Achtundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

Die Weise, in der der Rat der Drei seine offenen Zusammenkünfte hielt, wenn irgend etwas, was die mysteriöse Versammlung anging, offen genannt werden kann, ist bereits erzählt worden. Es waren wieder dieselben Anzüge, Masken und Offizianten der Inquisition wie bei jenem in einem früheren Artikel beschriebenen Auftritte. Nur der Charakter der Richter war ein anderer sowie der des Angeklagten.

Durch eine besondere Einrichtung der Lampe ward das meiste Licht auf den Fleck geworfen, wo der Gefangene stehen sollte, während die Seite des Zimmers, an der die Inquisitoren saßen, in einem Dunkel blieb, das zu ihrem düstern, geheimnisvollen Amte gar wohl stimmte. Ehe sich die Tür öffnete, durch die der Beschuldigte eintreten mußte, hörte man das Klirren der Ketten, ein sicheres Anzeichen, daß der vorliegende Fall als sehr ernstlich angesehen ward. Die Angeln drehten sich, und der Bravo stand vor den unbekannten Männern, die über sein Schicksal zu entscheiden hatten.

Da Jacopo oft vor dem Rat erschienen war, obgleich niemals als Gefangener, so verriet er weder Überraschung noch Bestürzung bei dem finsteren Anblick umher. Sein Gesicht war bleich, aber gefaßt, seine Glieder unbeweglich und seine Miene bescheiden. Als sich das kleine Geräusch gelegt hatte, das bei seinem Eintritt entstand, herrschte in dem Zimmer tiefe Stille.

»Du heißest Jacopo Frontoni?« sagte der Sekretär, der das Mundstück der Drei bei dieser Gelegenheit abgab.

»Ja.«

»Du bist der Sohn eines gewissen Ricardo Frontoni, eines durch Zolldiebstahl berüchtigten Mannes, von dem man glaubt, daß er nach den entfernten Inseln verbannt oder anderweitig bestraft wurde?«

»Signore – oder anderweitig bestraft wurde.«

»Du warst Gondoliere in deiner Jugend?«

»Das war ich.«

»Deine Mutter ist –«

»– tot«, sagte Jacopo, als er bemerkte, daß der andere schwieg, um seine Instruktion anzusehen.

Der tiefe Ton, mit dem er dieses Wort sprach, erregte eine Stille, die der Sekretär erst unterbrach, nachdem er einen Blick hinter sich auf die Richter geworfen hatte.

»Sie war nicht der Teilnahme an dem Verbrechen deines Vaters angeklagt?«

»Und wäre sie es gewesen, Signore, sie ist längst nicht mehr im Bereiche der Macht dieser Republik.«

»Bald nachdem dein Vater das Mißfallen des Staates erregt hatte, gabst du dein Geschäft als Gondoliere auf?«

»Signore, ja.«

»Du bist angeklagt, Jacopo, das Ruder mit dem Stilett vertauscht zu haben.«

»Signore, ja.«

»Die Gerüchte von deinen Bluttaten haben seit mehreren Jahren zugenommen in Venedig, bis in der letzten Zeit keiner mehr eines unzeitigen Todes starb, dessen Ermordung man dir nicht zugeschrieben hätte.«

»Das ist nur zu wahr, Signore Segretario. – Ich wollte, dem wäre nicht so.«

»Die Ohren Seiner Hoheit und die Ratskollegien sind nicht verschlossen geblieben vor diesen Gerüchten, sondern haben sie lange mit dem Ernst einer väterlichen und sorgsamen Regierung erwogen. Wenn sie dich frei herumgehen ließen, so geschah es nur, um nicht den Hermelin der Gerechtigkeit durch ein übereiltes und nicht hinlänglich begründetes Erkenntnis zu beflecken.«

Jacopo neigte sein Haupt und gab keine Antwort. Aber ein Lächeln, so wild und bedeutungsvoll, glitt bei dieser Erklärung über seine Züge, daß der Offiziant des geheimen Tribunals, der als Organ der Mitteilung diente, auf das Papier niederblickte, das er in der Hand hielt, als wollte er tiefer in die Schriften hineinsehen.

»Es ist nunmehr eine ganz besondere und fürchterliche Beschwerde gegen dich beigebracht worden, Jacopo Frontoni«, fuhr der Sekretär fort, »und aus Fürsorge für das Leben seiner Bürger hat der gefürchtete Rat selbst die Sache in die Hand genommen. Hast du einen gewissen Antonio Vecchio, Fischer hier auf unseren Lagunen, gekannt?«

»Ja, Signore, in der letzten Zeit, und ich bedaure, ihn nicht schon früher gekannt zu haben.«

»Du weißt auch, daß sein Körper ersäuft in der Bai gefunden worden?«

Jacopo schauderte und bejahte die Frage nur durch ein Zeichen. Die Wirkung, die diese schweigende Bejahung auf den Jüngsten der Drei hervorbrachte, war unverkennbar, denn er wandte sich zu seinen Kollegen in der Überzeugung, daß dieses Zeichen einem Geständnisse gleichkomme. Die beiden anderen machten zur Erwiderung würdevolle Verneigungen, und damit war die stillschweigende Mitteilung beendet.

»Sein Tod hat Unzufriedenheit unter seinen Kameraden erregt, und die Veranlassung dazu ist ein Gegenstand ernstlicher Untersuchung für den hohen Rat geworden.«

»Der Tod des geringsten Mannes in Venedig muß den Patriziern angelegen sein, Signore.«

»Weißt du, Jacopo, daß du angeklagt bist, ihn ermordet zu haben?«

»Signore, ja.«

»Man sagt, du seiest unter den Gondolieri in der letzten Regatta gewesen und würdest ohne diesen alten Fischer den ersten Preis gewonnen haben.«

»Darin hat das Gerücht nicht gelogen, Signore.«

»Du leugnest also nicht?« rief der Inquirent mit sichtlichem Erstaunen.

»Es ist gewiß, daß ich ohne diesen Fischer gewonnen hätte.«

»Und du hast den Preis gewünscht, Jacopo?«

»Gar sehr, Signore«, erwiderte der Angeklagte mit einem Ausdruck des Gefühls, den er bisher noch nicht gezeigt hatte. »Ich war bei seinen Kameraden ein verachteter Mensch, und doch ist das Ruder mein Stolz gewesen von meiner Kindheit an bis zu jener Stunde.«

Eine Bewegung des dritten Inquisitors verriet wieder dessen Anteil und Erstaunen.

»Gestehst du dein Verbrechen?«

Jacopo lächelte, aber mehr aus Spott als aus einem andern Gefühle.

»Wenn die erlauchten Senatoren hier gegenwärtig ihre Masken abnehmen wollen, so kann ich diese Frage vielleicht mit größerer Zuversicht beantworten«, sagte er.

»Dein Verlangen ist verwegen und außer der Ordnung. Niemand kennt persönlich die Patrizier, die im Staate die letzte Entscheidung haben. Bekennst du dein Verbrechen?«

In diesem Augenblick trat ein Offiziant hastig herein, legte eine Schrift in die Hand des rotgekleideten Inquisitors und entfernte sich. Nach einer kleinen Pause befahl man den Wachen, mit dem Gefangenen abzutreten.

»Hohe Senatoren«, sagte Jacopo, indem er ernst an den Tisch trat, als wollte er den Augenblick benutzen, um durchzusetzen, was er zu fordern im Begriff stand. »Gnade! Verstattet mir, einen Gefangenen unter den Bleidächern zu besuchen! Ich habe wichtige Gründe, dies zu wünschen, und bitte euch als Menschen und Väter, es mir zu erlauben.«

Das lebhafte Interesse der zwei für die eben gebrachte Nachricht, über die sie sich seitwärts besprachen, verhinderte sie, auf sein Gesuch zu achten. Der dritte Inquisitor, Signore Soranzo, war der Lampe näher getreten, begierig, in den Zügen eines so berüchtigten Menschen zu forschen, und staunte seine auffallende Gesichtsbildung an. Gerührt durch den ergreifenden Ton seiner Rede und zum Wohlwollen gestimmt durch die Züge, die er musterte, übernahm er die Verantwortlichkeit, allein den Wunsch des Gefangenen zu gewähren.

»Erfüllt ihm, was er verlangt«, sagte er zu den Hellebardieren, »aber haltet ihn bereit, wieder vorzutreten.«

Jacopo dankte ihm durch einen Blick; aber in Besorgnis, daß die andern noch plötzlich seinem Verlangen in den Weg treten möchten, verließ er eilig das Zimmer.

Der Weg der kleinen Prozession, die sich vom Zimmer des heimlichen Gerichts nach dem Sommeraufenthalt seiner Schlachtopfer begab, bezeichnete auf traurige Weise den Ort und die Regierung.

Er führte durch finstere, verdeckte Korridore, die dem uneingeweihten Auge verborgen waren, während sie nur dünne Wände von den Zimmern des Dogen trennten, die gleich jenem äußern Anstrich des ganzen Staates hinter Pracht und Glanz nichts als Nacktheit und Elend versteckten. Als das Obergeschoß erreicht war, blieb Jacopo stehen und redete seine Führer an: »Wenn ihr Menschen seid, von Gott geschaffen, so nehmt mir, wenn auch nur für einen Augenblick, diese klingenden Ketten ab.«

Die Schließer sahen überrascht einander an, keiner wollte das Liebeswerk auf sich nehmen.

»Ich will«, fuhr der Gefangene fort, »vermutlich zum letztenmal, einen bettlägerigen oder auch schon sterbenden Vater besuchen, und er weiß nichts von meiner Lage, soll er mich in diesem Zustande sehen?«

Mächtig mehr durch Ton und Gebärde als durch Worte, verfehlte diese Anrede ihre Wirkung nicht. Ein Schließer nahm ihm die Ketten ab und hieß ihn hineingehen. Mit vorsichtigem Tritt ging Jacopo, als die Tür geöffnet war, allein in das Zimmer, denn keiner nahm an der Zusammenkunft eines gemeinen Bravo mit seinem Vater so vielen Anteil, daß er sich deshalb hätte der brennenden Hitze dieses Ortes aussetzen wollen. Hinter ihm schloß sich die Tür, und das Gemach wurde dunkel.

Ungeachtet seiner angenommenen Festigkeit blieb Jacopo erschüttert stehen, als sich ihm so plötzlich das stille Elend des unglücklichen Gefangenen veranschaulichte. Ein schweres Atmen ließ ihn den Ort des Strohlagers erraten, denn die Mauern, die auf der Seite des Korridors massiv waren, verhinderten das Eindringen des Lichtes durchaus.

»Vater!« sagte Jacopo sanft. Er erhielt keine Antwort,

»Vater!« wiederholte er lauter.

Das Atmen wurde hörbarer, darauf sprach der Gefangene.

»Die heilige Maria erhört mein Flehen«, sagte er mit schwacher Stimme. »Gott hat dich mir geschickt, mein Sohn, mir die Augen zuzudrücken.«

»Verläßt dich deine Kraft, Vater?«

»Sehr, mein Stündlein ist gekommen – ich hatte gehofft, das Tageslicht wiederzusehen, deine teure Mutter und Schwester zu segnen – Gottes Wille geschehe!«

»Sie beten für uns beide, Vater. Sie sind nicht mehr in der Gewalt des Senats.«

»Jacopo – ich versteh dich nicht!«

»Meine Mutter und meine Schwester sind tot, sind Heilige im Himmel, Vater!«

»Das ist ein plötzlicher Schlag!« sprach der alte Mann leise. »Nun, so scheiden wir zusammen.«

»Sie sind längst tot, Vater.«

»Warum hast du mir das nicht früher gesagt, Jacopo?«

»Hattest du nicht ohnehin des Grams genug? Jetzt, da du im Begriff stehst, zu ihnen zu gehen, wird es dir Freude machen, zu erfahren, daß sie schon lange selig sind.«

»Und du, du wirst allein zurückbleiben – gib mir deine Hand – armer Jacopo.«

Der Bravo griff hin und faßte die schwache Hand seines Vaters. Sie war steif und kalt.

»Jacopo!« fuhr der Gefangene fort, denn sein Geist hielt noch den Körper. »Ich habe dreimal seit einer Stunde gebetet – einmal für meine eigene Seele – einmal für den Frieden deiner Mutter – und endlich auch für dich!«

»Dank, Vater, Dank! Mir tut Fürbitte not!«

»Knie hin, Jacopo – daß ich Gott noch einmal – bitten möge, deiner zu gedenken.«

»Ich bin neben dir, Vater.«

Der alte Mann hob seinen schwachen Arm empor, und mit einer Stimme, deren Kraft sich neu zu beleben schien, sprach er einen glühenden, feierlichen Segen.

»Der Segen eines sterbenden Vaters wird deine Tage versüßen, Jacopo«, sagte er nach einer Pause, »und deinen letzten Augenblicken Frieden geben.«

»Das wird er, Vater.«

Ein rauher Ruf von der Türe her unterbrach sie.

»Komm, Jacopo«, sagte einer von den Schließern, »der Rat verlangt dich.«

Jacopo fühlte das krampfhafte Zucken seines Vaters und gab keine Antwort.

»Wollen sie dich nicht – noch ein paar Minuten hierlassen?« stammelte der alte Mann. »Ich werde dich nicht lange mehr aufhalten.«

Die Tür ging auf, und ein Strahl der Lampe fiel auf die Gruppe im Gemach. Der Schließer war so menschlich, wieder zuzumachen und alles im Dunkel zu lassen. Jacopo gewann durch dies Streiflicht einen letzten Blick in seines Vaters Gesicht. Der Tod hauste darin entsetzlich, aber die Augen waren in unaussprechlicher Liebe dem Sohne zugekehrt.

»Das ist ein barmherziger Mann – er will dich nicht aussperren«, sagte der Vater leise.

»Sie können dich nicht allein sterben lassen, Vater.«

»Sohn, mein Gott ist bei mir – doch hätte ich dich freilich gern neben mir – hast du nicht gesagt – deine Mutter und deine Schwester sind tot?«

»Tot.«

»Deine junge Schwester auch?«

»Alle beide, Vater. Sie sind Heilige im Himmel.«

Der alte Mann atmete schwer, und es ward stille. Jacopo fühlte die Bewegung einer Hand im Dunkeln, als suchte sie ihn, er ergriff sie und legte sie in Ehrfurcht auf sein eigenes Haupt.

»Gott segne dich, Jacopo!« flüsterte eine Stimme, die der aufgeregten Einbildungskraft des Bravo aus der Luft herabzuschweben schien. Den feierlichen Worten folgte ein bebendes Seufzen. Jacopo barg sein Gesicht im Bettuch und betete. Darauf ward tiefe Stille.

»Vater«, fragte er, zitternd vor seiner eigenen gedämpften Stimme.

Keine Antwort. Er streckte die Hand aus und berührte das Gesicht eines Leichnams. Mit einer Gewalt, die an Verzweiflung grenzte, beugte er abermals seinen Kopf nieder und betete inbrünstig für den Toten.

Als sich die Tür der Zelle öffnete, erschien Jacopo vor den Schließern mit einer Würde der Haltung, die nur wirklichem Charakter eigen ist, und jetzt noch erhöht war durch die eben erlebten Augenblicke. Er bot seine Arme dar und stand unbeweglich, als sie ihm die Fesseln wieder anlegten. Darauf gingen sie miteinander nach dem geheimen Zimmer, und es währte nicht lange, so standen alle wie vorher vor dem Rate der Drei.

»Jacopo Frontoni«, nahm der Sekretär das Wort, »du bist noch einer andern schwarzen Tat verdächtig, die ganz kürzlich in unserer Stadt begangen worden. Hast du einen edeln Kalabrier gekannt, der auf die Senatorwürde Anspruch machte und sich lange hier in Venedig aufhielt?«

»Ja, Signore.«

»Hast du mit ihm zu tun gehabt?«

»Ja, Signore.«

Eine Bewegung unter den Zuhörern verriet den Anteil, den alle nahmen.

»Weißt du, wo Don Camillo Monforte sich gegenwärtig befindet?«

Jacopo zauderte. Er kannte die Mittel, die dem Senat zu Gebote standen, um sich von allem in Kenntnis zu setzen, so gut, daß er in Zweifel geriet, inwiefern es rätlich wäre, seinen Anteil an der Flucht der Liebenden zu leugnen. Außerdem hatte sich in diesem Augenblick ein tiefes, heiliges Gefühl für Wahrheit in seinem Gemüte eingedrückt.

»Kannst du Auskunft geben, warum der junge Herzog nicht in seinem Palaste gefunden wird?« wiederholte der Sekretär.

»Illustrissimo, er hat Venedig für immer verlassen!«

»Woher weißt du das? Hat er einen gemeinen Bravo zu seinem Vertrauten gemacht?«

Ein Lächeln voll überlegenen Selbstbewußtseins blitzte über Jacopos Züge und veranlaßte den wohlunterrichteten Agenten des geheimen Tribunals, tief in seine Papiere hineinzublicken, gleich einem, der sich getroffen fühlt.

»Bist du sein Vertrauter? Ich frage noch einmal.«

»Signore, in dieser Sache, ja! Ich habe die Versicherung aus Don Camillo Monfortes eigenem Munde, daß er nicht wiederkommen wird.«

»Das ist unmöglich, da er somit all seine schönen Hoffnungen und glänzenden Güter aufopfern würde.«

»Er tröstet sich mit dem Ersatze, Signore, den ihm die Liebe der jungen Tiepolo und deren Reichtümer bieten.«

Abermalige Bewegung unter den Dreien, die alle ihre Geübtheit in der Selbstbeherrschung und die mechanische Gravität ihres geheimnisvollen Amtes nicht zurückzuhalten vermochte.

»Die Schließer sollen sich entfernen«, sagte der Inquisitor im Scharlachkleide. Sobald der Gefangene mit den Dreien und ihrem immerwährenden Sekretär allein war, ging das Verhör fort, und selbst die Senatoren, im Vertrauen auf ihre Masken und einige Verstellung der Stimme, sprachen gelegentlich mit.

»Es ist ein wichtiger Aufschluß, den du uns gegeben hast, Jacopo!« fuhr der im roten Kleide fort. »Es kann noch dein Leben retten, wenn du klug genug bist, die Gelegenheit zu benutzen.«

»Was wünschen Ew. Exzellenz von mir? Offenbar hat der Rat Kenntnis von Don Camillos Flucht, und ich kann nicht glauben, daß Augen, die sich so selten schließen, die Erbin von Tiepolo noch nicht vermißt haben sollten.«

»Beides ist wahr, Jacopo. Aber was weißt du von den Mitteln zur Flucht? Bedenke, daß dein eigenes Schicksal von der Gunst abhängt, die du dir bei dem Rate erwirbst.«

Der Gefangene ließ wieder einen von jenen erstarrenden Blicken über sein Gesicht leuchten, vor dem seine Richter jedesmal niedersahen.

»An Mitteln zur Flucht kann es einem kühnen Liebhaber nicht fehlen, Signore«, erwiderte er. »Don Camillo ist reich und konnte tausend Diener in Bewegung setzen, wenn es nötig war.«

»Du suchst auszuweichen. Es ist dein eigener Nachteil, wenn du den Rat zum besten hast! Welche Diener benutzte er?«

»Er hatte eine ihm ergebene Dienerschaft, Exzellenz – viele dreiste Gondolieri und Leute aller Art.«

»Von diesen wollten wir nichts wissen. Er ist durch andere Mittel entkommen, oder bist du denn überhaupt ganz sicher, daß er entkommen ist?«

»Signore, ist er noch in Venedig?«

»Danach fragen wir dich eben. Hier ist eine Anklage im Löwenrachen gefunden worden, die dich zeiht, ihn ermordet zu haben!«

»Und Donna Violetta auch, Exzellenza?«

»Von ihr haben wir nichts gehört. Was erwiderst du auf diese Anklage?«

»Signore, warum sollte ich meine eigenen Geheimnisse verraten?«

»Ha, bist du doppelzüngig und treulos? Besinne dich, daß wir einen Gefangenen unter den Bleidächern haben, der dir die Wahrheit wohl abpressen kann!«

Jacopo richtete sich zu einer solchen Höhe auf, als man sich nur vorstellen kann, um die Erhebung eines freien Geistes auszudrücken. Sein Auge aber war dennoch traurig und seine Stimme, trotz der Anstrengung, sie zum Gegenteil zu zwingen, schwermütig.

»Senatoren«, sagte er, »euer Gefangener unter den Bleidächern ist frei.«

»Was! Du scherzest noch in deiner Verzweiflung!«

»Ich spreche wahr. Die so lang verzögerte Befreiung ist endlich gekommen.«

»Dein Vater –«

»– ist tot«, fiel Jacopo mit feierlichem Tone ein.

Die beiden älteren Mitglieder des Rates sahen einander überrascht an, während ihr jüngerer Kollege mit der Teilnahme zuhörte, die ein Neuling in geheimen und verwickelten Geschäften zu haben pflegt. Die ersteren berieten sich leise und sagten dann dem Signore Soranzo so viel von ihrem Beschluß, als sie in diesem Falle für nötig erachteten.

»Wirst du deine eigene Sicherheit in Erwägung ziehen, Jacopo, und uns eröffnen, was du von der Sache des Neapolitaners weißt?« fuhr der Inquisitor fort, als dieses Zwischenspiel zu Ende war.

Jacopo verriet keine Schwäche bei der Drohung des Senators, aber nach kurzer Überlegung antwortete er mit so viel Freimütigkeit, als er nur im Beichtstuhl an den Tag legen konnte: »Ihr wißt, erlauchter Senator, daß dem Staate daran lag, die Erbin von Tiepolo zu seinem eigenen Vorteile zu verheiraten, daß sie aber der neapolitanische Edelmann liebte und daß sie, wie unter jungen und empfindungsvollen Herzen zu geschehen pflegt, seine Liebe erwiderte in dem Maße, als einem Mädchen ihres Ranges und ihrer Jugend geziemend war. Ist da etwas Erstaunliches in dem Umstande, daß sich zwei Personen von so glänzenden Aussichten bemühten, ihr Unglück abzuwehren? Signori, in der Nacht, da der alte Antonio starb, war ich unter den Gräbern des Lido allein mit meiner Schwermut und meinem bittern Herzen, und mir war das Leben zur Last. Hätte der böse Geist, der damals die Oberhand gewonnen hatte, seine Meisterschaft behauptet, so wäre ich als ein hoffnungsloser Selbstmörder gestorben. Gott sandte aber Don Camillo Monforte, mich zu retten. Dort lernte ich die Wünsche des Neapolitaners kennen und begab mich in seine Dienste. Ich schwur ihm, Senatoren, gewissenhaft zu sein, für seine Sache zu sterben, wenn es nötig wäre, und ihm zu seiner Braut zu verhelfen. Die Verpflichtung hab ich erfüllt. Die glücklichen Liebenden sind jetzt im Kirchenstaate und unter dem mächtigen Schutze des Kardinalsekretärs, der Don Camillos Mutterbruder ist.«

»Narr, warum hast du das getan? Hast du nicht an dich selbst gedacht?«

»Sehr wenig, Exzellenz. Ich dachte mehr an die Wonne, mein Leid in eine menschliche Brust ausschütten zu können, als an Euer hohes Mißvergnügen. Seit Jahren hab ich keinen so süßen Augenblick gehabt, als da ich den Herzog von Sant‘ Agata seine schöne und vor Freuden weinende Braut an sein Herz drücken sah.«

Die Inquisitoren waren überrascht durch den stillen Enthusiasmus des Bravo, und die Verwunderung verursachte wieder eine Pause. Endlich nahm der Älteste von den Dreien das Verhör wieder auf. »Wirst du uns die Art ihres Entkommens mitteilen, Jacopo?« fragte er. »Bedenke, daß du noch ein Leben zu retten hast.«

»Signore, dieses eine ist kaum der Mühe wert. Aber Euch zu Gefallen soll nichts verschwiegen bleiben.« Jacopo erzählte nun einfach und ungeschminkt die Mittel, die Don Camillo zur Bewerkstelligung seiner Flucht angewendet hatte, die Hoffnungen, die Hindernisse und das endliche Gelingen. Er verheimlichte nichts bei dieser Erzählung als den Ort, wo die Damen auf kurze Zeit eine Zuflucht gefunden hatten, und Gelsominas Namen. Sogar Giacomo Gradenigos Anschlag auf das Leben des Neapolitaners und die Geschäftigkeit des Juden in dieser Sache machte er kund. Keiner hörte den Bericht so aufmerksam an als der junge Ehemann. Unbeschadet seiner öffentlichen Pflichten, klopften seine Pulse, als der Gefangene bei den wechselvollen Schicksalen der Liebenden verweilte, und als endlich ihre Vereinigung erzählt ward, hüpfte sein Herz vor Freuden. Auf der anderen Seite hörten seine erfahrenen Kollegen die Erzählung des Bravo mit berechnender Kälte. Den beiden Senatoren ward auf einmal klar, daß Don Camillo und seine schöne Gefährtin ihrer Macht entronnen waren, und sogleich sahen sie ein, daß man aus der Notwendigkeit eine Tugend machen müsse. Da sie Jacopos nicht weiter bedurften, so ließen sie die Schließer kommen und schickten ihn in sein Gefängnis zurück.

»Es wird geziemend sein, dem Kardinalsekretär ein Glückwunschschreiben wegen der Heirat seines Neffen mit einer so reichen Erbin unserer Stadt zuzusenden«, sagte der Inquisitor von den Zehnen, als sich die Tür hinter den Weggehenden geschlossen hatte. »Wir müssen uns den großen Einfluß des Neapolitaners geneigt halten.«

»Aber wenn er nun auf den Widerstand unseres Staates gegen sein Vorhaben Gewicht legte?« wandte Signore Soranzo ein, schwach genug gegen einen so kühnen Plan.

»So legen wir die Sache allein dem vorigen Rate zur Last. Solche Mißgriffe sind unausbleibliche Folgen des Eigenwillens in einer freien Verfassung, Signore. Das Roß, das im Naturzustande über die Ebene streift, kann nicht gleicherweise gelenkt werden wie das träge Tier, das den Karren zieht. Ihr sitzet heut zum erstenmal unter den Dreien, aber die Erfahrung wird Euch lehren, daß, wie vortrefflich wir auch in der Theorie sind, die Praxis nicht immer gleich vollkommen sein kann. Das ist eine wichtige Sache mit dem jungen Gradenigo, Signori!«

»Ich habe ihn längst als einen Taugenichts gekannt«, versetzte sein älterer Kollege. »Jammerschade, daß solch ein ehrenwerter und edler Patrizier ein so unwürdiges Kind gezeugt hat. Aber weder der Staat noch die Stadt darf Mordanschläge ungeahndet lassen.«

»Oh, kämen sie doch nur seltener vor!« rief Signore Soranzo in aller Aufrichtigkeit.

»Jawohl, jawohl. Es sind einige Winke in unserer geheimen Information, die Jacopos Aussage bestätigen. Auch hat uns lange Erfahrung gelehrt, daß man seinen Berichten vollkommen Glauben beimessen kann.«

»Wie? – Ist denn Jacopo ein Agent der Polizei?«

»Davon mehr bei größerer Muße, Signore Soranzo. Gegenwärtig müssen wir diesen Anschlag gegen das Leben eines unter dem Schutze unserer Gesetze gestandenen Mannes in Erwägung ziehen.«

Nun entspann sich unter den Dreien eine angelegentliche Diskussion über die beiden Verbrecher. Signore Soranzo hatte eine schöne Gelegenheit, seine hochherzige Gesinnung geltend zu machen. Er war zwar ein Verwandter des Hauses Gradenigo, nahm aber doch keinen Anstand, das Betragen des jungen Adligen ernstlich zu rügen. Er begehrte zuerst, daß ein schreckendes Exempel statuiert und der Welt bewiesen würde, daß in Venedig die Geburt nicht zu Verbrechen bevorrechtet. Von dieser Ansicht der Sache ward er jedoch durch seine verschlagenen Kollegen zurückgebracht, die ihn erinnerten, daß die Gesetze zwischen beabsichtigten und begangenen Verbrechen einen Unterschied machten. Von seiner ersten Meinung abgelenkt durch die kältere Erwägung seiner Kollegen, schlug der junge Inquisitor vor, die Sache zur Entscheidung den gewöhnlichen Gerichten zu übergeben. Es fehlte nicht an Beispielen, daß die venezianische Aristokratie einen aus ihrer eigenen Mitte dem Scheine der Gerechtigkeit zum Opfer gebracht hatte, denn solche Fälle, mit Klugheit geleitet, vergrößerten ihre eigene Macht nur, statt sie zu schwächen! Allein, das vorliegende Verbrechen war ein zu gewöhnliches, als daß es sich verlohnt hätte, so überschwenglich freigebig in Aufopferung eigener Gerechtsame zu sein, und die alten Inquisitoren widersetzten sich dem Verlangen ihres jüngeren Kollegen mit scheinbar sehr guten Gründen und einem Anstrich von Rechtmäßigkeit. Es blieb endlich dabei, daß sie selber die Sache entscheiden müßten.

Die nächste Frage war, welche Strafe zuerkannt werden sollte. Der verschmitzte Senior des Rates brachte eine Verbannung auf einige Monate in Vorschlag, denn Giacomo Gradenigo hatte schon sonst in mehr als einer Hinsicht den Zorn der Regierung verdient. Signore Soranzo widersetzte sich dieser Strafe mit dem Feuer eines unverderbten edeln Herzens. Er trug endlich den Sieg davon, indem seine schlauen Amtsgenossen besonders hervorhoben, daß sie seinen Argumenten nachgäben. Das Resultat des ganzen Manövers war, daß der junge Gradenigo auf zehn Jahre in die Provinzen verwiesen, Hosea aber auf Lebenszeit verbannt ward. Hierbei mußte der Jude froh sein, noch mit so blauem Auge davonzukommen.

»Wir dürfen diese Entscheidung und deren Veranlassung nicht geheimhalten«, bemerkte der Inquisitor von den Zehnen, sobald die Sache beendet war. »Es ist kein Nachteil für den Staat, wenn bekannt wird, wie er die Gerechtigkeit handhabt.«

»Und wenn sie wirklich geübt wird, will ich hoffen«, entgegnete Signore Soranzo. »Da aber unsere heutigen Geschäfte beendigt sind, beliebt es den Herren, daß wir nach Hause zurückkehren?«

»Vorher haben wir noch die Sache des Jacopo abzumachen.«

»Den mögen wir doch immerhin den ordentlichen Tribunalen überlassen!«

»Wie Euch beliebt. Ist es so Eure Meinung, Signori?«

Die beiden andern stimmten durch Verbeugungen bei, und man schickte sich zur Heimkehr an.

Bevor aber die beiden älteren Mitglieder des Rates den Palast verließen, hielten sie miteinander eine lange und geheime Konferenz ab, deren Resultat eine Privatinstruktion für den Kriminalrichter war. Dann gingen sie in vollkommener Gewissensruhe nach Hause. Auch Signore Soranzo begab sich nach seiner prächtigen und beglückten Wohnung. Zum erstenmal in seinem Leben betrat er sie mit einem Mißtrauen in sich selbst. Ohne zu wissen, wodurch, fühlte er sich verstimmt, denn der erste Schritt war getan auf jenem verschlungenen und verderblichen Wege, der unfehlbar zur Vernichtung aller edeln und reinen Gesinnungen führt und nur durch die Sophistereien und Täuschungen der Selbstsucht unterhalten werden kann.

Achtzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Die Stunden verflossen, als sei innerhalb der Stadt nichts vorgefallen, um ihren Lauf zu stören. Den folgenden Morgen gingen die Leute, wie seit vielen Jahren, an ihre verschiedenen Geschäfte oder Vergnügen, und keiner hielt inne, um seinen Nachbarn über das zu befragen, was sich etwa während der Nacht ereignet hätte.

Die Diener schlenderten mit mißtrauischen, vorsichtigen Mienen, kaum wagend, sich gegenseitig ihre geheimen Vermutungen über das Schicksal ihrer Gebieterin zuzuflüstern, um das Wassertor von Donna Violettas Palast. Die Residenz Signore Gradenigos zeigte sich in ihrer gewöhnlichen düstern Größe, während die Behausung Don Camillo Monfortes durch kein Zeichen die schmerzlich getäuschte Hoffnung ihres Herrn verriet. Die »Bella Sorrentina« lag noch im Hafen mit ausgebreitetem Segel über dem Verdeck, und das Schiffsvolk beschäftigte sich nach der gewöhnlichen trägen Weise der Seeleute, wenn nichts Dringenderes zu tun ist, mit Segelausbessern.

Die Lagunen waren mit Fischerbooten übersät, und Reisende kamen an und reisten ab auf den wohlbekannten Kanälen von Fusina und Mestre. Hier verließ ein Abenteurer aus dem Norden die Stadt, ihm schwebte das gefällige Bild der mitangesehenen Feierlichkeiten vor, vermischt mit einigen dunkeln Vermutungen über die den beargwöhnten Staat lenkende Gewalt; dort suchte ein Pächter vom Festlande seine kleine Meierei auf, zufriedengestellt durch das Schaugepränge und die Regatta des vorigen Tages. Kurz, alles erschien wie immer, und die Begebenheiten, die wir erzählten, blieben ein Geheimnis der Mitspielenden und des dabei so beteiligten Senats.

