklich Große und Gewaltige eine gewisse ruhige Majestät an sich habe, die nichts mit der schaumigen und aufsprudelnden Weise kleinerer Dinge gemein hat, und so war es auch mit den dortigen Stromschnellen. Sobald sie den Kahn erfaßt hatten, ging’s abwärts, als ob er durch die Luft herabflöge, und keine Geschicklichkeit des jungen Delawaren vermochte der Strömung zu widerstehen. Er wehrte sich noch männlich um sein Leben und brauchte das Ruder bis zum letzten Augenblick wie der Hirsch, der im Schwimmen die Hunde von sich wirft. Zuerst schoß er so schnell quer durch die Strömung, daß wir dachten, er werde den Sieg davontragen; aber er hatte sich in der Entfernung verrechnet, und als ihm die schreckliche Wahrheit klar wurde, kehrte er den Schnabel stromaufwärts und kämpfte auf eine Weise, die furchtbar anzusehen war. Ich hätte Mitleid mit ihm haben müssen, auch wenn er ein Mingo gewesen wäre. Einige Augenblicke waren seine Anstrengungen so wütend, daß er wirklich der Gewalt des Wassers erfolgreich widerstand; aber die Natur hat ihre Grenzen, und ein unsicherer Ruderschlag warf ihn zurück; er verlor dann Fuß um Fuß, Zoll um Zoll sein Feld, bis er an die Stelle kam, wo der Strom grün und glatt aussieht und sich wie in Millionen Wasserfäden über einen ungeheuren Felsen beugt. Da flog er wie ein Pfeil hinab und verschwand, wobei der Bug des Kahns gerade noch soweit auftauchte, daß wir sehen konnten, was aus ihm geworden war. Ich traf einige Jahre nachher einen Mohawk, der unten vom Bett des Stromes aus die ganze Szene mit angesehen hatte, und er sagte mir, daß der Delaware mit Rudern in der Luft fortgemacht habe, bis er ihm in dem Wasserstaub der Fälle aus dem Gesicht entschwunden sei.«

»Und was wurde aus dem armen Unglücklichen?« fragte Mabel, die an der kunstlosen Beredsamkeit des Sprechers warmen Anteil genommen hatte.

»Er ging ohne Zweifel in die glücklichen Jagdgründe seines Volkes; denn obgleich er sich hier als ein Wagehals und Großtuer erwies, so war er doch auch gerecht und tapfer. Ja, er starb in der Torheit dahin, aber der Manito der Rothäute hat Mitleid mit seinen Geschöpfen, so gut wie der Gott der Christen.«

In diesem Augenblick wurde eine Kanone von dem Blockhaus in der Nähe des Forts abgefeuert, und die Kugel, die gerade keine von den schweren war, pfiff über den Mast des Kutters hin – eine Mahnung, sich nicht näher heranzuwagen. Jasper stand am Steuer und hielt zu gleicher Zeit lächelnd ab, als ob ihn die Roheit dieser Begrüßung wenig kümmere. Der Scud war nun in der Strömung, und eine Drehung nach außen brachte ihn bald genug soweit leewärts, daß von einer Wiederholung des Schusses keine Gefahr zu befürchten stand, worauf er dann ruhig seinen Kurs längs des Ufers fortsetzte. Als der Strom offen vor ihren Augen lag, überzeugte sich Jasper, daß sich der Montcalm nicht darin vor Anker befand, und ein Mann, der nach dem Topp hinaufgeschickt wurde, kam mit der Nachricht zurück, daß sich am ganzen Horizont kein Segel blicken lasse. Man hatte nun gute Hoffnung, daß Jaspers Kunstgriff geglückt sei und daß sie der französische Befehlshaber verfehlt habe, als er bei seinem Vorwärtssteuern auf die Mitte des Sees abhielt.

Den ganzen Tag hing der Wind gegen Süden hin, und der Kutter setzte seinen Kurs ungefähr eine Stunde vom Lande in vollkommen glattem Wasser fort, wobei er sechs oder acht Knoten in der Stunde segelte.

Obgleich die Gegend ziemlich einförmig war und nur aus einem ununterbrochenen Wäldersaum an dem Wasser bestand, so gewährte sie doch einiges Vergnügen. Man kam an vielen Vorgebirgen vorbei, wobei der Kutter durch Buchten segelte, die sich so tief ins Land hineinstreckten, daß man sie wohl Golfe nennen konnte; aber nirgends traf das Auge die Spuren der Zivilisation. Hin und wieder gaben Flüsse, deren Zug man meilenweit in das Land hinein nach den Umrissen der Bäume verfolgen konnte, ihren Zoll an das große Becken des Sees ab, und selbst die weiten Buchten, die von Wäldern umzogen waren und mit dem Ontario nur durch schmale Straßen in Verbindung standen, kamen und verschwanden, ohne nur eine Spur menschlicher Ansiedlung zu zeigen.

Unter allen am Bord blickte Pfadfinder mit dem ungeteiltesten Vergnügen auf dieses Schauspiel. Seine Augen hafteten an der endlosen Linie von Wäldern, und obwohl er sich in Mabels Nähe so wohl fühlte, wenn er dem Klang ihrer lieblichen Stimme zuhörte und ihr heiteres Lachen in seiner Seele widertönen ließ, sehnte sich sein Herz doch mehr als einmal an diesem Tage, unter jenen hohen Bogen der Ahornbäume, der Eichen und Linden zu wandern, wo er seinen früheren Gewohnheiten gemäß allein ein dauerndes und wahres Vergnügen hoffen konnte. Cap betrachtete diesen Anblick mit anderen Augen. Mehr als einmal drückte er sein Unbehagen aus, daß man hier keine Leuchttürme, Kirchtürme, Feuerwarten oder Reeden mit ihren Schiffen zu Gesicht bekomme. Er versicherte, daß auf der ganzen Welt keine derartige Küste mehr zu finden sei, und beteuerte alles Ernstes gegen den Sergeanten, den er beiseite nahm, daß aus dieser Gegend nie was werden könne, weil die Häfen vernachlässigt seien, die Flüsse verlassen und nutzlos aussehen, und selbst der Wind einen Waldgeruch mit sich führe, der nicht zugunsten seiner Eigenschaften spreche.

Aber die Launen der verschiedenen Passagiere hielten den Scud nicht in seinem Lauf auf. Als die Sonne sank, war er bereits hundert Meilen auf dem Wege nach dem Oswego, wo der Sergeant sich verpflichtet hielt, einzulaufen, um etwaige weitere Mitteilung von Major Duncan einzuholen. Infolgedessen fuhr Jasper fort, sich die ganze Nacht über am Ufer zu halten, und obgleich der Wind gegen Morgen nachzulassen begann, so hielt er doch noch so lange an, daß man den Kutter an einen Punkt bringen konnte, der, wie sie wußten, nur ein paar Stunden von dem Fort entfernt war. Hier blies der Wind leicht aus Norden, und der Scud wurde ein wenig vom Lande gehalten, um genug offene See zu gewinnen, wenn der Wind stärker blasen oder nach Osten umspringen sollte.

Mit der Morgendämmerung hatte der Kutter die Mündung des Oswego in der Entfernung von etwa zwei Meilen gut unter seinem Lee, und als eben vom Fort aus die Morgensalve abgefeuert wurde, gab Jasper Befehl, die Schoten abzuschacken und sich dem Hafen zu nähern. In diesem Augenblick lenkte ein Schrei von der Back aus aller Augen auf einen Punkt an der Ostseite des Ausflusses, und dort, gerade außer der Schußweite des leichten Geschützes auf den Werken, lag mit so weit eingezogenen Segeln, um sich an der Stelle zu halten, der Montcalm, augenscheinlich ihre Ankunft erwartend.

Es war unmöglich, daran vorbeizukommen, denn mit gefüllten Segeln konnte das französische Schiff den Scud in wenigen Minuten einholen, und die Umstände forderten einen schnellen Entschluß. Nach einer kurzen Beratung änderte der Sergeant wieder seinen Plan und beschloß nun, so schnell wie möglich gegen die Station steuern zu lassen, wohin der Scud ursprünglich bestimmt war, wobei er hoffte, sein schnelles Fahrzeug werde den Feind so weit im Rücken lassen, daß er über ihre Bewegungen keinen Aufschluß bekäme.

Der Kutter wurde also ohne Verzug windwärts gehalten, und alles beigesetzt, was zur Beschleunigung seines Laufes dienen konnte. Auf dem Fort wurden Kanonen gelöst, Flaggen ausgesteckt, und die Wälle wimmelten wieder von Menschen – Lundie konnte jedoch seiner Partei statt aller Unterstützung nur seine Teilnahme bieten. Auch der Montcalm feuerte höhnend vier bis fünf Kanonen ab, zog einige französische Flaggen auf und begann bald unter einer Wolke von Segeln seine Jagd.

Einige Stunden drängten sich die beiden Fahrzeuge so schnell wie möglich durch das Wasser und machten gegen den Wind kurze Streckungen, augenscheinlich in der Absicht, den Hafen unter dem Lee zu behalten, das eine, um womöglich in ihn einzulaufen, das andere, um den Feind bei diesem Versuch abzufangen.

Um Mittag befand sich der Rumpf des französischen Schiffes tot leewärts, denn die Ungleichheit des Segelns im Winde war sehr groß; auch lagen einige Inseln in der Nähe, hinter denen nach Jaspers Aussage der Kutter seine weiteren Bewegungen wahrscheinlich verbergen konnte. Obgleich Cap, der Sergeant und insbesondere Leutnant Muir, ihren Reden zufolge, noch einen starken Verdacht gegen den jungen Mann fühlten und Frontenac nicht fern war, so wurde doch sein Rat angenommen, denn die Zeit drängte, und der Quartiermeister bemerkte klugerweise, daß Jasper seinen Verrat nicht vollführen könne, ohne offen in den feindlichen Hafen einzulaufen, ein Schritt, dem sie jederzeit zuvorkommen könnten, zumal der einzige bedeutende Kreuzer der Franzosen im gegenwärtigen Augenblick unter ihrem Lee liege und nicht in der Lage sei, ihnen einen unmittelbaren Nachteil zuzufügen.

Da nun Jasper sich selbst überlassen war, zeigte er bald, was er wirklich zu leisten vermochte. Er segelte luvwärts um die Inseln, ging an ihnen vorbei und hielt, als er wieder herauskam, breit ab, so daß hinter ihrem Kielwasser und in ihrem Lee nichts die Aussicht hinderte. Beim Niedergang der Sonne war der Kutter wieder vor der ersten der Inseln, die am Ausgangspunkt des Sees liegen, und ehe es dunkel wurde, segelte er durch die schmalen Kanäle, die zu der langgesuchten Station führten. Um neun Uhr verlangte jedoch Cap, daß man Anker werfe, denn die Irrgänge der Inseln wurden so verwickelt und undeutlich, daß er bei jeder Öffnung fürchtete, die Gesellschaft möchte, ehe sie sich’s versehe, unter den Kanonen eines französischen Forts liegen. Jasper gab gerne seine Einwilligung, da es teilweise zu seiner Dienstvorschrift gehörte, der Station sich nur unter Umständen zu nähern, die verhinderten, daß die Mannschaft eine genaue Kenntnis von ihrer Lage erhielt, damit nicht etwa ein Deserteur die kleine Garnison dem Feind verraten möchte.

Der Scud wurde in eine kleine, etwas abgelegene Bai gebracht, wo er selbst am Tage nur schwer aufzufinden gewesen wäre und also die Nacht über vollständig gesichert war, obschon sich alles zur Ruhe begab mit Ausnahme einer einzelnen Schildwache auf dem Verdeck. Cap war durch die Anstrengung der letzten achtundvierzig Stunden so abgemattet, daß er in einen langen und tiefen Schlaf fiel und erst mit dem Grauen des Tages wieder erwachte. Er hatte jedoch seine Augen kaum geöffnet, als ihm sein seemännischer Instinkt zu erkennen gab, daß das Fahrzeug sich wieder durch die Inseln wand, ohne daß jemand anders als Jasper und der Pilot auf dem Verdeck war, die Schildwache ausgenommen, die nicht das Mindeste gegen diese Bewegungen einzuwenden hatte, da sie allen Grund zu haben glaubte, sie für ebenso regelmäßig wie notwendig zu halten.

»Was soll das, Meister Western?« fragte Cap mit Heftigkeit, »Wollt Ihr uns endlich nach Frontenac hinüberbringen, während wir alle unten schlafen wie andere Seeleute, die auf den Ruf der Schildwache warten?«

»Mein Befehl lautet so, Meister Cap. Major Duncan hat befohlen, ich solle mich der Station nie anders nähern, als wenn die Mannschaft im unteren Raum ist, denn er wünscht nicht, daß es mehr Lotsen in diesem Wasser gebe, als der König braucht.«

»Hu – hu –! ein sauberes Geschäft, wenn ich da unter diesen Büschen und Felsen mit nur einem Mann auf dem Verdeck hätte hinunterfahren sollen. Der beste Yorker Matrose wüßte nichts aus einem solchen Kanal zu machen.«

»Ich hab‘ immer gedacht, Herr«, sagte Jasper lächelnd, »Ihr hättet besser getan, den Kutter so lange meinen Händen zu überlassen, bis er glücklich an den Ort seiner Bestimmung gelangt wäre.«

»Wir würden es getan haben, Jasper, wenn nicht ein Indiz eingetreten wäre. Solche Indizien oder Umstände sind gar ernsthafter Natur, und kein vernünftiger Mann wird darüber wegsehen.«

»Nun, Herr! ich hoffe, es hat jetzt ein Ende damit. Wir haben nicht ganz mehr eine Stunde zu fahren, wenn der Wind so fortmacht, und dann werdet Ihr gegen alle nur erdenklichen Umstände gesichert sein.«

»Hm!«

Cap mußte sich beruhigen, und da alles um ihn her das Ansehen hatte, als ob es Jasper ehrlich meine, so gab er sich um so leichter darein. Es wäre auch für den empfindlichsten Indizienwitterer schwer gewesen, sich einzubilden, daß der Scud sich in der Nachbarschaft eines so lange bestehenden und an der Grenze so wohlbekannten Hafens wie Frontenac befinde. Die Inseln waren wohl nicht gerade buchstäblich tausend an der Zahl, aber immerhin doch so viele und unbedeutende, unter denen sich freilich hin und wieder eine von größerem Umfang befand, daß man nicht an ein Zählen denken durfte. Jasper hatte den sogenannten Hauptkanal verlassen und wand sich unter einem guten, steifen Wind und günstiger Strömung durch die Pässe, die bisweilen so eng wurden, daß der Raum kaum hinreichte, um die Spieren des Scud klar vor den Bäumen vorbeizubringen, während er ein andermal durch kleine Buchten schoß und sich dann wieder zwischen Felsen, Wäldern und Büschen verlor. Das Wasser war so durchsichtig, daß man keines Senkbleis bedurfte, und da es so ziemlich eine gleiche Tiefe hatte, so konnte man ohne besondere Gefahr durchzukommen, obgleich der an das Meer gewöhnte Cap wegen des Anstoßens beständig in Fieberangst lag.

»Ich geb’s auf, ich geb’s auf, Pfadfinder!« rief der alte Seemann endlich, als das kleine Fahrzeug aus dem zwanzigsten dieser schmalen Durchlässe glücklich auftauchte, durch die es mit so viel Kühnheit geführt worden war. »Das heißt der Natur der Seemannskunst Trotz bieten, und alle ihre Gesetze und Regeln zum Teufel schicken.«

»Nein, nein, Salzwasser! Das ist die Vollendung der Kunst. Ihr seht, daß Jasper nie strauchelt, sondern wie ein Hund mit guter Nase, den Kopf aufrecht, dahinschießt, als ob er alles durch den Geruch erkenne. Ich setze mein Leben zum Pfand, daß uns der Junge zuletzt an den rechten Ort bringt, wie er’s auch schon von Anfang an getan haben würde, wenn man ihn hätte machen lassen.«

»Kein Lotse, kein Senkblei, keine Baken, keine Bojen, keine Leuchttürme, keine –«

»Fährte«, unterbrach ihn Pfadfinder; »denn das ist für mich das Wunderbarste bei der ganzen Sache, und doch geht Jasper hier so kühn vorwärts, als hätte er die Abdrücke der Mokassins auf den Blättern so deutlich vor Augen, wie wir die Sonne am Himmel sehen können.«

»Gott verdamm mich, wenn ich glaube, daß überhaupt nur ein Kompaß da ist.«

»Legt bei, um den Klüver niederzuhalten«, rief Jasper, der zu den Bemerkungen seines Kunstverwandten nur lächelte. »Halt nieder – das Steuer an Backbord – hart Backbord – so – recht so – langsam dahinten mit dem Steuer – leicht angedrückt – jetzt schnell ans Land, Junge – nein, aufwärts; da sind einige von unseren Leuten, die es aufnehmen können.«

Alles dies ging mit einer Geschwindigkeit vor sich, daß die Zuschauer kaum Zeit hatten, die verschiedenen Schwenkungen zu bemerken, bis der Scud in den Wind geworfen war und das große Segel killte; dann fiel er unter Beihilfe des Ruders ein wenig ab und legte sich der Länge nach an eine natürliche Felsenkaje, wo er alsbald durch gute, ans Ufer laufende Taue befestigt wurde. Mit einem Wort, die Station war erreicht, und die Soldaten des Fünfundfünfzigsten wurden von den auf sie harrenden Kameraden mit der Freude begrüßt, die eine Ablösung gewöhnlich mit sich bringt.

Mabel sprang mit einem Entzücken, dem sie unbekümmert den Lauf ließ, ans Ufer, und ihr Vater hieß seine Leute mit einer Freudigkeit folgen, die deutlich zeigte, wie müde er des Kutters geworden war. Die Station, denn so wurde dieser Ort gewöhnlich von den Soldaten des fünfundfünfzigsten Regiments genannt, war auch wirklich geeignet, freudige Hoffnungen bei Leuten zu erregen, die so lange in einem Fahrzeug von dem Umfang des Scud eingesperrt gewesen waren. Keine der Inseln war hoch, obgleich alle weit genug aus dem Wasser hervorragten, um vollkommen gesund und sicher zu sein. Jede hatte mehr oder weniger Bäume, die größere Zahl war aber in jenen Zeiten noch mit Urwald bedeckt. Die von den Truppen für ihren Zweck ausgewählte war klein (sie umfaßte ungefähr zwanzig Morgen Land), und durch irgendeinen Zufall der Wildnis vielleicht schon Jahrhunderte vor dem Zeitraum unserer Erzählung teilweise ihrer Bäume beraubt worden, so daß beinahe die Hälfte der Insel aus Grasgrund bestand. Nach der Vermutung des Offiziers, der diese Stelle für einen militärischen Posten ausgesucht, hatte eine sprudelnde Quelle in der Nähe früher die Aufmerksamkeit der Indianer auf sich gezogen, die bei Gelegenheit ihrer Jagden und des Lachsfanges die Insel häufig besuchten, ein Umstand, durch den der Nachwuchs niedergehalten und den Gräsern Zeit gelassen wurde, sich einzuwurzeln und die Herrschaft über den Boden zu gewinnen. Mochte übrigens die Ursache sein, welche sie wollte, die Wirkung war, daß diese Insel ein weit schöneres Aussehen als die meisten benachbarten hatte und gewissermaßen ein Gepräge von Zivilisation trug, das man damals in diesen ausgedehnten Gegenden so sehr vermißte.

Die Ufer der Stationsinsel waren ganz von Gebüsch umfaßt, und man hatte Sorge getragen, es zu erhalten, da es dem Zwecke einer Deckung entsprach, die Personen und Gegenstände im Inneren verbarg. Durch diesen Schutz sowohl als auch durch mehrere Baumdickichte und verschiedenes Unterholz begünstigt, hatte man sechs oder acht niedrige Hütten errichtet, die dem Offizier und seiner Mannschaft als Wohnungen dienten und zur Aufbewahrung der Küchen-, Spital- und anderen Vorräte benützt wurden. Diese Hütten waren wie gewöhnlich aus Baumstämmen gebaut und mit Rinde bedeckt, wozu das Material von abgelegeneren Orten beigeführt worden war, damit die Spuren menschlicher Arbeit nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen möchten; und da sie nur einige Monate bewohnt gewesen, waren sie so behaglich, wie derartige Wohnungen nur immer sein konnten.

Am östlichen Ende der Insel befand sich eine dichtbewaldete Halbinsel mit so verwachsenem Unterholz, daß man, solange die Blätter an den Zweigen waren, nicht durchzusehen vermochte. In der Nähe des schmalen Streifens, der dieses Gehölz mit der übrigen Insel verband, lag ein kleines Blockhaus, das einigermaßen in wehrhaften Zustand versetzt worden war. Die Stämme waren schußfest, vierkantig und mit einer Sorgfalt zusammengefügt, daß kein Punkt unbeschützt blieb. Die Fenster hatten die Gestalt von Schießscharten; die Tür war klein und schwer, und das Dach wie der übrige Teil des Gebäudes aus behauenem Stammholz, das man mit Rinde bedeckt hatte, um den Regen abzuhalten. Der untere Raum enthielt wie gewöhnlich die Vorräte und Lebensmittel, von denen die Mannschaft den Abgang ihres Bedarfs ersetzte; der zweite Stock diente zugleich als Wohnung und Zitadelle, und das niedrige oberste Gelaß war in Dachkämmerchen abgeteilt, in denen für zehn oder fünfzehn Personen Lager aufgeschlagen werden konnten. Alle diese Einrichtungen waren außerordentlich einfach; aber sie reichten hin, die Soldaten gegen die Wirkungen eines unerwarteten Überfalls zu schützen. Da das ganze Gebäude noch lange nicht die Höhe von vierzig Fuß hatte, so war es bis zum Giebel durch die Wipfel der Bäume bedeckt und konnte nur vom Inneren der Insel aus gesehen werden; ebenso bot sich in dieser Richtung von den oberen Schießscharten eine freie Aussicht dar, obgleich auch hier mehr oder weniger Gebüsch vorhanden war, das die unteren Teile des hölzernen Turmes verbarg.

Da man bei Errichtung dieses Blockhauses nur die Verteidigung im Auge gehabt hatte, war dafür gesorgt worden, daß es nahe genug bei einer Aushöhlung des Tuffgesteins erbaut wurde, das die obere feste Schicht der Insel ausmachte, damit man sich aus dieser Zisterne für den Fall einer Belagerung das Wasser als wesentlichstes Bedürfnis durch Herablassen von Schöpfeimern verschaffen konnte. Um dieses Geschäft zu erleichtern und die Basis des Gebäudes von oben bestreichen zu können, sprangen die oberen Stockwerke, wie es bei Blockhäusern gewöhnlich ist, um mehrere Fuß über die unteren vor, wobei in die hervorragenden Balkenlagen Öffnungen gehauen waren, die die Dienste von Schießlöchern und Falltüren verrichten konnten, gewöhnlich aber mit Holzstücken bedeckt wurden. Die Verbindung zwischen den verschiedenen Stockwerken wurde durch Leitern vermittelt. Natürlich diente auch dies Blockhaus, wie alle in den Garnisonen und Ansiedlungen, für den Fall eines Angriffs als Zitadelle, in die man sich zurückziehen konnte.

Den größten Vorteil für eine militärische Besatzung gewährte jedoch die Lage der Insel. Es war nicht leicht, sie mitten aus zwanzig anderen herauszufinden, zumal Fahrzeuge ganz nahe vorbeikommen konnten, ohne daß man die Insel nach den Blicken, die die offenen Stellen zuließen, für etwas mehr als für ein Stück von einer anderen gehalten hätte. Und wirklich waren auch die Kanäle zwischen den benachbarten Inseln so schmal, daß es, selbst wenn man zur genauen Ermittlung der Wahrheit einen Standort im Mittelpunkt derselben gewählt hätte, schwer gewesen wäre zu sagen, welche Teile des Landes verbunden und welche getrennt seien. Besonders war die kleine Bucht, deren sich Jasper als eines Hafens bediente, so von Gebüsch überwölbt und von Inseln eingeschlossen, daß selbst das Schiffsvolk des Kutters, als einmal gelegentlich seine Segel niedergelassen waren, nach der Rückkehr von einem kurzen Fischzug den Scud in den benachbarten Kanälen vier Stunden lang suchen mußte. Kurz, der Ort war wunderbar geeignet für seine gegenwärtigen Zwecke, wobei noch die natürlichen Vorteile mit so viel Scharfsinn verbessert worden waren, wie Sparsamkeit und die beschränkten Mittel eines Grenzpostens nur immer gestatten mochten.

Die Stunde, die der Ankunft des Scud folgte, war voll heftiger Aufregung. Die Mannschaft, die bisher im Besitz des Postens war, hatte nichts Bemerkenswertes ausgerichtet und sehnte sich, ihrer Abgeschlossenheit müde, nach Oswego zurück. Der Sergeant und der abzulösende Offizier waren kaum mit den unbedeutenden Förmlichkeiten der Übergabe zu Ende, als letzterer mit seiner ganzen Mannschaft an den Bord des Scud eilte, worauf Jasper, der wohl gerne einen Tag auf dieser Insel zugebracht hätte, die Weisung erhielt, unter Segel zu gehen, da der Wind eine rasche Fahrt stromaufwärts und über den See in Aussicht stellte. Vor der Abreise hielten jedoch Leutnant Muir, Cap und der Sergeant mit dem abgelösten Fähnrich eine geheime Besprechung, in der dem letzteren der Verdacht mitgeteilt wurde, der sich gegen die Treue des jungen Schiffers erhoben hatte. Der Offizier versprach gehörige Vorsicht, schiffte sich ein, und in weniger als drei Stunden nach seiner Ankunft war der Kutter wieder in Bewegung.

Mabel hatte von einer der Hütten Besitz genommen und traf mit weiblicher Gewandtheit und Fertigkeit nicht nur für ihre eigene, sondern auch für ihres Vaters Bequemlichkeit die Anordnungen, die die Umstände zuließen. Zur Erleichterung der Mühe wurde in einer benachbarten Hütte eigens ein Speisetisch für die ganze Mannschaft errichtet, den die Soldatenfrau beschickte. Die Wohnung des Sergeanten, die beste auf der ganzen Insel, blieb also von den gewöhnlichen Obliegenheiten der Haushaltung befreit, und Mabel konnte daher so sehr ihrem eigenen Geschmack die Zügel lassen, daß sie das erste Mal seit ihrer Ankunft an der Grenze mit einem gewissen Stolz auf ihre häusliche Einrichtung blickte. Sobald sie sich dieser wichtigen Pflichten entledigt hatte, streifte sie auf der Insel umher und schlug einen Pfad ein, der durch einen schönen Baumgang zu der einzigen Stelle führte, die nicht mit Gebüsch bedeckt war. Hier stand sie, den Blick auf das durchsichtige Wasser gerichtet, das mit einer fast unbewegten Fläche zu ihren Füßen lag, und sann über die Neuheit der Lage nach, in die sie versetzt war. Eine freudige und tiefe Erregung überflog ihre Seele, als sie sich der Szenen erinnerte, die sie erst jüngst durchlebt hatte, und sich in Vermutungen über jene erging, die noch im Schoß der Zukunft schlummerten.

»Sie sind ein schönes Geschöpf an einer schönen Stelle, Miss Mabel«, sagte David Muir, der plötzlich an ihrer Seite erschien, »und ich möchte nicht darauf wetten, daß Sie nicht das Anmutigste von beiden sind.«

»Ich will nicht sagen, Herr Muir, daß Komplimente, die mir gelten, so ganz unwillkommen seien, denn man würde mir vielleicht doch keinen Glauben schenken«, antwortete Mabel; »aber ich möchte Ihnen –«

»Ach Ihr Geist, schöne Mabel, ist so blank wie der Lauf einer Soldatenmuskete, und Ihre Unterhaltung ist nur zu klug und weise für einen armen Teufel, der seit vier Jahren hier oben an den Grenzen Birkenzweige kaut. – Aber ich denke, es tut Ihnen nicht leid, mein Fräulein, daß Sie Ihren schönen Fuß wieder mal auf festen Boden setzen können?«

»Es scheint mir so, seit zwei Stunden, Herr Muir; aber der Scud sieht, wie er da durch diese Öffnungen der Bäume segelt, so hübsch aus, daß ich beinahe bedauern möchte, nicht mehr zu seinen Passagieren zu gehören.«

Mabel hörte auf zu sprechen und schwenkte ihr Taschentuch, um den Gruß Jaspers zu erwidern, der mit unverwandten Augen nach ihr zurückblickte, bis die weißen Segel des Kutters um eine Spitze bogen, in deren grünem Blättersaum sie sich beinahe ganz verloren.

»Da gehen sie hin, und ich will nicht sagen, Freude möge sie geleiten; aber möchten sie doch glücklich wieder zurückkommen, denn ohne sie wären wir in Gefahr, den Winter auf dieser Insel zubringen zu müssen, wenn uns statt dessen nicht ein Aufenthalt im Schloß zu Quebec blüht. Jener Jasper Eau-douce ist eine Art Landstreicher, und es gehen in der Garnison Gerüchte über ihn, die ich nicht ohne Herzeleid hören kann. Ihr würdiger Vater und Ihr fast ebenso würdiger Onkel haben nicht die beste Meinung von ihm.«

»Es tut mir leid, so was zu hören, Herr Muir; doch zweifle ich nicht, daß die Zeit alles Mißtrauen beseitigen wird.«

»Wenn die Zeit nur das meinige beseitigen würde«, erwiderte der Quartiermeister mit einschmeichelndem Ton, »so wollt‘ ich keinen General beneiden. Ich glaube, wenn ich in der Lage wäre, mich vom Dienst zurückziehen zu können, so würde der Sergeant in meine Schuhe treten.«

»Wenn mein Vater würdig ist, in Ihre Schuhe zu treten, Herr Muir«, erwiderte das Mädchen mit boshaftem Mutwillen, »so bin ich überzeugt, daß die Befähigungen umgekehrt und Sie in jeder Hinsicht würdig sind, in die seinigen zu treten.«

»Der Teufel steckt in dem Mädchen! – Sie wollen mich doch nicht zu dem Rang eines Unteroffiziers degradieren, Mabel?«

»Gewiß nicht, Herr! denn ich habe gar nicht an die Armee gedacht, als Sie von Ihrem Rückzug sprachen. Meine Gedanken waren selbstsüchtiger, und es schwebte mir gerade vor, wie sehr Sie mich durch Ihre Erfahrung und Ihre Klugheit an meinen lieben Vater erinnern und wie sehr Sie geeignet wären, seinen Platz in einer Familie einzunehmen.«

»Als ein Bräutigam, schöne Mabel, aber nicht als Vater oder natürliches Haupt. Ich sehe, wie es mit Ihnen steht, und liebe Ihre schnellen und witzsprühenden Erwiderungen. Ich liebe den Geist bei jungen Frauenzimmern, wenn es nur nicht der Geist des Zankes ist. – Dieser Pfadfinder ist ein außerordentlicher Mann, Mabel, wenn man die Wahrheit von ihm sagen will.«

»Man muß die Wahrheit oder gar nichts von ihm sagen. Pfadfinder ist mein Freund – ein mir sehr werter Freund, Herr Muir, und man darf ihm in meiner Gegenwart nie etwas Übles nachreden, ohne daß ich widerspreche.«

»Ich versichere Ihnen, Mabel, daß ich ihm nichts Übles nachreden will; aber zu gleicher Zeit muß ich doch bezweifeln, ob sich viel Gutes zu seinen Gunsten sagen läßt.«

»Er weiß wenigstens mit der Büchse gut umzugehen«, erwiderte Mabel lächelnd; »das werden Sie doch nicht in Abrede stellen?«

»Was seine Taten in dieser Beziehung anbetrifft, so mögen Sie ihn so hoch stellen, wie Ihnen beliebt; aber er ist so ungebildet wie ein Mohawk.«

»Er versteht vielleicht nichts von dem Lateinischen; aber die Sprache der Irokesen kennt er besser als die meisten Weißen, und diese ist jedenfalls in unserem Erdwinkel die nützlichere von beiden.«

»Wenn Lundie selbst mich aufforderte, ihm zu sagen, ob ich Ihre Person oder Ihren Witz mehr bewundere, meine schöne, spöttische Mabel, so wüßt‘ ich nicht, was ich antworten sollte. Meine Bewunderung ist so sehr zwischen beiden geteilt, daß ich bald der einen, bald dem anderen die Palme zuerkennen muß. Ach, die verstorbene Mistress Muir war auch ein solches Musterbild.«

»Sie sprechen von der zuletzt verstorbenen Mistress Muir, Herr?« fragte Mabel mit einem unschuldigen Blick auf ihren Gefährten.

»Ach, das ist eine von Pfadfinders Lästerungen. Gewiß hat der Bursch es versucht, Sie zu überzeugen, daß ich schon mehr als einmal verheiratet gewesen sei?«

»In diesem Fall wäre seine Mühe vergebens gewesen, Herr; denn jedermann weiß, daß Sie das Unglück hatten, schon vier Frauen zu verlieren.«

»Nur drei, so wahr mein Name David Muir ist. Die vierte ist reiner Skandal oder vielmehr noch in petto, wie man in Rom sagt, schöne Mabel.«

»Nun, ich bin froh, daß ich nicht diese vierte Person in petto bin, denn es wäre mir nicht angenehm, ein Skandal zu sein.«

»Haben Sie deshalb keine Furcht, meine bezaubernde Mabel, denn wenn Sie die vierte sind, werden alle anderen vergessen sein, und Ihre wundervollen Reize und Verdienste würden Sie auf einmal zur ersten erheben. Sie dürfen nicht fürchten, in irgend etwas die vierte zu sein.«

»Es liegt ein Trost in dieser Versicherung, Herr Muir«, sagte Mabel lachend, »was es auch sonst mit den anderen Versicherungen für eine Bewandtnis haben mag; denn ich gestehe, daß ich lieber eine Schönheit des vierten Ranges, als die vierte Frau eines Mannes sein möchte.«

Mit diesen Worten entfernte sie sich und überließ es dem Quartiermeister, über seinen Erfolg nachzudenken.

Mabel war zu einer so freimütigen Benützung ihrer weiblichen Verteidigungsmittel veranlaßt worden – erstens, weil sich ihr Verehrer in der letzten Zeit auf eine Weise benommen hatte, daß sie die Notwendigkeit einer runden und ernstlichen Abfertigung fühlte, und dann durch seine Sticheleien gegen Jasper und den Pfadfinder. Obgleich raschen Geistes, war sie von Natur nicht vorlaut, und nur bei der gegenwärtigen Gelegenheit hielt sie sich durch die Umstände zu einer mehr als gewöhnlichen Entschiedenheit aufgefordert. Als sie daher ihren Gesellschafter verlassen hatte, hoffte sie, endlich der Aufmerksamkeiten enthoben zu sein, die ihr ebenso übel angebracht schienen, wie sie ihr unangenehm waren.

David Muir aber dachte anders. An Körbe gewöhnt und in der Tugend der Beharrlichkeit geübt, sah er keinen Grund, zu verzweifeln, obgleich die halbdrohende, halbzufriedene Weise, mit der er bei dem Rückzug des Mädchens mit dem Kopfe nickte, ebenso unheilvolle wie entschiedene Entwürfe verraten mochte. Während er so mit sich selbst zu Rate ging, näherte sich der Pfadfinder und kam unbemerkt bis auf einige Fuß auf ihn zu.

»’s wird nicht gelingen, Quartiermeister, ’s wird nicht gelingen«, begann letzterer mit seinem tonlosen Lachen; »sie ist jung und lebhaft, und nur ein rascher Fuß kann sie einholen. Man sagt mir, Sie seien ihr Anbeter, obgleich Sie ihr nicht nachgehen.«

»Und ich höre dasselbe von Euch, Mann, obgleich die Anmaßung so stark wäre, daß ich sie kaum für wahr halten kann.«

»Ich fürchte, Sie haben recht; ja, ja – ich fürchte, Sie haben recht: Wenn ich überlege, was ich bin, wie wenig ich weiß und wie rauh mein Leben gewesen ist, so hab‘ ich ein geringes Vertrauen auf meine Ansprüche, nur einen Augenblick an ein so gut erzogenes, heiteres und zartes Mädchen denken zu dürfen.«

»Ihr vergeßt das ›schön‹«, unterbrach ihn Muir auf eine etwas barsche Weise.

»Ja, schön ist sie auch, fürcht‘ ich«, erwiderte der bescheidene und anspruchslose Kundschafter. »Ich hätte die Schönheit bei ihren übrigen Eigenschaften mit berühren sollen; denn das junge Reh, das eben erst hüpfen lernt, hat in den Augen eines Jägers nicht mehr Anmut, als Mabel in den meinigen. Ich fürchte, bei Gott! daß alle Gedanken an sie, die ich hege, eitel und anmaßend sind.«

»Wenn Ihr vielleicht aus natürlicher Bescheidenheit das von Euch selbst glaubt, mein Freund, so halt‘ ich es für meine Pflicht, um unserer alten Kameradschaft willen Euch zu sagen –«

»Quartiermeister«, unterbrach ihn der andere mit einem durchdringenden Blick, »Sie und ich haben lange miteinander hinter den Wällen des Forts gelebt, aber sehr wenig draußen in den Wäldern oder im Angesichte des Feindes.«

»Garnison oder Zelt – beides gilt, wie Ihr wißt, Pfadfinder, für einen Teil des Feldzuges. Zudem fordert mein Beruf, daß ich mich mehr in der Nähe der Magazine aufhalte, obschon dies ganz gegen meine Neigung ist, wie Ihr wohl denken könnt, da Ihr selber die Glut des Kampfes in Euern Adern fühlt. Aber wenn Ihr gehört hättet, was Mabel eben von Euch sagte, so würdet Ihr keinen Augenblick mehr daran denken, Euch dieser über jeden Vergleich vorlauten und widerspenstigen Dirne angenehm machen zu wollen.«

Pfadfinder blickte den Leutnant mit Ernst an, denn es war unmöglich, daß er nicht ein Interesse an Mabels Äußerungen hätte fühlen sollen; aber er hatte zuviel angeborene Zartheit und wahren Takt, um zu fragen, was andere von ihm sagten. Muir war jedoch durch diese Selbstverleugnung und Selbstachtung nicht zu überwältigen, denn da er es mit einem Mann von großer Wahrheitsliebe und Einfalt zu tun zu haben glaubte, so beschloß er, auf seine Leichtgläubigkeit einzuwirken und auf diese Weise sich von seinem Nebenbuhler zu befreien. Er verfolgte daher den Gegenstand, sobald er merkte, daß die Selbstverleugnung seines Gefährten stärker sei als seine Neugier.

»Ihr müßt ihre Ansicht erfahren, Pfadfinder«, fuhr er fort, »und ich glaube, jedermann sollte hören, was seine Freunde und Bekannten von ihm sagen. Ich will’s Euch daher, um Euch meine Achtung gegen Euren Charakter und Eure Gefühle zu beweisen, in ein paar Worten mitteilen. Ihr wißt, daß Mabel mit ihren Augen ein schlimmes und boshaftes Spiel treibt, wenn sie im Sinne hat, die Gefühle eines Mannes zu reizen.«

»Mir schienen ihre Augen immer gewinnend und sanft, Leutnant Muir, obgleich ich zugeben will, daß sie bisweilen lachen. Ja, ich hab‘ sie lachen sehen, und zwar recht herzlich und mit aufrichtigem Wohlwollen.«

»Schön, das war es aber gerade. Ihre Augen lachten, sozusagen aus aller Macht, und mitten in ihrem Mutwillen brach sie in einen Ausruf aus – ich hoffe, es wird doch Eure Empfindlichkeit nicht verletzen, Pfadfinder?«

»Ich will das nicht sagen, Quartiermeister; ich kann das nicht versprechen. Es liegt mir viel an Mabels Meinung von mir.«

»Dann werd‘ ich Euch nichts sagen, sondern die Sache für mich behalten. Und warum sollte auch jemand einem anderen erzählen, was seine Freunde über ihn sagen, zumal wenn was zu sagen ist, was nicht angenehm zu hören ist. Ich werde dem, was ich bereits mitteilte, kein Wort mehr hinzufügen.«

»Ich kann Sie nicht zum Reden zwingen, wenn Sie es nicht gern tun wollen, Quartiermeister, und vielleicht ist es besser für mich, Mabels Äußerungen nicht zu kennen, da Sie zu glauben scheinen, daß sie nicht zu meinen Gunsten seien. Ach! wenn wir sein könnten, was wir gern möchten, statt daß wir nur sind, was wir sind, so würde wohl ein großer Unterschied vorhanden sein in unseren Charakteren, unserem Wissen und in unserem äußeren Erscheinen. Wir können immer rauh, plump, unwissend und doch glücklich sein, wenn wir’s nur nicht wissen; aber es ist hart, unsere Gebrechen im stärksten Lichte sehen zu müssen, wenn wir gerade am wenigsten von ihnen hören möchten.«

»Das ist eben das Rationale an der Sache, wie die Franzosen sagen, und das sagte ich auch Mabel, als sie weglief und mich allein ließ. Ihr habt wohl gesehen, wie sie auf und davon ging, als Ihr Euch nähertet?«

»Das war leicht bemerklich«, sagte Pfadfinder mit einem schweren Atemzug und umfaßte seinen Büchsenlauf, als ob er seinen Finger in das Eisen graben wollte.

