Neuntes Kapitel

Neuntes Kapitel

Wir haben gesehen, daß die zur Wettfahrt bestimmten Gondeln an den Ort des Auslaufs bugsiert wurden, damit die Gondolieri den Kampf mit unverringerten Kräften beginnen könnten. Bei dieser Vorsichtsmaßregel hatte man auch den halbbekleideten Fischer nicht vergessen und auch sein Boot mit an die größeren Barken befestigt, denen dies Geschäft oblag. Nun aber, als er den Kanal entlang, an den vollgedrängten Balkonen und ächzenden Schiffen, die ihn auf beiden Seiten säumten, vorüberkam, erhob sich ein verspottendes Gelächter.

Dem alten Manne entgingen die Bemerkungen nicht, die über ihn gemacht wurden.

Er schaute sehnsüchtig umher und schien in jedem Auge, dem er begegnete, ein wenig von dem Mitleid zu suchen, danach noch sein gedrücktes Herz begehrte. Aber selbst seine Handwerksgenossen ließen ihn Spottreden hören, und obgleich er vielleicht der einzige war von allen Bewerbern, dessen Ehrbegier ein trefflicher Beweggrund rechtfertigte, so galt er doch allen für die beste Zielscheibe ihres Witzes.

Die Bewegung der Boote brachte den maskierten Schiffer neben den bespöttelten Alten.

»Du bist nicht der Liebling der Menge bei diesem Kampfe«, bemerkte der erstere, als sich eine neue Flut von Spötteleien über seinen Nachbar ergoß. »Du warst nicht sorgfältig genug in deinem Anzug. Denn diese Stadt liebt die Pracht, und wer ihren Beifall begehrt, muß nicht auf den Kanälen so erscheinen mit den Spuren der Armseligkeit in seinem Äußeren.«

»O, ich kenne sie, ich kenne sie!« entgegnete der Fischer. »Sie überheben sich in ihrem Stolz und denken schlecht von jedem, der ihre Eitelkeit nicht mitmachen kann.«

»Du hättest dir die Sache besser bedenken sollen, ehe du dich so vieler Kränkung aussetztest. Wenn du unterliegst, so wird dich das Volk nicht mit größerer Schonung behandeln.«

»Mich hat eine schwere Trübsal betroffen, und vielleicht trägt dieser Wettlauf dazu bei, die Last meines Kummers zu vermindern. Ich kann nicht sagen, daß ich all dies Gelächter und diese verächtlichen Reden anhöre, wie man dem Abendwinde auf den Lagunen horcht – denn ein Mensch bleibt ein Mensch, und wenn er unter den Ärmsten lebt und sein Unterhalt der kümmerlichste ist. Aber lasset es gut sein, St. Antonio wird mir Kraft geben, es zu ertragen.«

»Du hast einen wackern Sinn, Fischer, und ich wollte gern auch meinen Patron bitten, deinen Arm zu kräftigen, wenn ich nicht selber des Sieges sehr benötigt wäre. Willst du dich aber mit dem zweiten Preise begnügen, wenn ich dich durch irgendeine Praktik in deiner Anstrengung begünstigen kann? – Denn das Metall des dritten Preises wird dir, denk ich, ebensowenig behagen als mir.«

»Was mich betrifft, so zähl ich weder auf Gold noch Silber.«

»Kann es bloß die Ehre des Kampfes sein, wonach ein so alter Mann trachtet?«

Der Greis sah seinen Gefährten ernst an, schüttelte dann aber, ohne zu antworten, den Kopf. Neue Späße auf seine Kosten bewogen ihn, sich nach den Spottvögeln umzuschauen, und er sah, daß sie eben bei einer Schar seiner eigenen Kameraden von den Lagunen vorüberkamen, die sich einzubilden schienen, daß sein unverzeihliches Streben auf die Ehre ihres ganzen Standes gewissermaßen ein schlechtes Licht würfe.

»Heda, alter Antonio«, rief der Dreisteste des Haufens, »bist du nicht zufrieden, daß du mit dem Netze Dank gewonnen hast, und willst noch ein goldnes Ruder um den Hals haben?«

»Wir werden ihn noch im Senate sitzen sehen!« schrie ein zweiter.

»Wir werden den edeln Admiral Antonio im Buzentaur daherfahren sehen mit den Edeln des Landes«, fügte ein dritter hinzu.

Ihrem Witz folgte immer ein wieherndes Gelächter. Selbst die Schönen auf den Balkonen wurden mit angesteckt durch das unaufhörliche Gespött und durch das so augenscheinliche Mißverhältnis zwischen dem Zustande und den Mitteln des seltsamen Bewerbers um den Sieg bei der Regatta. Das Vorhaben des alten Mannes fing schon an schwankend zu werden, aber ein innerer Trieb schien ihn zu nötigen und zu kräftigen, daß er standhielt.

Sein Nebenmann beobachtete mit Aufmerksamkeit den wechselnden Ausdruck eines Gesichtes, das nicht genug an Verstellung gewöhnt war, um innere Gefühle zu verbergen; und als sie sich dem Orte des Auslaufs näherten, begann er von neuem: »Noch hast du Zeit, dich zurückzuziehen! Warum sollte sich ein Mann von deinen Jahren die wenige Zeit, die ihm noch vergönnt ist, verbittern lassen durch den Spott seiner Kameraden, der nicht enden wird, solang er lebt?«

»Sankt Antonius hat ein größeres Wunder getan, als er die Fische heraufkommen hieß, um seine Predigt anzuhören, darum will auch ich nicht Feigheit verraten in einem Augenblick, wo es Entschlossenheit gilt.«

Der maskierte Schiffer bekreuzigte sich fromm, und da er nicht mehr hoffte, jenen zu bereden, daß er von seinem vergeblichen Bemühen abstehe, so richtete er alle seine Gedanken auf seinen eigenen Vorteil in dem bevorstehenden Kampfe.

Der Canale Grande, wenn man seine Windungen einrechnet, ist über eine halbe Meile lang. Man nahm daher zu dem Wettfahren nur etwa die Hälfte seiner Länge und bestimmte zum Punkte des Auslaufs den Rialto. Dort wurden alle Gondeln hingebracht, in Begleitung derer, die sie ordnen sollten.

»Gino von Kalabrien«, rief der ordnende Marschall. »Du stellst dich zur Rechten auf. Sankt Januarius geleite dich!«

Don Camillos Diener ergriff sein Ruder, und sein Boot glitt zierlich an den angewiesenen Platz.

»Du bist der nächste, Enrico von Fusina. Ruf deinen Schutzpatron von Padua nur wacker an und sei sparsam mit deiner Kraft. Denn noch hat keiner vom Festland je einen Preis gewonnen in Venedig.«

Darauf nannte er der Reihe nach alle, deren Namen wir nicht angeführt haben, und ließ sie nebeneinander mitten im Kanal aufstellen.

»Hier ist dein Platz, Signore!« fuhr der Marschall fort, sich dem unbekannten Gondoliere zuneigend. Denn auch er hatte den Eindruck bekommen, daß sich hinter der Maske das Gesicht eines jungen Patriziers berge, der dem Einfalle einer launischen Schönen willfahre. »Der Zufall hat dir die äußerste linke Seite bestimmt.« »Du hast vergessen, den Fischer aufzurufen«, bemerkte der Maskierte, während er seine Gondel in die angewiesene Lage brachte.

»Besteht der grauköpfige Narr noch darauf, seine Eitelkeit und seine Lumpen vor den Besten Venedigs zur Schau zu stellen?«

»Ich kann den Nachtrab bilden«, erwiderte Antonio geduldig.

»Mögen die in der Linie bleiben, für die es sich nicht schickt, sich einem Menschen, wie ich bin, zuzugesellen. Ein paar Stöße mit dem Ruder mehr oder weniger können bei einer so langen Fahrt wenig austragen.«

»Es würde besser sein, wenn du so bescheiden als anspruchslos wärest und zurückbliebest.«

»Wenn’s Euch beliebt, Signore, will ich lieber versuchen, was der heilige Antonius für einen alten Mann tun mag, der abends und morgens seit sechzig Jahren zu ihm gebetet hat.«

»Es ist dein Recht, und da du zufrieden damit scheinst, so behalte deinen Platz im Nachzuge. Du hast ihn so nur einige Augenblicke früher, als du ihn sonst gehabt haben würdest. Erinnert euch jetzt an die Regeln des Kampfes und rufet eure Schutzheiligen noch einmal an. Kein Ausfahren, noch andere schlechte Mittel dürfen angewendet werden, es gilt nichts als flinke Ruder und hurtiges Gelenk. Wer unnütz aus der Linie weicht, ehe er an der Spitze ist, soll beim Namen zurückgerufen werden, und wer schuldig befunden wird, das Spiel irgendwie gestört oder die Patrizier auf andere Weise erzürnt zu haben, soll angehalten und außerdem bestraft werden. – Haltet euch bereit zum Signale.«

Der Spielgehilfe, der sich in einem stark bemannten Boote befand, fuhr ein wenig zurück, während Eilboote, ähnlich ausgerüstet, voranflogen, die Neugierigen vom Wasser zu vertreiben. Kaum waren diese Vorbereitungen gemacht, so flatterte vom nächsten Dome ein Zeichen, ein ähnliches erschien alsbald auf dem Campanile, und vom Arsenal ward eine Kanone gelöst. Ein dumpfes, unterdrücktes Murmeln erhob sich unter der Menge, und eine erwartungsvolle Pause folgte.

Jeder Gondoliere hatte die Seite seines Bootes ein wenig dem linken Ufer des Kanals zugewendet, wie der Jockei zu tun pflegt mit seinem Renner, um dessen Feuer zurückzuhalten oder seine Aufmerksamkeit zu zerstreuen. Aber der erste lange und breite Schwung des Ruders brachte sie alle wieder in eine Linie, und in einem Zuge flogen sie dahin.

Während der ersten paar Minuten war in der Geschwindigkeit der Gondeln kein Unterschied, und der Kundige konnte aus keinerlei Wahrzeichen auf den mutmaßlichen Erfolg schließen. Die zehn, die die Vorderreihe bildeten, durchstrichen die Flut mit gleichförmiger Schnelligkeit einer neben dem anderen, als hielte sie eine geheime Kraft zusammen, während die anspruchslose, aber ebenfalls leichte Barke des Fischers im Nachzuge blieb. Bald gewann ein jeder Gewalt über sein Fahrzeug. Die Ruder bewegten sich im richtigen Gleichgewicht und weitesten Schwünge, und die Handgelenke ihrer Führer wurden geschmeidig. Nun begann die Linie zu schwanken. Sie wallte hin und her, indem ein flimmerndes Schiffsvorderteil dem andern zuvorstrebte; da gewann das Ganze eine andere Gestalt. Enrico von Fusina war der vorderste, und nach dem Vorrecht dieses Gewinns trieb er unmerklich der Mitte des Kanals zu und vermied durch diesen Wechsel die Kreiswellen und sonstigen Hindernisse des Ufers.

Dies Manöver, in der Kunstsprache das »Gewinnen des Gleises«, brachte ihm außerdem den Vorteil, daß die von seiner Gondel zurückgeworfenen Wellen seinen Hintermann ein wenig hinderten. Zunächst kam der starke und gewandte Bartolomeo vom Lido, wie ihn seine Kameraden nannten, und schlug eine solche Bahn hinter seinem Vordermanne ein, daß ihm die Rückwirkung von dessen Ruder keinen Schaden tat. Bald schoß auch Don Camillos Diener aus der Reihe hervor, und man sah ihn weiter zur Rechten, aber ein wenig hinter Bartolomeo seine Arme kräftig rühren. In der Mitte des Kanals, und möglichst dicht hinter dem Schiffer vom Festlande, folgte ein geschlossener Haufen ohne viel Ordnung und mit wechselndem Vorteil, in dem einer den andern zum Ausweichen zwang oder auf andere Weise die Schwierigkeit der Fahrt vermehrte. Weiter zur Linken und den Häusern so nah, daß er nur eben Raum genug für die Bewegung seines Ruders hatte, fuhr der maskierte Mitkämpfer, dessen Eile durch eine verborgene Ursache gehemmt schien, denn er blieb hinter allen anderen zurück, und endlich war eine Entfernung von einigen Bootslängen zwischen ihm und den ungenannten Mitkämpfern. Doch bewegte er seine Arme mit Ausdauer und mit hinlänglicher Geschicklichkeit. Da ihm sein geheimnisvolles Auftreten Teilnahme erweckt hatte, so lief ein Gerücht den Kanal entlang, daß der junge Kavalier in der Wahl des Bootes unglücklich gewesen sei. Andere flüsterten von der Tollheit, sich als Adliger der Kränkung auszusetzen durch eine Konkurrenz mit solchen Leuten, die ihre Sehnen in täglicher Arbeit gehärtet haben und durch Übung imstande sind, jeden Vorteil der Fahrt recht und schnell zu benutzen. Wenn sich aber die Augen der Zuschauer von dem Haufen der vorbeieilenden Boote der einsamen Barke des Fischers zuwendeten, die allein hinten nachkam, so verwandelte sich die Verwunderung wieder in Spott.

Männlich, wenn auch innerlich bekümmert, ertrug Antonio alle Sticheleien, bis er sich dem Platze näherte, den seine Kameraden eingenommen hatten. Von diesem Augenblick an verminderte sich das Geschrei gegen den Fischer, und als der Buzentaur nun sichtbar wurde, obgleich noch entfernt, verschlang das Interesse am Ausgange des Kampfes jede andere Regung.

Enrico war noch an der Spitze, aber die Kenner der Gondolierekunst entdeckten schon Zeichen von Erschöpfung an seinem schwankenden Ruder. Der Schiffer vom Lido war hart hinter ihm, und der Kalabrese kam fast in eine Linie mit beiden. In diesem Augenblick entwickelte auch der maskierte Mitkämpfer eine Kraft und Geschicklichkeit, die niemand bei einem Manne von seinem vermeinten Stande erwartet hätte. Sein Körper legte sich mehr in die Kraft des Ruders, sein Bein war zur Unterstützung des Stoßes rückwärts gestemmt und bot den Augen der Beschauer eine muskulöse Fülle und ein Ebenmaß dar, daß sich ein Beifallsgemurmel rings erhob. Bald zeigte sich der Erfolg. Seine Gondel glitt an den anderen in der Mitte des Kanals Rudernden vorüber, und er wurde der vierte im Zuge. Kaum hatte die Menge, ihn dafür zu belohnen, einen Beifallsruf erhoben, als ein neues, ganz unerwartetes Schauspiel ihre Bewunderung auf sich zog.

Antonio nämlich, seinen eigenen Anstrengungen jetzt mehr überlassen und minder von Verachtung und Spott gequält, hatte sich dem Haufen seiner ungenannten Kampfgenossen bald genähert. Unter diesen sah man Gondolieri, die sich auf den Kanälen von Venedig berühmt gemacht hatten und auf deren Geschicklichkeit und Körperkraft die Stadt stolz war. Ob nun begünstigt durch seine einsame Stellung oder frei von den Hindernissen, die jene sich selber bereiteten, genug, man sah den verachteten Fischer ihnen zur Linken heraufkommen mit einem kräftigen Schwung des Ruders, der weiteren Erfolg verhieß. Bald erfüllte sich die Erwartung. Er überholte sie alle unter einem regungslosen, bewundernden Schweigen der Zuschauer und ward jetzt der fünfte im Zuge.

Von nun an war alles Interesse an der größeren Masse der Boote verloren, und jedes Auge wendete sich den Vordersten zu, unter denen der Wetteifer mit jedem Ruderschlag zunahm, während der Ausgang einen neuen zweifelhaften Charakter zu gewinnen schien. Die Anstrengungen des Schiffers von Fusina schienen sich zu verdoppeln, ohne daß sein Boot darum geschwinder ging. Bartolomeos Gondel schoß an ihm vorbei. Diesem folgten Gino und der maskierte Gondoliere, während kein Laut die Teilnahme der Zuschauer verriet, die sich kaum zu atmen getrauten. Als aber auch Antonios Boot vorbeiflog, da erhob sich ein Brausen von Stimmen, wie wenn in einer großen Menge die Stimmung ihrer wunderlichen Laune plötzlich und gewaltsam wechselt. Enrico war rasend über sein Mißgeschick. Er strengte mit verzweifelter Heftigkeit alle Kraft seines Körpers an, um die Schande von sich abzuwenden; dann aber warf er sich auf den Boden seiner Gondel und raufte sein Haar, in tödlicher Wut weinend. Die Nachgeblieben waren, folgten seinem Beispiele, aber mit größerer Fassung, indem sie seitwärts unter die Boote schlüpften, die den Kanal säumten, und sich nicht weiter blicken ließen.

Dieses offene und unerwartete Aufgeben des Kampfes zeigte den Zuschauern, wie verzweifelt es stand. Aber da man mit einem verunglückten Preisbewerber nicht viel Mitleid zu haben pflegt, so waren die Besiegten bald vergessen. Bartolomeos Name ward von tausend Stimmen hoch in die Lüfte getragen, und seine Kameraden von der Piazetta und dem Lido schrien ihm laut zu, für die Ehre ihrer Kunst zu sterben. Der kräftige Gondoliere entsprach ihren Wünschen: Palast auf Palast blieb dahinten, und die Boote befanden sich in demselben Verhältnisse ihrer Stellung gegeneinander. Aber wie sein Vorgänger verdoppelte der jetzige Vordermann seine Anstrengung mit verringertem Erfolge, und Venedig erfuhr die Kränkung, einen Fremden an der Spitze einer der glänzendsten Regatten zu sehen. Denn kaum hatte Bartolomeo seinen Platz aufgegeben, so schoß ihm Gino vorüber, dann der Maskierte und zuletzt der verachtete Fischer; er, der bisher der erste gewesen war, blieb nun der letzte. Er gab aber den Kampf nicht auf, sondern fuhr fort, mit einer Anstrengung zu rudern, die ein besseres Glück verdient hätte.

Als die Gondelreihe diese ganz unerwartete und neue Gestalt gewonnen hatte, war doch immer noch eine beträchtliche Strecke bis zu dem Ziele. Gino war voran, und manch günstiges Zeichen verhieß, daß er seinen Vorteil würde behaupten können. Der Zuruf der Menge ermutigte ihn, denn sie hatten jetzt vergessen, daß er ein Kalabrese war, und viele von den Dienstleuten seines Herrn riefen ihn anfeuernd bei Namen. Es half aber alles nichts. Der Maskierte verwandte jetzt erst seine ganze Kunst und Stärke auf sein Ruder. Die fügsame Gondel gehorchte und schoß unter den Zurufen, das sich von der Piazetta bis zum Rialto fortpflanzte, an die Spitze der übrigen.

Wie glücklicher Erfolg Kraft gibt und die geistige und körperliche Tätigkeit stärkt, so hat das Unterliegen die entgegengesetzte, traurige Wirkung. Don Camillos Diener machte keine Ausnahme von dieser Regel, und als sein maskierter Mitbewerber an ihm vorbeiflog, folgte diesem auch Antonios Boot, als würde es durch dieselben Ruderstöße getrieben. Nun schien sich sogar die Entfernung zwischen den beiden vordersten Gondeln zu verringern, und schon erwarteten alle mit atemloser Teilnahme, den Fischer trotz seiner Jahre und seines Bootes voraneilen zu sehen.

Diese Erwartung aber ward getäuscht. Dem Maskierten, wie groß auch die Anstrengung war, schien Arbeit ein Spiel, so flink zeigte sich sein Ruder, so sicher sein Stoß, so kräftig sein Arm. Aber Antonio war auch kein verächtlicher Gegner. Wenngleich seine Stellungen weniger die Zierlichkeit eines geübten Gondoliere erreichten als die seines Nebenmannes, so war doch die Kraft seiner Sehnen nicht erschlafft. Sie hielten bis zuletzt aus, denn sie waren durch sechzig Jahre unausgesetzter Arbeit gehärtet, und indem sich seine athletische Gestalt der äußersten Anstrengung hingab, merkte man kein Nachlassen seiner Rüstigkeit.

Die vordersten Gondeln waren in wenigen Augenblicken um ein paar Bootslängen von den übrigen voraus. Der dunkle Schnabel des Fischerbootes hing dicht am Hinterteil der glänzenden Gondel, die sein Gegner führte; mehr aber war nicht zu erreichen. Vor ihnen lag der Hafen offen, und immer in demselben Verhältnis der Entfernung voneinander flogen sie an Kirche, Palast, Barke und Feluke vorüber. Der maskierte Bootsmann warf einen Blick zurück, als wollte er seinen Vorteil berechnen. Dann beugte er sich wieder seinem Ruder zu und sagte gerade so laut, daß ihn nur der hören konnte, der dicht hinter ihm war: »Ich habe mich in dir getäuscht, Fischer. Du bist kräftiger, als ich dachte.«

»Wenn meine Arme noch kräftig sind, so ist doch mein Herz kindisch und kummervoll«, erwiderte der Fischer.

»Liegt dir soviel an einem goldenen Tand? Du bist der zweite, sei zufrieden mit deinem Glücke.«

»Das hilft mir nichts. Ich muß der Vorderste sein, oder ich habe meine alten Knochen umsonst angestrengt.«

Dieses kurze Gespräch wurde mit einer Leichtigkeit geführt, die hinlänglich bewies, wie beide an heftige Körperanstrengungen gewöhnt waren, und mit einer Festigkeit der Stimme, die wenigen anderen in diesem Augenblicke möglich gewesen wäre. Der Maskierte schwieg, aber sein Vorsatz schien wankend zu werden.

Der Fischer strengte seinen Körper aufs äußerste an und gewann einen Vorsprung. Ein Ruderstoß machte das Boot bis in die Mitte erzittern. Dann flog die Gondel zwischen die beiden Barken des Ziels, und die Fähnchen, die den Siegespunkt bezeichneten, fielen ins Wasser. Man merkte dies kaum, als auch schon des Maskierten glänzendes Boot vor den Augen der Richter vorbeischoß, so daß sie einen Augenblick in Zweifel waren, wer gesiegt habe. Gino blieb nicht lange zurück, und nach ihm kam Bartolomeo, als der vierte und letzte in der vollkommensten Wettfahrt, die man je auf den Wassern in Venedig gesehen hatte.

Als die Fähnchen fielen, hielt jeder der Zuschauer voll Erwartung den Atem an. Wenige wußten, wer gesiegt habe, so nahe waren die Kämpfer aneinander gewesen. Ein Trompetenzeichen gebot Ruhe, und ein Herold rief nun öffentlich aus, daß Antonio, ein Fischer von den Lagunen, mit Hilfe seines Schutzpatrons vom wunderbaren Fischzug den goldenen Preis davongetragen habe, während einem maskierten Schiffer, der sich der Obhut des heiligen Johannes von der Wüste anvertraut habe, der silberne Preis zugefallen sei, der dritte aber dem Kalabresen Gino, einem Diener Don Camillo Monfortes, des Herzogs von Sant‘ Agata, eines Herrn vieler Besitztümer in Neapel.

Dieser feierlichen Bekanntmachung folgte zuerst eine Grabesstille. Darauf erhob sich der laute Jubelruf der Menge, der Antonios Namen zu den Wolken trug, als würde der Sieg eines großen Helden gefeiert. Alle Verachtung war über seinen Triumph vergessen. Die Fischer von den Lagunen, die noch kürzlich ihren alten Kameraden mit Schimpf überhäuft hatten, priesen jetzt seinen Ruhm mit einem Eifer, wie es immer der Preis eines glücklichen Erfolges war und immer sein wird. Zehntausend Stimmen erhoben sich, seine Geschicklichkeit und seinen Sieg zu rühmen. Jung und alt, die Schönen, die Stutzer, die Edeln, die, die Zechinen gewannen, und die, die verloren: alle bemühten sich, einen Blick des alten Mannes zu erhaschen, der so unerwartet diesen Wechsel der Empfindung in den Gemütern der Menge hervorgerufen hatte.

Antonio trug seinen Triumph bescheiden. Als seine Gondel das Ziel erreicht hatte, hielt er sie an, ohne, wie sonst zu geschehen pflegt, ein Zeichen von Erschöpfung zu verraten. Er blieb stehen, obgleich das mächtige Wogen seiner breiten, gebräunten Brust bewies, daß er seinen Kräften das Äußerste geboten hatte.

Seine Züge arbeiteten, und eine brennende Träne lief über jede seiner rauhen Backen. Dann atmete der Fischer freier.

Auch der maskierte Gondoliere verriet kein Zeichen von Entkräftung. Seine Knie bebten nicht, seine Hände hielten das Ruder noch fest, und seine sichere Stellung ließ die natürliche Vollkommenheit seiner Gestalt bemerken. Gino und Bartolomeo aber sanken in ihre Boote zurück, sowie sie das Ziel nacheinander erreichten. Diese berühmten Gondolieri waren beide so erschöpft, daß einige Augenblicke vergingen, ehe sie zum Reden Atem gewannen. Während dieser augenblicklichen Pause drückten die Zuschauer dem Sieger ihren Beifall durch den anhaltendsten und lautesten Zuruf aus. Kaum erstarb das Getöse, so forderte ein Herold Antonio, den maskierten Schiffer und Gino vor den Dogen, von dessen Hand sie die verheißenen Preise der Regatta empfangen sollten.

Sechstes Kapitel

Sechstes Kapitel

»Hast du den bemerkt, der eben von mir ging?« fragte Signore Gradenigo eifrig.

»O ja!« »Hinlänglich, um seine Gestalt und seine Züge wiederzuerkennen?«

»Es war ein Fischer von den Lagunen, namens Antonio.«

Der Senator ließ seinen ausgestreckten Arm sinken und sah den Bravo mit einem Blick an, in dem sich Erstaunen und Bewunderung mischten. Er fuhr fort, das Zimmer auf und nieder zu gehen, während der andere auf sein Geheiß wartete. So gingen ein paar Minuten hin.