Wie der Tag mehr vorrückte, breitete sich manches Segel aus, und Feluken und Galeotten gingen und kamen, je nachdem der Land- oder Seewind vorherrschend war. Noch faulenzte der kalabrische Seefahrer unter dem Zelte, das sein Verdeck beschattete, oder hielt seine Siesta auf einem Haufen alter, von der Gewalt manch eines glühenden Schirokko zerrissener Segeltücher. Als die Sonne tiefer sank, da glitten die Gondeln der Großen und Müßigen über das Wasser, und nachdem die beiden Plätze durch die Luft des Adriatischen Meeres abgekühlt waren, füllte sich der Broglio mit denen, die das Vorrecht genossen, seine gewölbten Gänge zu durchschreiten. Unter ihnen zeigte sich auch der Herzog von Sant‘ Agata, der, obgleich den Gesetzen der Republik ein Fremdling, wegen seiner erlauchten Abkunft und keineswegs unbegründeten Ansprüche von den Senatoren als ein willkommener Teilnehmer dieser leeren Auszeichnung aufgenommen ward. Er trat zur gewohnten Zeit und mit seiner ihm natürlichen Ruhe in den Broglio, denn er verließ sich auf seinen geheimen Einfluß in Rom, ja zum Teil auf den guten Erfolg seiner Nebenbuhler. Nach reiflicher Überlegung schien es ihm nämlich gewiß, daß, wenn sie die Absicht hegten, ihn festzusetzen, dies schon längst geschehen wäre; ebenso glaubte er, daß es, um persönlichen Unannehmlichkeiten zu entgehen, am besten sein würde, Vertrauen auf eigene Macht zu zeigen. Als er daher am Arm eines hohen Beamten der päpstlichen Gesandtschaft erschien und mit Selbstvertrauen um sich blickte, sah er sich wie immer von jedem, der ihn kannte, auf eine seinem Range und seinen Erwartungen angemessene Weise begrüßt. Dennoch wandelte Don Camillo mit neuen Gefühlen unter den Patriziern der Republik umher. Mehr als einmal glaubte er in den schwankenden Blicken derer, mit denen er sich unterhielt, Zeichen ihrer Kenntnis seiner vereitelten Pläne zu entdecken, und mehr als einmal, wenn er es am wenigsten argwöhnte, sah er sich so aufmerksam betrachtet, als suche man seine künftigen Absichten zu ergründen. Außerdem hätte wohl niemand entdeckt, daß eine Erbin von solcher Wichtigkeit beinahe dem Staat entrissen oder daß ein Mann seiner Frau beraubt worden sei. Die große Verstellungskunst des Staates sowie die Entschlossenheit und Vorsicht des jungen Edeln entzogen alles übrige der Beobachtung.

So verging der Tag; keine einzige Zunge außer denen, die im geheimen flüsterten, machte irgendeine Anspielung auf die Begebenheiten unserer Erzählung.

Eben als die Sonne unterging, schwebte eine Gondel langsam dem Wassertore des herzoglichen Palastes zu. Der Gondoliere landete, band wie gewöhnlich sein Boot an den Treppensteinen fest und trat dann in den Hof. Er trug eine Maske, denn schon war die Stunde der Verkleidung gekommen, und sein einfacher Anzug glich so sehr dem von Leuten seines Standes, daß er eben durch seine Einfachheit alles Erkennen vereitelte. Nach einem vorsichtigen Blick um sich her ging er durch eine geheime Tür in das Gebäude.

Der Palast, in dem die Dogen von Venedig residierten, steht noch jetzt als ein düsteres Denkmal venezianischer Politik da und liefert an und für sich schon einen Beweis des zweideutigen Charakters der Fürsten, die es einst bewohnten. Es umgibt einen weiten, doch dunkeln Hof. Die eine seiner Fassaden macht die Seite der schon oft erwähnten Piazetta aus, die andere stößt an den Kai, zunächst dem Hafen. Die Architektur dieser beiden äußeren Fronten erhebt das Gebäude zum Bemerkenswerten. Ein niedriger Bogengang, der den Broglio bildet, unterstützt eine Reihe massiver, orientalischer Fenster, und über diesen zieht sich wieder eine mit wenigen Öffnungen versehene Mauer, die alle sonst gebräuchlichen Ordnungen der Baukunst umstößt. Die dritte Seite ist fast ganz verdeckt durch die Kathedrale St. Markus‘, und die vierte wird vom Kanal bespült. Auf der andern Seite des Kanals liegt das Staatsgefängnis, durch die so nahe Verbindung der Kraft der Gesetze und der Kraft der Strafe sehr beredt den Charakter der Regierung aussprechend. Die berühmte Seufzerbrücke ist das materielle Band zwischen beiden, wie sie denn auch ein Symbol ihres geistigen Zusammenhangs ist. Letzteres Gebäude steht auch auf dem Kai und ist trotz seiner geringeren Höhe und Weitläufigkeit in Hinsicht architektonischer Schönheit dem andern vorzuziehen, wenngleich der Umfang und die seltsame Bauart des Palastes geeigneter sein mögen, Aufmerksamkeit zu erregen.

Bald erschien der maskierte Gondoliere wieder unter dem Bogen des Wassertors und bestieg schleunigst sein Boot. Nur eines Augenblicks bedurfte er, um über den Kanal zu kommen, am gegenüberliegenden Kai zu landen und in die öffentliche Tür des Gefängnisses einzutreten. Er mußte wohl ein geheimes Mittel besitzen, der Wachsamkeit der verschiedenen Wächter zu genügen, denn Riegel wurden weggeschoben und Schlösser geöffnet, wo er erschien, ohne daß man viel fragte. Auf diese Weise durchschritt er schnell alle äußeren Schranken des Ortes und erreichte den Teil des Gebäudes, der zu einer Familienwohnung eingerichtet schien. Nach den Umgebungen zu urteilen, mußten die Bewohner hier Überfluß und Pracht nicht sehr hoch schätzen, wenngleich es weder an Gerät fehlte noch an der nötigen Bequemlichkeit in den Zimmern, wie es ihrem Stande, dem Klima und jenen Zeiten angemessen war.

Der Gondoliere stieg eine geheime Treppe hinauf und stand nun vor einer Tür, an der keine der Zeichen eines Gefängisses zu sehen waren, die sich so häufig in den anderen Teilen des Gebäudes befanden. Er stand ein wenig still und horchte, dann klopfte er vorsichtig an.

»Wer klopft?« fragte eine liebliche Frauenstimme, indem sich die Klinke bewegte, als wolle man nicht eher öffnen, als bis man überzeugt war, wer draußen sei.

»Gut Freund, Gelsomina«, war die Antwort.

»Ja, wenn man Worten trauen dürfte, so wär hier jedermann ein Freund der Wächter. Ihr müßt Euch nennen oder woanders Antwort holen.«

Der Gondoliere lüftete die Maske, die nicht nur sein Gesicht verhüllt, sondern auch seine Sprache verändert hatte.

»Ich bin es, Gessina«, sagte er, sich ihres vertraulichen Namens bedienend.

Die Riegel rasselten, und die Tür ward schnell geöffnet.

»Das ist wunderbar, daß ich dich nicht erkannte, Carlo«,sagte das Frauenzimmer hastig und mit Einfalt, »doch du verkleidest dich seit kurzem so vielfältig und ahmst so oft fremde Stimmen nach, daß deine eigene Mutter ihren Ohren nicht getraut hätte.«

Der Gondoliere schwieg ein Weilchen, um sich erst zu überzeugen, daß sie allein wären; dann legte er die Maske ab, und die Züge des Bravo erschienen.

»Du weißt, wie nötig die Vorsicht ist, und wirst mich deshalb nicht erkennen.«

»Das nicht, Carlo – aber deine Stimme ist mir so bekannt, und da finde ich es wunderbar, daß du wie ein Fremder sprechen kannst.«

»Hast du etwas für mich?«

Das hübsche Mädchen zauderte, ihm zu antworten.

»Hast du nichts Neues, Gelsomina?« wiederholte der Bravo, ihre unschuldigen Züge eifrig musternd.

»Es ist gut, daß du nicht früher ins Gefängnis gekommen bist. Ich hatte eben Besuch. Du hättest dich wohl nicht gern sehen lassen, Carlo?«

»Du weißt, daß ich gute Gründe habe, maskiert zu kommen. Vielleicht hätte mir dein Besuch gefallen, vielleicht auch mißfallen, wie er nun eben gewesen wäre.«

»Nein, da bist du unrecht«, erwiderte das Mädchen hastig, »es war niemand hier als meine Cousine Annina.«

»Denkst du, daß ich eifersüchtig bin?« sagte der Bravo, mit liebendem Lächeln ihre Hand fassend. »Wär es dein Vetter Pietro, Michele oder Roberto oder irgendein anderer Jüngling aus Venedig gewesen, so hätt ich doch nichts weiter gefürchtet, als erkannt zu werden.«

»Es war aber nur meine Cousine Annina – Annina, die du nie gesehen hast – und ich habe ja keine Vettern Pietro, Michele und Roberto. Wir sind unserer nicht viele. Annina hat einen Bruder, der kommt aber nie her. Es ist in der Tat schon lange her, daß sie ihrem Geschäft soviel Zeit entzieht, um diesen traurigen Ort zu besuchen. Wenige Geschwisterkinder sehen sich so selten wie Annina und ich.«

»Du bist ein gutes Mädchen, Gessina, bist immer bei deiner Mutter zu finden. Hast du nichts Besonderes, was mir wichtig wäre?«

Wieder senkten sich die Augen Gelsominas oder Gessinas, wie sie gewöhnlich genannt ward; indes erhob sie den Blick wieder, bevor er es gewahrte, und fuhr rasch in ihrem Gespräch fort: »Ich fürchte, Annina kehrt wieder, sonst wollte ich gleich mit dir gehen.«

»Ist denn deine Cousine noch hier?« fragte der Bravo unruhig. »Du weißt, ich möchte nicht gern gesehen werden.«

»Fürchte nichts. Sie kann nicht hereinkommen, ohne diese Riegel zu berühren, denn sie ist oben bei meiner bettlägerigen Mutter. Du kannst, wie gewöhnlich, ins innere Zimmer gehen, wenn sie kommt, und ihre müßigen Reden mit anhören, wenn du willst – oder – doch wir haben keine Zeit – denn Annina kommt selten, und ich weiß nicht warum, aber sie scheint die Krankenzimmer nicht zu lieben, indem sie immer nur wenige Minuten bei ihrer Tante verweilt.«

»Du wolltest wohl sagen: Oder ich möchte meinen Gang abkürzen, Gessina?«

»Das wollt ich, Carlo – aber ich bin sicher, daß uns meine ungeduldige Cousine zurückrufen würde.«

»Ich kann warten; ich bin geduldig, wenn ich bei dir bin, teure Gessina.«

»St! – Das ist der Gang meiner Cousine. – Geh hinein.«

Während sie sprach, klingelte es, und der Bravo ging ins innere Zimmer, ein Versteck, dessen er gewohnt schien. Er ließ die Tür ein wenig offen, denn die Dunkelheit der Kammer verbarg ihn hinlänglich. Unterdes öffnete Gelsomina die äußere Tür, um ihren Gast hereinzulassen. Beim ersten Ton der Stimme erkannte Jacopo die listige Tochter des Weinhändlers.

»Du lebst hier so recht bequem, Gelsomina«, rief Annina eintretend und sich wie jemand, der ermüdet ist, auf einen Sessel werfend. »Mit deiner Mutter geht es besser, indes bist du in Wahrheit die Gebieterin des Hauses.«

»Ich wollte, ich war es nicht, Annina, denn ich bin noch zu jung, bei meinem Kummer solchem Geschäft vorzustehen.«

»So unerträglich ist es doch nicht, Gessina, mit siebzehn Jähren Gebieterin des Hauses zu sein! Herrschaft ist süß, Gehorsam unausstehlich.«

»Ich finde keines von beiden so, und ich will die erstere mit Freuden aufgeben, wenn meine arme Mutter erst wieder mir wird die Sorge für das Hauswesen abnehmen können.«

»Das ist recht schön, Gessina, und macht dem guten Beichtvater Ehre. Doch Herrschaft ist den Weibern so teuer wie Freiheit. Du warst gestern nicht unter den Masken auf dem Platz?«

»Ich verkleide mich selten, auch konnte ich meine Mutter nicht verlassen.«

»Was doch wohl heißt, du hättest es gern getan. Du hast auch Ursache, es zu bedauern, denn eine fröhlichere Vermählung mit dem Meere oder eine lustigere Regatta hat Venedig seit deiner Geburt nicht gesehen. Aber die Vermählung konntest du ja aus deinem Fenster mit anschauen.«

»Ich sah die Staatsgaleere mit ihren Reihen von Patriziern auf dem Verdeck nach dem Lido segeln, sonst wenig.«

»Schadet nichts. Du sollst einen ebenso guten Begriff von der Herrlichkeit haben, als wenn du des Dogen Rolle selbst gespielt hättest. Erst kamen die Gardisten, in ihren antiken Anzügen –«

»Das erinnere ich mich oft gesehen zu haben, dies Schauspiel kommt alle Jahre vor.«

»Da hast du recht: Doch nie sah Venedig eine so lebhafte Regatta! Du weißt, den ersten Versuch machen immer die vielruderigen Gondeln, von den geschicktesten Gondolieri geführt. Luigi war auch dabei, und obgleich er den Preis nicht gewann, so verdiente er ihn doch durch die Art, wie er sein Boot regierte. Du kennst doch Luigi?«

»Ich kenne kaum einen Menschen in Venedig, Annina, denn die lange Krankheit meiner Mutter und das unglückliche Amt meines Vaters halten mich immer daheim, wenn andere auf den Kanälen sind.«

»Das ist wahr. Um Bekanntschaften zu machen, bist du nicht gut gestellt. Doch Luigi steht weder an Geschicklichkeit noch an Ruf irgendeinem unter den Gondolieri nach, und er ist bei weitem der fröhlichste Schelm von allen, die je den Fuß auf den Lido gesetzt haben.«

»Er war also wohl der Vorderste im großen Wettlauf?«

»Eigentlich hätte er es sein sollen, aber die Ungeschicklichkeit seiner Leute und einige Unredlichkeiten beim Durchkreuzen brachten ihn in die zweite Reihe. Doch das Wunderbarste von allem war, daß ein alter Fischer namens Antonio mit bloßem Kopf und nackten Beinen mit eintrat in den zweiten Wettlauf und den Preis davontrug; ein Mann von siebzig Jahren und in einem Boote, das nicht besser war als das, womit ich Getränke nach dem Lido führe.«

»Da muß er wohl keine kräftigen Nebenbuhler gehabt haben?«

»Die besten in Venedig, obgleich Luigi, der in dem ersten Wettlauf gewesen, den zweiten nicht mitmachen konnte. Man sagt auch«, fuhr Annina, mit gewohnter Vorsicht um sich schauend, fort, »daß einer, den man kaum in Venedig zu nennen wagt, die Kühnheit gehabt habe, maskiert in der Regatta zu erscheinen, und dennoch gewann der alte Fischer! Du hast doch von Jacopo gehört?«

»Den Namen haben viele.«

»Es trägt ihn jetzt nur einer in Venedig. Alle meinen nur ihn, wenn sie Jacopo sagen.«

»Ich habe wohl von einem Ungeheuer dieses Namens gehört. Gewiß hat er doch nicht gewagt, sich vor den Edeln an solch einem Festtage sehen zu lassen.«

»Gessina, wir leben in einem unbegreiflichen Lande! Der furchtbare Mann geht nach Gefallen auf der Piazza mit so stolzen Schritten einher wie der Doge, und niemand sagt ihm was. Oft schon sah ich ihn bei hellem Tage mit so stolzer Miene an dem Triumphmast oder an der Säule des San Teodoro lehnen, als war er dort hingestellt, um einen Sieg der Republik zu feiern!«

»Vielleicht ist er Herr eines schrecklichen Geheimnisses, von dem sie fürchten, daß er es enthülle.«

»Du kennst Venedig wenig, Kind! Heilige Maria! Ein solch Geheimnis war schon an und für sich ein Todesurteil. Wenn man mit St. Markus zu schaffen hat, so ist es ebenso gefährlich, zuviel zu wissen als zuwenig. Genug, man sagt, Jacopo sei dabeigewesen, dem Dogen gegenüber, Aug in Aug, und die Senatoren schreckend wie ein ungerufenes Gespenst aus der Gruft ihrer Väter. Aber das ist noch nicht alles, als ich heute durch die Lagunen ruderte, sah ich den Leichnam eines jungen Kavaliers aus dem Wasser ziehen, und die dabei waren, sagten, er trüge das Zeichen seiner mörderischen Hand.«

Die furchtsame Gelsomina schauderte.

»Die Herrscher werden diese Nachlässigkeit vor Gott zu verantworten haben«, sagte sie, »wenn sie diesen Elenden länger so frei herumgehen lassen.«

»Der heilige Markus schütze seine Kinder! Man sagt, daß man viele dergleichen Sünden zu verantworten habe – doch den Leichnam sah ich mit meinen eigenen Augen, als ich diesen Morgen in die Kanäle einfuhr.«

»Schliefst du denn auf dem Lido, daß du schon so früh aus warst?«

»Auf dem Lido – ja – nein – ich schlief nicht, du weißt ja, mein Vater hatte einen geschäftigen Tag während des Festes, und ich bin nicht wie du, Gessina, Gebieterin des Hauses, daß ich tun könnte, was ich will. Doch ich stehe hier und plaudere mit dir, und zu Hause tun fleißige Hände not. Hast du das Paket, das ich dir bei meinem letzten Besuch anvertraute?«

»Hier ist es«, antwortete Gelsomina, ein Schubfach öffnend und ihrer Cousine ein dicht eingewickeltes Pack gebend, das, ihr unbewußt, einige verbotene Handelsartikel enthielt und das die andere in ihrer unermüdlichen Geschäftigkeit eine Zeitlang zu verbergen genötigt war. »Ich dachte, du hättest es vergessen, und wollte es dir schon zurücksenden.«

»Gelsomina, wenn du mich liebst, tue nie eine so unüberlegte Handlung! Mein Bruder Giuseppe – du kennst Giuseppe wohl kaum?«

»Für Verwandte kennen wir uns wenig.«

»Das ist gut für dich. Hätte Giuseppe dieses Paket durch irgendeinen Zufall zu sehen bekommen, so würde es dir viele Unruhe verursacht haben.«

»Ich fürchte deinen Bruder nicht noch sonst jemand«, sagte die Tochter des Gefangenenwärters mit der Festigkeit der Unschuld, »dafür, daß ich gefällig gegen eine Verwandte war, könnte er mir doch nichts Böses tun.«

»Du hast recht, allein, mir hätte er vielen Verdruß verursachen können. Heilige Maria! Wenn du wüßtest, welchen Kummer dieser unbedachtsame und mißleitete Junge seiner Familie macht! Bei alledem ist er mein Bruder, und du magst dir das übrige hinzudenken. Leb wohl, gute Gessina, ich hoffe, dein Vater wird dir endlich mal erlauben, die zu besuchen, die dich so sehr lieben.«

»Leb wohl, Annina, du weißt, daß ich gern käme, allein, ich verlasse ja fast meiner Mutter Bett nicht.«

Die listige Tochter des Weinhändlers gab ihrer schuld- und arglosen Verwandten einen Kuß, ließ sich die Tür öffnen und ging.

»Carlo«, rief Gessina mit sanfter Stimme, »du kannst nun herauskommen, jetzt haben wir keinen Besuch weiter zu fürchten.«

Der Bravo erschien, doch mit noch blasseren Wangen als gewöhnlich. Er blickte das liebliche Wesen traurig an, und die verunglückte Anstrengung, ihr unschuldiges Lächeln zu erwidern, gab seinen Gesichtszügen einen gespenstischen Ausdruck

»Annina hat dich wohl ermüdet mit ihrem müßigen Geschwätz von der Regatta und den Mordtaten auf den Kanälen. Du wirst sie wegen der Art, wie sie von Giuseppe sprach, nicht zu hart beurteilen, er verdient es, und wohl noch mehr. Doch ich kenne deine Ungeduld und will dich nicht noch mehr ermüden.«

»Dies Mädchen ist deine Cousine?«

»Ich sagte es dir ja schon, unsere Mütter sind Schwestern.«

»Und ist sie oft hier?«

»Gewiß nicht so oft, als sie wünschte, denn ihre Tante hat ihr Zimmer seit vielen, vielen Monaten nicht verlassen.«

»Du bist eine vortreffliche Tochter, gute Gessina, und möchtest andere ebenso tugendhaft machen, als du selbst bist. – Hast du diese Besuche erwidert?«

»Nie. Mein Vater untersagte es, denn sie sind Weinhändler und nehmen die schwelgenden Gondolieri auf. Aber Annina ist nicht zu tadeln wegen des Gewerbes ihrer Eltern.« »Ohne Zweifel – und das Paket? War es lange in deiner Verwahrung?«

»Einen Monat, Annina ließ es mir hier bei ihrem letzten Besuch, denn sie mußte eilig nach dem Lido. Aber warum diese Fragen? Dir gefällt meine Cousine nicht, weil sie ausgelassen ist und müßige Gespräche liebt, indes hat sie, wie ich denke, ein gutes Herz. Hörtest du, wie sie von dem Bravo Jacopo und von dem letzten Morde sprach?«

»Ich hörte es.«

»Du selbst hättest nicht mehr Abscheu über des Ungeheuers Verbrechen zeigen können. Nein, Annina ist wohl unbesonnen und könnte weniger weltlich gesinnt sein; allein, sie hat, wie wir alle, eine heilige Scheu vor der Sünde. Soll ich dich nach der Zelle führen?«

»Ja, geh voran.«

»Dein redlicher Sinn empört sich über die kalte Niederträchtigkeit des Meuchelmörders. Ich hab viel von seinen Mordtaten gehört und von der Weise, wie die droben mit ihm Nachricht haben. Man sagt allgemein, daß seine List die ihrige übertreffe und daß die Beamten nur auf Beweise warten, um keine Ungerechtigkeit zu begehen.«

»Meinst du, daß der Senat so zartfühlend ist?« fragte der Bravo rauh, machte aber zugleich ein Zeichen zum Fortgehen.

Das Mädchen blickte traurig wie jemand, der das Gewicht dieser Frage begriff, dann drehte sie sich um, öffnete eine geheime Tür und brachte eine kleine Schachtel zum Vorschein.

»Dies ist der Schlüssel, Carlo«, sagte sie, ihm einen in einem gewichtigen Bund zeigend, »und ich bin jetzt der einzige Wächter. So viel haben wir wenigstens ausgerichtet; vielleicht kommt noch die Zeit, wo wir mehr tun können.«

Der Bravo versuchte zu lächeln, er wollte damit andeuten, daß er ihre Güte zu schätzen wisse, allein, es gelang ihm nur, ihr seinen Wunsch weiterzugehen, begreiflich zu machen. Der Hoffnungsstrahl im Auge des gutmütigen Mädchens verwandelte sich in einen Blick des Kummers, und sie gehorchte.

Neunzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Wir wollen es nicht unternehmen, die gewölbten Galerien, dunklen Korridore und Gemächer, durch die des Gefangenenwärters Tochter ihren Gefährten führte, mit zu durchwandern. Wer jemals ein weitläufiges Gefängnis besucht hat, bedarf keiner Beschreibung, um sich die schmerzlichen Gefühle zurückzurufen, die ihm der Anblick vergitterter Fenster, rasselnder Riegel und all der anderen Dinge verursachte, die zugleich Mittel und Zeichen der Einkerkerung sind. Dies weitläufig, fest und labyrinthisch von innen, doch von außen, wie schon früher erwähnt, gleichsam seiner Bestimmung zum Hohn, von reiner, einfacher Schönheit.

Gelsomina trat in eine niedrige, schmale, mit Fenstern versehene Galerie, in der sie stehenblieb.

»Du suchtest mich wohl wie gewöhnlich zur bestimmten Stunde unter dem Wassertor, Carlo?« fragte sie.

»Ich wär nicht ins Gefängnis gekommen, hätt ich dich dort gefunden, denn du weißt, ich mag wenig gesehen sein. Doch da fiel mir deine Mutter ein, daher fuhr ich den Kanal herüber.«

»Du mußt bemerkt haben, daß wir nicht den gewöhnlichen Weg nach der Zelle genommen haben?«

»Das hab ich, allein, da wir nicht gewohnt sind, in deines Vaters Zimmer zusammenzukommen, wenn wir diesen Gang antreten, so dacht ich, dies sei der notwendige Weg.«

»Kennst du den Palast und das Gefängnis gut, Carlo?«

»Mehr als ich wünsche, gute Gelsomina, doch warum fragst du so, und gerade in einem Augenblick, wo ich wohl anders beschäftigt sein möchte?«

Das Mädchen schwieg. Der Bravo trat schnell an ein Fenster, sah hinaus, und sein Blick fiel auf die düstere Wasserpassage, die zwischen den beiden Mauern zweier massiver Gebäude nach dem Kai und dem Hafen hinführte.

»Gelsomina!« rief er aus, vor dem Anblick zurückbebend. »Dies ist ja die ganze Seufzerbrücke!«

»Sie ist’s, Carlo, bist du je auf ihr hinübergegangen?«

»Nein, auch begreif ich nicht, warum ich es jetzt tue. Lange schon dachte ich daran, ob es nicht vielleicht einmal mein Schicksal sein möchte, diesen traurigen Gang zu machen; doch von solch einem Führer ließ ich mir nichts träumen.«

Gelsominas Augen glänzten auf, und sie lächelte.

»Mit mir wirst du nie zu deinem Schaden hinübergehen.«

»Des bin ich sicher, Gessina«, antwortete er, ihre Hand fassend. – »Indes ist dies für mich ein unauflösliches Rätsel. Gehst du gewöhnlich über diese Galerie nach dem Palast?«

»Der Weg wird nicht benutzt, außer von den Wächtern und den Verurteilten, wie du ohne Zweifel oft gehört hast; aber dennoch haben sie mir die Schlüssel gegeben und mir die Windungen gezeigt, damit ich dir, wie gewöhnlich, als Führerin dienen könne.«

»Gelsomina, ich fürchte, ich bin zu glücklich in deiner Gesellschaft gewesen, um zu bemerken, wie es mir die Klugheit hätte eingeben sollen, welch seltene Güte mir der Rat durch diese Erlaubnis erzeigt!«

»Bereust du es, Carlo, meine Bekanntschaft gemacht zu haben?«

Der traurige Vorwurf im Ton ihrer Stimme rührte den Bravo so, daß er die Hand, die er hielt, mit Wärme küßte.

»Da müßte ich die einzigen glücklichen Stunden bereuen, die ich seit Jahren gekannt habe«, sagte er. »Nein, nein, nicht einen Augenblick hat’s mich gereut, dich zu kennen, meine Gelsomina! Ist es aber nicht sonderbar, daß einem Manne wie mir erlaubt wird, das Gefängnis so ohne andere Wächter zu besuchen?«

»Ich habe es nicht so gefunden; aber freilich, gewöhnlich ist es nicht.«

»Wir fanden gegenseitig so viel Vergnügen aneinander, teure Gessina, daß wir übersahen, was uns erschrecken sollte.«

»Erschrecken, Carlo?«

»Oder wenigstens mißtrauisch machen; denn diese listigen Senatoren sind nie gnädig ohne Ursache. Doch ist es jetzt zu spät, die Vergangenheit zurückzurufen, wenn wir es auch wollten; und in allem, was dich betrifft, möchte ich auch nicht das Andenken an einen einzigen Augenblick verlieren. Laß uns weitergehen.«

»Die Jahreszeit ist vorgerückt, Carlo«, antwortete sie kaum hörbar, »und wir würden ihn vergebens unter den Zellen suchen.«

»Ich verstehe dich«, sagte er.

Damit der Leser die Anspielungen, die unseren Liebenden so klar scheinen, verstehe, wird es nötig sein, ihn mit einem anderen schändlichen Zug der venezianischen Staatspolitik bekannt zu machen.

Im fürstlichen Gebäude gab es Sommer- und Winterzellen. Der Leser wird vielleicht glauben, daß bei dieser Einrichtung die Barmherzigkeit geringe Erleichterungen für die Unglücklichen beabsichtigt hatte; allein, dies hieße einem Kollegium Mitleid zuschreiben, das bis zu seinen letzten Augenblicken kein Band kannte, wodurch es mit Gefühlen für menschliche Schwachheit zusammengehangen hätte. Weit entfernt, die Leiden der Gefangenen zu beachten, hatte man vielmehr ihre Winterzellen unter der Oberfläche der Kanäle und ihre Sommerwohnungen unter den der Sonnenhitze jenes Klimas ausgesetzten Bleidächern angebracht. Den Gefangenen, den Jacopo und Gelsomina suchten, hatte man in der Tat kürzlich aus den feuchten Zellen, in denen er den Winter und Frühling verlebt, nach den glühenden Stuben unter dem Dache gebracht.

Gelsomina ging immer voran, doch mit so traurigem Auge und so umwölktem Gesicht, daß man daraus hinlänglich den Anteil erkannte, den sie an den Leiden ihres Gefährten nahm. Sie erstiegen schweigend mehrere Treppen, öffneten und schlossen zahllose Türen und durchwanderten einige enge Korridore, ehe sie den Ort ihrer Bestimmung erreichten. Während Gelsomina den Schlüssel zur Tür, vor der sie stillstanden, aus einem großen Bunde heraussuchte, atmete der Bravo in der heißen Luft des Daches wie jemand, der dem Ersticken nahe ist.

»Sie versprachen mir doch, daß dies nie wieder der Fall sein sollte«, sagte er, »doch Teufel wie sie vergessen ihr Versprechen!«

»Carlo! – Du vergißt, daß dies der Palast des Dogen ist!« flüsterte das Mädchen, einen furchtsamen Blick hinter sich werfend.

»Ich vergesse nichts, was mit der Republik in Verbindung steht! – Es steht alles hier«, an seine erhitzte Stirn schlagend, »und was nicht hier steht, ist in meinem Herzen!« »Armer Carlo! Das kann ja nicht immer währen – es wird ja ein Ende nehmen.«

»Du hast recht«, antwortete der Bravo dumpf. »Das Ende ist näher, als du denkst. Es tut nichts, drehe nur den Schlüssel um, damit wir hineinkommen.«

Gelsomina öffnete, und sie traten ein.

»Vater!« rief der Bravo aus und eilte zu einem auf der Erde ausgebreiteten Strohlager.

Die abgezehrte und schwache Gestalt eines alten Mannes erhob sich bei diesem Worte, und ein Auge, das innere Schwäche verriet und doch in diesem Augenblick selbst glänzender als das seines Sohnes war, blickte auf Gelsomina und ihren Gefährten.

»Du hast nicht gelitten, wie ich fürchtete, Vater, durch diesen plötzlichen Wechsel«, sagte der Bravo, an dem Strohlager niederkniend. »Dein Auge, deine Wange und dein ganzes Ansehen ist besser als unten in den feuchten Kellern.«

»Ich bin hier glücklich«, erwiderte der Gefangene, »hier ist Licht, und wenn sie mir auch zuviel davon gegeben haben, so kannst du doch nicht begreifen, wie groß das Vergnügen ist, Tageslicht nach einer so langen Nacht zu sehen.«

»Er ist besser, Gelsomina – sie haben ihn noch nicht zerstört. Sieh! Sein Auge ist glänzend, und seine Wange hat Glut!«

»Sie sind immer so, nachdem er den Winter in den unteren Kerkern verlebt hat«, flüsterte das Mädchen.

»Hast du mir was Neues zu erzählen, mein Sohn? – Wie steht’s mit deiner Mutter?«

Jacopo beugte das Haupt, um den Schmerz nicht zu zeigen, den ihm diese Frage verursachte, die er nun schon hundertmal gehört hatte.

»Sie ist glücklich, Vater – so glücklich, wie jemand sein kann, der dich, entfernt von dir, so sehr liebt.«

»Spricht sie oft von mir?«

»Das letzte Wort, was ich von ihren Lippen hörte, war dein Name.«

»Heilige Maria, segne sie! Ich hoffe, daß sie meiner in ihren Gebeten gedenkt?«

»Zweifle nicht daran, Vater, es sind die Gebete eines Engels.«

»Und deine geduldige Schwester? – Du hast ihrer noch nicht gedacht, mein Sohn.«

»Ihr ist auch wohl, Vater.«

»Hat sie aufgehört, sich zu grämen, weil sie die unschuldige Ursache meiner Leiden gewesen ist?«

»Ja, mein Vater.«

»So quält sie sich nicht mehr über ein Unglück, dem nicht abzuhelfen ist?«

Der Bravo schien in dem teilnehmenden Auge der blassen und sprachlosen Gelsomina Trost zu suchen.

»Sie hat aufgehört, sich zu quälen, Vater«, sagte er mit erzwungener Ruhe.