»Es war mehr als bemerklich – es war auffällig; das ist das rechte Wort, und man würde nach stundenlangem Suchen kein besseres im Wörterbuch finden. Ja, Ihr sollt es erfahren, Pfadfinder, denn ich kann Euch vernünftigerweise die Gunst nicht verweigern, es Euch wissen zu lassen. So hört denn – das ungezogene Ding hüpfte lieber auf diese Weise davon, als daß sie angehört hätte, was ich zu Eurer Rechtfertigung sagen wollte.«

»Und was hätten Sie über mich sagen können, Quartiermeister?«

»Ei, Ihr müßt mich verstehen, mein Freund; es hing von den Umständen ab, und ich konnte mich nicht unklugerweise in Allgemeinheiten einlassen, aber ich bereitete mich vor, dem Einzelnen sozusagen durch Einzelheiten zu begegnen. Wenn sie Euch für einen wilden Menschen, einen halben Indianer, für so eine Art Grenzgeschöpf hielt, so könnt‘ ich ihr, wie Ihr wißt, sagen, daß dies von dem wilden und halbindianischen Grenzleben herkomme, das Ihr führt, wodurch denn alle ihre Einwürfe auf einmal zum Schweigen gebracht worden wären, oder es hätte so eine Art Mißverständnis mit der Vorsehung stattfinden müssen.«

»Uhr Ihr habt ihr das wirklich gesagt, Quartiermeister?«

»Ich kann nicht gerade auf die Worte schwören, aber die Idee war vorherrschend in meiner Seele, wie Ihr Euch denken könnt. Das Mädchen war ungeduldig und wollte nicht die Hälfte von dem hören, was ich zu sagen hatte, sondern sprang fort, wie Ihr mit Euren eigenen Augen gesehen habt, Pfadfinder, als ob sie mit ihren Ansichten vollkommen im reinen sei und nichts mehr zu hören brauche. Ich fürchte, sie ist zu einem bestimmten Entschluß gekommen.«

»Ich fürchte das auch, Quartiermeister; und allem nach ist ihr Vater irriger Meinung. Ja, ja, der Sergeant ist in einem traurigen Irrtum befangen.«

»Nun, Mann! – was braucht Ihr da zu jammern und den guten Ruf, den Ihr Euch durch so viele mühevolle Jahre erworben habt, zuschanden zu machen. Nehmt Eure Büchse, die Ihr so gut zu brauchen wißt, auf die Schulter, und fort mit Euch in die Wälder; denn es lebt kein weibliches Geschöpf, das auch nur das Herzeleid einer Minute wert wäre, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Ich geb‘ Euch das Wort eines Mannes, der dieses Geschlecht kennt und zwei Weiber gehabt hat, daß die Weiber überhaupt eine Art Geschöpfe sind, die wir uns ganz anders vorstellen, als sie in der Tat sind. Nun, wenn Ihr Mabel demütigen wollt, so habt Ihr hier eine so herrliche Gelegenheit, wie sie ein zurückgewiesener Liebhaber nur immer wünschen kann.«

»Es wäre mein letzter Wunsch, Leutnant, Mabel zu demütigen.«

»Nun, Ihr werdet am Ende doch noch soweit kommen; denn es liegt in der menschlichen Natur, denen Unlust zu bereiten, die uns Unlust bereitet haben. Aber eine bessere Gelegenheit hat sich noch nie dargeboten, die Liebe Eurer Freunde zu gewinnen, als in dem gegenwärtigen Augenblick, und dies ist das sicherste Mittel, die Feinde so weit zu bringen, daß sie uns beneiden.«

»Quartiermeister, Mabel ist nicht meine Feindin, und wenn sie’s auch wäre, so würde ich doch zuletzt wünschen, ihr einen unangenehmen Augenblick zu verursachen.«

»Ihr sagt so, Pfadfinder, Ihr sagt so – und ich glaube auch, daß Ihr so denkt; aber Vernunft und Natur sind gegen Euch, wie Ihr zuletzt selbst noch finden werdet. Ihr kennt ja das Sprichwort: ›Liebst du mich, so liebst du auch all das Meinige‹, und das bedeutet rückwärts gelesen: ›Liebst du das Meinige nicht, so liebst du auch mich nicht.‹ Nun hört, was Ihr tun könnt. Ihr wißt, daß wir hier auf einem äußerst unsicheren Posten und sozusagen fast in dem Rachen des Löwen sind?«

»Sie verstehen unter dem Löwen die Franzosen und unter seinem Radien die Insel, Leutnant?«

»Nur bildlich, mein Freund; denn die Franzosen sind keine Löwen und dieses Eiland kein Rachen, wenn es sich uns nicht etwa als das Rachenbein oder der Kinnbacken eines Esels erweisen sollte, was ich sehr befürchte.«

Hier überließ sich der Quartiermeister einem höhnischen Lachen, das nicht gerade eine besondere Achtung und Bewunderung gegen die Klugheit seines Freundes Lundie ausdrückte, der diesen Ort für seine Operationen ausgewählt hatte.

»Der Ort ist so gut gewählt wie nur irgendeiner, auf den ich meinen Fuß gesetzt habe«, sagte Pfadfinder und blickte um sich, wie man ein Gemälde zu betrachten pflegt.

»Ich will das nicht in Abrede stellen. Lundie ist ein großer Krieger in einer kleinen Weise, und sein Vater war auf dieselbe Art ein großer Laird. Ich bin auf seinen Gütern geboren und folgte dem Major so lange, daß ich alles verehre, was er spricht und tut; das ist eben meine schwache Seite, wie Ihr wohl wißt, Pfadfinder. Nun schön, mögen die Leute diesen Posten für den eines Esels oder den eines Salomon halten, jedenfalls ist seine Lage eine sehr bedenkliche, wie man aus Lundies Vorsichtsmaßregeln und Einschärfungen deutlich erkennen kann. Es liegen auf diesen Tausendinseln und in den Wäldern Wilde, die nach dem Ort unseres Aufenthaltes spähen, wie Lundie aus sicheren Mitteilungen wohl weiß, und es wäre der größte Dienst, den Ihr dem Fünfundfünfzigsten zu leisten vermöchtet, wenn Ihr ihre Fährte auffinden und ihnen eine falsche Witterung beibringen könntet. Unglückseligerweise bildet sich Sergeant Dunham ein, daß die Gefahr stromaufwärts zu befürchten sei, weil Frontenac über uns liegt, indes uns doch die Erfahrung lehrt, daß die Indianer stets von einer Seite kommen, die am meisten mit einer vernünftigen Berechnung im Widerspruch steht, so daß wir sie also eher von unten herauf erwarten dürfen. Nehmt daher Euern Kahn und fahrt stromabwärts durch diese Inseln, damit wir doch Kunde erhalten, wenn sich uns von dieser Seite irgendeine Gefahr nähert. Wenn Ihr Euch dann auf einige Meilen in dem See umsehen würdet, zumal auf der Yorker Seite, so würden Eure Berichte wohl die genauesten und deshalb auch die wertvollsten sein.«

»Chingachgook liegt in dieser Richtung auf der Lauer, und da er die Station genau kennt, so wird er uns ohne Zweifel zeitig genug Nachricht geben, wenn man uns von dieser Seite aus zu umgehen wünscht.«

»Er ist aber im Grunde doch nur ein Indianer, Pfadfinder, und diese Angelegenheit erfordert Kenntnis eines weißen Mannes. Lundie wird dem Mann ewig dankbar sein, der dazu beiträgt, daß man sich aus dieser kleinen Unternehmung mit fliegenden Fahnen herauswickeln kann. Um Euch die Wahrheit zu sagen, mein Freund, er fühlt es, daß er die Sache nie hätte versuchen sollen; aber er hat zuviel von des alten Lairds Starrköpfigkeit an sich, um seinen Irrtum einzugestehen, obschon dieser so augenfällig ist wie der Morgenstern.«

Der Quartiermeister fuhr fort, seinem Gefährten zuzureden, um ihn zu einem unverzüglichen Aufbruch von den Inseln zu veranlassen, wobei er sich solcher Gründe bediente, wie sie ihm der Augenblick darbot; gelegentlich widersprach er sich auch und brachte nicht selten ein Motiv zum Vorschein, dem er im nächsten Augenblick gerade das entgegengesetzte folgen ließ. So einfach auch der Pfadfinder war, so entgingen ihm doch diese Brüche in des Leutnants Philosophie nicht, obgleich er nicht entfernt vermutete, daß sie in dem Wunsch ihren Grund hatten, die Küste von einem Nebenbuhler in Mabels Gunst zu säubern. Er setzte schlechten Gründen gute entgegen, widerstand jeder Versuchung, die er nicht mit seinem Pflichtgefühl in Einklang bringen konnte, und war so taub wie gewöhnlich gegen jede lockende Einflüsterung, die vor seinem Rechtlichkeitssinn nicht zu bestehen vermochte. Er hatte allerdings von Muirs geheimen Beweggründen keine Ahnung, war aber auch ebensoweit entfernt, sich durch dessen Sophistereien blenden zu lassen, und das Ergebnis lief darauf hinaus, daß sich beide nach einer langen Zwiesprache unüberzeugt und mit gegenseitigem Mißtrauen trennten, obschon der Argwohn des Kundschafters, wie alles, was mit diesem Mann in Verbindung stand, das Gepräge seines aufrichtigen und reinen Charakters trug.

Eine Besprechung, die später zwischen dem Sergeanten Dunham und dem Leutnant stattfand, war erfolgreicher. Nach ihrer Beendigung erhielt die Mannschaft geheime Befehle; das Blockhaus und die Hütten wurden besetzt, und wer an die Bewegungen der Soldaten gewöhnt war, konnte leicht entdecken, daß ein Ausflug geplant war.

Wirklich kam auch der Sergeant, als die Sonne eben unterging, von dem sogenannten Hafen, wo er beschäftigt gewesen war, mit Cap und Pfadfinder in seine Hütte, und als er an dem Tisch saß, den Mabel für ihn beschickt und bereitet hatte, begann er den Vorrat seines Wissens auszukramen.

»Du wirst wahrscheinlich hier von einigem Nutzen sein, mein Kind«, fing der alte Soldat an, »wie dieses gut und rechtzeitig angerichtete Nachtessen bezeugen kann, und ich glaube, daß du dich im geeigneten Augenblick als Abkömmling derer beweisen wirst, die wissen, wie man den Feind ins Auge fassen muß.«

»Ihr erwartet doch nicht, lieber Vater, daß ich die Johanna d’Arc spielen und die Mannschaft ins Treffen führen soll?«

»Wen spielen, Kind? Habt Ihr je was von der Person gehört, von der Mabel spricht, Pfadfinder?«

»Nein, Sergeant, wie sollte ich das? Ich bin unwissend und ohne Erziehung, und es ist mir schon ein großes Vergnügen, bloß auf ihre Stimme zu horchen.«

»Ich kenne sie«, sagte Cap, »sie segelte im letzten Krieg mit Kaperbriefen von Morlaix aus und war ein guter Kreuzer.«

Mabel errötete, daß sie unachtsam eine Anspielung gemacht hatte, die über ihres Vaters Belesenheit ging, und vielleicht auch, von ihres Onkels Überklugheit gar nicht zu sprechen, ein bißchen über Pfadfinders schlichten und doch sinnreichen Ernst, obgleich sie nicht umhin konnte, über den letzteren zu lächeln.

»Nun, Vater, ich hoffe nicht, daß man mich zu der schlagfertigen Mannschaft rechnet und daß ich die Insel verteidigen helfen soll?«

»Und doch haben in diesem Weltteil die Weiber oft solche Dinge getan, Mädchen, wie dir unser Freund hier, der Pfadfinder, erzählen kann. Damit es dich aber nicht überrascht, wenn du uns bei deinem morgigen Erwachen nicht mehr siehst, so muß ich dir noch sagen, daß wir diese Nacht noch abzuziehen gedenken.«

»Wir, Vater? Und Ihr wollt mich und Jennie allein auf dieser Insel lassen?«

»Nicht doch, meine Tochter! Wir handeln nicht so militärisch. Wir werden den Leutnant Muir, Bruder Cap, Korporal M’Nab und drei Soldaten hier lassen, aus denen in unserer Abwesenheit die Garnison bestehen wird. Jennie wird bei dir in dieser Hütte wohnen und Bruder Cap meine Stelle einnehmen.«

»Und Herr Muir?« fragte Mabel, ohne selber zu wissen, was sie sagte, obgleich sie voraussah, daß diese Anordnung sie wieder neuen Zudringlichkeiten aussetzen werde.

»Ei, er kann dir den Hof machen, wenn du das gern hast, Mädel, denn er ist ein verliebter Bursche, und da er schon vier Weiber geliefert hat, so kann er’s nicht erwarten, durch die Wahl einer fünften zu zeigen, wie er ihr Andenken ehrt.«

»Der Quartiermeister sagte mir«, versetzte Pfadfinder unschuldig, »daß das Gemüt eines Mannes, wenn es durch so viele Verluste durchgeeggt sei, auf keine zweckmäßigere Weise besänftigt werde, als wenn man den Boden aufs neue aufpflüge, damit keine Spur der Vergangenheit mehr zurückbleibe.«

»Ja, das ist gerade der Unterschied zwischen Pflügen und Eggen«, erwiderte der Sergeant mit höhnischem Lächeln. »Doch er mag gegen Mabel sein Herz ausleeren, und dann wird seine Freierei ein Ende haben. Ich weiß recht wohl, daß meine Tochter nie die Frau des Leutnant Muir werden wird.«

Er sagte dies in einer Weise, die mit der Erklärung gleichbedeutend war, daß die fragliche Person nie der Mann seiner Tochter werden solle. Mabel errötete, zitterte, und ein halbes Lachen vermochte das Unbehaglichkeitsgefühl, das sie ergriff, nicht zu verhehlen. Als sie sich jedoch wieder gefaßt hatte, sprach sie mit einer heiteren Stimme, die ihren inneren Kampf vollständig verbarg:

»Aber Vater, wir würden wohl besser tun zu warten, bis sich Herr Muir erklärt, ob ihn Eure Tochter haben wolle, oder vielmehr, daß er Eure Tochter haben wolle, damit man uns nicht, wie in der Fabel, die sauren Trauben verwerfe.«

»Was ist das für eine Fabel, Mabel?« fragte hastig der Pfadfinder, der von dem Unterricht, der den Weißen gewöhnlich erteilt wird, nicht besonders viel genossen hatte; »erzählen Sie uns das in Ihrer angenehmen Weise, denn sicherlich hat es der Sergeant noch nie gehört.«

Mabel erzählte die bekannte Fabel, und zwar, wie ihr Verehrer gewünscht hatte, in ihrer eigenen angenehmen Weise, wobei dieser seine Augen unverwandt auf ihr Antlitz heftete, während ein Lächeln seine ehrlichen Züge überflog.

»Das sieht dem Fuchs gleich«, rief Pfadfinder, als sie zu Ende war; »ja, und auch einem Mingo – schlau und grausam, das ist die Weise dieser beiden schleichenden Tiere. Was die Trauben angeht, so sind sie sauer genug in dieser Gegend, selbst für den, der sie kriegen kann, obgleich ich sagen darf, daß es Zeiten und Orte gibt, wo sie für den, der keine bekommt, noch saurer sind. So möchte ich glauben, daß mein Skalp in den Augen eines Mingo sehr sauer ist.«

»Die sauren Trauben werden an einem anderen Weg wachsen, Kind, und wahrscheinlich wird sich Herr Muir darüber zu beschweren haben. Du möchtest wohl diesen Mann nie heiraten, Mabel?«

»Gewiß nicht« – fiel Cap ein –, »so einen Burschen, der im Grunde doch nur ein halber Soldat ist. Die Geschichte mit diesen Trauben da ist in der Tat ein Umstand.«

»Ich denke überhaupt gar nicht ans Heiraten, lieber Vater und lieber Onkel, und wenn es euch beliebt, so wollen wir lieber weniger davon reden. Wenn ich aber überhaupt ans Heiraten dächte, so glaub‘ ich kaum, daß meine Wahl auf einen Mann fallen würde, der es bereits mit drei oder vier Weibern versucht hat.«

Der Sergeant nickte dem Kundschafter zu, als wolle er sagen: Du siehst, wie die Sachen stehen – und wechselte dann aus Rücksicht für die Gefühle seiner Tochter den Gegenstand der Unterhaltung.

»Weder du, Bruder Cap, noch Mabel«, fing er an, »keines von beiden, darf eine gesetzliche Autorität ausüben über die kleine Garnison, die ich auf der Insel zurücklasse, obschon ihr zu einem Rat oder einem sonstigen Einfluß berechtigt seid. Streng genommen wird Korporal M’Nab der kommandierende Offizier sein, und ich hab‘ mir Mühe gegeben, ihm die Würde und Wichtigkeit seines Amtes begreiflich zu machen, damit er dem Einfluß des höher gestellten Leutnants Muir nicht zuviel Spielraum lasse; denn weil der ein Freiwilliger ist, hat er kein Recht, sich in den Dienst zu mischen. Du kannst aber den Korporal unterstützen, Bruder Cap, denn wenn der Quartiermeister erst mal die Dienstregeln dieser Expedition verletzt hat, so möchte er ebensogut mir wie dem M’Nab befehlen wollen.«

»Besonders, wenn ihn in deiner Abwesenheit Mabel triftig kappt. Es versteht sich von selbst, Sergeant, daß du alles, was flott ist, meiner Sorge überläßt. Aus Mißverständnissen zwischen den Befehlshabern auf dem Wasser und dem Land sind oft die verhenkertsten Verwirrungen hervorgegangen.«

»In einer Beziehung ja, Bruder, obgleich im allgemeinen der Korporal Oberbefehlshaber ist. Die Erfahrung lehrt uns, daß eine Trennung des Kommandos zu Schwierigkeiten führt, und ich möchte die Gefahr vermeiden. Der Korporal muß den Befehl führen; aber du kannst ihm freiwillig deinen Rat mitteilen, besonders in allen Angelegenheiten, die auf die Boote Bezug haben, von denen ich Euch eins zurücklassen werde, um für den Notfall Euern Rückzug zu sichern. Ich kenne den Korporal, er ist ein tapferer Mann und ein guter Soldat, auf den man sich verlassen kann. Aber er ist ein Schotte und wird dem Einfluß des Quartiermeisters nachgeben, gegen den ihr beide, du und Mabel, auf der Hut sein müßt.«

»Aber warum laßt Ihr uns zurück, lieber Vater? Ich bin so weit mit Euch gereist, um für Eure Bequemlichkeit zu sorgen; warum sollt‘ ich nicht noch weiter mit Euch gehen?«

»Du bist ein gutes Mädel und schlägst ganz in die Art der Dunhams. Aber du mußt hierbleiben. Wir werden morgen noch vor Tag die Insel verlassen, um nicht von Späheraugen entdeckt zu werden, wenn wir aus unserem Versteck hervorkommen, und nehmen die zwei größten Boote mit uns. Es bleibt Euch also noch das dritte und ein Rindenkahn. Wir sind im Begriff, uns in dem Kanal umzusehen, dessen sich die Franzosen bedienen, und wollen uns etwa eine Woche lang auf Lauer legen, um die Vorratsboote auf ihrem Weg nach Frontenac abzufangen, die vielleicht durchfahren und hauptsächlich mit wertvollen indianischen Gütern beladen sind.«

»Hast du auch deine Papiere genau angesehen, Bruder?« fragte Cap ängstlich. »Es ist dir doch bekannt, daß das Wegnehmen eines Schiffes auf offener See als Seeräuberei angesehen wird, wenn dein Boot sich nicht durch einen regelmäßigen Kaperbrief als ein auf Staats- oder Privatkosten bewaffneter Kreuzer ausweisen kann.«

»Ich habe die Ehre, von meinem Obersten zum Sergeanten des Fünfundfünfzigsten ernannt worden zu sein«, versetzte der andere und richtete sich mit Würde auf, »und das muß selbst dem König von Frankreich genug sein. Wo nicht, so hab‘ ich Major Duncans schriftliche Befehle.«

»Keine Papiere also für einen konzessionierten Kaperzug?«

»Diese müssen hinreichen, Bruder, da ich keine andern habe. Es ist für Seiner Majestät Interessen in diesem Teil der Welt von der größten Wichtigkeit, daß die in Frage stehenden Boote weggenommen und nach Oswego geführt werden. Sie enthalten die Bettücher, Büchsen, Schmucksachen, Geräte, die Munition, kurz alle jene Gegenstände, mit denen die Franzosen ihre verwünschten wilden Verbündeten bestechen, ihre Heillosigkeiten auszuführen und unsre heilige Religion mit ihren Vorschriften, die Gesetze der Humanität und alles zu verhöhnen, was dem Menschen teuer ist. Wenn wir ihnen diese Hilfsmittel abschneiden, so werden wir ihre Pläne durchkreuzen und Zeit gewinnen; denn sie können in diesem Herbst nicht wieder neue Zufuhr über das Meer her erhalten.«

»Aber Vater, bedient sich Seine Majestät nicht auch der Indianer?« fragte Mabel mit einiger Neugierde.

»Gewiß, Mädchen, und König Georg hat ein Recht, sich ihrer zu bedienen – Gott segne ihn! Es ist etwas ganz anders, ob ein Engländer oder ein Franzose einen Wilden benützt, wie jedermann einsehen kann.«

»Das ist klar genug, Bruder Dunham; aber was die Schiffspapiere betrifft, so will mir das doch nicht recht einleuchten.«

»Meine Ernennung zum Sergeanten durch einen englischen Obersten muß jedem Franzosen als Vollmacht gelten; und was noch mehr ist, sie wird’s auch.«

»Aber ich sehe nicht ein, Vater, warum sich die Franzosen nicht ebensogut der Wilden im Krieg bedienen sollten wie die Engländer?«

»Tausend alle Welt! Mabel – doch du bist vielleicht nicht fähig, das zu begreifen. Erstens ist ein Engländer von Natur menschlich und bedächtig, während der Franzose von Natur wild und furchtsam ist.«

»Und du kannst hinzusetzen, Bruder, daß er vom Morgen bis in die Nacht tanzt, wenn man’s zuläßt.«

»Sehr wahr«, erwiderte der Sergeant ernsthaft.

»Aber Vater, ich seh‘ nicht ein, daß all dies die Sache ändert. Wenn’s an einem Franzosen verwerflich ist, daß er die Wilden durch Bestechung zum Kampf gegen seine Feinde veranlaßt, so muß das, wie ich meine, bei einem Engländer ebenso unrecht sein. Ihr werdet mir beistimmen, Pfadfinder?«

»Vernünftigerweise allerdings; und ich bin nie unter denen gewesen, die ein Geschrei gegen die Franzosen erhoben, weil sie das nämliche tun, was wir selbst auch tun. Aber es ist schlimmer, sich mit einem Mingo einzulassen, als sich mit einem Delawaren zu verbünden. Wären von diesem gerechten Stamme noch Indianer übrig, so würd‘ ich’s für keine Sünde halten, sie gegen den Feind zu schicken.«

»Und doch skalpieren und töten sie jung und alt, Weiber und Kinder.«

»Sie haben ihre Gaben, Mabel, und sind nicht zu tadeln, wenn sie ihnen folgen. Natur ist Natur, obgleich sie die verschiedenen Stämme in verschiedener Weise kundgeben. Ich für meinen Teil bin ein Weißer und bestrebe mich, die Gefühle eines Weißen festzuhalten.«

»Ich kann dies alles nicht verstehen«, versetzte Mabel. »Was für König Georg recht ist, sollte, wie es mir scheint, auch bei König Louis recht sein.«

»Des Königs von Frankreich wirklicher Name ist Caput«, bemerkte Cap, wobei er den Mund voll Wildbret hatte. »Ich führte einmal einen großen Gelehrten als Passagier auf dem Schiff – der erzählte mir, daß diese dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Louis lauter Aufschneider wären, und eigentlich Caput hießen, was im Französischen Kopf bedeutet; er wollte damit sagen, daß man sie an den Fuß der Leiter stellen sollte, bis sie bereit wären, an dem Strick des Henkers in die Höhe zu steigen.«

»Nun, der sieht ganz so aus, als sei die Skalplust auch eine von seinen natürlichen Gaben«, bemerkte der Pfadfinder mit jenem Ausdruck von Überraschung, mit dem man einen neuen Gedanken aufnimmt, »und ich werde um so weniger Gewissensbisse haben, wenn ich gegen die Heiden kämpfe, obgleich ich nicht sagen kann, daß ich je in dieser Beziehung etwas Namhaftes empfunden habe.« Als das Nachtessen zu Ende war, entließ der Sergeant seine Gäste und hielt dann noch ein langes und vertrauliches Gespräch mit seiner Tochter. Er war wenig geeignet, zarteren Regungen Raum zu geben; aber die Neuheit seiner gegenwärtigen Lage erweckte Gefühle in seiner Seele, von denen er früher nichts erfahren hatte. Der Soldat oder der Seemann denkt, solange er unter der unmittelbaren Aufsicht seines Vorgesetzten handelt, wenig an die Gefahren, denen er sich aussetzen muß; sobald er aber die Verantwortlichkeit eines Befehlshabers fühlt, beginnen alle Zufälligkeiten seines Unternehmens sich mit den Wechselfällen des Erfolgs und des Fehlschlagens in seinem Geist zu verbinden.

Nie zuvor war ihm Mabel so schön vorgekommen wie in dieser Nacht. Möglich, daß sie früher nie vor ihrem Vater soviel gewinnende Eigenschaften entwickelt hatte; denn Sorge um seinetwillen beengte ihr das Herz. Dadurch wurde ihr Gespräch vertraulicher als gewöhnlich, bis endlich das Mädchen zu ihrer großen Freude bemerkte, daß es allmählich mehr den Ausdruck einer Herzlichkeit annahm, nach der sie sich seit ihrer Ankunft mehrmals gesehnt hatte.

»Die Mutter war also ungefähr von meiner Größe?« fragte Mabel, als sie ihres Vaters Hände in den ihrigen hielt und ihm mit tränenfeuchten Augen ins Gesicht blickte. »Ich glaubte, sie wäre größer gewesen?«

»Das geht wohl den meisten Kindern so! Deine Mutter, Mabel, war dir an Größe so ähnlich, wie nur ein Mensch dem andern sein kann.«

»Und ihre Augen, Vater?«

»Ihre Augen waren auch wie deine, Kind – blau, sanft, freundlich, vielleicht nicht ganz so lachend.«

»Die meinen werden nie wieder lachen, Vater, wenn Ihr bei diesem Ausflug nicht recht vorsichtig seid.«

»Ich danke dir, Kind; aber ich muß meiner Pflicht nachkommen. Ich hätte dich wohl gern anständig verheiratet sehen mögen, ehe wir Oswego verließen; es würde mir viel leichter ums Herz sein.«

»Verheiratet? – an wen, Vater?«

»Du kennst den Mann, den ich dir wünsche. Du kannst zwar lustigere und schöner gekleidete Männer treffen, aber keine mit einem treueren Herzen und einer edleren Seele.«

»Keinen, Vater?«

»Ich kenne keinen. In dieser Hinsicht wenigstens hat Pfadfinder nicht viel seinesgleichen.«

»Aber ich brauch‘ überhaupt nicht zu heiraten. Ihr seid ein einzelner Mann, und ich kann bei Euch bleiben und für Eure Bedürfnisse sorgen.«

»Du gutes Kind! Ich weiß, du würdest das gern tun, und ich will nicht sagen, daß du unrecht hast. Es ist mir aber doch, als ob was anderes noch besser wäre.«

»Was kann es besseres geben, als seinen Vater zu lieben?«

»Es ist ebensogut, einen Mann zu lieben, mein liebes Kind.«

»Aber ich habe keinen, Vater.«

»Dann nimm einen, so bald wie möglich. Ich kann nicht immer leben, und wenn mich nicht die Schicksale des Krieges wegraffen, so macht in kurzem die Natur ihr Recht geltend. Du bist jung und kannst noch lange leben; daher bedarfst du eines männlichen Beschützers, der dich sicher durchs Leben geleiten und im Alter für dich Sorge tragen kann, wie du es nun für mich tun willst.«

»Und glaubt Ihr«, sagte Mabel, indem sie die sehnigen Finger ihres Vaters mit ihren kleinen Händen umfaßte und auf sie niederblickte, als wären sie Gegenstände von äußerster Wichtigkeit, obgleich sich ihre Lippen zu einem leichten Lächeln verzogen, als ihnen die Worte entglitten. – »Und glaubt Ihr, Vater, daß der Pfadfinder hierzu geeignet wäre? Ist er nicht in zehn bis zwölf Jahren so alt wie Ihr jetzt seid?«

»Was liegt daran? Er hat ein Leben voll Mäßigkeit und Tätigkeit gelebt, und man muß mehr die Gesundheit als die Jahre in Anschlag bringen, Mädchen. Kennst du einen, der geeigneter wäre, dein Beschützer zu sein?«

Mabel kannte keinen – wenigstens keinen, der das Verlangen ausgedrückt hätte, ihr wirklich so etwas zu werden, was sonst auch immer ihre Hoffnungen und Wünsche sein mochten.

»Nein, Vater, wir sprechen nur von dem Pfadfinder«, antwortete sie ausweichend. »Wenn er jünger wäre, so käm’s mir natürlicher vor, ihn als meinen Gatten zu denken.«

»Ich sage dir, Kind, das alles hängt von der Gesundheit ab; Pfadfinder ist jünger als die Hälfte unserer Subalternoffiziere.«

»Gewiß ist er jünger als einer – als der Leutnant Muir.«

Mabels Lachen war heiter und frohsinnig, weil sie in diesem Augenblick keine Sorge fühlte.

»Das ist er – jugendlich genug, um sein Enkel zu sein und auch jünger an Jahren; Gott verhüte, daß du je eine Offiziersfrau werden solltest, wenigstens nicht, bevor du eines Offiziers Tochter bist.«

»Das wird kaum zu befürchten sein, wenn ich Pfadfinder heirate«, entgegnete das Mädchen und blickte dem Sergeanten wieder schelmisch ins Gesicht.

»Vielleicht nicht durch des Königs Bestallung, obgleich der Mann jetzt schon der Freund und Gefährte von Generalen ist. Ich denke, ich könnte glücklich sterben, wenn du sein Weib wärst.«

»Vater!«

»Es ist traurig, in den Kampf zu gehen, wenn das Bewußtsein, eine Tochter schutzlos zurückzulassen, auf dem Herzen lastet.«

»Ich wollte die ganze Welt darum geben, Euch von dieser Last zu befreien, lieber Vater.«

»Du könntest es tun«, versetzte der Sergeant, mit einem zärtlichen Blick auf sein Kind, »obgleich ich dir dadurch keine Last aufbürden möchte.«

Seine Stimme klang tief und bebte etwas, und Mabel hatte nie vorher einen solchen innigen Ausdruck der Liebe an ihrem Vater bemerkt, so daß sie sich sehnte, das Gemüt des Vaters zu beruhigen.

»Vater, sprecht deutlich!« rief sie.

»Nein, Mabel, es möchte nicht recht sein; deine Wünsche könnten mit den meinen in Widerspruch kommen.«

»Ich hab‘ keine Wünsche – weiß nicht, was Ihr meint. Wollt Ihr von meiner künftigen Heirat sprechen?«

»Wenn ich dich mit dem Pfadfinder verbunden sehen könnte – wenn ich wüßte, daß du gelobt hättest, sein Weib zu werden, so würd‘ ich glauben, daß ich glücklich stürbe, möchte mein Schicksal sein, welches es wollte. Aber ich will dir keine Verpflichtung auferlegen, Kind, und dich nicht zu was drängen, was dich gereuen könnte. Küsse mich, Mabel, und geh‘ schlafen.«

Hätte Sergeant Dunham von Mabel das Versprechen, nach dem er wirklich so sehr verlangte, gefordert, so würde er wahrscheinlich einen Widerstand getroffen haben, den er schwer zu überwinden vermocht hätte; da er aber der Natur ihren Gang ließ, so gewann er einen mächtigen Verbündeten, und das warmherzige Mädchen war bereit, der kindlichen Zärtlichkeit mehr zuzugestehen, als durch Drohungen von ihr erlangt worden wäre. In diesem Augenblick dachte sie nur an ihren Vater, der im Begriff war, sie vielleicht auf immer zu verlassen, und die ganze Liebe für ihn, die vielleicht ebensosehr durch die Einbildungskraft als durch etwas anderes genährt, aber durch den abgemessenen Verkehr der letzten vierzehn Tage ein wenig zurückgedrängt worden war, kehrte mit einer Kraft wieder, die durch ihr reines und tiefes Gefühl noch erhöht wurde.

»Vater«, sagte sie gefaßt, »Gott segnet eine gehorsame Tochter.«

»Ja, das tut er, Mabel; das Gute Buch ist uns Bürge dafür.«

»Ich will den Mann heiraten, den Ihr mir bestimmt.«

»Nein, nein, Mabel! du mußt selbst wählen.«

»Ich hab‘ keine Wahl – das heißt, niemand hat mich zu einer Wahl aufgefordert, als Pfadfinder und Herr Muir. Nein, Vater, ich will den nehmen, den Ihr wählt.«

»Du kennst bereits meine Wahl, liebes Kind; niemand kann dich so glücklich machen wie der brave, edle Pfadfinder.«

»Gut also; – wenn er es wünscht, wenn er mich wieder fragt – denn Ihr werdet doch nicht wünschen, daß ich mich selbst antrage oder daß es jemand in meinem Namen tun soll?« Das Blut stahl sich während des Sprechens wieder über Mabels bleiche Wangen – »nein, niemand darf ihm was davon sagen; aber wenn er mich wieder aufsucht, wenn ich ihm dann alles sage, was ein ehrliches Mädchen dem Manne, der sie heiraten will, sagen muß, und er mich dann noch zu seiner Frau nehmen will, so will ich die Seine werden.«

»Segen über dich, Mabel, er möge dich belohnen, wie eine fromme Tochter belohnt zu werden verdient.«

»Ja, Vater, beruhigt Euch; geht mit leichtem Herzen und vertraut auf Gott. Für mich dürft Ihr keine weitere Sorge mehr haben. Nächsten Frühling – ich muß ein wenig Zeit haben, Vater – nächsten Frühling will ich Pfadfinder heiraten, wenn mich dieser wackere Jäger dann noch begehrt.«

»Mabel, er liebt dich, wie ich deine Mutter liebte. Ich hab‘ ihn wie ein Kind weinen sehen, wenn er mit mir von seinen Gefühlen gegen dich sprach.«

»Ja, ich glaub‘ es; ich hab‘ genug gesehen, um überzeugt zu sein, daß er besser von mir denkt als ich verdiene. Und gewiß, es lebt kein Mann, gegen den ich eine größere Verehrung hege als gegen Pfadfinder – Euch selbst nicht ausgenommen, lieber Vater.«

»So muß es sein, liebes Kind, und deine Verbindung wird glücklich werden. Darf ich’s Pfadfinder nicht mitteilen?«

»Es war‘ besser, Ihr tätet’s nicht, Vater. Er soll von selbst kommen; er soll ganz natürlich kommen, denn der Mann muß das Weib suchen und nicht das Weib den Mann.«

»Das ist hinreichend, Mabel! – Nun küsse mich. Gott segne und beschütze dich, Mädchen! Du bist eine gute Tochter.«

Mabel warf sich in ihres Vaters Arme und schluchzte fast wie ein Kind. Das Herz des ernsten Soldaten schmolz, aber Sergeant Dunham riß sich bald aus seiner Rührung, als schäme er sich, drängte seine Tochter sanft zurück, bot ihr gute Nacht und suchte sein Lager auf. Mabel ging schluchzend davon, und in wenigen Minuten wurde die Ruhe der Hütte nur noch durch die schweren Atemzüge des Veteranen unterbrochen.

Zwanzigstes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Es war bereits heller Tag, als Mabel erwachte. Sie hatte ruhig geschlafen, da sie sich mit ruhigem Gewissen zu Bett gelegt und die Ermüdung ihren Schlummer versüßt hatte. Sie sprang auf, kleidete sich rasch an, und bald atmete das Mädchen den Duft des Morgens in der freien Luft. Das erstemal traten ihr die eigentümlichen Reize und die tiefe Abgeschiedenheit ihrer gegenwärtigen Lage recht lebhaft vor Augen. Es war einer der herrlichen Herbsttage, die in diesem mehr geschmähten als gehörig gewürdigten Klima so gewöhnlich sind, und ihr Einfluß war in jeder Beziehung anregend.

Die Insel schien gänzlich verlassen. In der vorhergehenden Nacht hatte ihr die lärmvolle Ankunft einen Anstrich von Leben gegeben, der nun wieder völlig gewichen war. Mabel ließ ihren Blick fast über jeden sichtbaren Gegenstand umherstreifen, ehe sie ein menschliches Wesen zu Gesicht bekam, um das Gefühl gänzlicher Einsamkeit zu verscheuchen. Endlich erblickte sie alle Zurückgebliebenen um ein Feuer gruppiert, was das Bild eines Lagers vervollständigte. Die Gestalt ihres Onkels, an den sie am meisten gewöhnt war, nahm ihr jedoch alle Furcht, und mit einer ihrer Lage natürlichen Neugier betrachtete sie sich die übrigen näher. Außer Cap und dem Quartiermeister waren noch der Korporal und die drei Soldaten dort mit der Frau, die das Frühstück bereitete. Die Hütten waren ruhig und leer, und der niedrige, turmartige Giebel des Blockhauses hob sich mit malerischer Schönheit, zum Teil versteckt, über das Gebüsch. Die Sonne überstrahlte gerade die freieren Plätze zwischen den Bäumen, und das Gewölbe über ihrem Haupt prangte in dem sanftesten Blau. Kein Wölkchen war sichtbar, und alles schien auf Frieden und Sicherheit hinzudeuten.

Da Mabel bemerkte, daß alle mit dem Frühstück beschäftigt waren, ging sie unbeachtet gegen ein Ende der Insel, wo Bäume und Gebüsche sie vor aller Augen verbargen. Hier gewann sie, indem sie die niedrigen Zweige auf die Seite drängte, einen Standort am Rande des Wassers und lauschte dem kaum bemerklichen Zu- und Abfluß der kleinen Wellen, die das Ufer wuschen –, eine Art natürlichen Widerhalls zu der Bewegung, die fünfzig Meilen weiter oben auf dem See herrschte. Sie betrachtete die verschiedenen Aussichten, die ihr die Öffnungen zwischen den Inseln boten, und gab sich dem Gedanken hin, daß sie nie etwas Lieblicheres gesehen habe.

Während Mabel so beschäftigt war, wurde sie plötzlich durch die Vermutung aufgeschreckt, sie hätte etwas wie eine menschliche Gestalt unter den Gebüschen erblickt, die das Ufer der vor ihr liegenden Insel säumten. Die Entfernung über das Wasser betrug kaum hundert Ellen, und obgleich sie vielleicht im Irrtum war und ihre Phantasie in dem Augenblick, wo ihr die Erscheinung auftauchte, überall umherschweifte, so hielt sie es doch kaum für möglich, daß sie sich getäuscht haben könnte. Sie wußte wohl, daß sie ihr Geschlecht nicht gegen eine Büchsenkugel schützen würde, wenn sie ein Irokese zu Gesicht bekommen sollte, und zog sich daher instinktartig zurück, wobei sie Sorge trug, sich so gut wie möglich unter den Blättern zu verbergen, während sie fortwährend ihre Blicke auf das gegenüberliegende Ufer heftete, in der geraume Zeit fruchtlosen Erwartung, dem fremden Gegenstand wieder zu begegnen. Sie war eben im Begriff, das Gebüsch zu verlassen und zu ihrem Onkel zu eilen, um ihm ihren Verdacht mitzuteilen, als sie auf der anderen Insel hinter dem Saum des Gebüsches einen Erlenzweig winken sah, der bedeutungsvoll und, wie es ihr vorkam, als Zeichen der Freundschaft auf- und abgeschwungen wurde. Dies war ein atemloser, drückender Augenblick für jemand, der so wenig in den Grenzkriegen erfahren war wie Mabel; und doch fühlte sie die Notwendigkeit, ihre Fassung zu bewahren und mit Festigkeit und Umsicht zu handeln.

Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten der gefahrvollen Lage, der die amerikanischen Grenzbewohner ausgesetzt waren, daß sich die moralischen Eigenschaften der Frauen in einem Grade steigerten, dessen diese sich unter andern Umständen selbst nicht für fähig gehalten hätten, und Mabel wußte wohl, daß die Grenzleute in ihren Erzählungen gern bei der Geistesgegenwart, dem Mut und der Tapferkeit verweilen, die ihre Frauen und Schwestern unter den gefährlichsten Umständen entfaltet hatten. Solche Erzählungen feuerten sie zur Nachahmung an, und es fiel ihr plötzlich ein, jetzt sei gewiß der Augenblick gekommen, wo sie sich als Sergeant Dunhams wahres Kind beweisen könne. Die Bewegung des Zweiges schien ihr auf eine freundliche Absicht hinzudeuten, und nach dem Zögern eines Augenblicks brach sie gleichfalls einen Zweig ab, befestigte ihn an einen Stock, erhob ihn über eine Lücke im Gebüsch und erwiderte die Begrüßung, wobei sie genau die Bewegungen des andern nachahmte.

Diese stumme Zwiesprache dauerte auf beiden Seiten zwei oder drei Minuten, als Mabel bemerkte, daß das entgegengesetzte Gebüsch vorsichtig beiseite gedrückt wurde und in der Öffnung ein menschliches Antlitz zum Vorschein kam. Ein zweiter, genauerer Blick überzeugte sie, daß es das Gesiebt von Junitau, dem Weibe Pfeilspitzes war. Solange Mabel in der Gesellschaft dieses Geschöpfes war, hatte sie es wegen seines sanften Benehmens, der demütigen Einfalt und der mit Furcht vermischten Liebe gegen seinen Gatten liebgewonnen. Ein- oder zweimal war es ihr während des Laufes ihrer Reise vorgekommen, als ob der Tuscarora gegen sie selbst einen unerfreulichen Grad von Aufmerksamkeit an den Tag lege; und bei solchen Gelegenheiten war es ihr aufgefallen, daß sein Weib Schmerz und Bekümmernis verriet. Da jedoch Mabel ihre Gefährtin für die Kränkung, die sie ihr in dieser Hinsicht unabsichtlich veranlaßte, durch Güte und Aufmerksamkeit mehr als entschädigte, so bewies ihr die Indianerin so viel Zuneigung, daß Mabel bei ihrer Trennung überzeugt war, sie hätte in Junitau eine Freundin verloren.

Man würde vergeblich den Versuch machen, alle Wege zu erforschen, auf denen das Vertrauen in das menschliche Herz einzieht. Das junge Tuscaroraweib hatte jedoch ein derartiges Gefühl in Mabels Seele erweckt, und diese fühlte sich zu einem genaueren Verkehr geneigt, da sie überzeugt war, daß diese ungewöhnliche Erscheinung ihr Bestes beabsichtige. Sie zögerte nicht länger, aus dem Gebüsch herauszutreten, und freute sich zu sehen, daß ihr Vertrauen Nachahmung fand, indem Junitau furchtlos aus ihrem Versteck herauskam. Die zwei Mädchen – denn obgleich verheiratet, war die Tuscarora doch jünger als Mabel – tauschten nun offen die Zeichen der Freundschaft aus, und Mabel bat ihre Freundin, näher zu kommen, obgleich es ihr selbst nicht deutlich war, wie dieses ausgeführt werden könne. Aber Junitau säumte nicht zu zeigen, daß es in ihrer Macht stehe; denn nachdem sie auf einen Augenblick verschwunden war, erschien sie wieder an dem Ende eines Rindenkahns, dessen Bug sie in den Saum des Gebüsches gezogen hatte und dessen Rumpf in einer Art versteckten Schlupfhafens lag. Mabel wollte sie eben einladen herüberzukommen, als ihr Name von der Stentorstimme ihres Onkels gerufen wurde. Sie gab dem Tuscaroramädchen einen raschen Wink, sich zu verbergen, eilte vom Gebüsch weg dem freien Platz zu, woher die Stimme gekommen war, und bemerkte, wie sich die ganze Gesellschaft eben zum Frühstück niedergelassen hatte, wobei Cap seinen Appetit kaum so weit zügelte, um sie aufzufordern, am Mahl teilzunehmen. Mabel begriff schnell, daß dies der günstigste Augenblick zu einer Besprechung sein müsse, entschuldigte sich, daß sie noch nicht zum Essen vorbereitet sei, eilte nach dem Dickicht zurück und erneuerte bald wieder ihren Verkehr mit der Indianerin. Junitau begriff schnell, und nach einem halben Dutzend lautloser Ruderschläge lag ihr Kahn in dem Versteck des Gebüsches der Stationsinsel. Eine Minute später hielt Mabel ihre Hand und führte sie durch den Schattengang zu ihrer eigenen Hütte. Zum Glück war diese so gelegen, daß sie vom Feuer aus nicht gesehen werden konnte, und so langten beide Freundinnen dort unbemerkt an. Mabel erklärte ihrem Gast in der Geschwindigkeit so gut sie konnte, daß sie die Indianerin auf eine kurze Zeit verlassen müsse, führte Junitau in ihr eigenes Zimmer mit der festen Überzeugung, daß sie es nicht verlassen würde, begab sich dann zu dem Feuer und nahm ihren Platz unter den übrigen ein.