»Du hast ein scharfes Auge, Jacopo«, hob der Patrizier nach dieser Pause wieder an. »Hast du mit dem Mann zu tun gehabt?«

»Niemals.«

»Und du weißt gewiß, daß es –«

»Ew. Exzellenz‘ Milchbruder ist.«

»Ich hab nicht gefragt, ob du von seiner Jugend und von seiner Geburt weißt, sondern von seinen gegenwärtigen Umständen«, sagte Signore Gradenigo und wandte sich ab, sein Gesicht vor dem brennenden Blicke Jacopos zu verbergen. »Hat ihn dir irgendein Mann von Bedeutung bezeichnet?«

»Nein! Mein Beruf hat mit Fischern nichts zu tun!«

»Unsere Schuldigkeit, junger Mann, kann uns noch in niedrigere Gesellschaft führen. Wer die schwere Last des Staates auf seinen Schultern hat, muß nicht die Beschaffenheit dessen, was er trägt, ansehen. Wie ist dir dieser Antonio bekannt geworden?«

»Ich hab ihn als einen Mann kennengelernt, den seine Kameraden schätzen, der sein Gewerbe versteht und sehr gewandt ist in den Kunststücken der Lagunen.«

»Du meinst, er ist ein Schmuggler?«

»Durchaus nicht. Er arbeitet viel zuviel von früh bis spät, um von was anderem zu leben als von seinem Gewerbe.«

»Du weißt, Jacopo, wie streng unsere Gesetze in bezug auf die Steuern sind.«

»Ich weiß, daß die Gerechtigkeit San Marcos nirgends leise auftritt, wo der eigene Vorteil angetastet wird.«

»Du bist nicht aufgefordert, über diesen Punkt Betrachtungen zu machen. Jener Mann pflegt um das Wohlwollen seiner Kameraden zu buhlen und seine Stimme zu erheben in Dingen, darüber nur seine Obern richtig urteilen können.«

»Signore, er ist alt, und das Alter löst die Zunge.«

»Das ist nicht Antonios Fall. Die Natur hat ihn nicht stiefmütterlich behandelt. Wären seine Geburt und seine Erziehung seinen Fähigkeiten angemessen, so würde er im Senat gern gehört worden sein. – Jetzt aber fürchte ich, er schwatzt sich um seine eigene Ruhe.«

»Freilich, wenn er spricht, was San Marcos Ohr nicht gern hört.«

Ein lebhafter, mißtrauischer Blick des Senators traf den Bravo, als wollte er den wahren Sinn seiner Worte ergründen. Da aber der Senator den gewohnten Ausdruck von Selbstbeherrschung in den Zügen fand, die er durchforschte, nahm er wieder das Wort und stellte sich so, als wäre ihm nichts aufgefallen.

»Wenn er, wie du sagst, dergleichen spricht, was die Republik gefährdet, so haben ihn seine Jahre nicht besonnen gemacht. Der Mann ist mir lieb, Jacopo! Man ist gewöhnlich eingenommen für die, die dieselbe Brust genährt hat.«

»O ja, Signore.«

»Und da meine Schwachheit für ihn so groß ist, so wünschte ich, daß man ihn zur Vorsicht ermahnte. Du kennst ohne Zweifel seine Ansichten über die neuliche dringende Maßregel, alle jungen Leute von den Lagunen zum Dienst in den Flotten des Staates einzustellen?«

»Ich weiß, daß ihm die Aushebung den Jungen, der in seiner Gesellschaft arbeitete, entrissen hat.«

»Um ehrenvoll, und vielleicht nicht ohne Gewinn, für das Wohl der Republik zu arbeiten.«

»Möglich, Signore.«

»Du bist heute abend kurz in deinen Reden, Jacopo! Wenn du aber den Fischer kennst, so ermahne ihn zur Behutsamkeit. San Marco duldet die dreisten Ansichten seiner Klugheit nicht. Es ist schon das dritte Mal, daß man diesen Fischer wegen seines Vorwitzes hat tadeln müssen; die väterliche Fürsorge des Senats darf nicht Mißvergnügen in den Gemütern einer Klasse sich einnisten lassen, die er seiner Pflicht gemäß und mit Freuden beglücken möchte. Suche Gelegenheit, ihn diese ersprießliche Wahrheit hören zu lassen. Ich möchte wirklich nicht gern, daß ein Unglück den Sohn meiner alten Amme besonders in seinen letzten Jahren beträfe.«

Der Bravo beugte seine Gestalt zum Zeichen, daß er den Auftrag übernehme, während Signore Gradenigo im Zimmer auf und nieder ging, aufrichtige Teilnahme in seiner Haltung verratend.

»Du hast gehört von dem Rechtsspruch in Sachen des Genuesen?« hob er wieder an, nachdem ihm eine neue Pause Zeit gegeben hatte, seine Gedanken anderswohin zu lenken. »Die Tribunale haben schnell entschieden, und obgleich eine Mißhelligkeit zwischen den beiden Staaten bevorzustehen scheint, wird die Welt nun sehen, wie streng dennoch auf unseren Inseln Gerechtigkeit geübt wird. Ich vernehme, man wird dem Genueser ansehnliche Geldbußen auferlegen, und einige von unseren eigenen Bürgern werden um große Summen gestraft werden.«

»So hab ich auch seit Sonnenuntergang auf der Piazetta gehört, Signore!«

»Und sprechen die Leute nicht von unserer Unparteilichkeit und mehr noch von unserer Schnelligkeit? Bedenk doch, Jacopo, es sind erst acht Tage, daß die Sache vor den Senat gebracht wurde.«

»Keiner zweifelt an der Schnelligkeit, mit der die Republik Beleidigungen ahndet.«

»Noch an der Gerechtigkeit, will ich hoffen, lieber Jacopo! Es ist eine solche Schönheit und ein solches Ebenmaß in den Bewegungen der Staatsmaschine bei unserer Verfassung, daß der Beifall der Menschen uns zuteil werden muß. Die Gerechtigkeit hilft den Bedürfnissen der Gesellschaft ab und zähmt die Leidenschaften mit einer so stillen und würdigen Kraft, als kämen ihre Beschlüsse vom Himmel herab. Also haben die Maskierten heute von der Rechtlichkeit unseres letzten Dekrets gesprochen?«

»Signore! Die Venezianer sind kühn, wenn Gelegenheit da ist, ihre Herren zu loben.«

»Meinst du, Jacopo? Mir scheinen sie immer geneigter, ihr aufrührerisches Mißbehagen zu äußern. Aber es ist den Menschen eigen, karg im Lob und im Tadel ausschweifend zu sein. Das Dekret des Tribunals muß im Gespräch bleiben, nicht bloß die bare Gerechtigkeit gelobt werden. Unsere Freunde sollten in den Kaffeehäusern und auf dem Lido viel darüber sprechen. Sie brauchen nichts zu fürchten, wenn sie dabei ihre Zungen ein wenig gehenlassen.«

»Freilich, Signore!«

»Ich rechne auf dich und deine Kameraden, daß die Sache nicht zu schnell vergessen werde. Die Erwägung von solchen Handlungen wie diesen muß in der öffentlichen Meinung die verborgene Saat der Tugenden zeitigen. Wer immerfort Exempel der Rechtlichkeit vor Augen hat, muß diese Eigenschaft am Ende lieben lernen. Der Genuese, hoffe ich, wird zufrieden abreisen?«

»Ohne Zweifel, Signore! Ihm ward alles, was einen Gekränkten zufriedenstellen kann, sein Eigentum mit Wucher zurück und Rache an seinen Beleidigern.«

»Ja, so lautet das Dekret, vollständige Ersatzleistung und Zuchtstrafe. Wenige Staaten würden so gegen ihren eigenen Vorteil erkennen, Jacopo!«

»Geht denn die Sache des Kaufmanns den Staat an, Signore?«

»Als seines Bürgers, freilich! Wer seine eigenen Glieder kasteiet, leidet doch. Wer kann sich von seinem eigenen Fleisch scheiden ohne Betrübnis? Sag, Bursch?«

»Es gibt Nerven, die empfindlich gegen Berührung sind, Signore, und ein Auge oder ein Zahn ist kostbar, aber ein beschnittener Nagel oder ein ausgefallenes Haar ist nicht von Belang.«

»Wer dich nicht kennt, Jacopo, sollte meinen, du stehest im Interesse des Kaisers. Es fällt kein Sperling vom Dache in Venedig, ohne daß die väterlichen Gefühle des Senats den Verlust beklagten. Genug. Geht unter den Juden noch immer das Gerede von einer Abnahme des Goldes? Zechinen sind freilich nicht mehr so in Überfluß da wie früher, und die Prellerei dieser Klasse sieht das nicht ungern, in Hoffnung größeren Gewinns.«

»Ich habe neuerlich Gesichter auf dem Rialto gesehen, die nach leeren Börsen schmecken. Die Christen scheinen ängstlich und in Not, während die Ungläubigen ihre Kittel mit zufriedeneren Mienen als sonst tragen.«

»Man hat das erwartet. Macht das Gerücht irgendeinen Juden namhaft, der jungen Adeligen Geld auf Wucherzinsen zu leihen pflegt?«

»Zu der Klasse können alle gezählt werden, die was zu verleihen haben; die ganze Synagoge, Rabbiner und alles ist dabei, wenn es sich um christliche Geldbeutel handelt.«

»Du liebst die Juden nicht, Jacopo, aber sie leisten doch der Republik gute Dienste. Wir zählen alle zu unsern Freunden, die im Notfall mit ihrem Geld zur Hand sind. Doch soll die junge Blüte Venedigs ihr Vermögen nicht in unvorsichtigem Handel vergeuden, und wenn du von einigen Vornehmen hörst, die recht in ihren Klauen stecken, so wirst du wohltun, die Beaufsichtiger des Gemeinwohls davon zu unterrichten. Wir müssen behutsam mit denen umgehen, die den Staat stützen helfen, aber wir müssen auch vorsichtig mit denen umgehen, die ihn nun bald ausmachen sollen. Hast du mir in der Art nichts zu sagen?«

»Man spricht davon, daß Signore Giacomo ihre Gunst am allerteuersten bezahlt.«

»Jesus, Maria! Mein Sohn und Erbe! Betrügst du mich nicht, Mensch, um deinen eigenen Haß gegen die Hebräer zu befriedigen?«

»Ich hege gegen dies Volk sonst keine Bosheit als nur einen heilsamen christlichen Widerwillen. Soviel, denk ich, muß einem frommen Mann erlaubt sein, außerdem aber hasse ich keinen Menschen. Es ist allbekannt, daß Euer Sohn mit seinem dereinstigen Vermögen etwas frei schaltet und es zu einem Preise hingibt, wie geringere Aussichten ihm nur auferlegen könnten.«

»Das ist wichtig! Der Junge muß so schnell als möglich an die übeln Folgen erinnert werden, und man muß Sorge tragen, daß er künftig vorsichtiger sei. Der Jude soll bestraft werden zum feierlichen Exempel für das ganze Volk, und die Schuld soll einbehalten werden zum Besten des Schuldners. Wenn sie dies Beispiel vor Augen haben, werden die Schurken nicht so bereitwillig sein mit ihren Zechinen. Großer San Teodoro, es wäre Selbstmord, wenn man einen jungen Mann von solchen Erwartungen durch einen Mangel an Vorsicht zugrunde gehen ließe. Ich will mir selber die Sache als eine besondere Pflicht angelegen sein lassen, und der Senat soll nicht sagen können, daß ich seine Interessen vernachlässige. Hast du neuerlich Beschäftigung gehabt in deinem Beruf als Rächer von Privatbeleidigungen?«

»Nichts von Bedeutung – es sucht jemand meine Hilfe eifrig nach, aber ich weiß noch nicht vollständig, was er wünscht.«

»Dein Geschäft ist von zarter Natur und heischt Vertrauen; sein Ertrag aber, wie du wohl weißt, ist gewichtig und sicher.« Er sah die Augen des Bravo funkeln und hielt unwillkürlich inne. Bald aber herrschte wieder jene merkwürdige Ruhe auf Jacopos bleichem Gesichte, und der Redner fuhr fort, als hätte keine Unterbrechung stattgefunden. »Ich wiederhole es dir, der Staat wird bei seiner Belohnung Milde nicht vergessen. Im Punkte der Gerechtigkeit ist er unerschütterlich streng, aber im Verzeihen herzlich und freigebig in seinen Gunsterweisungen. Ich hab mir viel Mühe gegeben, dir diese Tatsachen zu beweisen, Jacopo. Aber du hast mir den nicht genannt, der so ernstlich um dich wirbt.«

»Da ich seinen Handel noch nicht kenne, wird es gut sein, Signore, ehe ich etwas Weiteres tue, zu erfahren, was er wünscht.«

»Diese Zurückhaltung ist am unrechten Ort. Du brauchst der Klugheit der Staatsbeamten nicht zu mißtrauen, und es sollte mir leid tun, wenn die Inquisitoren eine üble Meinung von deinem Eifer bekämen. Jenes Individuum muß namhaft gemacht werden.«

»Ich klage ihn nicht an. Alles, was ich sagen kann, ist, daß er Lust hat, sich heimlich mit jemandem einzulassen, mit dem sich einzulassen fast ein Verbrechen ist.«

»Ein Verbrechen verhüten ist besser, als es bestrafen. Du wirst mir den Namen deines Korrespondenten nicht vorenthalten!«

»Nun denn, es ist ein edler Neapolitaner, der sich wegen wichtiger Angelegenheiten und wegen des Anrechts auf einen Sitz im Senat seit einiger Zeit hier in Venedig aufhält.«

»Ah! Don Camillo Monforte! Hab ich recht, Bursche?«

»Allerdings, Signore.«

Es erfolgte eine Pause, nur unterbrochen durch die Turmuhr vom großen Platze, die elf schlug, die vierte Stunde der Nacht nach italienischer Weise. Der Senator fuhr auf, sah auf eine Uhr seines Zimmers und sagte darauf: »Es ist gut. Deiner Aufrichtigkeit und Pünktlichkeit soll gedacht werden. Sieh nach dem Fischer Antonio. Man muß nicht zugeben, daß das Murren des alten Mannes Mißfallen erwecke um eine solche Kleinigkeit, daß man seinen Enkel von einer Gondel zu einer Galeere versetzt hat. Besonders aber beobachte die Gerüchte auf dem Rialto. Der Glanz und das Ansehen eines adligen Namens sollen nicht wanken um einiger Jugendverirrungen willen. Aber dieser Fremde – geschwind deine Maske und deinen Mantel – gehe aus dem Hause, als wärst du nur ein Freund, der die müßigen Spielereien dieser Tageszeit mitmacht.«

Der Bravo verhüllte sich mit der Gewandtheit, die ihm die lange Übung gab, aber mit einer Ruhe, die sich nicht so leicht aus ihrer Haltung bringen ließ als die des Senators. Dieser sagte nichts weiter, aber ein ungeduldiger Wink seiner Hand bedeutete Jacopo, sich eilig zu entfernen.

Als sich die Tür geschlossen hatte und Signore Gradenigo allein war, sah er noch einmal nach der Uhr, fuhr mit der Hand langsam und nachdenkend über seine Stirn und ging wieder auf und ab. Beinahe eine Stunde dauerte diese Übung ohne äußere Unterbrechung fort. Da ward leise an die Tür geklopft, und nach dem gewöhnlichen Hereinruf erschien ein anderer dicht maskierter Mann, wie denn dies allgemeiner Gebrauch zu jener Zeit in Venedig war. Der Senator schien seinen Gast an der Gestalt zu erkennen und empfing ihn wie einen Erwarteten und mit zierlichem Anstand.

»Der Besuch Don Camillo Monfortes ist mir eine Ehre«, sagte er, während dieser Mantel und Maske abstreifte. »Ihr kommt aber so spät, daß ich schon dachte, irgendein Zufall hätte mich des Vergnügens beraubt, Euch zu sehen.«

»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, edler Senator, jedoch die Furcht, Euch die kostbare Zeit zu früh zu rauben, hat mich verspätet.«

»Pünktlichkeit ist nicht das größte Verdienst der vornehmen Herren in Unteritalien«, erwiderte Signore Gradenigo trocken. »Die jungen Leute sind so darauf erpicht zu leben, daß sie darüber die Minuten vergessen, die ihnen entwischen. Wir Alten lassen es uns hauptsächlich angelegen sein, die Versäumnisse der Jugend einzubringen. Wir wollen aber nicht verschwenderischer mit den Augenblicken umgehen, als nötig ist. – Können wir von dem Spanier bessere Ansicht der Sache erwarten?«

»Ich habe nichts versäumt, was irgend auf einen vernünftigen Mann wirken kann, besonders habe ich ihm vorgestellt, welche Vorteile ihm die Achtung des Senats gewähren würde.«

»Daran habt Ihr klug getan, Signore, sowohl in Rücksicht auf seine als auf Eure. Der Senat ist denen, die ihm dienen, ein freigebiger Zahlmeister und denen, die dem Staate schaden, ein furchtbarer Feind. Ich hoffe, die Sache wegen der Sukzession ist ihrem Schlusse nahe.«

»Ich wünschte, daß man dies sagen könnte. Ich liege dem Tribunal an mit allem erforderlichen Eifer und versäume keine Pflicht persönlicher Aufwartung und Bitte um Verwendung. Es gibt keinen gelehrteren Doktor von Padua als meinen Anwalt, und doch zieht sich die Sache hin wie in einem Schwindsüchtigen das Leben. Wenn ich mich nicht als würdiger Sohn des heiligen Marco in dieser Angelegenheit mit dem Spanier erwiesen habe, so liegt die Schuld an meinem Mangel an Übung in politischen Verhandlungen, ist aber nicht auf meinen Eifer zu schieben.«

»Die Waagschalen der Gerechtigkeit müssen sehr gleich abgewogen sein, daß keine weder fallen noch steigen will. Ihr müßt noch ferneren Fleiß anwenden, Don Camillo, und Euch mit großer Behutsamkeit die Gunst der Patrizier gewinnen. Es wird gut sein, durch fernere Dienstleistungen bei dem Gesandten Eure Anhänglichkeit an den Staat kenntlich zu machen. Man weiß, daß Ihr in seiner Achtung steht und daß ihn Eure Ratschläge zu bestimmen vermögen. Es sollte auch einen so wohlgesinnten und hochherzigen jungen Mann der Gedanke zu Anstrengungen befeuern, daß er, dem Vaterlande dienend, die Sache der Menschheit überhaupt fördert.«

Von der Richtigkeit der letzteren Bemerkung schien Don Camillo nicht sehr überzeugt zu sein. Indessen verbeugte er sich, des Senators Ansicht höflich zugebend.

»Es ist angenehm, Signore, solche Überzeugung zu haben«, sagte er. »Mein Verwandter aus Kastilien ist ein Mann, der Vernunft annimmt, möge sie kommen, woher sie wolle. Er begegnete meinen Argumenten zwar mit einigen Anspielungen auf die abnehmende Macht der Republik, doch bemerkte ich in ihm deshalb nicht eine Verringerung seiner Ehrfurcht vor dem Einflusse eines Staates, der sich solange durch seine Tatkraft ausgezeichnet hat.«

»Venedig, Signore Duca, ist nicht mehr das, was die Inselstadt ehedem war, aber ohnmächtig ist sie noch nicht. Die Flügel unsers Löwen sind ein wenig beschnitten, aber noch springt er weit, und seine Zähne sind gefährlich. Wenn der neue Fürst seine herzogliche Krone fest haben will auf seinem Kopfe, wird er wohltun, sich die Anerkennung seines nächsten Nachbarn zu erwerben.«

»Das ist einleuchtend, und das wenige, was mein Einfluß bei der Sache vermag, soll nicht unterbleiben. Nun aber möchte ich von Eurer Freundschaft Rat erbitten, was ich für meine eigenen, lange vernachlässigten Rechte tun soll.«

»Ihr werdet wohltun, Don Camillo, die Senatoren durch öftere Beobachtung der Höflichkeit, die Ihr ihrem und Euerm Range schuldig seid, an Euch zu erinnern.«

»Das vernachlässige ich nie, da es mein Stand und meine Angelegenheit auf gleiche Weise mir zum Gesetz machen.«

»Man soll auch die Richter nicht vergessen, junger Mann, denn es ist klug, zu bedenken, daß die Gerechtigkeit ein Ohr für Bitten hat.«

»Es kann niemand eifriger diese Pflicht erfüllen als ich, und ich gebe auch allen, denen ich mit meinem Gesuche zur Last fallen muß, die handgreiflichsten Beweise meiner Achtung.«

»Besonders eifrig müßt Ihr es Euch aber angelegen sein lassen, die Achtung des Senats zu verdienen. Dieser Körper übersieht keinen dem Staate geleisteten Dienst, und die geringste Tat für dessen Vorteil wird den beiden Ratskollegien kund.«

»Könnt ich nur mit diesen ehrwürdigen Vätern zusammenkommen! Ich glaube, die Gerechtigkeit meiner Ansprüche würde bald selber ihr Recht geltend machen.«

»Nein, das geht nicht«, erwiderte der Senator ernst. »Diese erhabenen Körperschaften halten ihre Sitzungen geheim, damit sich nicht Ihre Majestät, mit gemeinen Interessen zusammentreffend, beflecke. Gleich der unsichtbaren Macht des Geistes über den Leib regieren sie und bilden die Seele des Staates, deren Sitz gleich dem der Vernunft im Menschen allem Scharfsinn verborgen bleibt.«

»Ich muß mein Verlangen hier als einen bloßen Wunsch ansehen, nicht als etwas, was ich zu erreichen Aussicht hätte«, erwiderte der Herzog von Sant‘ Agata und hüllte sich wieder in Mantel und Maske, die er beide nicht ganz abgelegt hatte. »Lebt wohl, edler Herr, ich werde nicht aufhören, dem Kastilianer fleißig Rat zu erteilen. Dafür gebe ich meine Angelegenheit der Gerechtigkeit der Patrizier und Eurer Freundschaft anheim.«

Signore Gradenigo geleitete seinen Gast mit Verbeugungen bis in das äußerste Zimmer, wo er ihn der Sorgfalt seines Hauswarts überließ.

»Man muß den Gang des Gesetzes hemmen, um den jungen Mann zu größerer Emsigkeit in dieser Sache zu treiben. Wer die Gunst des heiligen Marco nachsucht, muß sie durch Eifer für sein Bestes verdienen.«

Diese Betrachtung machte Signore Gradenigo, langsam nach seinem Gemache zurückgehend, sobald er im äußeren Zimmer von seinem Gaste förmlich Abschied genommen hatte. Er schloß die Tür und fing wieder an, die kleine Stube zu durchmessen, mit dem Schritte und Auge eines Mannes, der sorglich allerhand bedenkt. Nach einem Weilchen tiefer Stille wurde eine Tapetentür vorsichtig geöffnet, und das Gesicht eines anderen Besuchers erschien.

»Nur herein!« sagte der Senator, ohne Überraschung zu verraten. »Die Stunde ist schon vorbei, ich habe auf dich gewartet.«

Das herabfließende Kleid, der graue, ehrwürdige Bart, die edel geformten Züge, das schnelle, lauernde Auge und ein Ausdruck von Weltklugheit machten einen Juden vom Rialto kenntlich.

»Nur herein, Hosea, entlaste dein Gewissen«, fuhr der Senator im Tone eines gewohnten Verkehres fort. »Gibt es etwas Neues, was das öffentliche Wohl betrifft?«

»Gesegnet ist das Volk, für das ein so väterliches Auge wacht! Kann der Republik, edler Signore, widerfahren Gutes oder Böses, ohne daß der Senat gerührt fühle sein Herz, gleichwie der Vater sorgt um sein Kind. Glücklich ist das Land, wo Männer von ehrwürdigem Alter und grauen Haaren die Nacht zum Tage machen und vergessen alle Müdigkeit, um dem Staate Gutes und Ehre zu bereiten.«

»Du liebst die morgendländischen Bilder aus dem Lande deiner Väter, guter Hosea, und vergissest, daß du jetzt nicht auf den Stufen des Tempels wachst. Was hat der Tag Wichtiges gebracht?«

»Sagt lieber die Nacht, Signore! Denn es ist heute nichts Erhebliches vorgefallen, daß Ihr es anhört, außer eine Sache von einiger geringer Bedeutung, die hervorging aus dem Treiben des Abends.«

»Sind Stilette auf der Brücke geschäftig gewesen?«

»Es ist niemand verbrecherisch umgekommen. Ich verrichte eben mein Gebet, bevor ich niederlegte mein Haupt, als ein Bote vom Rate mir brachte einen Juwel, um das Wappen zu entziffern und die anderen Symbole des Besitzers. Es ist ein Ring mit den gewöhnlichen Kennzeichen, die eine geheime Anvertrauung begleiten.«

»Hast du den Siegelring?« sagte der Senator, die Hand ausstreckend.

»Hier ist er, und es ist ein gutes Steinchen, ein teurer Türkis.«

»Wo kommt er her, warum hat man ihn dir geschickt?«

»Er kommt, Signore, wie ich mehr entnehme aus Winken und Andeutungen des Boten als aus seinen Worten, von einem Orte, der jenem gleicht, woraus entkam der gottselige Daniel.«

»Du meinst den Löwenrachen?«

»So sagen unsere heiligen Schriften, Signore, in Ansehung des Propheten, und so schien anzudeuten der Bote des Rates in Ansehung des Ringes.«

»Hier ist nichts als ein Federbusch und der Ritterhelm – gehört das einem in Venedig?«

»Salomos Weisheit leite das Urteil seines Knechtes in einer so feinen Angelegenheit! Der Juwel ist von rarer Schönheit, wie ihn besitzen können nur solche, die auch sonst haben Gold in Überfluß.«

»Aber wem kann das Wappen gehören?«

»Es ist zu betrachten wundervoll, was für ein großer Wert kann liegen in so kleinem Raume. Ich habe vollwichtige, schwere Zechinen sehen bezahlen für Dingelchen, die nicht waren so kostbar wie dieser.«

»Wirst du denn deine Bude und deine Handelsleute vom Rialto nun und nimmermehr vergessen? Ich sage dir, du sollst mir den nennen, dessen Familienwappen dieser Ring trägt.«

»Edler Signore, ich gehorche. Der Busch gehört der Familie Monforte, aus der gestorben ist der letzte Senator vor etwa fünfzehn Jahren.«

»Und seine Juwelen?«

»Die sind gekommen mit andern beweglichen Gütern, davon der Staat keine Notiz nimmt, an seinen Verwandten und Nachfolger – wenn es anders dem Senate beliebt, daß dies alte Geschlecht soll haben einen Nachfolger – an Don Camillo von Sant‘ Agata. Der reiche Neapolitaner, der jetzt vorbringt hier in Venedig seine Ansprüche, ist der Besitzer des Steins.«

»Gib mir den Ring! Man muß die Sache erwägen – hast du sonst noch was zu sagen?«

»Nein, Signore – bloß noch die Bitt, wenn der Juwel sollte werden verkauft, daß er zuerst möchte angeboten werden einem alten Diener der Republik, der zu klagen viel Ursach hat, daß sein Alter nicht bringt soviel Segen wie seine jungen Jahre.«

»Du sollst nicht vergessen werden. Ich höre, Hosea, daß mehrere junge Edelleute die Läden deiner Juden besuchen und Geld borgen, das sie jetzt verschwenden, späterhin aber mit bitterer Reue und Selbstverleugnung und mit Unannehmlichkeiten wiederbezahlen müssen, die für die Erben edler Namen unziemlich sind. Nimm dich in acht in diesem Punkte – denn wenn das Mißfallen des Rates einen von deinem Stamme treffen sollte, so wird es weitläufige und ernstliche Abrechnungen geben. Hast du neuerlich mit anderen Siegelringen zu tun gehabt außer dem des Neapolitaners?«

»Bloß auf dem gewöhnlichen Wege unseres täglichen Geschäfts, sonst nichts von Bedeutung, gnädiger Herr.«

»Betrachte dies«, fuhr Signore Gradenigo fort und gab ihm ein mit einem Wachssiegel versehenes Streifchen Papier, das er aus einem geheimen Schubfache hervorsuchte. »Gibt dir dieser Abdruck vielleicht eine Vermutung über den Eigentümer des Petschafts?«

Der Juwelier nahm das Papier und hielt es gegen das Licht, während sein blitzendes Auge angespannt das darauf befindliche Siegel untersuchte.