»Du hast deine Schwester immer mit Zärtlichkeit geliebt, mein Sohn. Dein Herz ist gut, wie ich aus Erfahrung weiß. Hat Gott mir Kummer gegeben, so hat er mich dagegen gesegnet in meinen Kindern.«

Eine lange Pause erfolgte, während der Vater über die Vergangenheit nachzudenken und der Sohn sich über das Aufhören der Fragen, die seine Seele marterten, zu freuen schien – indem die, von denen der Vater sprach, längst als Opfer des Familienunglücks gefallen waren. – Der Greis wandte seine gedankenvollen Blicke auf den noch immer knienden Bravo und fuhr fort: »Es ist wenig Hoffnung, daß sich deine Schwester verheiraten wird. Niemand mag sich gern mit den Geächteten verbinden.«

»Sie wünscht es nicht – sie wünscht es nicht – sie ist glücklich bei der Mutter.«

»Dies Glück wenigstens wird ihnen die Republik nicht mißgönnen. Ist gar keine Hoffnung, daß wir uns bald wiedersehen?«

»Du wirst meine Mutter sehen – ja, diese Freude kommt endlich.«

»Es ist eine schwere Zeit, seit ich keinen meiner Blutsverwandten, außer dir, gesehen habe. Knie nieder, damit ich dich segne.«

Jacopo, der sich unter seinen Seelenqualen erhoben hatte, beugte nun sein Haupt, um den väterlichen Segen zu empfangen. Die Lippen des Alten bewegten sich, und seine Augen blickten zum Himmel, doch sprach sein Herz mehr als seine Zunge. Gelsomina schien ihre Gebete mit denen des Vaters zu vereinigen. Als die stille, feierliche Handlung beendet war, machte jeder das gewöhnliche Zeichen des Kreuzes, und Jacopo küßte die runzlige Hand des Gefangenen.

»Hast du Hoffnung für mich?« fragte der Alte. »Versprechen sie noch immer, daß ich das Licht der Sonne wiedersehen soll?«

»Ja, sie versprechen alles Gute!«

»Ich wollte, ihre Worte wären wahr! Ich lebe seit langer Zeit von dieser Hoffnung – mich dünkt, ich bin schon länger als vier Jahre in diesen Mauern?«

Jacopo schwieg, denn er wußte, daß sein Vater nur die Zeit nannte, seit der es ihm selbst erlaubt gewesen war, ihn zu sehen.

»Ich baute auf die Hoffnung, daß sich der Doge seines alten Dieners erinnern und die Tür meines Gefängnisses öffnen würde.«

Immer noch schwieg Jacopo, denn der Doge, von dem der andere sprach, war längst tot

»Und dennoch bin ich nicht ohne Freuden in meiner Gefangenschaft. Sieh hierher, mein Sohn«, sagte der Alte, in dessen Auge fieberhafter Wahnsinn durchschimmerte, erzeugt durch die kürzliche Veränderung seines Kerkers und durch die, aus Mangel an Übung, wachsende Schwäche des Geistes, »Siehst du die Spalte in jenem Stückchen Holz? Sie öffnet sich nach und nach durch die Hitze, und seit ich hier wohne, ist die Spalte zweimal so lang geworden. Ich bilde mir manchmal ein, wenn sie das Astloch dort erreicht, dann werden sich die Herzen der Senatoren erweichen und meine Tür wird sich öffnen. Ich habe meine Freude dran, sie so Jahr für Jahr einen Zoll nach dem anderen wachsen zu sehen.«

»Ist dies alles?«

»Nein, ich habe noch andere Freuden. Vergangenes Jahr war eine Spinne hier, die ihr Gewebe an jenen Balken hängte, auch sie war mir eine Gesellschaft, die ich liebte. Sie können mich wegen falscher Anklage einsperren und mich jahrelang von Weib und Tochter trennen, all meine Freuden können sie mir doch nicht rauben.«

Der greise Gefangene schwieg gedankenvoll. Eine kindische Ungeduld glühte in seinen Augen, und er blickte von der Spalte, der Gefährtin so vieler einsamer Jahre, auf seinen Sohn, als fürchte er, seiner Freuden beraubt zu werden.

»Wohl! Mögen sie mir auch diese nehmen«, sagte er und zog die Decke über sein Haupt, »ich will ihnen dennoch nicht fluchen!«

»Vater!«

Der Gefangene antwortete nicht.

»Vater!«

»Jacopo!«

Jetzt war es der Bravo, der sprachlos dastand. Er wagte selbst nicht einmal, einen verstohlenen Blick auf die atemlos aufmerksame Gelsomina zu werfen, obgleich ihm das Herz vor Verlangen schlug, ihre offenen Züge zu lesen.

»Hörst du mich, mein Sohn?« fuhr der Gefangene, sein Haupt aufdeckend, fort. »Denkst du wirklich, daß sie das Herz haben werden, die Spinne aus meiner Zelle zu jagen?«

Jacopo beruhigte das Gemüt des Gefangenen und leitete seine Gedanken nach und nach auf andere Gegenstände. Er legte einige Nahrungsmittel, die man ihm erlaubt hatte mitzubringen, an das Lager nieder, sprach nochmals von der Hoffnung der Befreiung und schickte sich zum Fortgehen an.

»Ich will versuchen, dir zu glauben, mein Sohn«, sagte der alte Mann, der gute Gründe hatte, so oft getanen Versicherungen nicht zu trauen. »Ich will alles tun, was ich kann, um es zu glauben. Du wirst der Mutter sagen, daß ich nicht aufhöre, an sie zu denken und für sie zu beten, und wirst deine Schwester im Namen ihres armen, gefangenen Vaters segnen.«

Der Bravo verbeugte sich bejahend, erfreut, des Sprechens überhoben zu sein. Auf ein Zeichen des Alten kniete er nieder und empfing den Abschiedssegen. Nachdem er sich mit Ordnen des wenigen Gerätes in der Zelle beschäftigt und eine oder zwei Spalten, um mehr frische Luft hineinzulassen, zu erweitern versucht hatte, verließen sie das Gemach.

Auf ihrem Rückwege durch das Labyrinth, das sie nach dem Dache geführt, sprachen weder Gelsomina noch Jacopo eher ein Wort, als bis sie sich auf der Seufzerbrücke befanden. Selten betrat diese Galerie ein menschlicher Fuß, daher erwählte sie das Mädchen als den zur weiteren Unterhaltung sichersten Ort.

»Findest du ihn verändert?« fragte sie, unter dem Bogen stillstehend.

»Sehr!«

»Deine Worte haben eine traurige Bedeutung.«

»Ich habe meine Züge nicht gelehrt, dich zu täuschen, Gelsomina. «

»Doch ist noch Hoffnung – du sagtest ihm selbst, es sei noch Hoffnung.«

»Heilige Maria, vergib den Betrug! Ich konnte seinem Funken Leben den einzigen Trost nicht rauben.«

»Carlo! – Carlo! – Warum bist du so ruhig? Nie hörte ich dich von dem deinem Vater angetanen Unrecht und seiner Gefangenschaft so ruhig sprechen.«

»Das macht, weil seine Befreiung so nahe ist.«

»Eben diesen Augenblick war er ohne Hoffnung, und jetzt sprichst du von Befreiung?«

»Die Befreiung durch den Tod. Selbst der Zorn des Senats muß das Grab achten.«

»Glaubst du sein Ende so nahe? Ich hatte die Veränderung nicht bemerkt.«

»Du bist gütig, teure Gessina, treu deinen Freunden und ohne Argwohn der Verbrechen, die deine Unschuld nicht kennt. Aber jedem, der so viel Schlechtigkeit gesehen hat wie ich, kommt bei jeder Gelegenheit ein mißtrauischer Gedanke. Die Leiden meines armen Vaters sind ihrem Ende nahe, denn seine Natur ist erschöpft; wäre dies aber auch nicht der Fall, so sehe ich voraus, daß man Mittel finden würde, sie zum Ende zu bringen.«

»Du kannst doch unmöglich glauben, daß ihm hier irgend jemand etwas zuleide tun wird?«

»Niemand, der dir angehört. Dich und deinen Vater, Gelsomina, haben die Heiligen hierhergesetzt, damit die Teufel nicht zuviel Macht auf Erden haben möchten.«

»Ich verstehe dich nicht, Carlo – doch du bist oft so. Dein Vater bediente sich heute im Gespräch mit dir eines Wortes, von dem ich wünschte, er hätte es nicht gesprochen.« Der Bravo warf einen hastigen, argwöhnischen Blick auf seine Begleiterin und wandte sich schnell wieder ab.

»Er nannte dich Jacopo«, fuhr das Mädchen fort.

»Den Menschen wird oft durch die Güte ihrer Schutzpatrone ein Schimmer ihrer Schicksale zuteil.«

»Meinst du damit, Carlo, daß dein Vater argwöhnt, der Senat würde sich des genannten Ungeheuers gegen ihn bedienen?«

»Warum nicht? – Sie haben sich wohl ärgerer Menschen bedient. Wenn man der Sage trauen darf, so ist er ihnen nicht unbekannt. «

»Kann das wohl sein! – Du bist erbittert gegen die Republik, weil sie deiner Familie unrecht getan haben; aber du kannst doch nicht glauben, daß sie je den Dolch eines Banditen besoldet?«

»Ich sagte nicht mehr, als was man sich täglich auf den Kanälen zuflüstert.«

»Ich wünschte, dein Vater hätte dich bei diesem schrecklichen Namen nicht genannt, Carlo!«

»Du bist zu weise, um dich durch ein Wort irreleiten zu lassen, Gelsomina. Aber was denkst du von meinem unglücklichen Vater?«

»Dein Besuch war nicht wie die früheren Besuche, die du ihm in meiner Begleitung gemacht hast. Ich weiß nicht warum, aber mir schien es, du hegtest sonst selbst die Hoffnungen, mit denen du den Gefangenen aufzuheitern suchtest, während du jetzt ein schreckliches Vergnügen in der Hoffnungslosigkeit zu finden scheinst.«

»Deine Furcht täuscht dich«, sagte der Bravo kaum hörbar, »und wir wollen darüber nicht weiter sprechen. Der Senat wird uns endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen. Es sind ehrenwerte Herren, hochgeboren und berühmt. Es wäre Tollheit, den Patriziern nicht zu trauen. Weißt du nicht, Mädchen, daß ein aus adligem Blut Entsprossener über alle Schwachheiten und Versuchungen erhaben ist, die uns von niedriger Geburt einengen? Sie sind Menschen, die schon ihre Geburt über die Schwachheit der Sterblichen erhoben hat, und da sie niemandem Rechenschaft zu geben haben, so sind sie sicher, immer recht zu tun. Das ist vernünftig, wer kann daran zweifeln?« Der Bravo lachte bitter, als er mit diesen Worten endete.

Das furchtsame Mädchen bebte zurück und dachte einen Augenblick daran, zu fliehen, denn nie hörte sie in ihren zahlreichen, vertraulichen Unterhaltungen ein so bitteres Lachen, und nie sah sie eine so wilde Glut in ihres Gefährten Auge.

»Fast möcht ich glauben, dein Vater gebrauchte den rechten Namen, Carlo«, sagte sie, als sie, sich fassend, einen vorwurfsvollen Blick auf seine noch immer aufgeregten Züge warf.

»Eltern kommt es zu, ihren Kindern Namen zu geben – doch genug. Ich muß dich verlassen, gute Gelsomina, und ich verlasse dich mit schwerem Herzen.«

Die arglose Gelsomina vergaß ihren Schreck. Sie wußte nicht warum, aber wiewohl der vermeintliche Carlo sie nie verließ, ohne daß es sie traurig machte, so fühlte sie doch, als er jetzt diese Worte sprach, ihr Gemüt mehr als sonst bedrückt.

»Du hast dein Geschäft, und das darf nicht versäumt werden. Hast du in der letzten Zeit Glück gehabt mit deiner Gondel, Carlo?«

»Gold und ich, wir sind uns fast fremd. Die Republik hat mir die Last aufgebürdet, den ehrwürdigen Gefangenen vom Ertrag meiner Arbeit zu ernähren.«

»Ich besitze nur wenig, wie dir bekannt ist, Carlo«, sagte Gelsomina halblaut, »doch gehört es dir. Daß mein Vater nicht reich ist, kannst du begreifen, sonst würde er nicht von den Leiden anderer leben und die Schlüssel zu ihren Gefängnissen bewahren.«

»Sein Geschäft ist besser als das Amt derer, die ihm diese Pflicht auferlegten. Hart ich die Wahl, ob ich lieber die gehörnte Mütze tragen, den Festen in ihren Hallen beiwohnen, in ihren Palästen leben, das glänzende Spielwerk ihrer Prachtgelage, wie des gestrigen, mitmachen, in ihren Gerichtshöfen Ränke mitschmieden und einer der herzlosen Richter sein, die ihre Mitmenschen zum Elend verdammen – oder der bloße Aufbewahrer der Schlüssel und Schließer sein wollte, so würde ich freudig das letztere Amt ergreifen, nicht nur als das unschuldigere, sondern auch als das bei weitem ehrenvollere!«

»Du urteilst nicht, wie die Welt urteilt. Ich fürchtete, du würdest dich schämen, eines Gefangenenwärters Tochter zum Weibe zu nehmen; ja, ich mag dir es nicht länger verbergen, da du nun so ruhig sprichst – ich habe gemeint, daß es so sein müsse.«

»Dann hast du weder die Welt noch mich begriffen. Wäre dein Vater beim Senat oder unter dem Gerichtshof der Dreimänner (wenn man überhaupt je erfahren könnte, wer zu dieser furchtbaren Dreizahl gehöre), dann hättest du Ursache zum Gram. Doch, Gelsomina, die Kanäle werden dunkel, ich muß fort.«

Das zögernde Mädchen sah die Wahrheit seiner Worte ein, drehte den Schlüssel und öffnete die Tür der bedeckten Brücke. Einige Windungen und eine kurze Treppe brachten den Bravo und seine Gefährtin zu den Kais hinab. Hier nahm er hastig Abschied und verließ das Gefängnis.

Zweites Kapitel

Zweites Kapitel

Als Don Camillo Monforte in die Gondel getreten war, setzte er sich nicht in die Kajüte. Einen Arm auf das Dach des Baldachins gelehnt, den Mantel nachlässig über eine Schulter geworfen, stand der junge Edle in Gedanken vertieft, bis seine geschickten Dienstleute das Fahrzeug mitten aus der kleinen Flotte, die sich am Kai drängte, losgewirrt und ins offene Wasser gebracht hatten. Nach diesem ersten Geschäft griff Gino an seine Scharlachmütze und sah seinen Herrn fragend an, des Befehls gewärtig, nach welcher Richtung er rudern solle. Eine stillschweigende Bewegung, die auf den Canale Grande deutete, diente zur Antwort.

»Du setzest eine Ehre darin, Gino, deine Geschicklichkeit in der Regatta zu zeigen?« bemerkte Don Camillo nach einer kleinen Weile. »Dies Streben verdient durch Erfolg belohnt zu werden. Du sprachst da mit einem Fremden, als ich dich zur Gondel rief?«

»Ich erkundigte mich, was es auf unseren kalabrischen Höhen Neues gäbe, bei einem, der mit seiner Feluke in den Hafen kam, obgleich er beim heiligen Januarius geschworen hatte, daß seine vorige unglückliche Reise hierher die letzte sein sollte.«

»Wie nennt er seine Feluke, und wie heißt der Padrone?«

»Das Schiff heißt ›La bella Sorrentina‹ und wird von einem gewissen Stefano Milano, dem Sohn eines alten Dieners auf Sant‘ Agata, kommandiert. Was die Schnelligkeit anbetrifft, ist das Schiff keins der schlechtesten und gilt auch für ziemlich schön.«

Der Edle schien jetzt dem Gespräch mehr Aufmerksamkeit zu schenken, da er es bisher in dem gleichgültigen Tone geführt hatte, mit dem ein herablassender Vorgesetzter seinen Untergebenen zu ermuntern pflegt.

»›La bella Sorrentina‹. Sollte ich nicht das Fahrzeug kennen?«

»Ei freilich, Signore! Der Padrone hat Verwandte zu Sant‘ Agata, wie ich Ew. Exzellenz berichtet habe, und sein Schiff hat manch frostigen Winter beim Schlosse auf dem Strand gelegen.«

»Was führt ihn nach Venedig?« »Wenn ich das erfahren könnt, ich gab meine neueste Livreejacke drum. Es ist gerade meine Sach nicht, mich um anderer Leute Tun zu kümmern, und freilich wohl ist Bescheidenheit die Haupttugend eines Gondoliere. Indes ich brachte so ’nen geheimen Wink über sein Gewerb hier an, wie alte Nachbarn wohl mögen, da war der Mensch aber so zurückhaltend, als hätt er die Beichten von fünfzig Christenseelen in Fracht genommen. Aber wenn’s Ew. Exzellenz gelegen ist, mir Vollmacht zu geben, ihn auszufragen, so müßt’s ja mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht so mit dem Respekt vor Ew. Exzellenz und mit guter Manier etwas mehr von ihm herausbrächten als einen falschen Frachtzettel?«

»Du magst unter meinen Gondeln eine zur Regatta auswählen, Gino!« bemerkte der Herzog von Sant‘ Agata und trat in die Kajüte, wo er sich auf die glatten, schwarzledernen Kissen warf, ohne weiter auf das Geschwätz seines Dieners zu achten.

Geräuschlos flog die Gondel dahin in jener gespenstischen Weise, die dieser Art von Fahrzeugen eigen ist. Gino, der, als der Vorgesetzte seines Gehilfen auf dem kleinen, geschweiften Verdeck des Hinterteils stand, bewegte sein Ruder mit gewohnter Behendigkeit und Geschicklichkeit, indem er das leichte Boot bald zur Rechten, bald zur Linken schwenken ließ, während es zwischen den zahllosen entgegenkommenden Barken von allerlei Form und Bestimmung hindurchglitt. Ein Palast nach dem andern und mancher von den Hauptkanälen, die nach den verschiedenen Schauspielhäusern und den übrigen Vergnügungsorten führten, die sein Herr zu besuchen pflegte, blieben dahinten, ohne daß Don Camillo eine neue Anweisung gab. Endlich befand sich das Boot einem Hause gegenüber, das mehr als gewöhnliche Erwartung zu erregen schien. Giorgio führte sein Ruder nur mit einer Hand und sah über seine Schulter nach Gino, und dieser ließ das seinige gemächlich auf dem Wasser schleppen. Beide schienen weiteren Befehl zu erwarten, nach Art jener mechanischen Übereinstimmung mit der Gewohnheit des Gebieters, die ein lang gebrauchtes Pferd in der Nähe einer Tür zu zeigen pflegt, die sein Herr selten unbesucht läßt.

Das Gebäude, das die Gondolieri so zögern machte, war eine von den Wohnungen Venedigs, die durch äußere reiche Verzierung ebensosehr auffallen als durch ihre seltsame Lage mitten im Wasser. Ein plumper, massiver Sockel von Marmor wurzelte so fest in der Flut, als wüchse er aus lebendigem Felsen, während Stockwerk auf Stockwerk merklich aufgesetzt war, in mutwilliger Anwendung der eigensinnigsten Regeln einer ausschweifenden Architektur, sich bis zu einer Höhe hinauftürmend, wie man sonst nur an Palästen der Fürsten zu sehen gewohnt ist. Kolonnaden, Medaillons und massive Karniese schwebten über dem Kanal, als hätte menschliche Kunst einen Stolz darein gesetzt, in der schweren Fülle des oberen Baues das unstete Element an seinem Fuße zu höhnen. Eine Reihe Stufen, an die jede leichte, von der vorüberfahrenden Barke erregte Wallung eine Welle antrieb, führte zu einem geräumigen Hausflur, der in verschiedener Beziehung die Dienste eines Hofraums tat. Zwei bis drei unbemannte Gondeln, die dicht dabei lagen, zeigten, daß sie für den Gebrauch der Hausbewohner da waren.

»Wohin belieben Ew. Exzellenz?« fragte Gino, als er merkte, daß sein Zögern keinen weiteren Auftrag bewirkte.

»Nach dem Palazzo!«

Giorgio warf einen Blick der Verwunderung auf seinen Kameraden, jedoch die folgsame Gondel schoß, wie auf plötzlichen inneren Antrieb, an der düsteren, aber reichen Wohnung vorüber. Einen Augenblick darauf drehte sie sich seitwärts, und an dem hohlen Rauschen, wie es Wasser zwischen hohen Mauern erzeugt, war zu merken, daß man in einen engeren Kanal einfuhr. Mit verkürzten Rudern ließen die Leute das Boot nach vorwärts gehen, jetzt in einen neuen Kanal kurz einbiegend, jetzt unter einer niedrigen Brücke hinschlüpfend, jetzt das bei Bootsleuten des Landes übliche helle, aber wohlklingende »già è« ausstoßend, das den Entgegenschiffenden zur Warnung dient. Bald jedoch wandte Gino mit einer Rückbewegung des Ruders den Bord des gehemmten Fahrzeugs einer kleinen Treppe zu.

»Folge mir«, sagte Don Camillo, indem er seinen Fuß mit gewohnter Vorsicht auf die nassen Steine setzte, und legte eine Hand auf Ginos Schulter. »Ich habe einen Auftrag für dich.«

Weder der Hausflur noch der Eingang und was sonst von der Wohnung zunächst in die Augen fiel, verriet so viel Pracht und Reichtum als jener Palast im großen Kanal, doch war immer noch die Wohnung eines Edelmanns von Bedeutung daran zu erkennen.

»Du wirst wohltun, Gino, dein Glück der neuen Gondel anzuvertrauen«, sagte der Herr, die schweren Steinstufen zu einem oberen Flur hinansteigend, und wies auf ein neues, schönes Boot, das in einem Winkel der geräumigen Halle lag, wie man etwa anderswo Kutschen im Hofe stehen sieht. »Du weißt, Freund, wer Gunst finden will bei Jupiter, muß selber Hand ans Werk legen.«

Ginos Auge glänzte vor Freude, und er ergoß sich in Danksagungen. Der erste Flur war erreicht, und schon befanden sich die beiden in einer Reihe düsterer Gemächer, ehe sich die Dankbarkeit und der Handwerksstolz des Gondoliere hinlänglich Luft gemacht hatten.

»Mit einem tüchtigen Arm und einer behenden Gondel kannst du so gut siegen, Gino, als ein anderer«, sagte Don Camillo, indem er die Tür schloß, sobald sein Diener im Zimmer war. »Jetzt kannst du mir einen neuen Beweis von deinem Eifer in meinem Dienste geben. Ist dir ein Mann namens Jacopo Frontoni persönlich bekannt?«

»Exzellenz!« rief der Gondoliere, nach Luft schnappend.

»Ich frage dich, ob du einen, der Frontoni heißt, von Angesicht kennst?«

»Von Angesicht, Signore?«

»Woran sonst wolltest du einen Mann erkennen?«

»Einen Mann, Signor Don Camillo!«

»Hast du deinen Herrn zum besten, Gino? Ich habe dich gefragt, ob dir ein gewisser Jacopo Frontoni von Person bekannt ist, der hier in Venedig wohnt?«

»Ja, Exzellenz!«

»Ich meine den, der längst durch das Unglück seiner Familie bekannt ist; sein Vater soll auf der dalmatischen Küste oder anderswo in Verbannung leben.«

»Ja, Exzellenz!«

»Es gibt viele dieses Namens, es ist daher wichtig, daß du den rechten Mann nicht verfehlst. Der Frontoni, den ich meine, heißt Jacopo, ist ein junger Mann von ungefähr fünfundzwanzig Jahren, hat eine behende Gestalt, ein schwermütiges Gesicht und kein so lebhaftes Wesen, als man in seinen Jahren zu haben pflegt.«

»Ja, Exzellenz!«

»Er unterhält nur wenig Umgang mit seinesgleichen und zeichnet sich mehr durch ein schweigsames Betreiben seiner Geschäfte als durch die gewöhnlichen Tändeleien und Vergnügungen von Leuten seines Schlages aus. Also, ein gewisser Jacopo Frontoni, der irgendwo in der Nähe des Arsenals wohnt, ist’s, den ich meine.«

»Cospetto! Herr Herzog, uns Gondolieri ist der Mensch so bekannt wie die Rialtobrücke, Exzellenz brauchen sich mit seiner Beschreibung nicht zu mühen.«

Don Camillo suchte unter den Papieren in seinem Schreibtische. Bei der Bemerkung seines Dieners blickte er etwas überrascht auf, fuhr dann aber gelassen wieder fort zu suchen, indem er sagte: »Wenn dir der Mann bekannt ist, desto besser.«

»Ja, Exzellenz! Und was ist Ihr Begehren von diesem verwünschten Jacopo?«

Der Herzog von Sant‘ Agata schien jetzt das Gesuchte gefunden zu haben, legte die umhergeworfenen Papiere wieder zusammen und schloß den Schreibtisch zu.

»Gino«, redete er nun seinen Diener in einem vertrauten und freundschaftlichen Tone an, »du bist auf meinen Gütern geboren, und obgleich in Venedig zum Schiffer erzogen, so hast du doch dein Leben in meinem Dienste zugebracht.«

»Ja, Exzellenz!«

»Es ist mein Wunsch, daß du dein Leben beschließen sollst, wo du es begannst. Ich hab in deine Verschwiegenheit bisher immer viel Vertrauen gesetzt, und es freut mich, sagen zu können, daß es mich nie getäuscht hat, wiewohl du Zeuge warst von einigen meiner Jugendtaten, die deinem Herrn manche Verlegenheit zuziehen konnten, wenn du minder verschwiegen warst.«

»Ja, Exzellenz!« Don Camillo lächelte, aber dies heitere Aufleuchten machte schnell einem ernsten und besorgten Blicke Platz.

»Da du den Mann kennst, den ich dir genannt habe, so ist unser Geschäft einfach. Nimm dies Paket«, sagte er und legte einen versiegelten Brief von mehr als gewöhnlicher Größe in die Hand des Gondoliere, zugleich einen Siegelring vom Finger ziehend, »und dies zum Wahrzeichen deiner Sendung. In dem Bogen des Dogenpalastes, der zum Kanal San Marco führt, unter der Seufzerbrücke, wirst du Jacopo finden. Gib ihm das Paket, und sollte er es wünschen, so zeige ihm auch den Ring. Erwarte sein Geheiß und bringe mir Antwort.«

Gino vernahm diesen Befehl mit vollkommener Ehrerbietung, aber mit unverhohlenem Schrecken. Die gewohnte Unterwerfung unter den Willen seines Herrn schien in ihm mit tiefem Abscheu gegen das ihm aufgetragene Geschäft zu kämpfen. Es zeigte sich sogar in seinem wenn auch unterwürfigen Zaudern eine Spur davon, daß der Grund zu seinem Widerwillen tiefer lag. Wenn dem Don Camillo der Blick und die Gebärdung seines Dieners überhaupt nicht entgingen, so tat er doch, als merkte er nichts.

»Beim gewölbten Durchgange des Palastes unter der Seufzerbrücke«, sagte er nochmals kaltblütig. »Mach, daß du zeitig hinkommst, möglichst kurz vor der ersten Stunde der Nacht.«

»Ich wollte, Signore, es hätte Euch beliebt, Giorgio und mir zu befehlen, Euch nach Padua zu fahren.«

»Das ist weit. Warum hast du mit einem Male Lust, dich so müde zu machen?«

»Weil es da auf den Wiesen keinen Dogenpalast gibt und keine Seufzerbrücke und keinen Hund von Jacopo Frontoni.«

»Mein Auftrag ist dir nicht genehm, aber du sollst wissen, daß ein treuer Diener gewissenhaft auszuführen hat, was ihm sein Herr befiehlt. Du bist geboren auf meinem Grund und Boden, Gino Monaldi, und obgleich du von Jugend auf dies Geschäft eines Gondoliere versehen hast, bist du doch eigentlich mein Vasall in Neapel.«

»St. Januarius verleih mir Dankbarkeit für solche hohe Ehre, Signore! Aber es gibt keinen Wasserhändler in den Straßen von Venedig und keinen Schiffer auf den Kanälen, der nicht diesen Jacopo überall hin wünschte, nur nicht in Abrahams Schoß. Er ist der Schrecken aller jungen Liebhaber und aller dringenden Gläubiger auf den Inseln.«

»Du siehst, einfältiger Schwätzer, daß es noch von den ersteren einen gibt, der sich nicht vor ihm fürchtet. Du suchst ihn auf unter der Seufzerbrücke, zeigst ihm den Siegelring und übergibst ihm das Paket, wie ich dir befohlen habe.«

»Ich bin um meine ganze Ehre, wenn man mich mit dem gottlosen Kerl reden sieht. Erst gestern sagte Annina, die hübsche Tochter des alten Weinhändlers auf dem Lido, in Jacopo Frontonis Gesellschaft gesehen zu werden sei ebenso schlimm, als wenn einer zweimal dabei ertappt wird, altes Tau aus dem Arsenal zu entwenden, wie es ihrer Mutter Vetter, dem Roderigo, erging.«

»Dein Gleichnis schmeckt nach der Moral vom Lido. Vergiß nicht, den Ring zu zeigen, damit er deiner Botschaft nicht mißtraue. «

»Hätte mir Ew. Exzellenz nicht befehlen können, die Flügel des Löwen zu kappen oder ein besseres Gemälde zu malen als Tiziano di Vezelli? Es ist mir in den Tod zuwider, auch nur gegrüßt zu werden von einem von Euern Kehlabschneidern. Sah mich einer von unsern Gondolieri mit dem Manne reden, Ew. Exzellenz‘ ganzer Einfluß reichte nicht hin, mir einen Platz bei der Regatta zu verschaffen.«

»Wenn er dich bleiben heißt, Gino, so warte ab, was ihm beliebt, wenn er dich aber gleich wieder fortschickt, so eile zurückzukommen, damit ich Bescheid erhalte.«

»Ich weiß sehr wohl, Signore Don Camillo, daß die Ehre eines Edelmannes von zarterer Natur ist als die seines Bedienten und daß ein Fleck auf der seidenen Senatorsrobe weiter gesehen wird als der Schmutz auf einer Livreejacke. Wenn aber einer, der Ew. Exzellenz‘ Aufmerksamkeit nicht wert ist, eine Beleidigung gewagt hat, sind Giorgio und ich jederzeit bereit, zu beweisen, wie sehr es uns am Herzen liegt, daß unseres Herrn guter Name nicht angetastet werde. Aber so ein Mietling für zwei oder zehn oder auch hundert Zechinen!« »Ich danke dir für den Wink, Gino. Geh schlafen in deine Gondel und schicke Giorgio in mein Kabinett.«

»Signore!«

»Bist du denn entschlossen, keinen von meinen Aufträgen auszuführen? «

»Befehlen Ew. Exzellenz, daß ich auf dem Fußweg zur Seufzerbrücke gehe oder durch die Kanäle?«

»Du könntest einer Gondel bedürfen – zu Wasser.«

»Ehe sich ein Gaukler umdrehen kann, soll Antwort da sein von Jacopo.«

So seine Absicht plötzlich ändernd, verließ der Gondoliere das Zimmer; sein Widerwille verstummte augenblicklich, als er sah, daß ein anderer das ihm vom Herrn geschenkte Vertrauen genießen sollte. Er stieg schnell eine geheime Treppe hinunter, um den Hausflur zu vermeiden, wo ein halbes Dutzend Dienstleute verschiedentlich beschäftigt war. Ein enger Korridor des Palastes führte ihn in einen inneren Hof und dann durch eine niedrige, unscheinbare Tür in einen dunklen Weg, der mit der nächsten Straße zusammenhing.

Es ist der Fehler der meisten Beschreibungen von Venedig, daß sie von den Kanälen viel zu rühmen wissen, aber nichts melden von den stillen, engen, gepflasterten, bequemen Straßen, die alle Inseln durchschneiden und miteinander durch zahllose Brücken; zusammenhängen.

In eine von diesen Straßen gelangte Gino, als er aus dem geheimen Gange trat, der zu dem Palast seines Herrn führte. Er brach sich durch die hin und her ziehende Menge Bahn, geschickt wie ein Aal, der sich durch die Wucherpflanzen der Lagunen schmiegt. Nickend nur beantwortete er die häufigen Grüße seiner Kameraden und hemmte seinen schnellen Schritt erst, als er in einem Stadtviertel, das Leute geringen Standes bewohnten, in die Tür einer niedrigen dunklen Wohnung trat. Zwischen Fässern, Tauwerk und Wegwurf aller Art umhertappend, gelang es dem Gondoliere, eine innere versteckte Tür zu finden, die in ein kleines Zimmer führte, das sein Tageslicht nur aus einer Art Spalt zwischen diesem und dem Nachbarhause erhielt.