»Wer spät kommt, wird spät bedient, Mabel«, sagte ihr Onkel zwischen zwei Mundladungen voll gebratenen Fisches; denn obgleich die Kochkunst an dieser entfernten Grenze sehr ungekünstelt sein mochte, so waren doch die Speisen im allgemeinen köstlich. »Wer spät kommt, wird spät bedient: Das ist eine gute Regel und macht die Schlafmützen munter.«

»Ich bin keine Schlafmütze, Onkel; denn ich bin schon eine ganze Stunde auf und habe mich auf unserer Insel umgesehen.«

»Sie werden wenig daraus machen können, Miss Mabel«, versetzte Muir, »denn es ist von Natur nicht viel an ihr. Lundie oder, wie man ihn in solcher Gesellschaft besser nennen könnte, Major Duncan« – es wurde dies wegen des Korporals und der gemeinen Soldaten gesagt, obgleich diese ihr Mahl etwas abgesondert einnahmen –, »Major Duncan hat die Staaten Seiner Majestät durch kein Reich vermehrt, als er von dieser Insel Besitz nahm, denn die gleicht ganz der des berühmten Sancho an Einkünften und Ertrag. Ihr kennt doch ohne Zweifel diesen Sancho, Meister Cap, und werdet oft in Euren Mußestunden, zumal bei einer Windstille oder in Augenblicken der Untätigkeit, von ihm gelesen haben?«

»Ich kenne den Ort, den Sie meinen, Quartiermeister; Sanchos Insel – Korallenfels, von neuer Formation und so schlechter Aufduning bei Nacht und stürmischem Wetter, daß sich jeder Sünder davon klarzuhalten wünscht, ’s ist ein bekannter Platz wegen der Kokosnüsse und des bittern Wassers, diese Sanchos Insel.«

»Es soll dort nicht gut Mittag halten sein«, erwiderte Muir und unterdrückte aus Achtung vor Mabel das Lächeln, das auf seinen Lippen zuckte; »auch glaub‘ ich nicht, daß einem zwischen ihren Einkünften und denen unseres gegenwärtigen Aufenthalts die Wahl besonders schwer werden dürfte. Nach meinem Urteil, Meister Cap, ist unsere Stellung sehr unmilitärisch, und ich sehe voraus, daß uns früher oder später eine Kalamität zustoßen wird.«

»Es wär‘ zu wünschen, daß es nicht eher geschieht, als bis unser Dienst hier zu Ende ist«, bemerkte Mabel. »Ich trage kein Verlangen danach, Französisch zu lernen.«

»Wir dürften uns glücklich schätzen, wenn es nur das und nicht etwa das Irokesische wäre. Ich hab‘ dem Major Duncan Vorstellungen wegen der Besetzung dieses Postens gemacht, aber einen eigensinnigen Mann muß man seinen Weg gehen lassen. Mein Hauptgrund, warum ich mich dem Zug anschloß, war die Absicht, mich Eurer schönen Nichte nützlich und angenehm zu machen, Meister Cap; dann wollte ich auch einen Überschlag über die Vorräte machen, die ja eigentlich in meinen Geschäftskreis gehören, damit keine Einreden über die Art ihrer Verwendung stattfinden können, wenn der Feind Mittel finden sollte, sie wegzunehmen.«

»Betrachten Sie die Sache so ernst?« fragte Cap, indem er vor lauter Anteil an der Antwort mit dem Kauen eines Wildbretbissens innehielt; denn er ging wechselweise wie ein Feinschmecker von Fisch zu Fleisch und vom Fleisch wieder zum Fisch über. »Ist die Gefahr so drängend?«

»Ich will das nicht grad sagen, möchte aber auch nicht das Gegenteil behaupten. Im Krieg ist immer Gefahr vorhanden und auf vorgeschobenem Posten mehr als im Hauptquartier. Es darf daher keinen Augenblick überraschen, wenn wir einen Besuch von den Franzosen bekommen.«

»Und was, zum Teufel, war‘ in solchem Fall zu tun? Sechs Mann und zwei Weiber würden sich bei der Verteidigung eines Platzes wie diesem erbärmlich genug ausnehmen, wenn die Franzosen einen Überfall machen sollten; denn ohne Zweifel würden sie – so echt französisch – in tüchtigen Massen anrücken.

»Darauf kann man sich verlassen – aufs mindeste mit einer furchtbaren Macht. Ohne Zweifel wäre es zweckmäßig, nach den Regeln der Kriegskunst Anstalten zur Verteidigung der Insel zu treffen, obgleich es uns wahrscheinlich an der nötigen Mannschaft fehlen wird, diesen Plan auf eine erfolgversprechende Weise auszuführen. Erstens sollte eine Abteilung am Ufer aufgestellt werden, um den Feind beim Landen zu beunruhigen; eine starke Besatzung sollte augenblicklich in das Blockhaus gelegt werden, da es die Zitadelle ist, nach der sich natürlich die verschiedenen Abteilungen zurückziehen würden, wenn sie bei dem Vorrücken der Franzosen Unterstützung brauchten. Dann sollte um den festen Platz ein mit Gräben versehenes Lager gelegt werden, da es in der Tat sehr unmilitärisch wäre, den Feind nahe genug zu dem Fuß der Mauern kommen zu lassen, um sie zu unterminieren. Spanische Reiter sollten die Kavallerie im Schach halten, und was die Artillerie anbelangt, so sollten unter dem Versteck jener Wälder Redouten aufgeworfen werden. Starke Plänklerabteilungen würden außerdem zu Verzögerung des feindlichen Marsches außerordentlich gute Dienste leisten, und diese zerstreuten Hütten könnten, gehörig mit Piketten versehen und von Gräben umzogen, treffliche Positionen zu diesem Zweck abgeben.«

»Ha – ha – ha –! Quartiermeister. Und wer, zum Teufel, soll alle die Mannschaft aufbringen, um einen solchen Plan auszuführen?«

»Der König, ohne allen Zweifel, Meister Cap. Es ist seine Sache und daher billig, daß er auch die Bürde trage.«

»Und wir sind nur unserer sechs! Das ist mir ein sauberes Geschwätz, zum Henker! Da könnte man Sie ans Ufer hinunterschicken, um den Feind vom Landen abzuhalten – Mabel müßte plänkeln, wenigstens mit der Zunge – das Soldatenweib könnte die spanischen Reiter spielen, um die Kavallerie in Verwirrung zu bringen – der Korporal hätte das verschanzte Lager zu kommandieren seine drei Mann müßten die Hütten besetzen, und mir bliebe dann das Blockhaus. – Sie zeichnen gut, Leutnant, und hätten Maler statt Soldat werden sollen.«

»Nun, ich hab‘ meine Disposition in dieser Sache wissenschaftlich und ehrlich gemacht. Daß keine größere Macht da ist, den Plan auszuführen, ist die Schuld von Seiner Majestät Ministern und nicht meine.«

»Aber wenn der Feind wirklich erschiene«, fragte Mabel mit mehr Anteil, als sie gezeigt haben würde, wenn sie sich nicht ihres Gastes in der Hütte erinnert hätte, »welchen Weg müßten wir dann einschlagen?«

»Mein Rat, schöne Mabel, wär‘ ein Versuch zur Ausführung dessen, was Xenophon mit Recht so berühmt machte.«

»Ich glaube, Sie meinen einen Rückzug, obgleich ich ihre Anspielung halb erraten muß.«

»Ihrem hellen, natürlichen Verstand ist meine Meinung nicht entgangen, mein Fräulein. Ich habe bemerkt, daß Ihr würdiger Vater dem Korporal gewisse Methoden angegeben hat, mit denen er diese Insel zu halten hofft, falls die Franzosen ihre Lage auffinden sollten. Aber obgleich der ausgezeichnete Sergeant Ihr Vater und im Dienst so gut wie irgendein Unteroffizier ist, so ist er doch nicht der große Lord Stair oder gar der Herzog von Marlborough. Ich will die Verdienste des Sergeanten in seiner Sphäre nicht in Abrede stellen, aber ich kann seine Eigenschaften, mögen sie auch noch so ausgezeichnet sein, nicht höher schätzen als die von Leuten, die, wenn auch nur in geringem Grade, seine Vorgesetzten sind. Der Sergeant hat sich mit seinem Herzen und nicht mit seinem Kopf beraten, als er solche Befehle erließ; aber wenn das Fort fällt, so wird der Vorwurf auf dem liegen, der es zu besetzen befahl, und nicht auf dem, dem die Verteidigung obliegt. Was aber auch immer der Ausgang der letzteren sein mag, wenn die Franzosen mit ihren Verbündeten landen sollten, so wird doch ein guter General nie die nötigen Vorbereitungen für den Fall eines Rückzuges vernachlässigen, und ich möchte Meister Cap, als dem Admiral unserer Flotte, raten, ein Boot in Bereitschaft zu halten, um die Insel räumen zu können, wenn Not am Mann ist. Das größte Boot, das wir noch haben, führt ein weites Segel, und wenn man es hier herumholt und unter diesen Büschen vor Anker legt, so werden wir da einen ganz geeigneten Platz zu schleuniger Einschiffung kriegen! Und dann werden Sie auch bemerken, schöne Mabel, daß wir kaum fünfzig Ellen zu einem Kanal haben, der zwischen zwei andern Inseln und so versteckt liegt, daß wir recht wohl gegen eine Entdeckung von denen geschützt sind, die sich auf diesem Eiland befinden mögen.«

»Was Sie da sagen, ist alles ganz richtig, Herr Muir; aber könnten die Franzosen nicht grad von dieser Gegend herkommen? Wenn sie so gut für einen Rückzug ist, so ist sie wohl ebensogut für den Angriff.«

»Sie werden nicht Einsicht genug für einen so klugen Gedanken haben«, erwiderte Muir, wobei er verstohlen und ein wenig unbehaglich umhersah. »Es wird Ihnen an der gehörigen Klugheit mangeln. Diese Franzosen sind ein übereiltes Volk und rücken gewöhnlich aufs Geratewohl an; wir können also darauf zählen, daß sie, wenn sie überhaupt kommen, auf der anderen Seite der Insel landen werden.«

Die Unterhaltung schweifte nun verschiedentlich ab, wobei jedoch immer die Wahrscheinlichkeit eines Überfalls und die geeignetsten Mittel, ihm zu begegnen, die Hauptpunkte blieben.

Mabel zollte dem meisten davon nur geringe Aufmerksamkeit, obgleich sie sich einigermaßen überrascht fühlte, daß Leutnant Muir, ein Offizier, der wegen seines Mutes in gutem Ruf stand, so offen das Aufgeben einer Sache empfahl, deren Verteidigung ihr eine doppelte Pflicht schien, weil die Ehre ihres Vaters dabei im Spiele war. Ihr Geist war jedoch so sehr mit ihrem Gast beschäftigt, daß sie bei der ersten günstigen Gelegenheit die Gesellschaft verließ und wieder in ihre Hütte eilte. Sie schloß die Tür sorgfältig, und als sie sah, daß der einfache Vorhang an dem einzigen kleinen Fenster vorgeschoben war, führte sie Junitau oder June, wie sie vertraulich von denen genannt wurde, die Englisch mit ihr sprachen, unter Zeichen der Liebe und des Vertrauens in das äußere Zimmer.

»Es freut mich, dich zu sehen, June«, sagte Mabel mit ihrer gewinnenden Stimme und freundlichem Lächeln. »Was hat dich hierhergebracht, und wie entdecktest du diese Insel?«

»Sprechen langsam«, sagte June, indem sie das Lächeln erwiderte und die kleine Hand ihrer Freundin mit der ihrigen, die kaum größer, aber durch die Arbeit abgehärtet war, drückte:

»Mehr langsam – zu schnell.«

Mabel wiederholte ihre Fragen, wobei sie sich bemühte, den Sturm ihrer Gefühle zu unterdrücken, und es gelang ihr, sich so deutlich auszusprechen, daß sie verstanden wurde.

»June, Freund«, erwiderte das Indianerweib.

»Ich glaube dir, June – von ganzem Herzen glaub‘ ich dir. Aber was hat das mit deinem Besuch zu schaffen?«

»Freund kommen, zu sehen Freund«, antwortete June mit einem offenen Lächeln gegen Mabel.

»Es muß noch ein anderer Grund da sein, June, sonst würdest du dich nicht in diese Gefahr begeben haben, und noch dazu allein. Du bist doch allein, June?«

»June bei dir, niemand anders. June kommen allein, Kahn rudern.

»Ich hoffe es, ich glaube es – nein, ich weiß es. Du würdest mich nicht verraten, June?«

»Verraten? was?«

»Du könntest mich nicht betrügen, mich nicht den Franzosen, den Irokesen oder Pfeilspitze überliefern?« – June schüttelte ernst ihr Haupt – »du könntest nicht meinen Skalp verkaufen?«

Hier legte June ihren Arm zärtlich um Mabels schlanken Leib und drückte sie mit Innigkeit und Liebe an sich, so daß es kaum mehr möglich war, die Aufrichtigkeit eines jungen, offenen Geschöpfs in Zweifel zu ziehen. Mabel erwiderte ihre Umarmung, blickte ihr dann fest ins Gesicht und fuhr mit ihren Fragen fort.

»Wenn June ihrer Freundin was zu sagen hat, so mag sie freimütig sprechen. Meine Ohren sind offen.«

»June fürchten, Pfeilspitze sie töten.«

»Aber Pfeilspitze wird es nie erfahren«, Mabels Blut stieg ihr gegen die Schläfe, denn sie fühlte, daß sie das Weib zum Verrat gegen ihren Gatten veranlaßte. »Das heißt, Mabel wird’s ihm nicht sagen.«

»Er begraben Tomahawk in Junes Kopf.«

»Das darf nie geschehen, liebe June; sage lieber nichts mehr, als daß du dich dieser Gefahr aussetztest.«

»Blockhaus guter Platz zum Schlafen, guter Platz zum Bleiben.«

»Meinst du, daß ich mein Leben retten könnte, wenn ich mich im Blockhaus aufhielte, June? Sicherlich, sicherlich – Pfeilspitze wird dir kein Leid zufügen, wenn du mir das sagst. Pfeilspitze kann nicht wünschen, daß mir ein Unglück zustoße, denn ich habe ihn nie beleidigt.«

»Pfeilspitze nicht kränken wollen schöne Bleichgesicht«, erwiderte June mit abgewandtem Antlitz, und ihr Ton, obgleich sie immer in der sanften Stimme eines Indianermädchens sprach, wurde tiefer, so daß er den Ausdruck der Melancholie und der Furcht trug; »Pfeilspitze Bleichgesichtmädchen lieben.«

Mabel errötete unwillkürlich und unterdrückte aus natürlichem Zartgefühl einen Augenblick ihre Fragen; aber sie mußte mehr erfahren, und da sich ihre Besorgnisse steigerten, nahm sie ihre Nachforschungen wieder auf.

»Pfeilspitze kann keinen Grund haben, mich zu lieben oder zu hassen«, sagte sie. »Ist er in der Nähe?«

»Mann immer nahe bei Weib – hier«, sagte June, indem sie ihre Hand auf ihr Herz legte.

»Du gutes Geschöpf! Aber sag mir, June, soll ich heute – diesen Morgen – jetzt – im Blockhaus sein?«

»Blockhaus sehr gut; gut für Weiber. Blockhaus kriegen nicht Skalp.«

»Ich fürchte, ich verstehe dich nur zu gut, June. Wünschest du meinen Vater zu sehen?«

»Nicht hier – fortgegangen.«

»Du kannst das nicht wissen, June; du siehst, die Insel ist voll von seinen Soldaten.«

»Nicht voll, fortgegangen.« – Hier hielt June vier Finger in die Höhe. – »So viel Rotröcke.«

»Und Pfadfinder? Möchtest du nicht gerne den Pfadfinder sehen? Er kann mit dir reden in der Zunge der Irokesen.«

»Zunge mit ihm gegangen«, sagte June lachend; »behalten Zunge in sein Mund.«

Es lag etwas so Hübsches und Ansteckendes in dem kindlichen Lachen des Indianermädchens, daß sich Mabel nicht enthalten konnte, darin einzustimmen, so sehr auch ihre Furcht durch alles, was vorgegangen war, erregt war.

»Du scheinst zu wissen oder glaubst alles zu wissen, was sich bei uns zuträgt, June. Aber wenn Pfadfinder gegangen ist, Eau-douce kann auch Französisch sprechen.«

»Eau-douce auch gegangen – nur nicht Herz – das hier.« Als June dies sagte, lachte sie wieder, blickte nach verschiedenen Richtungen, als ob sie Mabel nicht in Verwirrung bringen wollte, und legte ihre Hand auf den Busen ihrer Freundin.

Mabel hatte zwar oft von dem wunderbaren Scharfsinn der Indianer, mit dem sie alles auffassen, während sie doch auf nichts zu achten scheinen, gehört; aber auf diese eigentümliche Wendung ihres Gesprächs war sie nicht vorbereitet. Sie wünschte auf einen andern Gegenstand zu kommen, und da sie zugleich ängstlich besorgt war, zu erfahren, wie groß die Gefahr wirklich sein möchte, die ihr bevorstand, erhob sie sich von dem Feldstuhl, auf dem sie gesessen, und nahm eine Haltung an, die weniger zärtliches Vertrauen ausdrückte, wodurch sie mehr von dem zu erfahren hoffte, was sie zu wissen wünschte, und Anspielungen, die sie in Verlegenheit setzen könnten, zu vermeiden beabsichtigte.

»Du weißt, wie viel oder wie wenig du mir mitteilen darfst, June«, sagte sie; »und ich hoffe, du liebst mich genug, um mich von dem zu unterrichten, was mir zu hören nötig ist. Auch mein lieber Onkel ist auf der Insel, und du bist seine Freundin, oder solltest es sein, so gut wie die meinige; und wir beide werden dein Benehmen nicht vergessen, wenn wir wieder nach Oswego zurückgekehrt sind.«

»Mag sein, nie kehren zurück – wer wissen?« Sie sprach das im Ton des Zweifels, wie jemand, der eine Vermutung ausspricht, keineswegs aber mit Hohn oder in der Absicht, Mabel zu beunruhigen.

»Nur Gott weiß, was geschehen wird. Unser Leben ist in seiner Hand. Doch ich glaube, du bist sein Werkzeug zu unserer Rettung.«

Das ging über Junes Begriffsvermögen, und ihr Blick drückte Unwissenheit aus; doch war es augenscheinlich, daß sie nützlich zu werden wünschte.

»Blockhaus sehr gut!« wiederholte sie, als sich der Zug der Unsicherheit aus ihrem Gesicht verloren hatte, und legte einen starken Nachdruck auf die zwei letzten Worte.

»Gut, ich verstehe das, June, und will heute nacht darin schlafen. Natürlich darf ich aber meinem Onkel mitteilen, was du mir gesagt hast?«

Junitau war bestürzt und ließ eine große Unbehaglichkeit bei dieser Frage blicken.

»Nein, nein, nein!« antwortete sie mit einer Hast und einer Heftigkeit, die den Franzosen Kanadas nachgeahmt waren, »nicht gut, zu sagen Salzwasser. Er viel reden und lange Zunge. Denkt Wälder lauter Wasser, und nichts wissen. Sagen Pfeilspitze und June sterben.«

»Du tust meinem lieben Onkel unrecht, denn es war‘ ihm so wenig möglich, dich wie jemand anders zu verraten.«

»Nichts verstehen. Salzwasser haben Zunge, aber nicht Augen, nicht Ohren, nicht Nase – nichts als Zunge, Zunge, Zunge!«

Obgleich Mabel dieser Ansicht nicht ganz beistimmen konnte, sah sie doch, daß Cap nicht das Vertrauen der Indianerin besaß und daß es vergeblich sei zu hoffen, man könne ihn zu der gegenwärtigen Besprechung herbeiholen.

»Du scheinst zu glauben, daß du unsere Lage ziemlich genau kennst, June«, fuhr Mabel fort; »bist du schon früher auf dieser Insel gewesen?«

»Eben gekommen.«

»Wie kannst du denn wissen, daß das, was du sagst, wahr ist? Mein Vater, der Pfadfinder und Eau-douce, alle können hier in dem Bereich meiner Stimme sein, wenn ich sie rufen will.«

»Alle gegangen«, sagte June mit Bestimmtheit, zugleich aber mit gutmütigem Lächeln.

»Nein, das ist mehr, als du mit Gewißheit sagen kannst, da du die Insel nicht durchsucht hast.«

»Haben gute Augen; sehen Boot mit Männern weggehen – sehen Schiff mit Eau-douce.«

»Dann hast du schon einige Zeit auf uns achtgegeben. Ich denke jedoch, du hast die nicht gezählt, die zurückblieben?«

June lachte, hielt ihre vier Finger wieder in die Höhe, und zeigte dann auf ihre zwei Daumen; indem sie mit einem Finger über die ersteren fuhr, wiederholte sie das Wort »Rotröcke«, und während sie die letzteren berührte, setzte sie hinzu »Salzwasser«, »Quartiermeister«. Alles dieses traf genau zu, und in Mabel stiegen nun ernstliche Zweifel auf, ob es geeignet sei, ihren Besuch ziehen zu lassen, ehe sie weitere Aufklärung erhalten hatte. Es stand aber so sehr im Widerspruch mit ihren Gefühlen, das Vertrauen dieses sanften und liebevollen Geschöpfes zu mißbrauchen, daß Mabel den Gedanken, ihren Onkel herbeizurufen, als ihrer selbst unwürdig und gegen ihre Freundin ungerecht, wieder aufgab. Dieser Entschluß wurde noch dadurch unterstützt, daß man mit Sicherheit darauf zählen konnte, June werde nichts Weiteres enthüllen, sondern ihre Zuflucht zu einem hartnäckigen Schweigen nehmen, wenn man es versuchen würde, sie zu zwingen.

»Du glaubst also, June«, fuhr Mabel fort, »daß es besser wäre, im Blockhaus zu bleiben?«

»Guter Platz für Weib. Blockhaus nicht kriegen Skalp. Balken dick.«

»Du sprichst so zuversichtlich, als ob du drin gewesen bist und seine Wände gemessen hast.«

June lachte und gab sich das Ansehen einer Wissenden, ohne jedoch etwas Weiteres zu sagen.

»Weiß jemand außer dir diese Insel aufzufinden? Hat sie einer der Irokesen gesehen?«

Junes Miene wurde düster; sie warf ihre Augen vorsichtig um sich, als ob sie irgendeinen Horcher befürchte.

»Tuscarora überall – Oswego, hier, Frontenac, Mohawk – überall. Wenn er sieht June, sie töten.«

»Aber wir glaubten, daß niemand was von dieser Insel wisse und daß wir keinen Grund hätten, unsere Feinde zu fürchten, solange wir uns hier befinden.«

»Viel Auge, Irokesen.«

»Augen können nicht alles ausrichten, June. – Diese Insel fällt dem Blick nicht leicht auf, und selbst von unseren Leuten wissen nur wenige sie aufzufinden.«

»Ein Mann reden kann; einige Yengeese französisch sprechen.«

Mabeln überlief es kalt. Der ganze Verdacht gegen Jasper, den sie bisher zu nähren verschmäht hatte, trat auf einmal mit aller Macht vor ihre Seele, und die dadurch erregten Gefühle lasteten schwer auf ihr. Sie faßte sich jedoch wieder, und eingedenk des ihrem Vater gegebenen Versprechens erhob sie sich, ging einige Male in der Hütte auf und nieder und suchte sich zu bereden, das Jaspers Vergehen sie nichts angingen, obgleich sie im innersten Herzen wünschte, ihn unschuldig zu wissen.

»Ich versteh‘, was du sagen willst, June«, begann sie wieder; »du willst mir kundtun, daß irgend jemand verräterischerweise deinen Leuten gesagt hat, wo und wie die Insel zu finden sei?«

June lachte, denn in ihren Augen war Kriegslist mehr ein Verdienst als ein Verbrechen. Sie war jedoch ihrem Stamme zu treu, um mehr zu sagen, als die Umstände gerade erforderten. Ihre Absicht war, Mabel zu retten, aber auch nur Mabel; und sie sah keinen hinreichenden Grund, warum sie mehr tun sollte.

»Bleichgesicht wissen nun«, setzte sie bei, »Blockhaus gut für Mädchen. Nichts mir machen aus Männer und Krieger.«

»Aber ich mache mir viel daraus, June; denn einer von diesen Männern ist mein Onkel, den ich liebe, und die andern sind meine Landsleute und Freunde. Ich muß ihnen sagen, was vorgegangen ist.«

»Dann June werden getötet«, erwiderte die junge Indianerin ruhig, obgleich augenscheinlich etwas bekümmert.

»Nein, sie sollen nicht erfahren, daß du hier gewesen bist. Aber sie müssen auf ihrer Hut sein, und wir können alle in das Blockhaus gehen.«

»Pfeilspitze wissen, sehen jedes Ding, und June werden töten, June kommen, zu sagen jungem Bleichgesicht Freund, und nicht zu sagen Männer. Jeder Krieger bewachen sein eigen Skalp. June Weib und sagen Weib; nicht sagen Männer.«

Mabel wurde durch diese Erklärung ihrer indianischen Freundin in die äußerste Not versetzt, denn es war nun augenscheinlich, daß die junge Wilde einsah, ihre Mitteilungen dürften nicht weitergehen. Es war ihr unbekannt, wie sehr es dieses Volk für einen Ehrenpunkt hält, ein Geheimnis zu bewahren, und noch weniger war sie imstande zu beurteilen, wie weit eine Unklugheit von ihrer Seite June bloßstellen und ihr Leben gefährden könne. Alle diese Betrachtungen blitzten durch ihre Seele und wurden durch reiflichere Erwägung nur noch schmerzlicher. Auch June betrachtete die Sache augenscheinlich ernst, denn sie fing an, sich zum Aufbruch anzuschicken. Der Versuch, sie aufzuhalten, kam Mabel nicht in den Sinn, und von ihr zu scheiden, nachdem sie so viel gewagt hatte, um ihr zu dienen, widerstrebte dem Billigkeitsgefühl und dem liebevollen Charakter Mabels.

»June!« sagte sie lebhaft, indem sie ihren Arm um die Schulter der Indianerin legte, »wir sind Freundinnen. Von mir hast du nichts zu befürchten, denn niemand soll etwas von deinem Besuch erfahren. Könntest du mir aber nicht ein Zeichen geben, wenn die Gefahr heranrückt, ein Zeichen, aus dem ich erkennen kann, wann ich in das Blockhaus gehen soll und wie ich für mich Sorge tragen kann?«

June hielt an, denn sie hatte sich bereits ernstlich zum Fortgehen angeschickt; dann sagte sie ruhig: »Bring June Taube.«

»Eine Taube? Wo werde ich eine Taube finden, die ich dir bringen könnte?«

»Nächste Hütte; bring eine alte, June gehen zu Kahn.«

»Ich glaube, ich versteh‘ dich, June; wär’s aber nicht besser, ich ginge mit dir nach dem Gebüsch zurück, damit du nicht mit irgendeinem von den Männern zusammentriffst?«

»Gehen aus zuerst; zählen Männer eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs« – hier hielt June ihre Finger in die Höhe und lachte – »alle aus dem Weg – gut. Wenn nur einer, rufen ihn auf Seite. Dann singen und holen Taube.«

Mabel lächelte über die Besonnenheit und den Scharfsinn des Mädchens und schickte sich an, ihren Wünschen zu entsprechen. An der Tür hielt sie jedoch und blickte bittend auf das indianische Weib zurück.

»Darf ich nicht hoffen, daß du mir mehr sagest, June?« fragte sie. »Alles jetzt wissen; Blockhaus gut, Taube sagen, Pfeilspitze töten.«

Die letzten Worte genügten, denn Mabel konnte nicht auf weitere Mitteilungen dringen, da ihre Gefährtin selbst sagte, daß die Strafe ihrer Enthüllungen wahrscheinlich der Tod von der Hand ihres Gatten sein werde. Sie öffnete die Tür, winkte June ein Lebewohl zu und verließ die Hütte. Mabel griff zu dem einfachen, von der Indianerin angegebenen Mittel, um sich über die Orte, wo sich die verschiedenen Personen befanden, Gewißheit zu verschaffen, und begnügte sich mit dem Zählen, statt sie genauer ins Auge zu fassen, um sie aus dem Gesicht und dem Anzug zu erkennen. Sie fand, daß drei noch bei dem Feuer saßen, während zwei andere, unter ihnen Herr Muir, gegen das Boot hin gegangen waren. Der sechste war ihr Onkel, der sich in der Nähe des Feuers mit der Zurichtung von Angelgerätschaften beschäftigte. Die Soldatenfrau ging eben in ihre Hütte, und somit war sie mit der ganzen Gesellschaft im klaren. Mabel gab sich das Ansehen, als ob sie etwas vergessen habe, kehrte in die Nähe der Hütte zurück, trillerte ein Liedchen, bückte sich, als ob sie etwas von dem Boden aufläse, und eilte nun der von June angegebenen Hütte zu. Diese war ein verfallenes Gebäude und von den Soldaten der abgelösten Abteilung zu einem Aufbewahrungsort für ihr zahmes Vieh umgewandelt worden. Unter anderem enthielt es einige Dutzend Tauben, die sich auf einem Haufen Weizen gütlich taten, der von einer der geplünderten Ansiedlungen auf dem Kanadaufer mitgebracht worden war. Es wurde Mabel nicht schwer, eine von den Tauben zu haschen, obgleich diese mit einem trommelähnlichen Geräusch um die Hütte flatterten, und als sie das Tierchen unter ihren Kleidern verborgen hatte, stahl sie sich mit ihrem Fang wieder nach ihrer Hütte zurück. Ein Blick durch die Tür überzeugte sie, daß ihr Gast nicht mehr da sei, und nun eilte das Mädchen hastig dem Ufer zu, ohne daß es ihr dabei schwer wurde, der Beobachtung zu entgehen, da sie die Bäume und Büsche vollkommen verbargen. Bei dem Kahn fand sie June, die die Taube nahm, sie in ein von ihr selbst verfertigtes Körbchen setzte, und mit den Worten: »Blockhaus gut«, so geräuschlos wie sie gekommen war aus dem Gebüsch und über die schmale Wasserstraße glitt. Mabel wartete noch eine Weile auf ein Zeichen des Abschieds oder der Zuneigung von ihrer landenden Freundin, aber vergebens. Die benachbarten Inseln, ohne Ausnahme, waren so still, als ob hier nie die erhabene Ruhe der Natur gestört worden sei, und nirgends ließ sich ein Zeichen oder eine Spur entdecken, die Mabel hätten Aufschluß über die Nähe der Gefahr erteilen können, von der Junitau Nachricht gegeben hatte.

Als Mabel vom Ufer zurückkehrte, fiel ihr ein kleiner Umstand auf, der unter gewöhnlichen Verhältnissen kaum ihre Aufmerksamkeit angezogen hätte, jetzt aber, da ihr Argwohn geweckt war, von ihrem unruhigen Blick nicht unbeachtet blieb.

Ein kleines Stück roten Beuteltuchs, wie man sich dessen zur Verfertigung von Schiffsflaggen bedient, flatterte von dem unteren Ast eines kleinen Baumes, an dem es ganz so befestigt war, daß es wie ein Schiffswimpel sich senken oder vom Winde hinausgeblasen werden konnte.

Da Mabels Furcht einmal rege war, so hätte selbst June sich nicht mit größerer Schnelligkeit Tatsachen klarzumachen vermocht, die, wie zu vermuten stand, auf die Sicherheit der Gesellschaft Bezug hatten. Ein Blick genügte ihr für die Überzeugung, daß dieser Tuchstreifen von der anliegenden Insel aus bemerkt werden konnte, daß er der Linie zwischen ihrer Hütte und dem Kahne so nahe lag, um es außer Zweifel zu sehen, daß June nahe daran, wenn nicht unter ihm habe vorbeikommen müssen, und daß es vielleicht ein Signal sei, um denen, die wahrscheinlich in der Nachbarschaft im Hinterhalt lagen, irgendeine wichtige Tatsache mitzuteilen, die mit der Art des Angriffs in Verbindung stand. Mabel nahm den Tuchstreifen von dem Baum und eilte fort, kaum wissend, was ihr nun zunächst obliege. June konnte falsch gegen sie gewesen sein; aber ihr Benehmen, ihre Blicke, ihre Liebe und Anhänglichkeit, die Mabel schon während ihrer Reise kennengelernt hatte, ließen diesen Gedanken nicht aufkommen. Dann gedachte sie der Anspielung auf Pfeilspitzes Bewunderung der Bleichgesichtsschönheit, erinnerte sich, wenn auch dunkel, der Blicke des Tuscarora, und es wurde ihr schmerzlich klar, daß wenige Weiber mit Zuneigung auf die blicken können, die ihnen die Liebe ihrer Männer entfremdet haben. Zwar waren diese Bilder weder bestimmt noch deutlich, sondern durchflogen eher die Seele Mabels in einem gewissen Helldunkel, als daß sie festen Halt darin gewonnen hätten; trotzdem aber beschleunigten sie die Pulse und die Schritte des Mädchens, ohne in ihr die raschen und klaren Entschlüsse hervorzubringen, die gewöhnlich ihren Erwägungen folgten. Sie eilte geradenwegs nach der von der Soldatenfrau bewohnten Hütte, in der Absicht, sich schnell mit ihr nach dem Blockhaus zu begeben, da sie niemand anders veranlassen konnte, ihr zu folgen, als ihr ungeduldiger Schritt plötzlich durch Muirs Stimme unterbrochen wurde.

»Wohin so schnell, schöne Mabel«, rief er, »und warum so einsam? Der würdige Sergeant wird sich über meine gute Lebensart lustig machen, wenn er hört, daß seine Tochter die Morgenstunden allein und ohne Begleitung zubringen muß, während er doch weiß, wie glühend mein Wunsch ist, Ihr Gesellschafter und Sklave zu sein, vom Anfang des Jahres an bis zu dessen Ende.«

»Sicherlich, Herr Muir, müssen Sie hier einiges Ansehen haben«, sagte Mabel, indem sie plötzlich ihre Schritte anhielt. »Auf einen Mann von Ihrem Rang muß wenigstens ein Korporal hören.«

»Ich weiß das nicht, ich weiß das nicht«, unterbrach sie Muir, mit einer Ungeduld und einem Ausdruck von Beunruhigung, die in einem anderen Augenblick Mabels Aufmerksamkeit erregt haben würden. »Kommando ist Kommando, Disziplin ist Disziplin, und Ansehen ist Ansehen. Ihr guter Vater würde es höchst empfindlich aufnehmen, wenn ich ihm ins Gehege ginge und die Lorbeeren, die er zu gewinnen im Begriff ist, besudeln oder für mich davontragen wollte. Ich kann dem Korporal nicht befehlen, ohne zugleich auch dem Sergeanten zu befehlen. Es wird daher für mich das klügste sein, bei dieser Unternehmung in der Dunkelheit des Privatmannes zu bleiben, und so verstehen auch alle von Lundie abwärts die Verhaltungsbefehle.«

»Ich weiß das, und es mag wohl gut sein; denn ich möchte meinem Vater keinen Anlaß zur Unzufriedenheit geben. Aber Ihr Ansehen könnte zu des Korporals eigenem Besten dienen.«

»Ich will das nicht sagen«, erwiderte Muir in seiner schlauen schottischen Weise; »es würde viel eher angehen, einen Einfluß zu seinem Schaden auf ihn geltend zu machen. Der Mensch hat seine Besonderheiten, schöne Mabel, und auf ein Mitgeschöpf zu seinem Besten einwirken zu wollen, ist eine der schwierigsten Aufgaben der menschlichen Natur, während das Gegenteil gerade die allerleichteste ist. Sie werden das nicht vergessen, meine Teure, sondern es sich zu Ihrer Erbauung und Belehrung ein wenig zu Gemüt führen; aber was ist das, was Sie da um Ihren schlanken Finger wickeln, als ob es einer Ihrer brünstigen Verehrer wäre?«

»Es ist nichts als ein Stückchen Tuch – eine Art Flagge – eine Kleinigkeit, die kaum Ihrer Aufmerksamkeit würdig ist in einem so ernsten Augenblick. – Wenn –«

»Eine Kleinigkeit? Es ist nicht so geringfügig, wie Sie sich vorstellen mögen, Miss Mabel!« Er nahm ihr das Stückchen Tuch ab und dehnte es mit beiden Armen der Länge nach aus, während sein Gesicht ernst und sein Auge wachsam wurde. »Sie werden das doch nicht im Frühstück gefunden haben, Mabel Dunham?«

Mabel teilte ihm einfach mit, wo und wie sie diesen Streifen gefunden habe. Während sie sprach, war das Auge des Quartiermeisters keinen Augenblick ruhig und flog von dem Flaggentuch zu Mabels Gesicht und von da wieder zu dem Flaggentuch zurück. Es war leicht zu bemerken, daß sein Verdacht erregt war, und er ließ Mabel nicht lange im ungewissen darüber.

»Wir sind nicht in einem Teil der Welt, wo unsere Flaggen draußen in dem Winde flattern dürfen, Mabel Dunham!« sagte er mit einem bedeutungsvollen Kopfschütteln.

»Das dachte ich auch, Herr Muir, und nahm deshalb den kleinen Wimpel weg, damit er nicht ein Mittel werde, dem Feind unsere Anwesenheit zu verraten, selbst wenn durch das Entfalten gar nichts beabsichtigt wurde. Sollte man nicht meinen Onkel von diesem Umstand in Kenntnis setzen?«

»Ich sehe hierfür keine Notwendigkeit, schöne Mabel; denn Sie bezeichnen es ganz richtig als einen Umstand, und Umstände stoßen bisweilen dem würdigen Seemann schwer auf. Aber diese Flagge, wenn man es eine solche nennen kann, gehört zu dem Fahrzeug eines Schiffers. Sie werden bemerken, daß sie aus sogenanntem Beuteltuch gemacht ist, das bloß zu derartigen Zwecken benützt wird; denn Sie wissen selbst, daß unsere Fahnen aus Seide oder farbiger Leinwand verfertigt sind. Sie hat auf eine überraschende Weise die Länge des Scudwimpels; – und ich erinnere mich nun, daß ein Stück von eben jener Flagge abgeschnitten war.«

Mabel fühlte ihr Herz erstarren, aber sie hatte genug Selbstbeherrschung, um keine Erwiderung zu versuchen.

»Man darf die Sache nicht so hingehen lassen«, fuhr Muir fort, »und es wird im Grunde doch gut sein, eine kurze Rücksprache mit Meister Cap zu halten; denn ein loyalerer Untertan lebt nicht im britischen Reich.«

»Ich hab‘ mir diesen Wink so ernst betrachtet«, versetzte Mabel, »daß ich im Begriff bin, mich in das Blockhaus zu begeben und die Soldatenfrau mit mir zu nehmen.«

»Ich seh‘ nicht ein, zu was das gut sein wird, Mabel. Das Blockhaus wird zuerst angegriffen werden, wenn wirklich ein Überfall stattfindet. Wenn ich Ihnen in einer so zarten Angelegenheit raten dürfte, so möcht‘ ich Ihnen empfehlen, Ihre Zuflucht zu dem Boot zu nehmen, das, wie Sie bemerken können, am günstigsten liegt, um sich in jenen entgegengesetzten Kanal zu flüchten, wo alles, was darin ist, in einer oder zwei Minuten zwischen den Inseln verborgen wäre. Wasser hinterläßt keine Fährte, wie Pfadfinder sagt, und es scheint, es seien so viele verschiedene Durchgänge in dieser Gegend, daß ein Entkommen mehr als wahrscheinlich ist. Ich bin immer der Ansicht gewesen, Lundie habe zuviel gewagt, als er einen so weit vorgeschobenen und so sehr gefährdeten Posten, wie dieser ist, besetzen ließ.

»Es ist nun zu spät, es zu bereuen, Herr Muir, und wir haben jetzt nur für unsere Sicherheit zu sorgen.«

»Und für die Ehre des Königs, schöne Mabel. Ja, Seiner Majestät Waffen und sein ruhmvoller Name dürfen bei keiner Gelegenheit außer acht gelassen werden.«

»Dann, meine ich, dürfte es doch am geeignetsten sein, wenn wir unsere Augen lieber nach dem Ort richteten, der zu ihrer Aufrechterhaltung gebaut worden ist, als nach dem Boot«, sagte Mabel lächelnd; »und so bin ich, Herr Muir, für das Blockhaus, wo ich die Rückkehr meines Vaters und seiner Leute abwarten möchte. Es müßte ihn wohl sehr betrüben, wenn er siegreich zurückkäme und voll Zuversicht, daß wir unseren Pflichten nicht weniger treu nachgekommen seien wie er der seinigen, und fände, daß wir geflohen sind.«

»Nein, nein, um’s Himmels willen, mißverstehen Sie mich nicht, Mabel«, unterbrach sie Muir etwas beunruhigt; »ich bin weit entfernt, jemand anders als den Frauen den Rat zu geben, zum Boot die Zuflucht zu nehmen. Die Obliegenheit der Männer ist ohne allen Zweifel klar genug, und mein Entschluß war von Anfang an, mit dem Blockhaus zu stehen oder zu fallen.«

»Und glaubten Sie, Herr Muir, daß zwei Frauen dieses schwere Boot auf eine Weise zu führen wüßten, um dem Rindenkahn eines Indianers zu entkommen?«

»Ach, meine schöne Mabel, die Liebe versteht sich selten auf die Logik, und die Besorgnisse sind wohl geeignet, den Verstand ein wenig in Verwirrung zu bringen. Ich sah nur Ihre süße Gestalt in dem Besitz des Rettungsmittels und dachte nicht, daß es Ihnen an der Fähigkeit gebricht, sich dessen zu bedienen. Aber Sie werden nicht so grausam sein, holdes Wesen, mir die lebhafte Besorgnis um Sie als Fehler anzurechnen?«

Mabel hatte genug gehört. Ihr Geist war zu sehr mit den Ereignissen dieses Morgens und mit ihren Befürchtungen beschäftigt, als daß sie länger bei einem Liebesgespräch zu verweilen gewünscht hätte, das ihr auch in den sorgenfreiesten und heitersten Augenblicken zuwider gewesen wäre. Sie nahm daher hastig Abschied von ihrem Gefährten und beabsichtigte, sich in die Hütte der Soldatenfrau zu begeben, als sie Muir anhielt, indem er mit seiner Hand ihren Arm faßte.