»Das wäre über die Weisheit von Davids Sohne«, sagte er nach einer langen und scheinbar fruchtlosen Untersuchung, »hier ist nichts als eine grillenhafte Liebhaberdevise, wie sie zu gebrauchen pflegen lustige Kavaliere in der Stadt, wenn sie das schwächere Geschlecht mit schönen Worten in Versuchung führen und verlockenden Tändeleien.«

»Es ist ein Herz von einem Liebespfeil durchbohrt, mit der Umschrift: pensa al cuore trafitto d’amore.«

»Weiter aber nichts, wenn mich nicht betrügen meine Augen. Ich mein, es ist nicht viel gesagt mit den Worten, Signore!«

»So viel, als darin liegt. Hast du nie einen Edelstein mit dieser Gravierung verkauft?«

»Gerechter Samuel! Wir setzen ab dergleichen alle Tag, an Christen beiderlei Geschlechts, an alt und jung. Ich weiß keine Devise, die besser ginge, woraus ich schließ, daß viel Verkehr getrieben wird mit der Art von leichter Ware.«

»Wer das Siegel benutzte, hat wohlgetan, seine Gesinnung unter so allgemeiner Chiffre zu verbergen! Hundert Zechinen aber dem, der den Eigentümer ausfindig macht.«

Hosea war eben im Begriff, das Siegel als etwas, wovon er nichts wüßte, zurückzugeben; da gerade entfuhr den Lippen Signore Gradenigos diese Äußerung. Im Augenblicke waren die Augen des Juweliers mit einem Vergrößerungsglas bewaffnet und das Papier wieder bei der Lampe.

»Ich hab einen Karneol verkauft von geringem Wert an die Frau des kaiserlichen Gesandten, worein dasselbe geschnitten war; weil ich aber glaubte, daß sie ihn nahm bloß aus einer wunderlichen Grille, so hab ich nicht gebraucht die Vorsicht, mir zu merken den Stein. Ein Herr im Hause des Legaten von Ravenna handelte mit mir auch um einen Amethyst mit derselben Devise; aber ich hab auch bei dem nicht für nötig gehalten eben besondere Umständlichkeit. Ha! Da ist ein besonderes Kennzeichen, das wahrhaftig zu sein scheint von meiner Hand.«

»Findest du ein Merkmal? Was ist es für ein Zeichen, von dem du sprichst?«

»Edler Senator, bloß ein Strichelchen in dem einen Buchstaben, das nicht eben in die Augen fallen würde einem leichtgläubigen Mädchen.«

»Und wem hast du dies Siegel verkauft?«

Hosea zauderte, denn er dachte an die Gefahr, seine Belohnung durch eine voreilige Mitteilung der Wahrheit zu verlieren.

»Wenn es wichtig ist, genau das zu wissen, Signore«, sagte er, »will ich nachsehen meine Bücher. In einer Sach von Bedeutung soll der Senat nicht werden falsch berichtet.«

»Du hast recht. Die Sache ist wichtig, und daß sie uns so erscheint, beweist dir ja die Größe der Belohnung.«

»Es fiel da ein Wort von hundert Zechinen, sehr edler Signore; aber mein Herz denkt nicht an solche Nebensachen, wenn es sich handelt um Venedigs Wohl.«

»Hundert Stück hab ich dir versprochen.«

»Ich hab einen Siegelring verkauft mit ungefähr dieser Zeichnung an ein Frauenzimmer, die bei dem vornehmsten Herrn dient im Gefolge des Nuntio. Aber dies Siegel kann nicht kommen von ihr, da ein Frauenzimmer ihres Standes –«

»Weißt du das gewiß?« fiel Signore Gradenigo schnell ein. Hosea sah ihn aufmerksam an und las in seinem Gesicht, daß die Auskunft erwünscht war. Geschwind antwortete er: »So gewiß ich stehe unter Moses Gesetz! Das Dingelchen hat mir lang dagelegen, und um nicht ruhen zu lassen mein Geld, gab ich es ihm.«

»Die Zechinen sind dein, vortrefflicher Jude! Jetzt ist die Sache klar über allen Zweifel. Geh, du sollst deine Belohnung haben, und wenn du irgendwas Bemerkenswertes in deinem geheimen Register hast, setze mich schleunigst davon in Kenntnis. Geh nur, guter Hosea, und sei pünktlich wie bisher. Die beständigen Anstrengungen meines Geistes haben mich müde gemacht.«

Der Hebräer empfahl sich, vergnügt über sein Glück, und verschwand durch dieselbe Tür, durch die er eingetreten war.

Es schien, daß Signore Gradenigo heute niemanden mehr zu empfangen hatte. Er untersuchte sorgfältig die Schlösser einiger geheimer Schubfächer in seinem Kabinett, löschte die Lichter aus, verschloß und verriegelte die Türen und entfernte sich. Noch einige Minuten durchschritt er in der äußeren Zimmerreihe eines der Hauptgemächer, bis seine gewöhnliche Stunde zum Schlafengehen erschien. Der Palast wurde nun für diese Nacht geschlossen.

Signore Gradenigo war so gut als andere Menschen mit einem fühlenden Herzen geboren, aber seine Stellung und Erziehung, die nach den Einrichtungen der Republik, wie sie sich nannte, stark gefärbt war, hatten aus ihm ein Geschöpf der herkömmlichen Staatsklugheit gemacht. Venedig schien ihm ein freier Staat zu sein, denn er selbst genoß die Vorteile seiner bürgerlichen Verfassung im Überfluß, und einerseits in den meisten Weltangelegenheiten bewandert und geübt, wurde er, in Hinsicht auf die politische Moral seines Landes, von einer seltenen anschmiegenden Stumpfheit beherrscht. Als Senator stand er in einer Beziehung zum Staat wie der Leiter eines Geldinstituts zu seiner Körperschaft, ein Verwalter allgemeiner Maßregeln ohne persönliche Verantwortlichkeit. Er konnte mit Wärme, auch wohl mit Schärfe über die Grundsätze des Regierens sprechen, und es würde schwer sein, auch in dieser geldnehmenden Zeit einen eifrigeren Anhänger der Meinung zu finden, daß Besitztum nicht eine untergeordnete, sondern eine Hauptangelegenheit des gesitteten Lebens sei. Er konnte mit Fähigkeit über Charakter, Ehre und Tugend, über Religion und persönliche Freiheit sprechen, aber wenn es galt, für diese Interessen zu handeln, so trieb ihn die Richtung seines Geistes, sie alle mit einer weltlichen Politik zu vermengen, die nicht mindere Schwerkraft hatte als die Körper im freien Falle. Als Venezianer war er der Herrschaft eines einzigen ebensosehr als der Herrschaft aller entgegen. Im Verhältnis zur ersteren Staatsform war er wütender Republikaner, in Beziehung auf die letztere zu jener seltsamen Spitzfindigkeit geneigt, wie sie die Majoritätsverfassung eine Regierung vieler Tyrannen nennt: kurz, er war ein Aristokrat und hatte geschickter und glücklicher als irgend jemand sich selbst überredet, daß alle jene Dogmen, nach denen sein Stand der bevorrechtete war, auf dem Grunde der Wahrheit ruhten. Er war ein gewaltiger Verteidiger angestammter Rechte, denn ihr Besitz brachte ihm Vorteil. Er war überaus lebhaft gegen Neuerungen in Sitten und Gebräuchen und gegen Veränderungen in den geschichtlichen Verhältnissen der Familien, denn an die Stelle seiner Liebe zu Grundsätzen trat Berechnung, und er unterließ nicht, gelegentlich zur Verteidigung seiner Meinungen von den Schickungen der Vorsehung die Analogie zu entnehmen. Mit einer Philosophie, die ihn selber zu befriedigen schien, behauptete er, da Gott absteigende Stufen vom Engel bis zum Menschen in seiner Schöpfung eingesetzt hätte, so wäre es das beste, dem Beispiel zu folgen, das die unendliche Weisheit gäbe. So richtig diese Grundlage seines Systems auch war, so lag doch in der Anwendung der große Irrtum, daß unter dem Titel der Nachahmung die Ordnung der Natur verkehrt wurde.

Siebentes Kapitel

Siebentes Kapitel

Eben als die geheimen Audienzen im Palaste Gradenigo beendigt waren, verlor auch der St.-Markus-Platz zum Teil seine Lebendigkeit. In den Kaffeehäusern saßen nur noch einzelne Gesellschaften, die Mittel und Lust hatten, kostbareren Vergnügungen zu frönen, während die übrigen, die ihre Gedanken den Sorgen des nächsten Tages zuwenden mußten, scharenweise zu ihren bescheidenen Wohnungen zurückkehrten. Einer jedoch von der letzteren Klasse blieb zurück an der Stelle, wo die beiden Plätze zusammenstießen, bewegungslos, als wären seine nackten Füße mit dem Stein zusammengewachsen, auf dem er stand. Es war Antonio.

Die Stellung des Fischers brachte seine muskulöse Gestalt und seine starren Züge ganz in die Beleuchtung des Mondes. Er heftete seinen dunkeln, kummervollen Blick fest auf die mildglänzende Scheibe, als wollte er in einer andern Welt den Frieden suchen, den er in dieser nicht gefunden hatte. Sein gebräuntes Gesicht trug den Ausdruck des Leidens. Ein tiefer Seufzer kämpfte sich aus der Brust des alten Mannes hervor, dann strich er sich die wenigen Haare, die ihm die Zeit noch gelassen hatte, hob seine Mütze vom Pflaster auf und wollte fortgehen.

»Du bist spät auf, Antonio«, ertönte eine Stimme dicht neben ihm. »Die Fische müssen hoch im Preise stehen, oder du mußt einen guten Fang getan haben, daß du dich bei deinem Gewerbe noch in dieser späten Stunde in der Piazza zu erlustigen Zeit findest. Du hörst, es schlägt eben die fünfte Stunde der Nacht.«

Der Fischer drehte den Kopf nach der Seite hin und blickte den Redenden, der maskiert war, einen Augenblick gleichgültig an, dann antwortete er: »Da du mich kennst, so weißt du wahrscheinlich auch, daß meiner nur eine leere Wohnung wartet. Wenn ich dir so bekannt bin, so ist dir ja wohl auch die Unbill nicht unbekannt geblieben, die mir widerfahren ist.«

»Wer hat dich beleidigt, guter Fischer, daß du selbst unter den Fenstern des Dogen so kühn davon sprichst?«

»Der Staat.«

»Das ist eine dreiste Rede für das Ohr des heiligen Marco! Zu laut gesprochen, könnte sie den Löwen dort zum Zorne reizen. Wessen klagst du denn die Republik an?«

»Führ mich nur hin zu denen, die dich schicken, so will ich ihnen die Mühe eines Unterhändlers ersparen. Ich bin bereit, selbst dem Dogen mein erlittenes Unrecht zu klagen, ein armer Greis wie ich hat von ihrem Zorne wenig mehr zu fürchten.«

»Du glaubst also, ich sei gesendet, dich zu verraten.«

»Du magst deine Sendung am besten kennen.«

Der andere nahm nun die Maske ab, und im Mondlicht erkannte Antonio seinen Gefährten.

»Jacopo!« rief der Fischer erstaunt. »Ein Mann deines Gewerbes kann mit mir nichts zu schaffen haben.«

Eine Röte, die selbst bei dem schwachen Mondlicht sichtbar war, überflog das Gesicht des Bravo, durch nichts anderes verriet er die Aufwallung seines Gefühls.

»Du irrst dich. Ich habe mit dir zu schaffen.«

»Achtet der Senat einen Fischer von den Lagunen der Mühe wert, daß er durch ein Stilett falle? So stoß denn zu«, sagte er und blickte auf seine braune, entblößte Brust, »hier ist nichts, das dich hindern könnte.«

»Antonio, du tust mir unrecht. Der Senat hat solche Absicht gar nicht. Vielmehr, weil ich gehört habe, daß du Grund zur Unzufriedenheit hast und nun öffentlich auf dem Lido und zwischen den Inseln über Dinge sprichst, die die Patrizier Leuten deines Standes gern aus dem Gesichte rücken, so komm ich als Freund, dich vor den Folgen solcher Unvorsichtigkeit zu warnen, nicht aber, dir Übles zuzufügen.«

»Bist du abgeschickt, mir dies zu sagen?«

»Alter Mann, die Erfahrung deiner Jahre sollte dich gelehrt haben, deine Zunge im Zaume zu halten. Was nützen eitle Klagen über die Republik, oder was für Früchte können sie bringen als Unheil für dich und das Kind, das du lieb hast.«

»Ich weiß nicht – aber wenn das Herz voll ist, so läuft der Mund über. Sie haben meinen Knaben weggenommen und haben mir wenig gelassen, das Wert für mich hätte. Das Leben, dem sie Gefahr drohen, ist zu kurz, um sich drum zu grämen.«

»Du solltest klug sein und deinen Kummer mäßigen. Signore Gradenigo hat sich dir immer freundlich bewiesen, und deine Mutter, hab ich gehört, war seine Amme. Wende dich mit Bitten an ihn, aber höre auf, den Zorn der Republik durch Klagen zu reizen.«

Antonio lauschte seinem Gefährten. Als er aber geendigt hatte, schüttelte er traurig das Haupt, als wollte er ausdrücken, daß auch von jener Seite keine Hoffnung mehr für ihn sei.

»Ich hab ihm alles gesagt, was ein Mann, der auf den Lagunen geboren und erzogen ist, zu sagen Worte hat. Er ist ein Senator, Jacopo! Und hat keinen Sinn für Leiden, die er nicht fühlt.«

»Ist es nicht unrecht, alter Mann, dem, der im Überfluß geboren ist, Hartherzigkeit vorzuwerfen, bloß weil er das Elend nicht fühlt, das auch du, wenn du könntest, gern von dir wiesest? Du hast deine Gondel und deine Netze und bist gesund und geschickt in deinem Handwerk, und so bist du glücklicher als jeder, der auch das entbehrt. – Willst du etwa dein Gewerbe liegenlassen und deinen kleinen Vorrat mit dem Bettler von San Marco teilen, damit euer Vermögen gleich sei?«

»Du magst recht haben in dem, was du über unsere Arbeit und unsere Hilfsmittel sagst, aber was unsere Kinder betrifft, da ist die Natur dieselbige in allen. Ich sehe nicht ein, warum des Patriziers Sohn frei gehen soll und der Sohn des Fischers bluten. Haben die Senatoren nicht Glücks genug an ihren Reichtümern und an ihrer Hoheit, daß sie mir mein Kind rauben?«

»Du weißt, Antonio, daß der Staat bedient sein will, und wollten die Staatsdiener in den Palästen starke Matrosen für die Flotte suchen, meinst du, sie möchten Leute finden, die dem geflügelten Löwen in der Stunde der Not Ehre machen würden? Dein alter Arm ist muskelfest, und dein Fuß wankt nicht auf dem Wasser, und sie suchen solche, die wie du für Schifferarbeit erzogen sind.«

»Du hättest noch hinzufügen können: Und deine alte Brust hat Narben. Ehe du geboren warst, Jacopo, zog ich gegen die Türken, und mein Blut ward für den Staat verschüttet wie Wasser. Aber das haben sie vergessen und haben reiche Marmorsteine in den Kirchen aufgerichtet, die Taten der Edeln zu rühmen, die doch ohne Wunde aus dem Kriege zurückkehrten.«

»Ich hab auch meinen Vater davon erzählen hören«, versetzte der Bravo düster und mit verändertem Ton der Stimme. »Auch er hat geblutet in jenem Kriege, aber es ist vergessen.«

Der Fischer warf einen Blick umher, und da er mehrere Gruppen auf dem Platze ganz in seiner Nähe sich unterhalten sah, bedeutete er seinem Gefährten, ihm zu folgen, und schritt den Kais zu.

»Dein Vater«, sagte er, während sie langsam nebeneinandergingen, »war mein Kamerad und mein Freund. Ich bin alt, Jacopo, und arm; meine Tage gehen hin mit Arbeit auf den Lagunen und meine Nächte mit Erholung und Stärkung für neues Tagwerk. Aber bekümmert hat es mich zu hören, daß der Sohn eines Mannes, den ich lieb hatte und mit dem ich so oft Gutes und Böses, Wohl und Weh geteilt habe, eine Lebensart ergriffen hat, wie die ist, die du dir erwählt haben sollst. Gold, das für Blut bezahlt wird, hat noch niemals Segen gebracht, weder dem Geber noch dem Empfänger.«

Der Bravo hörte schweigend zu, aber sein Gefährte, der ihm in einem anderen Augenblick und weniger aufgeregt als eben jetzt ausgewichen wäre, bemerkte, indem er ihm traurig ins Gesicht sah, daß sich dessen Muskeln leicht bewegten und daß eine Blässe die Wangen überzog, die das Mondlicht gespenstisch machte.

»Deine Armut hat dich zu schwerer Sünde verführt, Jacopo. Aber es ist nimmer zu spät, die Heiligen um Beistand anzurufen und das Stilett beiseite zu legen! Es dient einem Manne in Venedig nicht zum Ruhm, dein Gefährte zu heißen, aber der Freund deines Vaters wird den nicht verlassen, der seine Sünden bereuet. Wirf den Dolch weg und komm mit mir zu den Lagunen. Du wirst die Arbeit leichter zu tragen finden als die Schuld, und obschon du mir niemals das werden kannst, was mir der Junge war, den sie mir genommen haben – denn er war unschuldig wie ein Lamm! –, so wirst du mir immer der Sohn eines alten Kameraden sein. Komm mit mir zu den Lagunen, denn solche Armut und solch Elend, als ich erdulde, können nicht noch verächtlicher werden, auch nicht dadurch, daß du mein Gesell bist.«

»Was sagen denn die Menschen von mir, daß du mich so behandelst?« fragte Jacopo mit leiser, bebender Stimme.

»Ich wollte, sie sagten Unwahrheit! Aber wenige sterben in Venedig eines gewaltsamen Todes, ohne daß man dich nennte.«

»Würden sie denn leiden, daß ein so berüchtigter Mensch frei auf den Kanälen und auf dem Markusplatze umhergehe?«

»Wir kennen nie die Gründe, nach denen der Senat handelt. Einige sagen, deine Stunde sei noch nicht gekommen, andere sagen, dein Einfluß sei zu groß in Venedig, um dich zu richten.«

»Du hältst von der Tätigkeit der Inquisition nicht mehr als von ihrer Gerechtigkeit. Aber wenn ich heut nacht mit dir gehen wollte, wirst du dich dann mehr mäßigen unter deinen Kameraden vom Lido und von den Inseln?«

»Wenn das Herz beladen ist, so sucht ihm die Zunge Erleichterung zu schaffen. Ich wollte alles tun, um meines Freundes Sohn von seinen schlimmen Wegen abzuwenden, nur nicht meinen eigenen vergessen. Du bist gewohnt, Jacopo, mit den Patriziern zu tun zu haben. Könnte wohl einer in diesen Kleidern und mit einem so sonnverbrannten Gesicht dazu gelangen, mit dem Dogen zu reden?«

»Es fehlt in Venedig nicht an scheinbarer Gerechtigkeit, Antonio, der Mangel liegt in der wirklichen. Ich zweifle nicht, daß du gehört werden würdest.«

»So will ich hier warten auf den Steinen des Platzes, bis der morgende Prachtzug kommt, und sein Herz zur Gerechtigkeit zu bewegen suchen. Er ist ein Greis wie ich und hat auch geblutet für das Vaterland, und was noch mehr ist, er ist Vater.«

»Das ist auch Signore Gradenigo.«

»Du zweifelst an des Dogen Mitgefühl?«

»Du kannst es ja versuchen. Der Doge von Venedig wird das Gesuch des geringsten Bürgers anhören. Ich denke«, setzte Jacopo so leise als möglich hinzu, »er würde selbst mir Gehör geben.«

»Zwar bin ich nicht imstande, meine Bitte in geziemenden Reden einem so großen Fürsten vorzustellen, aber er wird die Wahrheit von einem gekränkten Manne hören. Sie nennen ihn den vom Staat Erwählten, nun, so sollte er auch mit Freuden der gerechten Sache ein Ohr leihen. Dies ist ein hartes Bett, Jacopo«, fuhr der Fischer fort, indem er sich auf das Fußgestell der Bildsäule San Teodoros setzte, »ich habe aber schon auf kälterer und ebenso harter Lagerstätte gelegen um geringerer Ursache willen und trefflich geschlafen.«

Der Bravo stand noch einen Augenblick neben dem alten Mann, der seine Arme über der dem Seewind offenen Brust verschränkte und sich anschickte, auf dem Platze Nachtruhe zu halten, wie dies unter Leuten seines Standes nicht ungebräuchlich war; als er aber bemerkte, daß Antonio ungestört zu sein wünschte, machte er sich auf und ließ den Fischer allein.

Die Nacht war ziemlich vorgerückt, und nur wenige Leute streiften noch auf den beiden Plätzen umher; Jacopo schaute sich um, und bemerkend, wie spät es sei und daß der Platz fast menschenleer war, ging er an den Rand des Kais. Hier lagen wie gewöhnlich die Boote der öffentlichen Gondolieri vor Anker, und über der ganzen Bucht herrschte eine tiefe Stille. Der Bravo hielt an, warf noch einen vorsichtigen Blick umher, legte seine Maske vor, machte ein Boot von seinen leichten Banden los und glitt im Augenblick mitten in das Bassin hinein.

»Wer da?« fragte jemand, der, wie es schien, auf einer etwas abseits liegenden Feluke Wache hielt.

»Ein Erwarteter!« war die Antwort.

»Roderigo?«

»Derselbe.«

»Du kommst spät«, sagte der Seemann von Kalabrien, als Jacopo auf dem niedrigen Deck der »Bella Sorrentina« stand. »Mein Volk ist längst unten, und ich hab schon dreimal von Schiffbruch und zweimal von schwerem Schirokko geträumt, seit ich dich erwarte.«

»So hast du mehr Zeit gehabt, den Zoll zu betrügen. Ist die Feluke fertig zur Arbeit?«

»Was den Zoll betrifft, so ist wenig zu lukrieren in solch einer gierigen Stadt. Die Senatoren nehmen allen Profit für sich und ihre Freunde, und wir armen Schiffsleute haben niedrige Fracht und schlechten Gewinn. Ich hab ein Dutzend Fässer Lacrimae Christi die Kanäle raufgeschickt, seit die Masken umherstreiften, außer dem hat sich nichts dargeboten. Dich zu stärken ist aber zur Not noch genug da. Willst du trinken?«

»Ich habe der Nüchternheit Treue gelobt. Ist dein Fahrzeug zu dem Geschäft bereit wie gewöhnlich?«

»Ist der Senat ebenso bereit mit seinem Gelde? Dies ist meine vierte Reise in seinem Dienste, und sie dürfen nur in ihre eigenen Geheimnisse gucken, so werden sie wissen, wie ich ihr Geschäft ausgeführt habe.«

»Sie sind zufrieden, und man hat dich gut bezahlt.«

»Sag es nicht. Ich habe durch eine glückliche Verladung in Früchten von den Inseln mehr Gold verdient als bei all ihrer nächtlichen Arbeit. Wenn die, die mich brauchten, der Feluke erlauben wollten, einigen Privathandel im Hafen zu treiben, so könnte Vorteil bei der Sache sein.«

»San Marco bestraft nichts schwerer als die Umgehung seiner Zölle. Nimm dich in acht mit deinen Weinen, daß du nicht Schiff und Reise und auch selbst deine Freiheit verlierst.«

»Das ist es gerade, worüber ich mich beschwere, Signore Roderigo. Schurke und Nichtschurke, das ist der Wahlspruch der Republik. Hier sind sie so streng gerecht wie ein Vater unter seinen Kindern, dort haben sie wieder Geschäfte, die mitten in der Nacht getan werden müssen. Ich liebe den Wiederspruch nicht, denn gerade wenn meine Hoffnungen ein wenig gestiegen sind durch das, was ich vielleicht ein bißchen zu nahe gesehen habe, werden sie in alle Winde gejagt von einem solchen Blitzblick, wie ihn nur der heilige Januarius selbst auf einen Sünder werfen mag.«

»Bedenke, daß du nicht in deinem weiten Mittelmeere bist, sondern auf einem Kanal von Venedig. Diese Sprache möchte dir nicht wohl bekommen, wenn sie minder freundliche Ohren vernähmen.«

»Ich dank dir für deinen guten Rat, aber der alte Palast dort ist schon eine gute Warnung für lose Zungen, wie ein Galgen an der Küste für einen Piraten. Ich hab um die Zeit, da die Masken hereinkamen, mit einem alten Kameraden auf der Piazetta gesprochen, und wir schwatzten über dieselbe Sache. Der hat mir erzählt, daß jeder zweite Mann in Venedig bezahlt ist, zu hinterbringen, was der erste redet und tut. ’s ist ein Jammer, guter Roderigo, daß der Senat mit all seiner scheinbaren Liebe zur Gerechtigkeit so manche Schurken frei umhergehen läßt, Menschen, deren Anblick die Steine erröten macht in Scham und Verdruß.«

»Es ist mir nicht bewußt, daß man solche Leute öffentlich in Venedig sieht. Was heimlich geschieht, mag eine Zeitlang geduldet werden, weil sich den Tätern vielleicht nichts beweisen läßt, aber –«

»Cospetto! Man sagt mir, der Senat habe eine schnelle Manier, einem Sünder das Unrechttun zu verbieten. Da, da ist der gottlose Jacopo – was fehlt dir, Mann? Der Anker, auf den du dich lehnst, ist doch nicht glühend.«

»Er ist aber auch nicht von Flaum. Nichts für ungut, daß einem die Knochen können weh tun, wenn man sich auf dies harte Eisen lehnt.«

»Das Eisen ist von Elba – ist in einem Vulkan geschmiedet. Der Jacopo ist ein Mensch, den sie in einer rechtschaffenen Stadt nicht sollten frei umhergehen lassen, und doch sieht man ihn so gelassen auf dem Platze spazieren wie einen Edeln im Broglio.«

»Daß du von der verwegensten Faust und dem sichersten Stilett in Venedig nichts weißt, ehrlicher Roderigo, gereicht dir zur Ehre. Aber wir vom Hafen, wir kennen ihn gut, und wenn wir ihn sehen, dann fallen uns unsere Sünden ein und die Bußen, die wir versäumt haben. Ich wundere mich sehr, daß ihn die Inquisitoren nicht bei irgendeiner öffentlichen Feierlichkeit dem Teufel überliefern, zum Besten der kleineren Sünder.«

»Sind seine Verbrechen so erwiesen, daß sie ihn ohne Beweis verurteilen dürften?«

»Frag nur auf den Straßen. Es kommt keine Christenseele in Venedig unverhofft ums Leben, was doch nicht selten geschieht, ohne daß die Leute einen Stoß von seiner zuverlässigen Hand vermuteten. Signore Roderigo, Eure Kanäle sind bequeme Gräber für plötzlich Gestorbene!«