»Gebenedeite St. Anna! Bist du’s, Gino Monaldi!« rief eine lebhafte venezianische Dirne, in deren Ton und Gebärde sich Koketterie und Erstaunen mischten. »Zu Fuß und durch die geheime Tür. Ist dies eine Stunde zu Geschäften deiner Art?«

»Du hast recht, Annina. Zu einem Handel mit deinem Vater ist es nicht Zeit, und für einen Besuch bei dir ist es zu früh. Aber hier gilt’s nicht schwatzen, sondern tun. Gib mir die Jacke, die ich trug, als wir miteinander zu der Lustbarkeit nach Fusina gingen. «

»Ich weiß nichts von deinem Handel, Gino, und von deinen Gründen, die Livree deines Herrn mit dem Anzug eines gemeinen Schiffers zu vertauschen. Diese seidenen Blumen stehen dir viel besser als der verblichene Samt, und wenn ich den einmal gelobt habe, so geschah es bloß, weil es eben auf die Lustbarkeit abgesehen war, und …«

»Zitto, zitto! Hier gibt’s nichts von Lustbarkeit, sondern eine wichtige Sache, die gleich zu Ende gebracht werden muß. Die Jacke, wenn du mich lieb hast.«

Annina warf das Kleidungsstück auf einen Stuhl und zeigte deutlich, daß ihr ein Bekenntnis dieser Art auch im unbewachtesten Augenblick nicht zu entlocken war.

»Wenn ich dich lieb habe? O ja! Da hast du die Jacke, Gino, und du magst dir in den Taschen die Antwort auf den Brief suchen, den du von des Herzogs Schreiber hast anfertigen lassen, was mir aber nicht lieb ist. Ein Mädchen muß vorsichtig sein in dergleichen Angelegenheiten, man weiß ja nicht, ob es nicht einen Nebenbuhler zum Vertrauten macht.«

»Jedes Wort darin ist so ehrlich, als hätt’s der Teufel selber für mich besorgt, Mädchen!« brummte Gino, indem er seine geblümte Jacke abwarf und die einfachere geschwind anzog. »Die Mütze, Annina, und die Maske!«

»Eine so falsche Physiognomie wie deine bedarf doch nicht erst des seidenen Läppchens, um sich zu verstecken«, sagte sie, ihm demungeachtet beides hinwerfend.

»Gut so – Pater Baptista selber, der sich rühmt, er könne einen Sünder von einem Reuigen durch den bloßen Geruch unterscheiden, soll doch in diesen Kleidern nicht Don Camillo Monfortes Diener ahnen! Sind deines Vaters Gondeln alle im Wasser?«

»Wie sollt er denn sonst nach dem Lido gekommen sein und mein Bruder nach Fusina und die zwei Arbeitsleute an ihre gewöhnlichen Geschäfte auf den Inseln, oder woher sollt ich sonst allein im Hause sein?«

»Diavolo! Ist kein Boot im Kanal?«

»Du hast ungewöhnliche Eile, Gino, jetzt mit deiner Maske und Samtjacke! Ich weiß nicht, ob ich einen darf in meines Vaters Haus hereinlassen, wenn ich allein bin, daß er dann so verkleidet und zu dieser Tageszeit fortschleiche. Du mußt mir deinen Auftrag sagen, damit ich urteilen kann, ob das zulässig ist.«

»So höre! Du hast von dem Abenteuer gehört, das meinem Herrn mit der Nichte des römischen Marchese begegnete, der in die Giudecca fiel durch die Unvorsichtigkeit eines Ankonafahrers, der über die Gondel hinging, als wäre seine Feluke eine Galeere von erstem Range gewesen.«

»Seit einem Monat spricht man ja hier auf dem Lido von nichts anderem; die aufgebrachten Gondolieri haben die Geschichte mit allen möglichen Variationen schon bis zum Überdruß wiederholt.«

»Gut, diese Sache, scheint’s, wird heut nacht zu Ende kommen. Mein Herr, fürcht ich, wird einen rechten Narrenstreich ausführen.«

»Sich trauen lassen?«

»Oder noch was Schlimmeres. – Ich soll möglichst schnell und heimlich einen Priester holen.«

Annina hörte mit großer Teilnahme dem Märchen des Gondoliere zu. Aber, war es mißtrauisches Temperament oder alte Gewohnheit oder Bekanntschaft mit der Art und Weise ihres Gefährten, genug, es regten sich in ihr einige Zweifel an der Wahrheit der Geschichte.

»Das wird ein sehr plötzliches Hochzeitsfest sein!« sagte sie nach einer Pause, »’s ist gut, daß nur wenig dazu gebeten sind, sonst möchten die Dreihundert die Freude verderben! Zu welchem Kloster bist du geschickt?«

»Ich hab keinen bestimmten Auftrag. Der erste beste kann’s sein, wofern er ein Franziskaner ist und ein Priester, der Herz hat für Liebende, denen Eile not tut.«

»Don Camillo Monforte, der Erbe eines alten, berühmten Gechlechts, vermählt sich nicht mit so wenig Umständen. Dein Lügenmaul, Gino, hat mich betrügen wollen, aber du solltest doch längst wissen, wie du damit bei mir unrecht ankommst. Sag mir die Wahrheit oder sollst nicht an dein Geschäft kommen, sondern hier mein Gefangener bleiben, solang mir’s beliebt.«

»Vielleicht, daß ich dir nicht von Geschehenem geredet habe, sondern was ich denke, daß binnen kurzem geschehen wird! Aber Don Camillo hat mich neuerlich so auf dem Wasser erhalten, daß ich fast alles im Traume tue, sobald ich nicht beim Ruder bin.«

»Du suchst mich umsonst zu hintergehen, Gino! Denn dein Auge sagt mir die Wahrheit, und wenn deine Zunge und dein Hirn wer weiß wohin geraten. Trink da einen Schluck und entlaste dein Gewissen als ein Mann.«

»Ich wollte, dein Vater machte mit Stefane Milano Bekanntschaft«, sagte der Gondoliere nach einem langen Atemzuge und noch längerem Trunk. »Das ist ein Padrone aus Kalabrien, der oft köstliches Getränk aus seiner Gegend in den Hafen bringt und der dir ein Faß roten Lacrimae Christi durch den Broglio selbst schafft, ohne daß es ein einziger von den Herren gewahren soll. Der Mann ist gegenwärtig hier, und wenn du willst, so könntet ihr bald um einige Schläuche handelseins werden.«

»Nun, und warum nicht jetzt gleich? Seine Feluke, sagst du, ist im Hafen, und du kannst ihn ja herführen durch die geheime Tür und die Gäßchen.«

»Du vergißt mein Geschäft. Don Camillo ist nicht gewohnt, zuletzt bedient zu werden. Cospetto! ’s war ein Jammer, wenn ein anderer den Wein bekäme, den der Kalabrese gewiß heimlich mitgebracht hat.«

»Dein Geschäft kann nicht so dringend sein als das, einen Wein von so besonderer Güte zu erlangen, oder wenn ja, so magst du erst deines Herrn Auftrag besorgen, und dann zum Hafen und Stefano aufgesucht. Damit wir um den Kauf nicht kommen, will ich selber eine Maske nehmen und mit dir gehn, um den Kalabresen zu sprechen. Du weißt, mein Vater hat in solchen Angelegenheiten viel Zutrauen zu mir.«

Während Gino über diesen Vorschlag halb verdutzt und halb erfreut dastand, wechselte die hurtige, verschmitzte Annina einige ihrer Kleidungsstücke, nahm eine seidene Maske vors Gesicht, verschloß sorgfältig die Tür und hieß den Gondoliere ihr folgen.

Der Kanal, mit dem die Wohnung des Weinhändlers in Verbindung stand, war eng, düster und wenig befahren. Eine Gondel der einfachsten Art lag dicht beim Hause angebunden, das Mädchen sprang ohne weitere Umstände hinein. Don Camillos Diener zauderte nur einen Augenblick, denn er merkte, daß der Plan, der ihm durch den Kopf fuhr, mit Hilfe einer andern Gondel zu entfliehen, unausführbar war, weil es an Gerät fehlte, und so nahm er seinen gewöhnlichen Platz im Hinterteil des Fahrzeugs ein und fing an, mit mechanischer Geläufigkeit zu rudern.

Zwanzigstes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Die Stunde war gekommen, wo die Piazza von Herumschwärmern und die Kanäle von Gondeln zu wimmeln pflegten. Masken stahlen sich wie gewöhnlich längs den Portikus, Gesang und Geschrei ließ sich hören, Venedig war wiederum der trügerischen Heiterkeit hingegeben.

Als Jacopo aus dem Gefängnis auf den Kai herauskam, mischte er sich unter den Menschenstrom, der nach den Plätzen hinwogte, durch seine Maske gegen alle Beobachtung gesichert. Wie er über die Brücke des Kanals von St. Markus kam, blieb er einen Augenblick stehen, um nach der eben verlassenen Galerie hinaufzuschauen, dann zog er weiter mit der Menge, das Bild der lieblichen und vertrauensvollen Gessina im tiefsten Herzen bewahrend. Unter den dunklen Bogen des Broglio suchten seine Blicke Don Camillo. An der Ecke des kleinen Platzes begegneten sie sich, wechselten geheime Zeichen, und der Bravo entfernte sich unbemerkt.

Hunderte von Booten lagen am Fuß der Piazetta: Unter diesen suchte Jacopo sein eigenes und ruderte es aus der schwimmenden Masse nach dem Stromwasser hin; wenige Ruderschläge, so lag er an der Seite der »Bella Sorrentina«. Der Schiffer schritt das Verdeck auf und ab, die frische Abendluft genießend, während sein Schiffsvolk am Vorderteil der Feluke gruppiert war und ein kalabrisches Schifferlied sang. Die Begrüßung war gutherzig, aber kurz, wie sie unter Männern dieser Klasse gebräuchlich ist. Aber der Padrone schien den Besuch zu erwarten, denn er führte seinen Gast, fern von den Ohren seiner Leute, ans andere Ende der Feluke.

»Hast du was Besonderes, guter Roderigo«, fragte der Seemann, der Jacopo an einem Zeichen zu erkennen pflegte und dennoch ihn nur unter jenem erdichteten Namen kannte. »Du siehst, wir sind nicht müßig gewesen, obgleich gestern Festtag war.«

»Bist du zur Fahrt in den Golf fertig?«

»Nach der Levante oder nach den Säulen des Herkules, wie es dem Senat gefällig ist. Wir haben unsere Segelstangen aufgezogen, seit die Sonne hinter den Gebirgen sank, und trotz unserer anscheinenden Gemächlichkeit bedürfen wir nur einer Stunde, um uns für die Außenseite des Lido zu rüsten.«

»Dann nehmt Eure Maßregeln.«

»Meister Roderigo, Ihr bringt Eure Neuigkeiten auf einen überfüllten Markt. Man hat mich schon unterrichtet, daß man uns diese Nacht brauche.«

Eine schnelle Bewegung des Mißtrauens von Seiten des Bravo entging dem Padrone, dessen Augen über den Windfang der Feluke liefen, mit der dem Seemann eigenen Aufmerksamkeit für diesen Teil des Schiffes, wenn sein Dienst begehrt wird.

»Du hast recht, Stefano. Indes doppelte Vorsicht schadet nicht. Bei einem schwierigen Auftrag ist Vorbereitung die Hauptpflicht. «

»Wollen Sie sich selbst überzeugen, Signore Roderigo?« sagte der Seemann mit leiser Stimme. »Die ›Bella Sorrentina‹ ist nicht der Buzentaur, auch keine Galeere des Großmeisters von Malta; doch im Verhältnis ihrer Größe sind in des Dogen Palast selbst keine besseren Zimmer zu finden. Als ich erfuhr, daß eine Dame zur Fracht gehöre, da kam die Ehre Kalabriens ins Spiel, ihr alles recht bequem zu machen.« »Gut. Wenn man dir alle Umstände mitgeteilt hat, so wirst du gewiß alles tun, um Ehre einzulegen.«

»Ich sage nicht, daß man mir die Hälfte davon mitgeteilt hätte, guter Signore«, unterbrach ihn Stefane. »Die Heimlichkeit bei euren venezianischen Ladungen ist eben das, was mir das Gewerbe am meisten verleidet. Mehr als einmal ist es geschehen, daß ich wochenlang in den Kanälen gelegen habe, meine Räume so rein wie ein Mönchsgewissen, und dann kam Befehl, die Anker zu lichten, und ein Bote, der im Hafen einstieg, ging als Fracht mit, um an der Küste von Dalmatien oder an den griechischen Inseln wieder hinauszukriechen.«

»Bei solchen Fällen hast du dein Geld leicht verdient.«

»Diamine! Meister Roderigo, hält ich einen Freund in Venedig, der mir beizeiten Nachricht gab, so könnte man die Feluke mit solchem Ballast beladen, der auf der jenseitigen Küste Gewinn brächte. Diene ich den edeln Herren nach Pflicht treu, was ginge es dann den Senat an, wenn ich nun auch zu gleicher Zeit meine Pflicht täte für mein gutes Weib und ihre kleinen braunen Kinder daheim in Kalabrien?«

»Es ist viel Vernunft in dem, was du sagst, Stefano; allein du weißt, die Republik ist ein strenger Gebieter. Ein Geschäft dieser Art will mit leiser Hand berührt werden.«

»Das weiß niemand besser als ich; denn als sie den Handelsmann mit all seinen Gerätschaften aus der Stadt sandten, da mußte ich gewisse Kisten in die See werfen, um Raum zu machen für seinen nichtswürdigen Plunder. Der Senat ist mir Ersatz schuldig für diesen Verlust, werter Signore Roderigo. «

»Den du dir wohl gern diese Nacht zueignen möchtest?«

»Allerheiligste Maria! Sie können der Doge selbst sein, Signore, so wenig kenne ich von Ihrem Angesicht, doch ich möchte am Altar drauf schwören, daß Sie, Ihres Scharfsinns wegen, zum Senat gehören müssen. – Wenn die Dame nicht gar zu sehr mit Sachen beschwert und es noch Zeit ist, so möchte ich wohl ein wenig für den Geschmack der Dalmatier sorgen, mit gewissen Artikeln, die aus den Ländern hinter den Herkulessäulen herkommen.« »Du kannst ja selbst darüber urteilen, da man dich von der Art deines Geschäftes unterrichtet hat.«

»St. Januarius von Neapel, öffne meine Augen! – Man sagte nicht ein Wörtchen weiter, als daß eine junge Dame, für die sich der Staat sehr interessiere, diese Nacht die Stadt verlassen wolle, um nach der Ostküste zu gehen. Wenn es für Ihr Gewissen nicht zu unangenehm wäre, Meister Roderigo, so würde es mich sehr beglücken, zu hören, wer Ihre Gesellschafter sein werden?«

»Davon sollst du zur rechten Zeit mehr erfahren. Bis dahin empfehl ich dir eine vorsichtige Zunge, denn St. Markus spaßt nicht mit denen, die ihn beleidigen. Ich freue mich, dich so vorbereitet zu sehen, werter Padrone, und dir eine gute Nacht und glückliche Reise wünschend, empfehle ich dich deinem Schutzpatron. Doch halt – ehe ich dich verlasse, möchte ich wohl die Stunde wissen, wann der Landwind eintritt?«

»Ihr seid in Euern Sachen exakt wie ein Kompaß, Signore, doch habt Ihr wenig Erbarmen mit Euern Freunden! Nach der heutigen brennenden Sonnenhitze zu urteilen, müssen wir die Alpenluft um Mitternacht haben.«

»Wohl – mein Auge wird dich bewachen. Nochmals, addio!«

»Cospetto! Du hast ja vom Kargo gar nichts gesagt?«

»Der wird an Wert beträchtlicher als an Umfang sein«, antwortete Jacopo, nachlässig und stieß ab von der Feluke. Während Stefano auf dem Verdeck stand und über den wahrscheinlichen Ertrag seiner Spekulation nachdachte, glitt das Boot schnell und behende nach dem Kai.

Gleich den Windungen des listigen Fuchses durchkreuzt Betrug oft seine eigenen Wege; demgemäß fallen in seine Schlingen nicht nur die, denen sie gelegt wurden, sondern auch die, die sie legten. Als Jacopo sich von Don Camillo trennte, verabredeten sie, daß ersterer all seinen angeborenen Scharfsinn oder seine Erfahrung anwenden sollte, um mit Gewißheit die Absichten des Senats hinsichtlich Donna Violettas zu erfahren. Dies war auf dem Lido geschehen, und da niemand außer ihm von ihrer Unterredung etwas wußte und ihre neuerlich geknüpfte Verbindung ahnen konnte, so übernahm der Bravo seinen neuen Auftrag nicht ohne Aussicht auf einen glücklichen Erfolg. Bei ganz besonders delikaten Geschäften ihre Agenten zu wechseln, war ein sehr gebräuchliches Mittel der Republik, um dadurch Nachforschungen zu entgehen. Oft war Jacopo ihr Werkzeug bei ihren Unterhandlungen mit dem Seefahrer, der häufig gebraucht ward, geheime polizeiliche Maßregeln auszuführen. Er hatte anfangs den Befehl bekommen, den Padrone aufzusuchen und ihm zu empfehlen, daß er sich jeden Augenblick zum Dienste bereithalten möge; seit dem Verhör Antonios aber waren ihm von seinen bisherigen Prinzipalen keine Instruktionen mehr erteilt worden. Unter diesen nachteiligen Umständen also war es, daß Jacopo seine neuen wichtigen Pflichten anzutreten hatte.

Daß sich die List, wie gesagt, oft selber überlistet, ist sprichwörtlich und bewährte sich aufs neue in dem gegenwärtigen Falle mit Jacopo und seinen Herren. Sie hatten ihn bisher bei ähnlichen Gelegenheiten aufgesucht, jetzt schwiegen sie. Dieser Umstand war ihm nicht entgangen. Als er daher auf seinem Gange längs des Kais die Feluke erblickte, so leitete der Zufall seine Nachforschungen, und wie sehr ihm dabei die Habgier des Kalabresen zu Hilfe kam, haben wir eben erzählt.

Kaum hatte Jacopo den Kai erreicht und sein Boot angebunden, als er wieder auf den Broglio eilte, der in diesem Augenblick von Maskierten und den Pflastertretern der Piazetta angefüllt war. Die Patrizier waren nicht mehr da, sie hatten sich zurückgezogen.

Jacopo schien es, hatte gemessene Befehle; denn nachdem er sich überzeugt hatte, daß Don Camillo nicht mehr auf dem Platze war, drängte er sich durch die Menge wie einer, der einen bestimmten Gang zu tun hat. Beide Plätze waren jetzt voll, und wenigstens die Hälfte derer, die in diesen Vergnügungsorten die Nacht zuzubringen gedachten, erschien maskiert. Der Bravo, obgleich eine entschiedene Richtung nehmend, schritt nicht so eilig einher, daß er nicht im Gehen die sich auf der Piazetta bewegenden Gestalten hätte mustern können. So kam er bis an den Punkt, der beide Plätze vereinigt, als er seinen Ellenbogen leise berührt fühlte.

Er war nicht gewohnt, sich auf dem St.-Markus-Platze, noch dazu in solcher Stunde, unnötigerweise durch Sprechen zu verraten. Aber seinem fragenden Blicke erwiderte ein Zeichen, daß er folgen möchte. Die Gestalt, die ihn angehalten hatte, war so vollständig in ihrem Domino verhüllt, daß er sich vergeblich bemühte, zu erkennen, wer es wäre. Da jedoch der Teil des Platzes, wo sie ihn hinwinkte, leer war und in der Richtung lag, die er eben nehmen wollte, so gab der Bravo ein einwilligendes Gegenzeichen und folgte. Sobald sie sich außerhalb des Gedränges und an einem Orte befanden, wo sich kein Lauschender verbergen konnte, stand der Fremde still, untersuchte unter seiner Maske hervor Jacopos Person, Wuchs und Anzug und endigte zuletzt mit einer Gebärde, die anzeigte, daß er den Rechten vor sich habe. Jacopo erwiderte ebenfalls in Zeichensprache, behauptete aber strenges Stillschweigen, bis sich jener gezwungen sah, das Gespräch zu eröffnen.

»Gerechter Daniel«, brummte er, »sollte man nicht glauben, erlauchter Signore, Ihr Beichtiger habe Ihnen Stillschweigen zur Begrüßung auferlegt? Warum reden Sie Ihren Diener nicht an?«

»Was willst du?«

»Da hat man mich hierhergeschickt in die Piazza unter die Gauner, Kammerdiener, Gondolieri und alle Arten von Zechern und Schmausern, die dieses christliche Land zieren, und da soll ich suchen den Erben von einem der ältesten und geehrtesten Häuser Venedigs?«

»Wie, so weißt du denn, daß ich der bin, den du suchst?«

»Signore, ein weiser Mann sieht manches, was dem Unachtsamen entwischt. Wenn junge Kavaliere Geschmack finden daran, sich vornehm maskiert zu begeben unters Volk, wie bei einem gewissen jungen Patrizier dieser Republik der Fall ist, so brauchen sie eben nicht aufzutun den Mund, man kennt sie schon an ihrer Haltung.«

»Du bist ein schlauer Bote, Hosea; doch dein Stamm lebt ja von seiner Schlauheit.«

»Sie ist das einzige, was wir entgegensetzen können dem Unrecht des Drängers. Gehetzt sind wir wie Wölfe, warum sollten wir also nicht bisweilen zeigen die wilde Natur der Bestien, für die Ihr uns haltet. Doch was erzähl ich die Trübsale unserer Leute einem, der da glaubt, daß das Leben eine Maskerade ist?« »Aber zu deinem Auftrag! Ich wüßte nicht, daß ich ein Pfand auszulösen hätte, auch bin ich dir kein Gold schuldig.«

»Gerechter Samuel! Ihr Kavaliere vom Senat gedenkt nicht immer an das, was vergangen ist, Signore, oder Ihr hättet Euch sparen können diese Worte. Wenn Ew. Exzellenz sind geneigt, Pfänder zu vergessen, kann ich was dafür? Sicherlich, was anbelangt die Rechnung, die nun schon so lange ist angewachsen unter uns, da ist auf dem ganzen Rialto kein Handelsmann, der die Beweise wird ziehen in Zweifel.«

»Und wär’s auch so, kommst du hierher auf den vollen St.-Markus-Platz als Gläubiger, meines Vaters Sohn zu mahnen?«

»Wo werd ich Schande antun, Signore, irgendeinem, der da kommt von diesem erlauchten Geschlecht! Darum wollen wir jetzt nicht weiter sprechen von der Sache, wohl zu merken allerdings, daß Ihr, wenn die Zeit da ist, Euch bekennet zu Eurer Handschrift und Siegel.«

»Deine Klugheit gefällt mir, Hebräer, sie ist mir Bürgschaft, daß dein Geschäft diesmal nicht von der gewöhnlichen unangenehmen Art ist. Da ich eben nicht viel Zeit habe, so wirst du wohl so gut sein und damit herausrücken.«

Hosea sah sich noch einmal verstohlen, aber genau auf dem menschenleeren Fleck um, trat dann näher auf den vermeintlichen Edelmann zu und fuhr fort: »Signore, Ihre Familie ist in Gefahr, einen großen Verlust zu erleiden! Sie wissen, daß der Senat hat gänzlich und plötzlich entfernt die Donna Violetta von der Bewachung des treuen und erlauchten Senators, Ihres Vaters.«

Jacopo trat erschrocken einen Schritt zurück, doch so leise, daß die Bewegung für einen Liebhaber, dessen Hoffnung vereitelt worden, nur natürlich erschien und den Irrtum des Juden noch bestärkte.

»Beruhigen Sie sich, junger Signore«, setzte Hosea hinzu, »Diese Striche durch die Rechnung erfahren wir alle in der Jugend, wie ich weiß, durch gar schwere Versuchungen. Lea ist auch nicht gewonnen worden ohne Müh, und zunächst dem Glück im Handel ist Glück in der Liebe vielleicht das, worauf am wenigsten kann gerechnet werden. Aber Gold tut viel bei beiden, und in der Regel setzt es die Sache durch. Aber Sie sind näher daran, die Dame, die Sie lieben, und ihre Besitztümer zu verlieren, als Sie sich einbilden, denn ich bin hergeschickt, ausdrücklich, daß ich Ihnen soll sagen, daß sie soll werden entfernt aus der Stadt.«

»Wohin?« fragte Jacopo hastig, und der vermutete Liebhaber ward dem guten Hosea dadurch nur um so deutlicher.

»Das ist es ja eben, Signore, was noch ist zu erfahren. Dein Vater ist ein scharfsinniger Senator und tief eingeweiht bisweilen in die Geheimnisse des Staates. Doch wenn ich etwas darf schließen von seinem Schwanken bei dieser Gelegenheit, so kommt’s mir vor, als wenn er sich richtete mehr nach Berechnungen als nach sicherem Wissen. Gottseliger Daniel! Es hat gegeben Augenblicke, wo ich hab vermutet, daß der ehrwürdige Patrizier ein Mitglied ist des Rates der Dreimänner!«

»Sein Adel ist alt, seine Privilegien wohlbegründet – warum sollte er nicht?«

»Ich sag ja nichts dagegen, Signore. Es ist ein weises Kollegium, das viel Gutes tut und verhütet viele Übel. Niemand auf dem Rialto sagt den geheimen Beratungen Böses nach; dort legen sich die Leute auf Broterwerb und klügeln nicht über die Handlungen ihrer Beherrscher. Aber, Signore, er möge nun gehören zu diesem oder jenem Rate oder bloß sein Senatsmitglied, so hat er fallen lassen einen behutsamen Wink über die Gefahr des Verlustes, in der wir uns –«

»Wir! Hast du etwa Absichten auf Donna Violetta, Hosea?«

»Das verhüte Lea und das Gesetz! Ich sagte darum wir, Signore, weil bei dieser Heirat das Interesse der Leute auf dem Rialto ebensogut auf dem Spiel steht als das des Hauses Gradenigo.«

»Ich verstehe, du fürchtest für dein Gold.«

»Wenn ich so leicht Besorgnisse schöpfte in dieser Sache, Signore Giacomo, so würde ich es nicht hergegeben haben so bereitwillig. Indessen, ist auch die einstige Erbschaft von deinem Vater vollkommen hinlänglich, sicherzustellen jede Anleihe, die ich armer Mann machen kann, so würde die Sicherheit doch dadurch nicht werden geringer, wenn die Reichtümer des Signore Tiepolo noch kämen hinzu.«

»Du bist scharfsinnig, das geb ich zu, auch begreif ich die ganze Wichtigkeit deiner Warnung; allein, sie scheint keinen andern Zweck noch Grund zu haben als deine persönlichen Befürchtungen. «

»Und einige hingeworfene Winke Ihres geehrten Vaters, Signore.«

»Was sagte er denn noch weiteres über den Gegenstand?«

»Er sprach in Gleichnissen, junger Edelmann, Gleichnisse aber sind nicht in den Wind gesprochen für orientalische Ohren. Daß man im Begriffe steht, wegzubringen die reiche junge Dame aus Venedig, ist gewiß, und zum Besten des bißchen Interesses, das ich habe an ihrem Schicksal, gab ich den schönsten Türkis in meinem Laden darum, wüßte ich, wohin.«

»Weißt du gewiß, daß es diese Nacht geschehen soll?«

»Ich verpfände mich zu nichts, wenn’s etwa anders sollte ausfallen, aber ich habe Gewißheit genug, junger Kavalier, um unruhig zu sein.«

»Genug – ich werde meine eigene Angelegenheit und die deinige im Auge behalten.«

Jacopo machte ein Abschiedszeichen mit der Hand und verfolgte seinen Weg, die Piazza hinauf.

»Was meine Angelegenheiten betrifft«, brummte der Hebräer für sich, »so wollt ich nur, ich hätte sie selbst besser behalten im Auge. Was ging es dann mich an, heiratete die Dirne dich oder einen Türken!«

»Pst, Hosea!« rief ihm hier eine Maske ins Ohr, »ein Wörtchen allein mit dir.«

Der Jude schrak zurück, als er fand, daß er sich im Eifer denn doch von jemand hatte belauschen lassen. Auch dieser Fremde war in einem Domino und durchaus unkenntlich.

»Was beliebt, Signore Maske?« fragte der vorsichtige Jude.

»Ein Wort in Freundschaft und Vertrauen. – Du leihest Gelder auf Wucherzinsen aus, nicht wahr?«

»Diese Frage wär in der Schatzkammer der Republik eher am rechten Ort! Ich hab viele Steine, die taxiert sind weit unter ihrem Karatgewicht, und lieb wär’s mir, könnt ich sie unterbringen bei jemand, der besser imstande ist als ich, sie zu behalten.«

»Nein, das hilft dir nichts – man weiß recht gut, daß du Zechinen hast die Hülle und Fülle; ein reicher Jude aber sagt nicht nein, wenn es gilt, sein Geld auf Hypotheken anzulegen, die so sicher sind wie Venedigs Gesetze. Tausend Dukaten in deiner bereitwilligen Hand ist keine Seltenheit.«

»Die mich reich nennen, Signore Maske, belieben ihren Spott zu treiben mit dem unglücklichen Sohn eines verfolgten Volkes. Daß ich vor Mangel geschützt, daß ich sogar nicht geradezu dürftig bin, ist vielleicht nicht unwahr; wenn man aber spricht von tausend Dukaten, so sind das Dinge, zu gewichtig für meine belasteten Schultern. Geruhten Sie vielleicht einen Amethyst zu kaufen oder einen Rubin, galanter Signore, so dürften wir wohl handelseinig werden.«

»Juwelen hab ich selber, alter Hebräer, Gold ist’s, was ich brauche, dringend brauche, gleich und ohne viele Worte haben muß – nenne nur deine Bedingungen.«

»Wer so gebieterisch spricht in Geldangelegenheiten, Signore, der muß stellen können gute Sicherheiten.«

»Du hast gehört, daß die Gesetze Venedigs nicht sicherer sind. Tausend Zechinen, geschwind! Die Höhe der Wucherzinsen setze nach deinem eigenen Gewissen fest.«

Das hieß nun freilich, der Unterhandlung weiten Spielraum zu geben, und Hosea fing an, die Sache ernstlicher in Erwägung zu ziehen.

»Signore«, sagte er, »tausend Dukaten liest man nicht beliebig auf vom Pflaster des großen Platzes. Wer sie will darleihen, der muß sie erst verdienen durch lange, geduldige Arbeit, und wer sie borgen –«

»– will, der steht neben dir –«

»– will, der muß haben einen Namen und ein Gesicht, welche kreditfähig sind auf dem Rialto.«

»Nun, du verleihest ja wohl auch an Masken, bedächtiger Hosea, wenn anders der Ruf dir nicht zuviel Gutes nachsagt.«

»I nun, ein hinlängliches Pfand macht mir freilich die Sache klar genug, der Borgende mag nun so verborgen sein wie der Rat der Drei selbst. Aber ich sehe nichts. Morgen komm zu mir, mit oder ohne Maske, ganz wie es dir beliebt, denn ich verlange nicht, mich weiter zu mischen in anderer Leute Angelegenheiten, als meine eigenen es erfordern, und dann will ich nachsehen in meinen Koffern, wiewohl kein präsumtiver Erbe in Venedig leerere haben kann als ich.«

»Ich brauche das Geld gleich, ohne allen Verzug. Hast du es, unter der Bedingung, dir selbst den Zinsfuß stellen zu können, so sprich.«

»Bei hinlänglicher Bürgschaft in Edelsteinen könnte ich vielleicht zusammenscharren unter unsern zerstreuten Leuten die Summe, Signore. Doch wer umhergeht auf der Insel, um zu borgen, wie ich werde tun müssen, muß können beschwichtigen alle Zweifel hinsichtlich der Bezahlung.«

»Also das Gold ist zu haben, das ist ausgemacht?«

Hosea zauderte, denn er hatte sich vergeblich bemüht, durch des andern Verhüllung zu dringen, und obgleich dessen Zuversicht ihm ein günstiges Zeichen schien, so wollte doch seinem Leihinstinkt dessen Ungeduld nicht recht gefallen.

»Ich hab gesagt, durch den freundschaftlichen Beistand unserer Leute«, antwortete er vorsichtig.

»Diese Ungewißheit verträgt sich nicht mit meinem Bedürfnis, leb wohl, Hosea, ich muß anderswo suchen.«

»Signore, Sie eilen ja, als brauchten Sie das Geld, um damit zu bestreiten Ihre Hochzeitskosten. Wenn ich Isaak und Aaron so spät noch fände zu Hause, so glaub ich ohne Gefahr für einen Teil des Geldes stehen zu können.«

»Auf diesen Zufall kann ich mich nicht verlassen.«

»Nun, Signore, der Zufall ist nur klein, da Aaron bettlägerig ist und Isaak niemals verfehlt, durchzusehen seine Bücher, sobald vorüber ist die Mühe des Tages.«

»Ich sag dir, Jude, unsere Sache muß durchaus frei von aller Ungewißheit sein. Das Geld gegen Unterpfand und mit deinem eigenen Gewissen als Schiedsrichter in der Zinsangelegenheit, aber keine Winkelzüge, die dir nachher die Wahl lassen, zurückzutreten unter dem Vorwand, die Zwischenhändler wollten nicht.«

»Gerechter Daniel! Ihnen einen Gefallen zu tun, Signore, glaub ich es wagen zu können! – Da hat mir der wohlbekannte Hebräer aus Livorno, Levi, einen Beutel gegeben zur Aufbewahrung, der genau enthält die verlangte Summe. Unter den genannten Bedingungen will ich ihn verwenden in meinen Geschäften und dem guten Juwelier sein Gold später zahlen aus meinen eigenen Mitteln.«

»Dank für die Mitteilung, Hosea«, sagte der andere, indem er die Maske ein wenig lüftete, doch schnell wieder zurechtsetzte. »Sie kürzt unsere Verhandlung bedeutend ab. Trägst wohl den Beutel des Livorneser Juden unter deinem Domino?«

Hosea stand sprachlos da. Das Lüften der Maske hatte ihn von zwei wesentlichen Dingen in Kenntnis gesetzt: erstens, daß er vorhin seinen Verdacht wegen der Absichten des Senats mit Donna Violetta einem Unbekannten, vielleicht gar einem Polizeibeamten anvertraut hatte, und zweitens: daß er sich des einzigen Grundes entäußerte, der ihm je gegen die dringenden Zumutungen Giacomo Gradenigos etwas geholfen hatte, indem er diesem selbst soeben einräumte, daß die verlangte Summe in seinem Besitze sei.