»Ein Wort noch, Mabel«, sagte er, »ehe Sie mich verlassen. Diese kleine Flagge hat entweder eine besondere Bedeutung oder nicht. Hat sie eine, so dürfte es, da wir sehen, daß sie bereits ausgesteckt worden ist, wohl besser sein, sie wieder an ihren Ort zu hängen, während wir sorgsam darauf achten, ob nicht eine Antwort erfolgt, die uns der Verschwörung auf die Sprünge kommen helfe; und hat sie nichts zu bedeuten – ei, so wird auch nichts darauf folgen.«

»Sie mögen wohl recht haben, Herr Muir, obgleich, wenn das Ganze bloß zufällig ist, die Flagge Anlaß zur Entdeckung des Postens geben könnte.«

Mabel stand ihm nicht weiter Rede und war ihm bald aus den Augen, indem sie der Hütte zueilte, nach der sie schon vorhin getrachtet hatte.

Der Quartiermeister blieb ungefähr eine Minute auf demselben Platze und in derselben Stellung, in der ihn das Mädchen verlassen hatte, und blickte zuerst auf die forthüpfende Gestalt, dann aber auf das Stückchen Tuch, das er in der Hand hielt, indes sich Unschlüssigkeit in seinen Zügen ausdrückte. Sein Schwanken dauerte jedoch nicht länger als diese Minute, denn er befand sich bald unter dem Baum, wo er die Flagge wieder an einen Ast befestigte, obgleich er sie, da er die Stelle nicht kannte, von der sie Mabel abgenommen hatte, von einem Eichenzweige herabflattern ließ, der mehr den Blicken solcher ausgesetzt war, die sich auf dem Strom befanden, während sie von der Insel aus weniger gesehen werden konnte.

Zwanzigstes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Es war bereits heller Tag, als Mabel erwachte. Sie hatte ruhig geschlafen, da sie sich mit ruhigem Gewissen zu Bett gelegt und die Ermüdung ihren Schlummer versüßt hatte. Sie sprang auf, kleidete sich rasch an, und bald atmete das Mädchen den Duft des Morgens in der freien Luft. Das erstemal traten ihr die eigentümlichen Reize und die tiefe Abgeschiedenheit ihrer gegenwärtigen Lage recht lebhaft vor Augen. Es war einer der herrlichen Herbsttage, die in diesem mehr geschmähten als gehörig gewürdigten Klima so gewöhnlich sind, und ihr Einfluß war in jeder Beziehung anregend.

Die Insel schien gänzlich verlassen. In der vorhergehenden Nacht hatte ihr die lärmvolle Ankunft einen Anstrich von Leben gegeben, der nun wieder völlig gewichen war. Mabel ließ ihren Blick fast über jeden sichtbaren Gegenstand umherstreifen, ehe sie ein menschliches Wesen zu Gesicht bekam, um das Gefühl gänzlicher Einsamkeit zu verscheuchen. Endlich erblickte sie alle Zurückgebliebenen um ein Feuer gruppiert, was das Bild eines Lagers vervollständigte. Die Gestalt ihres Onkels, an den sie am meisten gewöhnt war, nahm ihr jedoch alle Furcht, und mit einer ihrer Lage natürlichen Neugier betrachtete sie sich die übrigen näher. Außer Cap und dem Quartiermeister waren noch der Korporal und die drei Soldaten dort mit der Frau, die das Frühstück bereitete. Die Hütten waren ruhig und leer, und der niedrige, turmartige Giebel des Blockhauses hob sich mit malerischer Schönheit, zum Teil versteckt, über das Gebüsch. Die Sonne überstrahlte gerade die freieren Plätze zwischen den Bäumen, und das Gewölbe über ihrem Haupt prangte in dem sanftesten Blau. Kein Wölkchen war sichtbar, und alles schien auf Frieden und Sicherheit hinzudeuten.

Da Mabel bemerkte, daß alle mit dem Frühstück beschäftigt waren, ging sie unbeachtet gegen ein Ende der Insel, wo Bäume und Gebüsche sie vor aller Augen verbargen. Hier gewann sie, indem sie die niedrigen Zweige auf die Seite drängte, einen Standort am Rande des Wassers und lauschte dem kaum bemerklichen Zu- und Abfluß der kleinen Wellen, die das Ufer wuschen –, eine Art natürlichen Widerhalls zu der Bewegung, die fünfzig Meilen weiter oben auf dem See herrschte. Sie betrachtete die verschiedenen Aussichten, die ihr die Öffnungen zwischen den Inseln boten, und gab sich dem Gedanken hin, daß sie nie etwas Lieblicheres gesehen habe.

Während Mabel so beschäftigt war, wurde sie plötzlich durch die Vermutung aufgeschreckt, sie hätte etwas wie eine menschliche Gestalt unter den Gebüschen erblickt, die das Ufer der vor ihr liegenden Insel säumten. Die Entfernung über das Wasser betrug kaum hundert Ellen, und obgleich sie vielleicht im Irrtum war und ihre Phantasie in dem Augenblick, wo ihr die Erscheinung auftauchte, überall umherschweifte, so hielt sie es doch kaum für möglich, daß sie sich getäuscht haben könnte. Sie wußte wohl, daß sie ihr Geschlecht nicht gegen eine Büchsenkugel schützen würde, wenn sie ein Irokese zu Gesicht bekommen sollte, und zog sich daher instinktartig zurück, wobei sie Sorge trug, sich so gut wie möglich unter den Blättern zu verbergen, während sie fortwährend ihre Blicke auf das gegenüberliegende Ufer heftete, in der geraume Zeit fruchtlosen Erwartung, dem fremden Gegenstand wieder zu begegnen. Sie war eben im Begriff, das Gebüsch zu verlassen und zu ihrem Onkel zu eilen, um ihm ihren Verdacht mitzuteilen, als sie auf der anderen Insel hinter dem Saum des Gebüsches einen Erlenzweig winken sah, der bedeutungsvoll und, wie es ihr vorkam, als Zeichen der Freundschaft auf- und abgeschwungen wurde. Dies war ein atemloser, drückender Augenblick für jemand, der so wenig in den Grenzkriegen erfahren war wie Mabel; und doch fühlte sie die Notwendigkeit, ihre Fassung zu bewahren und mit Festigkeit und Umsicht zu handeln.

Es gehörte zu den Eigentümlichkeiten der gefahrvollen Lage, der die amerikanischen Grenzbewohner ausgesetzt waren, daß sich die moralischen Eigenschaften der Frauen in einem Grade steigerten, dessen diese sich unter andern Umständen selbst nicht für fähig gehalten hätten, und Mabel wußte wohl, daß die Grenzleute in ihren Erzählungen gern bei der Geistesgegenwart, dem Mut und der Tapferkeit verweilen, die ihre Frauen und Schwestern unter den gefährlichsten Umständen entfaltet hatten. Solche Erzählungen feuerten sie zur Nachahmung an, und es fiel ihr plötzlich ein, jetzt sei gewiß der Augenblick gekommen, wo sie sich als Sergeant Dunhams wahres Kind beweisen könne. Die Bewegung des Zweiges schien ihr auf eine freundliche Absicht hinzudeuten, und nach dem Zögern eines Augenblicks brach sie gleichfalls einen Zweig ab, befestigte ihn an einen Stock, erhob ihn über eine Lücke im Gebüsch und erwiderte die Begrüßung, wobei sie genau die Bewegungen des andern nachahmte.

Diese stumme Zwiesprache dauerte auf beiden Seiten zwei oder drei Minuten, als Mabel bemerkte, daß das entgegengesetzte Gebüsch vorsichtig beiseite gedrückt wurde und in der Öffnung ein menschliches Antlitz zum Vorschein kam. Ein zweiter, genauerer Blick überzeugte sie, daß es das Gesiebt von Junitau, dem Weibe Pfeilspitzes war. Solange Mabel in der Gesellschaft dieses Geschöpfes war, hatte sie es wegen seines sanften Benehmens, der demütigen Einfalt und der mit Furcht vermischten Liebe gegen seinen Gatten liebgewonnen. Ein- oder zweimal war es ihr während des Laufes ihrer Reise vorgekommen, als ob der Tuscarora gegen sie selbst einen unerfreulichen Grad von Aufmerksamkeit an den Tag lege; und bei solchen Gelegenheiten war es ihr aufgefallen, daß sein Weib Schmerz und Bekümmernis verriet. Da jedoch Mabel ihre Gefährtin für die Kränkung, die sie ihr in dieser Hinsicht unabsichtlich veranlaßte, durch Güte und Aufmerksamkeit mehr als entschädigte, so bewies ihr die Indianerin so viel Zuneigung, daß Mabel bei ihrer Trennung überzeugt war, sie hätte in Junitau eine Freundin verloren.

Man würde vergeblich den Versuch machen, alle Wege zu erforschen, auf denen das Vertrauen in das menschliche Herz einzieht. Das junge Tuscaroraweib hatte jedoch ein derartiges Gefühl in Mabels Seele erweckt, und diese fühlte sich zu einem genaueren Verkehr geneigt, da sie überzeugt war, daß diese ungewöhnliche Erscheinung ihr Bestes beabsichtige. Sie zögerte nicht länger, aus dem Gebüsch herauszutreten, und freute sich zu sehen, daß ihr Vertrauen Nachahmung fand, indem Junitau furchtlos aus ihrem Versteck herauskam. Die zwei Mädchen – denn obgleich verheiratet, war die Tuscarora doch jünger als Mabel – tauschten nun offen die Zeichen der Freundschaft aus, und Mabel bat ihre Freundin, näher zu kommen, obgleich es ihr selbst nicht deutlich war, wie dieses ausgeführt werden könne. Aber Junitau säumte nicht zu zeigen, daß es in ihrer Macht stehe; denn nachdem sie auf einen Augenblick verschwunden war, erschien sie wieder an dem Ende eines Rindenkahns, dessen Bug sie in den Saum des Gebüsches gezogen hatte und dessen Rumpf in einer Art versteckten Schlupfhafens lag. Mabel wollte sie eben einladen herüberzukommen, als ihr Name von der Stentorstimme ihres Onkels gerufen wurde. Sie gab dem Tuscaroramädchen einen raschen Wink, sich zu verbergen, eilte vom Gebüsch weg dem freien Platz zu, woher die Stimme gekommen war, und bemerkte, wie sich die ganze Gesellschaft eben zum Frühstück niedergelassen hatte, wobei Cap seinen Appetit kaum so weit zügelte, um sie aufzufordern, am Mahl teilzunehmen. Mabel begriff schnell, daß dies der günstigste Augenblick zu einer Besprechung sein müsse, entschuldigte sich, daß sie noch nicht zum Essen vorbereitet sei, eilte nach dem Dickicht zurück und erneuerte bald wieder ihren Verkehr mit der Indianerin. Junitau begriff schnell, und nach einem halben Dutzend lautloser Ruderschläge lag ihr Kahn in dem Versteck des Gebüsches der Stationsinsel. Eine Minute später hielt Mabel ihre Hand und führte sie durch den Schattengang zu ihrer eigenen Hütte. Zum Glück war diese so gelegen, daß sie vom Feuer aus nicht gesehen werden konnte, und so langten beide Freundinnen dort unbemerkt an. Mabel erklärte ihrem Gast in der Geschwindigkeit so gut sie konnte, daß sie die Indianerin auf eine kurze Zeit verlassen müsse, führte Junitau in ihr eigenes Zimmer mit der festen Überzeugung, daß sie es nicht verlassen würde, begab sich dann zu dem Feuer und nahm ihren Platz unter den übrigen ein.

»Wer spät kommt, wird spät bedient, Mabel«, sagte ihr Onkel zwischen zwei Mundladungen voll gebratenen Fisches; denn obgleich die Kochkunst an dieser entfernten Grenze sehr ungekünstelt sein mochte, so waren doch die Speisen im allgemeinen köstlich. »Wer spät kommt, wird spät bedient: Das ist eine gute Regel und macht die Schlafmützen munter.«

»Ich bin keine Schlafmütze, Onkel; denn ich bin schon eine ganze Stunde auf und habe mich auf unserer Insel umgesehen.«

»Sie werden wenig daraus machen können, Miss Mabel«, versetzte Muir, »denn es ist von Natur nicht viel an ihr. Lundie oder, wie man ihn in solcher Gesellschaft besser nennen könnte, Major Duncan« – es wurde dies wegen des Korporals und der gemeinen Soldaten gesagt, obgleich diese ihr Mahl etwas abgesondert einnahmen –, »Major Duncan hat die Staaten Seiner Majestät durch kein Reich vermehrt, als er von dieser Insel Besitz nahm, denn die gleicht ganz der des berühmten Sancho an Einkünften und Ertrag. Ihr kennt doch ohne Zweifel diesen Sancho, Meister Cap, und werdet oft in Euren Mußestunden, zumal bei einer Windstille oder in Augenblicken der Untätigkeit, von ihm gelesen haben?«

»Ich kenne den Ort, den Sie meinen, Quartiermeister; Sanchos Insel – Korallenfels, von neuer Formation und so schlechter Aufduning bei Nacht und stürmischem Wetter, daß sich jeder Sünder davon klarzuhalten wünscht, ’s ist ein bekannter Platz wegen der Kokosnüsse und des bittern Wassers, diese Sanchos Insel.«

»Es soll dort nicht gut Mittag halten sein«, erwiderte Muir und unterdrückte aus Achtung vor Mabel das Lächeln, das auf seinen Lippen zuckte; »auch glaub‘ ich nicht, daß einem zwischen ihren Einkünften und denen unseres gegenwärtigen Aufenthalts die Wahl besonders schwer werden dürfte. Nach meinem Urteil, Meister Cap, ist unsere Stellung sehr unmilitärisch, und ich sehe voraus, daß uns früher oder später eine Kalamität zustoßen wird.«

»Es wär‘ zu wünschen, daß es nicht eher geschieht, als bis unser Dienst hier zu Ende ist«, bemerkte Mabel. »Ich trage kein Verlangen danach, Französisch zu lernen.«

»Wir dürften uns glücklich schätzen, wenn es nur das und nicht etwa das Irokesische wäre. Ich hab‘ dem Major Duncan Vorstellungen wegen der Besetzung dieses Postens gemacht, aber einen eigensinnigen Mann muß man seinen Weg gehen lassen. Mein Hauptgrund, warum ich mich dem Zug anschloß, war die Absicht, mich Eurer schönen Nichte nützlich und angenehm zu machen, Meister Cap; dann wollte ich auch einen Überschlag über die Vorräte machen, die ja eigentlich in meinen Geschäftskreis gehören, damit keine Einreden über die Art ihrer Verwendung stattfinden können, wenn der Feind Mittel finden sollte, sie wegzunehmen.«

»Betrachten Sie die Sache so ernst?« fragte Cap, indem er vor lauter Anteil an der Antwort mit dem Kauen eines Wildbretbissens innehielt; denn er ging wechselweise wie ein Feinschmecker von Fisch zu Fleisch und vom Fleisch wieder zum Fisch über. »Ist die Gefahr so drängend?«

»Ich will das nicht grad sagen, möchte aber auch nicht das Gegenteil behaupten. Im Krieg ist immer Gefahr vorhanden und auf vorgeschobenem Posten mehr als im Hauptquartier. Es darf daher keinen Augenblick überraschen, wenn wir einen Besuch von den Franzosen bekommen.«

»Und was, zum Teufel, war‘ in solchem Fall zu tun? Sechs Mann und zwei Weiber würden sich bei der Verteidigung eines Platzes wie diesem erbärmlich genug ausnehmen, wenn die Franzosen einen Überfall machen sollten; denn ohne Zweifel würden sie – so echt französisch – in tüchtigen Massen anrücken.

»Darauf kann man sich verlassen – aufs mindeste mit einer furchtbaren Macht. Ohne Zweifel wäre es zweckmäßig, nach den Regeln der Kriegskunst Anstalten zur Verteidigung der Insel zu treffen, obgleich es uns wahrscheinlich an der nötigen Mannschaft fehlen wird, diesen Plan auf eine erfolgversprechende Weise auszuführen. Erstens sollte eine Abteilung am Ufer aufgestellt werden, um den Feind beim Landen zu beunruhigen; eine starke Besatzung sollte augenblicklich in das Blockhaus gelegt werden, da es die Zitadelle ist, nach der sich natürlich die verschiedenen Abteilungen zurückziehen würden, wenn sie bei dem Vorrücken der Franzosen Unterstützung brauchten. Dann sollte um den festen Platz ein mit Gräben versehenes Lager gelegt werden, da es in der Tat sehr unmilitärisch wäre, den Feind nahe genug zu dem Fuß der Mauern kommen zu lassen, um sie zu unterminieren. Spanische Reiter sollten die Kavallerie im Schach halten, und was die Artillerie anbelangt, so sollten unter dem Versteck jener Wälder Redouten aufgeworfen werden. Starke Plänklerabteilungen würden außerdem zu Verzögerung des feindlichen Marsches außerordentlich gute Dienste leisten, und diese zerstreuten Hütten könnten, gehörig mit Piketten versehen und von Gräben umzogen, treffliche Positionen zu diesem Zweck abgeben.«

»Ha – ha – ha –! Quartiermeister. Und wer, zum Teufel, soll alle die Mannschaft aufbringen, um einen solchen Plan auszuführen?«

»Der König, ohne allen Zweifel, Meister Cap. Es ist seine Sache und daher billig, daß er auch die Bürde trage.«

»Und wir sind nur unserer sechs! Das ist mir ein sauberes Geschwätz, zum Henker! Da könnte man Sie ans Ufer hinunterschicken, um den Feind vom Landen abzuhalten – Mabel müßte plänkeln, wenigstens mit der Zunge – das Soldatenweib könnte die spanischen Reiter spielen, um die Kavallerie in Verwirrung zu bringen – der Korporal hätte das verschanzte Lager zu kommandieren seine drei Mann müßten die Hütten besetzen, und mir bliebe dann das Blockhaus. – Sie zeichnen gut, Leutnant, und hätten Maler statt Soldat werden sollen.«

»Nun, ich hab‘ meine Disposition in dieser Sache wissenschaftlich und ehrlich gemacht. Daß keine größere Macht da ist, den Plan auszuführen, ist die Schuld von Seiner Majestät Ministern und nicht meine.«

»Aber wenn der Feind wirklich erschiene«, fragte Mabel mit mehr Anteil, als sie gezeigt haben würde, wenn sie sich nicht ihres Gastes in der Hütte erinnert hätte, »welchen Weg müßten wir dann einschlagen?«

»Mein Rat, schöne Mabel, wär‘ ein Versuch zur Ausführung dessen, was Xenophon mit Recht so berühmt machte.«

»Ich glaube, Sie meinen einen Rückzug, obgleich ich ihre Anspielung halb erraten muß.«

»Ihrem hellen, natürlichen Verstand ist meine Meinung nicht entgangen, mein Fräulein. Ich habe bemerkt, daß Ihr würdiger Vater dem Korporal gewisse Methoden angegeben hat, mit denen er diese Insel zu halten hofft, falls die Franzosen ihre Lage auffinden sollten. Aber obgleich der ausgezeichnete Sergeant Ihr Vater und im Dienst so gut wie irgendein Unteroffizier ist, so ist er doch nicht der große Lord Stair oder gar der Herzog von Marlborough. Ich will die Verdienste des Sergeanten in seiner Sphäre nicht in Abrede stellen, aber ich kann seine Eigenschaften, mögen sie auch noch so ausgezeichnet sein, nicht höher schätzen als die von Leuten, die, wenn auch nur in geringem Grade, seine Vorgesetzten sind. Der Sergeant hat sich mit seinem Herzen und nicht mit seinem Kopf beraten, als er solche Befehle erließ; aber wenn das Fort fällt, so wird der Vorwurf auf dem liegen, der es zu besetzen befahl, und nicht auf dem, dem die Verteidigung obliegt. Was aber auch immer der Ausgang der letzteren sein mag, wenn die Franzosen mit ihren Verbündeten landen sollten, so wird doch ein guter General nie die nötigen Vorbereitungen für den Fall eines Rückzuges vernachlässigen, und ich möchte Meister Cap, als dem Admiral unserer Flotte, raten, ein Boot in Bereitschaft zu halten, um die Insel räumen zu können, wenn Not am Mann ist. Das größte Boot, das wir noch haben, führt ein weites Segel, und wenn man es hier herumholt und unter diesen Büschen vor Anker legt, so werden wir da einen ganz geeigneten Platz zu schleuniger Einschiffung kriegen! Und dann werden Sie auch bemerken, schöne Mabel, daß wir kaum fünfzig Ellen zu einem Kanal haben, der zwischen zwei andern Inseln und so versteckt liegt, daß wir recht wohl gegen eine Entdeckung von denen geschützt sind, die sich auf diesem Eiland befinden mögen.«

»Was Sie da sagen, ist alles ganz richtig, Herr Muir; aber könnten die Franzosen nicht grad von dieser Gegend herkommen? Wenn sie so gut für einen Rückzug ist, so ist sie wohl ebensogut für den Angriff.«

»Sie werden nicht Einsicht genug für einen so klugen Gedanken haben«, erwiderte Muir, wobei er verstohlen und ein wenig unbehaglich umhersah. »Es wird Ihnen an der gehörigen Klugheit mangeln. Diese Franzosen sind ein übereiltes Volk und rücken gewöhnlich aufs Geratewohl an; wir können also darauf zählen, daß sie, wenn sie überhaupt kommen, auf der anderen Seite der Insel landen werden.«

Die Unterhaltung schweifte nun verschiedentlich ab, wobei jedoch immer die Wahrscheinlichkeit eines Überfalls und die geeignetsten Mittel, ihm zu begegnen, die Hauptpunkte blieben.

Mabel zollte dem meisten davon nur geringe Aufmerksamkeit, obgleich sie sich einigermaßen überrascht fühlte, daß Leutnant Muir, ein Offizier, der wegen seines Mutes in gutem Ruf stand, so offen das Aufgeben einer Sache empfahl, deren Verteidigung ihr eine doppelte Pflicht schien, weil die Ehre ihres Vaters dabei im Spiele war. Ihr Geist war jedoch so sehr mit ihrem Gast beschäftigt, daß sie bei der ersten günstigen Gelegenheit die Gesellschaft verließ und wieder in ihre Hütte eilte. Sie schloß die Tür sorgfältig, und als sie sah, daß der einfache Vorhang an dem einzigen kleinen Fenster vorgeschoben war, führte sie Junitau oder June, wie sie vertraulich von denen genannt wurde, die Englisch mit ihr sprachen, unter Zeichen der Liebe und des Vertrauens in das äußere Zimmer.

»Es freut mich, dich zu sehen, June«, sagte Mabel mit ihrer gewinnenden Stimme und freundlichem Lächeln. »Was hat dich hierhergebracht, und wie entdecktest du diese Insel?«

»Sprechen langsam«, sagte June, indem sie das Lächeln erwiderte und die kleine Hand ihrer Freundin mit der ihrigen, die kaum größer, aber durch die Arbeit abgehärtet war, drückte:

»Mehr langsam – zu schnell.«

Mabel wiederholte ihre Fragen, wobei sie sich bemühte, den Sturm ihrer Gefühle zu unterdrücken, und es gelang ihr, sich so deutlich auszusprechen, daß sie verstanden wurde.

»June, Freund«, erwiderte das Indianerweib.

»Ich glaube dir, June – von ganzem Herzen glaub‘ ich dir. Aber was hat das mit deinem Besuch zu schaffen?«

»Freund kommen, zu sehen Freund«, antwortete June mit einem offenen Lächeln gegen Mabel.

»Es muß noch ein anderer Grund da sein, June, sonst würdest du dich nicht in diese Gefahr begeben haben, und noch dazu allein. Du bist doch allein, June?«

»June bei dir, niemand anders. June kommen allein, Kahn rudern.

»Ich hoffe es, ich glaube es – nein, ich weiß es. Du würdest mich nicht verraten, June?«

»Verraten? was?«

»Du könntest mich nicht betrügen, mich nicht den Franzosen, den Irokesen oder Pfeilspitze überliefern?« – June schüttelte ernst ihr Haupt – »du könntest nicht meinen Skalp verkaufen?«

Hier legte June ihren Arm zärtlich um Mabels schlanken Leib und drückte sie mit Innigkeit und Liebe an sich, so daß es kaum mehr möglich war, die Aufrichtigkeit eines jungen, offenen Geschöpfs in Zweifel zu ziehen. Mabel erwiderte ihre Umarmung, blickte ihr dann fest ins Gesicht und fuhr mit ihren Fragen fort.

»Wenn June ihrer Freundin was zu sagen hat, so mag sie freimütig sprechen. Meine Ohren sind offen.«

»June fürchten, Pfeilspitze sie töten.«

»Aber Pfeilspitze wird es nie erfahren«, Mabels Blut stieg ihr gegen die Schläfe, denn sie fühlte, daß sie das Weib zum Verrat gegen ihren Gatten veranlaßte. »Das heißt, Mabel wird’s ihm nicht sagen.«

»Er begraben Tomahawk in Junes Kopf.«

»Das darf nie geschehen, liebe June; sage lieber nichts mehr, als daß du dich dieser Gefahr aussetztest.«

»Blockhaus guter Platz zum Schlafen, guter Platz zum Bleiben.«

»Meinst du, daß ich mein Leben retten könnte, wenn ich mich im Blockhaus aufhielte, June? Sicherlich, sicherlich – Pfeilspitze wird dir kein Leid zufügen, wenn du mir das sagst. Pfeilspitze kann nicht wünschen, daß mir ein Unglück zustoße, denn ich habe ihn nie beleidigt.«

»Pfeilspitze nicht kränken wollen schöne Bleichgesicht«, erwiderte June mit abgewandtem Antlitz, und ihr Ton, obgleich sie immer in der sanften Stimme eines Indianermädchens sprach, wurde tiefer, so daß er den Ausdruck der Melancholie und der Furcht trug; »Pfeilspitze Bleichgesichtmädchen lieben.«

Mabel errötete unwillkürlich und unterdrückte aus natürlichem Zartgefühl einen Augenblick ihre Fragen; aber sie mußte mehr erfahren, und da sich ihre Besorgnisse steigerten, nahm sie ihre Nachforschungen wieder auf.

»Pfeilspitze kann keinen Grund haben, mich zu lieben oder zu hassen«, sagte sie. »Ist er in der Nähe?«

»Mann immer nahe bei Weib – hier«, sagte June, indem sie ihre Hand auf ihr Herz legte.

»Du gutes Geschöpf! Aber sag mir, June, soll ich heute – diesen Morgen – jetzt – im Blockhaus sein?«

»Blockhaus sehr gut; gut für Weiber. Blockhaus kriegen nicht Skalp.«

»Ich fürchte, ich verstehe dich nur zu gut, June. Wünschest du meinen Vater zu sehen?«

»Nicht hier – fortgegangen.«

»Du kannst das nicht wissen, June; du siehst, die Insel ist voll von seinen Soldaten.«

»Nicht voll, fortgegangen.« – Hier hielt June vier Finger in die Höhe. – »So viel Rotröcke.«

»Und Pfadfinder? Möchtest du nicht gerne den Pfadfinder sehen? Er kann mit dir reden in der Zunge der Irokesen.«

»Zunge mit ihm gegangen«, sagte June lachend; »behalten Zunge in sein Mund.«

Es lag etwas so Hübsches und Ansteckendes in dem kindlichen Lachen des Indianermädchens, daß sich Mabel nicht enthalten konnte, darin einzustimmen, so sehr auch ihre Furcht durch alles, was vorgegangen war, erregt war.

»Du scheinst zu wissen oder glaubst alles zu wissen, was sich bei uns zuträgt, June. Aber wenn Pfadfinder gegangen ist, Eau-douce kann auch Französisch sprechen.«

»Eau-douce auch gegangen – nur nicht Herz – das hier.« Als June dies sagte, lachte sie wieder, blickte nach verschiedenen Richtungen, als ob sie Mabel nicht in Verwirrung bringen wollte, und legte ihre Hand auf den Busen ihrer Freundin.

Mabel hatte zwar oft von dem wunderbaren Scharfsinn der Indianer, mit dem sie alles auffassen, während sie doch auf nichts zu achten scheinen, gehört; aber auf diese eigentümliche Wendung ihres Gesprächs war sie nicht vorbereitet. Sie wünschte auf einen andern Gegenstand zu kommen, und da sie zugleich ängstlich besorgt war, zu erfahren, wie groß die Gefahr wirklich sein möchte, die ihr bevorstand, erhob sie sich von dem Feldstuhl, auf dem sie gesessen, und nahm eine Haltung an, die weniger zärtliches Vertrauen ausdrückte, wodurch sie mehr von dem zu erfahren hoffte, was sie zu wissen wünschte, und Anspielungen, die sie in Verlegenheit setzen könnten, zu vermeiden beabsichtigte.

»Du weißt, wie viel oder wie wenig du mir mitteilen darfst, June«, sagte sie; »und ich hoffe, du liebst mich genug, um mich von dem zu unterrichten, was mir zu hören nötig ist. Auch mein lieber Onkel ist auf der Insel, und du bist seine Freundin, oder solltest es sein, so gut wie die meinige; und wir beide werden dein Benehmen nicht vergessen, wenn wir wieder nach Oswego zurückgekehrt sind.«

»Mag sein, nie kehren zurück – wer wissen?« Sie sprach das im Ton des Zweifels, wie jemand, der eine Vermutung ausspricht, keineswegs aber mit Hohn oder in der Absicht, Mabel zu beunruhigen.

»Nur Gott weiß, was geschehen wird. Unser Leben ist in seiner Hand. Doch ich glaube, du bist sein Werkzeug zu unserer Rettung.«

Das ging über Junes Begriffsvermögen, und ihr Blick drückte Unwissenheit aus; doch war es augenscheinlich, daß sie nützlich zu werden wünschte.

»Blockhaus sehr gut!« wiederholte sie, als sich der Zug der Unsicherheit aus ihrem Gesicht verloren hatte, und legte einen starken Nachdruck auf die zwei letzten Worte.

»Gut, ich verstehe das, June, und will heute nacht darin schlafen. Natürlich darf ich aber meinem Onkel mitteilen, was du mir gesagt hast?«

Junitau war bestürzt und ließ eine große Unbehaglichkeit bei dieser Frage blicken.

»Nein, nein, nein!« antwortete sie mit einer Hast und einer Heftigkeit, die den Franzosen Kanadas nachgeahmt waren, »nicht gut, zu sagen Salzwasser. Er viel reden und lange Zunge. Denkt Wälder lauter Wasser, und nichts wissen. Sagen Pfeilspitze und June sterben.«

»Du tust meinem lieben Onkel unrecht, denn es war‘ ihm so wenig möglich, dich wie jemand anders zu verraten.«

»Nichts verstehen. Salzwasser haben Zunge, aber nicht Augen, nicht Ohren, nicht Nase – nichts als Zunge, Zunge, Zunge!«

Obgleich Mabel dieser Ansicht nicht ganz beistimmen konnte, sah sie doch, daß Cap nicht das Vertrauen der Indianerin besaß und daß es vergeblich sei zu hoffen, man könne ihn zu der gegenwärtigen Besprechung herbeiholen.

»Du scheinst zu glauben, daß du unsere Lage ziemlich genau kennst, June«, fuhr Mabel fort; »bist du schon früher auf dieser Insel gewesen?«

»Eben gekommen.«

»Wie kannst du denn wissen, daß das, was du sagst, wahr ist? Mein Vater, der Pfadfinder und Eau-douce, alle können hier in dem Bereich meiner Stimme sein, wenn ich sie rufen will.«

»Alle gegangen«, sagte June mit Bestimmtheit, zugleich aber mit gutmütigem Lächeln.

»Nein, das ist mehr, als du mit Gewißheit sagen kannst, da du die Insel nicht durchsucht hast.«

»Haben gute Augen; sehen Boot mit Männern weggehen – sehen Schiff mit Eau-douce.«

»Dann hast du schon einige Zeit auf uns achtgegeben. Ich denke jedoch, du hast die nicht gezählt, die zurückblieben?«

June lachte, hielt ihre vier Finger wieder in die Höhe, und zeigte dann auf ihre zwei Daumen; indem sie mit einem Finger über die ersteren fuhr, wiederholte sie das Wort »Rotröcke«, und während sie die letzteren berührte, setzte sie hinzu »Salzwasser«, »Quartiermeister«. Alles dieses traf genau zu, und in Mabel stiegen nun ernstliche Zweifel auf, ob es geeignet sei, ihren Besuch ziehen zu lassen, ehe sie weitere Aufklärung erhalten hatte. Es stand aber so sehr im Widerspruch mit ihren Gefühlen, das Vertrauen dieses sanften und liebevollen Geschöpfes zu mißbrauchen, daß Mabel den Gedanken, ihren Onkel herbeizurufen, als ihrer selbst unwürdig und gegen ihre Freundin ungerecht, wieder aufgab. Dieser Entschluß wurde noch dadurch unterstützt, daß man mit Sicherheit darauf zählen konnte, June werde nichts Weiteres enthüllen, sondern ihre Zuflucht zu einem hartnäckigen Schweigen nehmen, wenn man es versuchen würde, sie zu zwingen.

»Du glaubst also, June«, fuhr Mabel fort, »daß es besser wäre, im Blockhaus zu bleiben?«

»Guter Platz für Weib. Blockhaus nicht kriegen Skalp. Balken dick.«

»Du sprichst so zuversichtlich, als ob du drin gewesen bist und seine Wände gemessen hast.«

June lachte und gab sich das Ansehen einer Wissenden, ohne jedoch etwas Weiteres zu sagen.

»Weiß jemand außer dir diese Insel aufzufinden? Hat sie einer der Irokesen gesehen?«

Junes Miene wurde düster; sie warf ihre Augen vorsichtig um sich, als ob sie irgendeinen Horcher befürchte.

»Tuscarora überall – Oswego, hier, Frontenac, Mohawk – überall. Wenn er sieht June, sie töten.«

»Aber wir glaubten, daß niemand was von dieser Insel wisse und daß wir keinen Grund hätten, unsere Feinde zu fürchten, solange wir uns hier befinden.«

»Viel Auge, Irokesen.«

»Augen können nicht alles ausrichten, June. – Diese Insel fällt dem Blick nicht leicht auf, und selbst von unseren Leuten wissen nur wenige sie aufzufinden.«

»Ein Mann reden kann; einige Yengeese französisch sprechen.«

Mabeln überlief es kalt. Der ganze Verdacht gegen Jasper, den sie bisher zu nähren verschmäht hatte, trat auf einmal mit aller Macht vor ihre Seele, und die dadurch erregten Gefühle lasteten schwer auf ihr. Sie faßte sich jedoch wieder, und eingedenk des ihrem Vater gegebenen Versprechens erhob sie sich, ging einige Male in der Hütte auf und nieder und suchte sich zu bereden, das Jaspers Vergehen sie nichts angingen, obgleich sie im innersten Herzen wünschte, ihn unschuldig zu wissen.

»Ich versteh‘, was du sagen willst, June«, begann sie wieder; »du willst mir kundtun, daß irgend jemand verräterischerweise deinen Leuten gesagt hat, wo und wie die Insel zu finden sei?«

June lachte, denn in ihren Augen war Kriegslist mehr ein Verdienst als ein Verbrechen. Sie war jedoch ihrem Stamme zu treu, um mehr zu sagen, als die Umstände gerade erforderten. Ihre Absicht war, Mabel zu retten, aber auch nur Mabel; und sie sah keinen hinreichenden Grund, warum sie mehr tun sollte.

»Bleichgesicht wissen nun«, setzte sie bei, »Blockhaus gut für Mädchen. Nichts mir machen aus Männer und Krieger.«

»Aber ich mache mir viel daraus, June; denn einer von diesen Männern ist mein Onkel, den ich liebe, und die andern sind meine Landsleute und Freunde. Ich muß ihnen sagen, was vorgegangen ist.«

»Dann June werden getötet«, erwiderte die junge Indianerin ruhig, obgleich augenscheinlich etwas bekümmert.

»Nein, sie sollen nicht erfahren, daß du hier gewesen bist. Aber sie müssen auf ihrer Hut sein, und wir können alle in das Blockhaus gehen.«

»Pfeilspitze wissen, sehen jedes Ding, und June werden töten, June kommen, zu sagen jungem Bleichgesicht Freund, und nicht zu sagen Männer. Jeder Krieger bewachen sein eigen Skalp. June Weib und sagen Weib; nicht sagen Männer.«

Mabel wurde durch diese Erklärung ihrer indianischen Freundin in die äußerste Not versetzt, denn es war nun augenscheinlich, daß die junge Wilde einsah, ihre Mitteilungen dürften nicht weitergehen. Es war ihr unbekannt, wie sehr es dieses Volk für einen Ehrenpunkt hält, ein Geheimnis zu bewahren, und noch weniger war sie imstande zu beurteilen, wie weit eine Unklugheit von ihrer Seite June bloßstellen und ihr Leben gefährden könne. Alle diese Betrachtungen blitzten durch ihre Seele und wurden durch reiflichere Erwägung nur noch schmerzlicher. Auch June betrachtete die Sache augenscheinlich ernst, denn sie fing an, sich zum Aufbruch anzuschicken. Der Versuch, sie aufzuhalten, kam Mabel nicht in den Sinn, und von ihr zu scheiden, nachdem sie so viel gewagt hatte, um ihr zu dienen, widerstrebte dem Billigkeitsgefühl und dem liebevollen Charakter Mabels.

»June!« sagte sie lebhaft, indem sie ihren Arm um die Schulter der Indianerin legte, »wir sind Freundinnen. Von mir hast du nichts zu befürchten, denn niemand soll etwas von deinem Besuch erfahren. Könntest du mir aber nicht ein Zeichen geben, wenn die Gefahr heranrückt, ein Zeichen, aus dem ich erkennen kann, wann ich in das Blockhaus gehen soll und wie ich für mich Sorge tragen kann?«

June hielt an, denn sie hatte sich bereits ernstlich zum Fortgehen angeschickt; dann sagte sie ruhig: »Bring June Taube.«

»Eine Taube? Wo werde ich eine Taube finden, die ich dir bringen könnte?«

»Nächste Hütte; bring eine alte, June gehen zu Kahn.«

»Ich glaube, ich versteh‘ dich, June; wär’s aber nicht besser, ich ginge mit dir nach dem Gebüsch zurück, damit du nicht mit irgendeinem von den Männern zusammentriffst?«

»Gehen aus zuerst; zählen Männer eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs« – hier hielt June ihre Finger in die Höhe und lachte – »alle aus dem Weg – gut. Wenn nur einer, rufen ihn auf Seite. Dann singen und holen Taube.«

Mabel lächelte über die Besonnenheit und den Scharfsinn des Mädchens und schickte sich an, ihren Wünschen zu entsprechen. An der Tür hielt sie jedoch und blickte bittend auf das indianische Weib zurück.

»Darf ich nicht hoffen, daß du mir mehr sagest, June?« fragte sie. »Alles jetzt wissen; Blockhaus gut, Taube sagen, Pfeilspitze töten.«

Die letzten Worte genügten, denn Mabel konnte nicht auf weitere Mitteilungen dringen, da ihre Gefährtin selbst sagte, daß die Strafe ihrer Enthüllungen wahrscheinlich der Tod von der Hand ihres Gatten sein werde. Sie öffnete die Tür, winkte June ein Lebewohl zu und verließ die Hütte. Mabel griff zu dem einfachen, von der Indianerin angegebenen Mittel, um sich über die Orte, wo sich die verschiedenen Personen befanden, Gewißheit zu verschaffen, und begnügte sich mit dem Zählen, statt sie genauer ins Auge zu fassen, um sie aus dem Gesicht und dem Anzug zu erkennen. Sie fand, daß drei noch bei dem Feuer saßen, während zwei andere, unter ihnen Herr Muir, gegen das Boot hin gegangen waren. Der sechste war ihr Onkel, der sich in der Nähe des Feuers mit der Zurichtung von Angelgerätschaften beschäftigte. Die Soldatenfrau ging eben in ihre Hütte, und somit war sie mit der ganzen Gesellschaft im klaren. Mabel gab sich das Ansehen, als ob sie etwas vergessen habe, kehrte in die Nähe der Hütte zurück, trillerte ein Liedchen, bückte sich, als ob sie etwas von dem Boden aufläse, und eilte nun der von June angegebenen Hütte zu. Diese war ein verfallenes Gebäude und von den Soldaten der abgelösten Abteilung zu einem Aufbewahrungsort für ihr zahmes Vieh umgewandelt worden. Unter anderem enthielt es einige Dutzend Tauben, die sich auf einem Haufen Weizen gütlich taten, der von einer der geplünderten Ansiedlungen auf dem Kanadaufer mitgebracht worden war. Es wurde Mabel nicht schwer, eine von den Tauben zu haschen, obgleich diese mit einem trommelähnlichen Geräusch um die Hütte flatterten, und als sie das Tierchen unter ihren Kleidern verborgen hatte, stahl sie sich mit ihrem Fang wieder nach ihrer Hütte zurück. Ein Blick durch die Tür überzeugte sie, daß ihr Gast nicht mehr da sei, und nun eilte das Mädchen hastig dem Ufer zu, ohne daß es ihr dabei schwer wurde, der Beobachtung zu entgehen, da sie die Bäume und Büsche vollkommen verbargen. Bei dem Kahn fand sie June, die die Taube nahm, sie in ein von ihr selbst verfertigtes Körbchen setzte, und mit den Worten: »Blockhaus gut«, so geräuschlos wie sie gekommen war aus dem Gebüsch und über die schmale Wasserstraße glitt. Mabel wartete noch eine Weile auf ein Zeichen des Abschieds oder der Zuneigung von ihrer landenden Freundin, aber vergebens. Die benachbarten Inseln, ohne Ausnahme, waren so still, als ob hier nie die erhabene Ruhe der Natur gestört worden sei, und nirgends ließ sich ein Zeichen oder eine Spur entdecken, die Mabel hätten Aufschluß über die Nähe der Gefahr erteilen können, von der Junitau Nachricht gegeben hatte.