»Mich dünkt, du sprichst ungereimt. Erst sagst du von Spuren einer Erdolchung, und dann sagst du wieder, die Kanäle dienten dazu, den ganzen Leichnam zu verbergen. Es wird dem Jacopo gewiß unrecht getan, und es ist vielleicht alles bloße Verleumdung.«

»Man spricht wohl bei einem Priester von Verleumdung, denn das sind Christen, die ihren Namen reinhalten müssen, zur Ehre der Kirche; aber von Unrecht gegen einen Bravo zu reden ist mehr, als die Zunge eines Advokaten durchsetzen kann. Wenn die Hand mit Blut gefärbt ist, was tut es, ob die Schattierung ein wenig dunkler ist oder nicht.«

»Du hast recht«, erwiderte der vorgebliche Roderigo und holte tief Atem. »Es tut nichts, ob einer um vieler oder weniger Verbrechen willen verurteilt wird.«

»Weißt du, Freund Roderigo, dieser Gedanke hat mich weniger bedenklich gemacht in Hinsicht auf die Ladung, die ich bei diesem unserem geheimen Handel führe. Du bist ja im Dienste des Senates, werter Stefano, sag ich zu mir selber, drum ist keine Ursache, Umstände zu machen wegen der Art und Ware. Dieser Jacopo hat ein Auge, einen Blick, die ihn verraten würden, und säße er auf St. Peters Stuhle. Aber nimm doch die Maske ab, Signore Roderigo, und laß dir die Seeluft das Gesicht kühlen, ’s ist Zeit, daß dieses argwöhnische Wesen zwischen alten und geprüften Freunden ein Ende nehme.«

»Wenn mir’s nicht meine Verpflichtung gegen die verböte, die mich schicken, wollte ich dir gern von Gesicht zu Gesicht gegenüberstehen, Meister Stefano.«

»Schön! Trotz deiner Vorsicht, schlauer Herr, wollt ich von den Zechinen, die du mir bezahlen sollst, zehn Stück verwetten, daß ich morgen früh unter die Haufen des Markusplatzes gehen will und dich öffentlich bei Namen anrufen, unter Tausenden. Du kannst dich dreist demaskieren, denn ich sage dir, ich kenne dich so gut wie die Lateinsegelstange meiner Feluke.«

»Um so weniger brauche ich die Maske abzunehmen. Es gibt freilich gewisse Zeichen, an denen sich Leute wiedererkennen mögen, die so oft miteinander zu tun haben.«

»Du hast eine schmucke Gesichtsbildung, Signore, und brauchst sie nicht zu verstecken. Ich hab dich wohl erkannt unter den Herumzüglern, und du hast dich unbemerkt geglaubt. Und ich will dir so viel von dir selber erzählen, ohne dadurch einen Deut bei unserem Handel verdienen zu wollen, ein so schmucker Kerl wie du, Signore Roderigo, sollte lieber offen gehen, als sich hinter so einer Wolke zu verstecken.«

»Ich hab dir geantwortet. Dem Befehl des Staates muß Folge geleistet werden, aber da ich sehe, daß du mich kennst, so nimm dich in acht, es weiterzuplaudern.«

»Du bist bei deinem Beichtvater nicht sicherer, Diamine! Ich bin nicht der Mann, unter den Wasserhändlern herumzuscharwenzeln mit einem Geheimnis im Maule. Aber du lugtest seitwärts, als ich dir zuwinkte auf dem Kai beim Tanze mit den Masken. Nicht so, Roderigo?«

»Du bist geschickter, Meister Stefano, als ich gedacht hätte, abgerechnet deine Gewandtheit im Seefahren, die bekannt genug ist.«

»Es gibt zwei Dinge, Signore Roderigo, auf die ich stolz bin. Als Küstenfahrer gibt es wenige, die es mir gleichtun unter allerlei Winden, Schirokko, Levantwind und Westwind. Und zweitens, wenn es gilt, einen Bekannten auf der Maskerade zu erkennen, da will ich dir des Teufels Bockfuß sicherlich herausfinden, unter welche Verkleidung er sich stecke.«

»Das sind allerdings große Gaben für einen Mann, der von der See und einem gefährlichen Handel lebt.«

»Da kam ein gewisser Gino, Don Camillo Monfortes Gondoliere, ein alter Kamerad von mir, an Bord der Feluke und brachte ein maskiertes Frauenzimmer mit. Er hat das Mädel geschickt genug hier ausgesetzt, unter Fremden dachte er, aber ich hab sie auf den ersten Blick für die Tochter eines Weinhändlers erkannt, der schon von meinem Lacrimae Christi geschmeckt hat. Das Frauenzimmer war ärgerlich über den Streich, aber wir benützten die Gelegenheit und wurden einig über die paar Fässer, die unter dem Ballast lagen, während Gino auf dem Markusplatz ein Geschäft für seinen Herrn besorgte.«

»Was das für ein Geschäft war, hast du nicht erfahren, guter Stefane?«

»Was sollt ich, Meister Roderigo, der Gondoliere gönnte sich kaum Zeit zum Gruß, aber Annina –«

»Annina?«

»Jawohl. Du kennst Annina, des alten Tommaso Tochter; sie tanzte ja in derselben Reihe, in der ich deine Gestalt erblickte. Ich würde nicht so von dem Mädchen sprechen, wenn ich nicht wüßte, daß du selber der letzte nicht bist, der unverzolltes Getränk annimmt.«

»Was das betrifft, sei ohne Furcht. Ich hab dir geschworen, daß kein Geheimnis dieser Art über meine Lippen kommen soll. Aber diese Annina ist eine lebendige und kühne Dirne.«

»Unter uns, Signore Roderigo, es ist nicht leicht hier in Venedig zu sagen, wer im Solde des Senats steht und wer nicht. Ich hab mir oft eingebildet, nach deinen Manieren und dem Ton deiner Stimme zu urteilen, daß du der Galeerengeneral selber unter Verkleidung bist.«

»Und dies mit deiner Menschenkenntnis?«

»Wenn der Glaube niemals gegen Zweifel zu kämpfen hätte, so gälte er für kein Verdienst mehr.«

»Ich glaub’s wohl. Aber wer ist der Gino, von dem du gesprochen hast, und was hat sein Gewerbe als Gondoliere mit einer deiner Jugendbekanntschaften in Kalabrien zu tun?«

»Es sind Sachen dabei, von denen ich nichts weiß. Sein Herr, und ich kann auch sagen, mein Herr, denn ich bin auf seinen Gütern geboren, ist der junge Herzog von Sant‘ Agata – derselbe, der beim Senate Ansprüche macht auf die Reichtümer und Ehrenstellen des letzten Monforte, der im Rate saß. Die Rechtssache dauerte schon so lange, daß aus dem Burschen ein Gondoliere geworden ist, denn er hat immer hin und her rudern müssen zwischen dem Palast seines Herrn und den Palästen der Edeln, denen jener sein Anliegen vorzubringen hat – wenigstens erzählt Gino seine eigene Geschichte so.«

»Ich kenne den Mann. Er trägt die Farben seines Herrn. Hat er Verstand?«

»Signore Roderigo, nicht alle, die aus Kalabrien kommen, können sich dieses Vorzugs rühmen. Gino führt sein Ruder geschickt genug und ist ein so guter Junge nach seiner Art, als not ist. Aber ein bißchen tiefer zu sehen als bloß obenauf, nu! Gino ist ein Gondoliere.«

»Und geschickt in seinem Fach?«

»Von seinem Arm und Bein sag ich nichts, die mögen beide gut genug an ihrem Flecke sein. Aber wenn es auf Kenntnis von Menschen und Sachen ankommt – da ist der arme Gino bloß ein Gondoliere. Der Bursche ist außerordentlich gutmütig und nicht faul, einem Freunde zu dienen. Ich bin ihm gut, aber ich kann doch nicht mehr von ihm sagen, als wahr ist.«

»Gut, halt deine Feluke in Bereitschaft, denn wir wissen nicht, wie schnell sie gebraucht werden wird.«

»Bring nur deine Fracht, Signore! Der Handel soll gleich abgemacht sein.«

»Leb wohl – ich wollt dir empfehlen, dich aller anderen Geschäfte zu enthalten und aufzupassen, daß deine Leute nicht im Saus und Braus des morgenden Tages die nötige Nüchternheit verlieren.«

»Gott geleit dich, Signore Roderigo. – Es soll an nichts fehlen.«

Der Bravo sprang in seine Gondel, und diese flog mit einer Schnelligkeit dahin, daß man sah, welch ein geübter Arm das Ruder regierte. Er winkte mit der Hand noch ein Lebewohl, und das Boot verschwand unter den Schiffen, die den Hafen erfüllten.

Achtes Kapitel

Achtes Kapitel

Ein schönerer Tag, als dieser Nacht folgte, war noch selten heraufgekommen über die mächtigen Dome, über die prächtigen Paläste und schimmernden Kanäle Venedigs. Die Sonne stand noch nicht hoch über dem Horizont des Lido, als Hörner und Trompeten vom Markusplatze ertönten. Wie ein starkes Echo antworteten andere vom Arsenal. Tausend Gondeln glitten aus den Kanälen hervor und durchkreuzten in allen Richtungen den Hafen, die Giudecca und die verschiedenen Außenkanäle.

Die Bürger fingen an sich zu versammeln in ihrem Sonntagsputz, und zahllose Contadini landeten an den verschiedenen Brücken in der muntern Tracht des Festlandes. Der Tag war noch nicht weit vorgerückt, als alle Zugänge zum Markusplatz voll Gedränge waren, und während das Glockengeläute der ehrwürdigen Kathedrale freudige Klänge erschallen ließ, wimmelte der Platz von einer frohen Menge. Kurz, man sah Venedig und sein Volk in alter Heiterkeit eines italienischen Lieblingsfestes, der Ausfahrt des Dogen mit dem Buzentauren und die Zeremonie seiner symbolischen Vermählung mit dem Meer.

Inzwischen begannen reich verzierte und vergoldete Gondeln sich zu Hunderten im Hafen zu versammeln. Die Schiffe kamen sämtlich in Bewegung, und eine breite Straße ward eröffnet vom Kai, am Ende der Piazetta, bis zu dem entfernten Damm, der den Fluten des Adriatischen Meeres wehrt.

Sowie der Tag zunahm, vergrößerte sich die Volksmenge; die weiten Ebenen Paduas schienen alle ihre Bewohner herzugeben, um die Zahl der Fröhlichen zu vermehren. Dann kamen die reichen Fahrzeuge der fremden Gesandten, und dann unter dem Klang der Klarinetten und dem Geschrei des Volkes ruderte der Buzentaur aus dem Kanal des Zeughauses hervor und schwebte seinem Standorte am Kai des Markusplatzes zu.

Nach diesen Präliminarien, die einige Stunden währten, sah man die Pikenträger des Staatsoberhauptes eine Gasse im Gedränge eröffnen. Darauf verkündigten die Harmonien vieler Instrumente die Ankunft des Dogen.

Da drängte sich durch die Wachen ein Mann mit gebräuntem Gesicht, mit bis ans Knie nackten Beinen und offener Brust und warf sich auf den Steinen des Kais dem Dogen zu Füßen.

»Gerechtigkeit – großer Fürst!« schrie der kühne Fremde. »Gerechtigkeit und Gnade! Höre einen Untertan, der für San Marco geblutet und der seine Narben zu Zeugen hat.«

»Gerechtigkeit und Gnade sind nicht immer Gefährten!« bemerkte ruhig der Mann, der die gehörnte Mütze trug, und bedeutete seinem Gefolge, den Eingedrungenen nicht zu verscheuchen.

»Mächtiger Fürst, ich komm, um Gnade zu bitten.«

»Wer bist du, und was treibst du?«

»Ein Fischer von den Lagunen, ich heiße Antonio und bitte um Freiheit für die Stütze meines Alters – einen prächtigen Knaben, den mir die Politik des Staates gewaltsam entrissen hat.«

»Das sollte nicht sein. Gewalt ist nicht eine Eigenschaft der Gerechtigkeit – aber der junge Mensch hat wohl die Gesetze verletzt und büßt sein Verbrechen?«

»Seine Schuld, großer und erhabener Gebieter, ist Jugend, Gesundheit und Kraft und einige Geschicklichkeit im Schifferhandwerk. Ohne seine Zustimmung haben sie ihn hinweggeführt zum Galeerendienst, und ich bin allein in meinem Alter.«

Der teilnehmende Ausdruck, der sich über die Züge des Fürsten ergossen hatte, verwandelte sich augenblicklich. Das Auge, das noch eben von Mitgefühl erglänzte, wurde kalt und der Blick entschlossen, und indem er seinen Wachen winkte, Verbeugte er sich mit Würde gegen die fremden Gesandten, die aufmerksam und neugierig umherstanden, zum Zeichen, daß er aufbrechen wolle.

»Schafft ihn hinweg!« rief ein Offizier, der des Dogen Blick verstanden hatte. »Die Feierlichkeiten sollen um solch ein müßiges Gesuch nicht verzögert werden.«

Antonio widerstand nicht, sondern von denen gedrängt, die ihn umringten, wich er bescheiden zurück unter die Menge. In wenigen Augenblicken war die durch diese kurze Szene hervorgebrachte Unterbrechung vergessen.

Als der Fürst mit seinem Gefolge Platz genommen und sich ein Admiral an das Steuerruder gestellt hatte, bewegte sich das große prächtige Schiff mit seinen vergoldeten Galerien, ganz erfüllt von Menschen, schwer und gewaltig vom Kai hinweg. Seine Abfahrt wurde wieder von einer Fanfare der Trompeten und Klarinetten und vom Jauchzen des Volkes begleitet. Die Haufen drängten sich nun an den Rand des Wassers, und als der Buzentaur etwa die Mitte des Hafens erreicht hatte, war die Flut schwarz von den Gondeln, die sich anschlossen.

Der Buzentaur machte endlich halt, ein Raum um ihn her wurde von allen Barken frei gemacht, und der Doge trat auf eine Galerie, die so hoch war, daß ihn jeder sehen konnte. Er erhob einen von Edelsteinen glänzenden Ring, und nachdem er die Trauungsworte gesprochen hatte, senkte er diesen ins Meer, in den Schoß seiner vermeintlichen Gemahlin. Beifallsgeschrei erhob sich, Trompeten schmetterten, und jede Dame wehte mit ihrem Schnupftuche, die freudige Verbindung zu beglückwünschen. Mitten unter dem Lärm, den besonders der Kanonendonner vom Bord der Kreuzer im Kanal und vom Geschütze des Zeughauses vergrößerte, glitt ein einzelnes Boot in den unter der Galerie des Buzentauren gelassenen offenen Raum. Die leichte Gondel regierte ein geschickter und noch kräftiger Arm, obgleich das Haar des Ruderers spärlich und grau war. Ein flehender Blick traf die freudeglänzenden Gesichter im Gefolge des Fürsten; darauf wandte sich das Auge aufmerksam dem Wasser zu. Eine kleine Fischerboje fiel aus dem Boote, das so schnell verschwand, daß unter dem Leben und Getümmel des Augenblicks die ganze Erscheinung von der aufgeregten Masse kaum wahrgenommen wurde.

Die Prozession schiffte nun wieder der Stadt zu. Das Volk erfüllte die Luft mit Freudengeschrei über die glückliche Beendigung einer Zeremonie, der ihr Alter und die Sanktion des Papstes eine Art Heiligkeit gegeben hatte, die noch durch Aberglauben vermehrt ward. Einigen freilich von den Venezianern selber war die berühmte Vermählung mit dem Adriatischen Meere ganz gleichgültig, und manche Gesandte der bedeutenden nördlichen Seemächte, die der Feierlichkeit beiwohnten, bargen kaum ihr Lächeln. Aber der Einfluß der Gewohnheit, weil sich auch selbst Anmaßung, wenn sie lange und mit Ausdauer behauptet wird, unter den Menschen in Geltung setzt, war noch so mächtig, daß weder die zunehmende Ohnmacht Venedigs noch das bekannte Übergewicht anderer Mächte auf dem Elemente, das durch dieses Prunkfest als Besitz des heiligen Markus zur Schau gestellt ward, die Ansprüche Venedigs so lächerlich machte, als sie verdient hätten.

Der Buzentaur kehrte nicht geradewegs zum Kai zurück, um seine schwere und würdereiche Last abzusetzen; sondern mitten im Hafen warf das verzierte Schiff Anker, der weiten Mündung des großen Kanals gegenüber. Hier waren Beamte seit dem frühen Morgen geschäftig gewesen, alle großen Fahrzeuge und schweren Boote, deren Hunderte im Hauptkanal der Stadt lagen, aus der Mitte der Straße hinwegzuräumen. Jetzt luden Herolde die Bürger ein, der Regatta beizuwohnen, die die öffentlichen Feierlichkeiten des Tages beschließen sollte.

Venedig ist in dieser Art von Kampfspiel durch die eigentümliche Geübtheit und zahllose Menge seiner Bootsleute seit alter Zeit berühmt gewesen. Sobald der Buzentaur seinen Stand eingenommen hatte, wurden einige dreißig bis vierzig Gondolieri, aufs beste geputzt, im Kreise vieler besorgter Freunde und Verwandten vorgeführt. Man erwartete, daß sie den altbegründeten Ruhm ihrer verschiedenen Familien aufrechterhalten würden, und rief ihnen die Belohnungen des Sieges in das Gedächtnis, sie stärkten sich durch Gebete zu den Heiligen; endlich wurden sie unter dem Zurufe und den Segenswünschen der Menge entlassen, um ihre bestimmten Plätze dicht an dem Spiegel des Prunkschiffes einzunehmen.

Venedig wird durch seinen breitesten Kanal in zwei beinahe gleiche Massen geteilt. Dieser heißt Canale Grande (großer Kanal ) wegen seiner Breite und Tiefe und wegen seiner größeren Wichtigkeit für die Stadt. Auf diesem Kanal sollte die Regatta vor sich gehen, weil er hinreichend lang und geräumig war und weil die Paläste der angesehensten Senatoren, die seine Ufer säumten, den Zuschauern des Kampfes die meiste Bequemlichkeit darboten.

Die Bewerber nahmen ihre Plätze ein. Die Gondeln waren bei weitem größer als die gemeinhin üblichen, und eine jede war mit drei Bootsleuten bemannt und wurde von einem vierten gelenkt, der auf dem kleinen Verdeck des Hinterteiles am Ruder stand und steuernd zugleich das Boot beschleunigen half. An den Seiten waren kleine Stäbe mit Flaggen aufgesteckt, die mit den Farben verschiedener edeln Familien der Republik oder mit andern einfachen Devisen nach der Erfindungsgabe ihrer Besitzer geziert waren. Einige Schwenkungen mit den Rudern wurden gemacht; die Boote tanzten, so wie die Rennpferde zu kurbettieren pflegen, und als zum Signale eine Kanone gelöst wurde, flogen die Gondeln wie von selbst bewegt dahin. Ihrem Laufe folgte ein Zurufen den Kanal entlang, und eine eilfertige Bewegung der Köpfe ging schnell von Balkon zu Balkon.

Einige Minuten lang war der Unterschied der Kraft und Geschicklichkeit nicht sehr merklich. Keine von den zehn Gondeln zeigte sich im Vorteile. Nun aber, als die überwiegende Kunst des Steuermannes oder die größere Ausdauer der Rudernden oder ein verborgener Vorzug des Bootes selber hier und da wirksam zu werden anfing, teilte sich allmählich der Haufen der Fahrzeuge. Der ganze Zug schoß unter der Rialtobrücke durch, so nah einer dem andern, daß der Sieg noch zweifelhaft war, und nun kam die wetteifernde Reihe dem Gesichtskreise der vornehmsten Personen des Staates auf dem Buzentaur näher.

Die Schwächeren fingen an nachzulassen, der Zug verlängerte sich, nach und nach wurden die Entfernungen zwischen den einzelnen Booten größer, während die Entfernung vom Ziel geringer wurde; endlich schossen drei Boote wie fliegende Pfeile, kaum eine Bootslänge auseinander, unter das Vorderteil des Buzentauren. Der Preis war gewonnen, die Sieger erhielten ihre Belohnung, und die Artillerie tat ihre üblichen Freudenschüsse.

Ein Herold verkündigte, daß ein neuer Wettkampf anderer Art beginne. Dieser, der ein Nationalrennen heißen könnte, stand nach altem Herkommen nur den anerkannten Gondolieri Venedigs offen. Der Preis war vom Staate festgesetzt, und das Ganze hatte einen förmlichen, fast politischen Charakter. Es wurde indessen bekanntgemacht, daß ein Wettlauf stattfinden sollte, an dem ein jeder teilnehmen dürfte, ohne Rücksicht auf Rang und Stand. Ein goldenes Ruder, das an einer Kette von demselben kostbaren Metalle hing, ward als das Geschenk des Dogen für den vorgezeigt, der die meiste Geschicklichkeit und Kraft entwickeln würde. Der zweite Preis war ein ähnlicher Zierat von Silber und der dritte ein kleines Boot von geringerem Metall. Die Fahrt sollte in den gewöhnlichen leichten Fahrzeugen der Kanäle ausgeführt werden, und da es galt, jene der Inselstadt eigentümliche Kunst zu zeigen, so durfte nur ein Ruderer die Gondel regieren, dem also das Forttreiben und Lenken des Fahrzeugs zugleich oblag. Alle, die sich anzuschließen wünschten, erhielten die Weisung, sich nach dem Spiegel des Buzentauren binnen einer festgesetzten ganz kurzen Frist zu begeben, damit ihr Wunsch vorgemerkt würde. Da diese Anzeige schon früher bekanntgemacht worden war, so verging nicht viel Zeit zwischen den beiden Wettkämpfen.

Aus der Schar von Booten, die den für die Bewerber offengelassenen Platz umringten, fuhr zuerst ein öffentlicher Gondoliere hervor, der wegen seines geschickten Ruders und wegen seines Gesanges auf den Kanälen berühmt war.

»Wie heißest du, und welchem Namen vertrauest du dein Glück an?« fragte ihn der Herold.

»Bartolomeo heiß ich, wie alle wissen, und befinde mich stets zwischen der Piazetta und dem Lido. Als ein ergebener Venezianer vertraue ich auf San Teodoro.«

»So bist du wohlbeschützt. Nimm deinen Platz ein und erwarte dein Glück.«

Voll Selbstbewußtsein schlug der Gondoliere das Wasser mit einer Rückbewegung seines Ruders, und die leichte Barke flog mitten in den leeren Raum hinein.

»Und wer bist du?« fragte der Beamte den nächsten.

»Enrico, Gondoliere von Fusina. Ich komme, um es mit den Prahlhänsen der Kanäle durch mein Ruder aufzunehmen.«

»Auf wen setzest du dein Vertrauen?«

»Auf Sant‘ Antonio di Padua.«

»Du wirst seine Hilfe nötig haben, wir loben aber deinen Mut. Fahre hinein und nimm Platz.«

»Und wer bist du?« fuhr er, zu einem dritten gewendet fort, als der zweite die kunstreiche Leichtigkeit dem ersten nachgetan hatte.

»Ich bin Gino von Kalabrien, Gondoliere in Privatdiensten.«

»Welchem Edeln dienest du?«

»Dem erhabenen und vortrefflichen Don Camillo Monforte, Herzog und Herr von Sant‘ Agata in Napoli und der seinem Recht nach Senator von Venedig ist.«

Unter den Senatoren war eine Bewegung bei Ginos Antwort entstanden, und der halb erschreckte Bursche glaubte saure Blicke auf manchen Gesichtern wahrzunehmen. Er schaute sich nach dem um, den er gepriesen hatte, als solle ihm der zu Hilfe kommen.

»Willst du deinen Schutzpatron in diesem großen Wettkampfe nicht nennen?« hob der Herold wieder an.

»Mein Gebieter«, sagte der bestürzte Gino, »und St. Januarius und St. Markus.«

»Du bist wohlbeschützt. Sollten dir die beiden letzteren fehlen, so kannst du auf den ersten doch mit Sicherheit zählen.«

»Signore Monforte hat einen berühmten Namen und ist uns willkommen bei unsern Spielen in Venedig«, bemerkte der Doge, sich leicht verbeugend gegen den jungen kalabrischen Edeln, der ganz in seiner Nähe aus einer Prunkgondel dem Schauspiel mit großer Teilnahme zusah. Er dankte dem Dogen mit einer tiefen Verbeugung dafür, daß er die Spöttereien des Beamten unterbrochen hatte, und das Geschäft ging seinen Gang fort.

»Begib dich an deinen Platz, Gino von Kalabrien, und das Glück geleite dich«, sagte der Beamte, und sich dem nächsten Bewerber zuwendend, sagte er verwundert: »Weshalb kommst du hierher?«

»Um die Schnelligkeit meiner Gondel zu versuchen.«

»Du bist alt und diesem Kampfe nicht mehr gewachsen. Spare deine Kraft für dein Tagewerk. Ein übel angebrachter Ehrgeiz hat dich zu diesem nutzlosen Unternehmen bewogen.«

Der neue Bewerber hatte ein gemeines Fischerboot von gutem Bau und hinlänglicher Leichtigkeit, aber abgenutzt durch den täglichen Gebrauch, unter die Galerie des Buzentauren gebracht. Er nahm den Vorwurf demütig hin und war schon im Begriff, sein Boot mit trauriger, gekränkter Miene umzuwenden, als ein Zeichen des Dogen ihn zurückhielt.

»Frage ihn wie gewöhnlich«, sagte der Fürst.

»Wie heißest du?« fuhr der Beamte widerstrebend fort.

»Ich bin Antonio, ein Fischer von den Lagunen.«

»Du bist alt.«

»Signore, das weiß niemand besser als ich, denn es sind sechzig Sommer, seitdem ich zum ersten Male Netz oder Schnur in das Wasser warf.«

»Du bist auch nicht so gekleidet, wie sich’s bei einer Regatta vor dem Adel Venedigs geziemt.«

»So gut, als ich’s habe. Mögen die sich, die den Edeln mehr Ehre machen wollen, besser kleiden.«

»Der Kampf steht allen offen«, sagte der Doge. »Doch würde ich dem armen, alten Mann empfehlen, Rat anzunehmen. Man gebe ihm Geld, denn gewiß treibt ihn die Not zu diesem hoffnungslosen Versuch.«

»Du hörst es, Almosen wird dir geboten. Mache nur denen Platz, die zum Spiele tüchtiger und besser angetan sind.«

»Der Kampf, sagten sie, stehe allen offen, und ich bitte die Edeln um Verzeihung, weil ich nicht gemeint habe, ihnen Unehre zu machen.«

»Gerechtigkeit im Palaste und Gerechtigkeit auf den Kanälen«, fiel der Fürst hastig ein. »Wenn er drauf besteht, so hat er ein Recht dazu. Es ist der Stolz der Republik, daß sie die Waage im Gleichgewicht erhält.« »So will ich denn versuchen, was dieser nackte Arm noch vermag«, sagte Antonio. »Meine Gliedmaßen sind voll Narben, aber die Türken haben ihnen vielleicht doch noch Kraft genug gelassen zu dem Wenigen, was ich begehre.«

»Auf wen setzest du dein Vertrauen?«

»Auf den gelobten St. Antonius vom wunderbaren Fischzug.«

»So nimm deinen Platz. Ha, hier kommt jemand, der nicht gekannt sein will. Heda! Wer erscheint mit einem solchen falschen Gesicht?«

»Nenn mich Maske!«

»Ist es Ew. Hoheit Wille, daß ein verkleideter Mann am Spiele teilnehme?«

»Ohne Zweifel. Eine Maske ist geheiligt in Venedig. Es ist der Ruhm unserer vortrefflichen und weisen Gesetze, daß sie einem jeden, der seine eigenen Gedanken für sich haben will oder der die Züge seines Gesichtes vor der Neugier bergen will, verstatten, unsere Straßen und Kanäle zu durchziehen, so sicher, als wäre er in seinem eigenen Hause.