»Ich hoffe, das Gesicht eines alten Kunden zerschlägt unsern Handel nicht, Hosea?« sagte der verschwenderische Erbe des Senators, kaum sich die Mühe gebend, das Ironische der Frage zu verbergen.

»Vater Abraham! Hätt ich gewußt, daß Sie es sind, Signore Giacomo, so hätten wir können schneller fertig werden.«

»Ja, ja, indem du, wie so oft seit kurzem, kein Geld zu haben vorgabst.«

»I nu, ich pflege nicht zu verschlucken meine Worte, Signore; aber meiner Pflicht gegen Levi muß ich doch bleiben gedenk. Der sorgfältige Hebräer hat mich ein Gelübde tun lassen auf den Namen unseres Stammes, daß ich sein Gold geben wolle niemandem, der nicht besäße die Mittel, die Wiederbezahlung zu setzen außer allen Zweifel.«

»Das gehört nicht hierher, du borgst das Geld von ihm und leihest es mir.«

»Signore, Sie versetzen mein Gewissen in eine kitzlige Lage. Sie schulden mir bereits etliche sechstausend Zechinen, wenn ich nun verborg dieses anvertraute Geld und Sie es auch zurückzahlen – was ich beides nur gesagt haben will als Voraussetzung –, so könnte mich verleiten die natürliche Vorliebe für mein Eigentum, die Zahlung auf meine eigene Rechnung zu stellen und Levis Schuld zu bringen in Gefahr.«

»Mach du das mit deinem Gewissen ab, wie du willst, Hosea. Du hast dich zu dem Gelde bekannt, und hier sind die verpfändeten Juwelen – her mit den Zechinen!«

Wahrscheinlich würde bei dem steinernen Gemüt des Hebräers die Vorstellung Giacomo Gradenigos ohne Wirkung geblieben sein. Allein, nachdem er sich von seiner Bestürzung erholt hatte, setzte er dem Wüstling seine Besorgnisse in Beziehung auf Donna Violetta, deren Vermählung, wie man sich erinnern wird, nur den Trauzeugen und dem Rate der Drei bekannt war, auseinander, und da fand er denn, daß das Gold dazu gebraucht werden sollte, die Dame an einen sichern Ort zu schaffen. Da aber dies seinem eigenen Zwecke so sehr entsprach, so gewann der Handel dadurch freilich eine ganz andere Wendung. Überdies waren die dargebotenen Juwelen wirklich ein genügendes Unterpfand für die darzuleihende Summe, und Hosea, der die Wahrscheinlichkeit mit in Anschlag brachte, durch die Güter der Erbin auch zu seinen früher verliehenen Geldern zu kommen, glaubte endlich die Zechinen des angeblichen Freundes Levi nicht besser anlegen zu können.

Sobald sich die Parteien vollkommen verständigt hatten, verließen sie zusammen den Platz, um den Handel abzuschließen.

Einundzwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Die Nachtstunden nahten ihrem Ende. Melodische Töne unterbrachen wieder die gewöhnliche Stille der Stadt, aufs neue sah man alle Kanäle von den Fahrzeugen der Großen wimmeln. Aus den Fenstern der kleinen finstern Bootspavillons winkten wohl einige im Vorbeifahren einander zu, doch nur wenige wagten es, zum Austausch der Begrüßung anzuhalten, so sehr fürchtete jeder den in allen Ecken lauernden Verrat. Selbst die Abendluft schöpfte niemand ohne Ängstlichkeit, so sehr war diese zur zweiten Natur der Bürger geworden.

Mitten durch die leichteren und geschmückteren Barken der Patrizier kam eine gemeine Gondel von mehr als gewöhnlicher Größe den Canale Grande gemächlich dahergefahren; die Gondolieri hatten das Ansehen von Leuten, die ermüdet oder eben nicht sonderlich eilig sind. Der am Ruder, ein Virtuose in seinem Fach, leitete das Boot nur mit einer Hand, während seine drei Gehilfen ihre Ruder müßig das Wasser obenhin bestreichen ließen, nur dann und wann mit einem Schlage nachhelfend. So ungefähr nahm sich ein Fahrzeug aus, wenn es auf seinem Rückwege von einem Ausflug auf eine der etwas entfernter gelegenen Inseln war.

Aber plötzlich schwenkte die mehr schwimmende als geruderte Gondel aus der Mitte des Fahrwegs, und im Nu war sie in einem der am wenigsten belebten Kanäle. Schneller und regelmäßiger ging es jetzt vorwärts nach einem Stadtteile zu, den nur Leute der untersten Klasse bewohnten. An der Seite eines Magazins ward angehalten, und einer von der Mannschaft erstieg die Brücke, während sich die übrigen wie zum Ausruhen auf ihre Ruderbänke hinwarfen. Der ans Land Gestiegene wand sich durch einige kleine Durchgänge, wie sie in Venedig so zahlreich sind, und klopfte endlich an einem Fenster an. Bald ward aufgemacht, und eine weibliche Stimme fragte, wer draußen sei.

»Ich bin’s, Annina«, erwiderte Gino, der ohnehin kein seltener Supplikant an dieser Hintertür war. »Mach nur auf, Mädchen, mein Geschäft hat große Eile.«

Annina versicherte sich erst, ob ihr Bewerber auch allein sei, und tat dann, was er verlangte.

»Du kommst aber recht ungelegen, Gino«, hob die Weinhändlerstochter an, »eben wollte ich nach dem Markusplatze, um die Abendluft zu genießen. Vater und Brüder sind schon fort, ich wollte nur noch die Türen verschließen.«

»Konnte ihre Gondel nicht noch eine vierte Person fassen?«

»Sie haben den Fußweg genommen.«

»Und du getraust dich zu dieser Stunde allein auf den Straßen zu gehen, Annina?«

»Was hast denn du danach zu fragen?« erwiderte sie schnippisch. »Dank sei dem heiligen Teodoro, daß ich noch nicht die Sklavin des Bedienten eines Neapolitaners bin.«

»Der Neapolitaner ist ein mächtiger Herr, Annina, der den Willen und die Gewalt hat, seinen Dienern Achtung zu sichern.«

»Es wird sich zeigen, was er mit seiner Gewalt auszurichten vermag. Doch was willst du von mir in dieser unzeitigen Stunde? Wisse, Gino, daß ich mir aus deinen Besuchen überhaupt nicht viel mache, wenn sie mich aber vollends in meinen Geschäften stören, so sind sie mir geradezu unangenehm.«

Wäre die Leidenschaft des Gondoliere ernstlicher Art gewesen, so würde ihn solche unumwundene Sprache gekränkt haben, allein, er empfing die Zurückweisung mit derselben Gleichgültigkeit, mit der sie gegeben wurde.

»An deine Launen, Ninchen, bin ich schon gewöhnt«, sagte er und warf sich auf eine Bank, entschlossen, nicht zu weichen. »Gewiß hat dir ein junger Patrizier einen Handkuß zugeworfen, oder dein Vater hat heute ein gutes Geschäftchen gemacht, seine Börse und dein Stolz halten ja immer gleichen Schritt.«

»Ei, hör einer den Burschen! Sollte man nicht glauben, ich hätte ihm schon mein Jawort gegeben, und es fehlte weiter nichts, als die Kerzen in der Sakristei anzuzünden, um die Trauung zu vollziehen! Was hab ich nach dir zu fragen, Gino Monaldini, daß du dir mit einem Male dergleichen rausnimmst?«

»Und was hab ich nach dir zu fragen, Annina, daß du den Vertrauten des Don Camillo mit diesen abgenutzten Kunststückchen hinhalten willst?«

»Fort, Unverschämter! Ich mag meine Zeit nicht an dich verschwenden.«

»Bist diesen Abend gewaltig eilig, Annina.«

»Ja, um dich loszuwerden. Merk dir wohl, was ich dir jetzt sage, Gino, denn es sind die letzten Worte, die du von mir zu hören bekommst. Mit deinem Herrn ist’s bald zu Ende; nicht lange, so wird er mit Schande die Stadt räumen müssen, und seine sämtlichen Diener mit ihm. Ich aber ziehe es vor, in der Stadt zu bleiben, wo ich geboren bin.«

Der Gondoliere lachte hell auf, denn ihn rührte ihre angenommene Verachtung in der Tat sehr wenig. Doch schnell erinnerte er sich seines Auftrags wieder, gewann den vorigen Ernst und versuchte nun durch ein angelegentlicheres Benehmen des Unwillens seiner wankelmütigen Gebieterin Meister zu werden.

»Behüt mich der heilige Markus, Annina! Warum sollten wir nicht ein Geschäft in Wein abmachen können, wenn wir auch nicht bestimmt sind, zusammen vor dem guten Prior hinzuknien? Ich winde mich durch die dunkeln Kanäle bis Steinwurfweite vor deine Tür und führe dir eine Gondel voll alten Lacrimae Christi zu, wie ihn der ehrliche Tommaso, dein Vater, selten noch zu kaufen bekommen hat, und du behandelst mich wie einen Hund.«

»Ich habe diesen Abend weder für dich noch deine Weine Zeit übrig. Ohne dein Geschwätz wär ich nun schon fort und guter Dinge.«

»Schließ du nur die Tür zu, Mädchen, brauchst mit einem alten Freund keine Umstände zu machen.« Dabei bot er ihr dienstfertig seine Hilfe beim Verschließen an, was sie denn auch bereitwillig zugab, so daß das Haus bald in Sicherheit und die Eigensinnige mit ihrem Bewerber im Freien war. Ihr Weg führte über die schon erwähnte Brücke, Gino wies auf die Gondel hin mit den Worten: »So fühlst du denn gar keine Versuchung, Annina?«

»Deine Unvorsichtigkeit, die Schmuggler bis vor meines Vaters Haustür zu bringen, stürzt uns noch ins Unglück, alberner Junge.«

»Du irrst, gerade diese Kühnheit schläfert allen Verdacht ein.«

»Von welchem Weinberg ist das Getränk?«

»Vom Fuße des Vesuv, die Beeren hat die Hitze des Vulkans gereift. Wenn die Leute das Weinchen deinem Feinde, dem alten Beppo, zuschlagen, wird dein Vater untröstlich drüber sein.«

Annina, die zu keiner Zeit ihren Vorteil aus dem Auge verlor, blickte jetzt das Boot lange an. Das Zelt war zu, allein, ihre einmal in Gang gesetzte Einbildungskraft füllte ohne Mühe den ganzen Raum mit neapolitanischen Schläuchen an.

»Kommst du aber auch nicht wieder vor unsere Haustür, Gino?« »Das soll von dir abhängen. Jetzt komm nur mit hinab und koste.«

Sie zauderte und – tat, was die Frauen stets tun, wenn sie zaudern – sie willigte ein. Schnell war das Boot erreicht, die Leute lungerten noch auf ihren Ruderbänken, aber Annina glitt, ohne sie anzusehen, an ihnen vorbei in das Zelt. Jedoch statt Schläuchen und Gepäcks, wie in einem dem Schmuggelhandel gewidmeten Fahrzeuge, fand sie hier die gewöhnliche Einrichtung einer Kanalbarke, Polster und darauf einen fünften Gondoliere ausgestreckt.

»Hier seh ich nichts, was mich anginge!« rief die Getäuschte. – »Wollen Sie was von mir, Signore?«

»Willkommen. Diesmal trennen wir uns so bald nicht wieder.«

Der Fremde war beim Sprechen aufgestanden und legte mit dem letzten Worte die Hand auf die Schulter des Mädchens, die sich keinem andern gegenüber sah als dem Don Camillo Monforte.

Annina war in Verstellungskünsten zu geübt, um ein Zeichen wirklichen oder geheuchelten Schreckens zu verraten. Ihre Glieder bebten zwar, aber mit voller Gewalt über ihre Züge und mit erkünstelter Heiterkeit sagte sie: »Viel Ehre für den Schleichhandel, den edeln Herzog von Sant‘ Agata in seinen Diensten zu haben!«

»Ich bin zum Scherz nicht aufgelegt, Dirne, wie du sehen sollst. Wähle: offenherziges Bekenntnis oder meinen gerechten Zorn.«

Diese Worte wurden mit Ruhe gesprochen, doch so, daß Annina ohne Mühe merken konnte, sie habe es mit einem entschlossenen Manne zu tun.

»Was für Bekenntnis verlangen Ew. Herrlichkeit von der Tochter eines armen Weinhändlers?« fragte sie, unwillkürlich erzitternd.

»Die Wahrheit! Und bedenke, daß du diesmal nicht entkommst, bis ich zufriedengestellt bin. Zwischen der venezianischen Polizei und mir ist es nun einmal zum offenen Bruch gekommen.«

»Signore Herzog, solches Verfahren mitten in Venedig ist sehr kühn.«

»Dich wird dein eigener Vorteil lehren zu bekennen.«

»Da es Ihr Wille ist, das wenige, was ich weiß, zu erfahren, so soll es mir Vergnügen machen, es Ihnen mitteilen zu dürfen.«

»So sprich, die Zeit ist kurz.«

»Signore, leugnen will ich’s nicht, es ist Ihnen schlimm mitgespielt worden. Capperi! Welches Verfahren von dem Rate! Einen edeln Kavalier aus fremdem Lande, mit den gerechtesten Ansprüchen auf die Ehre, im Senat zu sitzen, so zu behandeln macht der Republik Schande! Kein Wunder, daß Ew. Herrlichkeit nicht gut auf sie zu sprechen sind.«

»Nichts davon, Dirne, heraus mit der Sache.«

Annina tat einen Blick seitwärts aufs Wasser und bemerkte, daß das Boot den Kanal schon hinter sich hatte und sich den Lagunen näherte. Völlig in der Gewalt Don Camillos, fühlte sie wohl, daß ihr längeres Ausweichen nichts helfen würde.

»Daß der Rat in Erfahrung zu bringen gewußt, daß Sie mit Donna Violetta aus der Stadt entfliehen wollten, das haben Ew. Herrlichkeit sich wohl schon selbst gedacht.«

»Versteht sich.«

»Mir ist’s unerklärlich, zu erraten, warum man gerade mich zur Dienerin der edlen Donna ausersah. Heilige Maria von Loretto! Ich bin nicht die Person, an die sich der Staat zu wenden hat, wenn er zwei Liebende auseinanderbringen will!«

»Jetzt ist die Gondel außerhalb der Stadt, Annina, und nun ist’s aus mit meiner Geduld. Wo hast du meine Frau gelassen?«

»Gebenedeiter San Teodoro! Signore, die Handlanger der Republik bedurften meiner Hilfe nicht; bei der ersten Brücke, durch die wir kamen, setzten sie mich aus.«

»Dein Streben, mich zu täuschen, ist vergeblich. Du warst noch in später Stunde auf den Lagunen, und als du von dem Boote der Donna Violetta zurückkamst, gegen Sonnenuntergang, warst du im St.-Markus-Gefängnisse zu Besuch, das weiß ich.«

Annina erstaunte nun wirklich. »Santissima Maria! Sie sind besser bedient, Signore, als sich der Rat einbildet!«

»Wie du zu deinem Schaden finden sollst, wenn du nicht die ganze Wahrheit gestehst. Aus welchem Kloster kamst du?«

»Signore, aus keinem. Wenn Ew. Herrlichkeit herausgebracht haben, daß der Senat die Signora Tiepolo im Gefängnis des heiligen Markus eingeschlossen hat, so bin ich daran nicht schuld.«

»Fruchtlose List, Annina«, erwiderte Don Camillo mit Ruhe. »Was du im Gefängnis zu tun hattest, ist mir wohl bekannt; du holtest gewisse Schmuggelwaren dort ab, die deine Base Gelsomina, des Wärters Tochter, für dich hatte aufheben müssen, ohne zu wissen, was es war.«

»Heilige Mutter Gottes!« rief sie voller Erstaunen.

»Du siehst, mich kannst du nicht betrügen. In der Regel pflegtest du deine Base nicht zu besuchen, doch diesen Abend, als du in den Kanal kamst –«

Ein tosender Lärm vom Wasser unterbrach Don Camillos Worte. Er schaute hinaus und erblickte einen gedrängten Schwarm von Booten, sämtlich wie mit einem Ruderschlage der Stadt entgegentreibend. Tausend Stimmen schwirrten durcheinander, von Zeit zu Zeit ein gemeinschaftliches Trauergeschrei erhebend, was schließen ließ, daß die rudernde Menge von einem und demselben Gefühl beseelt war. Der eigentümliche Auftritt und der Umstand, daß die Hunderte von Booten geradewegs auf seine Gondel lossteuerten, nahmen den Edelmann so in Anspruch, daß er für den Augenblick das eben vorgenommene Verhör seiner Gefangenen ganz vergaß.

»Was ist das, Jacopo?« fragte er leise den Gondoliere, der am Steuer stand.

»Fischerleute, Signore, und schwerlich auf einer friedlichen Fahrt begriffen, wenn ich mich auf ihre Art, sich der Stadt zu nähern, gut verstehe. Schon seit der Zeit, da sich der Doge geweigert hat, den Knaben ihres Kameraden von den Galeeren zu befreien, herrscht Unzufriedenheit unter ihnen.«

Einen Augenblick zauderten Don Camillos Leute, neugierig das Schauspiel anstaunend, dann aber überzeugten sie sich von der Notwendigkeit, Platz zu machen, denn die Masse von Booten kam wie ein wütender Strom herangeflutet. Allein, jetzt erscholl der drohende Befehl zu halten, und Don Camillo sah ein, daß keine Wahl übrigblieb.

»Wer bist du?« fragte einer, der die Rolle eines Anführers übernommen hatte. »Seid ihr Lagunenleute und Christen, so stoßt zu euren Freunden, und vorwärts nach St. Markus, Gerechtigkeit zu fordern!«

»Was bedeutet dieser Aufruhr?« fragte Don Camillo, dessen Kleidung seinen Rang verbarg und der des venezianischen Dialekts mächtig genug war, um sich durch die Sprache nicht zu verraten. »Warum seid ihr in solcher Anzahl versammelt, Freunde?«

»Schau her!«

Don Camillo wandte sich hin und erblickte die blassen Züge und offenen Augen des alten Antonio, starr vom Tode. Hundert Stimmen zugleich erzählten ihm den Hergang, aber so verwirrt und mit so vielen bitteren Verwünschungen vermischt, daß er nichts daraus hätte entnehmen können, wenn er nicht schon durch Jacopo vom Ganzen unterrichtet gewesen wäre.

Antonios Leiche hatten die Leute beim Fischen gefunden, die nächste Folge war eine Beratung über die mutmaßliche Art, wie er zu seinem Tode gekommen sein möchte, dann rotteten sie sich in immer größerer Anzahl zusammen, was den eben beschriebenen Auftritt herbeiführte.

»Gerechtigkeit!« schrie es aus hundert Kehlen.

»Tragt eure Forderung dem Senate vor!« erwiderte Jacopo, ohne sich zu bemühen, das Ironische in seinem Tone zu verbergen.

»Glaubst du, daß unser Kamerad wegen der Kühnheit, die er gestern bewies, bestraft worden ist?«

»Das wäre nicht das Seltsamste, was sich schon in Venedig zugetragen hätte.«

»Ha, sie verbieten uns, im Kanal Orfano, wo die geheimen Hinrichtungen sind, das Netz auszuwerfen, damit die Geheimnisse der Justiz nicht herauskommen, und doch nehmen sie sich nun schon heraus, einen unserer Leute mitten unter unseren Gondeln zu ersäufen!« »Gerechtigkeit, Gerechtigkeit!« schrien zahllose Stimmen bis zum Heiserwerden.

»Fort nach St. Markus! Legt die Leiche dem Dogen zu Füßen! Fort, Brüder! Sie haben Antonios Blut auf ihren Seelen!«

Ohne geordneten Plan, nur von dem erlittenen Unrecht erfüllt, begaben sie sich nun wieder ans Ruder, und die ganze Flotte fuhr dahin, als bestände sie aus einer einzigen zusammenhängenden Masse.

Nur wenige Minuten hatten sie angehalten, doch fehlte es inzwischen nicht an allen jenen Zeichen der Wut, die einen Volkstumult zu begleiten pflegen. Nicht ohne sichtbare Wirkung blieb dies auf die Nerven Anninas, und Don Camillo benutzte ihre Angst, um ihr die Wahrheit abzutrotzen, denn zum Zaudern war nun keine Zeit mehr.

Durch ihre Aussagen bestimmt, ließ Don Camillo, während die tobende Menge in die Mündung des großen Kanals einfuhr, seine Gondel quer über die weite ruhige Fläche der Lagunen gleiten.

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Der Schreck, der die Patrizier erfüllte, als sie das Geschrei der Fischer hörten, während sie auf ihrem Wege nach dem großen Platze bei den Reihen von Palästen vorüberfuhren, läßt sich leicht denken. Einige fürchteten, das letzte Ende ihrer künstlichen Existenz, das sie ein geheimer politischer Instinkt längst voraussehen ließ, sei nun gekommen, und dachten schon an Mittel zu ihrer persönlichen Sicherheit. Andere im Gegenteil gaben erstaunte Zuhörer ab, wähnten vielmehr, das Volk jauchze über einen Sieg, den der Staat davongetragen habe. Nur wenige, und zwar die nämlichen, die alle Vorteile des Staates an sich zu reißen wußten, faßten mit richtigem Blick die Gefahr ins Auge, erkannten ihren Umfang und die Mittel, sie zu entwaffnen.

Auf der anderen Seite waren die Aufrührer keiner Würdigung ihrer Kräfte fähig und wenig geschickt, ihre zufälligen Vorteile zu berechnen; sie folgten blind dem ersten Antriebe. Was ihre Gemüter zum Aufruhr vorbereitete, war der Triumph ihres bejahrten Gefährten am vorhergehenden Tage, die kalte Zurückweisung, die er vom Dogen erfuhr, und der Auftritt auf dem Lido, der eigentlich die nächste Veranlassung zu Antonios Tode abgab. Nachdem daher die Leiche gefunden war, warteten sie nur so lange, bis sich ihre Kameraden alle versammelt hatten, und der Leidenschaft gehorchend, eilten sie dem St.-Markus-Palaste zu, ohne sich vorher über ihr Vorhaben einen klaren Begriff zu machen.

Sobald sie in den Kanal einfuhren, drängte der enge Weg die Boote so dicht aneinander, daß dadurch die Ruder gewissermaßen nutzlos wurden und die Menge nur langsam vorwärts konnte. Alle wollten gern der Leiche Antonios so nahe als möglich sein, und wie immer bei Volksaufläufen, ging auch hier durch schlecht geleiteten Eifer der Zweck verloren. Ein paarmal hörte man laut die Namen einiger unbeliebter Senatoren, als wenn die Fischer damit umgingen, diese einzelnen Beamten für die Verbrechen des Staates verantwortlich zu machen. Diese Verwünschungen verschollen in der Luft und zogen keine Folgen nach sich. An der Rialtobrücke angekommen, stieg mehr als die Hälfte der Menge ans Land und nahm den kürzeren Weg durch die Straßen nach dem verabredeten Versammlungspunkt, und auch die in den Vorderreihen Rudernden legten jetzt, frei von dem Gedränge in ihrem Rücken, den Weg schneller zurück. Wie sie dem Hafen näher kamen, nahmen die Boote größere Entfernungen voneinander an, und das Ganze gewann so das Ansehen eines Leichenzuges.

Während diese Veränderung in der Stellung der Fahrzeuge vorging, kam eine stark bemannte Gondel, von gewaltigen Ruderschlägen getrieben, aus einem Seitenkanal heraus in den großen, so daß sie der Zufall der Schar von Booten gerade entgegenführte, die eben diesen Kanal hinanfuhr. Die Mannschaft stutzte bei dem außerordentlichen Anblick, der sich ihr so plötzlich darbot, und blieb einen Augenblick unentschlossen, ob sie vorwärts rudern solle.

»Eine Gondel der Republik!« schrien fünfzig Fischer. Eine einzelne Stimme setzte hinzu: »Canale Orfano!« Der bloße Verdacht, den diese Worte rege machten, war in solchem Augenblicke ausreichend, die Fischer aufzuregen. Ein Ausruf der Verwünschung, und sogleich machten einige zwanzig Gondeln zu wütender Verfolgung Anstalt. Es hatte indes bei dem drohenden Vorhaben sein Bewenden, denn geschwinder als die Verfolger trieben die Gondolieri der Republik dem Ufer zu, sprangen auf einen von den Brettergängen, die so viele Paläste Venedigs umgeben, und verschwanden in einem Seitengange.

Die Fischer, durch diesen Erfolg ermutigt, ergriffen das Boot als herrenloses Gut und bugsierten es unter Triumph ihrer eigenen Flotte zu. Einige traten aus Neugier in das Zelt, das einem Leichenwagen glich, und schleppten alsbald einen Priester darunter hervor.

»Wer bist du?« fragte mit heiserer Stimme einer, der den Anführer vorstellte. »Ein Karmeliter und Diener Gottes.«

»Dienst du dem heiligen Markus? Warst du im Canale Orfano, um eines Unglücklichen Beichte zu hören?«

»Ich bin hier in Begleitung einer jungen und edeln Dame, die meines Rates und meiner Fürbitte bedarf. Für Glückliche und Unglückliche, Freie und Gefangene sorg ich auf gleiche Weise!«

»Ha! Du wirst also tun, was deines Amtes ist! – Du wirst Seelenmesse abhalten für einen armen toten Mann?«

»Mein Sohn, ich mache, dies anbelangend, keinen Unterschied zwischen dem Dogen und dem ärmsten Fischer. Doch möcht ich die Frauen nicht gern im Stiche lassen.«

»Es soll den Damen nichts zuleide geschehen. Komm in mein Boot, hier ist deine heilige Verrichtung not.«

Pater Anselmo trat unter die Bedachung, seinen zitternden Gefährtinnen in wenigen Worten Aufschluß zu geben und dann den Fischern zu willfahren. Er ward bis zur vordersten Gondel gerudert und auf ein Zeichen zu dem Leichnam gebracht.

»Siehst du diese Leiche, Vater?« sagte sein Führer, »es ist die Gestalt eines Mannes, der ein aufrichtiger und frommer Christ war.«

»Das war er!«

»Wir alle kennen ihn für den ältesten und geschicktesten Fischer von den Lagunen, der immer bereit war, einem unglücklichen Kameraden beizustehen.«

»Ich kann dir glauben.«

»Das kannst du. Deine heiligen Schriften sind nicht wahrhaftiger als meine Worte. Gestern kam er im Triumph diesen selbigen Kanal herunter, weil er, den stärksten Ruderern von Venedig zuvor, den Ehrenpreis der Regatta davontrug.«

»Ich habe von seinem Glücke gehört.«

»Jacopo, der Bravo, der vordem das beste Ruder führte in den Kanälen, soll dabeigewesen sein! Santa Madonna! Solch ein Mann war zu gut, um zu sterben!«

»Es ist das Schicksal aller, reich und arm, stark und schwach, glücklich und unglücklich, so geht es mit allen zu Ende.«

»Nicht so, ehrwürdiger Karmeliter, denn sie haben Antonio, weil er ihr Mißfallen erregte mit seinen Bitten wegen seines Enkelkindes, das sie ausgehoben haben für die Galeeren, ins Fegefeuer fahren lassen, ohne eine christliche Hoffnung für seine Seele.«

»Es gibt ein Auge, das über den Geringsten von uns wacht, mein Sohn, wir müssen glauben, daß seiner nicht vergessen ward.«

»Cospetto! Es heißt, daß die Kirche denen nicht viel beisteht, denen der Senat nicht grün ist. Willst du für ihn beten, Karmeliter, und dein Wort wahrmachen?«

»Das will ich«, sagte Vater Anselmo mit Festigkeit. »Mach Platz, mein Sohn, daß keine Gebühr meines Amtes fehle.«

Die gebräunten, ausdrucksvollen Fischergesichter glänzten vor Freude, denn mitten im rohesten Tumult bewahrten sie ihre tiefeingewurzelte Ehrfurcht für die heiligen Verrichtungen der Kirche, in der sie erzogen waren. Bald war alles still, und die Boote zogen in größerer Ordnung als zuvor.

Es war ein auffallendes Schauspiel. – Vorn fuhr die Gondel, die die Überreste des Verstorbenen trug. Wo sich der Kanal, dem Hafen näher, erweitert, fielen die Strahlen des Mondes auf die starren Züge des alten Antonio, in denen man das Todesgefühl eines so plötzlich und schrecklich vernichteten Mannes recht wohl wahrnehmen konnte. Der Karmeliter, sein entblößtes Haupt gebeugt, mit gefalteten Händen, stand zu den Füßen des Leichnams; sein weißes Kleid flatterte im Mondlicht. Nur ein Gondoliere führte das Boot, und kein Laut war hörbar als das Plätschern des Wassers beim langsamen Fall der Ruder. Wenige Minuten dauerte dies Schweigen der Prozession. Dann hörte man die Stimme des Mönchs die Gebete für den Toten anstimmen. Die Fischer, dessen kundig, wie denn selten jemand unerfahren in den heiligen Gebräuchen war, nahmen die Responsorien auf. Das Plätschern des Wassers begleitete sanft ihre Stimmen. Die Fenster öffneten sich, wo sie vorüberfuhren, und Tausende von neugierigen und besorgten Gesichtern erschienen auf den Balkonen gedrängt und sahen den Leichenzug langsam dahinziehen.

In der Mitte des Haufens ward die Gondel der Republik von fünfzig leichteren Booten bugsiert, denn die Fischer hielten ihre Prise fest. So kam der feierliche Zug in den Hafen und näherte sich dem Kai am Fuße der Piazetta. Während sich zahllose Hände beeiferten, Antonios Leichnam ans Land zu bringen, erhob sich ein Geschrei mitten aus dem herzoglichen Palaste, zum Zeichen, daß sich der übrige Teil der Mannschaft bereits im Hofraum des Schlosses befinde.

Jetzt boten die Plätze des heiligen Markus ein neues Schauspiel dar. Gesang, Lachen und Spiel waren verstummt, verschwunden die Lichter in den Kaffeehäusern, die Schwärmer der Nacht hatten sich ihre Häuser gesucht, aus Furcht, mit denen vermengt zu werden, die sich vermaßen gegen den Zorn des Senats.

»Gerechtigkeit!« schrien tausend Stimmen, während Antonios Leiche in den Hof getragen ward. »Ruhmwürdiger Doge! Gerechtigkeit!«

Der Leichnam ward niedergelegt am Fuße der Riesentreppe, und der zitternde Hellebardier, der diese Treppe bewachte, fühlte kaum Kraft genug in sich, die Miene von Festigkeit zu behaupten, die ihm Disziplin und Soldatenstolz auferlegten. Sonst war keine militärische Macht herbeigeschafft, denn die Staatsgewalt Venedigs kannte ihr Unvermögen im drängenden Augenblicke zu gut, um zu reizen, wo sie nicht bezwingen konnte.

Der Rat der Drei hatte Kunde von der Ankunft der empörten Fischer und hielt, als der Haufe in den Hof drang, eine geheime Beratung, ob sich vermuten ließe, daß der Aufstand bedeutungsvoller sein könnte, als der Augenschein zunächst lehrte.

»Hat man die Dalmatier in Kenntnis gesetzt von diesem Aufruhr?« fragte ein Mitglied des geheimen Tribunals, dessen Nervenstärke seiner hohen Stellung nicht zu entsprechen schien.