Als Mabel vom Ufer zurückkehrte, fiel ihr ein kleiner Umstand auf, der unter gewöhnlichen Verhältnissen kaum ihre Aufmerksamkeit angezogen hätte, jetzt aber, da ihr Argwohn geweckt war, von ihrem unruhigen Blick nicht unbeachtet blieb.

Ein kleines Stück roten Beuteltuchs, wie man sich dessen zur Verfertigung von Schiffsflaggen bedient, flatterte von dem unteren Ast eines kleinen Baumes, an dem es ganz so befestigt war, daß es wie ein Schiffswimpel sich senken oder vom Winde hinausgeblasen werden konnte.

Da Mabels Furcht einmal rege war, so hätte selbst June sich nicht mit größerer Schnelligkeit Tatsachen klarzumachen vermocht, die, wie zu vermuten stand, auf die Sicherheit der Gesellschaft Bezug hatten. Ein Blick genügte ihr für die Überzeugung, daß dieser Tuchstreifen von der anliegenden Insel aus bemerkt werden konnte, daß er der Linie zwischen ihrer Hütte und dem Kahne so nahe lag, um es außer Zweifel zu sehen, daß June nahe daran, wenn nicht unter ihm habe vorbeikommen müssen, und daß es vielleicht ein Signal sei, um denen, die wahrscheinlich in der Nachbarschaft im Hinterhalt lagen, irgendeine wichtige Tatsache mitzuteilen, die mit der Art des Angriffs in Verbindung stand. Mabel nahm den Tuchstreifen von dem Baum und eilte fort, kaum wissend, was ihr nun zunächst obliege. June konnte falsch gegen sie gewesen sein; aber ihr Benehmen, ihre Blicke, ihre Liebe und Anhänglichkeit, die Mabel schon während ihrer Reise kennengelernt hatte, ließen diesen Gedanken nicht aufkommen. Dann gedachte sie der Anspielung auf Pfeilspitzes Bewunderung der Bleichgesichtsschönheit, erinnerte sich, wenn auch dunkel, der Blicke des Tuscarora, und es wurde ihr schmerzlich klar, daß wenige Weiber mit Zuneigung auf die blicken können, die ihnen die Liebe ihrer Männer entfremdet haben. Zwar waren diese Bilder weder bestimmt noch deutlich, sondern durchflogen eher die Seele Mabels in einem gewissen Helldunkel, als daß sie festen Halt darin gewonnen hätten; trotzdem aber beschleunigten sie die Pulse und die Schritte des Mädchens, ohne in ihr die raschen und klaren Entschlüsse hervorzubringen, die gewöhnlich ihren Erwägungen folgten. Sie eilte geradenwegs nach der von der Soldatenfrau bewohnten Hütte, in der Absicht, sich schnell mit ihr nach dem Blockhaus zu begeben, da sie niemand anders veranlassen konnte, ihr zu folgen, als ihr ungeduldiger Schritt plötzlich durch Muirs Stimme unterbrochen wurde.

»Wohin so schnell, schöne Mabel«, rief er, »und warum so einsam? Der würdige Sergeant wird sich über meine gute Lebensart lustig machen, wenn er hört, daß seine Tochter die Morgenstunden allein und ohne Begleitung zubringen muß, während er doch weiß, wie glühend mein Wunsch ist, Ihr Gesellschafter und Sklave zu sein, vom Anfang des Jahres an bis zu dessen Ende.«

»Sicherlich, Herr Muir, müssen Sie hier einiges Ansehen haben«, sagte Mabel, indem sie plötzlich ihre Schritte anhielt. »Auf einen Mann von Ihrem Rang muß wenigstens ein Korporal hören.«

»Ich weiß das nicht, ich weiß das nicht«, unterbrach sie Muir, mit einer Ungeduld und einem Ausdruck von Beunruhigung, die in einem anderen Augenblick Mabels Aufmerksamkeit erregt haben würden. »Kommando ist Kommando, Disziplin ist Disziplin, und Ansehen ist Ansehen. Ihr guter Vater würde es höchst empfindlich aufnehmen, wenn ich ihm ins Gehege ginge und die Lorbeeren, die er zu gewinnen im Begriff ist, besudeln oder für mich davontragen wollte. Ich kann dem Korporal nicht befehlen, ohne zugleich auch dem Sergeanten zu befehlen. Es wird daher für mich das klügste sein, bei dieser Unternehmung in der Dunkelheit des Privatmannes zu bleiben, und so verstehen auch alle von Lundie abwärts die Verhaltungsbefehle.«

»Ich weiß das, und es mag wohl gut sein; denn ich möchte meinem Vater keinen Anlaß zur Unzufriedenheit geben. Aber Ihr Ansehen könnte zu des Korporals eigenem Besten dienen.«

»Ich will das nicht sagen«, erwiderte Muir in seiner schlauen schottischen Weise; »es würde viel eher angehen, einen Einfluß zu seinem Schaden auf ihn geltend zu machen. Der Mensch hat seine Besonderheiten, schöne Mabel, und auf ein Mitgeschöpf zu seinem Besten einwirken zu wollen, ist eine der schwierigsten Aufgaben der menschlichen Natur, während das Gegenteil gerade die allerleichteste ist. Sie werden das nicht vergessen, meine Teure, sondern es sich zu Ihrer Erbauung und Belehrung ein wenig zu Gemüt führen; aber was ist das, was Sie da um Ihren schlanken Finger wickeln, als ob es einer Ihrer brünstigen Verehrer wäre?«

»Es ist nichts als ein Stückchen Tuch – eine Art Flagge – eine Kleinigkeit, die kaum Ihrer Aufmerksamkeit würdig ist in einem so ernsten Augenblick. – Wenn –«

»Eine Kleinigkeit? Es ist nicht so geringfügig, wie Sie sich vorstellen mögen, Miss Mabel!« Er nahm ihr das Stückchen Tuch ab und dehnte es mit beiden Armen der Länge nach aus, während sein Gesicht ernst und sein Auge wachsam wurde. »Sie werden das doch nicht im Frühstück gefunden haben, Mabel Dunham?«

Mabel teilte ihm einfach mit, wo und wie sie diesen Streifen gefunden habe. Während sie sprach, war das Auge des Quartiermeisters keinen Augenblick ruhig und flog von dem Flaggentuch zu Mabels Gesicht und von da wieder zu dem Flaggentuch zurück. Es war leicht zu bemerken, daß sein Verdacht erregt war, und er ließ Mabel nicht lange im ungewissen darüber.

»Wir sind nicht in einem Teil der Welt, wo unsere Flaggen draußen in dem Winde flattern dürfen, Mabel Dunham!« sagte er mit einem bedeutungsvollen Kopfschütteln.

»Das dachte ich auch, Herr Muir, und nahm deshalb den kleinen Wimpel weg, damit er nicht ein Mittel werde, dem Feind unsere Anwesenheit zu verraten, selbst wenn durch das Entfalten gar nichts beabsichtigt wurde. Sollte man nicht meinen Onkel von diesem Umstand in Kenntnis setzen?«

»Ich sehe hierfür keine Notwendigkeit, schöne Mabel; denn Sie bezeichnen es ganz richtig als einen Umstand, und Umstände stoßen bisweilen dem würdigen Seemann schwer auf. Aber diese Flagge, wenn man es eine solche nennen kann, gehört zu dem Fahrzeug eines Schiffers. Sie werden bemerken, daß sie aus sogenanntem Beuteltuch gemacht ist, das bloß zu derartigen Zwecken benützt wird; denn Sie wissen selbst, daß unsere Fahnen aus Seide oder farbiger Leinwand verfertigt sind. Sie hat auf eine überraschende Weise die Länge des Scudwimpels; – und ich erinnere mich nun, daß ein Stück von eben jener Flagge abgeschnitten war.«

Mabel fühlte ihr Herz erstarren, aber sie hatte genug Selbstbeherrschung, um keine Erwiderung zu versuchen.

»Man darf die Sache nicht so hingehen lassen«, fuhr Muir fort, »und es wird im Grunde doch gut sein, eine kurze Rücksprache mit Meister Cap zu halten; denn ein loyalerer Untertan lebt nicht im britischen Reich.«

»Ich hab‘ mir diesen Wink so ernst betrachtet«, versetzte Mabel, »daß ich im Begriff bin, mich in das Blockhaus zu begeben und die Soldatenfrau mit mir zu nehmen.«

»Ich seh‘ nicht ein, zu was das gut sein wird, Mabel. Das Blockhaus wird zuerst angegriffen werden, wenn wirklich ein Überfall stattfindet. Wenn ich Ihnen in einer so zarten Angelegenheit raten dürfte, so möcht‘ ich Ihnen empfehlen, Ihre Zuflucht zu dem Boot zu nehmen, das, wie Sie bemerken können, am günstigsten liegt, um sich in jenen entgegengesetzten Kanal zu flüchten, wo alles, was darin ist, in einer oder zwei Minuten zwischen den Inseln verborgen wäre. Wasser hinterläßt keine Fährte, wie Pfadfinder sagt, und es scheint, es seien so viele verschiedene Durchgänge in dieser Gegend, daß ein Entkommen mehr als wahrscheinlich ist. Ich bin immer der Ansicht gewesen, Lundie habe zuviel gewagt, als er einen so weit vorgeschobenen und so sehr gefährdeten Posten, wie dieser ist, besetzen ließ.

»Es ist nun zu spät, es zu bereuen, Herr Muir, und wir haben jetzt nur für unsere Sicherheit zu sorgen.«

»Und für die Ehre des Königs, schöne Mabel. Ja, Seiner Majestät Waffen und sein ruhmvoller Name dürfen bei keiner Gelegenheit außer acht gelassen werden.«

»Dann, meine ich, dürfte es doch am geeignetsten sein, wenn wir unsere Augen lieber nach dem Ort richteten, der zu ihrer Aufrechterhaltung gebaut worden ist, als nach dem Boot«, sagte Mabel lächelnd; »und so bin ich, Herr Muir, für das Blockhaus, wo ich die Rückkehr meines Vaters und seiner Leute abwarten möchte. Es müßte ihn wohl sehr betrüben, wenn er siegreich zurückkäme und voll Zuversicht, daß wir unseren Pflichten nicht weniger treu nachgekommen seien wie er der seinigen, und fände, daß wir geflohen sind.«

»Nein, nein, um’s Himmels willen, mißverstehen Sie mich nicht, Mabel«, unterbrach sie Muir etwas beunruhigt; »ich bin weit entfernt, jemand anders als den Frauen den Rat zu geben, zum Boot die Zuflucht zu nehmen. Die Obliegenheit der Männer ist ohne allen Zweifel klar genug, und mein Entschluß war von Anfang an, mit dem Blockhaus zu stehen oder zu fallen.«

»Und glaubten Sie, Herr Muir, daß zwei Frauen dieses schwere Boot auf eine Weise zu führen wüßten, um dem Rindenkahn eines Indianers zu entkommen?«

»Ach, meine schöne Mabel, die Liebe versteht sich selten auf die Logik, und die Besorgnisse sind wohl geeignet, den Verstand ein wenig in Verwirrung zu bringen. Ich sah nur Ihre süße Gestalt in dem Besitz des Rettungsmittels und dachte nicht, daß es Ihnen an der Fähigkeit gebricht, sich dessen zu bedienen. Aber Sie werden nicht so grausam sein, holdes Wesen, mir die lebhafte Besorgnis um Sie als Fehler anzurechnen?«

Mabel hatte genug gehört. Ihr Geist war zu sehr mit den Ereignissen dieses Morgens und mit ihren Befürchtungen beschäftigt, als daß sie länger bei einem Liebesgespräch zu verweilen gewünscht hätte, das ihr auch in den sorgenfreiesten und heitersten Augenblicken zuwider gewesen wäre. Sie nahm daher hastig Abschied von ihrem Gefährten und beabsichtigte, sich in die Hütte der Soldatenfrau zu begeben, als sie Muir anhielt, indem er mit seiner Hand ihren Arm faßte.

»Ein Wort noch, Mabel«, sagte er, »ehe Sie mich verlassen. Diese kleine Flagge hat entweder eine besondere Bedeutung oder nicht. Hat sie eine, so dürfte es, da wir sehen, daß sie bereits ausgesteckt worden ist, wohl besser sein, sie wieder an ihren Ort zu hängen, während wir sorgsam darauf achten, ob nicht eine Antwort erfolgt, die uns der Verschwörung auf die Sprünge kommen helfe; und hat sie nichts zu bedeuten – ei, so wird auch nichts darauf folgen.«

»Sie mögen wohl recht haben, Herr Muir, obgleich, wenn das Ganze bloß zufällig ist, die Flagge Anlaß zur Entdeckung des Postens geben könnte.«

Mabel stand ihm nicht weiter Rede und war ihm bald aus den Augen, indem sie der Hütte zueilte, nach der sie schon vorhin getrachtet hatte.

Der Quartiermeister blieb ungefähr eine Minute auf demselben Platze und in derselben Stellung, in der ihn das Mädchen verlassen hatte, und blickte zuerst auf die forthüpfende Gestalt, dann aber auf das Stückchen Tuch, das er in der Hand hielt, indes sich Unschlüssigkeit in seinen Zügen ausdrückte. Sein Schwanken dauerte jedoch nicht länger als diese Minute, denn er befand sich bald unter dem Baum, wo er die Flagge wieder an einen Ast befestigte, obgleich er sie, da er die Stelle nicht kannte, von der sie Mabel abgenommen hatte, von einem Eichenzweige herabflattern ließ, der mehr den Blicken solcher ausgesetzt war, die sich auf dem Strom befanden, während sie von der Insel aus weniger gesehen werden konnte.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Es möchte schwer zu sagen sein, wer sich am meisten freute, als Mabel aus ihrem Versteck hervoreilte – ob sie selbst, da sie in ihrem Besuch nicht Pfeilspitze, sondern dessen Weib erkannte, oder June, da sie bemerkte, ihr Rat sei befolgt und das Blockhaus von Mabel, die sie so ängstlich und fast hoffnungslos gesucht hatte, zum Zufluchtsort gewählt worden. Sie umarmten einander, und das unverdorbene Tuscaroraweib lachte in ihren süßen Tönen, als sie sich von der Gegenwart ihrer Freundin durch ihre Sinne überzeugen konnte.

»Blockhaus gut«, sagte die junge Indianerin; »nicht kriegen Skalp.«

»Es ist in der Tat gut, June«, antwortete Mabel mit Schaudern, wobei sie zugleich die Augen verhüllte, als ob sie den Anblick des Schreckens vermeiden wolle, dessen Zeuge sie eben gewesen war. »Sag‘ mir um Gottes willen, ob du weißt, was aus meinem lieben Onkel geworden ist; ich hab‘ in allen Richtungen nach ihm ausgesehen, ohne was von ihm entdecken zu können.«

»Nicht hier in Blockhaus?« fragte June mit einiger Neugier.

»Nein, er ist’s leider nicht. Ich bin ganz allein hier, seit Jennie, das Weib, das bei mir war, zu ihrem Mann hinauseilte, an dessen Seite sie ihre Unklugheit mit dem Leben büßte.«

»June wissen, June sehen; sehr schlimm: Pfeilspitze nicht fühlen für irgendein Weib, nicht fühlen für sein eigenes.«

»Ach June, dein Leben ist doch wenigstens sicher!«

»Kann nicht wissen! Pfeilspitze töten mich, wenn er alles wissen.«

»Gott segne und schütze dich, June; er muß dich für deine Menschlichkeit segnen und schützen. Sag‘ mir, was zu tun ist, und ob mein armer Onkel noch lebt?«

»Weiß nicht. Salzwasser haben Boot; kann sein, gegangen auf Fluß.«

»Das Boot ist noch am Ufer, aber weder mein Onkel noch der Quartiermeister ist irgendwo zu sehen.«

»Nicht tot, sonst June würde sehen. Versteckt! Rot Mann verstecken; keine Schande für Bleichgesicht.«

»Die Schande kümmert mich wenig, wohl aber, ob sie eine Gelegenheit zu einem Versteck gefunden haben. Euer Angriff war fürchterlich schnell, June!«

»Tuscarora!« erwiderte die andere mit einem entzückten Lächeln über die Raschheit ihres Gatten. »Pfeilspitze großer Krieger!«

»Du bist zu gut und zu zart für solch ein Leben, June; du kannst bei solchen Szenen nicht glücklich sein?«

Junes Gesicht umwölkte sich, und es kam Mabel vor, als liege etwas von dem wilden Feuer eines Häuptlings in ihrem finsteren Blick, als sie antwortete:

»Yengeese zu gierig, nehmen weg alle Jagdgründe; jagen sechs Volk von Morgen bis Nacht; schlecht König, schlechte Leute. Bleichgesicht sehr schlecht.«

Mabel wußte, daß viel Wahres in dieser Ansicht lag, obgleich sie zu unterrichtet war, um nicht einzusehen, daß der König in diesem wie in tausend anderen Fällen wegen Handlungen getadelt wurde, von denen er wahrscheinlich gar nichts wußte. Sie fühlte daher die Gerechtigkeit des gemachten Vorwurfs zu sehr, um eine Erwiderung zu versuchen, und ihre Gedanken kehrten natürlich wieder zu ihrer Lage zurück.

»Und was muß ich tun, June?« fragte sie. »Es kann nicht lange anstehen, bis deine Leute dieses Gebäude angreifen.«

»Blockhaus gut – kriegen nicht Skalp.«

»Aber sie werden bald entdecken, daß hier keine Mannschaft liegt, wenn sie es nicht schon wissen. Du, du selbst hast mir die Anzahl der Leute namhaft gemacht, die sich auf der Insel befanden, und ohne Zweifel hast du es von Pfeilspitze erfahren.«

»Pfeilspitze wissen«, antwortete June, indem sie, um die Zahl der Männer anzudeuten, sechs Finger erhob. »Alle rote Männer wissen. Vier schon verloren Skalp; zwei noch sie haben.«

»Sprich nicht davon, June; der schreckliche Gedanke macht mir das Blut in den Adern erstarren. Deine Leute können nicht wissen, daß ich allein in dem Blockhaus bin, aber sie können denken, mein Onkel und der Quartiermeister seien bei mir und werden Feuer um das Gebäude legen, um sie herauszutreiben. Man hat mir gesagt, daß Feuer das Gefährlichste für solche Plätze sei.«

»Nicht verbrennen Blockhaus«, sagte June ruhig.

»Du kannst das nicht wissen, meine gute June, und ich habe kein Mittel, sie davon abzuhalten.«

»Nicht verbrennen Blockhaus. Blockhaus gut; kriegen nicht Skalp.«

»Aber sage mir, warum, June; ich fürchte, sie werden es dennoch anzünden.«

»Blockhaus naß – viel Regen – grün Holz – nicht leicht brennen. Rot Mann wissen das – schön Ding – dann es nicht verbrennen, zu sagen Yengeese, daß Irokesen gewesen hier. Vater kommen zurück, fehlen Blockhaus, nicht finden. Nein, nein: Indianer viel zu schlau; nicht berühren etwas.«

»Ich verstehe dich, June, und hoffe, deine Voraussetzung wird eintreffen; denn was meinen lieben Vater anbelangt, wenn er entrinnen sollte – aber vielleicht ist es schon tot oder gefangen, June?«

»Nicht berühren Vater; nicht wissen, wohin er gegangen, Wasser haben keine Fährte – rot Mann nicht können folgen. Nicht verbrennen Blockhaus – Blockhaus gut; nicht kriegen Skalp.«

»Glaubst du, ich könne sicher hier bleiben, bis mein Vater zurückkehrt?«

»Nicht weiß; Tochter sagen am besten, wann Vater kommen zurück.«

Mabel wurde bange bei dem Blick, den Junes schwarzes Auge schoß, als sie diese Worte sprach; denn die schreckliche Vermutung stieg in ihr auf, daß ihre Gefährtin die Absicht habe, etwas aus ihr herauszulocken, das ihren Leuten von Nutzen sein könnte, wobei es zugleich zur Vernichtung ihres Vaters und seiner Mannschaft führen müßte. Sie war im Begriff, eine ausweichende Antwort zu geben, als auf einmal ein Stoß von außen an die Tür ihre Gedanken auf die Gefahr zurückführte.

»Sie kommen!« rief sie aus – »vielleicht, June, ist es mein Onkel oder der Quartiermeister. Ich kann sogar Herrn Muir nicht in einem Augenblick, wie dieser ist, ausschließen.«

»Warum nicht sehen? voller Schießloch, zu sehen.«

Mabel faßte den Wink auf und ging zu einer der abwärts gerichteten Schießscharten, die sich in den Stämmen befanden, die die Basis des vorspringenden Stockwerkes bildeten. Vorsichtig hob sie den Deckel, der das kleine Loch bedeckte, und warf einen Blick auf das, was an der Tür vorging. Das erblassende Gesicht des Mädchens sagte ihrer Gefährtin, daß einige von ihren eigenen Leuten unten seien. »Rot Mann«, sagte June, indem sie warnend und zur Vorsicht auffordernd einen Finger erhob.

»Es sind ihrer vier; sie sehen schrecklich in ihrer Malerei und mit ihren blutigen Siegeszeichen aus. Pfeilspitze ist unter ihnen.«

June hatte sich in eine Ecke begeben, wo einige vorrätige Büchsen lehnten, und sie hatte bereits eine in die Hand genommen, als der Name ihres Mannes ihre weiteren Bewegungen anzuhalten schien. Dies währte jedoch nur einen Augenblick; dann ging sie geradezu auf die Schießscharte los und war eben daran, die Mündung des Gewehres durchzustecken, als das Gefühl eines natürlichen Widerwillens Mabel veranlaßte, ihren Arm zu fassen.

»Nein, nein, nein, June!« sagte sie; »beginne nichts gegen deinen Gatten, und sollte es mich auch mein Leben kosten.«

»Nicht treffen Pfeilspitze«, erwiderte June mit einem leichten Schauder, »nicht treffen rot Mann überhaupt. Nicht schießen auf sie, nur erschrecken.«

Mabel begriff nun Junes Absicht und widersetzte sich nicht länger. Die Indianerin schob die Mündung des Gewehres durch die Schießscharten, wobei sie hinlänglich Geräusch veranlaßte, um Aufmerksamkeit zu erregen, und drückte ab. Das Gewehr war kaum entladen, als Mabel ihrer Freundin Vorwürfe für dieselbe Handlung machte, die die Absicht hatte, ihr Dienste zu leisten.

»Du hast gesagt, daß du nicht feuern wollest«, sagte sie, »und hast jetzt vielleicht deinen eigenen Gatten getötet.«

»Alles fortlaufen, ehe ich feuern«, erwiderte June lachend, ging dann zu einer anderen Schießscharte, um die Bewegungen ihrer Freunde zu beobachten, und lachte noch herzlicher. »Sieh! suchen Versteck – jeder Krieger. Glauben, Salzwasser und Quartiermeister hier. Nehmen in acht jetzt.«

»Gott sei gepriesen! Und nun, June, kann ich hoffen, meine Gedanken für eine kleine Weile zum Gebet zu sammeln, damit ich nicht wie Jennie sterbe – auf nichts bedacht, als auf das Leben und die Dinge dieser Welt.«

June legte die Büchse beiseite und setzte sich zu Mabel auf die Kiste, auf die das Mädchen infolge der physischen Erschöpfung, einer natürlichen Wirkung der Freude sowohl als des Kummers, niedergesunken war. Junitau blickte fest in das Gesicht Mabels mit einem Ausdruck, in dem diese den des Ernstes und der Bekümmernis zu finden glaubte.

»Pfeilspitze großer Krieger«, sagte das Tuscaroraweib. »Alle Mädchen vom Stamm viel blicken auf ihn. Die Bleichgesichtsschönheit hat auch Augen?«

»June! – was sollen diese Worte – dieser Blick? Was willst du sagen?«

»Warum du so Angst, June schießen Pfeilspitze?«

»Wär’s nicht schrecklich gewesen, ein Weib ihren eigenen Gatten erschlagen zu sehen? Nein, June, lieber war‘ ich selbst gestorben.«

»Ganz gewiß das alles?«

»Das war alles, so wahr Gott lebt – und gewiß, das war genug. Nein, nein! es hat heute genug des Entsetzlichen gegeben; eine Handlung wie diese soll es nicht noch vermehren. Was für einen anderen Grund konntest du vermuten?«

»Nicht wissen! Armes Tuscaroramädchen sehr töricht. Pfeilspitze großer Häuptling und sehen alles auf sich. Sprechen von Bleichgesichtsschönheit im Schlaf. Großer Häuptling lieben viele Weiber.«

»Kann ein Häuptling unter deinem Volk mehr als ein Weib besitzen, June?«

»Haben so viel, als er kann erhalten. Große Jäger oft heiraten. Pfeilspitze jetzt nur June haben; aber er sehen zuviel, sprechen zuviel von Bleichgesichtsmädchen.«

Mabel wußte von diesem Umstand, der sie bereits während ihrer Reise nicht wenig beunruhigt hatte, aber es verletzte sie, diese Anspielung, wie es jetzt geschah, aus dem Munde von des Indianers Weib zu vernehmen. Es war ihr zwar nicht unbekannt, daß Gewohnheiten und Ansichten in solchen Dingen einen großen Unterschied machen, aber zu der widerfahrenen Kränkung, die unfreiwillige Nebenbuhlerin eines Weibes zu sein, gesellte sich die Besorgnis, daß in ihrer gegenwärtigen Lage die Eifersucht eine zweideutige Gewährleistung für ihre persönliche Sicherheit sein dürfte. Ein festerer Blick auf June beruhigte sie jedoch wieder, denn es war leicht, in den Zügen dieses Naturkindes den Schmerz eines gebrochenen Herzens zu lesen, während auch nicht eine Spur des Hasses und des Verrates darin zu erkennen war.

»Du wirst mich nicht verraten, June?« sagte Mabel mit einem Händedruck, indem sie sich dem Zug eines edlen Vertrauens hingab. »Du wirst keine deines eigenen Geschlechts dem Tomahawk preisgeben?«

»Kein Tomahawk berühren dich. Pfeilspitze es nicht zulassen. Wenn June muß haben Schwesterweib, liebt sie, zu haben dich.«

»Nein, June; meine Religion und meine Gefühle, beide verbieten es. Und zudem, wenn es mir überhaupt möglich wäre, das Weib eines Indianers zu werden, so möchte ich nie in einem Wigwam dich von deinem Platze verdrängen.«

June antwortete nur mit einem frohen und dankbaren Blick. Sie wußte, daß sich wenige, vielleicht kein Indianermädchen aus dem Kreis von Pfeilspitzens Bekanntschaft mit ihr an körperlichen Reizen vergleichen ließ, und obgleich sich ihr Mann konnte einfallen lassen, ein ganzes Dutzend Weiber zu nehmen, so kannte sie doch außer Mabel keine, deren Einfluß sie wirklich gefürchtet hätte. Sie nahm jedoch an der Schönheit, dem gewinnenden Benehmen, der Güte und der weiblichen Zartheit Mabels so lebhaften Anteil, daß er, wenn die Eifersucht ihrer Gefühle erkalten wollte, nur neue Stärke erhielt und sogar zu einer Haupttriebfeder wurde, die die Indianerin veranlaßte, sich so großer Gefahr auszusetzen, um ihre mutmaßliche Nebenbuhlerin gegen die Folgen des Angriffes zu sichern, der, wie sie wohl wußte, im Schilde geführt wurde. Mit einem Wort – June hatte mit dem Scharfblick eines Weibes die Liebe ihres Gatten zu Mabel entdeckt. Aber statt sich den Qualen der Eifersucht, die ihren Haß gegen die Nebenbuhlerin erregt haben würde, hinzugeben, wie es vielleicht ein Weib getan haben würde, das weniger an die Unterwürfigkeit gegen die Rechte des Mannes gewöhnt gewesen, durchforschte sie die Blicke und den Charakter der Bleichgesichtsschönheit; und da sie mit nichts zusammentraf, was ihre eigenen Gefühle zurückstieß, wohl aber mit allem, was sie ansprach, gewann sie eine Bewunderung und Liebe zu dem weißen Mädchen, die zwar verschiedener Natur, aber doch nicht weniger stark war als die zu ihrem Gatten. Pfeilspitze selbst hatte sie ausgesendet, Mabel vor der nahenden Gefahr zu warnen, obgleich er nicht wußte, daß sich sein Weib gegenwärtig auf der Insel in dem Bereich der Angreifenden befand und mit dem Gegenstand ihrer vereinten Sorgfalt in der Zitadelle verschanzt war. Er glaubte im Gegenteil, wie June angedeutet hatte, daß sich Cap und Muir mit Mabel in dem Blockhaus aufhielten und daß der Versuch, ihn und seine Kameraden zurückzutreiben, von diesen Männern ausgegangen sei.

»June traurig, Lily nicht heiraten Pfeilspitze«, denn Lily nannte die Indianerin in ihrer poetischen Sprache Mabel. »Sein Wigwam groß, und ein großer Häuptling muß haben Weiber genug, zu füllen ihn.«

»Ich danke dir, June, für diesen Vorzug, der mit der Denkweise der weißen Weiber nicht im Einklang steht«, erwiderte Mabel lächelnd, ungeachtet der furchtbaren Lage, in der sie sich befand. »Aber ich werde vielleicht überhaupt nie heiraten.«

»Muß haben gut Ehemann«, sagte June. »Heiraten Eau-douce, wenn nicht lieber Pfeilspitze.«

»June, das ist kein geeignetes Gespräch für ein Mädchen, das kaum weiß, ob es in der nächsten Stunde noch leben wird oder nicht. Ach, wenn es nur möglich wäre, irgendeinen Wink von dem Leben und der Sicherheit meines Onkels zu bekommen!«

»June gehen sehen.«

»Kannst du? – willst du? – Kannst du dich mit Sicherheit auf der Insel sehen lassen? Ist deine Anwesenheit den Kriegern bekannt, und würde es ihnen gefallen, ein Weib mit ihnen auf dem Kriegspfad zu finden?«

Alles dieses fragte Mabel in rascher Aufeinanderfolge, da sie fürchtete, die Antwort möchte nicht ausfallen, wie sie wünschte. Sie hielt es für etwas Ungewöhnliches, daß June an dem Zug teilgenommen hatte und dachte sich daher, so unwahrscheinlich dies auch sein mochte, das Weib wäre heimlich in ihrem Kahn den Irokesen gefolgt und ihnen vorausgeeilt, nur um ihr jene Mitteilung zu machen, die wahrscheinlich ihr Leben gerettet hatte. June suchte und fand in ihrer unvollkommenen Ausdrucksweise Mittel, diesen Irrtum zu beseitigen.

Pfeilspitze, obgleich ein Häuptling, war bei seinem eigenen Volk in Ungnade gefallen und handelte im gegenwärtigen Augenblick in vollkommenem Einverständnis mit den Irokesen. Er hatte allerdings einen Wigwam, war aber selten darin, und während er Freundschaft für die Engländer heuchelte, in deren Dienste er scheinbar den Sommer hinbrachte, war er in Wirklichkeit für die Franzosen tätig, wobei ihn sein Weib auf vielen seiner Wanderungen begleitete, die er meistens im Kahn machte. Mit einem Wort, ihre Gegenwart war kein Geheimnis, da ihr Gatte selten ohne sie auszog. June teilte von diesen Verhältnissen Mabel genug mit, um sie zu dem Wunsch zu ermutigen, ihre Freundin möchte hinausgehen und sich über ihres Onkels Schicksal Gewißheit verschaffen; sie waren aber auch bald darüber im reinen, daß die Indianerin im nächsten günstigen Augenblick das Blockhaus zu diesem Zwecke verlassen solle.

Sie untersuchten zuerst von den verschiedenen Schießscharten aus die Insel, so gut es die Lage des Blockhauses erlaubte, und fanden, daß sich die Sieger zu einem Gelage vorbereiteten, wozu sie die Proviantvorräte der Engländer zusammengetragen und die Hütten geplündert hatten. Die meisten Vorräte waren in dem Blockhaus; aber auch außen war noch genug zu finden, um die Indianer für einen Angriff zu belohnen, der mit einer so geringen Gefahr begleitet war. Ein Teil hatte bereits die toten Körper auf die Seite geschafft, und Mabel sah, daß ihre Waffen in der Nähe des zum Mahle bestimmten Ortes aufgeschichtet waren. June deutete ihr durch ein Zeichen an, daß die Leichen in das Dickicht gebracht worden seien, um entweder begraben oder aus dem Gesicht geschafft zu werden. Nichts von den mehr augenfälligen Gegenständen auf der Insel war verändert, da die Sieger den Sergeanten bei seiner Zurückkunft in einen Hinterhalt zu locken wünschten. June machte ihre Gefährtin auf einen Mann auf einem Baum bemerklich, der, wie sie sagte, ein Lugaus sei, um rechtzeitig von der Annäherung eines Bootes Nachricht zu geben, obgleich die Abreise des Sergeanten erst so kürzlich geschehen war, daß nur ein unerwartetes Ereignis eine so baldige Rückkehr erwarten ließ. Es hatte nicht den Anschein, als ob man einen unmittelbaren Angriff auf das Blockhaus beabsichtige; wohl aber waren, wie June sagte, die Anzeichen vorhanden, daß es die Indianer bis zur Zurückkunft der Partei des Sergeanten im Auge behalten würden, damit nicht die Spuren eines Angriffs Pfadfinders geübten Augen einen warnenden Wink geben möchten. Des Bootes hatten sie sich jedoch versichert und es in dasselbe Gebüsch gebracht, wo die Kähne der Indianer verborgen lagen.

June teilte nun ihrer Freundin die Absicht mit, sich zu den Ihrigen zu begeben, da der Augenblick ungemein günstig war, das Blockhaus zu verlassen. Mabel fühlte einiges Mißtrauen, als sie die Leiter hinunterstiegen; aber im nächsten Augenblick schämte sie sich dieses Gefühls, weil es unbillig, gegen ihre Gefährtin und ihrer selbst unwürdig war; und als sie den Boden erreicht hatten, war das Vertrauen wieder hergestellt. Die Aufriegelung geschah mit der größten Vorsicht, und als der letzte Querbalken weggenommen werden sollte, stellte sich June so nahe wie möglich an die Stelle, wo die Tür aufgehen mußte. Dieser war kaum gelüpft und die Tür so weit geöffnet, daß man sich durchdrängen konnte, als June hinausschlüpfte, worauf Mabel unter hörbarem Herzklopfen und mit fast krampfartiger Hast den Riegel wieder vorschob. Jetzt erst fühlte sie sich wieder sicher, und die beiden anderen Balken wurden mit mehr Ruhe und Überlegung vorgelegt. Als nun die Tür fest geschlossen war, stieg sie wieder in den ersten Stock hinauf, wo sie allein einen Blick auf das, was außen vorging, werfen konnte.

Lange, schmerzlich trübe Stunden vergingen, ohne daß Mabel etwas von June erfuhr. Sie hörte das durchdringende Geschrei der Wilden, denn der Branntwein führte sie bereits über die Grenzen der Vorsicht; bisweilen warf sie durch die Schießscharten einen Blick auf die tollen Orgien, die ihr die Nähe ihrer Feinde ins Gedächtnis zurückriefen. Gegen Mittag kam es ihr vor, als sähe sie einen Weißen auf der Insel, obgleich ihn sein Anzug und sein wildes Aussehen zuerst als einen neu angekommenen Indianer erscheinen ließ. Ein Blick auf sein Gesicht jedoch, obgleich es dunkel und von der Sonne gebräunt war, ließ ihr keinen Zweifel mehr, daß ihre Vermutung richtig sei: eine erhebende Erscheinung in ihrer Lage, da sie nun einen Mann ihrer eigenen Farbe nahe wußte, dessen Beistand sie in der äußersten Not anrufen könnte. Ach, Mabel wußte nur wenig, wie gering der Einfluß der Weißen auf ihre wilden Verbündeten war, wenn diese einmal Blut gekostet hatten, oder wie wenig erstere überhaupt geneigt waren, den Grausamkeiten der Indianer Einhalt zu tun.

Der Tag kam Mabel wie ein Monat vor, und die einzigen, rascher entschwindenden Augenblicke waren die im Gebet zugebrachten Minuten. Sie nahm von Zeit zu Zeit zu diesem Trost ihre Zuflucht und fühlte sich jedesmal darauf fester, ruhiger und ergebener. Die Vermutung Junes wurde ihr immer wahrscheinlicher, und sie fing an zu glauben, daß das Blockhaus bis zur Rückkehr ihres Vaters unbelästigt bleiben würde, um ihn in einen Hinterhalt zu locken, wodurch sich ihre Besorgnis vor unmittelbarer Gefahr minderte. Aber die Zukunft gab ihr wenig Grund zur Hoffnung, und ihre Gedanken beschäftigten sich bereits mit der Wahrscheinlichkeit der Gefangenschaft.

Solange es Tag blieb, war die Lage Mabels schon hinreichend beunruhigend; als über die Schatten des Abends allmählich die Insel umfingen, wurde sie geradezu fürchterlich. Da sich die Wilden des ganzen Branntweinvorrates der Engländer bemächtigt hatten, steigerte sich ihn: Erregung nachgerade bis zur Wut, und ihr Lärmen und Toben gab ihnen das Ansehen, als ob sie von bösen Geistern besessen seien. Alle Bemühungen ihres französischen Führers, sie im Zaume zu halten, waren fruchtlos, weshalb dieser sich auch klüglich nach einem Biwak auf einer benachbarten Insel zurückgezogen hatte, um sich gegen seine so sehr zu Ausschweifungen geneigten Freunde sicherzustellen. Ehe jedoch dieser Offizier seine Stelle verließ, war es ihm, unter Gefährdung seines eigenen Lebens, gelungen, das Feuer auszulöschen und die gewöhnlichen Mittel, es wieder anzuzünden, auf die Seite zu schaffen. Er hatte diese Vorsichtsmaßregel angewandt, damit die Indianer das Blockhaus nicht verbrennen sollten, dessen Erhaltung zur Erreichung seiner künftigen Pläne nötig war. Ebensogern hätte er auch alle Waffen entfernt, was sich aber nicht ausführen ließ, da die Krieger ihre Messer und Tomahawks mit der Beharrlichkeit von Männern festhielten, die es für eine Ehrensache erachteten, sie nicht aus der Hand zu lassen, solange sie noch die Fähigkeit, sie zu führen, besaßen; auch wäre die Entfernung der Büchsen, solange man ihnen die Waffen ließ, die bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich gebraucht wurden, ein vergebliches Unternehmen gewesen. Das Auslöschen des Feuers bewährte sich als die klügste Maßregel; denn der Offizier hatte sich kaum zurückgezogen, als einer der Krieger den Vorschlag machte, das Blockhaus anzuzünden. Pfeilspitze hatte sich gleichfalls von der betrunkenen Rotte entfernt, sobald er bemerkte, daß sie ihrer Sinne nicht mehr mächtig sei, und eine Hütte aufgesucht, wo er sich auf das Stroh warf, um die Ruhe zu suchen, die ihm zwei Nächte der Schlaflosigkeit und Tätigkeit nötig gemacht hatten. Es war daher niemand unter den Indianern, der für Mabel Sorge getragen hätte, wenn sie überhaupt etwas von ihrer Anwesenheit wußten; und der Vorschlag des Trunkenbolds wurde von acht bis zehn ebenso betrunkenen und viehischen Kerlen mit gellendem Freudengeschrei aufgenommen.

Ein fürchterlicher Augenblick für Mabel! Die Indianer bekümmerten sich in ihrem gegenwärtigen Zustand wenig um die Büchsen, die sich noch im Blockhaus befinden mochten. Die dunkle Erinnerung, die ihnen noch von den lebenden Wesen, die sich darin aufhielten, geblieben war, diente als ein weiterer Sporn für ihr Vorhaben, und da sie von dem Getränk erst aufgeregt, nicht betäubt waren, so näherten sie sich dem Gebäude mit dem Geheul und den Sprüngen losgelassener Teufel. Zuerst versuchten sie es mit der Tür, indem sie in Masse gegen sie ansprengten; aber ihre Festigkeit, sie war ganz aus Baumstämmen, mußte ihre Bemühung vereiteln und wären sie hundert gewesen. Mabel wußte das freilich nicht, und ihr Herz wollte sich stets durch einen Hilferuf Luft machen, wenn sie die heftigen Stöße bei jeder neuen Anstrengung vernahm. Endlich jedoch, als sie fand, daß die Tür allen Angriffen widerstand, ohne erschüttert zu werden oder nachzugeben, und nur durch das leichte Knarren in ihren schweren Angeln verriet, daß sie ein von der Wand getrennter Teil sei, belebte sich ihr Mut wieder, und sie, ergriff den ersten günstigen Augenblick, um durch die Öffnung hinunterzusehen and womöglich den Umfang der vorhandenen Gefahr kennenzulernen. Ein Schweigen, das sie sich nicht zu erklären vermochte, steigerte ihre Neugier, denn nichts ist für jemand, der sich in der Nähe einer großen Gefahr weiß, beunruhigender als die Unmöglichkeit, ihren Gang zu verfolgen.