Dies sind die heiligen Vorrechte der Freiheit, und das will es sagen, ein Bürger zu sein in einer hochherzigen, edelgesinnten, freien Republik«

Tausende verneigten sich diesem Ausspruche beifällig, und es verbreitete sich von Mund zu Mund das Gerücht, ein junger Adeliger sei im Begriffe, seine Tüchtigkeit in der Regatta zu versuchen, zur Ehre einer eigensinnigen Schönen.

»Das ist Gerechtigkeit!« rief der Herold mit lauter Stimme, als bezwänge in dem Feuer des Augenblicks die Bewunderung selbst seine Ehrerbietung. »Glücklich, wer in Venedig geboren ist! Auf wen verlassest du dich?«

»Auf meinen eigenen Arm!«

»Ha, das ist gottlos! Ein Übermütiger soll nicht das Vorrecht dieser Spiele genießen.«

Ein allgemeines Murren, wie es sich bei plötzlicher und heftiger Aufregung der Menge zu erheben pflegt, folgte der schnellen Äußerung des Herolds.

»Die Kinder des Staates«, bemerkte der ehrwürdige Fürst, »stehen alle unter einer unparteiischen Behörde. Das ist unser gerechter Stolz. Doch das ist keinem vergönnt, die Anrufung der Heiligen abzulehnen.«

»Nenne deinen Patron oder verlaß diesen Ort«, fuhr der gehorsame Herold fort.

Der Fremde schwieg einen Augenblick, als lese er in seinem Innersten, und erwiderte dann: »St. Johannes von der Wüste.«

»Du nennst einen Namen von gesegnetem Andenken.«

»Ich nenne einen, der sich vielleicht über mich erbarmt in dieser belebten Wildnis.«

»Du mußt die Stimmung deines Gemüts am besten selbst kennen, aber diese ehrwürdige Versammlung von Patriziern, dieser glänzende Kreis von Schönheiten und dies stattliche Volk heischen eine bessere Bezeichnung. Nimm deinen Platz ein!«

Während der Herold noch drei oder vier andere Gondolieri, die in Privatdiensten standen, als Teilnehmer vermerkte, lief ein Gemurmel durch die Zuschauer, das den Anteil und die Neugier verkündete, die durch das Auftreten und die Antworten der beiden zuletzt erwähnten Bewerber erregt wurden. Der Herold machte kund, daß die Liste geschlossen sei, und die Gondeln wurden, wie zuvor, nach dem Platze des Auslaufs bugsiert, so daß der Raum am Spiegel des Buzentauren leer blieb. Die folgende Szene ging daher gerade unter den Augen jener ernsten Männer vor sich, die sich mit den meisten Privatverhältnissen der Familien nicht minder als mit den öffentlichen Angelegenheiten Venedigs zu beschäftigen pflegten.

Es schwärmten nämlich viele Gondeln umher, und unmaskierte Damen von hoher Geburt saßen darin, begleitet von Kavalieren in reichem Putz. Hier und da blitzten ein Paar schwarze, leuchtende Augen durch die seidene Maske, die das Antlitz einer Schönen barg. Eine Gondel vor allen andern trug eine herrliche Gestalt, deren Schönheit und Anmut sogar durch die halbe Verkleidung, in die sie sich hüllte, hindurchschimmerten. Das Fahrzeug, die Diener und die Damen, denn es waren ihrer zwei im Boote, zeichneten sich aus durch jene vollendete Einfachheit des Äußeren, die häufiger bei einem gebildeten Geschmack angetroffen wird als prunkende Überladung des Schmuckes. Ein Karmeliter, dessen Gesicht sich in der Kutte barg, ließ auf den hohen Stand der Damen schließen und verlieh als ein ernster Beschützer ihrer Erscheinung Würde. Hundert Gondeln näherten sich dieser einen und schlüpften wieder hinweg nach vergeblichem Bemühen, die Damen durch die Verkleidung zu erkennen. Geflüster und Fragen über Namen und Stand der jungen Schönheit liefen aber von einem zum andern. Endlich fuhr in den Kreis der Neugierigen eine stattliche Barke ein, mit wohlberechneter Pracht ausgestattet und mit Gondolieri in prächtiger Livree bemannt Ein einziger Kavalier saß darin. Er erhob sich und begrüßte die maskierten Damen mit der Sicherheit eines an vornehmen Umgang gewöhnten Mannes, aber mit der Zurückhaltung tiefer Ehrfurcht.

»Mein Lieblingsdiener«, sagte er galant, »nimmt an diesem Rennen teil, und ich kann auf seine Geschicklichkeit und Kraft Vertrauen setzen. Ich habe mich bisher vergeblich nach einer so schönen und tugendhaften Dame umgeschaut, daß ich sein Glück an ihr wohlwollendes Lächeln knüpfen könnte, nun aber suche ich nicht weiter.«

»Ihr habt ein durchdringendes Auge, Signore, daß Ihr auch unter diesen Masken das entdeckt, was Ihr suchet«, erwiderte eine von den Damen, während sich ihr Begleiter, der Karmeliter, mit Anstand bei der Höflichkeit des Fremden verbeugte.

»Erkennt man sich denn nur an den Augen, meine Damen, und bewundert nur mit den Sinnen? Ihr mögt Euch verstecken, wie Ihr wollt, ich weiß es dennoch, daß mir das schönste Gesicht nahe ist, das wärmste Herz und das reinste Gemüt in ganz Venedig.«

»Eine kühne Prophezeiung, Signore!« sagte die ältere von den beiden Frauen und sah auf ihre Gefährtin, als wollte sie erforschen, welche Wirkung auf diese die galante Rede hervorbringe. »Venedig ist berühmt durch die Schönheit seiner Frauen, und Italiens Sonne erwärmt manch edles Herz.«

»So herrliche Gaben sollten lieber zum Preise des Schöpfers als des Geschöpfes angewendet werden«, murmelte der Mönch.

»Es gibt doch Leute, heiliger Vater, die für beide Bewunderung hegen. Dies, darf ich hoffen, ist wenigstens das glückliche Los derer, deren der geistliche Rat eines so tugendhaften und weisen Mannes zugute kommt, als Ihr seid. Ihr überlasse ich mein heutiges Glück, komme, was da wolle, und ihr möcht ich gern wohl mehr überlassen, wenn ich dürfte.«

So sagte der Kavalier und überreichte der schweigenden Schönen einen Strauß der lieblichsten, duftigsten Blumen. Es waren auch solche darunter, denen die Dichtung die Bedeutung der Liebe und Treue beilegen. Die Dame, der dies artige Geschenk dargeboten ward, war unschlüssig, ob sie es annehmen dürfte.

»Nimm die Blumen, meine Liebe!« flüsterte ihr die Gefährtin sanft zu. »Der Kavalier, der sie darbietet, will nur einen Beweis seiner guten Lebensart geben.«

»Das wird sich am Ende zeigen«, versetzte hastig Don Camillo – denn er war es. »Signora, lebet wohl. Wir sind uns auf diesem Wasser wohl begegnet, wo uns weniger Zurückhaltung auferlegt war.«

Er verneigte sich und gab seinem Gondoliere ein Zeichen. Sogleich verlor er sich unter der Menge der Gondeln. Jedoch, ehe sich die Boote voneinander trennten, lüftete die Schöne ihre Maske ein wenig, als suchte sie Kühlung durch die frische Luft, und der Neapolitaner ward belohnt durch einen flüchtigen Blick in Violettas glühendes Gesicht.

»Dein Vormund blickt sehr verdrießlich her«, bemerkte Donna Florinde schnell. »Ich wundere mich, daß man uns erkannt hat.«

»Ich würde mich mehr wundern, wenn man uns nicht erkannt hätte. Ich würde den edeln neapolitanischen Kavalier unter Millionen herausfinden! Du denkst nicht an alles, was ich ihm schuldig bin.«

Donna Florinde erwiderte nichts. Sie wechselte mit dem Karmeliter verstohlen einen Blick voll Besorgnis; sie schwiegen aber beide, und es folgte dem Begegnen eine lange, gedankenvolle Pause.

Da weckte ein Kanonenschuß und ein Getümmel auf dem Canale Grande, dem Orte des beginnenden Kampfes, zunächst und danach eine helle Trompetenfanfare die kleine Gesellschaft aus ihrem Sinnen und erinnerte die ganze fröhliche, lachende Menge an ihren gegenwärtigen Zweck.

Achtundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

Die Weise, in der der Rat der Drei seine offenen Zusammenkünfte hielt, wenn irgend etwas, was die mysteriöse Versammlung anging, offen genannt werden kann, ist bereits erzählt worden. Es waren wieder dieselben Anzüge, Masken und Offizianten der Inquisition wie bei jenem in einem früheren Artikel beschriebenen Auftritte. Nur der Charakter der Richter war ein anderer sowie der des Angeklagten.

Durch eine besondere Einrichtung der Lampe ward das meiste Licht auf den Fleck geworfen, wo der Gefangene stehen sollte, während die Seite des Zimmers, an der die Inquisitoren saßen, in einem Dunkel blieb, das zu ihrem düstern, geheimnisvollen Amte gar wohl stimmte. Ehe sich die Tür öffnete, durch die der Beschuldigte eintreten mußte, hörte man das Klirren der Ketten, ein sicheres Anzeichen, daß der vorliegende Fall als sehr ernstlich angesehen ward. Die Angeln drehten sich, und der Bravo stand vor den unbekannten Männern, die über sein Schicksal zu entscheiden hatten.

Da Jacopo oft vor dem Rat erschienen war, obgleich niemals als Gefangener, so verriet er weder Überraschung noch Bestürzung bei dem finsteren Anblick umher. Sein Gesicht war bleich, aber gefaßt, seine Glieder unbeweglich und seine Miene bescheiden. Als sich das kleine Geräusch gelegt hatte, das bei seinem Eintritt entstand, herrschte in dem Zimmer tiefe Stille.

»Du heißest Jacopo Frontoni?« sagte der Sekretär, der das Mundstück der Drei bei dieser Gelegenheit abgab.

»Ja.«

»Du bist der Sohn eines gewissen Ricardo Frontoni, eines durch Zolldiebstahl berüchtigten Mannes, von dem man glaubt, daß er nach den entfernten Inseln verbannt oder anderweitig bestraft wurde?«

»Signore – oder anderweitig bestraft wurde.«

»Du warst Gondoliere in deiner Jugend?«

»Das war ich.«

»Deine Mutter ist –«

»– tot«, sagte Jacopo, als er bemerkte, daß der andere schwieg, um seine Instruktion anzusehen.

Der tiefe Ton, mit dem er dieses Wort sprach, erregte eine Stille, die der Sekretär erst unterbrach, nachdem er einen Blick hinter sich auf die Richter geworfen hatte.

»Sie war nicht der Teilnahme an dem Verbrechen deines Vaters angeklagt?«

»Und wäre sie es gewesen, Signore, sie ist längst nicht mehr im Bereiche der Macht dieser Republik.«

»Bald nachdem dein Vater das Mißfallen des Staates erregt hatte, gabst du dein Geschäft als Gondoliere auf?«

»Signore, ja.«

»Du bist angeklagt, Jacopo, das Ruder mit dem Stilett vertauscht zu haben.«

»Signore, ja.«

»Die Gerüchte von deinen Bluttaten haben seit mehreren Jahren zugenommen in Venedig, bis in der letzten Zeit keiner mehr eines unzeitigen Todes starb, dessen Ermordung man dir nicht zugeschrieben hätte.«

»Das ist nur zu wahr, Signore Segretario. – Ich wollte, dem wäre nicht so.«

»Die Ohren Seiner Hoheit und die Ratskollegien sind nicht verschlossen geblieben vor diesen Gerüchten, sondern haben sie lange mit dem Ernst einer väterlichen und sorgsamen Regierung erwogen. Wenn sie dich frei herumgehen ließen, so geschah es nur, um nicht den Hermelin der Gerechtigkeit durch ein übereiltes und nicht hinlänglich begründetes Erkenntnis zu beflecken.«

Jacopo neigte sein Haupt und gab keine Antwort. Aber ein Lächeln, so wild und bedeutungsvoll, glitt bei dieser Erklärung über seine Züge, daß der Offiziant des geheimen Tribunals, der als Organ der Mitteilung diente, auf das Papier niederblickte, das er in der Hand hielt, als wollte er tiefer in die Schriften hineinsehen.

»Es ist nunmehr eine ganz besondere und fürchterliche Beschwerde gegen dich beigebracht worden, Jacopo Frontoni«, fuhr der Sekretär fort, »und aus Fürsorge für das Leben seiner Bürger hat der gefürchtete Rat selbst die Sache in die Hand genommen. Hast du einen gewissen Antonio Vecchio, Fischer hier auf unseren Lagunen, gekannt?«

»Ja, Signore, in der letzten Zeit, und ich bedaure, ihn nicht schon früher gekannt zu haben.«

»Du weißt auch, daß sein Körper ersäuft in der Bai gefunden worden?«

Jacopo schauderte und bejahte die Frage nur durch ein Zeichen. Die Wirkung, die diese schweigende Bejahung auf den Jüngsten der Drei hervorbrachte, war unverkennbar, denn er wandte sich zu seinen Kollegen in der Überzeugung, daß dieses Zeichen einem Geständnisse gleichkomme. Die beiden anderen machten zur Erwiderung würdevolle Verneigungen, und damit war die stillschweigende Mitteilung beendet.

»Sein Tod hat Unzufriedenheit unter seinen Kameraden erregt, und die Veranlassung dazu ist ein Gegenstand ernstlicher Untersuchung für den hohen Rat geworden.«

»Der Tod des geringsten Mannes in Venedig muß den Patriziern angelegen sein, Signore.«

»Weißt du, Jacopo, daß du angeklagt bist, ihn ermordet zu haben?«

»Signore, ja.«

»Man sagt, du seiest unter den Gondolieri in der letzten Regatta gewesen und würdest ohne diesen alten Fischer den ersten Preis gewonnen haben.«

»Darin hat das Gerücht nicht gelogen, Signore.«

»Du leugnest also nicht?« rief der Inquirent mit sichtlichem Erstaunen.

»Es ist gewiß, daß ich ohne diesen Fischer gewonnen hätte.«

»Und du hast den Preis gewünscht, Jacopo?«

»Gar sehr, Signore«, erwiderte der Angeklagte mit einem Ausdruck des Gefühls, den er bisher noch nicht gezeigt hatte. »Ich war bei seinen Kameraden ein verachteter Mensch, und doch ist das Ruder mein Stolz gewesen von meiner Kindheit an bis zu jener Stunde.«

Eine Bewegung des dritten Inquisitors verriet wieder dessen Anteil und Erstaunen.

»Gestehst du dein Verbrechen?«

Jacopo lächelte, aber mehr aus Spott als aus einem andern Gefühle.

»Wenn die erlauchten Senatoren hier gegenwärtig ihre Masken abnehmen wollen, so kann ich diese Frage vielleicht mit größerer Zuversicht beantworten«, sagte er.

»Dein Verlangen ist verwegen und außer der Ordnung. Niemand kennt persönlich die Patrizier, die im Staate die letzte Entscheidung haben. Bekennst du dein Verbrechen?«

In diesem Augenblick trat ein Offiziant hastig herein, legte eine Schrift in die Hand des rotgekleideten Inquisitors und entfernte sich. Nach einer kleinen Pause befahl man den Wachen, mit dem Gefangenen abzutreten.

»Hohe Senatoren«, sagte Jacopo, indem er ernst an den Tisch trat, als wollte er den Augenblick benutzen, um durchzusetzen, was er zu fordern im Begriff stand. »Gnade! Verstattet mir, einen Gefangenen unter den Bleidächern zu besuchen! Ich habe wichtige Gründe, dies zu wünschen, und bitte euch als Menschen und Väter, es mir zu erlauben.«

Das lebhafte Interesse der zwei für die eben gebrachte Nachricht, über die sie sich seitwärts besprachen, verhinderte sie, auf sein Gesuch zu achten. Der dritte Inquisitor, Signore Soranzo, war der Lampe näher getreten, begierig, in den Zügen eines so berüchtigten Menschen zu forschen, und staunte seine auffallende Gesichtsbildung an. Gerührt durch den ergreifenden Ton seiner Rede und zum Wohlwollen gestimmt durch die Züge, die er musterte, übernahm er die Verantwortlichkeit, allein den Wunsch des Gefangenen zu gewähren.

»Erfüllt ihm, was er verlangt«, sagte er zu den Hellebardieren, »aber haltet ihn bereit, wieder vorzutreten.«

Jacopo dankte ihm durch einen Blick; aber in Besorgnis, daß die andern noch plötzlich seinem Verlangen in den Weg treten möchten, verließ er eilig das Zimmer.

Der Weg der kleinen Prozession, die sich vom Zimmer des heimlichen Gerichts nach dem Sommeraufenthalt seiner Schlachtopfer begab, bezeichnete auf traurige Weise den Ort und die Regierung.

Er führte durch finstere, verdeckte Korridore, die dem uneingeweihten Auge verborgen waren, während sie nur dünne Wände von den Zimmern des Dogen trennten, die gleich jenem äußern Anstrich des ganzen Staates hinter Pracht und Glanz nichts als Nacktheit und Elend versteckten. Als das Obergeschoß erreicht war, blieb Jacopo stehen und redete seine Führer an: »Wenn ihr Menschen seid, von Gott geschaffen, so nehmt mir, wenn auch nur für einen Augenblick, diese klingenden Ketten ab.«

Die Schließer sahen überrascht einander an, keiner wollte das Liebeswerk auf sich nehmen.

»Ich will«, fuhr der Gefangene fort, »vermutlich zum letztenmal, einen bettlägerigen oder auch schon sterbenden Vater besuchen, und er weiß nichts von meiner Lage, soll er mich in diesem Zustande sehen?«

Mächtig mehr durch Ton und Gebärde als durch Worte, verfehlte diese Anrede ihre Wirkung nicht. Ein Schließer nahm ihm die Ketten ab und hieß ihn hineingehen. Mit vorsichtigem Tritt ging Jacopo, als die Tür geöffnet war, allein in das Zimmer, denn keiner nahm an der Zusammenkunft eines gemeinen Bravo mit seinem Vater so vielen Anteil, daß er sich deshalb hätte der brennenden Hitze dieses Ortes aussetzen wollen. Hinter ihm schloß sich die Tür, und das Gemach wurde dunkel.

Ungeachtet seiner angenommenen Festigkeit blieb Jacopo erschüttert stehen, als sich ihm so plötzlich das stille Elend des unglücklichen Gefangenen veranschaulichte. Ein schweres Atmen ließ ihn den Ort des Strohlagers erraten, denn die Mauern, die auf der Seite des Korridors massiv waren, verhinderten das Eindringen des Lichtes durchaus.

»Vater!« sagte Jacopo sanft. Er erhielt keine Antwort,

»Vater!« wiederholte er lauter.

Das Atmen wurde hörbarer, darauf sprach der Gefangene.

»Die heilige Maria erhört mein Flehen«, sagte er mit schwacher Stimme. »Gott hat dich mir geschickt, mein Sohn, mir die Augen zuzudrücken.«

»Verläßt dich deine Kraft, Vater?«

»Sehr, mein Stündlein ist gekommen – ich hatte gehofft, das Tageslicht wiederzusehen, deine teure Mutter und Schwester zu segnen – Gottes Wille geschehe!«

»Sie beten für uns beide, Vater. Sie sind nicht mehr in der Gewalt des Senats.«

»Jacopo – ich versteh dich nicht!«

»Meine Mutter und meine Schwester sind tot, sind Heilige im Himmel, Vater!«

»Das ist ein plötzlicher Schlag!« sprach der alte Mann leise. »Nun, so scheiden wir zusammen.«

»Sie sind längst tot, Vater.«

»Warum hast du mir das nicht früher gesagt, Jacopo?«

»Hattest du nicht ohnehin des Grams genug? Jetzt, da du im Begriff stehst, zu ihnen zu gehen, wird es dir Freude machen, zu erfahren, daß sie schon lange selig sind.«

»Und du, du wirst allein zurückbleiben – gib mir deine Hand – armer Jacopo.«

Der Bravo griff hin und faßte die schwache Hand seines Vaters. Sie war steif und kalt.

»Jacopo!« fuhr der Gefangene fort, denn sein Geist hielt noch den Körper. »Ich habe dreimal seit einer Stunde gebetet – einmal für meine eigene Seele – einmal für den Frieden deiner Mutter – und endlich auch für dich!«

»Dank, Vater, Dank! Mir tut Fürbitte not!«

»Knie hin, Jacopo – daß ich Gott noch einmal – bitten möge, deiner zu gedenken.«

»Ich bin neben dir, Vater.«

Der alte Mann hob seinen schwachen Arm empor, und mit einer Stimme, deren Kraft sich neu zu beleben schien, sprach er einen glühenden, feierlichen Segen.

»Der Segen eines sterbenden Vaters wird deine Tage versüßen, Jacopo«, sagte er nach einer Pause, »und deinen letzten Augenblicken Frieden geben.«

»Das wird er, Vater.«

Ein rauher Ruf von der Türe her unterbrach sie.

»Komm, Jacopo«, sagte einer von den Schließern, »der Rat verlangt dich.«

Jacopo fühlte das krampfhafte Zucken seines Vaters und gab keine Antwort.

»Wollen sie dich nicht – noch ein paar Minuten hierlassen?« stammelte der alte Mann. »Ich werde dich nicht lange mehr aufhalten.«

Die Tür ging auf, und ein Strahl der Lampe fiel auf die Gruppe im Gemach. Der Schließer war so menschlich, wieder zuzumachen und alles im Dunkel zu lassen. Jacopo gewann durch dies Streiflicht einen letzten Blick in seines Vaters Gesicht. Der Tod hauste darin entsetzlich, aber die Augen waren in unaussprechlicher Liebe dem Sohne zugekehrt.

»Das ist ein barmherziger Mann – er will dich nicht aussperren«, sagte der Vater leise.

»Sie können dich nicht allein sterben lassen, Vater.«

»Sohn, mein Gott ist bei mir – doch hätte ich dich freilich gern neben mir – hast du nicht gesagt – deine Mutter und deine Schwester sind tot?«

»Tot.«

»Deine junge Schwester auch?«

»Alle beide, Vater. Sie sind Heilige im Himmel.«

Der alte Mann atmete schwer, und es ward stille. Jacopo fühlte die Bewegung einer Hand im Dunkeln, als suchte sie ihn, er ergriff sie und legte sie in Ehrfurcht auf sein eigenes Haupt.

»Gott segne dich, Jacopo!« flüsterte eine Stimme, die der aufgeregten Einbildungskraft des Bravo aus der Luft herabzuschweben schien. Den feierlichen Worten folgte ein bebendes Seufzen. Jacopo barg sein Gesicht im Bettuch und betete. Darauf ward tiefe Stille.

»Vater«, fragte er, zitternd vor seiner eigenen gedämpften Stimme.

Keine Antwort. Er streckte die Hand aus und berührte das Gesicht eines Leichnams. Mit einer Gewalt, die an Verzweiflung grenzte, beugte er abermals seinen Kopf nieder und betete inbrünstig für den Toten.

Als sich die Tür der Zelle öffnete, erschien Jacopo vor den Schließern mit einer Würde der Haltung, die nur wirklichem Charakter eigen ist, und jetzt noch erhöht war durch die eben erlebten Augenblicke. Er bot seine Arme dar und stand unbeweglich, als sie ihm die Fesseln wieder anlegten. Darauf gingen sie miteinander nach dem geheimen Zimmer, und es währte nicht lange, so standen alle wie vorher vor dem Rate der Drei.

»Jacopo Frontoni«, nahm der Sekretär das Wort, »du bist noch einer andern schwarzen Tat verdächtig, die ganz kürzlich in unserer Stadt begangen worden. Hast du einen edeln Kalabrier gekannt, der auf die Senatorwürde Anspruch machte und sich lange hier in Venedig aufhielt?«

»Ja, Signore.«

»Hast du mit ihm zu tun gehabt?«

»Ja, Signore.«

Eine Bewegung unter den Zuhörern verriet den Anteil, den alle nahmen.

»Weißt du, wo Don Camillo Monforte sich gegenwärtig befindet?«

Jacopo zauderte. Er kannte die Mittel, die dem Senat zu Gebote standen, um sich von allem in Kenntnis zu setzen, so gut, daß er in Zweifel geriet, inwiefern es rätlich wäre, seinen Anteil an der Flucht der Liebenden zu leugnen. Außerdem hatte sich in diesem Augenblick ein tiefes, heiliges Gefühl für Wahrheit in seinem Gemüte eingedrückt.

»Kannst du Auskunft geben, warum der junge Herzog nicht in seinem Palaste gefunden wird?« wiederholte der Sekretär.

»Illustrissimo, er hat Venedig für immer verlassen!«

»Woher weißt du das? Hat er einen gemeinen Bravo zu seinem Vertrauten gemacht?«

Ein Lächeln voll überlegenen Selbstbewußtseins blitzte über Jacopos Züge und veranlaßte den wohlunterrichteten Agenten des geheimen Tribunals, tief in seine Papiere hineinzublicken, gleich einem, der sich getroffen fühlt.

»Bist du sein Vertrauter? Ich frage noch einmal.«

»Signore, in dieser Sache, ja! Ich habe die Versicherung aus Don Camillo Monfortes eigenem Munde, daß er nicht wiederkommen wird.«

»Das ist unmöglich, da er somit all seine schönen Hoffnungen und glänzenden Güter aufopfern würde.«

»Er tröstet sich mit dem Ersatze, Signore, den ihm die Liebe der jungen Tiepolo und deren Reichtümer bieten.«

Abermalige Bewegung unter den Dreien, die alle ihre Geübtheit in der Selbstbeherrschung und die mechanische Gravität ihres geheimnisvollen Amtes nicht zurückzuhalten vermochte.

»Die Schließer sollen sich entfernen«, sagte der Inquisitor im Scharlachkleide. Sobald der Gefangene mit den Dreien und ihrem immerwährenden Sekretär allein war, ging das Verhör fort, und selbst die Senatoren, im Vertrauen auf ihre Masken und einige Verstellung der Stimme, sprachen gelegentlich mit.