»Wir könnten ihrer Kugeln bedürfen, ehe diese Empörung gedämpft sein wird.«

»Was das betrifft, Signore, setzt Euer Vertrauen nur auf die gewöhnlichen Autoritäten«, erwiderte der Senator Gradenigo. »Ich besorge jedoch, daß hier nur die Anzeichen einer noch verborgenen Verschwörung seien, in die auch die Treue des Militärs verwickelt sein könnte.«

»Was wollen die Elenden? Unser Seehandel gedeiht, die Bank hat Segen an tüchtigen Dividenden. Und ich versichere Euch, Signori, seit vielen Jahren hab ich nicht so bedeutenden Gewinn in allen Zweigen unserer Verwaltung bemerkt als heutzutage. Alle freilich können nicht zugleich Vorteil haben.«

»Ihr habt mit den blühenden Angelegenheiten zu tun, Signore; es gibt aber andere, mit denen es nicht so gut steht.«

»Kann denn nichts diese gierigen Gemüter zufriedenstellen? Sind sie nicht frei – sind sie nicht glücklich?«

»Es scheint, daß sie dafür bessere Bürgschaft verlangen als unsere Absicht oder unsere Versicherung.«

»Der Mensch ist ein neidisches, unzufriedenes Geschöpf. Die Armen wollen reich sein, die Schwachen stark.«

»Es gibt aber wenigstens die Ausnahme von Eurer Regel, Signore, daß die Reichen selten arm oder die Starken schwach zu sein wünschen.«

»Ihr verspottet heut meine Bemerkungen, Signore Gradenigo. Ich denke aber, daß ich spreche, wie es einem Senator von Venedig zukommt«

»Ist ein Reich in seiner schönsten Blüte, so übersehen die Untertanen in ihrem besonderen Glück die allgemeinen Mängel, ist aber ein Handelsstaat erst in Abnahme, so bekrittelt jeder Kaufmann die geringste wie die höchste Staatsmaßregel.«

»Das ist ihre Dankbarkeit! Haben wir nicht diese verschlammten Inseln in einen Markt für die halbe Christenheit umgewandelt? Nun aber sind sie unzufrieden, daß sie nicht alle die Vorrechte behalten können, die sich die Weisheit unserer Voreltern zu verschaffen wußte.«

»Sie beklagen sich nicht anders, als Ihr selber tut, Signore, aber Ihr habt recht, daß man den gegenwärtigen Aufstand nicht vernachlässigen darf. Seine Hoheit soll hinaus zum Volk mit den Patriziern, die gerade zugegen sind, und mit einem aus unserer Mitte als Augenzeuge. Mehr als dies können wir nicht tun, ohne uns der Entdeckung unseres Amtes auszusetzen.«

Der geheime Rat brach auf, um sogleich diesen Beschluß in Ausführung zu bringen, gerade in dem Augenblick, als die Fischer ihre Verstärkung vom Wasser her erhielten.

Als sie sahen, wie groß die Menschenmenge war, die sich im herzoglichen Palaste versammelt hatte, wurden die Verwegensten des Haufens dreister, und auch die noch Schwankenden wurden fest.

Eben erhob die gedrängte Masse im Hofe ihr lautes und drohendes Geschrei, als der Zug des Dogen in einer der langen, offenen Galerien erschien, die den Hauptflur des Gebäudes bilden. Die Gegenwart des ehrwürdigen Mannes, der dem Namen nach dies künstliche Staatsgebäude leitete, und die lange Gewöhnung der Fischer, Hochachtung vor den oberen Behörden zu hegen, verursachten, der gegenwärtigen mißvergnügten Stimmung ungeachtet, plötzlich eine tiefe Stille. Ein Gefühl der Ehrfurcht überschlich allmählich die Tausende von dunkeln Gesichtern, die hinauf starrten, dem kleinen Zuge der nahenden Patrizier entgegen. So tief war die plötzliche Stille, daß man das Rauschen der herzoglichen Gewänder hörte, als der Fürst, seines Alters wegen und der Würde seiner hohen Stellung gemäß, langsam daherschritt. Die vorige Heftigkeit der Fischer und ihre jetzige Ehrfurcht vor dem äußeren Prunk, der ihre Augen bestach, hatten beide dieselben Quellen – Unwissenheit und Gewohnheit.

»Weswegen seid ihr hier versammelt, meine Kinder?« fragte der Doge, als er bis an den Rand der Riesentreppe vorgetreten war. »Und vor allem, warum kommt ihr in den Palast euers Fürsten mit so unziemlichem Geschrei?«

Die Stimme des Greises war deutlich zu vernehmen, denn kaum ein Atemzug unterbrach sein leisestes Wort. Die Fischer sahen einander an und schienen den zu suchen, der kühn genug sein würde zu antworten. Endlich schrie einer, der mitten im Haufen stand und sich geflissentlich nicht sehen ließ: »Gerechtigkeit!«

»Das ist auch unser Zweck«, fuhr der Fürst mit sanftem Tone fort, »und das ist, will ich hinzufügen, was wir täglich üben. Weswegen seid ihr aber hier versammelt in einer Art, die für den Staat beleidigend und unehrerbietig gegen seinen Fürsten ist?«

Wiederum antwortete niemand.

»Will keiner reden? – Seid ihr so kühn mit euern Stimmen bereit, wo es nicht verlangt wird, und so schweigsam, wo es gilt?«

»Sprecht gelinde mit ihnen, Hoheit«, flüsterte der vom Rate, der beauftragt war, ein geheimer Zeuge der Zusammenkunft zu sein. »Die Dalmatier sind kaum fertig.«

Der Fürst beugte sich vor einem Ratschlag, der, wie er wohl wußte, nicht unberücksichtigt bleiben dürfte, und nahm seinen vorigen Ton wieder an.

»Wenn mir keiner sagen will, wessen ihr bedürft, so muß ich euch befehlen, euch zurückzuziehen, und während es meinem väterlichen Herzen wehe tut–«

»Gerechtigkeit!« wiederholte der versteckte Schreier aus dem Haufen.

»Nenne dein Begehr, daß wir’s erfahren!«

»Hoheit, habe die Gnade, auf diesen zu blicken!«

Einer, der kühner war als die übrigen, wendete Antonios Leichnam dem Mondlichte zu, daß dessen gespenstische Züge sichtbar wurden. Der Fürst staunte bei dem unerwarteten Anblick, und nachdem er, seine Gefährten und Wachen dicht hinter sich, die Treppe hinuntergestiegen war, blieb er eine Weile schweigend bei der Leiche stehen.

»Hat dies ein Mörder getan?« fragte er, auf den toten Fischer blickend und sich bekreuzend. »Was konnte der Tod eines solchen Mannes einem Bravo einbringen? Vielleicht ist der Unglückliche bei einer Schlägerei mit seinesgleichen gefallen?«

»Keins von beiden, durchlauchtigster Doge! Wir besorgen, daß Antonio den Unwillen von San Marco hat entgelten müssen.«

»Antonio! Ist dies der dreiste Fischer, der uns bei der Regatta lehren wollte, wie wir regieren müßten?«

»Derselbe, Exzellenz«, erwiderte der einfache Arbeitsmann von den Lagunen, »und eine tüchtigere Hand beim Netz oder ein treuerer Freund in der Not hat nie eine Gondel gerudert. Diavolo! Es müßt eine Freude für Eure Hoheit gewesen sein, den armen, alten Christen unter uns zu sehen am Tage eines Heiligen, wenn er unsere kleine Feierlichkeit anführte oder wenn er uns lehrte, wie unsere Eltern dem Handwerk Ehre zu machen pflegten.«

»Oder bei uns zu sein, durchlauchtigster Doge«, schrie ein anderer, denn wenn einmal Bahn gebrochen ist, sind die Zungen des Volkes bald kühn, »bei einer Lustbarkeit auf dem Lido, wo der alte Antonio immer der erste war im Lachen und immer am besten wußte, wann es Zeit war, ernsthaft zu sein.« Der Doge begann den Zusammenhang der Sache zu ahnen und warf einen Blick seitwärts, um die Mienen des ungekannten Inquisitors zu erforschen.

»Es ist bei weitem leichter«, sagte er, da ihm das abgerichtete Gesicht, das er angeschaut hatte, keinen Aufschluß gab, »die Verdienste des unglücklichen Mannes zu erfahren als die Art seines Todes. Kann einer unter euch erzählen, wie es zugegangen ist?«

Der Hauptsprecher der Fischer übernahm dies Geschäft gern und erzählte dem Dogen mit allen bei Leuten seines Standes beliebten Abschweifungen die Umstände von der Wiederfindung des Leichnams. Als er fertig war, suchte das Auge des Fürsten wiederum eine Erläuterung im Gesichte des Senators neben ihm, denn er wußte nicht, ob die Politik des Staates ein Exempel statuieren wolle oder nur den Tod dieses einzelnen für nötig erachtet habe.

»Ich finde in dem allen nichts, Ew. Hoheit«, bemerkte der vom Rate, »als was einem Fischer wohl begegnen kann. Der unglückliche alte Mann wird durch Zufall umgekommen sein, und es würde eine fromme Handlung sein, ein paar Messen für seine Seele lesen zu lassen.«

»Edler Senator«, rief der Fischer mit zweifelndem Tone, »San Marco war beleidigt.«

»Es sind viele müßige Gerüchte von San Marcos Gewogenheit und Ungewogenheit im Umlauf. Wenn wir glauben wollen, was die Leute erdenken in Angelegenheiten dieser Art, so werden die Verbrecher nicht in den Lagunen, sondern im Canale Orfano ersäuft.«

»Ganz recht, Exzellenz! Und wir dürfen dort unsere Netze nicht auswerfen, bei Strafe mit den Aalen auf dem Grunde zu wohnen.«

»Um so mehr ist Ursache, zu glauben, daß dieser alte Mann durch einen Zufall umgekommen ist. Läßt sich keine Spur eines gewaltsamen Todes an der Leiche wahrnehmen? – Denn obschon sich der Staat nicht mit einem seinesgleichen in der Art beschäftigen würde, kann es doch irgendein einzelner getan haben. Hat man den Zustand der Leiche untersucht?«

»Exzellenz, es war hinreichend, einen so alten Mann mitten in die Lagunen zu werfen. Der stärkste Arm von Venedig hätte ihn nicht retten können.«

»Es kann bei einem Zank zur Gewalttätigkeit gekommen sein, und die betreffende Behörde sollte die Sache untersuchen. Hier ist ein Karmeliter! – Vater, wißt Ihr etwas von der Sache?«

Der Mönch versuchte zu antworten, aber die Stimme versagte ihm.

»Du antwortest nicht, Mönch?« bemerkte der Doge, der durch das natürliche, gleichgültige Benehmen des Inquisitors wirklich getäuscht war wie alle anderen. »Wo fandest du diesen Leichnam?«

Vater Anselmo erzählte kurz, wie er von den Fischern zum Dienste gezwungen worden wäre.

Neben dem Fürsten stand ein junger Patrizier, der keine besondere Würde im Staate hatte als die allgemeine seines Standes. Getäuscht gleich den übrigen durch die Ruhe des einzigen, der von Antonios Tode die wirkliche Ursache wußte, fühlte er ein menschenfreundliches und lobenswertes Verlangen, sich zu vergewissern, daß dem armen Opfer nicht irgendein schändlicher Streich gespielt worden wäre.

»Ich habe gehört von dem Antonio«, sagte dieser Herr, der Senator Soranzo, dem die Natur ein empfindliches Herz gegeben hatte, »ich habe gehört von seinem Glück bei der Regatta. Hieß es nicht, daß Jacopo, der Bravo, sein Mitbewerber war?«

Ein dumpfes, bedeutungsvolles Gemurmel durchlief die ganze Menge.

»Ein so leidenschaftlicher, verwegener Mann als dieser kann wohl seine Niederlage durch Gewalttat haben rächen wollen.«

Ein zweites, lauteres Gemurmel zeigte, was diese Erklärung der Sache für Eindruck machte.

»Exzellenz, Jacopo gebraucht nur sein Stilett«, sagte der halb schon gläubige, aber doch noch schwankende Fischer.

»Wo er’s für nötig hält. Ein Mann von seinem Charakter und seiner Arglist kann auch wohl zu andern Mitteln, seine Bosheit zu befriedigen, Zuflucht nehmen. Seid Ihr nicht meiner Meinung, Signore?«

Diese Frage richtete der Senator Soranzo in seiner Unschuld an das unbekannte Mitglied des geheimen Rates. Dieser schien überrascht von der Wahrscheinlichkeit der Vermutung, die sein Gefährte aufstellte, begnügte sich aber, seine Anerkennung durch ein Nicken mit dem Kopfe kundzutun.

»Jacopo, Jacopo!« wiederholte eine Stimme nach der anderen im Haufen. – »Jacopo hat’s getan! Der beste Gondoliere in Venedig ist von einem alten Fischer besiegt worden, und nichts als Blut konnte die Schande auswischen!«

»Es soll untersucht werden, meine Kinder, und die Gerechtigkeit soll ihren Gang gehen«, sagte der Doge, indem er sich anschickte, sich zurückzuziehen. »Leute«, fügte er hinzu, sich an einige Beamten wendend, »bezahlet Messen, daß die Seele des unglücklichen Mannes zum mindesten nicht dabei leide. Ehrwürdiger Karmeliter, deiner Sorgfalt vertraue ich den Leichnam an, und du kannst keinen bessern Dienst verrichten, als die Nacht über bei ihm zu beten.«

Tausend Mützen wurden geschwenkt, den Beifall, den dieser gnädige Befehl fand, auszudrücken, und der ganze Haufen stand schweigend in Ehrfurcht, als sich der Fürst mit seinem Gefolge, wie er gekommen war, durch die lange gewölbte Galerie oben entfernte.

Ein geheimer Befehl der Inquisition ließ das Anrücken der Dalmatier absagen.

Wenige Minuten später war alles vorbereitet. Eine Bahre mit einem Zelt darüber ward von der anstoßenden Kathedrale hergeholt und der Leichnam darauf gelegt. Vater Anselmo an der Spitze, zog die Prozession durch das Haupttor des Palastes auf den Platz, die gewöhnliche Andacht absingend. Beide Plätze, der größere und der kleinere, waren noch menschenleer. Hier und da blickte das neugierige Gesicht eines Handlangers der Polizei oder eines etwas kühneren Beobachters unter den Bogen der Portikus hervor.

Aber die Fischer dachten nicht mehr an Gewalt. Mit der Unbeständigkeit von Leuten, die wenig an Überlegung gewöhnt sind, sich schnellen und heftigen Aufregungen hingeben, hatten sie alle Gedanken an Rache gegen die Diener der Polizei aufgegeben und ihre Aufmerksamkeit gänzlich dem frommen Dienste zugewendet, der, vom Fürsten selbst befohlen, für ihren Stand so schmeichelhaft war.

Einige stärkere Naturen unter ihnen mischten wohl auch Drohungen gegen den Bravo in die Gebete für den Toten, aber diese hatten keine Bedeutung für die gegenwärtige Handlung.

Das große Portal der ehrwürdigen Kirche ward aufgetan. Man trug die bescheidene Leiche des hingeopferten Antonio unter den Bogen, der die kostbaren Reliquien griechischer Kunst stützt, und setzte sie in das Schiff der Kirche nieder. Kerzen brannten vor dem Altare und umgaben die gespenstische Gestalt des Toten die ganze Nacht hindurch, und die Kathedrale San Marcos war erfüllt von den imposanten Gebräuchen der Katholischen Kirche, bis der Tag wieder heraufkam. Ein Priester folgte dem andern, um die Messe zu wiederholen, und der Haufe hörte aufmerksam zu, als fühlte sich ein jeder selber geehrt und erhoben durch diese Auszeichnung eines Mannes aus seinem Stande. Die Masken auf dem Platze waren allmählich wieder zum Vorschein gekommen, obgleich die Unruhe zu heftig und zu plötzlich gewesen war, um eine schnelle Rückkehr dem Leichtsinn zu erlauben, der gewöhnlich zwischen Sonnenuntergang und -aufgang auf diesem Flecke zu schauen war.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Als die Fischer auf dem Kai landeten, verließen sie die eroberte Gondel des Staates bis auf den letzten Mann. Donna Violetta und ihre Gouvernante hörten mit Bestürzung, wie sich ihre Räuber nacheinander lärmend entfernten, denn sie wußten beinahe gar nicht, aus welchem Grund man ihnen den Schutz des Vater Anselmo entrissen und was sie zu handelnden Personen in dem ungewöhnlichen Schauspiel gemacht hatte. Der Mönch hatte ihnen nur gesagt, daß sein Dienst zum Besten eines Toten verlangt würde. Donna Florinde jedoch, die durch die Fenster der Verdachung geschaut hatte und aus dem Geschrei ringsumher einen Schluß zog, ahnte die Wahrheit so ziemlich. Es schien ihr das Geratenste unter diesen Umständen, sich soviel wie möglich unbemerkt zu halten. Als die tiefe Stille, die der Landung der Aufrührer folgte, verriet, daß sie allein waren, bemerkten sie und ihr Zögling diese günstige Veränderung sogleich.

»Sie sind fort«, flüsterte Donna Florinde, mit zurückgehaltenem Atem horchend, sobald sie gesprochen hatte.

»Und die Polizei wird bald hier sein, uns zu suchen!«

Es bedurfte keiner weiteren Erklärung.

Im Augenblick standen die zitternden Flüchtlinge auf dem Kai. Keine menschliche Gestalt war auf der Piazetta. Aber ein dumpfes, brausendes Rauschen erscholl vom Hofe des herzoglichen Palastes, ähnlich dem Gesumme eines aufgestörten Bienenschwarms.

»Man hat Gewalttaten vor«, sagte die Gouvernante wiederum flüsternd. »Wollte Gott, Vater Anselmo wäre hier.«

Ein vorsichtiger Fußtritt ließ sich hören, und beide, sich umkehrend, sahen einen Knaben, der sich aus der Gegend des Broglio her näherte.

»Ein ehrwürdiger Karmeliter hat mir dies für Euch gegeben«, sagte der Bursche, verstohlen umherblickend, als fürchte er, entdeckt zu werden. Dann legte er in Donna Florindes Hand ein Streifchen Papier und verschwand.

Mit Hilfe des Mondlichts gelang es der Gouvernante, die Züge einer Hand zu entziffern, die ihr in jüngeren Tagen wohl bekannt gewesen war: »Rette Dich, Florinde. Kein Augenblick ist zu verlieren. Vermeide öffentliche Plätze und suche schnell einen Zufluchtsort.«

»Aber wohin?« fragte die Bestürzte, nachdem sie den Zettel laut gelesen hatte.

»Überall, nur nicht hier«, sagte Donna Violetta, »komm mit mir!«

Hätte Donna Florinde die natürliche Festigkeit und Entschiedenheit ihres Zöglings besessen, so würde sie nicht in dem einsamen Verhältnisse gelebt haben, das der weiblichen Natur wenig entspricht, und Vater Anselmo wäre kein Mönch geworden. Beide hatten ihre Liebe dem zum Opfer gebracht, was sie für ihre Pflicht hielten, und so war das unangemessene Lebensverhältnis der Gouvernante aus einem dem Sturm der Leidenschaften unzugänglichen Gemüte hervorgegangen. Nicht so Violetta. Sie war immer schneller bereit zum Tun als zum Überlegen, und obgleich in den meisten Fällen wohl die besonneneren Gemüter im Vorteil sein mögen, so gibt es doch auch hiervon Ausnahmen. Der gegenwärtige Augenblick war eine von den Lagen des Lebens, wo es immer besser ist, irgend etwas als gar nichts zu tun.

Kaum hatte Donna Violetta gesprochen, so war ihre Gestalt im Schatten unter den Bogengängen des Broglio. Ihre Gouvernante hielt sich dicht an ihrer Seite, mehr aus Liebe zu ihr als aus Willfährigkeit gegen den Rat des Mönchs oder das Gebot ihrer eigenen Vernunft. Ein unbestimmter, abenteuerlicher Gedanke, sich dem Dogen, der ein Seitenverwandter ihres eigenen alten Hauses war, zu Füßen zu werfen, stieg in der jungen Braut anfänglich auf, aber kaum hatten sie den Palast erreicht, so belehrte sie das Geschrei vom Hofraume her über dessen Lage und die Unmöglichkeit, in das Innere einzudringen.

»Wir wollen uns durch die Straßen nach deiner Wohnung zurückziehen, Kind«, sagte Donna Florinde, sich mit weiblichem Anstand in ihren Mantel hüllend. »Niemand wird Frauen unseres Standes beleidigen. Auch der Senat muß am Ende doch unser Geschlecht respektieren.«

»Das von dir, Florinde! – Du, die so oft vor seinem Zorn gezittert hat! Aber geh, wenn du willst. Ich gehöre dem Senate nicht länger. Don Camillo Monforte hat meine Treue.«

Donna Florinde war nicht willens, diesen Punkt zu bestreiten, und da der Augenblick gekommen war, wo Geistesstärke zum Führen berechtigte, so unterwarf sie sich still dem Willen ihres Zöglings. Donna Violetta hielt sich immer im Schatten der Arkaden. Als die Flüchtlinge bei dem Tore vorbeikamen, das auf der Seeseite liegt, konnten sie einen Blick auf die Szene im Hofe werfen. Der Anblick dieses Schauspiels beschleunigte ihre Schritte; sie liefen nicht, sie flogen die Bogenhalle entlang. Bald befanden sie sich auf der Brücke, die über den Kanal San Marco führt, noch immer in voller Flucht begriffen. Ein paar Matrosen sahen von ihren Feluken aus neugierig zu, aber zwei erschreckte Frauenzimmer waren nichts so gar Auffallendes.

In diesem Augenblick erschien eine Masse dunkler Gestalten von der andern Seite her. Waffen blitzten im Mondlicht, und man hörte den abgemessenen Tritt bewaffneter Männer. Es waren die Dalmatier, deren Trupp vom Zeughause heranrückte. Vorwärts und rückwärts schien jetzt den atemlosen Frauen die Flucht gleich unmöglich. Da Entschlossenheit und Besonnenheit sehr verschiedene Tugenden sind, dachte Donna Violetta nicht so schnell, als die Umstände erfordert hätten, daran, daß die Mietsoldaten der Republik höchstwahrscheinlich ihre Flucht für etwas sehr Natürliches halten würden.

Der Schreck raubte den Flüchtlingen die Besinnung. Sie dachten an nichts als an einen Zufluchtsort und würden selbst das Gerichtszimmer dazu erwählt haben, wäre Gelegenheit dazu gewesen. Sie wendeten sich um und eilten in die erste und in der Tat einzige offene Tür, die sich darbot. Es trat ihnen ein Mädchen entgegen, in deren ängstlichen Zügen sich jene sonderbare Mischung von Hingebung und Angst malte, die ihren Grund wahrscheinlich im Drange weiblichen Mitgefühls hat.

»Hier ist Sicherheit, edle Damen«, sagte die junge Venezianerin. »Keiner wird Euch innerhalb dieser Mauern zu verletzen wagen!«

»In welchem Palaste befinden wir uns?« fragte die fast atemlose Violetta. »Wenn der Besitzer einen Namen hat in Venedig, wird er einer Tochter vom Geschlecht Tiepolo die Gastfreundschaft nicht versagen.«

»Ihr seid willkommen, Signora«, entgegnete das freundliche Mädchen, sich tief verneigend, und führte sie noch weiter in das Innere des geräumigen Gebäudes. »Ihr führt den Namen einer erlauchten Familie.«

»Dienst du einem Edelmanne?«

»Dem vornehmsten in Venedig, Signora!«

»Nenne ihn, damit wir seine Gastfreundschaft erbitten mögen, wie sich’s geziemt.«

»San Marco.«

Donna Violetta und ihre Gouvernante blieben erstaunt stehen.

»Sind wir, ohne es zu wissen, in ein Portal des Palastes getreten?«

»Das wäre unmöglich, Signora, da der Kanal zwischen uns und dem Palaste des Dogen ist. Dennoch ist hier San Marco Herr. Ich hoffe, Ihr werdet Eure Sicherheit für nicht geringer halten, wenn Ihr sie auch im Staatsgefängnis findet und Euch des Hauswarts Tochter dazu verhilft.«

Der Augenblick übereilten Handelns war vorüber und die Besinnung nun zurückgekehrt.

»Wie heißest du, Kind?« fragte Donna Florinde, ihrem Zögling vorantretend und die Unterredung aufnehmend, während Violetta vor Erstaunen stillschwieg. »Wir sind dir aufrichtig dankbar für die Bereitwilligkeit, mit der du die Tür öffnetest und uns einließest in einem Augenblick solcher Bestürzung. Wie heißest du?«

»Gelsomina«, erwiderte das Mädchen bescheiden. »Ich bin des Hauswarts einziges Kind. Als ich Damen Eures Standes auf dem Kai fliehen sah und auf der einen Seite die Dalmatier im Anmarsch, auf der andern die tobenden Fischer, da dachte ich, auch das Gefängnis würde Euch willkommen sein.«

»Deine Herzensgüte hat dich nicht irregeleitet.«

»Wenn ich gewußt hätte, daß es eine Dame vom Geschlechte Tiepolo war, so würde ich mich noch mehr beeifert haben, denn es sind wenige dieses berühmten Namens übrig, uns Ehre zu erweisen.«

Violetta verneigte sich wegen dieser Artigkeit, aber sie schien unruhig, daß sie Übereilung und Adelsstolz verleitet hatten, sich zu verraten.

»Kannst du uns an einen minder öffentlichen Platz führen?« fragte sie, als sie bemerkte, daß ihre Führerin in einem freien Gange stehengeblieben war, um ihre Erklärung zu geben.

»Hier werdet Ihr so zurückgezogen sein wie in Euern eigenen Palästen, hohe Damen«, erwiderte Gelsomina, indem sie in einen Seitengang einbog und die Fremden den Wohnzimmern zuführte, von denen aus sie zuvor die Verlegenheit ihrer Gäste, am Fenster sitzend, bemerkt hatte. »Hier kommt niemand ohne Ursach her, außer meinem Vater und mir, und mein Vater ist mit seinem Dienste sehr beschäftigt.«

»Hast du keinen Dienstboten?«

»Nein, Signora! Eines Hauswarts Tochter darf nicht zu stolz sein, sich selbst zu bedienen.«

»Du hast recht. Ein so feinfühlendes Mädchen wie du, Gelsomina, wird einsehen, daß es für Frauen von Stande nicht geziemend ist, in ein Haus wie dieses, wenn auch nur durch Zufall, zu geraten, und du wirst uns einen großen Gefallen erweisen, wenn du mehr als gewöhnliche Vorkehrung triffst, daß man uns hier nicht sehe. Wir machen dir viel Mühe, aber sie soll nicht unbelohnt bleiben. Nimm dies Gold.«

Gelsomina antwortete nicht, aber als sie mit niedergesenkten Augen dastand, stahl sich eine Röte in ihre Wangen, daß ihr zuvor bleiches Gesicht sanft erglühte.

»Nein, ich habe dich verkannt«, sagte Donna Florinde, indem sie die Zechinen wieder einsteckte, und ergriff die Hand des Mädchens, das es schweigend geschehen ließ. »Wenn ich dich durch meine Unbescheidenheit gekränkt habe, so schreibe dies Anerbieten einzig unserer Furcht vor der Schande zu, hier gesehen zu werden.«

Das Mädchen erglühte noch mehr, und ihre Lippen bebten.

»Ist es denn eine Schande, unschuldig hier zu wohnen, Signora?« fragte sie mit abgewendetem Auge. »Ich habe das lange geargwohnt, aber ich hab es bisher noch von niemandem sagen gehört!«

»Verzeih mir! Wenn ich eine Silbe ausgesprochen habe, die dich kränken kann, so ist es unwissentlich und ungern geschehen.«

»Wir sind arm, Signora, und der Bedürftige muß sich gefallen lassen, auch das zu tun, was seinen Wünschen entgegen ist. Ich verstehe Eure Meinung und will dafür sorgen, daß Ihr verborgen bleiben sollt!«

Während die Damen verwundert waren über solche Beweise von Zartgefühl und Empfindung an diesem eigentümlichen Ort, entfernte sich das Mädchen.

»Das hätte ich nicht erwartet in einem Kerker!« rief Violetta.

»Wie nicht alles edel ist in einem Palast, so ist auch nicht alles zu verwerfen, was in einem Kerker vorkommt. Aber dies ist fürwahr ein außerordentliches Mädchen für ihren Stand, und wir müssen St. Theodor danken, daß er sie uns in den Weg geführt hat.«

»Können wir besseres tun, als sie zu unserer Vertrauten zu machen?«

Die Gouvernante war älter und weniger geneigt als ihr Zögling, auf den Schein hin zu trauen. Gelsomina kam zurück, ehe es Zeit war, zu überlegen, ob Violettas Vorhaben auch der Klugheit gemäß wäre.

»Du hast einen Vater, Gelsomina?« fragte die venezianische Erbin und ergriff die Hand des Mädchens, indem sie diese Frage tat.

»Gelobet sei die Heilige Jungfrau, daß ich dieses Glück habe.«

»Es ist ein Glück. Denn gewiß, ein Vater würde nicht das Herz haben, sein Kind dem Ehrgeiz und gewinnsüchtigen Hoffnungen aufzuopfern. Und deine Mutter?«

»Ist schon seit langer Zeit bettlägerig. Ich glaube, wir hätten sonst nicht hier zu sein brauchen, bei ihren Leiden aber paßt kein anderer Ort so gut für sie als dieses Gefängnis.«

»Gelsomina, du bist glücklicher als ich, selbst in deinem Gefängnis. Ich habe keinen Vater, keine Mutter, fast muß ich sagen, keinen Freund.«

»Und dies das Schicksal einer Dame aus dem Hause Tiepolo!«

»Es ist nicht alles, wie es scheint in dieser argen Welt, gute Gelsomina! Wir haben viele Dogen in der Familie gehabt, aber auch viele Leiden. Du hast vielleicht gehört, daß davon nichts mehr übrig ist als ein einziges Mädchen, jung wie du, die der Obhut des Senats anvertraut ist?«

»Es wird in Venedig wenig von diesen Sachen gesprochen, Signora, und von allen geht niemand so selten auf den Platz als ich. Doch von der Schönheit und dem Reichtum der Donna Violetta habe ich wohl gehört. Das letztere, hoff ich, wird wahr sein, das erstere seh ich jetzt selber.«

Die junge Tiepolo wurde ihrerseits rot, aber freilich nicht aus verletztem Gefühl.

»Sie sagen zuviel Gutes aus Mitleid für die arme Waise«, erwiderte sie, »obschon dieser unglückselige Reichtum vielleicht nicht überschätzt wird. Du weißt, daß sich’s der Staat angelegen sein läßt, alle Frauen von Adel, die vaterlos sind, zu hüten und unterzubringen.«

»Nein, Signora. Das ist aber schön von San Marco.«

»Du wirst bald anders darüber denken. Du bist jung, Gelsomina, und hast wohl dein Leben in Zurückgezogenheit zugebracht?«

»Ja, Signora. Ich gehe selten weiter als bis in meiner Mutter Stube oder in die Zelle eines kranken Gefangenen.«

Violetta sah ihre Gouvernante an, als wollte sie sagen, daß sie sich wohl schwerlich einem Mädchen würde verständlich machen können, das den Gefühlen der Welt so wenig zugänglich wäre.

»So wirst du freilich nicht begreifen, daß eine Frau von Adel wenig Lust haben mag, sich dem Verlangen des Senats zu fügen, wenn er über ihre Pflichten und Neigungen gebieten will.«

Gelsomina sah die schöne Rednerin starr an, aber es war sichtlich, daß sie die Frage nicht recht begriff.

»Ich habe gehört, daß die Damen von Adel die nicht sehen dürfen, mit denen sie verheiratet werden sollen, Signora, wenn es dies ist, was Ew. Exzellenz meinen. Mir hat diese Sitte immer ungerecht oder vielmehr grausam geschienen.«

»Und ist es Frauen deines Standes erlaubt, sich Freunde zu erwerben, von denen einer ihnen dereinst teuer werden kann?« fragte Violetta hastig.

»Signora, soviel Freiheit haben wir auch im Gefängnis.«

»Oh, dann bist du glücklicher als die, die in Palästen wohnen! Ich will dir vertrauen, edles Mädchen, denn du wirst die Schwache, Bedrängte, die deines Geschlechts ist, nicht verraten.«

Gelsomina hob ihre Hand auf, als wollte sie dem ungestümen Zutrauen ihres Gastes Einhalt tun, und horchte aufmerksam.

»Wenige kommen hierher«, sagte sie dann, »aber mancherlei Wege, hinter Geheimnisse zu kommen, gibt es in diesem Hause, die ich noch nicht kenne. Tretet tiefer in die Wohnung ein, edle Damen, hier ist ein Ort, der auch vor Lauschern sicher ist.«

Des Hauswarts Tochter ging voran in das kleine Gemach, wo sie sich mit Jacopo zu unterhalten pflegte.

»Ihr sagtet, Signora, daß ich Gefühl hätte für die Schwäche und Hilflosigkeit unseres Geschlechtes, und darin laßt Ihr mir Gerechtigkeit widerfahren.«

Violetta hatte Muße, einen Augenblick nachzudenken, während sie aus dem einen Zimmer in das andere ging, und sie fing an, ihre Mitteilungen mit mehr Behutsamkeit zu machen. Aber der lebhafte Anteil, den ein Wesen von so freundlicher Natur und so abgesonderter Lebensweise als Gelsomina an der Erzählung nahm, gab ihrer natürlichen Offenherzigkeit den Sieg, und auf eine ihr selbst fast unbewußte Weise setzte sie des Hauswarts Tochter von beinahe den meisten Umständen in Kenntnis, die sie bis in das Gefängnis geführt hatten.

Gelsominas Wangen wurden farblos, während sie zuhörte, und als Violetta geendet hatte, zitterte sie an allen Gliedern.