Mabel fand, daß zwei oder drei Irokesen die Asche durchsucht und einige glimmende Kohlen gefunden hatten, die sie zu einer Flamme anzublasen suchten. Der Eifer, mit dem sie ihr Geschäft betrieben, die Hoffnung des Gelingens ihrer verderblichen Absicht und die Macht der Gewohnheit setzten sie in den Stand, umsichtig und vereint zu handeln, solange sie ihren grausamen Zweck im Auge behielten. Ein Weißer würde an dem Versuch verzweifelt sein, aus der Asche gelesene Fünkchen zu einem Feuer anzublasen; aber diesen Kindern des Waldes standen manche Mittel zu Gebote, von denen die Zivilisation nichts weiß. Mit Hilfe einiger trockener Blätter, die allein sie zu finden wußten, brachten sie endlich eine Flamme zustande und versicherten sich des gewonnenen Vorteils, indem sie diese durch einige leichte Holzstücke unterhielten. Als Mabel sich über die Schießscharte beugte, häuften die Indianer gerade Gesträuch an der Tür auf, und da sie stehenblieb, um die weiteren Schritte zu beobachten, bemerkte sie, wie die Zweige Feuer, fingen und die Flamme von Ast zu Ast flog, bis der ganze Stoß prasselte und sich in glänzender Lohe verzehrte. Die Indianer erhoben nun ein gellendes Triumphgeschrei und kehrten zu ihren Gefährten zurück, überzeugt, daß das Werk der Zerstörung seinen Anfang genommen habe. Mabel blickte fortwährend hinunter, kaum fähig, sich von der Schwelle zu bewegen – so mächtig war der Anteil, den sie an dem Fortschreiten des Feuers nahm. Als jedoch der Holzstoß durchaus in Glut stand, hoben sich die Flammen so weit, daß sie ihr die Augenbrauen sengten und sie zum Rückzug zwangen. Sie hatte kaum die entgegengesetzte Seite des Raumes, zu der sie sich in ihrer Angst geflüchtet, erreicht, als durch die Öffnung der Schießscharte, die sie zu schließen vergessen, ein Feuerstrahl heraufschoß und das unscheinbare Gemach mit Mabel und ihrer Trostlosigkeit beleuchtete. Sie mußte nun natürlich denken, ihre letzte Stunde sei gekommen, denn die Tür, der einzige Weg zur Flucht, war mit höllischem Scharfsinn durch das brennende Gestrüpp verrammelt worden; und zum letztenmal, wie sie glaubte, richtete sie ihr Gebet an ihren Schöpfer. Ihre Augen waren geschlossen, und ihr Geist schien mehr als eine Minute abwesend; aber der Lebenswille kämpfte noch zu heftig in ihrer Seele, um ganz unterdrückt werden zu können, und als sie unwillkürlich die Augen aufschlug, wurde sie nicht mehr durch den Flammenstrom geblendet, obgleich das Holz rund um die kleine Öffnung gloste und das Feuer unter dem Einfluß eines aufgesaugten Luftstoßes langsam aufflackerte. Eine Tonne mit Wasser stand in einer Ecke, und Mabel griff mehr instinktartig als mit voller Besinnung nach einem Gefäß, füllte es und goß es mit zitternder Hand über das Holz, wodurch es ihr gelang, an dieser Stelle die Flamme zu löschen. Sie konnte wegen des Rauches einige Minuten lang nicht hinuntersehen; als ihr aber dies möglich wurde, klopfte ihr Herz hoch auf vor Freude und Hoffnung, denn der brennende Holzstoß war übereinandergestürzt und zerstreut, und über die Holzstämme der Tür war Wasser gegossen worden, so daß sie wohl noch rauchten, aber nicht brannten.

»Wer ist da?« rief Mabel durch die Öffnung hinunter. »Welche freundliche Hand hat mir die gütige Vorsehung zum Beistand gesendet?«

Man hörte unten einen leichten Fußtritt und einige schwache Schläge an der Tür, die kaum die Angeln ertönen ließen.

»Wer begehrt Einlaß? Seid Ihr es, lieber Onkel?«

»Salzwasser nicht hier. Sankt Lorenzo süß Wasser«, war die Antwort. »Öffnen schnell, müssen hinein.«

Mabels Tritt war nie leichter und ihre Bewegungen nie schneller und natürlicher, als wie sie die Leiter hinunterstieg und die Balken von der Tür nahm; doch trug ihr ganzes Benehmen das Gepräge des Ernstes und der Hast. Die ganze Zeit dachte sie nur an ihre Flucht, und sie öffnete die Tür mit einer Eile, die keine Vorsicht erlaubte. Ihr erster Gedanke war, ins Freie zu eilen, damit sie nur aus dem Blockhaus käme, aber June verhinderte diesen Versuch und legte, sobald sie eingetreten war, wieder ruhig die Riegel vor, ehe sie auf Mabels Bemühungen, sie zu umarmen, achtete.

»Gott segne dich! Gott segne dich, June!« rief das Mädchen mit Inbrunst. »Die Vorsehung hat dich mir als Schutzengel gesendet!«

»Nicht umfassen so fest«, antwortete das Tuscaroraweib. »Bleichgesichtsweib ganz weinen oder ganz lachen. Laß June schließen Türe.«

Mabel kam ein wenig zur Besinnung, und in wenigen Minuten befanden sich die beiden wieder in dem oberen Raum. Sie saßen Hand in Hand beisammen, und die Gefühle des Mißtrauens und der Eifersucht waren auf der einen Seite durch das Bewußtsein empfangener, auf der andern durch die Erinnerung an erwiesene Gunst zum Schweigen gebracht. »Nun sag mir, June«, begann Mabel, »hast du was von meinem Onkel gesehen oder gehört?«

»Nicht weiß. Niemand sehen ihn, niemand hören ihn, niemand wissen was. Salzwasser in Fluß laufen, denk‘ ich, denn ich nicht finden ihn. Ich schauen und schauen und schauen, aber nicht sehen sie; nicht einen, richt andern, nicht wo.«

»Gott sei gelobt! Sie müssen entkommen sein, obgleich wir nicht wissen, wie. Es kam mir vor, als ob ich einen Franzosen auf der Insel gesehen hätte, June?«

»Ja; französisch Kapitän kommen, aber auch wieder fort sein. Viel Indianer auf der Insel.«

»Oh! June, June, gibt es kein Mittel, meinen lieben Vater aus den Händen seiner Feinde zu retten?«

»Nicht weiß! denk, daß Krieger warten in Hinterhalt, und Yengeese müssen verlieren Skalp.«

»Gewiß, gewiß, June, kannst du, die du soviel für die Tochter getan hast, mir nicht verweigern, auch dem Vater zu helfen?«

»Nicht kennen Vater, nicht lieben Vater. June helfen eigenem Volk, helfen Pfeilspitze – Mann lieben Skalp.«

»June, nimmer kann ich das von dir glauben. Nein, ich kann, ich will nicht glauben, daß du unsere Leute ermordet sehen möchtest.«

June richtete ihr dunkles Auge ruhig auf Mabel, und einen Moment wurde ihr Blick ernst, obgleich er bald wieder den Ausdruck einer schwermütigen Teilnahme gewann.

»Lily, Yengeese Mädchen?« fragte sie.

»Gewiß, und als ein Yengeesemädchen möcht‘ ich meine Landsleute von der Schlachtbank retten.«

»Sehr gut, wenn können. June nicht Yengeese, June Tuscarora haben Tuscarora-Mann – Tuscarora-Herz – Tuscarora-Gefühl ganz und gar Tuscarora. Lily wird nicht gehen und sagen Franzosen, daß ihr Vater wird kommen, zu gewinnen Sieg?«

»Vielleicht nicht, erwiderte Mabel und drückte die Hand gegen das wirre Gehirn; »vielleicht nicht, aber du dienst mir, hilfst mir, hast mich gerettet, June! Warum hast du das getan, wenn du nur wie eine Tuscarora fühlst?«

»Nicht allein fühlen wie Tuscarora, fühlen als Mädchen, fühlen als Weib. Lieben schöne Lily und in Busen tragen.«

Mabel zerfloß in Tränen und drückte das liebevolle Geschöpf an ihr Herz. Es dauerte eine Minute, bis sie weitersprechen konnte; dann fuhr sie aber mit mehr Ruhe und Zusammenhang fort:

»Laß mich das Schlimmste wissen, June«, sagte sie. »Heute nacht tun sich deine Leute gütlich, was haben sie morgen vor?«

»Weiß nicht; fürchten, zu sehen Pfeilspitze; fürchten zu fragen; glauben, verstecken, bis Yengeese kommen zurück.«

»Werden sie keinen neuen Versuch gegen das Blockhaus machen? Du hast gesehen, wie fürchterlich sie sein können, wenn sie wollen.«

»Zuviel Rum. Pfeilspitze schlafen, oder nicht wagen. Französisch Kapitän sein weg, oder nicht wagen. Alles gehen zu schlafen nun.«

»Und du glaubst, daß ich wenigstens für diese Nacht sicher bin?«

»Zuviel Rum. Wenn Lily wie June, könnte tun viel für ihr Volk.«

»Ich bin wie du, June, wenn der Wunsch, meinen Landsleuten zu dienen, mich einem so mutigen Mädchen gleichstellen kann.«

»Nein, nein, nein«, murmelte June leise vor sich hin; »nicht haben Herz, und wenn haben, June nicht lassen dich. Junes Mutter einmal gefangen, und Krieger sein trunken; Mutter alle tomahawken. So Rothautweiber tun, wenn Leute in Gefahr und brauchen Skalp.«

»Du hast recht«, erwiderte Mabel mit Schaudern, indem sie unwillkürlich Junes Hand fallen ließ. »So etwas könnte ich nicht tun. Ich hab‘ weder die Kraft noch den Mut, noch den Willen, meine Hände in Blut zu tauchen.«

»Denken das auch; – dann bleiben, wo du sein – Blockhaus gut – nicht kriegen Skalp.«

»Du glaubst also, daß ich hier sicher sein werde, wenigstens bis, mein Vater und seine Leute zurückkehren?«

»Wissen das. Nicht dürfen anrühren Blockhaus morgen. Horch! Alles nun still – trinken Rum, bis Kopf fallen nieder, und schlafen wie Klotz.«

»Könnte ich nicht entkommen? Sind nicht einige Kähne an der Insel? – Könnte ich nicht einen davon nehmen und meinem Vater entgegengehen, um ihm mitzuteilen, was hier vorgegangen ist?«

»Wissen, wie zu rudern?« fragte June mit einem verstohlenen Blick auf Mabel.

»Nicht so gut wie du vielleicht; aber gut genug, um vor Tagesanbruch deinen Leuten aus dem Gesicht zu sein.«

»Was tun dann? – Nicht können rudern sechs – zehn – acht Meilen!«

»Ich weiß das nicht; ich würde viel können, um meinem Vater, dem wackeren Pfadfinder und den übrigen einen Wink von der Gefahr zu geben, in der sie sich befinden.«

»Lieben Pfadfinder?«

»Wer ihn kennt, liebt ihn; – auch du müßtest ihn lieben, wenn du sein Herz kennen würdest.«

»Nicht ihn lieben, gar nicht. Zu gut Büchse – zu gut Auge – zuviel schießen Irokesen und Junes Volk. Kriegen müssen sein Skalp, wenn können.«

»Und ich muß ihn retten, wenn ich kann, June. In dieser Beziehung also sind wir Gegnerinnen. Ich will, solange sie noch schlafen, einen Kahn aufsuchen und die Insel verlassen.«

»Nicht können – June dürfen nicht lassen dich. Rufen Pfeilspitze.«

»June, du wirst mich nicht verraten; du kannst mich nicht preisgeben, nach allem, was du schon für mich getan hast!«

»Gerade so«, erwiderte June, indem sie die Hand rückwärts bewegte, und mit einer Wärme und einem Ernst sprach, die Mabel nie zuvor an ihr bemerkt hatte. »Rufen Pfeilspitze mit lauter Stimme. Ein Ruf von Weib wecken Krieger auf. June nicht lassen Lily helfen Feind – nicht lassen Indianer verletzen Lily.«

»Ich verstehe dich, June, und fühle das Natürliche und Gerechte deiner Gefühle; und im Grunde ist’s doch besser, daß ich hier bleibe, denn ich hab‘ sehr wahrscheinlich meine Kräfte überschätzt. Aber sage mir nur noch eins: Wenn mein Onkel in der Nacht kommt und um Einlaß bittet, so wirst du mich doch die Tür des Blockhauses öffnen lassen, daß er herein kann?«

»Gewiß – er gefangen hier, und June lieben Gefangenen mehr als Skalp; Skalp gut für Ehre, Gefangener gut für Gefühl. Aber Salzwasser so gut verborgen; er selbst nicht wissen, wo er sein.«

June lachte dabei in mädchenhafter, lustiger Weise, denn sie war mit Szenen der Gewalt zu vertraut, um diese Eindrücke so tief zu Herzen zu nehmen, daß sie ihr Naturell geändert hätten. Es folgte nun eine lange and lebhafte Unterhaltung, in der sich Mabel bemühte, ihre gegenwärtige Lage genauer kennenzulernen, und sich der schwachen Hoffnung hingab, es möchten sich einige der Tatsachen, die sie auf diesem Wege erfuhr, zu ihrem Vorteil wenden lassen. June beantwortete ihre Fragen einfach, aber mit Vorsicht, da sie recht gut zwischen dem, was unwesentlich war, und zwischen dem, was die Sicherheit oder die weiteren Schritte ihrer Freunde gefährden konnte zu unterscheiden wußte. Mabel erfuhr ungefähr folgendes:

Pfeilspitze, auch Arrowhead genannt, stand schon lange mit den Franzosen in Verbindung, obgleich dieses die erste Gelegenheit war, bei der er seine Maske ganz ablegte. Da er, zumal bei dem Pfadfinder, Spuren des Mißtrauens bemerkt hatte, so wagte er sich nicht mehr unter die Engländer, und mit indianischer Prahlerei wollte er nun lieber seine Verräterei zur Schau tragen als sie verbergen. Er hatte den Kriegerhaufen bei dem Angriff auf die Insel unter der Oberaufsicht des bereits erwähnten Franzosen angeführt; aber June lehnte es ab, Auskunft darüber zu geben, ob er auch das Mittel zur Entdeckung der Lage dieses Platzes geworden sei, den man den Blicken des Feindes so sehr entzogen gewähnt, obgleich sie zugestand, daß sie und ihr Gatte seit der Abreise des Scud den Kutter im Auge behalten hätten, bis sie von ihm überholt und genommen worden seien. Die Franzosen hatten erst in der neuesten Zeit genaue Mitteilungen über die wahre Lage der Station erhalten, und Mabel fühlte einen Stich durchs Herz, als sie aus den versteckten Anspielungen der Indianerin entnehmen zu müssen glaubte, daß diese Mitteilung von einem unter Duncan of Lundie stehenden Bleichgesicht herrühre. Dies war jedoch eher angedeutet als ausgesprochen, und sobald Mabel Zeit hatte, über die Worte ihrer Gefährtin nachzudenken und sich zu erinnern, wie kurz und abgemessen sie in ihrer Ausdrucksweise war, gab sie der Hoffnung wieder Raum, daß sie dies unrecht verstanden habe und daß sich Jasper Western als vollkommen gerechtfertigt aus diese Sache ziehen werde.

June zögerte nicht, zu bekennen, daß sie auf die Insel gesandt worden sei, um über die Anzahl und das Treiben derer, die darauf geblieben waren, genaue Nachricht einzuziehen, obgleich sie auch in ihrer naiven Weise verriet, daß sie hauptsächlich durch den Wunsch, Mabel zu dienen, veranlaßt worden sei, sich zu diesem Geschäft brauchen zu lassen. Infolge ihrer und anderweitiger Mitteilungen kannte der Feind die Macht genau, die gegen ihn aufgebracht werden konnte; auch wußten sie, mit wieviel Mannschaft und mit welcher Absicht Sergeant Dunham ausgezogen war, obgleich es ihnen unbekannt blieb, an welcher Stelle er die französischen Boote zu treffen hoffte. June war bei ihren Enthüllungen ebenso begierig zu erfahren, wo der Sergeant hingegangen sei und wann er zurückkehren werde, wie Mabel in betreff anderer Punkte; aber June enthielt sich mit einem Zartgefühl, das dem zivilisiertesten Volke Ehre gemacht hätte, jeder Frage und versuchte auch keinen andern Weg, der mittelbaren Aufschluß über diese ihr so wichtige Angelegenheit herbeizuführen vermochte, obgleich sie mit fast atemloser Aufmerksamkeit horchte, wenn Mabel in ihrer eigenen Erzählung einen Umstand berührte, der möglicherweise ein Licht hätte auf die Sache werfen können.

In dieser Weise entschwanden den beiden die Stunden unbeachtet, denn jede war zu sehr beteiligt, um an Ruhe zu denken. Doch forderte gegen Morgen die Natur ihre Rechte, und Mabel ließ sich überreden, sich auf eines der für die Soldaten bestimmten Strohlager zu legen, wo sie bald in einen tiefen Schlaf verfiel. June nahm an ihrer Seite Platz. Auf der ganzen Insel herrschte eine Ruhe, als ob der Bereich des Waldes nie durch menschlichen Fußtritt gestört worden sei.

Als Mabel erwachte, strömte das Licht der Sonne durch die Schießscharten, und sie fand, daß der Tag bereits beträchtlich vorgerückt war. June lag noch neben ihr und schlief so sanft und tief, als ob sie die Sorge gar nicht kenne. Trotzdem weckten Mabels Bewegungen die an Wachsamkeit gewöhnte Indianerin bald, und beide verschafften sich nun durch die Schießscharten einen Überblick über das, was um sie her vorging.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Die Ruhe der vergangenen Nacht stand in keinem Widerspruch mit den Bewegungen des Tages. Obgleich Mabel und June an allen Schießscharten herumgingen, ließ sich doch, mit Ausnahme ihrer selbst, kein lebendes Wesen auf der ganzen Insel entdecken. An der Stelle, wo M’Nab und seine Kameraden gekocht hatten, befand sich ein halberloschenes Feuer, als ob der Rauch, der sich in die Höhe ringelte, die Absicht hätte, die Abwesenden anzulocken; und ringsumher waren die Hütten wieder in ihren früheren Zustand versetzt worden. Mabel fuhr unwillkürlich zusammen, als ihr Auge auf eine Gruppe von drei Männern in den Scharlachröcken des fünfundfünfzigsten Regiments fiel, die in nachlässiger Stellung im Grase saßen, als ob sie in sorgloser Sicherheit miteinander plauderten; aber ihr Blut erstarrte, als sie bei einem zweiten Blick die farblosen Gesichter und die gläsernen Augen der Toten erkannte. Sie saßen ganz in der Nähe des Blockhauses, und zwar so nahe, daß sie dem ersten Blick auffallen mußten; auch lag, da man ihre starren Glieder in verschiedene, das Leben nachahmende Lagen gebracht hatte, eine so spöttische Leichtfertigkeit in ihren Stellungen und Gebärden, daß sich die Seele darüber empörte. So schrecklich übrigens diese Gruppe jedem sein möchte, der nahe genug war, um den schreienden Kontrast zwischen Schein und Wesen zu entdecken – die Täuschung war doch mit so viel Kunst ausgeführt, daß sie einen oberflächlichen Beobachter auf eine Entfernung von hundert Ellen irreleiten konnte. Nach einer sorgfältigen Untersuchung der Ufer machte June ihre Gefährtin auf einen vierten Soldaten aufmerksam, der, an einem Baum gelehnt, mit überhängenden Füßen am Wasser saß, und eine Angelrute in der Hand hielt. Die skalplosen Köpfe waren mit Mützen bedeckt, und alle Spuren von Blut vorsichtig von den Gesichtern gewaschen.

Mabel wurde fast ohnmächtig bei diesem Anblick, der nicht nur allen ihren Begriffen von Schicklichkeit zuwiderlief, sondern auch an sich so empörend und allen menschlichen Gefühlen entgegen war. Sie sank auf einen Stuhl und verbarg das Antlitz einige Minuten in ihrem Gewand, bis sie ein leiser Ruf von June wieder an die Schießscharten zog. June zeigte ihr nun den Körper von Jennie, die in einer vorwärts gebeugten Stellung, als ob sie auf die Gruppe der Männer sähe, in der Tür einer Hütte zu stehen schien, indes ihre Haube in dem Winde flatterte, und ihre Hand einen Besen hielt. Die Entfernung war zu groß, um die Züge genau zu unterscheiden; aber es kam Mabel so vor, die Kinnlade sei niedergedrückt und der Mund zu einem entsetzlichen Lachen verzogen.

»June! June!« rief sie aus, »das übersteigt alles, was ich je von der Verräterei und der List deines Volkes gehört oder für möglich gehalten habe.«

»Tuscarora sehr schlau«, sagte June in einem Ton, der den Gebrauch, der von den Leichnamen gemacht worden, mehr zu billigen als zu verwerfen schien. »Soldaten tun nichts Leid nun; tun Irokesen gut; kriegen Skalp zuerst; nun machen Tote helfen. Dann sie verbrennen.«

Aus diesen Worten wurde Mabel klar, wie sehr der Charakter ihrer Gefährtin von dem ihrigen verschieden war, und es vergingen einige Minuten, ehe sie die Indianerin wieder anzureden vermochte. Aber diese vorübergehende Anwandlung von Widerwillen war bei June verloren, denn sie schickte sich zur Bereitung ihres einfachen Frühstücks an, wobei ihr ganzes Benehmen bewies, wie unempfindlich sie bei anderen gegen Gefühle war, die sie ihre Erziehung abzulegen gelehrt hatte. Mabel genoß nur weniges, während ihre Gefährtin aß, als ob gar nichts vorgefallen sei. Dann überließen sie sich wieder ihren Gedanken oder setzten ihre Untersuchungen durch die Schießscharten fort. Mabel brannte zwar von fieberischem Verlangen, stets an diesen Öffnungen zu sein; aber sie trat selten davor, ohne sich mit Widerwillen abzuwenden, obgleich ihre Angst sie nach einigen Minuten wieder dahin zurückführte, wenn sie ein Geräusch vernahm, mochte es auch nur das Rauschen der Blätter oder das Seufzen des Windes sein. Es war in der Tat etwas feierlich Ergreifendes, diesen verlassenen Ort von Toten in der Kleidung des Lebens und in der Stellung sorgloser Heiterkeit oder rohen Vergnügens bevölkert zu sehen. Diesen ganzen Tag über, der Mabel kein Ende zu nehmen schien, ließ sich weder ein Indianer noch ein Franzose blicken, und die Nacht senkte sich allmählich über diese schweigende Maskerade mit der unabänderlichen Stetigkeit, mit der die Erde ihren Gesetzen folgt, ohne sich um das kleinliche Treiben der Menschen zu kümmern. Die Nacht war weit ruhiger als die vorhergehende, und Mabel schlief mit neuer Zuversicht, denn sie fühlte sich nun überzeugt, daß sich ihr Schicksal nicht vor der Zurückkunft ihres Vaters entscheiden würde. Er wurde jedoch schon am folgenden Tag erwartet. Als Mabel erwachte, eilte sie hastig zu den Schießscharten, um über den Stand des Wetters, das Aussehen des Himmels und über die Verhältnisse auf der Insel Erkundigung einzuziehen. Da saß noch die furchtbare Gruppe im Gras; der Fischer beugte sich noch über das Wasser, als ob er lebhaft auf seinen Fang erpicht sei, und das Gesicht Jennies glotzte in schrecklicher Verzerrung aus der Hütte. Aber das Wetter hatte sich geändert. Der Wind blies steif aus Süden, und obgleich hell, war die Luft doch mit den Anzeichen des Sturmes erfüllt.

»Es wird mir immer unerträglicher, June«, sagte Mabel, als sie die Öffnung verließ. »Ich wollte lieber den Feind sehen, als stets diese schreckliche Heerschau des Todes vor Augen haben.«

»Still! da sie kommen. June denken hören einen Schrei, wie Krieger rufen, wenn er nehmen einen Skalp.«

»Was meinst du? Es gibt nichts mehr zu schlachten! – es kann nichts mehr geben!«

»Salzwasser!« rief June lachend, indem sie durch die Schießscharte blickte.

»Mein Onkel! Gott sei Dank! Er lebt also! O June, June, du wirst ihm doch kein Leid tun lassen?«

»June arme Squaw. Was Krieger denken von was ich sagen? Pfeilspitze bringen ihn her.«

Mabel stand an einer Schießscharte und sah deutlich genug Cap und den Quartiermeister in den Händen von acht oder zehn Indianern, die jene zum Fuß des Blockhauses führten; denn da sie nunmehr gefangen waren, sah der Feind wohl ein, daß sich kein Mann in diesem Gebäude befinden könne. Mabel wagte kaum zu atmen, bis der ganze Trupp unmittelbar vor der Tür stand, wo sie dann zu ihrer großen Freude bemerkte, daß der französische Offizier unter ihnen war. Es folgte nun eine kurze Besprechung, die Pfeilspitze und der weiße Führer mit den Gefangenen hielt, worauf der Quartiermeister mit vernehmlicher Stimme unserer Heldin zurief:

»Schöne Mabel! Schöne Mabel!« sagte er, »blicken Sie aus einer Ihrer Schießscharten auf uns herunter, und haben Sie Mitleid mit unserer Lage. Wir sind mit augenblicklichem Tod bedroht, wenn Sie nicht den Siegern die Tür öffnen. Lassen Sie sich also erweichen, sonst tragen wir unsere Skalpe keine halbe Stunde mehr von diesem gesegneten Augenblick an.«

Mabel kam es vor, als ob Spott und Leichtfertigkeit in diesem Aufruf liege, ein Benehmen, das mehr dazu diente, ihren Entschluß, den Platz so lange wie möglich zu halten, zu befestigen als zu entkräften.

»Sprecht Ihr zu mir, Onkel«, rief sie durch die Schießscharte »und sagt mir, was ich tun soll.«

»Gott sei Dank! Gott sei Dank!« entgegnete Cap; »der Ton deiner Stimme, Magnet, nimmt mir eine schwere Last vom Herzen; denn ich fürchtete, du habest das Los der armen Jennie geteilt. Es lag mir in den letzten vierundzwanzig Stunden auf der Brust, als ob man eine Tonne Blockeisen darauf verstaut hätte. Du fragst mich, was du tun sollst, Kind, und ich weiß nicht, was ich dir raten soll, obgleich du meiner Schwester Tochter bist. Armes Mädchen! Alles, was ich dir jetzt sagen kann, ist, daß ich vom Grunde meines Herzens den Tag verwünsche, an dem wir beide jemals diesen Frischwasserstreifen gesehen haben.«

»Aber, Onkel, wenn Euer Leben in Gefahr ist – meint Ihr, ich solle die Tür öffnen?«

»Ein runder Schlag und zwei Timmerstiche machen einen festen Beleg; und ich würde niemand raten, der außer dem Bereich dieser Teufel ist, was zu entriegeln oder aufzumachen, um in ihre Hände zu fallen. Was den Quartiermeister und mich anbelangt, so sind wir beide ältliche Leute und für die Menschheit von keiner besonderen Bedeutung, wie der ehrliche Pfadfinder sagen würde; es kann jenem daher keinen großen Unterschied ausmachen, ob er seine Zahlungslisten in diesem oder dem nächsten Jahre ausgleicht, und was mich anlangt, ja, wenn ich auf hoher See an Bord wäre, so wüßt‘ ich wohl, was ich zu tun hätte, aber hier oben, in dieser wässerigen Wildnis, kann ich nur sagen, daß ein gutes Stück indianischer Logik dazu gehören würde, mich aus einem solchen bißchen Bollwerk, wenn ich dahinter wäre, ‚rauszukriegen.«

»Sie werden nicht auf alles, was Ihr Onkel sagt, achten«, warf Muir ein, »denn das Unglück hat ihm augenscheinlich den Kopf verwirrt, so daß er nicht imstande ist, das einzusehen, was im gegenwärtigen Augenblick nottut. Wir sind hier in den Händen sehr umsichtiger und achtenswerter Personen, wie man erkennen muß, und wir haben wenig Ursache, irgendeine mißliebige Gewalt zu befürchten. Die Zufälle, die sich ereignet haben, sind in einem Krieg gewöhnlich und können unsere Gefühle gegen den Feind nicht ändern, denn dieser ist weit entfernt, die Absicht an den Tag zu legen, daß den Gefangenen irgendein Leid zugefügt werde. Ich bin überzeugt, daß Meister Cap so wenig wie ich Ursache hat, sich zu beklagen, denn wir haben uns selbst Meister Pfeilspitze ausgeliefert, der mich durch seine Tugenden und seine Mäßigung an die Römer oder Spartaner erinnert; es wird Ihnen aber bekannt sein, daß die Gebräuche verschieden sind und daß unsere Skalpe als gesetzliche Opfer genommen werden können, um die Manen gefallener Feinde zu sühnen, wenn Sie sie nicht durch Kapitulation retten.«

»Ich werde besser tun, in dem Blockhaus zu bleiben, bis das Schicksal der Insel entschieden ist«, erwiderte Mabel. »Unsere Feinde können mich wenig bekümmern, da sie wissen, daß ich ihnen keinen Schaden zufügen kann. Ich halte es daher für mein Geschlecht und für mein Alter weit passender, hier zu bleiben.«

»Wenn es sich hier bloß um das, was für Sie passend ist, handelte, Mabel, so würden wir uns alle gern Ihren Wünschen fügen; aber diese Herren glauben, daß das Blockhaus für ihre Operationen sehr günstig sei, und haben daher ein großes Verlangen, es in ihre Gewalt zu kriegen. Offen gesprochen, ich und Ihr Onkel sind in einer eigentümlichen Lage, und ich habe, um üblen Folgen vorzubeugen, als Offizier in Seiner Majestät Diensten eine Verbal-Kapitulation abgeschlossen, in der ich mich verpflichtete, das Blockhaus und die ganze Insel zu übergeben. Das ist das Los des Krieges, und man muß sich ihm unterwerfen, öffnen Sie also ohne Aufschub die Tür, schöne Mabel, und vertrauen Sie sich der Sorgfalt derer an, die wohl wissen, wie sie Schönheit und Tugend im Unglück zu behandeln haben. Kein Höfling in Schottland ist gefälliger und mehr mit den Gesetzen des Anstandes vertraut als dieser Häuptling.«

»Nicht verlassen Blockhaus«, flüsterte June, die an Mabels Seite die Vorgänge aufmerksam beobachtete. »Blockhaus gut – kriegen nicht Skalp.«

Ohne diese Aufmunterung hätte Mabel vielleicht nachgegeben, denn es leuchtete ihr nachgerade ein, daß es wohl das beste sein dürfte, den Feind durch Zugeständnisse zu gewinnen, statt ihn durch Widerstand zu erbittern. Muir und Cap befanden sich in den Händen der Indianer, denen es bekannt war, daß sich kein Mann in dem Gebäude aufhalte, weshalb sie sich vorstellte, die Wilden würden aufs neue die Tür berennen oder sich mit den Äxten einen Weg durch die Stämme bahnen, wenn ein friedlicher Einlaß jetzt hartnäckig verweigert würde, wo kein Grund mehr vorhanden war, ihre Büchsen zu fürchten. Aber Junes Worte veranlaßten sie, innezuhalten, und ein ernster Händedruck, ein bittender Blick ihrer Gefährtin befestigten ihren Entschluß.

»Nicht gefangen noch«, flüsterte June, »laß sie machen gefangen, ehe sie nehmen gefangen – sprechen groß; June sie weisen.«

Mabel begann nun entschlossener mit Muir zu sprechen und erklärte ihm offen, daß es nicht ihre Absicht sei, das Gebäude zu übergeben.

»Sie vergessen die Kapitulation, Miss Mabel«, sagte Muir, »die Ehre eines von Seiner Majestät Dienern ist dabei beteiligt, und die Ehre Seiner Majestät durch diesen Diener. Sie wissen, was es mit der militärischen Ehre für eine zarte, empfindliche Bewandtnis hat?«

»Ich weiß genug, Herr Muir, um einzusehen, daß Sie bei dieser Expedition kein Kommando und deshalb auch kein Recht haben, das Blockhaus auszuliefern; und ich erinnere mich noch obendrein, von meinem Vater gehört zu haben, daß ein Gefangener für die ganze Zeit der Gefangenschaft seine Machtvollkommenheit verliere.«

»Lauter Spitzfindigkeit, schöne Mabel – Verrat gegen den König, Beschimpfung seiner Offiziere und Schmähung seines Namens. Sie werden nicht auf Ihrer Absicht bestehen, wenn Ihr besseres Urteil Muße gehabt hat, nachzudenken und auf die Verhältnisse und Umstände Rücksicht zu nehmen.«

»Ja«, seufzte Cap, »das ist ein Umstand, hol‘ ihn der Henker!«

»Kein Sinn haben, was Onkel sagt«, bemerkte June, die sich in einer Ecke des Zimmers beschäftigte. »Blockhaus gut – kriegen nicht Skalp.«

»Ich werde bleiben, wo ich bin, Herr Muir, bis Nachrichten von meinem Vater eingehen. Er wird im Laufe der nächsten zehn Tage zurückkommen.«

»Ach! Mabel; diese List wird die Feinde nicht täuschen, denn sie sind durch Mittel, die unbegreiflich scheinen würden, wenn nicht ein unabweisbarer Verdacht auf einem unglücklichen jungen Mann haftete – sie sind also von allen unsern Bewegungen und Plänen in Kenntnis gesetzt und wissen wohl, daß, ehe noch die Sonne niedergeht, der würdige Sergeant mit allen seinen Leuten in ihrer Gewalt sein wird. Geben Sie nach! Unterwerfung unter die Beschlüsse der Vorsehung ist Christenpflicht.«

»Herr Muir, Sie scheinen über die Stärke dieses Werkes im Irrtum zu sein und es für schwächer zu halten, als es ist. Wollen Sie sehen, was ich zu seiner Verteidigung tun kann, wenn ich will?«

»Ich will’s meinen, daß ich das sehen möchte«, antwortete der Quartiermeister, der immer in seinen schottischen Dialekt verfiel, wenn ihn etwas lebhaft beschäftigte.

»Was halten Sie von dem? Sehen Sie auf die Schießscharte im obern Stock.«

Auf diese Worte richteten sich aller Augen nach oben und erblickten die Mündung einer Büchse, die vorsichtig durch eine Öffnung geschoben wurde, denn June hatte wieder zu einem Kunstgriff Zuflucht genommen, den sie schon einmal mit gutem Erfolg angewendet hatte. Das Resultat entsprach ganz der Erwartung; denn kaum hatten die Indianer diese verhängnisvolle Waffe zu Gesicht bekommen, als sie sich aus dem Staube machten, und in weniger als einer Minute hatte jeder sein Versteck aufgefunden. Der französische Offizier blickte auf den Lauf des Gewehres, um sich zu überzeugen, daß es nicht auf ihn gerichtet sei, und nahm kaltblütig eine Prise Tabak, während Cap und Muir, die von dieser Seite aus nichts zu befürchten hatten, ruhig stehenblieben.

»Seien Sie klug, meine schöne Mabel, seien Sie klug!« rief Muir, »und veranlassen Sie keinen nutzlosen Zwist. Im Namen aller Könige von Albion, wen haben Sie in diesem hölzernen Turm bei sich eingeschlossen, der es so sehr auf Blut abgesehen zu haben scheint? Da steckt Zauberei dahinter, und unsere ganze Reputation hängt von dieser Entwicklung ab.«

»Was halten Sie von dem Pfadfinder, Herr Muir, als Besatzung für einen so starken Posten?« rief Mabel, indem sie zu einem Doppelsinn ihre Zuflucht nahm, den die Umstände sehr entschuldbar machten. »Was werden ihre französischen und indianischen Kameraden von einem Ziel für Pfadfinders Büchse halten?«

»Gehen Sie glimpflich um mit dem Unglück, schöne Mabel, und vermischen Sie nicht die Diener des Königs – der Himmel segne ihn und das ganze königliche Haus – mit des Königs Feinden. Wenn Pfadfinder wirklich im Blockhaus ist, so mag er sprechen. Wir wollen dann unsere Unterhandlungen unmittelbar mit ihm abmachen. Er kennt uns als Freunde, und wir fürchten nichts Schlimmes von seiner Hand, am allerwenigsten aber ich; denn eine edle Seele ist ganz geeignet, Nebenbuhlerschaft in einem gewissen Interesse zu einer sichern Grundlage der Achtung und Freundschaft zu machen, zumal da Bewunderung des nämlichen weiblichen Gegenstandes eine Gleichheit der Gefühle und des Geschmacks beweist.«

Das Vertrauen auf Pfadfinders Freundschaft erstreckte sich jedoch nicht weiter als auf den Quartiermeister und Cap; denn selbst der französische Offizier, der sich bisher nicht von der Stelle gerührt hatte, schrak zurück bei dem Klange dieses gefürchteten Namens. In der Tat schien er, obgleich ein Mann von eisernen Nerven und durch lange Jahre an die Gefahren des Indianerkriegs gewöhnt, sich nicht den Kugeln des Wildtodes aussetzen zu wollen, dessen Ruf an der ganzen Grenze so wohlbegründet war wie der von Marlborough in Europa; und er verschmähte es nicht, gleichfalls ein Versteck zu suchen, wobei er darauf bestand, daß ihm seine beiden Gefangenen folgen sollten. Mabel war zu sehr erfreut, ihre Feinde losgeworden zu sein, als daß sie die Entfernung beklagt hätte, obgleich sie Cap durch die Schießscharte eine Kußhand zuwarf und ihm einige Worte der Liebe nachrief, als er sich zögernd und ungern entfernte.

Der Feind schien nun geneigt, alle Versuche auf das Blockhaus für den Augenblick aufzugeben, und June, die durch die eine Falltür auf das Dach gestiegen war, wo sie alles am besten übersehen konnte, berichtete, daß sich der ganze Trupp in einem abgelegenen und geschützten Teil der Insel zum Essen versammelt hätte, wobei Cap und Muir so ruhig an dem Mahl teilnähmen, als ob sie aller Sorge ledig seien. Diese Mitteilung beruhigte Mabel, und sie begann wieder an die Mittel zu denken, um ihre Flucht zu bewerkstelligen oder ihren Vater vor der Gefahr, die seiner wartete, zu warnen. Die Rückkehr des Sergeanten wurde diesen Nachmittag erwartet, und sie wußte, daß ein gewonnener oder verlorener Augenblick über sein Schicksal entscheiden konnte.

Drei oder vier Stunden entschwanden. Die Insel war wieder in tiefe Ruhe versenkt. Der Tag neigte sich, und noch hatte Mabel keinen Entschluß gefaßt. June bereitete im untersten Raum das einfache Abendessen, und Mabel war selbst auf das Dach gestiegen, das mit einer Falltür versehen war. Durch diese konnte sie in den Giebel des Gebäudes gelangen, von wo aus sich die weiteste Aussicht bot, obgleich diese immer noch beschränkt und häufig durch die Gipfel der Bäume eingeengt war. Das ängstliche Mädchen wagte es nicht, sich sehen zu lassen, denn sie konnte nicht wissen, ob nicht ungezügelte Leidenschaft einen Wilden veranlassen möchte, ihr eine Kugel durchs Hirn zu jagen. Sie erhob daher nur ihren Kopf über die Falltür, von wo aus sie im Laufe des Nachmittags ihre Augen über die verschiedenen Kanäle um die Insel die Runde machen ließ.

Die Sonne war nun wirklich untergegangen. Von den Booten hatte sich nichts sehen lassen und Mabel stieg aufs Dach, um den letzten Blick auszusenden in der Hoffnung, daß ihre Leute in der Dunkelheit ankommen sollten, wodurch die Indianer wenigstens verhindert würden, ihren Hinterhalt so gefährlich zu machen, wie dies unter andern Umständen der Fall gewesen wäre. Sie wurde hierdurch in den Stand gesetzt, mittelst Feuers ein so augenfälliges Warnungszeichen zu geben, wie es eben in ihrer Macht stand. Ihr Auge streifte achtsam um den ganzen Horizont herum, und sie war eben im Begriff, sich zurückzuziehen, als sie einen neuen Gegenstand gewahrte, der ihre Aufmerksamkeit fesselte. Die Inseln lagen so dicht beieinander, daß man sechs bis acht verschiedene Kanäle oder Wasserstraßen zwischen ihnen erblicken konnte, und in einem der verstecktesten, fast ganz durch das Gebüsch des Ufers verborgenen, erkannte sie bei einem zweiten Blick einen Rindenkahn. Er enthielt zweifellos ein menschliches Wesen. In der Überzeugung, daß, wenn sie es hier mit einem Feind zu tun habe, ein Signal nicht schaden, wohl aber im entgegengesetzten Fall von gutem Nutzen sein könne, ließ das Mädchen schnell eine kleine Flagge wehen, die sie für ihren Vater gemacht hatte, wobei sie Sorge trug, daß diese Bewegung von der Insel aus nicht gesehen werde.

Mabel wiederholte ihr Signal acht- oder zehnmal vergebens und fing schon an, die Hoffnung aufzugeben, daß es bemerkt würde, als auf einmal ihr Zeichen durch eine Bewegung mit dem Ruder erwidert wurde und der Mann so weit hervorkam, daß sie in ihm Chingachgook erkennen konnte. Hier war also endlich ein Freund, und zwar einer, der fähig und, wie sie nicht bezweifelte, geneigt war, ihr Beistand zu leisten. Von diesem Augenblick an lebte all ihr Mut wieder auf. Der Mohikaner hatte sie gesehen, mußte sie, da er von ihrer Teilnahme an dem Zug wußte, erkannt haben und tat, ohne Zweifel, sobald es dunkel geworden war, die nötigen Schritte zu ihrer Befreiung. Daß ihm die Anwesenheit des Feindes nicht entgangen sein konnte, ließ sich aus der großen Vorsicht, die er beobachtete, abnehmen, und auf seine Klugheit und Geschicklichkeit konnte sie sich zuversichtlich verlassen. Die Hauptschwierigkeit war nun von June zu befürchten; denn so sehr sie auch an Mabel hing, so hatte letztere doch zuviel von der Treue der Indianerin gegen ihr Volk gesehen, als daß sie hoffen durfte, sie werde einem feindlichen Indianer den Eintritt in das Blockhaus erlauben oder sie selbst entfliehen lassen mit der Absicht, Pfeilspitzes Pläne zu vereiteln. Die halbe Stunde, die der Entdeckung von der Annäherung der Großen Schlange folgte, war die peinlichste in Mabels Leben. Sie sah die Mittel zur Ausführung all ihrer Wünsche so ganz in der Nähe, und doch konnte sie nicht danach greifen. Sie kannte Junes Entschlossenheit und Besonnenheit, ungeachtet ihrer Herzensgüte und ihrer zarten, weiblichen Gefühle, und kam endlich, zwar mit innerem Widerstreben, zu der Überzeugung, daß es kein anderes Mittel zur Erreichung ihres Zweckes gebe, als ihre erprobte Freundin und Beschützerin zu täuschen. Es empörte allerdings Mabels edle Seele, eine Freundin wie June zu hintergehen, aber ihres Vaters Leben stand auf dem Spiel; ihrer Gefährtin drohte kein unmittelbarer Nachteil, und die Gefühle und Interessen, die sie selbst berührten, waren von einer Art, daß sie wohl größere Zweifel beseitigt haben müßten.

Sobald es dunkel war, begann Mabels Herz mit erneuter Heftigkeit zu pochen, und sie entwarf und wechselte ihre weiteren Pläne wohl ein dutzendmal im Lauf einer einzigen Stunde. June war immer die Quelle ihrer größten Verlegenheit; denn erstens sah sie nicht ein, wie sie sich die Überzeugung zu verschaffen vermöge, daß Chingachgook an der Tür sei, wo er, wie sie nicht zweifelte, bald erscheinen mußte – und zweitens, wie sie ihn einlassen könne, ohne ihre wachsame Freundin aufmerksam zu machen. Doch die Zeit drängte, denn der Mohikaner konnte kommen und wieder fortgehen, wenn sie nicht bereit war, ihn aufzunehmen, da es für den Delawaren gewagt gewesen wäre, lange auf der Insel zu bleiben. Es wurde daher unbedingt nötig, einen Entschluß zu fassen, selbst auf die Gefahr hin, unbesonnen zu handeln. Nach manchen Plänen, die ihr Gehirn durchkreuzten, ging daher Mabel auf ihre Gefährtin zu und sagte zu ihr mit so viel Ruhe, wie sie aufzubringen vermochte:

»June, fürchtest du nicht, daß deine Leute, da sie glauben, Pfadfinder sei in dem Blockhaus, kommen und aufs neue Feuer anlegen werden?«

»Nicht denken solche Ding. Nicht verbrennen Blockhaus, Blockhaus gut; kriegen nicht Skalp.«

»June, wir können das nicht wissen. Sie haben sich versteckt, weil sie glaubten, was ich ihnen wegen Pfadfinders sagte.«

»Glauben machen Furcht. Furcht kommen schnell, gehen schnell. Furcht machen weglaufen. Verstand machen zurückkommen. Furcht machen Krieger töricht, so gut wie junges Mädchen.«

Hier lachte June in der Weise junger Mädchen, wenn ein possierlicher Einfall ihre Gedanken durchkreuzt.