»Es ist ein wichtiger Aufschluß, den du uns gegeben hast, Jacopo!« fuhr der im roten Kleide fort. »Es kann noch dein Leben retten, wenn du klug genug bist, die Gelegenheit zu benutzen.«

»Was wünschen Ew. Exzellenz von mir? Offenbar hat der Rat Kenntnis von Don Camillos Flucht, und ich kann nicht glauben, daß Augen, die sich so selten schließen, die Erbin von Tiepolo noch nicht vermißt haben sollten.«

»Beides ist wahr, Jacopo. Aber was weißt du von den Mitteln zur Flucht? Bedenke, daß dein eigenes Schicksal von der Gunst abhängt, die du dir bei dem Rate erwirbst.«

Der Gefangene ließ wieder einen von jenen erstarrenden Blicken über sein Gesicht leuchten, vor dem seine Richter jedesmal niedersahen.

»An Mitteln zur Flucht kann es einem kühnen Liebhaber nicht fehlen, Signore«, erwiderte er. »Don Camillo ist reich und konnte tausend Diener in Bewegung setzen, wenn es nötig war.«

»Du suchst auszuweichen. Es ist dein eigener Nachteil, wenn du den Rat zum besten hast! Welche Diener benutzte er?«

»Er hatte eine ihm ergebene Dienerschaft, Exzellenz – viele dreiste Gondolieri und Leute aller Art.«

»Von diesen wollten wir nichts wissen. Er ist durch andere Mittel entkommen, oder bist du denn überhaupt ganz sicher, daß er entkommen ist?«

»Signore, ist er noch in Venedig?«

»Danach fragen wir dich eben. Hier ist eine Anklage im Löwenrachen gefunden worden, die dich zeiht, ihn ermordet zu haben!«

»Und Donna Violetta auch, Exzellenza?«

»Von ihr haben wir nichts gehört. Was erwiderst du auf diese Anklage?«

»Signore, warum sollte ich meine eigenen Geheimnisse verraten?«

»Ha, bist du doppelzüngig und treulos? Besinne dich, daß wir einen Gefangenen unter den Bleidächern haben, der dir die Wahrheit wohl abpressen kann!«

Jacopo richtete sich zu einer solchen Höhe auf, als man sich nur vorstellen kann, um die Erhebung eines freien Geistes auszudrücken. Sein Auge aber war dennoch traurig und seine Stimme, trotz der Anstrengung, sie zum Gegenteil zu zwingen, schwermütig.

»Senatoren«, sagte er, »euer Gefangener unter den Bleidächern ist frei.«

»Was! Du scherzest noch in deiner Verzweiflung!«

»Ich spreche wahr. Die so lang verzögerte Befreiung ist endlich gekommen.«

»Dein Vater –«

»– ist tot«, fiel Jacopo mit feierlichem Tone ein.

Die beiden älteren Mitglieder des Rates sahen einander überrascht an, während ihr jüngerer Kollege mit der Teilnahme zuhörte, die ein Neuling in geheimen und verwickelten Geschäften zu haben pflegt. Die ersteren berieten sich leise und sagten dann dem Signore Soranzo so viel von ihrem Beschluß, als sie in diesem Falle für nötig erachteten.

»Wirst du deine eigene Sicherheit in Erwägung ziehen, Jacopo, und uns eröffnen, was du von der Sache des Neapolitaners weißt?« fuhr der Inquisitor fort, als dieses Zwischenspiel zu Ende war.

Jacopo verriet keine Schwäche bei der Drohung des Senators, aber nach kurzer Überlegung antwortete er mit so viel Freimütigkeit, als er nur im Beichtstuhl an den Tag legen konnte: »Ihr wißt, erlauchter Senator, daß dem Staate daran lag, die Erbin von Tiepolo zu seinem eigenen Vorteile zu verheiraten, daß sie aber der neapolitanische Edelmann liebte und daß sie, wie unter jungen und empfindungsvollen Herzen zu geschehen pflegt, seine Liebe erwiderte in dem Maße, als einem Mädchen ihres Ranges und ihrer Jugend geziemend war. Ist da etwas Erstaunliches in dem Umstande, daß sich zwei Personen von so glänzenden Aussichten bemühten, ihr Unglück abzuwehren? Signori, in der Nacht, da der alte Antonio starb, war ich unter den Gräbern des Lido allein mit meiner Schwermut und meinem bittern Herzen, und mir war das Leben zur Last. Hätte der böse Geist, der damals die Oberhand gewonnen hatte, seine Meisterschaft behauptet, so wäre ich als ein hoffnungsloser Selbstmörder gestorben. Gott sandte aber Don Camillo Monforte, mich zu retten. Dort lernte ich die Wünsche des Neapolitaners kennen und begab mich in seine Dienste. Ich schwur ihm, Senatoren, gewissenhaft zu sein, für seine Sache zu sterben, wenn es nötig wäre, und ihm zu seiner Braut zu verhelfen. Die Verpflichtung hab ich erfüllt. Die glücklichen Liebenden sind jetzt im Kirchenstaate und unter dem mächtigen Schutze des Kardinalsekretärs, der Don Camillos Mutterbruder ist.«

»Narr, warum hast du das getan? Hast du nicht an dich selbst gedacht?«

»Sehr wenig, Exzellenz. Ich dachte mehr an die Wonne, mein Leid in eine menschliche Brust ausschütten zu können, als an Euer hohes Mißvergnügen. Seit Jahren hab ich keinen so süßen Augenblick gehabt, als da ich den Herzog von Sant‘ Agata seine schöne und vor Freuden weinende Braut an sein Herz drücken sah.«

Die Inquisitoren waren überrascht durch den stillen Enthusiasmus des Bravo, und die Verwunderung verursachte wieder eine Pause. Endlich nahm der Älteste von den Dreien das Verhör wieder auf. »Wirst du uns die Art ihres Entkommens mitteilen, Jacopo?« fragte er. »Bedenke, daß du noch ein Leben zu retten hast.«

»Signore, dieses eine ist kaum der Mühe wert. Aber Euch zu Gefallen soll nichts verschwiegen bleiben.« Jacopo erzählte nun einfach und ungeschminkt die Mittel, die Don Camillo zur Bewerkstelligung seiner Flucht angewendet hatte, die Hoffnungen, die Hindernisse und das endliche Gelingen. Er verheimlichte nichts bei dieser Erzählung als den Ort, wo die Damen auf kurze Zeit eine Zuflucht gefunden hatten, und Gelsominas Namen. Sogar Giacomo Gradenigos Anschlag auf das Leben des Neapolitaners und die Geschäftigkeit des Juden in dieser Sache machte er kund. Keiner hörte den Bericht so aufmerksam an als der junge Ehemann. Unbeschadet seiner öffentlichen Pflichten, klopften seine Pulse, als der Gefangene bei den wechselvollen Schicksalen der Liebenden verweilte, und als endlich ihre Vereinigung erzählt ward, hüpfte sein Herz vor Freuden. Auf der anderen Seite hörten seine erfahrenen Kollegen die Erzählung des Bravo mit berechnender Kälte. Den beiden Senatoren ward auf einmal klar, daß Don Camillo und seine schöne Gefährtin ihrer Macht entronnen waren, und sogleich sahen sie ein, daß man aus der Notwendigkeit eine Tugend machen müsse. Da sie Jacopos nicht weiter bedurften, so ließen sie die Schließer kommen und schickten ihn in sein Gefängnis zurück.

»Es wird geziemend sein, dem Kardinalsekretär ein Glückwunschschreiben wegen der Heirat seines Neffen mit einer so reichen Erbin unserer Stadt zuzusenden«, sagte der Inquisitor von den Zehnen, als sich die Tür hinter den Weggehenden geschlossen hatte. »Wir müssen uns den großen Einfluß des Neapolitaners geneigt halten.«

»Aber wenn er nun auf den Widerstand unseres Staates gegen sein Vorhaben Gewicht legte?« wandte Signore Soranzo ein, schwach genug gegen einen so kühnen Plan.

»So legen wir die Sache allein dem vorigen Rate zur Last. Solche Mißgriffe sind unausbleibliche Folgen des Eigenwillens in einer freien Verfassung, Signore. Das Roß, das im Naturzustande über die Ebene streift, kann nicht gleicherweise gelenkt werden wie das träge Tier, das den Karren zieht. Ihr sitzet heut zum erstenmal unter den Dreien, aber die Erfahrung wird Euch lehren, daß, wie vortrefflich wir auch in der Theorie sind, die Praxis nicht immer gleich vollkommen sein kann. Das ist eine wichtige Sache mit dem jungen Gradenigo, Signori!«

»Ich habe ihn längst als einen Taugenichts gekannt«, versetzte sein älterer Kollege. »Jammerschade, daß solch ein ehrenwerter und edler Patrizier ein so unwürdiges Kind gezeugt hat. Aber weder der Staat noch die Stadt darf Mordanschläge ungeahndet lassen.«

»Oh, kämen sie doch nur seltener vor!« rief Signore Soranzo in aller Aufrichtigkeit.

»Jawohl, jawohl. Es sind einige Winke in unserer geheimen Information, die Jacopos Aussage bestätigen. Auch hat uns lange Erfahrung gelehrt, daß man seinen Berichten vollkommen Glauben beimessen kann.«

»Wie? – Ist denn Jacopo ein Agent der Polizei?«

»Davon mehr bei größerer Muße, Signore Soranzo. Gegenwärtig müssen wir diesen Anschlag gegen das Leben eines unter dem Schutze unserer Gesetze gestandenen Mannes in Erwägung ziehen.«

Nun entspann sich unter den Dreien eine angelegentliche Diskussion über die beiden Verbrecher. Signore Soranzo hatte eine schöne Gelegenheit, seine hochherzige Gesinnung geltend zu machen. Er war zwar ein Verwandter des Hauses Gradenigo, nahm aber doch keinen Anstand, das Betragen des jungen Adligen ernstlich zu rügen. Er begehrte zuerst, daß ein schreckendes Exempel statuiert und der Welt bewiesen würde, daß in Venedig die Geburt nicht zu Verbrechen bevorrechtet. Von dieser Ansicht der Sache ward er jedoch durch seine verschlagenen Kollegen zurückgebracht, die ihn erinnerten, daß die Gesetze zwischen beabsichtigten und begangenen Verbrechen einen Unterschied machten. Von seiner ersten Meinung abgelenkt durch die kältere Erwägung seiner Kollegen, schlug der junge Inquisitor vor, die Sache zur Entscheidung den gewöhnlichen Gerichten zu übergeben. Es fehlte nicht an Beispielen, daß die venezianische Aristokratie einen aus ihrer eigenen Mitte dem Scheine der Gerechtigkeit zum Opfer gebracht hatte, denn solche Fälle, mit Klugheit geleitet, vergrößerten ihre eigene Macht nur, statt sie zu schwächen! Allein, das vorliegende Verbrechen war ein zu gewöhnliches, als daß es sich verlohnt hätte, so überschwenglich freigebig in Aufopferung eigener Gerechtsame zu sein, und die alten Inquisitoren widersetzten sich dem Verlangen ihres jüngeren Kollegen mit scheinbar sehr guten Gründen und einem Anstrich von Rechtmäßigkeit. Es blieb endlich dabei, daß sie selber die Sache entscheiden müßten.

Die nächste Frage war, welche Strafe zuerkannt werden sollte. Der verschmitzte Senior des Rates brachte eine Verbannung auf einige Monate in Vorschlag, denn Giacomo Gradenigo hatte schon sonst in mehr als einer Hinsicht den Zorn der Regierung verdient. Signore Soranzo widersetzte sich dieser Strafe mit dem Feuer eines unverderbten edeln Herzens. Er trug endlich den Sieg davon, indem seine schlauen Amtsgenossen besonders hervorhoben, daß sie seinen Argumenten nachgäben. Das Resultat des ganzen Manövers war, daß der junge Gradenigo auf zehn Jahre in die Provinzen verwiesen, Hosea aber auf Lebenszeit verbannt ward. Hierbei mußte der Jude froh sein, noch mit so blauem Auge davonzukommen.

»Wir dürfen diese Entscheidung und deren Veranlassung nicht geheimhalten«, bemerkte der Inquisitor von den Zehnen, sobald die Sache beendet war. »Es ist kein Nachteil für den Staat, wenn bekannt wird, wie er die Gerechtigkeit handhabt.«

»Und wenn sie wirklich geübt wird, will ich hoffen«, entgegnete Signore Soranzo. »Da aber unsere heutigen Geschäfte beendigt sind, beliebt es den Herren, daß wir nach Hause zurückkehren?«

»Vorher haben wir noch die Sache des Jacopo abzumachen.«

»Den mögen wir doch immerhin den ordentlichen Tribunalen überlassen!«

»Wie Euch beliebt. Ist es so Eure Meinung, Signori?«

Die beiden andern stimmten durch Verbeugungen bei, und man schickte sich zur Heimkehr an.

Bevor aber die beiden älteren Mitglieder des Rates den Palast verließen, hielten sie miteinander eine lange und geheime Konferenz ab, deren Resultat eine Privatinstruktion für den Kriminalrichter war. Dann gingen sie in vollkommener Gewissensruhe nach Hause. Auch Signore Soranzo begab sich nach seiner prächtigen und beglückten Wohnung. Zum erstenmal in seinem Leben betrat er sie mit einem Mißtrauen in sich selbst. Ohne zu wissen, wodurch, fühlte er sich verstimmt, denn der erste Schritt war getan auf jenem verschlungenen und verderblichen Wege, der unfehlbar zur Vernichtung aller edeln und reinen Gesinnungen führt und nur durch die Sophistereien und Täuschungen der Selbstsucht unterhalten werden kann.

Neunundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Am folgenden Morgen wurde Antonio bestattet. Die Agenten der Polizei gebrauchten die Vorsicht, in der Stadt auszubreiten, daß der Senat diese Ehre dem Andenken des alten Fischers erweise wegen seines Sieges in der Regatta und als eine Art von Ersatz für seinen unverschuldeten und geheimnisvollen Tod. Alle Lagunenmänner versammelten sich zur festgesetzten Stunde auf dem Platze, in anständiger Kleidung, sich geschmeichelt fühlend durch die ihrem Stande erwiesene Ehre und mehr als zur Hälfte geneigt, allen früheren Groll vor der gegenwärtigen Gunst zu vergessen. So leicht wird es denen, die durch die Geburt oder das mittels künstlicher Organisation herbeigeführte Vorurteil höher gestellt sind als ihre Mitmenschen, so leicht wird es ihnen, durch ein wenig Herablassung ihr wirkliches Unrecht vergessen zu machen.

Noch immer wurden vor dem Altar des heiligen Markus Messen gelesen für die Seele des alten Antonio. Voran war unter den Priestern der gute Karmeliter, der nicht an Müdigkeit noch Hunger dachte, in der frommen Begier, die Dienste der Kirche zum Besten eines Mannes zu verrichten, von dessen Schicksal man fast sagen kann, daß er Augenzeuge gewesen. Doch blieb sein Eifer in diesem Augenblicke der Aufregung aller unbemerkt, nur nicht denen, deren Geschäft es war, jedes auffallendere Benehmen, jeden ungewöhnlichen Umstand argwöhnisch zu belauern. Als sich der Karmeliter endlich vom Altar entfernte, kurz ehe die Leiche weggetragen wurde, fühlte er sich leise am Ärmel seines Kleides fortgezogen. Er folgte der Bewegung und befand sich alsbald zwischen den Säulen der dunklen Kirche einsam einem Fremden gegenüber.

»Vater, du hast manchem Sterbenden die Absolution erteilt!« sagte der andere mehr mit zuversichtlichem, als mit fragendem Tone.

»Es ist die Pflicht meines heiligen Amtes, mein Sohn.«

»Der Staat wird deine Dienste anerkennen. Man wird deiner bedürfen, sobald die Leiche dieses Fischers beerdigt ist.«

Der Mönch schauderte, aber sich verbeugend, senkte er sein bleiches Antlitz zum Zeichen, daß er bereit sei, seine Pflicht zu erfüllen. In diesem Augenblick ward der Leichnam aufgehoben, und die Prozession begab sich hinaus auf die Piazza. Zuerst gingen wie gewöhnlich die Laienbrüder der Kathedrale. Dann folgten andere, die ihre erforderlichen Gebete absangen. Unter ihnen nahm der Karmeliter eilig seinen Platz. Hierauf kam die Leiche, aber nicht in einem Sarge, denn diesen Luxus bei der Beerdigung kannten die Leute aus dem Stande des alten Antonio nicht. Die Leiche war mit den Feiertagskleidern eines Fischers angetan. Hände und Füße waren nackt, ein Kreuz lag auf der Brust; die grauen Haare flatterten im Winde, und das Gespenstische des Todes war furchtbar gehoben durch einen an den Mund gelegten Blumenstrauß. Die Bahre war reich an Vergoldung und Schnitzwerk, wiederum ein trübes Zeichen, wie töricht das Sterben, wie falsch die Richtung menschlicher Eitelkeit ist.

Diesem eigentümlichen Aufzuge folgte ein Knabe, dessen braune Farbe, halbnackter Körper und dunkles, unstetes Auge ihn als das Enkelkind des Fischers kenntlich machten. Venedig verstand wohl zur rechten Zeit mit Anstand nachzugeben, und der Knabe war ohne weiteres von den Galeeren freigelassen worden, aus Mitleid, wie man hersagte, mit dem vorzeitigen Tode seines Großvaters. Der aufstrebende Blick, der kühne Geist und die strenge Redlichkeit Antonios sprachen sich auch schon in dem Benehmen des Knaben aus, aber diese charakteristischen Züge wurden verschleiert durch einen Anstrich von Kummer, und wie auch bei dem, dessen Leichenzuge er folgte, der Fall gewesen, ein wenig getrübt durch das harte Schicksal, das ihm zuteil geworden war. Von Zeit zu Zeit hob sich die Brust des gefühlvollen Knaben, während sie über den Kai zogen, dem Arsenal zu, und bisweilen bebten seine Lippen, daß der Schmerz seine männliche Kraft zu überwältigen drohte. Keine Träne netzte seine Wangen, bis endlich der Körper seinen Blicken entzogen ward. Da siegte die Natur. Er stahl sich aus dem Kreise, setzte sich beiseite und weinte, wie eben ein Kind in seinem Alter und in seiner Einfalt weint, wenn es sich allein findet auf dem wüsten Pfade durch das Leben.

So endete alles, was sich mit Antonio Vecchio, dem Fischer, begab, und sein Name ward bald nicht mehr genannt in der geheimnisvollen Stadt, wohl aber auf den Lagunen, wo die Genossen seines Handwerks noch lange seine Geschicklichkeit in Handhabung des Netzes rühmten und seinen Sieg über die besten Ruderleute von Venedig. Sein Enkel lebte und arbeitete gleich andern seines Standes, und wir wollen uns begnügen, von ihm nur noch als Beispiel, wie ganz er die Sinnesweise seines Großvaters geerbt hatte, dies anzuführen, daß er es vermied, sich in die Menge zu mischen, die einige Stunden später aus Neugier und Rachlust nach der Piazetta zog.

Vater Anselmo kehrte in einem Boote nach den Kanälen zurück und landete auf dem Kai des kleineren Platzes mit der Hoffnung, jetzt die aufsuchen zu dürfen, an denen er so lebhaften Anteil nahm und von deren Schicksal er nichts weiter erfahren hatte. Aber nein. Der Mann, der ihn in der Kathedrale angeredet hatte, stand dort, ihn offenbar erwartend, und da der Karmeliter wußte, daß seine Weigerung ebenso fruchtlos als gefährlich sein würde, weil der Staat mit im Spiele war, so ließ er sich führen, wohin jenem beliebte. Die beiden gelangten auf einem Umwege in das Gefängnis. Hier wies man den Priester in das Zimmer des Hauswarts und hieß ihn die weiteren Aufträge seines Führers erwarten.

Unsere Geschichte führt uns jetzt in Jacopos Zelle. Von dem Versammlungszimmer der Drei war er in sein düsteres Gemach zurückgeführt worden, wo er die Nacht zubrachte. Mit anbrechendem Tage ward der Bravo vor die gestellt, die dem Scheine nach beauftragt waren, Recht über ihn zu sprechen. Wir sagen: dem Scheine nach, weil Gerechtigkeit in einem Lande nicht herrschen kann, in dem die Regierenden durchaus ganz andere Interessen haben als die Regierten, weil bei einem solchen System immer, wenn das Übergewicht der bestehenden Autoritäten ins Spiel kommt, der Trieb der Selbsterhaltung so gewiß auf ihre Entscheidung Einfluß haben wird, als er den Menschen überhaupt treibt, Gefahren zu fliehen.

Wie im vorigen schon angedeutet worden, hatten die, die über Jacopo zu Gericht saßen, ihre Instruktionen, und das Verhör, das er ausstand, war eher ein dem äußern Schein gebrachtes Opfer als eine Huldigung der Gesetze. Alle Anklagepunkte wurden gehörig beigebracht, Zeugen wurden verhört, oder doch angeblich verhört, und man sorgte dafür, das Gerücht in der Stadt zu verbreiten, daß sich die Tribunale endlich damit beschäftigen, nunmehr die Sache des merkwürdigen Menschen zu entscheiden, der so lange seine blutigen Taten selbst mitten in der Stadt ungestraft verübt hatte. Während des Morgens waren die leichtgläubigen Handelsleute sehr emsig, einander die Untaten zu erzählen, die im Laufe der letzten drei oder vier Jahre verübt und ihm zur Last gelegt worden. Einer sprach von der Leiche eines Ausländers, die in der Nähe der Spielhäuser, wohin die Fremden zu gehen pflegen, gefunden worden war. Ein anderer erzählte von dem jungen Adeligen, der sogar auf dem Rialto erschlagen ward, und ein dritter wußte ausführlich von einem Morde zu sagen, der eine Mutter ihres Sohnes und eine junge Patrizierin ihres Anbeters beraubte. Indem so einer nach dem andern seinen Beitrag zollte, rechnete ein Häuflein, das auf dem Kai beisammen stand, nicht weniger als fünfundzwanzig Mordtaten zusammen, die Jacopo verübt haben sollte, wobei die rachsüchtige und zwecklose Ermordung des Mannes, den man eben bestattet hatte, noch nicht einmal mitgezählt war. Zum Glück vielleicht für seine Gemütsruhe wußte der, über den sich diese Gerüchte verbreiteten, nichts von ihnen und von den Verwünschungen in ihrem Gefolge. Vor seinen Richtern ließ er sich auf keinerlei Verteidigung ein und verweigerte standhaft die Beantwortung ihrer Fragen.

»Ihr Herren wisset, was ich getan habe«, sagte er stolz. »Und was ich nicht getan habe, wißt Ihr auch. Sorget Ihr nur für das, was Euch selber betrifft.«

Als er wieder in seinem Kerker war, begehrte er Speise und aß ruhig, aber wenig. Jedes Werkzeug, womit er sich möglicherweise selbst töten konnte, wurde hierauf entfernt, seine Ketten wurden zum letztenmal sorgfältig untersucht, und sodann überließ man ihn seinen Gedanken. So blieb er eine Zeitlang, da ließen sich Fußtritte vernehmen, die seiner Zelle näher kamen. Die Schlösser wurden gedreht, und die Tür ging auf. Zwischen ihm und dem Lichte erschien nunmehr die Gestalt eines Priesters. Dieser trug eine Lampe, die er, sobald die Tür hinter ihm wieder verschlossen war, auf das Brettchen stellte, worauf des Gefangenen Brot und Wasserkrug standen.

Jacopo empfing seinen Gast ruhig und mit der tiefen Ehrfurcht eines der Kirche ergebenen Mannes. Er stand auf, bekreuzigte sich und ging ihm so weit zum Empfange entgegen, als es die Ketten erlaubten.

»Sei mir willkommen, Vater«, sprach er, »ich sehe, daß mich die Ratsherren zwar von der Erde, aber doch nicht aus dem Himmel verdrängen wollen.«

»Das ginge über ihre Macht hinaus, mein Sohn. Der für sie gestorben ist, hat auch für dich sein Blut vergossen, wofern du seine Gnade nicht von dir weisest. Aber – der Himmel weiß, wie ungern ich so rede – ein Sünder, wie du bist, Jacopo, kann an keine Hoffnung denken ohne eine tiefe und herzliche Reue.«

»Kann das irgend jemand, Vater?«

Der Karmeliter staunte, denn die Schärfe der Frage und der ruhige Ton des Sprechers waren von gewaltiger Wirkung bei einer solchen Zusammenkunft.

»Jacopo, du bist nicht, wofür ich dich hielt!« erwiderte er. »Deine Seele ist nicht ganz verfinstert, und du mußt trotz deiner Verbrechen ein lebendiges Bewußtsein von deren Sündhaftigkeit in dir tragen.«

»Das ist, fürcht ich, wahr, ehrwürdiger Mönch!«

»Ihr Gewicht muß dir fühlbar sein in der Bitterkeit des Schmerzes – in –« Vater Anselmo hielt inne, denn ein Schluchzen ließ sich hören, das bewies, daß sie nicht allein waren. Der Mönch trat überrascht ein wenig zur Seite, und die zitternde Gelsomina, die durch die Gunst der Schließer mit hereingekommen war und sich hinter dem Gewande des Karmeliters versteckt hatte, wurde sichtbar. Jacopo stöhnte, als er sie erblickte, und lehnte sich mit abgewandtem Gesichte gegen die Mauer.

»Meine Tochter, was willst du hier – und wer bist du?« fragte der Mönch.

»Die Tochter des Oberschließers«, sagte Jacopo, da er bemerkte, daß sie nicht zu antworten vermochte, »ich habe sie bei meinen mancherlei Geschäften im Gefängnisse kennengelernt.«

Vater Anselmo sah die beiden abwechselnd an. Seine Miene war anfangs streng, milderte sich dann und wurde endlich ganz teilnehmend, als er ihren beiderseitigen Kampf bemerkte.

»Das ist die Folge menschlicher Leidenschaften«, sagte er halb im Tone des Trostes, halb des Vorwurfs. »So sind die Früchte des Verbrechens immer.«

»Vater«, sagte Jacopo ernst. »Mir allein mag dies Wort gelten, denn die Engel im Himmel sind nicht unschuldiger als dies weinende Mädchen.«

»Das höre ich gern. Ich will dir glauben, unglücklicher Mann, und freue mich, daß deine Seele nicht belastet ist mit der Sünde, solch junges Geschöpf verführt zu haben.«

Die Brust des Gefangenen hob sich, und Gelsomina schauderte.

»Warum hast du deiner Schwachheit nachgegeben und bist in den Kerker gekommen?« fragte der Karmeliter das Mädchen, indem er sich zwang, eine tadelnde Miene anzunehmen, der jedoch das Gefühl und die Milde seines Tones widersprachen. »Hast du den Charakter des Mannes gekannt, den du liebtest?«

»Heilige Maria!« schrie das Mädchen. »Nein – nein – nein!«

»Nun, so bist du jetzt, da du die Wahrheit erfahren hast, gewiß nicht mehr das Opfer törichter Einbildungen.«

Gelsominas Blick war verwirrt, obgleich Angst jeden andern Ausdruck verdrängte. Sie senkte den Kopf vor Scham und Schmerz und schwieg stille.