»Es ist furchtbar, sich der Macht des Senats zu widersetzen«, sagte sie leise, daß es kaum zu hören war. »Habt Ihr bedacht, Signora, was Eure Tat für Folgen haben kann?«

»Wenn auch nicht, so ist es jetzt doch zu spät, mein Vorhaben zu ändern. Ich bin des Herzogs von Sant‘ Agata Weib und kann nie eines andern Gattin werden!«

»Jesus! Das ist wahr! – Und doch, ich glaube, ich möchte lieber im Kloster sterben, als den Rat gegen mich aufbringen.«

»Du weißt nicht, gutes Mädchen, welches Mutes auch ein junges Weib fähig ist. Du hängst noch an deinem Vater, aber du kannst es noch erfahren, daß die Zeit im Leben kommt, wo sich alle deine Hoffnungen in einem andern vereinigen werden.«

»Der Staatsrat ist fürchterlich«, erwiderte sie, »aber es muß noch fürchterlicher sein, den zu verlassen, dem man Pflicht und Liebe am Altare gelobt hat.«

»Hast du Mittel, uns zu verstecken, gutes Mädchen?« unterbrach sie Donna Florinde, »und kannst du uns, wenn dieser Tumult vorüber sein wird, irgendwie zu ferner Verborgenheit oder zur Flucht verhelfen?«

»Nein, Signora. Sogar Venedigs Straßen und Plätze sind mir beinahe fremd. Was gäb ich drum, wenn ich die Wege der Stadt so gut wüßte als meine Cousine Annina, die, wenn es ihr nur behagt, von ihres Vaters Laden bis nach dem Lido geht und vom Markusplatz zum Rialto, ganz wie es ihr gefällt. Ich will nach meiner Cousine schicken, die wird uns raten in dieser schrecklichen Not.« »Deine Cousine? Hast du eine Cousine, die Annina heißt?«

»Annina, Signora, meiner Mutter Schwesterkind.«

»Die Tochter des Weinhändlers Tommaso Tosti?«

»Ja! Sie wird uns ihren Beistand in solcher Gefahr nicht versagen. Ich weiß, sie hält nicht viel von der Republik, denn ich habe sie von deren Angelegenheiten reden hören, kühner, als sich für ein Mädchen ihres Alters geziemt.«

»Gelsomina, deine Cousine ist eine geheime Dienerin der Polizei und deines Vertrauens unwert.«

»Signora!«

»Ich spreche nicht ohne Grund. Glaube mir, sie läßt sich zu Geschäften brauchen, die sich für ihr Geschlecht nicht geziemen.«

»Edle Damen, Ihr solltet mich nicht nötigen, so von meiner Mutter Nichte zu denken. Ihr seid unglücklich gewesen und mögt Grund haben, mit der Republik unzufrieden zu sein, und hier seid Ihr sicher – aber ich wünsche keinen Tadel über Annina zu hören.«

Donna Florinde und ihr Zögling kannten die menschliche Natur hinlänglich, um diese edle Ungläubigkeit als ein günstiges Zeichen für die Reinheit der Gesinnung ihrer jungen Wirtin anzusehen, und begnügten sich mit dem Ersuchen, daß Annina auf keine Weise von ihrer gegenwärtigen Lage Nachricht erhalte. Nach dieser Verständigung besprachen sich die drei mit mehr Muße über die Aussicht der Flüchtlinge, den Ort, sobald es Zeit wäre, unentdeckt zu verlassen.

Auf Antrieb der Gouvernante schickte Gelsomina einen Diener des Gefängnisses hinaus, um zu erfahren, wie es auf dem Platze stehe. Er erhielt besonders den Auftrag, er solle, ohne Verdacht zu erregen, nach einem Karmeliter vom Orden der Barfüßermönche suchen. Bald kam er mit der Nachricht zurück, daß die Fischer aus dem Hofe des Palastes gewichen und zur Kathedrale gezogen seien mit der Leiche des Fischers, der am vorigen Tage in der Regatta so unerwartet den Preis davongetragen hatte.

»Betet Eure Aves ab und geht zu Bett, schöne Gelsomina«, schloß der Untergefangenenwärter, »denn die Fischer haben aufgehört zu schreien, um nunmehr zu beten. Die Schufte sind so unverschämt, als ob San Marco ihr Eigentum wäre! Die edeln Patrizier sollten sie Anstand lehren und jeden zehnten von den Schurken auf die Galeeren schicken. Hunde! Die Ruhe einer ordentlichen Stadt mit ihren gemeinen Beschwerden zu stören!«

»Aber du sagst nichts von dem Mönche, ist er bei den Aufrührern?«

»Es ist ein Karmeliter am Altare – aber mein Blut kochte, als ich solche Vagabunden achtbaren Leuten die Ruhe stören sah, und ich hab wenig auf sein Gesicht und sein Alter achtgegeben.«

»Dann hast du die Hauptsache versäumt, um derentwillen ich dich geschickt habe. Es ist jetzt zu spät, den Fehler wieder gutzumachen. Du kannst wieder an dein Geschäft gehen.«

»Bitte tausendmal um Verzeihung, schönste Gelsomina, aber ein Mann im Amte muß unwillig werden, wenn er seine Rechte angetastet sieht. Schickt mich nach Korfu oder nach Kandia, wenn’s Euch beliebt, und ich will die Farbe von jedem Stein in ihren Gefängnissen mitbringen, aber schickt mich nicht unter die Rebellen. Mir schwillt die Kehle, wenn ich Schufte sehe!«

Da sich des Hauswarts Tochter entfernte, während ihres Vaters Gehilfe diese Beteuerung seiner Loyalität ergehen ließ, so sah sich der letztere genötigt, dem Rest seines Unwillens in einem Selbstgespräch Luft zu machen.

Gelsomina kehrte indessen bald zu ihren Gästen mit beruhigenden Nachrichten zurück. Der Tumult im Hofe des Palastes und das Ausrücken der Dalmatier hatten alle Augen genugsam beschäftigt, und wenn auch einige neugierige Gaffer die Damen in das Gefängnis hätten eintreten sehen, so war dieser Umstand doch so natürlich, daß es keinem einfallen konnte, daß Frauen von so hohem Rang dort auch nur einen Augenblick länger bleiben würden, als nötig wäre. Ihre Sicherheit ward dadurch noch größer, daß auch die wenigen Gefängniswärter nicht zugegen gewesen, indem sie sich um die offenen Teile des Hauses überhaupt nicht sonderlich bekümmerten und außerdem jetzt durch die Neugier hinausgelockt waren. Das anspruchslose Zimmer, in dem sich die Damen eben befanden, war ausschließlich für den Gebrauch ihrer Beschützerin bestimmt, und eine Störung kaum möglich, solange der Senat noch nicht Zeit noch Macht zur Anwendung jener furchtbaren Mittel wiedererlangt hatte, die alles Verborgene aufspürten.

Mit dieser Erklärung waren Donna Violetta und ihre Begleiterin sehr zufrieden. Sie gewannen Muße, Mittel zu ihrer Flucht zu ersinnen, und die erstere glühte von Hoffnung, sich bald ihrem Camillo wiedergegeben zu sehen. Doch war der Umstand noch böse, daß sie den letzteren auf keine Weise von ihrer Lage in Kenntnis setzen konnten. Als der Tumult aufhörte, beschlossen sie, ein Boot zu suchen und in solcher Verkleidung, als Gelsomina herbeischaffen könnte, nach seinem Palaste zu rudern. Indes überlegte Donna Florinde, daß dieser Schritt zu gefährlich sei, weil der Neapolitaner, wie bekannt, von der geheimen Polizei beobachtet wurde. Der Zufall, der zur Bekämpfung verwickelter Verhältnisse oft wirksamer ist als die List, hatte sie an einen Ort geführt, der für den Augenblick Sicherheit gewährte, und diese vorteilhafte Stellung hätten sie eingebüßt, wenn sie sich ohne die allergrößte Vorsicht allen auf den öffentlichen Kanälen möglichen Gefahren preisgegeben hätten.

Endlich fiel es der Gouvernante ein, die Dienste in Erwägung zu ziehen, die ihnen das niedliche Mädchen leisten konnte, das schon so viel Teilnahme für ihr Schicksal bewiesen hatte. Während der Geständnisse ihres Zöglings hatte Donna Florinde die geheimen Triebfedern wohl bemerkt, die die Gefühle der unerfahrenen Zuhörerin in Bewegung setzten. Gelsomina hatte mit atemloser Bewunderung gehört, wie sich Don Camillo in den Kanal geworfen, um Violettas Leben zu retten. Alle ihre Gedanken malten sich in ihren Zügen, als die junge Tiepolo von den Gefahren sprach, die er bestanden hätte, um ihre Liebe zu gewinnen. Weiblichkeit blickte aus jedem Zuge ihres sanften Gesichts, während die junge Braut das engere Band erwähnte, das sie jetzt vereinigt hielte, ein Band, viel zu heilig, als daß es die Politik des Senats zerreißen dürfte.

»Wenn wir Mittel hätten, Don Camillo von unserer Lage zu unterrichten«, sagte die Gouvernante, »so könnte noch alles gut gehen. Sonst aber wird uns dieser so glücklich gefundene Zufluchtsort nichts helfen.«

»Ist die Kühnheit des Kavaliers denn so gewaltig, daß er gar nicht vor denen droben zittert?« fragte Gelsomina.

»Er würde seine Getreuen aufbieten, und ehe der Tag anbricht, könnten wir außer dem Bereich ihrer Macht sein. Diese schlauen Senatoren wollen mit den Gelübden meines Zöglings umspringen, als wären es kindische Schwüre.«

»Aber das Sakrament der Ehe ist nichts Menschliches. Davor werden sie wenigstens Achtung haben.«

»Glaube das nicht. Keine Verpflichtung ist so heilig, daß sie Achtung davor haben sollten, wenn ihre Politik auf dem Spiele steht.«

»Kann es etwas Wichtigeres geben, Signora, als die Ehe?«

»Sie ist auch für sie wichtig als das Mittel, ihre Auszeichnungen und ihre stolzen Namen fortzupflanzen. Sonst aber kümmern sich die Räte nicht viel um häusliche Angelegenheiten.«

»Sind sie doch Väter und Gatten!«

»O ja, weil sie, um mit Recht das erstere sein zu können, zuvor das letztere werden müssen. Die Ehe ist für sie nicht ein Band heiliger und teurer Verwandtschaft, sondern ein Mittel, ihre Reichtümer zu vermehren und ihren Namen zu erhalten.«

So sagte die Gouvernante und beobachtete die Wirkung ihrer Rede auf dem Gesicht des unverstellten Mädchens. »Heiraten aus Liebe nennen sie Kinderspiel und handeln mit den Neigungen ihrer eigenen Töchter wie mit ihren Waren.«

»Ich wünschte wohl, daß ich für Donna Violetta etwas tun könnte.«

»Du bist zu jung, gute Gelsomina, und wie ich fürchte, nicht bekannt genug mit venezianischer Verschlagenheit.«

»Deswegen seid unbesorgt, Signora, ich kann in einer guten Sache so gut als ein anderer meine Schuldigkeit tun.«

»Wenn es möglich wäre, Don Camillo Monforte von unserer Lage zu unterrichten – aber du hast nicht Erfahrung genug, uns diesen Dienst zu leisten.«

»Glaubt das nicht, Signora«, fiel Gelsomina ein, deren Stolz nun als eine neue Triebfeder hinzukam zu dem natürlichen Mitgefühl für eine Frau, die fast in einem Alter mit ihr und derselben Leidenschaft, die ein weibliches Herz groß macht, unterworfen. »Ich kann wohl fähiger dazu sein, als mein Äußeres sollte denken lassen.«

»Ich will dir vertrauen, gutes Kind, und wenn uns die Heilige Jungfrau beschützt, so soll dein Glück nicht vergessen werden.«

Die fromme Gelsomina bekreuzigte sich. Darauf unterrichtete sie ihre Gefährtinnen von ihrer Absicht und ging hinein, die nötigen Vorbereitungen zu treffen, während Donna Florinde ein Zettelchen schrieb in so vorsichtigen Ausdrücken, daß es bei einem schlimmen Ausgange nicht zu ihrer Entdeckung führen konnte, aber doch hinreichte, um dem Herzog von Sant‘ Agata über ihre gegenwärtige Lage einen Wink zu geben.

In wenigen Minuten kam des Hauswarts Tochter zurück. Ihr gewöhnlicher Anzug, die Tracht einer sittsamen Venezianerin aus dem niederen Stande, machte keine Verkleidung nötig, ihre Züge verdeckte die Maske, ein Stück der Kleidung, das jedermann in dieser Stadt besaß. Donna Florinde gab ihr nun den Zettel, bezeichnete die Straße und den Palast, den sie aufzusuchen hatte, sowie die Person des Herzogs von Agata, empfahl ihr nochmals die größte Vorsicht und entließ sie.

Vierundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Wir bemerkten schon, daß Gelsomina gewisse wichtige Schlüssel des Gefängnisses in Verwahrung hatte. Ihr dies Vertrauen zu schenken, fühlten sich die verschmitzten Wärter des Gefängnisses bewogen durch Hoffnung, daß sie arglos ihren Befehlen gehorchen würde, ohne zu vermuten, daß sie, dem Drange eines edeln Herzens nachgebend, diese in einer jener Hoffnung gefährlichen Weise gebrauchen könnte. Der Dienst aber, den die Schlüssel jetzt leisten sollten, bewies, daß die Schließer selbst, und unter diesen ihr Vater, nicht genügend wußten, wieviel Unschuld und Einfalt vermögen.

Gelsomina versah sich mit den erforderlichen Schlüsseln, nahm eine Lampe und stieg vom Zwischenstock, wo sie wohnte, nach dem ersten Stockwerke des Gebäudes hinauf, statt nach dem Hofe hinunterzugehen. Tür auf Tür öffnete sich, und manchen düstern Gang durchmaß das schuldlose Mädchen mit der Sicherheit dessen, der ein gutes Werk vorhat. Bald schritt sie über die Seufzerbrücke, ohne auf diesem unbesuchten Gange eine Störung zu befürchten, und ging in den Palast. Hier erreichte sie eine Tür, die nach den öffentlichen Ausgängen des Gebäudes führte. In der Sorge, ihre Tat der Entdeckung zu entziehen, löschte sie ihr Licht aus und drehte den Schlüssel. Im nächsten Augenblick befand sie sich auf der großen dunkeln Treppe. Schnell stieg sie hinunter und gelangte zu der bedeckten Galerie, die den Hof umgab. Wenige Schritte von ihr stand eine Schildwache. Der Soldat sah das ihm unbekannte Mädchen neugierig an, da ihm aber nicht oblag, die auszufragen, die das Gebäude verließen, so sprach er kein Wort, und Gelsomina ging weiter. Da warf eben, halb zögernd, ein rachsüchtiges Wesen eine Anklage in den Löwenrachen. Unwillkürlich blieb Gelsomina stehen, bis sich der geheime Ankläger nach seinem verräterischen Werke entfernte. Als sie ihren Weg nun fortsetzen wollte, sah sie, daß der Hellebardier oben auf der Riesentreppe über ihre Verwunderung lächelte, wie einer, der an solche Szenen gewöhnt ist.

»Ist es gefährlich, den Palast zu verlassen?« fragte sie den rauhen Bergbewohner.

»Corpo di Bacco! Vor einer Stunde mocht es so sein, schönes Mädchen, aber den Aufwieglern ist nun das Maul gestopft, und jetzt sind sie beim Gebet.«

Gelsomina zögerte nicht länger. Sie stieg die Treppe hinab und stand bald unter dem Torbogen. Hier zauderte das schüchterne und unerfahrene Mädchen wieder, denn sie wagte nicht, auf den Platz hinauszugehen, ohne sich vorher zu überzeugen, daß dort alles vollkommen ruhig sei.

Gelsomina fand beide Plätze großenteils mit Menschen angefüllt. Einige aufgeregte Fischer umdrängten die Türen der Kathedrale, aber diesseits der Kirche war kein Grund zu Besorgnis vorhanden. Wie wenig auch an solch ein Schauspiel gewöhnt, so begriff das sanfte Mädchen doch auf den ersten Blick, daß ihr gerade die Menschenmenge Unbemerktheit gewähren würde. Sie zog ihren einfachen Mantel dichter um ihre Gestalt, befestigte ihre Maske sorgfältiger und ging mit schnellem Schritt mitten in die Piazza hinein.

Jung, behende und von ihrem Zweck befeuert, hatte sie die Piazza bald hinter sich und erreichte den Platz San Nicolo, wo eine Landestelle der öffentlichen Gondeln war. Es war aber in diesem Augenblicke kein Fahrzeug da, weil Neugier oder Furcht die Gondolieri bewogen hatte, ihren Standort zu verlassen. Das Mädchen bestieg daher die Brücke und stand eben auf der Höhe des Bogens, als ein Gondoliere von der Seite des Canale Grande gemächlich daherruderte. Ihr zögerndes, unschlüssiges Benehmen fesselte seine Aufmerksamkeit, und er machte das gewöhnliche Zeichen zur Erbietung seiner Dienste. Da sie fast fremd war in den Straßen Venedigs – wahren Labyrinthen, dem Ungeübten schwieriger zu entwirren als in irgendeiner andern Stadt derselben Größe –, so ging sie auf das Anerbieten freudig ein. Die Stufen hinabsteigen, in das Boot springen, das Wort »Rialto« aussprechen und sich im Zelte verbergen, waren das Werk eines Augenblicks. Das Boot war sogleich in Bewegung.

Gelsomina durfte nun ihres Erfolges ziemlich gewiß sein, denn von der Kenntnis und den Plänen eines gewöhnlichen Bootsmannes konnte sie wenig zu fürchten haben. Auch konnte er ihr Vorhaben nicht ahnen, und es war sein Vorteil, sie sicher nach dem verlangten Orte zu bringen. Aber es lag ihr an dem glücklichen Ausgange so viel, daß sie ihn nicht für gewiß halten konnte, ehe nicht alles getan war. Sie sammelte indes ihre Entschlossenheit wieder so weit, daß sie hinausschaute auf die Paläste und Fahrzeuge, an denen sie vorbeifuhr; da fühlte sie die erfrischende Luft des Kanals ihren Mut beleben. Nun wandte sie sich, um das Gesicht ihres Gondoliere zu betrachten, und bemerkte, daß seine Züge durch eine so schlau verfertigte Maske verborgen waren, daß sie ein zufälliger Beobachter beim Mondlicht nicht zu erkennen vermochte.

Obschon es üblich war, daß sich die Schiffsleute der Vornehmen gelegentlich maskierten, so war dies doch bei einem öffentlichen Gondoliere etwas ganz Ungewöhnliches. Dieser Umstand an sich konnte wohl eine leichte Besorgnis erregen, aber Gelsomina fand bei weiterer Überlegung nichts darin, als daß der Mann vielleicht eben von einer Ergötzlichkeit zurückgekommen war oder von einer Serenade, bei der die Vorsicht des Liebhabers seine Begleiter genötigt hatte, sich so zu verbergen.

»Wollt Ihr auf dem öffentlichen Kai landen, Signora«, fragte der Gondoliere, »oder soll ich Euch nach der Tür Eures Palastes fahren?«

Gelsominas Herz schlug hoch. Der Ton der Stimme, obgleich durch die Maske gedämpft, gefiel ihr. Aber nicht gewohnt, anderer Angelegenheiten, am wenigsten so wichtige, zu besorgen, erzitterte sie vor der Rede, als wäre sie nicht in so gutem Werk begriffen.

»Kennst du den Palast eines gewissen Don Camillo Monforte, eines Adeligen aus Kalabrien, der hier in Venedig wohnt?« fragte sie nach einer augenblicklichen Pause. Der Gondoliere wurde merklich überrascht durch diese Frage.

»Soll ich Euch dorthin rudern, Signora?«

»Wenn du gewiß bist, den Palast zu kennen.«

Rasch drehte er die Gondel, und schnell glitt sie zwischen hohen Mauern hin. Gelsomina merkte an dem Schall, daß sie sich in einem der engen Kanäle befand, und schloß daraus, daß der Gondoliere wohl bewandert in der Stadt sein müsse. Bald hielten sie dicht vor einem Wassertore an, und der Mann erschien auf der Treppe, seinen Arm darreichend, um ihr beim Aussteigen zu helfen, wie Leute seines Gewerbes pflegen. Gelsomina hieß ihn ihre Rückkehr erwarten und ging hinein.

Es war eine merkliche Verwirrung in Don Camillos Haushalt, die einer erfahreneren Beobachterin gewiß aufgefallen wäre. Die Diener verrieten selbst bei Verrichtung der allergewöhnlichsten Geschäfte Ungewißheit, ihre Blicke wanderten mißtrauisch von einem zum andern, und als die schüchterne Fremde in den Hausflur trat, sprangen alle auf, keiner aber kam ihr entgegen. Ein maskiertes Frauenzimmer war kein ungewöhnlicher Anblick in Venedig, da wenige dieses Geschlechts die Kanäle besuchten, ohne ihre Züge zu verhüllen. Aus dem unentschlossenen Benehmen der Diener Don Camillos ging jedoch hervor, daß der Eintritt eines Mädchens diesmal auffiel.

»Bin ich in der Wohnung des Herzogs von Sant‘ Agata aus Kalabrien?« fragte Gelsomina, die hier einsah, wie nötig es sei, Festigkeit zu zeigen.

»Signora, ja!«

»Ist Euer Herr im Palast?«

»Signora, ja – und auch nein! Welch schöne Dame soll ich ihm melden, die ihm die Ehre erweist?«

»Wenn er nicht zu Hause ist, so ist es unnötig, ihm irgend etwas zu melden. Ist er aber da, so wünsche ich ihn zu sprechen.«

Die Diener, deren mehrere zugegen waren, steckten die Köpfe zusammen und schienen sich zu streiten, ob es ratsam sei, den Besuch anzunehmen. In diesem Augenblick trat ein Gondoliere in geblümter Jacke in den Hausflur. Gelsomina faßte Mut, als sie sein gutmütiges Auge und sein offenes Benehmen sah.

»Dient Ihr dem Don Camillo Monforte?« fragte sie, als er dem Kanal zu an ihr vorbeiging.

»Mit dem Ruder, schönste Donna«, erwiderte Gino, nach der Mütze greifend, aber sich kaum nach ihr umsehend.

»Kann man ihm nicht melden, daß ein Mädchen angelegentlich wünscht, ihn allein zu sprechen?«

»Ein Mädchen! Santa Maria! Schöne Donna, die Frauen, die in solchen Geschäften kommen, nehmen kein Ende in Venedig. Ihr könntet eher der Statue des heiligen Theodor auf der Piazza einen Besuch machen, als gegenwärtig meinen Herrn sehen. Der Stein würde Euch besser aufnehmen.«

»Heißt er Euch allen meines Geschlechts, die da kommen, solche Antwort geben?«

»Diavolo! Signora, Ihr versteht das Ausfragen. Vielleicht möchte mein Herr eine Euers Geschlechts, die ich nennen könnte, nötigenfalls empfangen, aber auf Gondoliersehre! Er ist in diesem Augenblick eben nicht der galanteste Kavalier in Venedig.«

»Wenn er einer diesen Vorzug geben würde – so seid Ihr sehr kühn für einen Diener: Wie wißt Ihr denn, daß ich nicht diese eine bin?«

Gino stutzte. Er betrachtete die Gestalt der Redenden und verbeugte sich, indem er seine Mütze zog.

»Signora, ich weiß gar nichts von der Sache«, sagte er, »Ihr möget Seine Hoheit der Doge sein oder der Gesandte des Kaisers. Ich maße mir seit kurzem nicht mehr an, irgend etwas zu wissen in Venedig.«

Ginos Worte wurden durch den öffentlichen Gondoliere unterbrochen, der hastig eingetreten war und ihm auf die Schulter klopfte. Dann flüsterte er dem Diener Don Camillos ins Ohr: »Dies ist nicht der Augenblick, jemand abzuweisen. Laß die Fremde hinauf!«

Gino zögerte nicht länger. Mit der Entschiedenheit eines Lieblingsdieners drängte er den Kammerdiener beiseite und erbot sich, Gelsomina selber zu seinem Herrn zu führen. Als sie hinaufgingen, entfernten sich drei von den untern Bedienten.

Don Camillos Palast hatte einen Anstrich von mehr als venezianischer Düsterkeit. Die Zimmer waren spärlich erleuchtet, viele Wände waren ihrer kostbarsten Gemälde beraubt, und auch in anderer Beziehung konnte ein aufmerksames Auge Spuren von der Absicht des Eigentümers, hier nicht für immer wohnen zu bleiben, wahrnehmen. Diese Umstände bemerkte aber Gelsomina nicht, als sie dem Gondoliere durch die Gemächer bis in die innern Teile des Hauses folgte. Hier schloß der Gondoliere eine Tür auf und nötigte sie durch ein Zeichen einzutreten.

»Mein Gebieter«, sagte er, »empfängt Damen gewöhnlich hier. Belieben Exzellenz einzutreten, während ich gehe, ihm sein Glück zu melden.«

Gelsomina tat entschlossen, obgleich es ihr gewaltig auf das Herz fiel, als sie hinter sich den Schlüssel im Schlosse drehen hörte. Sie befand sich in einem Vorzimmer, und da das Licht, das durch die Tür eines anstoßenden Gemaches fiel, sie schließen ließ, daß sie weitergehen sollte, so trat sie hinein. Hier sah sie sich plötzlich einem andern Mädchen gegenüber.

»Annina!« rief das unerfahrene Mädchen vom Gefängnisse im ersten Erstaunen.

»Gelsomina! Ei, die stille, scheue, sittsame Gelsomina!« entgegnete die andere.

Anninas Worte ließen nur eine Auslegung zu. Gelsomina nahm die Maske ab, denn teils gekränktes Gefühl, teils Erstaunen drohten sie des Atems zu berauben.

»Du hier?« fügte sie hinzu, kaum wissend, was sie sagte.

»Du hier?« nahm Annina dasselbe Wort auf, mit dem Gelächter der Gefangenen, wenn sie die Unschuld zu ihrer eigenen Niedrigkeit herabgesunken glauben.

»Was mich betrifft, so führte mich Mitleid hierher.«

»Santa Maria! Da haben wir ja beide gleichen Zweck!«

»Annina! Ich weiß nicht, was du sagen willst! Ist denn dies der Palast Don Camillo Monfortes – eines edeln Neapolitaners, der auf einen Sitz im Senat Anspruch macht?«

»Der galanteste, hübscheste, reichste und unbeständigste Kavalier in Venedig. Wärst du schon tausendmal hier gewesen, du könntest nicht besser unterrichtet sein.«

Gelsomina hörte schaudernd diese Worte. Ihre schlaue Cousine, die ihren Charakter so vollkommen kannte, als nur immer das Laster die Unschuld kennen kann, beobachtete ihre farblosen Wangen und ihre sich zusammenziehenden Augen mit geheimem Triumphe. Im ersten Augenblick hatte sie alles, was sie zu verstehen gab, wirklich geglaubt, aber eine zweite Erwägung und der Anblick der sichtlichen Angst, in die das erschreckte Mädchen gestürzt war, gaben ihrem Argwohn eine neue Richtung.

»Aber ich sage dir ja nichts Neues«, fuhr sie schnell fort. »Es tut mir nur leid, daß du mich findest, wo du ohne Zweifel den Herzog von Sant‘ Agata selber anzutreffen erwartetest.«

»Annina! Das von dir!«

»Du kamst doch gewiß nicht nach seinem Palaste, um deine Cousine aufzusuchen!«

Gelsomina war mit dem Kummer lange vertraut gewesen, hatte aber nie bis diesen Augenblick die tiefe Demütigung der Schande gefühlt, Tränen brachen aus ihren Augen, und unfähig, sich aufrecht zu halten, sank sie in einen Sessel.

»Ich wollte dich nicht so unerträglich kränken«, setzte die schlaue Tochter des Weinhändlers hinzu. »Aber daß wir uns beide in dem Kabinett des galantesten Kavaliers von Venedig befinden, ist doch außer allem Zweifel.«

»Ich habe dir gesagt, daß Mitleid mit einem andern mich hierhergeführt hat.«

»Nu ja, Mitleid mit Don Camillo.«

»Mit einer edeln Dame – einer jungen, tugendhaften, schönen Frau – einer Tochter des Hauses Tiepolo – bedenke, Annina, des Hauses Tiepolo!«

»Wie sollte eine Tiepolo zu den Diensten eines Mädchens aus dem Staatsgefängnisse kommen?«

»Doch! Weil die droben ungerecht gewesen sind. Die Fischer haben einen Tumult gemacht, und die Dame mit ihrer Gouvernante sind durch die Aufwiegler befreit worden – und Seine Hoheit hat mit ihnen im großen Hofe gesprochen – und auf dem Kai waren die Dalmatier – und da konnte auch das Gefängnis Damen ihres Standes in so großer Not zum Zufluchtsort dienen – und die heilige Kirche selbst hat ihre Liebe gesegnet –«

Gelsomina konnte nicht weiterreden: Atemlos durch den Eifer, sich zu rechtfertigen, und bis in die Seele verwundet durch die seltsame Verlegenheit, in die sie geraten war, schluchzte sie laut. So unzusammenhängend ihre Rede auch gewesen war, so hatte sie doch genug gesagt, um Annina die Sache unzweifelhaft zu machen. Und diese begriff sogleich nicht nur den Auftrag ihrer Cousine, sondern auch die ganze Lage der Flüchtigen.

»Und du schenkst diesem Märchen Glauben, Gelsomina?« sagte sie, sich stellend, als ob sie ihrer Cousine Leichtgläubigkeit bedauerte. »Die den St.-Markus-Platz besuchen, wissen recht gut, wes Geistes Kinder deine Tiepolo und ihre Gouvernante sind.«

»Hättest du nur die Schönheit und Unschuld der Dame gesehen, Annina, du würdest nicht so reden.«

»Gelobter San Teodoro! Was ist schöner als das Laster! Es ist das wohlfeilste Kunststück des Teufels, um schwache Sünder zu betrügen. Wenn dir dein Beichtvater das noch nicht gesagt hat, Gelsomina, so nimmt er es eben nicht so genau mit guten Sitten als der meinige.«

»Aber weshalb sollte sich eine Frau von solcher Lebensart in das Gefängnis flüchten?«

»Gewiß hatten sie alle Ursache, sich vor den Dalmatiern zu fürchten. Aber ich kann dir noch mehr von denen sagen, die du aufgenommen hast zur größten Gefahr deines eigenen Rufes. Es gibt Weiber in Venedig, die ihr Geschlecht auf verschiedene Weise verunehren, und diese, hauptsächlich die sogenannte Florinde, sind berüchtigt wegen ihres Geschäfts, den Staat um seine Einkünfte zu bringen. Sie hat von dem Neapolitaner ein Geschenk an Weinen bekommen, die auf seinen kalabrischen Bergen wachsen, und da sie meine Ehrlichkeit zu verführen wünschte, so bot sie mir das Getränk an und bildete sich ein, daß eine Person wie ich ihre Pflicht vergessen und den Staat betrügen würde.«

»Das läßt sich schwer glauben, Annina.«

Weshalb sollte ich dich täuschen? Sind wir nicht Schwesterkinder, und obschon mich meine Geschäfte auf dem Lido deiner Gesellschaft viel entziehen, herrscht nicht natürliche Liebe zwischen uns? Ich führte Klage bei der Obrigkeit, auf die Weine ward Beschlag gelegt, und die angeblich adeligen Damen mußten sich eben heute verstecken. Man glaubt, sie wollen mit ihrem liederlichen Neapolitaner aus der Stadt fliehen. Genötigt, Zuflucht zu suchen, haben sie dich abgeschickt, ihm ihr Versteck anzuzeigen, damit er ihnen zu Hilfe kommen möge.«

»Und weshalb bist du hier, Annina?«

»Ich wundere mich, daß du das nicht eher gefragt hast. Gino, Don Camillos Gondoliere, hat mir lange vergeblich die Cour gemacht, und als sich diese Florinde beschwerte, daß ich, was doch jedes ehrliche Mädchen in Venedig tun müßte, ihren Betrug bei Gericht angezeigt hätte, riet er seinem Herrn, mich ergreifen zu lassen, teils aus Rache, teils in der eiteln Hoffnung, ich würde mich bewegen lassen, meine Klage zurückzunehmen. Du hast wohl schon gehört von der verwegenen Gewalttätigkeit dieser Kavaliere, wenn man ihrem Willen entgegenhandelt?«

Annina erzählte hierauf mit hinlänglicher Genauigkeit die Umstände ihrer Gefangennahme, nur das verheimlichend, was sie nicht sagen durfte, ohne sich zu verraten.