»Mir ist gar nicht wohl bei der Sache, June, und ich wünschte, du gingest wieder aufs Dach, um dich dort umzusehen, ob nicht etwas gegen uns im Werke ist; du kennst die Zeichen dessen, was deine Leute beabsichtigen, besser als ich.«

»June gehen, Lily wünschen; aber sehr wohl wissen, daß Indianer schlafen, warten auf Vater. Krieger essen, trinken, schlafen, alle Zeit, wenn nicht fechten und gehen auf Kriegspfad; aber dann nie schlafen, essen, trinken – nie fühlen. Krieger jetzt schlafen.«

»Gott gebe, daß es so sein möge! Aber geh‘ hinauf, liebe June, und sieh dich wohl um. Die Gefahr kann kommen, wenn wir es am wenigsten erwarten.«

June erhob sich und schickte sich an, auf das Dach hinaufzusteigen; auf der ersten Sprosse der Leiter hielt sie aber inne, Mabels Herz schlug so heftig, daß sie fürchtete, ihr Herzschlag möchte gehört werden, und sie bildete sich ein, daß eine Ahnung ihrer wahren Absicht die Seele ihrer Freundin durchkreuze. Sie hatte zum Teil recht; denn die Indianerin hatte wirklich angehalten, um zu überlegen, ob sie mit diesem Schritt nicht eine Unbesonnenheit begehe. Einmal tauchte in ihr der Verdacht auf, daß Mabel entfliehen möchte; diesen verwarf sie jedoch wieder, weil sie wußte, daß dem Bleichgesicht keine Mittel zu Gebote standen, die Insel zu verlassen, und das Blockhaus war jedenfalls der sicherste Punkt, den sie finden konnte. Dann war ihr nächster Gedanke, Mabel könnte Zeichen von der Annäherung ihres Vaters entdeckt haben. Aber auch diese Vermutung haftete nur einen Augenblick, denn June hegte gegen die Fähigkeit ihrer Freundin, derartige Zeichen zu verstehen – Zeichen, die ihrem eigenen Scharfblick entgangen waren –, keine hohe Meinung. Sie fing also an, langsam die Leiter hinaufzusteigen.

Sie hatte eben den oberen Boden erreicht, als sich Mabel ein glücklicher Gedanke darbot, und da sie ihn in einer zwar hastigen, aber natürlichen Weise kundgab, gewann sie einen großen Vorteil für die Verwirklichung ihres Planes.

»Ich will hinabgehen, June, und an der Tür horchen, während du auf dem Dach bist; wir sind auf diese Weise oben und unten auf unserer Hut.«

June hielt dies für eine unnötige Vorsicht, da sie wohl wußte, daß niemand ohne Hilfe von innen in das Gebäude herein könne, und daß keine Gefahr von außen zu erwarten stehe, ohne daß sie es vorher bemerken mußte; sie schrieb daher diesen Vorschlag Mabels Unwissenheit und Furcht zu und nahm ihn mit so viel Vertrauen auf, wie er mit Unverfänglichkeit gemacht zu sein schien. So wurde es nun unserer Heldin möglich, zu der Tür hinunterzusteigen, während sich ihre Freundin nach dem Dach begab und keinen besondern Anlaß zu haben glaubte, erstere zu bewachen. Die Entfernung zwischen beiden war jetzt zu groß, um ein Gespräch zu ermöglichen, und die eine beschäftigte sich drei oder vier Minuten mit Umsehen in der Gegend, so gut dies die Finsternis erlaubte, indes die andere mit so viel Spannung an der Tür horchte, als ob alle ihre Sinne sich im Ohr konzentriert hätten.

June bemerkte nichts von ihrem hohen Standpunkt, die Finsternis ließ auch in der Tat kaum einen Erfolg hoffen; es möchte aber nicht leicht sein, das Gefühl zu beschreiben, mit dem Mabel einen schwachen und vorsichtigen Stoß gegen die Tür zu bemerken glaubte. Fürchtend, es möchte nicht alles sein wie sie wünschte, und ängstlich bekümmert, Chingachgook ihre Nähe anzudeuten, fing sie an, obgleich in leisen und bebenden Tönen, zu singen. Die Stille war in diesem Augenblick so tief, daß der Laut der unsicheren Stimme bis zu dem Dache hinauf tönte, und eine Minute später begann June herunterzusteigen. Unmittelbar darauf wurde ein leichtes Pochen an der Tür gehört. Mabel war außer sich, denn jetzt war keine Zeit mehr zu verlieren. Die Hoffnung überwog die Furcht, und mit sicheren Händen begann sie, die Balken wegzunehmen. Sie hörte auf dem Flur über sich Junes Mokassin; und erst ein einzelner Balken war zurückgeschoben, der zweite war gehoben, als die Gestalt der Indianerin bereits zur Hälfte auf der unteren Leiter sichtbar war.

»Was tun da?« rief June mit Heftigkeit. »Laufen weg – toll verlassen Blockhaus? Blockhaus gut!«

Beide legten ihre Hände an den letzten Riegel, der wahrscheinlich aus den Klammern gehoben worden wäre, wenn nicht ein kräftiger Druck von außen das Holz eingeklemmt hätte. Nun folgte ein kurzer Kampf, obschon beide der Anwendung von Gewalt gleich abgeneigt waren. Wahrscheinlich würde übrigens June den Sieg davongetragen haben, hätte nicht ein weiterer, noch kräftigerer Stoß von außen das leichte Hindernis, das den Balken noch hielt, überwunden und die Tür geöffnet. Man sah nun die Gestalt eines Mannes eintreten, und beide eilten nach der Leiter, als ob sie gleich besorgt wegen der Folgen seien. Der Fremde schloß die Tür und stieg, nachdem er sich vorher sorgfältig im Erdgeschoß umgesehen hatte, die Leiter hinauf. June hatte, sobald es dunkel geworden war, die Schießscharten im ersten Stock geschlossen und ein Licht angezündet. Beide erwarteten jetzt in dieser düsteren Beleuchtung die Erscheinung ihres neuen Gastes, dessen vorsichtige und bedachtsame Tritte sie auf der Leiter hören konnten. Es dürfte schwer zu sagen sein, welche von den Weibern am meisten erstaunt, war, als der Fremde durch die Falltür hinaufstieg und die Gestalt Pfadfinders vor ihren Augen stand.

»Gott sei gepriesen!« rief Mabel, denn der Gedanke, daß das Blockhaus mit einer solchen Besatzung unbezwinglich sei, durchkreuzte ihre Seele. »O Pfadfinder, was ist aus meinem Vater geworden?«

»Der Sergeant ist bis jetzt wohlbehalten und siegreich, obgleich es nicht unter die Gaben des Menschen gehört zu sagen, wie der Ausgang sein wird. Ist das nicht Arrowheads Weib, Pfeilspitzes Junitau, die sich dort in die Ecke kauert?«

»Macht ihr keine Vorwürfe, Pfadfinder; ich verdanke ihr mein Leben und meine gegenwärtige Sicherheit. Sagt mir, wie es meinem Vater und seinen Leuten gegangen ist und warum Ihr hier seid; ich will Euch dann alle die schrecklichen Ereignisse erzählen, die auf dieser Insel vorgefallen sind.«

»Dafür werden wenig Worte ausreichen, Mabel; denn wenn man an indianische Teufeleien gewöhnt ist, so bedarf’s keiner weitläufigen Erörterung eines solchen Überfalls. Unser Feldzug ging, wie wir’s hoffen konnten, vonstatten, denn Schlange war auf Kundschaft und teilte uns mit, was das Herz nur wünschen konnte. Wir kriegten drei Boote in einen Hinterhalt, und nachdem wir die Franzosen draus verjagt hatten, nahmen wir davon Besitz und versenkten sie vorschriftsmäßig an der tiefsten Stelle des Kanals. Die Wilden in Oberkanada werden diesen Winter mit indianischen Gütern nicht weit springen. Auch werden Pulver und Blei unter ihnen seltener sein, als es geschickten Jägern und mutigen Kriegern lieb sein mag. Wir haben nicht einen Mann verloren, nicht einmal eine Haut wurde gestreift, und ich denke, der Feind wird nicht besonders gut drauf zu sprechen sein. Kurz, Mabel – es ist gerade solch ein Ausflug gewesen, wie ihn Lundie liebt – viel Schaden für den Feind und wenig für uns selbst.«

»Ach, Pfadfinder, ich fürchte, wenn Major Duncan die ganze traurige Geschichte erfährt, so wird er Ursache haben zu bereuen, daß er je diesen Handel unternommen hat.«

»Ich weiß, was Sie meinen; wenn ich Ihnen aber die Umstände geradezu erzähle, so werden Sie sie besser verstehen. Als der Sergeant seinen Strauß mit Ehren beendet hatte, sandte er mich und Chingachgook in Kähnen voraus, um Euch zu sagen, wie die Sachen abgelaufen seien und daß er mit den so sehr beschwerten Booten nicht vor morgen eintreffen könne. Ich trennte mich diesen Vormittag von Chingachgook, und wir trafen dabei die Verabredung, daß er die eine und ich die andere Reihe von Kanälen hinauffahren solle, um zu sehen, ob der Pfad sauber sei. Seitdem habe ich den Häuptling nicht wieder gesehen.«

Mabel erklärte ihm nun die Art, wie sie den Mohikaner entdeckt hatte, und daß sie ihn nun im Blockhaus erwarte.

»Nein, nein! ein regelmäßiger Kundschafter geht nie hinter Wände und Holzstämme, solange er in freier Luft bleiben und eine nützliche Beschäftigung finden kann. Ich würde auch nicht gekommen sein, Mabel, wenn ich nicht dem Sergeanten versprochen hätte, Ihnen Mut zuzusprechen und für Ihre Sicherheit zu sorgen. Ach, ich hab‘ diesen Vormittag die Insel mit schwerem Herzen untersucht, und es war mir eine herbe Stunde, als ich dachte, Sie könnten unter den Erschlagenen sein.«

»Aber welcher glückliche Zufall hat Euch verhindert, kühn auf die Insel loszurudern, wodurch Ihr hättet in die Hände des Feindes fallen müssen?«

»Durch einen Zufall, Mabel, wie die Vorsehung ihn schuf, um dem Hund zu sagen, wo der Hirsch zu finden ist, und dem Hirsch, wie er den Hund abwerfen soll. Nein, nein! diese Kunstgriffe und Teufeleien mit Leichen mögen die Soldaten des Fünfundfünfzigsten und die Offiziere des Königs täuschen, aber bei Leuten, die ihr Leben in den Wäldern zugebracht haben, sind sie verloren. Ich kam in dem Kanal angesichts des vorgeblichen Anglers herunter, und obgleich dieses Gezücht den armen Wicht kunstreich hingesetzt hatte, so geschah es doch nicht mit dem nötigen Scharfsinn, um ein geübtes Auge zu hintergehen. Er hielt die Rute zu hoch, denn die Leute vom Fünfundfünfzigsten haben am Oswego fischen gelernt, wenn sie es vorher auch nicht konnten; und dann war der Mann auch viel zu ruhig für einen, dem nichts anbeißen will. Aber wir gehen nie blindlings auf einen Posten zu, und ich bin einmal eine ganze Nacht vor einer Garnison liegen geblieben, weil man die Schildwachen und die Art ihres Wachstehens verändert hatte. Weder Chingachgook noch ich lassen sich durch solche plumpe Pfiffe übertölpeln, die wahrscheinlich mehr auf die Schotten berechnet sind; denn obgleich diese in manchen Stücken ziemlich verschlagen sein mögen, so sind sie doch nichts weniger als Hexenmeister, wenn es sich um indianische Kunstgriffe handelt.«

»Glaubt Ihr, mein Vater und seine Leute könnten noch überlistet werden?« fragte Mabel rasch.

»Nicht, wenn ich’s verhindern kann, Mabel. Sie sagen mir, Schlange sei auch auf der Lauer; und so ist es doppelt wahrscheinlich, daß es uns gelingen wird, ihn von der Gefahr in Kenntnis zu setzen, obgleich wir nicht genau wissen, durch welchen Kanal er kommen mag.«

»Pfadfinder«, sagte Mabel feierlich, denn die schrecklichen Szenen, deren Zeuge sie gewesen, malten ihr den Tod mit den furchtbarsten Farben; »Ihr habt gesagt, daß Ihr mich zu Eurer Frau wünscht?«

»Ich wagte es, über diesen Gegenstand mit Ihnen zu sprechen, Mabel, und der Sergeant hat mir erst kürzlich gesagt, daß Sie gegen mich gütig gesinnt seien; aber ich bin nicht der Mann, das zu verfolgen, was ich liebe.«

»Hört mich, Pfadfinder – ich schätze Euch, ich achte Euch, ich verehre Euch – rettet meinen Vater von diesem fürchterlichen Tode, und ich kann Euch anbeten. Hier ist meine Hand; ich verpflichte mich feierlich, Wort zu halten, sobald Ihr kommt, um Eure Ansprüche auf sie geltend zu machen.«

»Gott segne Sie, Mabel, Gott segne Sie; das ist mehr als ich verdiene – mehr, fürchte ich, als ich zu schätzen weiß. Doch bedurfte es dessen nicht, um mich willfährig zu machen, dem Sergeanten Dienste zu leisten. Wir sind alte Kameraden, und jeder verdankt dem andern das Leben, obgleich ich fürchte, Mabel, daß es nicht immer die beste Empfehlung bei der Tochter ist, des Vaters Kamerad zu sein.«

»Ihr bedürft keiner andern Empfehlung als Eurer Handlungen, Eures Mutes und Eurer Treue. Alles, was Ihr tut und sagt, Pfadfinder, billigt meine Vernunft, und das Herz wird – nein, es muß folgen.«

»Das ist ein Glück, das ich in dieser Nacht nicht erwartete; aber wir sind in Gottes Hand, und er wird uns nach seiner Weise beschützen. Ihre Worte sind süß, Mabel; aber es bedarf ihrer nicht, um mich aufzumuntern, unter den gegenwärtigen Umständen alles aufzubieten, was in menschlicher Kraft steht; sie werden aber auch in keinem Fall meinen Eifer mindern.«

»Wir verstehen uns jetzt, Pfadfinder«, fügte Mabel mit erstickter Stimme bei. »Laßt uns keinen der kostbarsten Augenblicke verlieren, die vielleicht von unberechenbarem Werte sind. Können wir nicht in Euern Kahn eilen und meinem Vater entgegengehen?«

»Ich möchte hierzu nicht raten, da ich nicht weiß, durch welchen Kanal Ihr Vater kommen wird, denn es gibt deren mehr als zwanzig. Verlassen Sie sich übrigens darauf, Chingachgook wird sich durch alle zu winden wissen. Nein, nein! Mein Rat ist, hier zu bleiben. Die Stämme dieses Blockhauses sind noch grün; es wird daher nicht leicht sein, sie in Brand zu stecken, und wenn wir nichts von Feuer zu befürchten haben, ich will den Platz gegen einen ganzen Stamm halten. Das Irokesenvolk soll mich nicht aus dieser Festung herausbringen, solange wir die Flamme abhalten können. Der Sergeant biwakiert jetzt auf irgendeiner Insel und wird erst gegen Morgen kommen. Wenn wir das Blockhaus halten, so können wir ihn zeitig warnen, durch Abschießen von Büchsen zum Beispiel; und sollte er sich zu einem Angriff gegen die Wilden entschließen, wozu ihn sein Temperament wahrscheinlich veranlassen wird, so kann der Besitz dieses Gebäudes im Treffen von keinem geringen Belang sein. Nein, nein! ich bin dafür, zu bleiben, wenn wir dem Sergeanten einen Dienst leisten wollen, obgleich das Entkommen für uns beide keine schwierige Aufgabe wäre.«

»So bleibt, bleibt, um Gottes willen, Pfadfinder!« flüsterte Mabel. »Ich bin mit allem zufrieden, was meinen Vater retten kann!«

»Ja, das ist Natur. Es freut mich, Sie so sprechen zu hören, Mabel, denn ich gestehe, daß ich den Sergeanten hübsch unterstützt sehen möchte. Wie die Sachen jetzt stehen, so hat er sich Kredit erworben; und könnte er vollends diese Hunde vertreiben und sich ehrenvoll zurückziehen, nachdem er Blockhaus und Hütte in Asche gelegt hat, so ist gar kein Zweifel, daß Lundie an ihn denken und ihm auch wieder Dienste leisten wird. Ja, ja, Mabel, wir müssen nicht allein das Leben des Sergeanten, sondern auch seinen Ruf retten.«

»Wegen des Überfalls dieser Insel kann meinen Vater kein Vorwurf treffen.«

»Davon ist nicht die Rede; militärischer Ruhm ist ein höchst unsicheres Ding. Ich habe die Delawaren in Bedrängnis gesehen, wo sie sich wackerer gehalten haben als in Zeiten, wo sie den Sieg davongetragen hatten. Man ist übel dran, wenn man sein Leben an ein Geratewohl wagt – und am allerübelsten im Krieg. Ich kenne die Ansiedlungen und die Meinungen wenig, die dort im Schwange sind; aber hier oben schätzen selbst die Indianer den Wert eines Kriegers nach seinem Glück. Für einen Soldaten ist es immer die Hauptsache, nicht geschlagen zu werden, denn ich glaub’s nicht, daß sich die Leute lange bei den Betrachtungen aufhalten, wie der Tag gewonnen oder verloren wurde. Was mich betrifft, Mabel, so mach‘ ich’s mir zur Regel, im Angesicht des Feindes ihm so scharf zuzusetzen, wie ich nur kann, und mich mit der möglichsten Mäßigung zu benehmen, sobald wir im Vorteil sind. Von dem Gefühl der Mäßigung nach einer Niederlage läßt sich nicht viel sagen, da das Geklopftwerden ohnehin das Demütigendste in der ganzen Natur ist. Die Pfarrer predigen von Demut in den Garnisonen; aber wenn Demut den Christen ausmacht, so müßten des Königs Truppen Heilige sein, denn sie haben bis jetzt wenig mehr in diesem Krieg getan, als sich von den Franzosen Lektionen geben lassen, von dem Fort du Quesne an bis zum Ty.«

»Mein Vater konnte nicht ahnen, daß die Lage der Insel dem Feind bekannt sei«, erwiderte Mabel, deren Gedanken sich mit dem wahrscheinlichsten Erfolg der neuesten Ereignisse für den Sergeanten beschäftigten.

»Das ist wahr, und es ist mir unbegreiflich, wie sie die Franzosen ausgefunden haben. Der Ort ist gut gewählt, und es ist selbst für den, der den Weg hierher und wieder zurück schon einmal gemacht hat, keine leichte Aufgabe, ihn wiederzufinden. Es ist, wie ich fürchte, Verräterei dabei im Spiel; ja, ja, wir müssen verraten worden sein.«

»O Pfadfinder, wär‘ dies möglich?«

»Nichts leichter, Mabel; denn Verräterei ist manchen Leuten so natürlich wie das Essen. Wenn ich einen Mann voll schöner Worte treffe, so geb‘ ich immer genau auf seine Handlungen acht, denn wenn das Herz an der rechten Stelle sitzt und man das Gute wirklich mit Eifer sucht, so begnügt man sich im allgemeinen, sein Benehmen und nicht seine Zunge sprechen zu lassen.«

»Jasper Western ist keiner von diesen«, sagte Mabel mit Ungestüm. »Kein Mensch kann aufrichtiger in seinem Benehmen oder weniger fähig sein, die Zunge statt der Taten reden zu lassen.«

»Jasper Western? Verlassen Sie sich drauf, Mabel, daß bei dem Jungen Herz und Zunge an der rechten Stelle sind, trotz der üblen Meinung, die Lundie, der Quartiermeister, der Sergeant und Ihr Onkel von ihm haben; man könnte ebensogut glauben, daß die Sonne bei Nacht und die Sterne bei Tag scheinen. Nein, nein, ich stehe für Eau-douces Ehrlichkeit mit meinem eigenen Skalp oder, wenn’s nottut, mit meiner eigenen Büchse.«

»Gott segne Euch, Pfadfinder, Gott segne Euch!« rief Mabel, indem sie ihre Hand ausstreckte und die Eisenfinger ihres Gefährten mit einem Gefühl drückte, dessen Kraft ihr selbst unbewußt war. »In Euch vereinigt sich alles Große, alles Edle; Gott wird es Euch vergelten.«

»Ach, Mabel, ich fürchte, wenn dies wahr wäre, so würd‘ ich nicht nach einem Weib trachten –«

»Wir wollen heute nacht nichts mehr davon sprechen«, unterbrach ihn Mabel mit erstickter Stimme. »Wir müssen jetzt mehr an unsere Freunde als an uns selbst denken, Pfadfinder. Aber es freut mich von ganzer Seele, daß Ihr Jasper für unschuldig haltet. Laßt uns nun von anderen Dingen reden. – Sollten wir nicht June freilassen?«

»Ich habe bereits an sie gedacht; denn es wär‘ nicht geraten, hier innen im Blockhaus unsere Augen zu schließen, indes die ihrigen offen sind. Wenn wir sie in den oberen Raum brächten und die Leiter wegnähmen, so wär‘ sie wenigstens in unsern Händen.«

»Ich kann die Frau, die mein Leben gerettet hat, nicht so behandeln lassen. Es wär‘ vielleicht besser, sie abziehen zu lassen, denn ich glaube, sie liebt mich zu sehr, um mir Schaden zuzufügen.«

»Sie kennen diese Rasse nicht, Mabel. Es ist schon wahr, sie ist keine Vollblutsmingo; aber sie lebt in Gesellschaft mit diesen Landstreichern und muß was von ihren Tücken gelernt haben. – Was ist das?«

»Es klingt wie Ruderschlag; ein Boot kommt den Kanal herunter.«

Pfadfinder schloß die Falltür, die zu dem untern Raum führte, um Junes Entspringen zu verhindern, löschte das Licht aus und ging hastig zu einer Schießscharte, wobei Mabel mit atemloser Neugierde über seine Schultern blickte.

Nach längerem Spähen vermochte das Auge des Kundschafters einige Gegenstände in der Dunkelheit zu unterscheiden. Zwei Boote waren vorbeigerudert und schossen an einer Stelle, die etwa fünfzig Ellen von dem Blockhaus entfernt lag – an dem gewöhnlichen Landungsplatz – auf das Ufer. Die Dunkelheit verhinderte ein genaueres Erkennen, und Pfadfinder flüsterte Mabel zu, daß die neuen Ankömmlinge ebensogut Feinde wie Freunde sein könnten, denn er glaube nicht, daß es ihrem Vater möglich geworden sei, sobald anzulangen. Jetzt sah man eine Anzahl Leute das Boot verlassen, dann folgten drei kräftige englische Freudenrufe, die es nicht mehr am Zweifel ließen, daß die erwarteten Freunde gelandet waren. Pfadfinder sprang gegen die Falltür, hob sie auf, glitt die Leiter hinunter und begann die Tür mit einem Ernst zu entriegeln, der bewies, wie entscheidend ihm der Augenblick vorkam. Mabel war nachgefolgt; sie hinderte aber mehr das Geschäft des Mannes, als daß sie es unterstützt hätte; und kaum war der erste Balken losgemacht, als sich der Knall vieler Büchsen vernehmen ließ. Sie standen noch in atemlosem Zweifel, als plötzlich das Kriegsgeschrei der Indianer die ganze Insel erfüllte. Die Tür war nun offen, und Pfadfinder und Mabel eilten ins Freie. Alles war wieder still. Als jedoch Pfadfinder eine halbe Minute aufhorchte, kam es ihm vor, als höre er ein ersticktes Ächzen in der Nähe der Boote; aber der Wind blies so frisch, und das Rauschen der Blätter mischte sich so sehr mit dem Sausen des Windes, daß sich keine Gewißheit darüber erlangen ließ. Mabel aber wurde von ihren Gefühlen hingerissen und eilte an dem Gefährten vorüber gegen die Boote zu.

»Das geht nicht, Mabel«, sagte der Kundschafter mit ernster, aber leiser Stimme, indem er ihren Arm ergriff; »das geht nimmermehr. Gewisser Tod wird die Folge sein, ohne daß irgend jemandem ein Nutzen daraus erwächst. Wir müssen in das Blockhaus zurück.«

»Vater! mein armer, gemordeter Vater!« sagte das Mädchen mit wirrem Blick, obgleich die gewohnte Vorsicht auch in diesem schrecklichen Augenblick ihre Stimme dämpfte. »Pfadfinder, wenn Ihr mich liebt, so laßt mich zu meinem Vater gehen.«

»Es geht nicht, Mabel. Es ist sonderbar, daß niemand spricht, niemand erwidert das Feuer von den Booten aus, und ich habe das Gewehr im Blockhaus gelassen! Aber was würde eine Büchse nützen, wenn sich kein Feind sehen läßt?«

In diesem Augenblick entdeckte das rasche Auge des Pfadfinders, der unablässig, während er Mabel fest gefaßt hielt, seine Blicke über den nächtlichen Schauplatz hinstreifen ließ, in der Finsternis vier oder fünf geduckte dunkle Gestalten, die sich an ihm vorbeizustehlen suchten, ohne Zweifel in der Absicht, den Rückzug nach dem Blockhaus abzuschneiden. Er nahm daher Mabel wie ein Kind auf den Arm, und mit der ganzen Anstrengung seiner Kraft gelang es ihm, in das Gebäude zurückzukommen. Die Verfolger schienen ihm unmittelbar auf der Ferse zu sein. Nachdem er seine Bürde niedergesetzt hatte, wandte er sich, schloß die Tür, und hatte eben einen Balken angelegt, als sie ein Stoß gegen die feste Masse aus ihren Angeln zu sprengen drohte. Die anderen Riegel vorzulegen war das Werk eines Augenblicks.

Mabel stieg nun in das erste Stockwerk, während Pfadfinder als Schildwache unten blieb. Das Mädchen war in jenem Zustand, in dem der Körper scheinbar ohne die Mitwirkung des Geistes tätig ist. Sie zündete nach dem Wunsch ihres Gefährten mechanisch das Licht an und kehrte damit in das Erdgeschoß zurück, wo der Pfadfinder auf sie wartete. Dieser war kaum im Besitz des Lichtes, als er den Ort sorgfältig untersuchte, um gewiß zu sein, daß sich niemand in der Feste verborgen hatte, was er dann aus demselben Grund der Reihe nach auch bei den übrigen Stockwerken tat. Das Ergebnis dieser Untersuchung war, daß er sich mit Mabel allein im Blockhaus befand, denn June war entwischt. Sobald er sich über diesen wichtigen Punkt vollkommene Überzeugung verschafft hatte, kehrte Pfadfinder wieder zu seiner kleinen Heldin in das Hauptgemach zurück, stellte das Licht auf den Tisch und setzte sich nieder, nachdem er zuvor das Schloß seines Wildtods untersucht hatte.

»Unsere schlimmsten Befürchtungen sind eingetroffen!« sagte Mabel, für die in der Hast und Aufregung der letzten fünf Minuten die Stürme eines ganzen Lebens enthalten zu sein schienen. »Mein lieber Vater ist mit seinen Leuten entweder erschlagen worden oder gefangen.«

»Wir können das nicht wissen – der Morgen wird uns Aufschluß geben. Ich glaube nicht, daß die Sache soweit im reinen ist, sonst würden wir das Siegesgeheul dieser landstreicherischen Mingos vor dem Blockhaus hören. Wir können nur auf eins mit Sicherheit zählen; wenn der Feind wirklich gesiegt hat, so wird er’s nicht lange anstehen lassen, uns zur Übergabe aufzufordern. Die Squaw wird sie in das Geheimnis unserer Lage einweihen; und da sie wohl wissen, daß der Platz nicht bei Tag in Brand gesteckt werden kann, solange der Wildtod fortfährt, seinem Ruf Ehre zu machen, können wir uns darauf verlassen, daß sie nicht säumen werden, einen Versuch zu machen, solang‘ sie dies unter dem Schutz der Dunkelheit tun können.«

»Gewiß – ich höre ein Stöhnen.«

»Das ist Einbildung, Mabel. Wenn der Geist, besonders der weibliche Geist, beunruhigt ist, so steigen ihm oft Dinge auf, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind. Ich habe manche gekannt, die in Träumen Wahrheit zu finden glaubten –«

»Nein, ich hab‘ mich nicht getäuscht; es ist gewiß jemand unten – ein Leidender.«

Pfadfinder mußte jetzt zugestehen, daß sich die scharfen Sinne Mabels nicht getäuscht hatten. Er empfahl ihr jedoch vorsorglich, ihre Gefühle zu unterdrücken und erinnerte sie, daß die Wilden alle Kunstgriffe aufzubieten gewöhnt seien, um zu ihrem Zweck zu gelangen, und daß es mehr als wahrscheinlich sei, man wolle sie durch ein verstelltes Stöhnen aus dem Blockhaus locken oder doch zum Öffnen der Tür veranlassen.

»Nein, nein, nein!« sagte Mabel hastig, »es liegt keine Arglist in diesen Tönen; sie kommen aus einem leidenden Körper, wenn nicht aus einer geängstigten Seele: Sie sind schreckhaft natürlich.«

»Nun, wir werden bald sehen, ob ein Freund da ist oder nicht. Verbergen Sie das Licht wieder, Mabel; ich will mit der Person durch die Schießscharte sprechen.«

Nach Pfadfinders Urteil und Erfahrung war selbst zur Ausführung dieses einfachen Vorhabens keine geringe Vorsicht nötig, denn er wußte, daß schon mancher Sorglose erschlagen wurde, weil es ihm an der nötigen Achtsamkeit auf das gebrach, was dem Unwissenden als ein übertrieben vorsichtiges Schutzmittel erscheinen mochte. Er brachte seinen Mund nicht an die Schießscharte selbst, aber doch so nahe daran, daß er verstanden werden konnte, ohne die Stimme zu verstärken.

»Wer ist unten?« fragte Pfadfinder, als alle Vorkehrungen nach seinem Wunsch getroffen waren. »Ist es irgendein Bedrängter? Wenn es ein Freund ist, so mag er kühn sprechen und auf unsern Beistand bauen.«

»Pfadfinder«, antwortete eine Stimme, die beide, Mabel und der Angeredete, sogleich als die des Sergeanten erkannten – »Pfadfinder, sagt mir doch um Gottes willen, was aus meiner Tochter geworden ist?«

»Vater, ich bin hier! Unverletzt sicher! Oh, daß ich das gleiche von Euch glauben dürfte!«

Ein Ausruf des Dankes, der jetzt folgte, wurde von beiden vernommen; er war aber deutlich mit dem Ächzen des Schmerzes vermengt.

»Meine schlimmsten Ahnungen sind eingetroffen!« sagte Mabel mit einer Art verzweifelter Ruhe. »Pfadfinder, mein Vater muß ins Blockhaus gebracht werden, mag es auch mit noch soviel Gefahr verbunden sein.«

»Das ist Natur und ist das Gesetz Gottes. Aber ruhig, Mabel; geben Sie sich Mühe gelassen zu sein. Alles, was ein Mensch für den Sergeanten tun kann, soll geschehen. Ich bitte Sie bloß, gefaßt zu sein.«

»Ich bin’s, ich bin’s, Pfadfinder. Ich war in meinem Leben nie ruhiger, nie gesammelter als in diesem Moment. Aber bedenkt, wie gefährlich jeder Augenblick werden kann. Um’s Himmels willen, laßt uns schnell tun, was geschehen muß.«

Pfadfinder staunte über die Festigkeit in Mabels Stimme und wurde vielleicht selbst durch die erzwungene Ruhe und Selbstbeherrschung, die sie angenommen, ein wenig getäuscht. Indessen schien ihm keine weitere Erörterung nötig; er stieg deshalb unverzüglich hinunter und begann die Tür zu entriegeln. Dieses geschah mit der gewöhnlichen Vorsicht; als er aber die schwere Balkenmasse behutsam sich in den Angeln drehen ließ, fühlte er einen Druck dagegen, der ihn fast veranlaßt hätte, die Tür wieder zu schließen. Nach einem Blick durch die Spalte jedoch öffnete er sie vollends, und der Körper des Sergeanten Dunham, der sich daran lehnte, fiel halb in das Blockhaus herein. Ein Augenblick, und Pfadfinder hatte ihn vollends hereingezogen und die Balken wieder vorgelegt, so daß kein Hindernis mehr vorhanden war, dem Verwundeten ungeteilte Sorgfalt zu weihen.

Mabel benahm sich bei diesem erdrückenden Auftritt mit jener ungewöhnlichen Seelenstärke, die ihr Geschlecht in solchen erregenden Momenten entwickeln kann. Sie holte das Licht, benetzte die trockenen Lippen ihres Vaters mit Wasser, unterstützte den Pfadfinder bei Bereitung eines bequemen Strohlagers und machte aus ihren Kleidern ein Kissen für den Kopf des Kranken. Alles dies geschah unter ernstem Schweigen; selbst Mabel vergoß keine Träne, bis sie die Segensgebete vernahm, die der Sergeant für ihre Zärtlichkeit und Sorgfalt über ihr Haupt aussprach. Bisher hatte Mabel nur Vermutungen über den Zustand ihres Vaters. Pfadfinder hatte jedoch mehr Aufmerksamkeit auf das körperliche Leiden des Sergeanten verwendet und die Überzeugung gewonnen, daß eine Büchsenkugel durch den Körper des verwundeten Mannes gedrungen sei. Er war mit der Natur solcher Verletzungen zu gut vertraut, um nicht zu wissen, daß für das Aufkommen seines Freundes wenig oder keine Hoffnung vorhanden war.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Sergeant Dunhams Augen ließen nicht ab, der Gestalt seiner lieblichen Tochter zu folgen, sobald das Licht erschienen war. Darauf warf er seinen Blick nach der Tür des Blockhauses, um sich zu überzeugen, daß sie gut verschlossen sei, denn man hatte ihn in dem unteren Raum gelassen, weil es an den Mitteln fehlte, ihn in das erste Stockwerk zu bringen. Dann suchte er wieder Mabels Antlitz; denn mit dem raschen Hinschwinden des Lebens steigert sich die Macht der Liebe, und wir würdigen das am meisten, was uns, wie wir fühlen, auf immer entrissen werden soll.

»Gott sei gelobt! mein Kind, du wenigstens bist ihren mörderischen Büchsen entronnen«, sagte er mit einer Stimme, deren Kraft seine Schmerzen nicht zu steigern schien. »Erzählt mir den Verlauf dieser traurigen Geschichte, Pfadfinder.«

»Ach, Sergeant! sie ist traurig gewesen, wie Ihr sagt. Wir sind verraten worden; man muß dem Feind die Lage der Insel mitgeteilt haben – das ist nach meiner Ansicht so gewiß, wie daß wir noch im Besitz des Blockhauses sind. Aber –«

»Major Duncan hatte recht«, unterbrach ihn Dunham, indem er seine Hand auf den Arm seines Freundes legte.

»Nicht in dem Sinne, wie Ihr meint, Sergeant – nein, nicht aus diesem Gesichtspunkt: nimmermehr! Wenigstens nach meiner Ansicht nicht. Ich kenne die Schwäche der menschlichen Natur – aber ich glaube nicht, daß ein treueres Herz an den Grenzen lebt als Jasper Western.«

»Gott segne Euch dafür, Pfadfinder!« rief Mabel aus ganzer Seele, indes eine Flut von Tränen ihrer Erregung Luft machte. »Der Brave darf nie den Braven verlassen – der Ehrliche muß dem Ehrlichen beistehen.«

Des Vaters Augen waren ängstlich auf das Gesicht seiner Tochter gerichtet, bis die letztere ihr Antlitz mit dem Gewand verhüllte, um ihre Tränen zu verbergen; dann blickte er forschend in die harten Züge des Kundschafters. Diese zeigten nur den gewöhnlichen Ausdruck der Freimütigkeit, Einfachheit und Biederkeit; und der Sergeant bat ihn fortzufahren.

»Ihr wißt, wo Chingachgook und ich Euch verlassen haben, Sergeant«, berichtete Pfadfinder weiter, »und ich brauch‘ also nichts von dem zu sagen, was vorher geschah. Es ist nun zu spät, das Vergangene zu bereuen, doch glaub‘ ich, daß es nicht so gekommen wäre, war‘ ich bei den Booten geblieben. Andere Leute mögen wohl auch gute Führer sein – aber es gibt bessere und schlechtere. Ich denke, der arme Gilbert, der meinen Platz einnahm, hat seinen Mißgriff büßen müssen.«

»Er fiel an meiner Seite«, antwortete der Sergeant mit leisem, traurigem Tone. »Wir haben wirklich alle für unsere Mißgriffe büßen müssen.«

»Nein, nein, Sergeant; ich hatte nicht die Absicht, ein Urteil über Euch zu fällen, denn nie waren Leute besser geführt als die Eurigen bei dieser Unternehmung. Nie ist man einem Feinde schöner in die Flanken gefallen, und an der Art, wie Ihr Euer Boot gegen seine Haubitzen führtet, hätte selbst Lundie eine Lektion nehmen können.«

Das Auge des Sergeanten leuchtete, und sein Gesicht trug sogar den Ausdruck eines militärischen Triumphes, der jedoch stets der bescheidenen Stellung angemessen blieb, in der der alte Soldat tätig gewesen war.

»Es war nicht schlecht ausgeführt, mein Freund«, sagte er, »wir nahmen ihr hölzernes Bollwerk im Sturm.«

»Es war schön ausgeführt, Sergeant; obgleich ich fürchte, es kommt am Ende drauf hinaus, daß diese Vagabunden ihre Haubitzen wiederkriegen. Aber – Mut gefaßt! Versucht, alles Unangenehme zu vergessen und denkt nur an die angenehme Seite der Geschichte. Das ist die beste Philosophie und die beste Religion obendrein. Wenn der Feind die Haubitzen wiederkriegt, so hat er nur das, was ihm vorhin gehörte; wir konnten’s nicht ändern. Das Blockhaus aber haben sie noch nicht und sollen’s auch nicht kriegen, wenn sie es nicht in der Dunkelheit anzünden. Nun, Sergeant, Schlange und ich trennten uns ungefähr zehn Meilen weiter unten im Fluß, denn wir hielten’s fürs Klügste, uns auch einem freundlichen Lager nicht ohne die gewöhnliche Vorsicht zu nähern. Was aus Chingachgook geworden, weiß ich nicht, obgleich mir Mabel sagt, er sei nicht fern, und ich zweifle nicht dran, daß der wackere Delaware seine Schuldigkeit tut, wenn er auch unseren Augen nicht sichtbar ist. Merkt Euch meine Worte, Sergeant – ehe diese Sache abgetan ist, werden wir in einem entscheidenden Augenblick und auf eine Weise von ihm hören, die seiner Klugheit und der guten Meinung, die man von ihm hat, angemessen ist. Ach, Schlange ist ein kluger und tugendhafter Häuptling, und manchem weißen Mann wären seine Gaben zu wünschen. Als ich näher gegen die Insel kam, vermißte ich den Rauch, und dies veranlaßte mich, auf der Hut zu sein; denn ich wußte, daß die Soldaten des Fünfundfünzigsten nicht schlau genug sind, um dieses Zeichen zu verbergen, obwohl man sie der Gefährlichkeit wegen oft gewarnt hat. Ich wurde vorsichtiger, bis ich jenen Scheinangler zu Gesicht bekam, wie ich bereits Mabel erzählt habe, wo dann das Ganze ihrer höllischen Künste so klar vor mir lag, als hätte ich’s auf dem Papier. Ich brauch‘ Euch nicht zu erzählen, Sergeant, daß ich zuerst an Mabel dachte, und daß ich, sobald ich fand, sie sei im Blockhaus, hierher kam, um mit ihr zu leben oder zu sterben.«

Der Vater warf seinem Kind einen zufriedenen Blick zu, und Mabel fühlte ein Herzweh, das sie in einem solchen Augenblick, wo sie gewünscht hätte, ihre ganze Sorge nur auf die Lage ihres Vaters zu verwenden, nicht für möglich gehalten hätte. Als der Verwundete die Hand gegen sie ausstreckte, ergriff sie diese und bedeckte sie mit Küssen.

Dann kniete sie an seiner Seite nieder und weinte, als ob ihr das Herz brechen wollte.