»Ich weiß nicht, Kinder, wozu diese Zusammenkunft dienen soll«, fuhr der Mönch fort. »Ich bin hergeschickt, die letzte Beichte eines Bravo anzuhören, und du, die du gewiß so viele Ursache hast, sein betrügliches Handeln zu verdammen, kannst nicht wünschen, seine einzelnen Taten mit anzuhören.«

»Es wird besser sein, Vater, daß sie mich für das abscheulichste Ungeheuer halte, das ihre Phantasie nur ersinnen kann«, sagte Jacopo mit fast erstickender Stimme. »So wird sie sich gewöhnen, mein Andenken zu hassen.«

Gelsomina erwiderte nichts, gab jedoch verneinende Zeichen mit der Gebärde des Wahnsinns.

»Das Herz des armen Kindes ist gar schmerzlich berührt«, sagte der Karmeliter teilnehmend. »Wir müssen eine so zarte Blume schonend behandeln. Höre mich an, meine Tochter, und laß deine Vernunft über deine Schwachheit Herrin werden.«

»Fragen Sie sie nicht, Vater! Lassen Sie sie mich verfluchen und gehen.«

»Carlo!« schrie Gelsomina auf.

Eine lange Pause folge. Der Mönch sah, daß seine Kunst hier nichts gegen die Leidenschaft vermochte und daß die Sache der Zeit überlassen bleiben müsse; der Gefangene seinerseits bestand einen härteren Kampf in sich, als ihm sein Schicksal bisher jemals auferlegt hatte. Das unaustilgbare Sehnen nach der Welt siegte endlich, und er brach das Schweigen.

»Vater«, sagte er feierlich und würdevoll, indem er so weit vortrat, als es seine Kette zuließ. »Ich hatte gehofft, ich hatte Gott gebeten, daß sich dies unschuldige Geschöpf von ihrer Liebe mit Schaudern abwenden möchte, wenn sie erführe, daß ihr Geliebter ein Bravo sei. – Aber ich habe dem weiblichen Herzen unrecht getan! – Sage mir, Gelsomina, und so lieb dir deine Seligkeit ist, täusche mich nicht – kannst du mich ansehen ohne Abscheu?«

Gelsomina zitterte, aber sie schlug die Augen auf und lächelte ihn an, wie das weinende Kind den zärtlich ernsten Blick der Mutter erwidert. Dies Lächeln wirkte so mächtig auf Jacopo, daß von dem Beben seines kräftigen Körpers der verwunderte Karmeliter die Ketten rasseln hörte.

»Genug«, sagte er und suchte Fassung zu erzwingen. »Gelsomina, du sollst meine Beichte hören. Du hast so lange das eine große Geheimnis besessen – es soll dir auch kein anderes verborgen bleiben.«

»Antonio!« ächzte das Mädchen. – »Carlo, Carlo! Was hatte jener alte Fischer dir getan, daß du ihm nach dem Leben trachtetest?«

»Antonio?« wiederholte der Mönch. »Hat man dir seinen Tod zur Last gelegt?«

»Um dieses Verbrechens willen bin ich zum Tode verurteilt.«

Der Karmeliter sank auf den Stuhl des Gefangenen und saß ohne Regung, den Blick mit Entsetzen von dem Gesichte des bewegungslosen Jacopo zur zitternden Gelsomina lenkend. Die Wahrheit fing an zu tagen in seiner Seele, obgleich sie sich noch nicht ganz aus dem venezianischen Truggewebe herauszuwinden vermochte.

»Hier herrscht ein fürchterlicher Irrtum«, sagte er leise. »Ich will zu deinen Richtern eilen, sie zu enttäuschen.«

Der Gefangene lächelte ruhig und streckte die Hand aus, um der Hastigkeit des einfachen Karmeliters Einhalt zu tun.

»Es wird nichts helfen«, sagte er. »Die Drei belieben einmal, mich für den Tod des alten Antonio büßen zu lassen.«

»So wirst du ungerechterweise sterben! Ich war Zeuge, daß er durch andere Hände fiel.«

»Vater!« schrie Gelsomina. »Oh, wiederhole dies Wort – sage, daß Carlo diese grausame Tat nicht kann getan haben!«

»An diesem Morde wenigstens ist er unschuldig.«

»Gelsomina«, sagte Jacopo und versuchte seine Arme nach ihr auszustrecken, indem sein volles Herz überströmte, »und an jedem andern auch.«

Ein wilder Schrei des Entzückens von den Lippen des Mädchens, und im nächsten Augenblick lag sie besinnungslos an seiner Brust.

Der Karmeliter überließ die beiden fast eine Stunde lang ungestört ihrem Schmerz und ihrer stillen Seligkeit, dann setzte er sich auf den Stuhl, und vor ihm knieten Jacopo und Gelsomina hin. Jacopo sprach angelegentlich, während seine Zuhörer jede Silbe haschten, die von seinen Lippen kam, mehr aus Freude an seiner Unschuld als aus Neugier.

»Ich habe Euch erzählt, Vater«, fuhr der Gefangene fort, »wie eine falsche Anklage, daß mein Vater die Zollgesetze übertreten habe, diesem unglücklichen Mann den Unwillen des Senats zuzog, weshalb man ihn viele Jahre lang in einem dieser verfluchten Löcher unschuldig eingesperrt hielt, während wir ihn auf die Inseln verbannt glaubten. Endlich gelang es uns, dem Rate Beweise vorzulegen, die hinreichend waren, die Patrizier ihrer Ungerechtigkeit zu überführen. Ich fürchte, daß die, die da annehmen, die Gewalt auf dieser Erde werde von Auserwählten geübt, wenig geneigt sein mögen, deren Fehlbarkeit zuzugeben, weil dies den Irrtum ihrer Annahme beweisen müßte. Der Rat schob es lange auf, uns Gerechtigkeit zu gewähren – so lange, daß meine arme Mutter endlich ihren Leiden erlag. Meine Schwester, ein Mädchen in Gelsominas Jahren, folgte ihr bald nach – denn die Regierung gab, zum Beweise gedrängt, keinen andern Grund an als den Verdacht, daß der Geliebte meiner Schwester des Verbrechens schuldig sein möchte, um das mein Vater verschmachtete.«

»Und haben sie sich geweigert, ihre Ungerechtigkeit wieder gutzumachen?« rief der Karmeliter.

»Sie konnten es nicht, Vater, ohne öffentlich den Ruf ihrer Unfehlbarkeit zu gefährden.«

»Das mag wahr sein, mein Sohn. Wenn eine Verfassung auf falschen Grundsätzen beruht, so kann sie natürlich nur durch Lug und Trug erhalten werden. Gott wird diese Sache anders ansehen!«

»Sonst wäre auch kein Trost in der Welt, Vater. Nach jahrelangen Bitten und Verwenden erhielt ich, nachdem man mir einen feierlichen Eid abgenommen hatte, Zutritt zum Gefängnis meines Vaters. Ich fühlte mich glücklich, daß ich für seine Bedürfnisse sorgen, seine Stimme hören, vor dem Segnenden knien durfte. Gelsomina war damals ein Kind, nahe zur Jungfrau. Mich zu meinem Vater zu führen, gebrauchte man sie, ich wußte nicht weshalb, obgleich es mir später klargeworden ist. Als sie mich genugsam in ihren Schlingen verstrickt glaubten, verleiteten sie mich zu den Mißgriffen, die alle meine Hoffnungen zerstört und mich in diese Lage gebracht haben.«

»Du hast deine Unschuld erwiesen, mein Sohn.«

»Keines Blutvergießens bin ich schuldig, Vater, wohl aber des Frevels, mich zu ihren Kunstgriffen hergegeben zu haben. Ich will Euch nicht die langwierige Geschichte der Mittel, durch die sie mein Gemüt bearbeiteten, hererzählen, frommer Mönch. Man vereidete mich, dem Staate eine Zeitlang als geheimer Agent zu dienen. Der Lohn sollte meines Vaters Freiheit sein. Hätten sie mich mitten aus dem Leben herausgefaßt und während ich Herr meiner Sinne war, nimmer würden sie gesiegt haben, aber da ich täglicher Augenzeuge war von den Leiden dessen, der mir das Leben geschenkt, der mir nunmehr alles war, was ich noch übrig hatte, so waren sie zu mächtig für meine Schwachheit. Sie sprachen mir heimlich von Foltern und Rädern, zeigten mir Gemälde von sterbenden Märtyrern, um mir die Qual begreiflich zu machen, die sie anwenden konnten. Morde fielen häufig vor und machten der Polizei Sorge – kurz, Vater«, Jacopo verbarg sein Gesicht in Gelsominas Gewändern, »ich willigte ein, daß man Gerüchte aussprengte, die die Aufmerksamkeit des Publikums auf mich ziehen mußten. Ich brauche nicht zu sagen, daß, wer sich zu seiner Schande selber herleiht, bald von ihr ereilt werden muß.«

»Wozu ward aber dieser elende Betrug erfunden?«

»Vater, man wandte sich an mich als an einen öffentlichen Bravo, und meine Denunziationen waren dem Rate in vielerlei Beziehung von Nutzen. Wenigstens ist für den Fehltritt, für das Verbrechen, darin ich verfallen bin, ein kleiner Trost, daß ich einige Menschenleben retten konnte.«

»Jetzt verstehe ich, Jacopo. Ich habe gehört, daß Venedig keinen Anstand nimmt, feurige und wackere Männer auf solche Weise zu gebrauchen. Heiliger Markus! Kann solch arger Betrug unter dem Schilde deines gelobten Namens geübt werden!«

»O ja, Vater, und noch ärgerer. Ich hatte mich der Republik auch noch zu anderen Diensten verpflichtet, in deren Ausübung ich denn auch Gewandtheit erlangte. Die Bürger wunderten sich, daß ein Mensch wie ich frei umhergehen durfte, während es die Rachsüchtigen für einen Beweis von Geschicklichkeit hielten. Wenn das Gerücht einmal zu anstößig wurde, so trugen die Drei Sorge, es anderswohin zu lenken, und wenn es ihnen zu schwach schien, so wußten sie es anzufachen. Kurz, drei lange, bittere Jahre hindurch hab ich dies Leben eines Verdammten geführt – nur durch die Hoffnung aufrecht gehalten, daß ich meinen Vater befreien würde, und beglückt durch die Liebe dieses schuldlosen Wesens.«

»Armer Jacopo, wahrlich, du verdienst Mitleid! Ich will in meinem Gebete deiner nicht vergessen.«

»Und du, Gelsomina?«

Die Tochter des Schließers gab keine Antwort. Sie hatte begierig jede Silbe seiner Rede eingesogen, und da nun die ganze Wahrheit in ihrer Seele aufstieg, strahlte ihr Auge mit einem Glanze, der den Anwesenden übernatürlich schien.

»Wenn ich dich nicht überzeugt habe, Gelsomina, daß ich nicht solch elender Mensch bin, als ich schien«, fuhr Jacopo fort, »so wollte ich lieber, ich wäre verstummt.«

Sie streckte eine Hand nach ihm aus, senkte ihr Haupt auf seine Brust und weinte.

»Ich sehe, wie sie dich in Versuchung geführt haben, armer Carlo!« sagte sie sanft. »Ich weiß, wie groß deine Liebe zu deinem Vater war.«

»Vergibst du mir, teure Gelsomina, daß ich deine Unschuld hintergangen habe?«

»Du hast mich ja nicht hintergangen. Ich hab dich für einen Sohn gehalten, der für seinen Vater sterben könnte, und ich finde nun, daß du bist, wofür ich dich hielt.«

Der gute Karmeliter betrachtete diese Szene mit teilnehmenden, nachsichtsvollen Blicken. Tränen netzten seine Wangen.

»Eure Liebe, Kinder«, sagte er, »ist so, daß Engel ihr verzeihen müssen. Hat euer Umgang miteinander lange gedauert?«

»Jahrelang, Vater!«

»Und du, meine Tochter, hast mit Jacopo die Zelle seines Vaters besucht?«

»Ich war immer seine Führerin bei dem frommen Gange, Vater.«

Der Mönch verfiel in tiefes Sinnen. Einige Minuten lang herrschte Schweigen, dann erfüllte er die Obliegenheiten seines heiligen Amtes. Er empfing die Beichte des Gefangenen und erteilte die Absolution mit einem Feuer, das seine innige Teilnahme an dem Schicksale des jungen Paares bewies. Hierauf gab er Gelsomina seine Hand und nahm mit milder Zuversicht in seinen Mienen von Jacopo Abschied.

»Wir verlassen dich«, sagte er, »aber sei mutig, mein Sohn. Ich kann mir nicht denken, daß selbst Venedig vor einer Geschichte, wie die deinige ist, die Ohren verschließen sollte! Vertrau vor allem deinem Gotte – und glaube, daß dies treue Mädchen so wenig als ich einen letzten Versuch zu deiner Rettung versäumen wird.«

Jacopo nahm diese Versicherung hin wie ein Mann, der an Wagnisse gewöhnt ist. Aber in sein Lächeln beim Abschied mischten sich Unglauben und Schwermut. Zugleich aber glänzte darin doch die Freude eines erleichterten Herzens.

Drittes Kapitel

Drittes Kapitel

Anninas Gegenwart setzte Gino sehr in Verlegenheit. Sobald sich das Boot dem Ende des Kanals näherte, schaute er umher, die wohlbekannte Feluke des Kalabresen zu suchen.

Der Hafen war von Schiffen aus sehr entfernten Gegenden belebt, und man sah die Flaggen der meisten Seemächte Europas in angemessenen Entfernungen innerhalb der Grenzen des Lido. Der Mond stand hoch genug, um sein mildes Licht über das schimmernde Bassin zu ergießen.

»Du verstehst nichts von der Schönheit eines Schiffes, Annina«, sagte der Gondoliere, der tief hinten im Boote stand, »sonst hätt ich dir geraten, diesen Fremden von Kandia anzusehen. Ein schönerer Bau soll nie innerhalb des Lido gesehen worden sein als eben dieser Grieche.«

»Wir haben nichts mit dem Kaufmann von Kandia zu schaffen, Gino, darum rudre nur zu, die Zeit eilt.«

»Er hat viel herben griechischen Wein im Raume, aber wie du sagst, wir haben nichts mit ihm zu tun. Jenes stolze Schiff, das abgesondert liegt von den übrigen kleinen Fahrzeugen unsrer Gewässer, gehört einem Ketzer von den englischen Inseln, ’s war ein Unglückstag für die Republik, Mädchen, an dem sie diesen Fremden zuerst erlaubte, das Adriatische Meer zu befahren.«

»Ist’s denn gewiß, Gino, daß San Marcos Arm stark genug war, es ihnen zu verwehren?«

»Element! Ich wollte, du tätest eine solche Frage nicht an einem Ort, wo so viele Gondeln in Bewegung sind! Hier sind Ragusaner, Malteser, Sizilianer, Toskaner in Unzahl, und dort liegt an der Einfahrt der Giudecca eine kleine Anzahl französischer Schiffe dicht beieinander, ’s ist ein Volk, das zu Wasser und zu Lande immer zusammenhält, weil’s das Schwatzen liebt. Doch hier sind wir am Ende unsrer Fahrt.«

Ginos Ruder machte eine Rückbewegung, und die Gondel hielt neben einer Feluke still.

»Einen guten Abend der ›Bella Sorrentina‹ und ihrem ehrenwerten Padrone«, grüßte der Gondoliere, indem er auf das Verdeck des Schiffes trat. »Ist der wackere Stefano Milario an Bord der behenden Feluke?«

Der Kalabrese antwortete ohne Verzug, und in wenigen Augenblicken war der Padrone mit seinen beiden Gästen in ein Gespräch vertieft.

»Ich hab dir hier jemanden gebracht, der Lust hat, gute venezianische Zechinen in deine Tasche zu schaffen, caro«, sagte der Gondoliere, nachdem die ersten Vorläufer der Unterhaltung in bester Form erledigt waren. »Es ist die Tochter eines höchst reellen Weinhändlers und ist ebenso bereit, eure sizilianischen Trauben in die Inseln zu versetzen, als sie imstand und gesonnen ist, sie zu bezahlen.«

»Und gewiß auch ebenso schön«, sagte der Seemann mit plumper Galanterie, »wenn die schwarze Wolke vor ihrem Antlitz behend weggezogen würde.«

»Eine Maske hindert nicht beim Handel, sofern nur ordentlich bezahlt wird. Wir haben hier in Venedig immerwährend Karneval, und der Käufer wie der Verkäufer hat es frei, sein Gesicht zu verstecken, so gut als seine Gedanken. Was hast du im Artikel verbotener Weine, Stefane, damit meine Gefährtin den Abend nicht mit müßigen Worten verliere?«

»Per Diana! Meister Gino, du bist ohne Umstände in deinen Fragen. Der Raum der Feluke ist leer, wie du dich überzeugen kannst, wenn du die Treppe runtersteigen willst. Was aber Wein anbelangt, so lechzen wir nach einem Tropfen, unser Blut zu wärmen.«

»Statt also herzukommen, ihn hier zu suchen«, sagte Annina, »hätten wir besser getan, nach der Kathedrale zu gehen und ein Ave zu beten für deine glückliche Heimfahrt. Und nun, da unser Witz aus ist, wollen wir gehen und einen andern suchen, der weniger pfiffig im Antworten ist als du, Meister Stefano.«

»Cospetto! Du weißt nicht, was du sprichst«, flüsterte Gino, als er sah, daß die vorsichtige Annina nicht bleiben wollte, »der Mann besucht nicht die kleinste Bucht in Italien, ohne auf eigne Rechnung etwas Nutzbares in der Feluke versteckt mitzubringen. Ein einziger Kauf von ihm entscheidet die Frage, ob deines Vaters Weine oder die von Baptista besser sind.«

Annina ward nachdenklich. Die lange Übung in dem kleinen, aber geheimen und überaus gefährlichen Handel, den ihr Vater, trotz der wachsamen und strengen venezianischen Polizei, bisher glücklich geführt hatte, machte ihr es einerseits bedenklich, einem gänzlich Unbekannten ihre Absicht zu zeigen, andererseits aber ein Geschäft aufzugeben, wobei etwas zu gewinnen sein konnte. Daß Gino sie in bezug auf seinen Auftrag geäfft hatte, war ganz klar, da ein Diener des Herzogs von Sant‘ Agata nicht leicht einer Verkleidung bedürfen konnte, um so einen Priester aufzusuchen, doch kannte sie seine Sorge für ihr persönliches Wohl zu gut, um ihm in einer Sache zu mißtrauen, die ihre eigene Sicherheit anging.

»Wenn du Furcht hast, daß hier Polizeispione sind«, sagte sie zu dem Padrone in einem Tone, der ihren Wunsch verriet, »so kann dich Gino leicht enttäuschen. Bezeug ihm doch, Gino, daß mich bei einem Geschäfte der Art kein Verdacht eines Verrats treffen kann.«

»Laß mich dem Kalabresen ein Wort ins Ohr sagen«, erwiderte der Gondoliere mit Nachdruck. – »Stefano Milano, wenn du mein Freund bist«, sprach er, als sie ein wenig beiseite getreten waren, »so verwickle das Mädchen hier in eine Unterredung und handle mit ihr auf gut Glück.«

»Soll ich ihr Don Camillos Weinernte oder die des Vizekönigs von Sizilien verkaufen, caro?«

»Wenn du wirklich trocken bist, so stelle dich wenigstens, als hättest du was, und mach Schwierigkeiten mit dem Preis. Halte sie nur eine Minute mit Redensarten hin, daß ich inzwischen unbemerkt in meine Gondel kommen kann, und dann, einem alten geprüften Freund zuliebe, bringe sie sänftiglich auf den Kai mit der schönsten Manier, die nur möglich ist.«

»Aha! Ich fange an, den Sinn von der Sache zu begreifen«, sagte der gefällige Padrone. »Ich will mit dem Frauenzimmer eine Stunde lang von der Blume meines Weines oder, wenn du willst, von ihrer Schönheit schwatzen, aber aus den Rippen der Feluke einen Tropfen Besseres als Lagunenwasser pressen, wäre ein Wunder San Teodoros würdig.«

»Du brauchst nicht eben von was anderm zu sprechen als von der Güte des Weines. Sie nimmt’s bald übel, wenn man von ihrem Äußeren schwatzt.«

»Da sich Gino offenherzig über die Sache ausgelassen hat«, nahm der gewandte Kalabrese das Wort, als hätte er plötzlich Zutrauen gefaßt, »so fang ich an zu glauben, daß wir doch noch einig werden können. Beehrt mich, schöne Donna, in meine arme Kajüte zu treten, da wollen wir mit Ruhe sprechen, wie es unser beiderseitiger Vorteil und unsere beiderseitige Sicherheit erfordern.«

Annina hatte im stillen wohl Bedenklichkeiten, dennoch aber ließ sie sich vom Padrone an die Stufen führen, als täte sie es mit der größten Bereitwilligkeit. Kaum wandte sie den Rücken, so schlüpfte Gino in die Gondel, die ein einziger Druck seines kräftigen Arms über eines Mannes Sprungweite vom Schiffe abtrieb. So schnell und geräuschlos dies geschah, hatte Anninas eifersüchtiges Auge dennoch die Flucht des Gondoliere entdeckt. Nicht imstand, diese zu verhindern, ließ sie sich, ohne Unruhe zu verraten, hinunterführen, als wäre alles so verabredet gewesen.

Mit einer Geistesgegenwart, die zufällig mit dem Plan ihres vorigen Gefährten zusammentraf, warf sie hin: »Gino sagte mir, Ihr hättet ein Boot, das mir nach beendigter Unterredung den freundlichen Dienst erweisen würde, mich an den Kai zu setzen.«

»Die Feluke selber sollte es tun, wenn andre Mittel fehlten«, versetzte der Seemann galant, als sie in die Kajüte eintraten.

Gino, nunmehr ungehindert, seine Schuldigkeit zu tun, betrieb seine Arbeit mit verdoppeltem Eifer. Das leichte Boot glitt durch die geschickte Handhabung des einzigen Ruders zwischen den vielen Fahrzeugen in solchen Windungen hin, daß alles Zusammenstoßen vermieden ward, bis er in den engen Kanal einfuhr, der den Dogenpalast von dem in schönerem und gediegenerem Stil erbauten Gefängnisse der Republik trennt.

Er passierte erst die Brücke, die zur Verbindung der Kais gehört. Darauf stahl er sich unter jenen berühmten Bogen, den Träger einer bedeckten Galerie, die das obere Stockwerk des Palastes mit dem des Kerkers vereinigt. Es ist dies der Gang, durch den die Gefangenen geführt werden, um vor ihren Richtern zu stehen, und man hat ihm deshalb den Namen der Seufzerbrücke gegeben.

Ginos Ruder ließ jetzt ein wenig nach, und die Gondel näherte sich einer Treppe. Indem er auf die unterste Stufe trat, warf er einen kleinen, eisernen Anker, der an einem Tau hing, in eine Spalte zwischen zwei Steinen und überließ sein Boot der Sicherheit dieser eigentümlichen Befestigung. Darauf schritt er die Stufen unter dem gewölbten Wassertor des Palastes hinauf und trat in den weiten, düsteren Hof.

Dieser war beinahe ganz menschenleer, denn es war spät, und alles zog sich nach dem dicht dabei gelegenen, munter belebten Platze. In der offenen Galerie am Eingang der Riesentreppe schritt ein Hellebardier auf und nieder, und hier und da scholl der Fußtritt anderer Schildwachen unter den gewölbten, schweren Bogen der langen Korridore. Aus den Fenstern blinkte kein Licht, sondern das Gebäude gab ein passendes Bild jener geheimnisvollen Macht, die das Geschick Venedigs und seiner Bürger leitete.

Da der Gondoliere die Hoffnung, seinen Mann unter dem Bogen zu finden, getäuscht sah, ging er weiter; er schmeichelte sich, ihn gar nicht mehr zu treffen, und das ermutigte ihn, durch ein lautes Hm! seine Gegenwart bemerklich zu machen. In diesem Augenblick glitt von der Seite des Kais eine Gestalt in den Hof und ging schnell bis in dessen Mitte. Ginos Herz pochte heftig, aber er nahm sich zusammen und trat dem Fremden entgegen. Da zeigte das Mondlicht, das auch in diesen düstern Raum drang, daß der Fremde ebenfalls maskiert war.

»San Teodoro und San Marco mögen Euch behüten«, hob der Gondoliere an. »Wenn ich mich nicht irre, seid Ihr der Mann, den ich hier treffen soll.«

Der Fremde stutzte und schien sich anfangs schnell davonmachen zu wollen, besann sich aber plötzlich und entgegnete: »Kann sein oder auch nicht. Nimm die Maske ab, daß ich sehen kann, ob dem so ist, wie du sagst.«

»Mit Eurer gütigen Erlaubnis, würdiger und werter Herr, möchte ich’s vorziehen, die Abendluft abzuhalten durch dies Stückchen Pappe und Seidenzeug.«

»Hier ist keiner, dich zu verraten. Wenn ich nicht weiß, wer du bist, wie soll ich dir traun?«

»In der Tat, Signore, ich weiß wohl, was ein unmaskiertes Gesicht vermag, und drum bitt ich Euch selbst, mir zu zeigen, was die Natur an Eure Gesichtsbildung gewendet hat, denn ich, der ich Euch was anzuvertrauen habe, muß erst wissen, ob es an den rechten Mann kommt.«

»Das ist gut und zeugt von deiner Klugheit, doch hab ich nicht Lust, meine Maske abzulegen, und da wenig Aussicht ist, daß wir uns verständigen werden, so will ich meiner Wege gehn. Schöne gute Nacht.«

»Cospetto! Signore, Ihr seid zu eilig für mich, der ich an solche Unterhandlungen nicht gewöhnt bin. Hier ist ein Siegelring, der uns vielleicht verständigen kann.«

Der Fremde nahm das Juwel und hielt es gegen das Mondlicht, wobei sich Überraschung und Vergnügen in seiner Bewegung verrieten.

»Das ist der Falkenbusch des Neapolitaners – dessen, der Herr von Sant‘ Agata ist.«

»Ja, und von manchen andern Lehen, guter Signore, nicht zu gedenken der Ehrenstellen, auf die er in Venedig Anspruch hat. Hab ich recht, daß mein Auftrag Euch angeht?«

»Es ist wahr, daß mein gegenwärtiges Geschäft eben niemanden betrifft als Don Camillo Monforte. Aber dir war doch nicht bloß aufgetragen, den Ring vorzuzeigen?«

»O nein, hier ist ein Paket, das nur darauf wartet, daß ich über die Person dessen, mit dem ich rede, Gewißheit erlange, um es in seine Hände zu geben.«

Der Fremde dachte einen Augenblick nach, dann, umherblickend, sprach er hastig: »Hier ist nicht der Ort, Freund, sich zu demaskieren. Wart hier, ich will gleich wiederkommen und dich an einen gelegeneren Platz führen.«

Kaum waren diese Worte gesprochen, so sah sich Gino allein mitten im Hofe. Der maskierte Fremde war schnell fortgegangen und befand sich schon am Fuße der Riesentreppe, ehe der Gondoliere Zeit hatte, sich zu besinnen. Mit leichtem, schnellem Schritt und ohne den Hellebardier zu beachten, stieg er hinauf und näherte sich der ersten von den drei bis vier Öffnungen der Mauer, die berühmt sind als die Behälter zur Aufnahme geheimer Anklagen und denen die geschnitzten Tierköpfe umher den Namen der Löwenrachen gegeben haben. Er warf etwas in den gähnenden Marmorschlund hinab; die Entfernung und die Dunkelheit der Galerie verhinderten Gino, zu bemerken, was es war. Darauf aber sah er die Gestalt wie einen Schatten die massiven Stufen hinunterschweben.