»Aber, Annina, es gibt doch eine Erbin von Tiepolo.«

»So gewiß, als es Cousinen gibt, wie wir sind. Santa Madre di Dio! Daß diese verräterischen, frechen Weiber auf solche Unschuld stoßen mußten, wie du bist! Sie hätten nur in meine Hände kommen sollen, denn obgleich ich für ihre List auch zu unwissend bin, so kenn ich doch schon ihren wahren Charakter.«

»Sie haben auch von dir gesprochen, Annina.«

Des Weinhändlers Tochter schoß einen Blick auf ihre Cousine wie die tückische Schlange auf einen Vogel. Aber sie verlor ihre Besonnenheit nicht und sagte: »Gewiß nicht zu meinen Gunsten. Es sollte mir leid tun, wenn solche Personen mich lobten!«

»Sie sind deine Freundinnen eben nicht, Annina.«

»Sie haben dir vielleicht gesagt, Kind, daß ich im Sold des Senats stände!«

»Das haben sie in der Tat.«

»Es wundert mich nicht. Dies unehrliche Gesindel kann sich nicht einbilden, daß man etwas bloß wegen des Gewissens tun könne. Aber da kommt der Neapolitaner. – Sieh nur den Liederjan an, Gelsomina, und du wirst ihn so sehr als ich verabscheuen.«

Die Tür ging auf, und Don Camillo Monforte trat ein. Es war ein Mißtrauen in seinem Benehmen, das schließen ließ, daß er eine List von Seiten des Rates der Dreimänner vermutete. Gelsomina erhob sich, und obgleich durch die Erzählung ihrer Cousine und die vorangehenden Eindrücke aufgeregt, stand sie doch während seines Herannahens da wie ein anmutiges Bild der Sittsamkeit. Der Neapolitaner ward von ihrer Schönheit und von ihrem einfachen Wesen sichtlich ergriffen, aber seine Stirn war gerunzelt wie die eines Mannes, der sein Inneres gegen alle Täuschung stählen will.

»Du wolltest mich sprechen?« fragte er.

»Ich hatte diesen Wunsch, edler Herr, aber – Annina –«

»Da du eine andere siehst, hast du deine Absicht geändert.«

»Ja, Signore.«

Don Camillo sah sie ernstlich und mit Bedauern an.

»Du bist jung für deinen Stand – hier ist Gold. Geh, wie du gekommen bist. Aber halt – kennst du diese Annina?«

»Sie ist meiner Mutter Schwestertochter, edler Duca!«

»Per Diana, eine würdige Verwandtschaft. Geht miteinander, denn ich bedarf keiner von beiden. Aber höre!« Hierbei faßte er Annina beim Arme und führte sie beiseite, wo er mit leiser, aber drohender Stimme fortfuhr: »Du siehst, daß ich mich so gut wie dein Senat furchtbar machen kann. Nicht über die Schwelle deines Vaters kannst du gehen, ohne daß ich es erfahre. Wenn du klug bist, so wirst du deine Zunge im Zaum halten. Tu, was du willst, ich fürchte dich nicht. Aber nimm dich in acht, wenn du klug bist.«

Annina machte eine tiefe Verbeugung, gleichsam die Weisheit seiner Mahnung anerkennend, nahm ihre halb bewußtlose Cousine beim Arm, verneigte sich abermals und eilte aus dem Zimmer. Da, wie die Diener wußten, ihr Herr in seinem Kabinett gewesen war, hielten sie es für unnötig, sich der Flucht der Damen zu widersetzen. Gelsomina, die noch ungeduldiger war als ihre verschmitzte Gefährtin, einem Orte zu entgehen, den sie für befleckend hielt, war fast ohne Atem, als sie die Gondel erreichte. Ihr Besitzer wartete auf der Treppe, und in einem Augenblicke entschwebte das Boot dem Hause, das beide Frauen, obgleich aus ganz verschiedenen Gründen, froh waren, verlassen zu dürfen.

Gelsomina hatte ihre Maske in der Eile vergessen, und die Gondel war nicht so bald im Canale Grande, als sie sich dem Fenster des Pavillons näherte, um ihr glühendes Antlitz in der frischen Abendluft zu kühlen. Da ward ihre Stirn von einem Finger berührt, und als sie sich wendete, bemerkte sie, daß der Gondoliere ihr ein Zeichen machte, vorsichtig zu sein. Dann lüftete er seine Maske ein wenig.

»Carlo!« wäre beinahe ihren Lippen entfahren. Aber ein zweites Zeichen verhinderte den Ausruf. Gelsomina zog ihren Kopf zurück, und sobald ihr klopfendes Herz zu pochen nachließ, senkte sie ihr Gesicht und flüsterte ein Dankgebet, daß sie sich in solchem Augenblick im Schutz eines Mannes fand, der ihr ganzes Vertrauen besaß.

Der Gondoliere fragte nicht, wohin er seine Fahrt richten solle. Das Boot lief dem Hafen zu, und beiden Frauen schien dies ganz natürlich. Annina vermutete nämlich, daß es zum Platze zurückkehre, wohin sie sich auch begeben hätte, wenn sie allein gewesen wäre, und Gelsomina, die ihren Carlo für einen Gondoliere vom Handwerk hielt, bildete sich demgemäß ein, daß er sie nach ihrer Wohnung zurückbringe.

Aber wenn der Unschuldige auch die Verachtung der Welt ertragen kann, so ist es viel härter für ihn, sich denen, die er liebt, verdächtig zu wissen, und es drängte sie, ihm alles zu erzählen. Unter dem Vorwande, daß sie frische Luft schöpfen wolle, ließ sie ihre Cousine allein unter dem Zelte, und Annina bedauerte dies ganz und gar nicht, denn es tat ihr not, über alle die Windungen des krummen Weges nachzudenken, den sie eingeschlagen hatte.

Gelsomina kam glücklich an der Kajüte vorbei zur Seite des Gondoliere.

»Carlo«, sagte sie, da sie merkte, daß er stillschweigend weiterruderte.

»Gelsomina?«

»Du denkst doch nichts Arges von mir?«

»Ich kenne deine schändliche Cousine und kann mir denken, daß sie dich zu ihrem Spielzeug macht.«

»Kanntest du mich nicht, Carlo, als ich dich von der Brücke rief?«

»Nein. Jedes Geschäft war mir willkommen, um nur die Zeit hinzubringen.«

»Warum nennst du Annina schändlich?«

»Weil es in Venedig kein hinterlistigeres Herz und keine falschere Zunge gibt.«

Gelsomina dachte an Donna Florindes Warnung. Begünstigt durch die Blutsverwandtschaft und das Vertrauen, das der Unerfahrene immer in die Redlichkeit seiner Freunde setzt, bis ihn einmal der Schaden enttäuscht, hatte Annina ihre Cousine leicht überreden können, daß ihre Gäste nichts taugten. Jetzt aber hörte sie einen Mann, der ihre ganze Liebe besaß, Annina selbst beschuldigen. In solcher Ungewißheit tat das in Verwirrung gebrachte Mädchen, was die Natur und ihr Gefühl geboten. Sie erzählte leise und schnell die Vorfälle des Abends und Anninas Erdichtung von dem Betragen der Frauen, die sie im Gefängnisse zurückgelassen hatte.

Jacopo hörte so aufmerksam zu, daß sein Ruder im Wasser hinschleppte.

»Genug«, sagte er, als Gelsomina vollendet hatte. »Ich verstehe alles. Traue deiner Cousine nicht, denn der Senat selbst ist nicht arglistiger.«

Der vorgebliche Carlo sprach mit Vorsicht, aber mit fester Stimme. Gelsomina verstand ihn, obgleich sie seine Worte in Erstaunen setzten, und ging wieder hinein zu Annina. Die Gondel setzte ihren Lauf fort, als wäre nichts geschehen.

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Jacopo kannte die Schliche venezianischer Hinterlist genau. Er wußte, daß der Rat mit Hilfe seiner Agenten immerwährend die im Auge behielt, an denen ihm etwas gelegen war, und verließ sich deshalb nicht allzusehr auf die Vorteile, die ihm die Umstände in den Weg geführt zu haben schienen. Annina hatte er zwar in seiner Gewalt, aber eine Gebärde, eine Miene im Vorüberfahren bei den Toren des Gefängnisses, ein Schrei konnte einige von den tausend Spionen der Polizei in Bewegung bringen. Daher war das nächste und wichtigste Geschäft, Annina an irgendeinem sicheren Orte unterzubringen. Zum Palaste Don Camillos zurückzukehren hätte geheißen, den Mietlingen des Senats in die Falle zu laufen. Freilich hatte der Neapolitaner, sich auf seinen Rang und Einfluß stützend, diesen Schritt schon einmal getan; allein, damals lag weniger daran, das Mädchen festzuhalten, da alles, was sie wußte, ohnehin schon verraten war, jetzt aber verhielt sich die Sache anders, weil sie den Beamten zur Auffindung der Flüchtlinge zu verhelfen imstande war.

Die Gondel setzte ihre Fahrt fort. Ein Palast nach dem andern blieb zurück, und Annina warf sich ungeduldig in das Fenster, um zu sehen, wie weit man gekommen wäre. Da sich das Boot mitten unter den Schiffen im Hafen befand, vermehrte sich ihre Unruhe sichtlich. Unter einem ähnlichen Vorwand wie zuvor Gelsomina verließ die Tochter des Weinhändlers den Pavillon und stahl sich an die Seite des Gondoliere.

»Ich wünsche sogleich bei dem Wassertore vom Palaste des Dogen gelandet zu werden«, sagte sie und ließ eine Silbermünze in die Hand des Gondoliere gleiten.

»Ihr sollt bedient werden, bella Donna. – Aber – Diamine! Ich wundere mich, daß ein so kluges Mädchen die Schätze, die jene Feluke enthält, nicht wittert.«

»Meinst du den Sorrentiner?«

»Welch anderer Padrone bringt so blumenreichen Wein nach dem Lido! Sei nicht so ungeduldig zu landen, Tochter des ehrlichen alten Maso, und schließe mit dem Schiffer einen Handel, daß wir Leute von den Kanälen was zu schmecken bekommen.«

»Wie, du kennst mich also?«

»Die hübsche Weinhändlerin vom Lido. Corpo di Bacco! Du bist so bekannt bei uns Gondolieri wie der Wasserdamm.«

»Warum bist du maskiert? Solltest du Luigi sein? Unmöglich.«

»Es kommt wenig darauf an, ob ich Luigi, Enrico oder Giorgio heiße, ich bin dein Kunde, und mir ist das kleinste Härchen deiner Augenbrauen wert. Du weißt, Annina, daß die jungen Patrizier ihre Späße haben, und sie lassen uns Gondolieri schwören, daß wir uns verborgen halten wollen, bis die Gefahr der Entdeckung vorüber ist. Wenn mir ein unberufenes Auge nachblickte, so könnte ich am Ende darüber befragt werden, wie ich die Frühstunden zugebracht hätte.«

»Mich dünkt, dein Patrizier hätte besser getan, dir Gold zu geben und dich sogleich nach Hause zu schicken.«

»Damit man mir nachkäme bis an meine Türe? Nein, nein, wenn sich mein Boot unter tausend andere gemischt haben wird, dann wird es Zeit sein, mich zu demaskieren. Nun, willst du zur >Bella Sorrentina‹?«

»Es bedarf ja der Frage nicht, da du von selbst dahin fährst.«

Der Gondoliere lachte und nickte, als wollte er seiner Gefährtin zu verstehen geben, daß er ihre geheimen Wünsche kenne. Annina war noch im Überlegen, auf welche Weise sie ihn bewegen sollte, seine Absicht zu ändern, als die Gondel schon die Feluke berührte.

»Wir wollen hinaufgehen und mit dem Padrone reden«, flüsterte Jacopo.

»Es wird nichts helfen. Er hat keinen Wein.«

»Trau ihm nicht. – Ich kenne den Mann mit seinen Ausflüchten.«

»Aber du vergissest meine Cousine.«

»Sie ist ein unschuldiges Kind, ohne allen Argwohn.«

Jacopo hob Annina, während er sprach, auf das Verdeck des Sorrentiner Schiffes, halb galant und halb gewaltsam; darauf sprang er ihr nach. Ohne Zögern, ohne sie ihre Gedanken sammeln zu lassen, führte er sie zur Treppe der Kajüte, und sie stieg hinunter, verwundert über sein Benehmen, aber fest entschlossen, ihre geheimen Sünden gegen das Zollrecht nicht vor einem Fremden zu verraten.

Stefano Milano schlief auf dem Verdeck in einem Segel. Eine Berührung weckte ihn, und ein Zeichen gab ihm zu verstehen, daß der vermeintliche Roderigo vor ihm stände.

»Bitte tausendmal um Verzeihung, Signore«, sagte der Seemann gähnend. »Ist die Ladung da?«

»Nur zum Teil. Ich habe dir eine gewisse Annina Tosti gebracht, die Tochter des alten Tommaso Tosti, eines Weinhändlers auf dem Lido.«

»Santa madre! Hält es der Senat der Mühe wert, solch eine Person heimlich aus der Stadt zu schicken?«

»Ja – und zwar legt er auf ihre Aufbewahrung großen Wert. Ich habe sie hergebracht, ohne daß sie meine Absicht merkte, und hab mich eines Weingeschäfts zum Vorwand bedient, um sie hinunterzubringen in die Kajüte. Unserer früheren Verabredung gemäß wird es nun deine Sache sein, dich ihrer Person zu versichern.«

»Das ist leicht gemacht«, erwiderte Stefano, indem er hinging und die Kajütentür zumachte und verriegelte. »Sie ist nun allein mit dem Muttergottesbilde und hat die schönste Gelegenheit, ihre Aves zu beten.«

»Es ist gut, wenn du sie so festhalten kannst. Jetzt aber ist es Zeit, die Anker zu lichten und mit der Feluke die Reihen der übrigen Schiffe zu verlassen.«

»Signore, in fünf Minuten sind wir damit fertig.«

»So tu es in aller Eile, denn von der Erledigung dieses wichtigen Geschäfts hängt viel ab. Ich werde bald wieder bei dir sein. Höre, Meister Stefano, nimm die Gefangene in acht, denn dem Senat liegt viel daran, daß sie sicher verwahrt sei.«

Der Kalabrese machte ein Zeichen, wie Verschmitzte pflegen, wenn sie andeuten wollen, daß man sich auf ihre Schlauheit verlassen könne. Während der angebliche Roderigo wieder in seine Gondel stieg, weckte Stefano seine Leute, und als die Gondel in den Kanal San Marco einlief, fielen schon die Segel der Feluke, und das kalabrische Schiff mit seinem niedrigen Deck stahl sich längs der Reihe der Fahrzeuge in das offene Wasser.

Die Gondel legte schnell bei der Treppe des Wassertores des Palastes an. Gelsomina ging unter den Bogen, schlich die Riesentreppe hinauf, denselben Weg, auf dem sie den Palast verlassen hatte. Der Hellebardier, der Wache stand, war noch derselbe. Er sagte ihr eine Galanterie und ließ sie ungehindert hinein.

»Schnell, edle Damen, schnell!« schrie Gelsomina, in das Zimmer stürzend, in dem Violetta und ihre Gefährtin sie erwarteten. »Ich habe durch meine Schwäche Eure Freiheit in Gefahr gebracht, und es ist kein Augenblick zu verlieren. Folgt mir, solang es noch Zeit ist, und gönnt Euch nicht die Muße, ein Gebet zu flüstern.«

»Du bist eilig und atemlos«, erwiderte Donna Florinde, »hast du den Herzog von Sant‘ Agata gesprochen?«

»Fragt mich nicht, folgt mir nur, edle Damen.«

Gelsomina ergriff die Lampe, und mit einem Blick, der ihre Gäste aufforderte, stillschweigend zu folgen, führte sie diese in die Korridore. Man kam sicher aus dem Gefängnisse und über die Seufzerbrücke, denn Gelsomina hatte die Schlüssel noch, und die Gesellschaft eilte die große Treppe des Palastes hinab zur offenen Galerie. Man legte ihnen kein Hindernis in den Weg, und so gelangten sie in den Hof, indem sie für Frauen galten, die in Geschäften ausgehen.

Am Wassertore wartete Jacopo. In weniger als einer Minute kreuzte seine Gondel den Hafen, dem Laufe der Feluke folgend, deren weißes Segel im Mondlicht sichtbar war, bald im Winde schwellend, bald schlaff an die Stangen schlagend, wenn sie die Schiffer anzogen, um die Schnelligkeit der Fahrt ein wenig zu vermindern. Gelsomina beobachtete mit angestrengter Aufmerksamkeit den Flug des Bootes, dann ging sie über die Brücke des Kais und zur gewöhnlichen Türe in das Gefängnis zurück.

»Hast du auch des alten Maso Tochter in sicherer Verwahrung?« fragte Jacopo, als er das Verdeck der »Bella Sorrentina« wieder erreicht hatte.

»Sie ist wie Ballast, der hin und her fährt, bald auf einer Seite der Kajüte, bald auf der andern, aber Ihr seht, der Riegel ist noch vor.«

»Gut, hier ist wieder ein Teil der Fracht – du hast doch die gehörigen Pässe für die Wachtgaleere?«

»Alles in bester Ordnung, Signore. Wann hat Stefane Milano in einer dringenden Angelegenheit je etwas versäumt? Diamine! Laßt den Wind kommen, und wenn uns der Senat wieder zurück haben wollte, alle seine Sbirren sollte er umsonst hinterdrein schicken.«

»Trefflicher Stefano! Geh mit vollen Segeln, denn unsere Herren sind aufmerksam auf dein Tun und legen Wert auf die größte Eile.«

Während der Kalabrese gehorchte, half Jacopo den beiden Frauen aus der Gondel, und im Augenblick schwangen sich die schweren Segel wie im Fluge empor, und die Blasen, die an den Seiten der »Bella Sorrentina« aufblinkten, verrieten ihren schnellen Lauf.

»Du hast edle Damen zu Passagieren«, sagte Jacopo zu dem Padrone, als dieser von der Arbeit, sein Schiff in Gang zu bringen, verschnaufte. »Obgleich die Klugheit verlangt, daß sie für einige Zeit die Stadt verlassen, so wirst du dir doch Gunst erwerben, wenn du dich ihnen aufmerksam erweisest.«

»Laßt mich nur sorgen, Signore Roderigo, aber vergeßt nicht, daß ich noch keine Instruktion zur Fahrt habe. Eine Feluke ohne Kurs ist so schlimm daran wie eine Eule im Sonnenschein.«

»Das wird sich finden. Es wird ein Offizier der Republik an Bord kommen und das mit dir abmachen. Diese Damen, wünsche ich, sollen nicht erfahren, daß eine Person wie Annina ihre Reisegefährtin ist, solang sie noch in der Nähe des Hafens sind, sie möchten sich sonst über Geringschätzung beklagen. Du verstehst, Stefane?«

»Cospetto, bin ich ein Narr? Ein Stümper? Wenn ich’s bin, warum gebraucht mich der Senat? Sie hören hier nichts von der Dirne, und die mag bleiben, wo sie ist. Solange die edlen Damen die Nachtluft hier oben zu atmen wünschen, sollen sie von ihrer Gesellschaft nicht belästigt werden.«

»Sei unbesorgt. Die Landbewohner haben kein Verlangen nach dem Dunst deiner Kajüte. Hast du den Lido hinter dir, so erwarte meine Ankunft, Stefano. Wenn du mich vor ein Uhr nicht wiedersiehst, so segle nach dem Hafen von Ankona, wo du weitere Anweisung erhalten wirst.«

Stefano, der von dem angeblichen Roderigo oft seine Instruktionen bekommen hatte, nickte bereitwillig, und sie trennten sich. Es ist kaum nötig, hinzuzufügen, daß die Flüchtlinge in Kenntnis gesetzt waren, wie sie sich zu benehmen hätten.

Jacopos Gondel war noch nie schneller geflogen als jetzt dem Lande zu. Bei der lebhaften Passage so vieler Fahrzeuge war die Bewegung eines einzelnen Bootes nicht leicht zu bemerken, und als er den Kai das Platzes erreichte, fand er, daß niemand auf seine Abfahrt und Ankunft geachtet habe. Dreist nahm er die Maske ab und landete. Es war beinahe die Zeit herangekommen, auf die er dem Don Camillo ein Rendezvous in der Piazza zugesagt hatte, und er ging langsam den kleineren Platz entlang nach dem Begegnungsorte.

Jacopo war, wie in einem früheren Kapitel erzählt worden, gewohnt, unweit der Granitsäulen in den ersten Stunden der Nacht auf und nieder zu gehen. Nach der allgemeinen Annahme wartete er auf Kundschaft in seinem blutigen Geschäft, so wie Leute von unschuldigerem Beruf auch ihren Stand an besuchteren Orten nehmen. Jeder, dem sein Ruf lieb war oder der den Schein vermeiden wollte, pflegte ihm, wenn er ihn dort sah, auszuweichen.

Der verfolgte und doch sonderbarerweise geduldete Bravo schritt auf seinem Wege langsam über die Felsen hin, denn er wollte nicht vor der verabredeten Zeit ankommen, als ihm ein Lakai ein Zettelchen in die Hand steckte und sich davonmachte, so schnell ihn die Beine tragen wollten. Wir haben schon früher gesehen, daß Jacopo nicht lesen konnte, denn man hielt Leute seines Standes damals geflissentlich in der Unwissenheit. Er wendete sich daher an den ersten Vorübergehenden, der ihm fähig schien, seinen Wunsch zu erfüllen, und bat diesen um die Gefälligkeit, die Schriftzüge ihm zu erklären.

Er hatte seine Bitte an einen ehrlichen Krämer aus einem entfernten Stadtviertel gerichtet. Der Mann nahm das Blatt und fing gutmütig an, den Inhalt zu lesen: »Ich bin abgerufen worden und kann dich nicht treffen, Jacopo!« Bei dem Namen Jacopo ließ der Handelsmann das Blatt fallen und entfloh.

Der Bravo ging langsam wieder zurück nach dem Kai, über den widerwärtigen Zufall nachsinnend, der seine Pläne durchkreuzte. Da ward sein Arm berührt, und als er sich umdrehte, stand eine Maske ihm gegenüber.

»Du bist Jacopo Frontoni?« fragte der Fremde.

»Der bin ich.«

»Deine Faust ist bereit, einem anderen getreulich zu dienen, nicht wahr?«

»Ich pflege Wort zu halten.«

»Gut, du wirst hundert Zechinen in diesem Beutel finden.«

»Wessen Leben verlangt Ihr für dies Gold?« fragte Jacopo mit gedämpfter Stimme.

»Don Camillo Monfortes.«

»Don Camillo Monforte?«

»Ja, kennst du den reichen Edelmann?«

»Ihr bezeichnet ihn so gut, Signore, er würde seinem Barbier ebensoviel für einen Aderlaß zahlen.«

»Führe deine Tat gut aus, so soll der Lohn verdoppelt werden.«

»Um sicher zu sein, muß ich Euren Namen wissen. Ich kenn Euch nicht, Signore.«

Der Fremde sah sich vorsichtig um, dann lüftete er die Maske ein wenig, und es zeigte sich das Gesicht Giacomo Gradenigos.

»Reicht diese Bürgschaft hin?«

»Ja, Signore. Wann soll die Tat geschehen?«

»In dieser Nacht, ja noch in dieser Stunde.«

»Soll ich einen Mann seines Standes in seinem Palaste mitten unter seinen Freunden treffen?«

»Tritt hierher, Jacopo, so sollst du mehr erfahren. Hast du eine Maske?«

Der Bravo bejahte.

»So umwölbe dein Gesicht, das nicht in der besten Gunst hier steht, und begib dich in dein Boot. Ich komme nach.«

Der junge Patrizier, dessen Gestalt durch seinen Anzug unkenntlich gemacht war, verließ seinen Gefährten mit der Absicht, ihn wieder zu treffen, wo seine Person nicht geahnt werden könnte. Jacopo trieb sein Boot aus dem Gewirr des Kais hinaus in den Raum zwischen den Schiffsreihen, dann ruderte er nicht weiter, darauf rechnend, daß man ihn beobachte und ihm folgen werde. Er schloß richtig, denn in wenigen Augenblicken flog eine Gondel dicht an die Seite der seinigen, und zwei Masken stiegen aus dem fremden Boot in das des Bravo, ohne zu reden.

»Nach dem Lido«, sagte eine Stimme, in der Jacopo die eines neuen Kunden erkannte.

Jacopo gehorchte, und Giacomos Boot folgte in einer kleinen Entfernung. Als sie außerhalb der Reihen waren und demnach nicht mehr in Gefahr, behorcht zu werden, verließen die beiden Passagiere die Kajüte und machten dem Bravo ein Zeichen, nicht weiterzurudern.

»Du willst also den Dienst übernehmen, Jacopo Frontoni?« fragte der ruchlose Sohn des alten Senators.

»Soll ich den Herrn mitten in seinen Vergnügungen niederstoßen, Signore?«

»Das ist nicht nötig. Wir haben Mittel gefunden, ihn aus seinem Palaste zu locken, und er ist in deiner Gewalt ohne andere Verteidigung als seinen eigenen Arm und Mut. Willst du das Geschäft übernehmen?«

»Gern, Signore – es macht mir Freude, einem Tapferen entgegenzutreten.«

»Da wirst du zufrieden sein. Der Neapolitaner ist mir in die Quere gekommen in meiner – soll ich sagen Liebe, Hosea? Oder hast du ein besseres Wort?«

»Gerechter Daniel! Signore Giacomo, Ihr habt keine Achtung für Reputation und Sicherheit! Ich seh gar nicht ein, warum man ihn gerade stechen soll zu Tode, Signore Jacopo, eine tüchtige Wunde, die dem Herzog die Ehestandsgedanken wenigstens auf einige Zeit aus dem Kopf brächte und Bußgedanken an deren Stelle, wäre besser.«

»Stoß ihm ins Herz!« fiel Giacomo ein. »Nur um der Sicherheit deines Stoßes willen hab ich gerade dich aufgesucht.«

»Das ist wucherische Rache, Signore Giacomo«, versetzte der minder entschlossene Jude. »Es wird mehr als hinreichend sein für unseren Zweck, wenn wir den Neapolitaner zwingen, einen Monat lang das Haus zu hüten.«

»Ins Grab mit ihm. Hörst du, Jacopo, hundert Zechinen für den Stoß, hundert für die Gewißheit, daß er tief geht, und hundert, daß die Leiche im Canale Orfano so versunken liege, daß das Wasser das Geheimnis nicht wieder zurückgibt.«

»Wenn das erste und zweite durchaus geschehen muß, so wird das dritte kluge Vorsicht sein«, murmelte der Jude, der ein behutsamer Schurke war und immer Beimittel vorzog, die die Last seines Gewissens ein wenig leichter machten. »Wollt Ihr’s nicht wagen, junger Herr, auf eine tüchtige Wunde?«

»Nicht eine Zechine. Das würde nur dem Mädchen die Phantasie mit Mitleid und Hoffnung erhitzen. Nimmst du die Bedingungen an, Jacopo?«

»Ja.«

»So rudere zum Lido. Unter den Gräbern der Verbannten wirst du Don Camillo noch in dieser Stunde antreffen. Ein erdichteter Brief von der Dame, der wir beide nachgehen, hat ihn getäuscht, und er wird allein sein, weil er auf Flucht denkt. Diese wirst du auch, hoff ich, beschleunigen, wenigstens für den Neapolitaner. Verstehst du mich?«

»Vollkommen, Signore.«

»Genug, du kennst mich, und dein Lohn wird von der Art abhängen, in der du mir dienst. Hosea, unser Geschäft ist aus.«

Giacomo Gradenigo machte seiner Gondel ein Zeichen, sich zu nähern; er ließ einen Beutel fallen, der das Mietgeld für das blutige Geschäft enthielt, und stieg ein, mit der Gleichgültigkeit eines Menschen, der daran gewöhnt ist, solche Mittel zur Erreichung seines Zweckes für erlaubt zu halten. Nicht so Hosea, er war mehr Schurke als Bösewicht. Die Erhaltung seines Darlehns und die Aussicht auf eine noch größere, ihm von Vater und Sohn zugesicherte Summe, wenn Giacomo in der Bewerbung um Violetta Glück hätte, waren eine zu unwiderstehliche Lockung für einen Mann, der, zeitlebens von seinen Mitmenschen verachtet, sich bei dem meuchelmörderischen Plan damit tröstete, daß er ihm zu jenen Lebensgenüssen verhelfen würde, nach denen Christen und Juden auf gleiche Weise Verlangen tragen. Dennoch erstarrte ihm das Blut, daß Giacomo die Sache so weit treiben wolle, und er lauerte, dem Bravo noch ein leises Wort beim Abschiede zu sagen.

»Du hast den Ruf für ein sicheres Stilett, ehrlicher Jacopo. Eine Faust wie die deinige muß ebensogut bloß verstümmeln als töten können. Versetze einen wackeren Stoß dem Neapolitaner, aber sein Leben schone.«

»Du vergissest das Gold, Hosea!«

»Vater Abraham! Was bekomm ich in meinen alten Tagen für ein schwach Gedächtnis! Du hast recht, achtsamer Jacopo, das Geld soll gezahlt werden auf jeden Fall – das heißt, wenn nur so gemacht wird die Sache, daß mein junger Freund bekommt sein reiches Mädchen.«

Jacopo machte ein Zeichen der Ungeduld, denn er sah eben einen Gondoliere schnell einem gesonderten Orte des Lido zufahren. Der Jude lief seinem Gefährten nach, und das Boot des Bravo schoß fort. Es dauerte nicht lange, so hielt es an dem Strande des Lido. Mit schnellen Schritten eilte Jacopo demselben Begräbnisplatze zu, auf dem er dem nämlichen Manne, den er jetzt zu morden abgeschickt war, seine Bekenntnisse gemacht hatte.

»Bist du gesendet, mich hier zu treffen?« fragte jemand, der sich hinter dem Sandhügel erhob, vorsichtigerweise aber seinen Degen vorhielt.

»Ja, Herr Herzog«, entgegnete der Bravo, die Maske abnehmend.

»Jacopo! Das ist besser, als ich hoffen konnte! Hast du Nachrichten von meinem Weibe?«

»Kommt mit, Don Camillo, Ihr sollt sogleich bei ihr sein.«

Einer weiteren Unterredung bedurfte es nicht bei solchem Versprechen. Erst als beide in Jacopos Gondel und auf dem Wege nach einer von den Passagen des Lido waren, die dem Golf zuführt, fing der Bravo zu erzählen an. Er war schnell damit fertig und vergaß auch nicht Giacomo Gradenigos Anschlag gegen das Leben seines Zuhörers.

Die Feluke, die schon vorher von den Polizeibeamten selber mit dem erforderlichen Passe versehen worden war, hatte den Hafen mit leichtem Segel auf demselben Wege verlassen, der die Gondel jetzt in das Adriatische Meer führte. Das Wasser war still, der Landwind frisch, kurz, alle Umstände den Flüchtigen günstig. Donna Violetta und ihre Gouvernante standen an einen Mast gelehnt und beobachteten ungeduldig die fernen Kuppeln und die nächtliche Schönheit Venedigs. Gelegentlich drangen von den Kanälen Musiktöne bis zu ihren Ohren, und es war natürlich, daß Schwermut Violettas Seele erfüllte, da sie befürchtete, zum letzten Male diese Klänge ihrer Geburtsstadt zu hören. Aber reine Freude verdrängte jeden Kummer aus ihrem Gemüt, als Don Camillo aus der Gondel sprang und sie triumphierend an sein Herz drückte.

Stefano Milano war leicht überredet, die Dienste des Senats mit denen seines Lehnsherrn zu vertauschen. Die Versprechungen und Befehle des letzteren waren an sich hinlänglich, ihn mit diesem Tausche zu befreunden, und alle waren überzeugt, daß man keine Zeit verlieren dürfe. Die Feluke breitete ihr Segel bald dem Winde dar und entflog dem Strande. Jacopo ließ seine Gondel eine Seemeile weit bugsieren, ehe er wieder einstieg.

»Ihr steuert nach Ankona, Signore Don Camillo«, sagte der Bravo, an die Seite der Feluke gelehnt, sich schwer zum Scheiden entschließend, »begebt Euch sogleich unter den Schutz des Kardinalsekretärs. Wenn Stefano auf der See bliebe, könnte er leicht auf die Galeeren des Senats stoßen.«

»Verlaß dich auf uns. – Aber du, Jacopo – was soll aus dir werden in ihren Händen?«

»Seid unbesorgt um mich, Signore. Gott verhängt über alle, wie er für Recht findet. Ich habe Ew. Exzellenz gesagt, daß ich Venedig noch nicht verlassen kann. Wenn mir das Glück günstig ist, so bekomm ich vielleicht noch Euer starkes Schloß Sant‘ Agata zu sehen.«

»Keiner wird willkommener sein in seinen sicheren Mauern. Aber ich hab große Besorgnis um dich, Jacopo!«

»Signore, denkt daran nicht. Ich bin an Gefahren gewöhnt und an Elend und – an Hoffnungslosigkeit. Signora, mögen Euch die Heiligen behüten und Gott, der über allen ist, Euch vor Leid bewahren!«

Er küßte Donna Violettas Hand, die ihm, nur halb bekannt mit seinen Dienstleistungen, verwundert zuhörte.

»Don Camillo Monforte«, fuhr er fort, »traut Venedig niemals wieder. Laßt Euch durch keine Versprechungen, keine Aussichten, kein Verlangen, Eure Ehrenstellen und Reichtümer zu vermehren, jemals verleiten, Euch in ihre Gewalt zu geben. Niemand kennt die Falschheit dieses Staates besser als ich, und meine letzten Worte ermahnen Euch zur Vorsicht.«

»Du sprichst, als sollten wir uns nicht wiedersehen, Jacopo?«

Der Bravo wendete sich ab, und das Mondlicht fiel auf sein Antlitz. Ein Lächeln der Schwermut und ein inniges Wohlgefallen an dem Glück der Liebenden mischten sich in diesen Zügen mit einer Vorahnung seines eigenen Schicksals.