»Mabel«, sagte er fest, »der Wille des Herrn geschehe. Es ist vergeblich, dich oder mich selbst täuschen zu wollen; meine Stunde ist gekommen, und es ist mir ein Trost, wie ein Soldat zu sterben. Lundie wird mir Gerechtigkeit widerfahren lassen; denn unser Freund Pfadfinder wird ihm sagen, was geschehen und wie alles so gekommen ist. Du wirst unser letztes Gespräch nicht vergessen haben?«

»Ach, Vater, auch meine Stunde ist wahrscheinlich gekommen!« rief Mabel, der in diesem Augenblick der Tod als ein Bote des Trostes erschienen wäre; »ich hab‘ keine Hoffnung zu entkommen, und Pfadfinder würde besser tun, uns zu verlassen und mit den traurigen Neuigkeiten in die Garnison zurückzukehren, solange es ihm noch möglich ist.«

»Mabel Dunham«, sagte Pfadfinder vorwurfsvoll, obgleich er mit Güte ihre Hand faßte, »ich habe das nicht verdient. Ich weiß, ich bin wild, rauh, unbehilflich –«

»Pfadfinder!«

»Nun, wir wollen’s vergessen; Sie haben es nicht so gemeint, Sie können so was nicht denken. Es ist jetzt nutzlos, von Flucht zu reden, denn der Sergeant kann nicht von der Stelle, und das Blockhaus muß verteidigt werden, kost‘ es, was es wolle. Vielleicht erhält Lundie Nachricht von unserm Unglück und schickt uns Mannschaft, um die Belagerung aufzuheben.«

»Pfadfinder – Mabel!« sagte der Sergeant, der sich vor Schmerzen wand, bis ihm der kalte Schweiß auf der Stirn stand; »kommt beide an meine Seite. Ihr versteht einander, hoffe ich?«

»Vater, sprecht nicht davon. Es ist alles, wie Ihr’s wünscht.«

»Gott sei Dank! Gib mir deine Hand, Mabel – hier, Pfadfinder, nehmt sie. Ich kann nicht mehr tun, als Euch das Mädel auf diese Weise geben. Ich weiß, Ihr werdet ihr ein liebevoller Gatte sein. Verschiebt es nicht wegen meines Todes. Vor dem Eintritt des Winters wird ein Geistlicher in dem Fort eintreffen! laßt Euch dann zusammengeben. Mein Schwager, wenn er noch am Leben ist, wird sich nach dem Meer zurücksehnen, und dann wird das Kind keinen Beschützer haben. Mabel, dein Gatte ist mein Freund gewesen, das wird dir, hoff‘ ich, zu einigem Trost gereichen.«

»Überlaßt diese Sache mir, Sergeant«, warf Pfadfinder ein; »sie ist, wie Euer letzter Wunsch, wohlverwahrt in meinen Händen, und verlaßt Euch drauf, daß alles gehen wird, wie es soll.«

»Es ist recht so; ich setze mein ganzes Vertrauen auf dich, treuer Freund, und ermächtige dich, in allen Stücken zu handeln, wie ich es tun würde. Mabel, Kind – reiche mir das Wasser – du wirst diese Nacht nie bereuen. Gott segne dich, meine Tochter! Gott segne dich und bewahre dich unter seinem heiligen Schutz!«

Diese zärtliche Sorge machte einen unaussprechlich tiefen Eindruck auf Mabels Gefühle, und es war ihr in diesem Augenblick, als ob ihre künftige Verbindung mit Pfadfinder eine Weihe empfangen hätte, die keine kirchliche Zeremonie hätte erhöhen können. Aber doch lag eine Bergeslast auf ihrem Herzen, und sie würde den Tod für ein Glück gehalten haben. Es folgte nun eine kurze Pause, worauf der Sergeant in gebrochenen Sätzen kurz erzählte, wie es ihm gegangen, seit er sich vom Pfadfinder und dem Delawaren getrennt hatte. Der Wind war günstiger geworden, und statt, wie es im Anfang seine Absicht war, auf einer Insel zu lagern, hatte er sich entschlossen, weiterzufahren, um schon in der Nacht die Station zu erreichen. Ihre Annäherung würde, wie er glaubte, nicht bemerkt, und ein Teil des Unglücks verhütet worden sein, wenn sie nicht an der Spitze einer benachbarten Insel auf den Grund gelaufen wären, wo ohne Zweifel der Lärm, den seine Leute beim Aufbringen des Bootes gemacht, ihre Nähe verraten und den Feind in den Stand gesetzt hatte, sich zu ihrem Empfang vorzubereiten. Sie waren ohne die mindeste Ahnung einer Gefahr gelandet, obschon sie das Fehlen einer Schildwache überraschte, und ihre Waffen in den Booten gelassen, um zuvor ihre Tornister und Mundvorräte auszuschiffen. Das feindliche Feuer war so nahe, daß ungeachtet der Dunkelheit fast jeder Schuß tödlich wurde. Alle waren gefallen, obgleich sich nachher zwei oder drei wieder erhoben und verschwanden. Vier oder fünf Soldaten blieben tot auf dem Platze oder waren doch so verwundet, daß sie nur noch wenige Minuten lebten; doch eilte der Feind aus einem unbekannten Grunde nicht wie gewöhnlich herbei, um sich der Skalpe zu bemächtigen. Sergeant Dunham fiel mit den anderen. Mabels Stimme zu der Zeit, als sie das Blockhaus verlassen hatte, war zu seinen Ohren gedrungen, und dieser Ruf der Verzweiflung, der alle seine väterlichen Gefühle aufregte, hatte ihn in den Stand gesetzt, bis an die Tür des Gebäudes zu kriechen, wo er sich auf die bereits erwähnte Weise an dem Gebälk aufrichtete.

Nach dieser einfachen Auseinandersetzung fühlte sich der Sergeant so schwach, daß er der Ruhe bedurfte, und seine Gefährten verhielten sich, während sie auf seine Pflege bedacht waren, eine Weile schweigend. Pfadfinder nahm diese Gelegenheit wahr, durch die Schießscharten und vom Dach herab auszuspähen und untersuchte den Zustand der Büchsen, von denen sich ungefähr ein Dutzend im Gebäude befanden, da sich die Soldaten bei ihrem Ausflug der Musketen des Regiments bedient hatten. Mabel jedoch verließ ihren Vater keinen Augenblick, und wenn sie aus seinem Atmen vermutete, er schlafe, so fiel sie auf ihre Knie nieder und betete.

Die nächste halbe Stunde verfloß in feierlicher Stille. Man hörte im oberen Stock kaum den Mokassin des Pfadfinders und wie er hin und wieder einen Büchsenschaft auf dem Boden aufstellte, denn er war geschäftig, sich die Sicherheit zu verschaffen, daß die Ladungen und Schlösser der Gewehre in Ordnung seien. Außer diesem ließ sich nichts als das Atmen des Verwundeten vernehmen. Aber Dunham schlief nicht. Er war in jenem Zustand, wo die Welt plötzlich ihre Reize, ihre Täuschungen und ihre Macht verliert, und eine unbekannte Zukunft die Seele mit Ahnungen, Lichtblicken und ihrer ganzen Unendlichkeit erfüllt. Er war für einen Soldaten ein sittlicher Mann gewesen, hatte aber wenig über diesen allerwichtigsten Lebensabschnitt nachgedacht. Hätte der Schlachtenruf in seinem Ohr geklungen, so hätte das kriegerische Feuer bis zu seinem Ende ausdauern mögen; hier aber, im Schweigen des fast unbewohnten Blockhauses, ohne irgendeinen belebenden Ton, ohne einen Aufruf, um erkünstelte Gefühle rege zu erhalten, ohne die Hoffnung eines zu erringenden Sieges – fingen die Dinge nun an, ihm in ihren wahren Farben zu erscheinen, und er lernte den Zustand des Daseins in seinem eigentlichen Wert würdigen. Auch fühlte er die volle Verantwortlichkeit eines Vaters, und es kamen ihm einige Gewissensbisse über die Art, mit der er sich seiner Pflichten gegen die arme Waise entledigt hatte. Während derartige Gedanken seine Seele beschäftigten und Mabel auf die leichteste Veränderung in seinem Atem achtete, vernahm sie ein leises Pochen an der Tür. Sie dachte, es möchte von Chingachgook herrühren, stand auf, entfernte zwei Querbalken und fragte, den dritten in ihrer Hand, wer draußen sei. Die Stimme ihres Onkels antwortete und bat um augenblicklichen Einlaß. Ohne die mindeste weitere Zögerung drehte sie den dritten Riegel zurück, und Cap trat ein. Er war kaum durch die Öffnung geschlüpft, als Mabel die Tür wieder so fest wie vorher verschloß, denn die Übung hatte sie mit diesem Teil ihrer Obliegenheit vertraut gemacht.

Als der rauhe Seemann die Lage seines Schwagers erfuhr und sich selbst sowohl als Mabel gerettet sah, wurde er fast zu Tränen bewegt. Sein eigenes Erscheinen erklärte er dadurch, daß er sorglos bewacht worden sei, weil man glaubte, daß er und der Quartiermeister unter dem Einfluß der geistigen Getränke schliefen, die man ihnen in der Absicht, sie bei dem bevorstehenden Geschäft ruhig zu erhalten, in Menge vorgesetzt hatte. Muir schlief oder schien zu schlafen, als sich Cap während der Unruhe des Angriffs in das Gebüsch flüchtete, wo er Pfadfinders Kahn fand und es ihm endlich gelang, das Blockhaus zu erreichen, von wo aus er seine Nichte zu Wasser zu entführen beabsichtigte.

»Wenn es zum Schlimmsten kommt, Meister Pfadfinder«, sagte er, »so müssen wir eben die Flagge streichen, und das wird uns einen Anspruch auf Pardon geben. Wir sind es unserer Mannheit schuldig, uns so lange als tunlich zu halten; für uns selbst aber haben wir die Verpflichtung, die Flagge niederzuhalten, wenn es noch Zeit ist, anständige Bedingungen zu machen. Ich wünschte, Herr Muir sollte dasselbe tun, als wir von diesen Burschen, die Ihr Landstreicher nennt, gefangen wurden – ja, sie heißen mit Recht so, denn elendere Landstreicher gibt es nicht auf der Erde –«

»Ihr habt ihren Charakter jetzt kennengelernt?« unterbrach ihn Pfadfinder, der immer bereit war, ebensogut in die Schmähungen gegen die Mingos wie in das Lob seiner Freunde einzustimmen. »Ja, wenn Ihr in die Hände der Delawaren gefallen wärt, so würdet Ihr wohl einen Unterschied gefunden haben.«

»Ach, mir schienen sie ganz von derselben Art zu sein, Halunken hinten und vorn, natürlich Euren Freund, die Schlange, ausgenommen, der ein wahrer Gentleman von einem Indianer ist. Aber als diese Wilden ihren Ausfall auf uns machten und den Korporal M’Nab und seine Leute wie die Hasen niederschossen, nahmen wir – der Quartiermeister und ich – unsere Zuflucht zu einer der Höhlen dieser Insel, von denen es viele unter den Felsen gibt – regelmäßige, geologische Unterhöhlungen durch das Wasser, wie der Leutnant sagt –, und da blieben wir eingestaut wie zwei Belagerte in einem Schiffsraum, bis uns der Mangel an Nahrung heraustrieb. Man kann sagen, die Nahrung sei das Fundament der Menschennatur. Ich verlangte von dem Quartiermeister, er solle Bedingungen machen, denn wir hätten uns auf dem Platze, so schlecht er auch war, ein oder zwei Stunden verteidigen können; aber er lehnte es ab, weil diese Schurken doch nicht Wort halten würden, wenn man einen von ihnen verwundete, und so war also von Unterhandlungen keine Rede. Ich gab aus zwei Gründen meine Einwilligung zum Streichen; erstens da man von uns sagen konnte, wir hätten bereits gestrichen, denn das Laufen nach unten wird schon im allgemeinen für ein Aufgeben des Schiffes betrachtet, und zweitens hatten wir einen Feind in unserm Magen, dessen Angriffe furchtbarer waren als der Feind auf dem Verdeck. Der Hunger ist ein verdammter Umstand, wie jeder zugeben wird, der sich achtundvierzig Stunden mit ihm ‚rumgeschlagen hat.«

»Onkel!« sagte Mabel mit trauriger Stimme und bittender Gebärde, »mein armer Vater ist schwer, schwer verwundet!«

»Du hast recht, Magnet; du hast recht; ich will mich zu ihm setzen und mein Bestes tun, ihn zu trösten. Sind die Balken gut vorgelegt, Mädel? Denn bei einer solchen Gelegenheit muß der Geist ruhig und ungestört sein.«

»Ich glaube, wir sind vor allem sicher, nur nicht vor diesem schweren Schlag des Schicksals.«

»Gut also, Magnet; geh in den oberen Stock hinauf und versuch, dich zu sammeln, indes der Pfadfinder über dem Verdeck patrouilliert und von dem Mastbaumkreuzen seinen Lugaus nimmt. Dein Vater will mir was anvertrauen, und es wird gut sein, wenn du uns allein läßt. Das sind feierliche Momente, und so unerfahrene Leute, wie ich, haben’s nicht gerne, daß man alles hört, was sie sagen.«

Obgleich Mabel nie der Gedanke gekommen war, daß ihr Onkel an der Seite eines Sterbebettes von den Tröstungen der Religion Gebrauch machen würde, so glaubte sie doch, daß er irgendeinen besonderen Grund zu dieser Bitte habe, der ihr unbekannt sei, und fügte sich deshalb darein. Pfadfinder hatte bereits das Dach bestiegen, um sich in der Gegend umzusehen, und die beiden Schwäger blieben allein. Cap setzte sich an die Seite des Sergeanten und sann ernstlich über die wichtige Pflicht nach, die er zu erfüllen hatte. Einige Minuten herrschte tiefes Schweigen, während der Seemann den Entwurf seiner beabsichtigten Rede überdachte.

»Ich muß sagen, Sergeant Dunham«, begann Cap endlich in seiner eigentümlichen Weise, »daß in diesem unglücklichen Zug eine schlechte Führung stattgefunden hat, und da wir nun Gelegenheit haben, die Wahrheit – und nichts als die Wahrheit – auszusprechen, so halt‘ ich’s für meine Pflicht, dieses unumwunden zu tun. Mit einem Wort, Sergeant – über diesen Punkt kann es nicht wohl zwei Meinungen geben; denn obgleich ich nur ein Seemann und kein Soldat bin, so kann ich doch selbst mehrere Fehler entdecken, deren Auffindung gerade keiner besondern Vorstudien bedarf.«

»Was willst du damit, Bruder Cap?« erwiderte der andere mit schwacher Stimme. »Was geschehen ist, ist geschehen; und es ist jetzt zu spät, es zu ändern.«

»Sehr wahr, Bruder Dunham; aber nicht, es zu bereuen. Das Gute Buch sagt uns, daß die Reue nie zu spät kommt, und ich hab‘ immer gehört, ein Augenblick, wie der gegenwärtige, sei der kostbarste zu einem solchen Geschäft. Wenn du was auf deiner Seele hast, Sergeant, so gib’s los, denn du weißt, daß du dich einem Freund anvertraust. Du bist meiner Schwester Mann gewesen, und die arme kleine Magnet ist meiner Schwester Tochter; magst du nun am Leben bleiben oder sterben, so werd‘ ich dich immer wie einen Bruder betrachten. Es ist jammerschade, daß du nicht mit den Booten liegen bliebst und einen Kahn zum Rekognoszieren vorausschicktest, du würdest dann deine Leute gerettet und diesen Unfall von unseren Häuptern abgewendet haben. Nun, Sergeant, wir sind alle sterblich – das ist ohne Zweifel einiger Trost, und wenn du auch vorangehst, so kommt doch die Reihe bald an uns. Ja, das muß dir zum Trost gereichen.«

»Ich weiß das alles, Bruder Cap, und hoffe, ich bin vorbereitet, das Schicksal eines Soldaten zu erfüllen; – aber die arme Mabel –«

»Ja, ja, das treibt schwer vor Anker, ich weiß; aber du möchtest sie doch nicht mitnehmen, wenn du auch könntest, Sergeant, und so ist es besser, sich die Trennung so leicht wie möglich zu machen. Mabel ist ein gutes Mädel, wie ehedem ihre Mutter; sie war meine Schwester, und ich will dafür sorgen, daß ihre Tochter einen braven Mann bekommt, wenn wir mit dem Leben und unsern Skalpen davonkommen: Denn ich denke, daß es niemand drum zu tun sein würde, in eine Familie, die keine Skalpe hat, reinzuheiraten.«

»Bruder, mein Kind ist versprochen; sie wird das Weib des Pfadfinders werden.«

»Nun, Bruder Dunham, jeder hat seine besonderen Begriffe und Lebensansichten, und der Handel kann, wie mir vorkommt, Mabel nichts weniger als angenehm sein. Ich hab‘ nichts gegen das Alter des Mannes einzuwenden, denn ich gehör‘ nicht zu denen, die es für nötig halten, daß man ein Knabe sein muß, um ein Mädchen glücklich zu machen, sondern halt‘ im allgemeinen einen Fünfziger für den geeignetsten Ehemann; aber es darf kein Umstand zwischen den Parteien obwalten, der sie unglücklich machen könnte. Im Ehestand sind Umstände des Teufels, und es kommt mir fast als ein solcher vor, daß der Pfadfinder nicht soviel Kenntnisse hat wie meine Nichte. Du hast nur wenig von dem Mädel gesehen, Sergeant, und bist mit dem Umfang ihres Wissens nicht bekannt; aber sie soll ihn einmal auskramen, sie soll ihn dir durch und durch zeigen, und du wirst mir beistimmen, daß nur wenige Schulmeister mit ihr Luv halten können.«

»Sie ist ein gutes Kind, ein liebes, gutes Kind«, flüsterte der Sergeant mit tränenfeuchtem Auge; »und es ist mein Mißgeschick, daß ich nur so wenig von ihr gesehen habe.«

»Sie ist, bei Gott! ein gutes Mädel und weiß viel zuviel für den armen Pfadfinder, der zwar in seiner Weise ein ganz vernünftiger und erfahrener Mann ist, aber von der Hauptsache nichts weiter versteht, als du von der sphärischen Trigonometrie, Sergeant.«

»Ach, Bruder Cap, wär‘ der Pfadfinder bei uns in den Booten gewesen, so hätt’s wahrscheinlich nicht diesen traurigen Ausgang genommen.«

»Das ist wohl möglich, denn sein ärgster Feind muß ihm nachsagen, daß er ein guter Kundschafter ist. Aber, Sergeant, die Wahrheit zu sagen, du hast diese Expedition ziemlich auf die leichte Achsel genommen. Du hättest vor dem Hafen bleiben und ein Rekognoszierboot ausschicken sollen, wie ich dir vorhin gesagt habe. Das ist eine Sache, die du bereuen solltest; und ich sag’s dir, weil man in einem solchen Falle die Wahrheit sprechen muß.«

»Meine Verirrungen sind mir teuer zu stehen gekommen, Bruder; und ich fürchte, die arme Mabel wird es auszubaden haben. Doch ich glaube, daß uns das Unglück nicht begegnet wäre, wenn nicht Verrat die Hand im Spiele gehabt hätte. Ich fürchte, Bruder, es ist ein Streich von Eau-douce.«

»Das ist auch meine Ansicht, denn dieses Frischwasserleben muß früher oder später die Sittlichkeit eines jeden untergraben. Leutnant Muir und ich haben viel über diesen Gegenstand gesprochen, während wir da draußen in einem Stückchen Höhle lagen, und wir kamen beide zu dem Schluß, daß nur Jaspers Verräterei uns alle in diese höllische Klemme gebracht hat. Doch, Sergeant, es ist besser, du sammelst deinen Geist und denkst an andere Gegenstände, denn wenn ein Fahrzeug im Begriff ist, in einen fremden Hafen einzufahren, so ist es klüger, an den Ankergrund drinnen zu denken, als sich durch Betrachtung aller Begebnisse während der Reise stören zu lassen. Solche Dinge aufzuzeichnen, ist das Logbuch ausdrücklich vorhanden, und was in dem steht, bildet die Spalten, die für oder gegen uns sprechen. – Nun, Pfadfinder, was gibt’s? Ist was gegen uns in dem Wind, daß Ihr die Leiter herunterkommt, wie ein Indianer in dem Kielwasser eines Skalps?«

Der Kundschafter winkte mit dem Finger zu schweigen, und er bedeutete Cap, daß er die Leiter hinaufsteigen und seinen Platz an der Seite des Sergeanten Mabel einräumen solle.

»Wir müssen klug, aber auch zugleich kühn sein«, sagte er leise. »Dieses Gezücht macht Ernst mit seiner Absicht, das Blockhaus anzuzünden, denn sie wissen, daß jetzt nichts mehr zu gewinnen ist, wenn sie es stehen lassen. Ich hörte die Stimme des Strolches Pfeilspitze unter ihnen, der sie antrieb, ihre Teufelei noch in dieser Nacht auszuführen. Wir müssen rührig sein, Salzwasser, und tätig dazu. Zum Glück sind vier oder fünf Tonnen mit Wasser in dem Blockhaus, und das ist schon ein bißchen was bei einer Belagerung. Auch müßt‘ ich mich sehr verrechnen, wenn wir nicht noch einigen Vorteil aus dem Umstand ernten könnten, daß der ehrliche Chingachgook in Freiheit ist.«

Cap ließ sich nicht zweimal auffordern, sondern schlich sich weg und war bald mit Pfadfinder in dem oberen Raum, indem Mabel seine Stelle an dem ärmlichen Lager ihres Vaters einnahm. Pfadfinder öffnete, nachdem er das Licht so weit verborgen hatte, daß es ihn keinem verräterischen Schuß aussetzen konnte, eine Schießscharte, und hielt, da er eine Aufforderung erwartete, sein Gesicht an die Öffnung, um sogleich antworten zu können. Die nun folgende Stille wurde endlich durch Muirs Stimme unterbrochen.

»Meister Pfadfinder«, rief der Schotte, »ein Freund fordert Euch zu einer Besprechung auf. Kommt ohne Scheu an eine der Öffnungen, denn Ihr habt nichts zu fürchten, solang‘ Ihr mit einem Offizier des Fünfundfünfzigsten verhandelt.«

»Was begehren Sie, Quartiermeister? Was wollen Sie? Ich kenne das Fünfundfünfzigste und glaube, daß es ein braves Regiment ist, obgleich ich’s mit dem Sechzigsten lieber zu tun habe, und am allerliebsten mit den Delawaren. Aber was verlangen Sie von mir, Quartiermeister? Es muß eine dringende Botschaft sein, die Sie zu dieser Stunde der Nacht unter die Schießscharten eines Blockhauses bringt, in dessen Innerem, wie Sie wissen, der Wildtod ist.«

»Oh, ich weiß gewiß, daß Ihr einem Freund kein Leid tun werdet, und das ist meine Beruhigung. Ihr seid ein Mann von Verstand und habt Euch durch Eure Tapferkeit einen zu großen Namen an der Grenze erworben, als daß Ihr es für nötig halten könntet, ihn durch Tollkühnheit in Ehren zu erhalten. Ihr werdet wohl einsehen, mein guter Freund, daß man, wenn Widerstand unmöglich ist, durch eine freiwillige Unterwerfung ebensoviel Achtung gewinnen kann wie durch ein hartnäckiges, gegen alle Kriegsregeln laufendes Ausharren. Der Feind ist zu stark für uns, mein wackerer Kamerad, und ich komme, Euch zu raten, das Blockhaus zu übergeben unter der Bedingung, als Kriegsgefangener behandelt zu werden.«

»Ich dank‘ Ihnen für diesen Rat, Quartiermeister, der um so annehmlicher ist, da er nichts kostet; aber ich glaube, es gehört nicht zu meinen Gaben, einen solchen Platz aufzugeben, solange Proviant und Wasser da ist.«

»Gut, ich würde der letzte sein, Pfadfinder, der gegen ein solches mutiges Vorhaben irgendwas zu erinnern hätte, wenn ich die Möglichkeit seiner Ausführung einsehen könnte. Aber Ihr werdet wissen, daß Meister Cap gefallen ist.«

»Ah, bewahre«, krächzte Cap durch eine andere Schießscharte; »er ist so wenig gefallen, Leutnant, daß er vielmehr zu der Höhe dieser Befestigung gestiegen ist und nicht im Sinn hat, seinen Kopf wieder in die Hände solcher Barbiere zu geben, solange er’s ändern kann. Ich betrachte dieses Blockhaus als einen Umstand und denke nicht daran, ihn von mir zu werfen.«

»Wenn das die Stimme eines Lebenden ist«, erwiderte Muir, »so freut mich’s, sie zu vernehmen; denn wir alle glauben, der Mann, dem sie angehört, sei in der letzten schrecklichen Verwirrung gefallen. Aber Meister Pfadfinder, obgleich Ihr Euch der Gesellschaft Eures Freundes Cap erfreut, was großes Vergnügen gewährt, wie ich aus Erfahrung weiß, da ich zwei Tage und zwei Nächte mit ihm in einer Höhle unter der Erde zubrachte, so haben wir doch den Sergeanten Dunham verloren, der mit allen Tapferen gefallen ist, die er in der letzten Expedition anführte. Lundie wollte es so haben, obschon es vernünftiger und passender gewesen wäre, einem wirklichen Offizier das Kommando zu übertragen. Dunham war aber trotzdem ein braver Soldat; Ehre seinem Andenken! Kurz, wir haben alle unser Bestes getan, und mehr läßt sich selbst zugunsten des Prinzen Eugen oder des Herzogs von Marlborough nicht sagen.«

»Sie sind wieder irrig daran, Quartiermeister, Sie sind wieder irrig daran«, antwortete Pfadfinder, indem er, um der Stärke seiner Verteidigungsmittel mehr Achtung zu verschaffen, zu einer List seine Zuflucht nahm. »Der Sergeant ist gleichfalls wohlbehalten im Blockhaus und daher sozusagen die ganze Familie beieinander.«

»Gut – es freut mich, das zu hören, denn wir hatten den Sergeanten zuverlässig zu den Erschlagenen gezählt. Aber wenn die schöne Mabel noch in dem Blockhaus ist, so laßt sie nur um des Himmels willen keinen Augenblick mehr darin bleiben, denn der Feind ist im Begriff, das Gebäude der Feuerprobe zu unterwerfen. Ihr kennt die Macht dieses fürchterlichen Elements und werdet mehr als der verständige, erfahrene Krieger handeln, für den man Euch allgemein betrachtet, wenn Ihr einen Platz aufgebt, den Ihr nicht verteidigen könnt, als wenn Ihr Eure Gefährten in Euern Untergang mit hereinzieht.«

»Ich kenne die Macht des Feuers, wie Sie es nennen, Quartiermeister, und brauch‘ mir nicht erst sagen zu lassen, daß es sich auch noch zu was anderem als zum Kochen des Mittagessens benutzen läßt. Ich zweifle jedoch nicht, daß auch Sie was von der Macht des Wildtodes gehört haben, und der Mann, der es wagt, einen Reisbündel an diese Balken zu legen, soll was davon zu kosten kriegen. Was die Pfeile anbelangt, so gehört es nicht zu ihren Gaben, dieses Gebäude in Brand zu stecken, denn wir haben keine Schindeln auf unserem Dach, sondern gute, kernige Klötze und grüne Rinde; außerdem Wasser die Fülle. Auch ist das Dach so flach, daß wir darauf herumgehen können, wie Sie wohl wissen, Quartiermeister, und so hat’s also von dieser Seite keine Gefahr, solange das Wasser ausreicht. Ich bin friedlich genug, wenn man mich zufrieden läßt; wer’s aber versucht, dieses Blockhaus über meinem Kopf anzuzünden, der soll finden, daß sich das Feuer in seinem Blut kühlen wird.«

»Das sind unnütze und romanhafte Reden, Pfadfinder, und Ihr werdet sie selbst nicht festhalten, wenn Ihr über die Wirklichkeit nachdenkt. Ich hoffe, Ihr werdet gegen die Loyalität und den Mut des Fünfundfünfzigsten nichts einzuwenden haben, und ich bin überzeugt, daß sich ein Kriegsrat unverzüglich zu einer Übergabe entschließen würde. Nein, nein, Pfadfinder, Tollkühnheit ist der Tapferkeit eines Wallace oder Bruce nicht ähnlicher als Albany am Hudson der alten Stadt Edinburgh.«

»Da ein jeder von uns mit sich im reinen zu sein scheint, so sind weitere Worte fruchtlos. Wenn dieses Gewürm in ihrer Nähe Lust hat, sein höllisches Werk auszuführen, so soll’s bloß mal anfangen. Sie können Holz und ich Pulver verbrennen. Wenn ich ein Indianer am Pfahl wäre, so glaub‘ ich, ich könnte ebensogut prahlen wie die übrigen; aber meine Natur und meine Gaben sind die eines Weißen, und ich halt‘ es daher lieber mit Handlungen als mit Worten. Sie haben nun für einen Offizier in des Königs Dienst genug gesagt; und sollten wir auch alle von den Flammen verzehrt werden, so wird niemand von uns Ihnen einen Groll nachtragen.«

»Pfadfinder, Ihr werdet doch Mabel, die schöne Mabel Dunham, nicht einem solchen Unglück aussetzen wollen?«

»Mabel Dunham ist an der Seite ihres Vaters, und Gott wird für die Sicherheit eines frommen Kindes Sorge tragen. Kein Haar soll von ihrem Haupt fallen, solange mir Arm und Auge treu bleibt. Mögen Sie immer auf die Mingos Ihr Vertrauen setzen, Herr Muir, ich wenigstens tue es nicht. Sie haben dort einen schurkischen Tuscarora in Ihrer Gesellschaft, der Bosheit und Verschlagenheit genug besitzt, die Ehre eines jeden Stammes, zu dem er sich hält, zu vernichten, obgleich er, wie ich fürchte, die Mingos hinlänglich verderbt gefunden hat. Doch kein Wort mehr; mag jede Partei nun von ihren Mitteln und Gaben Gebrauch machen.«

Während des ganzen Gesprächs hatte der Pfadfinder seinen Körper gedeckt gehalten, damit ihn kein verräterischer Schuß durch die Schießscharte treffe, und nun gab er Cap die Weisung, auf das Dach zu steigen, um zur Begegnung des ersten Angriffs bereit zu sein. Obgleich der letztere so ziemlich an Eile gewöhnt war, so fand er doch wenigstens schon zehn flammende Pfeile in der Rinde stecken, indes die Luft von den gellenden Tönen des feindlichen Kriegsgeschreis erfüllt wurde. Darauf folgte ein rasches Büchsenfeuer und die Kugeln knatterten gegen die Holzstämme, so daß es deutlich war, der Kampf habe allen Ernstes begonnen.

Dies waren jedoch Töne, die weder Pfadfinder noch Cap erschreckten, und Mabel war zu sehr in ihren Kummer vertieft, um Unruhe zu fühlen. Auch war sie verständig genug, die Natur der Verteidigungsmittel zu verstehen und ihre Wirksamkeit zu würdigen. In dem Sergeanten jedoch weckte dieser Lärm wieder neues Leben, und mit Wehmut bemerkte in diesem Augenblick sein Kind, daß das matte Auge abermals zu leuchten begann und das Blut in die erblaßten Wangen zurückkehrte, als er diesen Aufruhr vernahm. Mabel bemerkte jetzt zum erstenmal, daß sein Geist anfing, irre zu werden.

»Leichte Kompagnien vor!« flüsterte er. »Grenadiere, Feuer! Wagen sie’s, uns in unserm Fort anzugreifen? Warum gibt die Artillerie nicht Feuer auf sie?«

In diesem Augenblick ließ sich der dumpfe Knall eines schweren Geschützes durch die Nacht vernehmen. Man hörte das Krachen des zersplitterten Holzes, als eine schwere Kugel die Stämme des oberen Raumes zerriß, und das ganze Blockhaus erbebte unter der Gewalt einer Bombe, die in das Haus gedrungen war. Der Pfadfinder entging kaum diesem schrecklichen Geschoß; aber als es platzte, konnte Mabel einen Ruf des Schreckens nicht unterdrücken, da sie alles Lebende und Leblose über ihrem Haupt für zerstört hielt. Um ihr Entsetzen zu vermehren, rief ihr Vater mit wütender Stimme: »Zum Angriff!«

»Mabel«, rief Pfadfinder durch die Falltür herunter, »das ist echte Mingoarbeit – mehr Lärm als Schaden. Die Landstreicher haben sich der Haubitze, die wir den Franzosen abnahmen, bemächtigt und sie gegen das Blockhaus abgefeuert. Zum Glück haben sie jetzt die einzige Bombe, die wir hatten, verschossen, und es ist nun nichts Derartiges mehr zu fürchten. Es ist dadurch zwar einige Verwirrung in die Vorräte dieses Stockwerks gekommen, aber niemand ist verletzt. Ihr Onkel ist noch auf dem Dach, und was mich anbelangt, so hab‘ ich schon zu oft im Kugelregen gestanden, um mich durch ein Ding wie ’ne Haubitze einschüchtern zu lassen, und dazu noch in den Händen von Indianern.«

Mabel flüsterte ihren Dank und versuchte es, ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihren Vater zu wenden, der immer aufstehen wollte und nur durch seine Schwäche davon abgehalten wurde. Während der schrecklichen Minuten, die nun folgten, war sie so sehr mit der Pflege des Kranken beschäftigt, daß sie kaum des Geschreis achtete, das rundherum tobte. Der Aufruhr war aber auch so groß, daß, hätten ihre Gedanken nicht eine andere Richtung genommen, wahrscheinlich eher Verwirrung des Verstandes als Entsetzen die Folge gewesen wäre.

Cap entwickelte eine bewunderungswürdige Besonnenheit. Er hatte allerdings einen großen und sich immer steigernden Respekt vor der Macht der Wilden und der Majestät des Frischwassers; aber alle seine Befürchtungen vor den Wilden gingen mehr von der Scheu, skalpiert und gemartert zu werden, als von einer unmännlichen Todesfurcht aus. Da er nun, wenn auch nicht auf dem Verdeck eines Schiffes, so doch auf dem Verdeck eines Hauses stand und wußte, daß ein Entern nicht zu befürchten war, so bewegte er sich mit einer Furchtlosigkeit und einer tollkühnen Gefährdung seiner Person hin und her, die der Pfadfinder, wenn er sie bemerkt hätte, zuerst getadelt haben würde. Statt nach der Gewohnheit des Indianerkriegs seinen Körper gedeckt zu halten, zeigte er sich an jeder Stelle des Daches und goß rechts und links mit jener Beharrlichkeit und Unbesorgtheit Wasser aus, mit der ein Segelsetzer seine Kunst in einer Seeschlacht ausgeübt hätte. Seine Erscheinung war eine der Ursachen des außerordentlichen Geschreis unter den Angreifenden, die, nicht daran gewöhnt, ihre Feinde so unbekümmert zu sehen, ihre Zungen gegen ihn schießen ließen wie eine Meute Hunde, die den Fuchs im Auge haben. Er schien jedoch ein durch Zauber geschütztes Leben zu besitzen, denn obgleich die Kugeln von allen Seiten um ihn pfiffen und seine Kleider verschiedene Male durchbohrten, so konnte ihm doch keine die Haut ritzen. Als die Bombe weiter unten durch die Balken drang, ließ der alte Seemann seinen Eimer fallen, schwenkte seinen Hut und ließ drei Hurras erschallen, und gerade während dieses heroischen Aktes platzte das gefährliche Geschoß. Diese charakteristische Tat rettete wahrscheinlich sein Leben; denn von diesem Augenblick an ließen die Indianer nach, auf ihn zu feuern oder ihre flammenden Pfeile nach dem Blockhaus zu schießen, da sie gleichzeitig und übereinstimmend die Überzeugung gewannen, daß das »Salzwasser« toll sei; und es ist ein eigentümlicher Zug ihrer Großmut, daß sie nie Hand an jene legten, deren Verstand sie verwirrt glaubten.

Pfadfinders Benehmen war sehr verschieden. Was er tat, geschah mit der genauesten Berechnung – eine Folge langjähriger Erfahrung und gewohnter Besonnenheit. Er hielt sich sorgfältig aus den Linien der Schießscharten, und der Ort, den er zu seinem Lugaus gewählt hatte, war keiner Gefahr ausgesetzt. Man wußte von diesem berühmten Kundschafter, daß er oft, wo nichts mehr zu hoffen war, einen glücklichen Ausweg gefunden hatte: daß er schon einmal am Pfahl stand und die Grausamkeiten und Hohnworte des wilden indianischen Witzes ohne einen Klagelaut erduldete. Erzählungen von seinen Taten, von seiner Besonnenheit und seiner Kühnheit waren an der ganzen weiten Grenze, wo nur immer Menschen wohnten und Menschen kämpften, im Umlauf. Aber bei dieser Gelegenheit hätte einer, der seine Geschichte und seinen Charakter nicht kannte, der außerordentlichen Vorsicht und der großen Aufmerksamkeit auf seine Selbsterhaltung einen unwürdigen Beweggrund unterschieben können. Ein solcher Richter hätte jedoch den Mann nicht verstanden. Der Pfadfinder dachte an Mabel und an die wahrscheinlichen Folgen, denen das arme Mädchen ausgesetzt wäre, wenn ihm selbst ein Unfall begegnete; aber dieser Gedanke – statt seine gewohnte Klugheit zu ändern, schärfte eher seine geistigen Kräfte. Er war wirklich einer von denen, die Furcht so wenig kennen, daß sie gar nicht daran denken, was andere von ihrem Benehmen denken mögen. Aber wenn er in Augenblicken der Gefahr mit der Klugheit der Schlange handelte, so tat er es auch mit der Einfalt eines Kindes.

Während der ersten zehn Minuten des Angriffs erhob Pfadfinder nie den Schaft seiner Büchse von dem Boden, als wenn er seine Stellung wechselte, denn er wußte wohl, daß die feindlichen Kugeln gegen die dicken Holzstämme des Werks vergeblich abgeschossen waren; und da er bei Wegnahme der Haubitze mit tätig gewesen, so konnte er der festen Überzeugung leben, daß die Wilden keine andere Bombe besäßen als jene, die sich in dem genommenen Mörser befunden hatte. Es war daher kein Grund vorhanden, das Feuer der Angreifenden zu fürchten, wenn nicht zufällig eine Kugel durch die Öffnung einer Schießscharte flog. Dies kam ein- oder zweimal vor, aber die Kugeln waren unter einem Winkel eingedrungen, der sie unschädlich machte, solange sich die Indianer in der Nähe des Blockhauses hielten, und wenn sie aus größerer Entfernung abgeschossen wurden, so war kaum die Möglichkeit vorhanden, daß von Hunderten eine die Öffnung träfe. Als aber Pfadfinder den Ton eines Mokassintrittes und das Rascheln von Gestrüpp am Fuß des Gebäudes vernahm, so wurde es ihm klar, daß der Versuch, Feuer an die Balken zu legen, erneuert werden sollte. Er rief daher Cap vom Dach, wo jetzt keine Gefahr mehr zu befürchten war und forderte ihn auf, sich mit seinem Wasser an einer Öffnung, die unmittelbar über der bedrohten Stelle lag, bereit zu halten.

Ein Mann von weniger Erfahrung als unser Held möchte wohl zu hastig einen so gefährlichen Versuch zu vereiteln gesucht und zu früh zu den Hilfsmitteln, die ihm zu Gebote standen, seine Zuflucht genommen haben – aber nicht so Pfadfinder. Seine Absicht war nicht nur, das Feuer zu löschen, das ihm wenig Besorgnis einflößte, sondern vielmehr, dem Feind eine Lehre zu geben, die ihn für den Rest der Nacht vorsichtig machen sollte. Um das letztere Vorhaben auszuführen, mußte er warten, bis ihm das Licht des beabsichtigten Brandes ein Ziel zeigte; denn er wußte wohl, daß dann eine kleine Probe seiner Geschicklichkeit zureichen würde. Er ließ daher die Irokesen unangefochten dürres Gestrüpp sammeln, es am Blockhaus aufhäufen, anzünden und sie wieder in ihre Verstecke zurückkehren. Cap sollte nur ein volles Wasserfaß unmittelbar zu der Öffnung über der bedrohten Stelle rollen, um im geeigneten Augenblick für den Gebrauch bereit zu sein. Dieser Augenblick war aber, nach Pfadfinders Ansicht, nicht früher vorhanden, als bis die Flamme das benachbarte Gebüsch beleuchtete und dem raschen und geübten Auge des Kundschafters Zeit gelassen hatte, die Gestalten von drei oder vier lauernden Wilden zu entdecken, die mit der kalten Gleichgültigkeit von Menschen, die gewöhnt sind, teilnahmslos auf das menschliche Elend zu blicken, auf die Fortschritte des Brandes achteten. Jetzt erst sprach er.

»Seid Ihr bereit, Freund Cap?« fragte er. »Die Hitze fängt an, durch die Spalten zu dringen, und obgleich diese grünen Stämme nicht die feuerfangende Natur eines reizbaren Menschen haben, so mögen sie doch am Ende auflodern, wenn man sie allzusehr herausfordert. Seid Ihr mit dem Faß bereit? Gebt acht, daß Ihr es in die rechte Lage bringt, und daß das Wasser nicht unnötig verwendet wird.«

»Alles bereit!« antwortete Cap in dem Ton, mit dem der Matrose auf dem Schiff eine solche Aufforderung zu erwidern pflegt.

»Dann wartet, bis ich Euch weitere Weisung gebe. Man darf sowenig zu hastig in einem gefährlichen Augenblick sein wie tollkühn in einer Schlacht. Wartet, bis ich’s Euch sage.«

Während der Pfadfinder diese Anweisungen gab, machte er seine eigenen Vorbereitungen, denn er sah, daß der Augenblick des Handelns gekommen sei. Der Wildtod wurde vorsichtig gehoben, angelegt und abgefeuert. Das Ganze dauerte ungefähr eine halbe Minute, und nachdem er die Büchse wieder hereingenommen hatte, brachte der Schütze sein Auge an die Schießscharte.

»Eines von diesen Reptilien weniger«, brummte Pfadfinder in den Bart. »Ich habe diesen Strolch schon früher mal gesehen, und ich kenn‘ ihn als einen schonungslosen Teufel. Noch einen von diesen Schuften, und das wird guttun für diese Nacht. Wenn das Tageslicht kommt, werden wir heißere Arbeit kriegen.«

Mittlerweile wurde eine andere Büchse bereitgehalten, und als Pfadfinder zu sprechen aufgehört hatte, fiel ein zweiter Wilder.

Das war in der Tat hinreichend; denn die ganze Rotte, die sich in das Gebüsch um das Blockhaus herum verkrochen hatte, empfand keine Lust, eine dritte Heimsuchung von derselben Hand abzuwarten, und da keiner wissen konnte, wer dem Auge des Schützen ausgesetzt war, so hüpften sie aus ihren Verstecken und flüchteten sich nach verschiedenen Richtungen, um ihre Haut in Sicherheit zu bringen.

»Jetzt gießt aus, Meister Cap«, sagte Pfadfinder, »ich habe diesen Blaustrümpfen einen Denkzettel gegeben; sie werden uns in dieser Nacht kein Feuer mehr anzünden.«

»Achtung!« schrie Cap, indem er das Faß mit einer Sorgfalt ausschüttete, daß die Flammen auf einmal und vollständig erloschen.

So endete dieser sonderbare Kampf, und der Rest der Nacht verfloß in Ruhe. Pfadfinder und Cap wachten abwechselnd, obgleich man von keinem sagen konnte, daß er wirklich schliefe. Auch schien der Schlaf kein Bedürfnis für sie zu sein, da beide an langes Wachen gewöhnt waren, und es gab Zeiten, wo der erstere buchstäblich gegen die Anforderungen des Hungers und Durstes unempfindlich und gegen die Wirkungen der Ermüdung ganz abgestumpft schien.

Mabel wachte an ihres Vaters Lager und begann zu fühlen, wie oft unser zeitliches Glück nur von Dingen abhängt, die in der Einbildung bestehen. Bisher hatte sie eigentlich ohne Vater gelebt, da ihre Verbindung mit ihm eher eine geistige als eine wirkliche zu nennen war. Jetzt aber, da sie ihn verlieren sollte, betrachtete sie den Augenblick seines Todes als den Abschnitt, der ihr die Welt zur Öde machte und all ihr irdisches Glück zerstörte.