Gino hatte sich nach dem Bogen des Wassertores zurückgezogen und erwartete, daß sich der Fremde im Schutze des Schattens zu ihm gesellen würde, er sah aber zu seiner großen Bestürzung, die Gestalt durch das äußere Portal des Palastes dem St.-Markus-Platz zueilen. Im Augenblick jagte er ihm mit atemloser Eile nach. Er erreichte die glänzende, munterbelebte Piazza, die gegen den düsteren Hofraum abstach wie Tag gegen Nacht. Hier sah er, wie ganz vergeblich eine weitere Verfolgung des Fremden sein würde. Doch, geängstigt durch den Verlust des Siegelringes, warf sich der unvorsichtige, aber ehrliche Gondoliere in die dichte Volksmenge und suchte umsonst seinen Dieb aus tausend Masken herauszufinden.

Gino musterte mit wachsamen Augen die Menge. Fünfzigmal war er im Begriff zu reden, und ebensooft zeigte ihm eine kleine Verschiedenheit des Wuchses oder Anzugs, ein Gelächter oder ein leicht hingeworfenes Wort, daß er sich geirrt hatte. Er drang bis zum Ausgang der Piazza, dann nahm er seinen Weg zur andern Seite durch das Gedränge des Portikus, blickte in jedes Kaffeehaus und betrachtete jeden Vorübergehenden, bis er wieder zurück zur Piazetta gelangte. Da fühlte er seinen Ellbogen leicht gestreift und hemmte seinen Schritt, indem er sich umsah. Ein Frauenzimmer, gleich einer Contadina gekleidet, redete ihn mit verstellter Stimme an: »Wohin so schnell? Was hast du in diesem lustigen Haufen verloren?«

»Corpo di Bacco!« rief der Gondoliere. »Ist dir nicht ein Domino begegnet, der etwa so aussieht wie andere ordentliche Leute und einen Gang hat ungefähr wie ein Senator oder ein Padre und der eine Maske trägt, die tausend andern hier auf dem Platze so ähnlich ist wie eine Seite des Campanile der andern?«

»Du zeichnest den Mann so vortrefflich, daß man ihn nicht verfehlen kann. Da steht er neben dir.«

Gino drehte sich geschwind um und sah an dem Orte, wo er den Fremden zu finden gedachte, einen grinsenden Harlekin Possen treiben.

»Deine Augen, schöne Contadina, sind so blöd wie die eines Maulwurfs.« Er unterbrach seine Worte, denn sobald die, die ihn angeredet hatte, sah, daß sie sich in der Person geirrt hatte, war sie verschwunden. So immerfort getäuscht, drängte er sich dem Wasser zu. Endlich erreichte er einen Platz am Kai, der mehr Raum für Beobachtungen darbot. Er blieb stehen, unentschlossen, ob er zurückkehren und seinem Herrn seine Unvorsichtigkeit eingestehen oder ob er den Versuch zur Wiedererlangung des eingebüßten Ringes noch einmal erneuern sollte. Auf dem leeren Raum zwischen den beiden Granitpfeilern befand sich niemand als er und noch ein anderer, der regungslos wie eine Bildsäule am Fußgestell des Löwen von San Marco stand. Zwei oder drei streiften dicht an dem unbeweglichen Fremden hin, sei es aus Neugier, sei es, weil sie jemanden suchten, der sich hier einfinden sollte, aber wie zurückprallend von seiner Steinphysiognomie, glitten sie vorüber. Da Gino mehrmals dies auffallende Zurückschrecken vor dem Unbekannten bemerkt hatte, fühlte er sich bewogen, sich diesem über den Platz hin zu nähern und die Ursache zu erforschen. Beim Schalle der Tritte drehte sich der Fremde ein wenig um, und als das volle Mondlicht jetzt auf seine Züge fiel, zeigten sich dem Gondoliere das ruhige Gesicht und forschende Auge dessen, an den er abgeschickt war.

Zuerst durchzuckte den Gondoliere wie alle andern die Lust, sich schnell zu entfernen, aber er gedachte seines Auftrags und seines Verlustes und suchte seinen Widerwillen und seine Bestürzung zu bemeistern. Noch sprach er nicht, sondern starrte nur den Banditen mit einem Blick an, der zugleich die Verwirrung seines Gemüts und halbe Lust zur Anrede kundgab.

»Willst du was von mir?« fragte Jacopo, da sich beide länger angesehen hatten, als beim zufälligen Hinblicken zu geschehen pflegt.

»Meines Herrn Siegelring!«

»Ich kenne dich nicht.«

»Dies Bild San Teodoros, wenn es reden könnte, müßte bezeugen, daß ich die heilige Wahrheit sage. Ich hab die Ehre nicht, Euch bekannt zu sein, Signore Jacopo, aber man kann auch mit einem Fremden Geschäfte haben. Wenn Ihr es wart, der mit einem friedlichen und unschuldigen Gondoliere im Hofe des Palastes zusammentraf, eben als der Turm der Piazza das letzte Viertel schlug, und von diesem einen Ring erhielt, der keinem als dem rechtmäßigen Eigentümer was nützen kann, so wird ein so edelmütiger Mann nicht anstehen, ihn zurückzugeben.«

»Hältst du mich für einen Juwelier vom Rialto, daß du von Ringen mit mir sprichst?«

»Ich halte Euch für einen Mann, der gar wohl bekannt und geschätzt ist bei vielen Leuten von Rang und Bedeutung hier in Venedig, wie der Auftrag meines Herrn an Euch beweisen kann.«

»Nimm die Maske ab. Ehrliche Leute brauchen das Gesicht nicht zu verstecken.«

»Ihr sprecht gar sehr wahr, Signore Frontoni, was nicht zu verwundern ist, da Ihr so oft Gelegenheit habt, in die Handlungsweise der Menschen zu schauen. Aber mein Gesicht hat nichts, das die Mühe verlohnte, es anzusehen, und ich möchte gern wie alle andern tun in dieser lustigen Zeit, wenn’s Euch beliebt.«

»Wie du willst. Ich bitt dich aber, laß mich desgleichen tun.«

»Wer wollte so verwegen sein, Euch Euer Belieben streitig zu machen, Signore?«

»Mir beliebt, allein zu sein.«

»Cospetto! Kein Mensch in Venedig hülf Euch lieber dazu als ich, wenn nur meines Herrn Auftrag besorgt wäre«, murmelte Gino zwischen den Zähnen. »Ich habe hier ein Paket, Signore, das ich Euch und keinem andern abgeben soll.«

»Ich kenne dich nicht. – Hast du einen Namen?«

»So wie Ihr’s meint, eben nicht, Signore! In der Art von Ruf bin ich so namenlos wie ein Findelkind.«

»Wenn dein Herr nicht mehr bedeutet als du, so kann das Paket zurückgegeben werden.«‘

»’s gibt wenige im Gebiet von San Marco, die edleren Stammes sind und schönere Aussichten haben als der Herzog von Sant‘ Agata.«

Die Kälte in den Zügen des Banditen verschwand.

»Wenn du von Don Camillo Monforte kommst, warum zögerst du, mir das zu sagen? Was verlangt er?«

»Ich weiß nicht, ob das, was in diesem Papiere steht, von ihm selber ist oder von irgendeinem andern, aber so, wie es da ist, Signore Jacopo, ward mir befohlen, es Euch abzuliefern.«

Er nahm schweigend das Paket, der Blick aber, den er auf das Siegel und die Aufschrift warf, schien dem schüchternen Gondoliere der Blick eines Tigers zu sein, der Blut sieht,

»Du sprachst was von einem Ringe. Hast du den Siegelring deines Herrn mitgebracht? Ich bin gewohnt, Wahrzeichen zu sehen, ehe ich Zutrauen fasse.«

»Wollte Gott, ich hätt ihn noch! Aber jemand, den ich fälschlich für Euch hielt, Meister Jacopo, hat ihn an seinem eigenen langen Finger, fürcht ich.«

»Das magst du mit deinem Herrn ausmachen«, erwiderte der Bandit kalt und betrachtete das Siegel von neuem.

»Wenn Ihr die Handschrift meines Herrn kennt«, fiel der Gondoliere hastig ein, der für das Schicksal seines Pakets fürchtete, »so werdet Ihr in diesen Zügen seine schöne Hand erkennen. Wenig Leute in Venedig oder gar in ganz Sizilien schreiben eine bessere Hand mit ihrem Gänsekiel als Don Camillo Monforte. Ich selbst kann’s nicht halb so schön machen.«

»Ich bin kein Schreiber«, sagte der Bandit, ohne sich dieses Geständnisses zu schämen. »Ich hab’s nicht gelernt, solche Schreiberei zu entziffern. Wenn du die Kunst so gut verstehst, sag mir, an wen die Aufschrift lautet.«

»Es wäre sehr unziemlich, auch nur ein Silbchen auszusprechen von den Geheimnissen meines Herrn«, erwiderte der Gondoliere, sich plötzlich eine Hintertür suchend. »Es ist hinlänglich, daß er mir befahl, den Brief abzugeben; außerdem auch nur ein wenig zu flüstern wäre gar sehr anmaßend.«

Das dunkle Auge des Banditen rollte über die Gestalt seines Gefährten hin, daß diesem das Blut aus den Adern entwich.

»Ich sage dir, lies laut den Namen, der auf diesem Papier steht«, rief Jacopo in strengem Ton. »Hier ist keiner, uns zu behorchen, als der Löwe und der Heilige da über unsern Köpfen.«

»Gerechter San Marco! Wer kann sagen in Venedig, welches Ohr offen ist und welches geschlossen! Wenn’s Euch beliebt, Signore Frontoni, wollen wir die Untersuchung auf eine passendere Gelegenheit aufschieben.«

»Freund, ich laß mich nicht zum Narren haben! Den Namen, oder zeig mir irgendein Pfand, daß du von dem kommst, den du mir nennst, sonst nimm dein Paket zurück, ’s ist kein Geschäft für mich.«

»Denkt einen Augenblick an die Folgen, Signore Jacopo, und beschließt nicht so hastig.«

»Es kann keine Folgen haben, eine solche Botschaft abzuweisen!«

»Per Dio, Signore! Der Herzog wird Lust haben, mir kein Ohrzipfelchen zu lassen, um Vater Battistas Rat anzuhören.«

»So wird der Herzog dem Henker eine Müh sparen.«

Mit diesen Worten warf der Bandit dem Gondoliere das Paket vor die Füße und fing an, langsam die Piazetta hinaufzugehen. Gino hob den Brief auf, und sein Hirn wirbelte von der Anstrengung, einen von seines Herrn Bekannten auszudenken, an den ein Brief bei solcher Gelegenheit gerichtet sein konnte.

»Ich wundre mich, Signore Jacopo«, sagte er, »daß ein so kluger Mann wie Ihr nicht daran denkt, daß ein Paket, das an ihn angegeben wird, auch an ihn selbst adressiert sein muß.«

Der Bandit nahm das Papier und hielt die Schrift gegen das Mondlicht.

»Das ist nicht der Fall… Ich kann nicht lesen, aber die Züge meines Namens hat mich die Notdurft schon kennengelehrt.«

»Diamine! So geht mir’s auch, Signore. Wenn der Brief an mich gerichtet wäre, so wollte ich’s so geschwind erkennen wie die Alte ihr Junges.«

»Du kannst also nicht lesen?«

»Ich hab nie Anspruch drauf gemacht. Auch hab ich nur ein bißchen vom Schreiben gesprochen. Die Gelehrsamkeit teilt sich, wie Ihr wohl wißt, Meister Jacopo, in Lesen, Schreiben und Rechnen; man kann wohl das eine verstehen, ohne ein Wörtchen vom andern zu wissen.«

»Das hättest du gleich sagen sollen. Geh, ich will die Sache bedenken.«

Gino war froh loszukommen; er hatte aber kaum einige Schritte getan, so sah er eine Frauengestalt hinter einer der Granitsäulen hervorgleiten. Indem er sich geschwind so drehte, daß er entdecken konnte, wer es wäre, der vermutlich gehorcht hätte, sah er, daß Annina Zeugin gewesen war von seinem Gespräch mit dem Banditen.

Dreißigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Die Schließer erwarteten den Karmeliter und Gelsomina und verwahrten, sobald diese fort waren, die Tür für die Nacht. Da die beiden nichts weiter mit den Leuten vom Gefängnisse zu tun hatten, so ließ man sie ungestört gehen. Aber am Ende des Korridors, der zu den Gemächern des Hauswarts führte, blieb der Mönch stehen.

»Fühlst du dich stark zu einem großen Unternehmen, das den Unschuldigen retten könnte?« fragte er schnell und doch mit so feierlichem Tone, daß sich darin die Wichtigkeit seines Vorhabens erkennen ließ.

»Vater!«

»Ich möchte wissen, ob dich deine Liebe zu dem jungen Manne mit Mut genug beseele zu einem gewagten Versuche. Denn ohne einen solchen muß er unvermeidlich sterben.«

»Ich wollte sterben, um Jacopo einen Seufzer zu ersparen.«

»Täusche dich nicht selbst, meine Tochter! Kannst du deinem gewöhnlichen Benehmen entsagen, die Ängstlichkeit, die dein Alter und dein Stand mit sich bringen, überwinden, furchtlos dastehen und sprechen vor den Hohen und Gefürchteten?«

»Ehrwürdiger Karmeliter, sprech ich doch täglich ohne Furcht, wenn auch nicht ohne Ehrerbietung zu einem, der furchtbarer ist als irgend jemand in Venedig.«

Der Mönch sah bewundernd auf das sanfte Wesen, in dessen Zügen mild die Entschlossenheit glühte, die Unschuld und Liebe verleihen. Er machte ein Zeichen, ihm zu folgen.

»So wollen wir denn, wenn nichts anderes hilft«, sagte er, »vor den Stolzesten und Furchtbarsten der Erde hintreten. Wir wollen unsere Schuldigkeit nicht versäumen, weder gegen den Bedrücker noch gegen den Unterdrückten, auf daß keine Unterlassungssünde unser Gewissen beschwere.«

Ohne weiteren Aufschluß zu geben, führte Vater Anselmo das bereitwillige Mädchen in den Teil des Palastes, der als die Privatwohnung des sogenannten Oberhauptes der Republik bekannt war.

Geschichtlich ist die Eifersucht der venezianischen Patrizier, die den Dogen zu einem Spielzeug in ihren Händen machten, indem sie ihn ihrer Regierungsmethode gemäß zu nichts weiter gebrauchten als zu einer Prunkfigur bei den imposanten Zeremonien, die ihr Schein suchendes System erforderte, und bei den Verhandlungen mit dem Auslande. Er wohnte in seinem Palaste wie die Bienenkönigin im Stocke, äußerlich geehrt und gepflegt, in Wahrheit aber von denen abhängig, die allein die Macht haben zu verletzen und, gleich demselben Insekt, mehr als einen gewöhnlichen Teil von den Früchten des gemeinsamen Fleißes zu verzehren.

Vater Anselmo verschaffte sich durch seine Entschlossenheit und durch die Zuversichtlichkeit seines Benehmens Zutritt zu den inneren Gemächern eines Fürsten, der so abgeschlossen und bewacht lebte.

Mehrere Schildwachen ließen ihn durch, aus seinem heiligen Stande und seinem gemessenen Schritte schließend, daß der Mönch in seinem gewöhnlichen Dienste herkomme, der ihm ein Vorrecht vor allen andern gab. Durch dies ruhige, stille Verfahren gelangte der Karmeliter mit seiner Gefährtin bis in das Vorzimmer des Fürsten, das Tausende durch weit künstlichere Mittel zu erreichen vergeblich sich bemüht hatten.

Nur zwei oder drei niedere Beamte vom Hause hielten schläfrig Wache. Einer stand jedoch schnell auf, als er die unbekannten Gäste so unerwartet hereintreten sah, und drückte durch das Überraschte und Verwirrte seines Blickes sein Erstaunen über den ungeahnten Besuch aus.

»Seine Hoheit erwartet uns wohl schon?« fragte Vater Anselmo ganz einfach und zwang seine bekümmerte Miene zu einem Blicke voll ergebener Höflichkeit.

»Santa Maria, heiliger Vater, das müßt Ihr am besten wissen, aber –«

»So wollen wir denn die Zeit nicht mit müßigen Worten verlieren, mein Sohn, da wir schon zu lange gezögert haben – führe uns in das Gemach Seiner Hoheit.«

»Wir dürfen niemanden ungemeldet vor –«

»Du siehst, dies ist kein gewöhnlicher Besuch. – Geh, sage dem Dogen, daß der Karmelitermönch, den er erwartet, und das junge Mädchen, an dem sein fürstliches Herz einen so väterlichen Anteil nimmt, seine Befehle erwarten.«

»Also hat Seine Hoheit befoh…«

»Sage ihm ferner, daß die Not dringend ist, denn die Stunde steht nahe bevor, in der die Unschuld leiden soll.«

Der Diener ließ sich durch den Ernst und die Zuversicht des Mönchs täuschen. Erst besann er sich noch, dann stieß er eine Tür auf und führte die Gäste in ein inneres Zimmer, wo er sie bat, seine Rückkehr zu erwarten. Demnächst begab er sich in das Kabinett seines Herrn, um seinen Auftrag auszurichten.

Es ward schon angeführt, daß der regierende Herr, wenn anders dieser Titel einem Fürsten beigelegt werden kann, der nur eine Puppe der Aristokraten ist, daß dieser ein bejahrter Mann war. Er hatte die Sorgen des Tages beiseite geworfen und las einen der Klassiker seines Vaterlandes. Seinen Putz hatte er, um sich bequemer und freier bewegen zu können, abgelegt. Der Mönch konnte keinen glücklicheren Augenblick für sein Geschäft gewählt haben, denn der Mann war nicht verschanzt mit den öffentlichen Insignien seines Ranges und sanft gestimmt durch das Eingehen in einen Schriftsteller, der es wohl verstand, des Lesers Gefühle nach seinem Belieben zu erregen und zu lenken.

Eben war der Doge so vertieft in seinen Gegenstand, daß er den eintretenden Kämmerling nicht bemerkte und daß dieser schon eine Minute lang dastand, den Wink des Herrn erwartend, ehe er gesehen wurde.

»Was willst du, Marco?« fragte der Fürst, als er von dem Buche aufsah.

»Signore«, entgegnete der Diener in der vertraulichen Weise, die denen verstattet ist, die der Person des Fürsten am nächsten stehen, »draußen warten der ehrwürdige Karmeliter und das junge Mädchen.«

»Was sagst du? – Ein Karmeliter und ein Mädchen?«

»Ja, Signore. Dieselben, die Ew. Hoheit herbestellt haben.«

»Was ist dies für ein freches Vorgehen?«

»Signore, ich wiederhole nur die Worte des Mönchs. – Sage Seiner Hoheit – sprach der Pater –, daß der Karmeliter, den er zu sprechen wünscht, und das junge Mädchen, an dessen Wohl sein fürstliches Herz so väterlich Anteil nimmt, seine Befehle erwarten.«

Über die alten Züge des greisen Fürsten zog die Glut des Unwillens röter als die der Scham, und sein Auge blitzte.

»Dies bietet man mir – in meinem eigenen Palaste!«

»Verzeihung, Signore! Dieser Priester ist nicht schamlos, wie so viele, die die Tonsur in Unehren bringen. Der Mönch und das Mädchen sehen beide unschuldig aus und arglos, und Eure Hoheit haben vielleicht vergessen –«

Die Röte von den Wangen verschwand, und sein Auge nahm wieder einen väterlichen Ausdruck an. Aber sein Alter und die Erfahrungen seiner schwierigen Stellung hatten den Dogen Vorsicht gelehrt. Er wußte recht gut, daß er nichts vergessen hatte, und ahnte, daß die ungewöhnliche Meldung eine verborgene Bedeutung haben müsse. Es konnte ein Anschlag seiner Feinde sein, denn er hatte deren viele und tätige, oder es war vielleicht ein anderer verzeihlicher Beweggrund, der zu einem so kecken Mittel, sich Zutritt zu verschaffen, geführt hatte.

»Hat der Karmeliter sonst noch etwas gesagt, guter Marco?« fragte er nach tiefem Sinnen.

»Signore, er sagte, daß die Sache dringend wäre, denn die Stunde sei nahe, wo die Unschuld leiden könnte. Ich zweifle nicht, daß er kommt, für irgendeinen jungen Extravaganten zu bitten, denn es sollen mehrere Jünglinge von Adel wegen ihrer Tollheiten beim Karneval verhaftet worden sein. Das Frauenzimmer mag eine verkleidete Schwester sein.«

»Laß einen von deinen Kameraden hereinkommen, und du, führe die Gäste mir zu, sobald ich klingle.«

Der Diener entfernte sich und ging auf einem anderen Wege in das Vorzimmer, um sich den Wartenden nicht zu früh zu zeigen. Der zweite Kämmerling erschien sogleich vor dem Dogen und wurde von diesem abgeschickt, einen vom Rate der Drei herbeizurufen, der in einem nahen Zimmer mit wichtigen Papieren beschäftigt war. Der Senator leistete dem Rufe sogleich Folge, denn er trat hier als der Freund des Fürsten auf und war als solcher öffentlich und mit den üblichen Ehrenbezeigungen hereingelassen worden.

»Man hat mir einen Besuch ungewöhnlicher Art angekündigt, Signore«, sagte der Doge und stand auf, den Mann zu empfangen, den er aus Vorsicht gegen sich selbst herbeschieden hatte. »Ich wünschte, daß Ihr Zeuge wäret von ihrem Begehren.«

»Es ist gut, daß Ew. Hoheit uns Senatoren Anteil an Ihren Geschäften vergönnt. Aber wenn der Irrtum, daß es durchaus so nötig sei, Euch bewegen sollte, die Gegenwart eines Rates zu verlangen, sooft jemand den Palast besucht –«

»Ich weiß, Signore«, unterbrach ihn der Fürst mit sanfter Stimme und schellte. »Ich hoffe, mein Begehren hat Euch nicht unangenehm gestört. Da kommen aber schon, die ich erwarte.«

Vater Anselmo und Gelsomina traten miteinander in das Gemach. Der Doge sah auf den ersten Blick, daß sie ihm gänzlich fremd waren. Er und das Mitglied des geheimen Rates blickten einander an und nahmen gegenseitiges Erstaunen wahr.

Dem Dogen gegenüberstehend, warf der Karmeliter seine Kutte zurück und enthüllte dadurch ganz seine asketischen Züge, während sich Gelsomina, aus Scheu vor dem hohen Range des Mannes, der sie empfing, schamhaft zurückzog und sich hinter dem Gewande des Mönchs halb versteckte.

»Was bedeutet dieser Besuch«, fragte der Fürst, »und diese ungewöhnliche Begleitung? Weder die Zeit noch die Art der Meldung ist herkömmlich.«

Vater Anselmo stand zum erstenmal vor dem Oberhaupt von Venedig. Gewohnt aber, wie alle seine Landsleute und mehr noch seine Altersgenossen, vorsichtig die Möglichkeit des Erfolges zu berechnen, ehe er seinen Gedanken Worte zu geben wagte, heftete der Mönch erst einen festen Blick auf den Fragenden. »Erlauchter Fürst«, sagte er dann, »wir kommen, um Gerechtigkeit zu bitten. In solcher Angelegenheit gilt es, kühn zu sein, um nicht seinem eigenen Charakter und der guten Sache etwas zu vergeben.«

»Gerechtigkeit ist der Stolz des heiligen Markus und das Glück seiner Untertanen. Dein Verfahren, Vater, ist nicht der bestehenden Ordnung und den heilsamen Schranken gemäß, doch es findet vielleicht seine Verteidigung – stelle dein Anliegen vor.«

»In den Gefängnissen sitzt einer, den die öffentlichen Gerichte zum Tode verurteilt haben und der, sobald der Tag wiederkehrt, sterben muß, wenn ihn Euer fürstlicher Machtspruch nicht rettet und ich habe bei der Ausübung meines heiligen Amtes ermittelt, daß er unschuldig ist.«

»Sagtest du, verurteilt von den gewöhnlichen Gerichten, Vater?«

»Zum Tode verdammt, Hoheit, durch einen Spruch des Kriminalgerichts.«

Der Fürst schien erleichtert. Solange die Sache öffentlich war, hatte er wenigstens Hoffnung, seiner natürlichen Menschenfreundlichkeit nachzuhängen und weiter zu hören, ohne der verschlungenen Staatspolitik zu nahe zu treten. Er warf einen Blick auf den unbeweglichen Inquisitor, gleichsam forschend, ob dieser es billige, und trat dem Karmeliter einen Schritt näher, mit zunehmender Teilnahme an dem Gesuche.

»Mit welcher Berechtigung, ehrwürdiger Priester, widersetzest du dich dem richterlichen Ausspruch?« fragte er.

»Signore, wie ich eben sagte, infolge der Kenntnis, die ich bei Ausübung meines heiligen Amtes gewonnen habe. Er hat mir sein Innerstes enthüllt als ein Mann, dessen Fuß bereits im Grabe steht, und obgleich ein Sünder vor Gott, wie alle, die vom Weibe geboren sind, ist er doch unschuldig vor der weltlichen Obrigkeit.«

»Denkst du, Vater, daß jemals das Gesetz sein Opfer erreichen würde, wenn wir nur auf Selbstanklagen hörten! Ich bin alt, Mönch, und habe lange diesen mühseligen Schmuck getragen«, er wies auf die gehörnte Mütze, das Symbol des Staates, die neben ihm lag, »und ich erinner mich nicht, daß jemals ein Verbrecher die Schuld auf etwas anderes geschoben hätte als auf ungünstige Umstände, deren Opfer er sei.«

»Daß die Menschen mit so betrüglichem Trost ihr Gewissen beschwichtigen, weiß ein Mann von meinem Berufe gar wohl. Unser Tagewerk ist ja hauptsächlich, denen ihre Täuschung nachzuweisen, die, ihre eigenen Sünden durch Bekenntnis und Selbsterniedrigung verdammend, auf ihre Demut stolz sind. Aber, Doge von Venedig! Es gibt noch eine Kraft in dem heiligen Sakramente, das ich diesen Abend zu verwalten gerufen worden bin, eine Kraft, die den Stolz des ausschweifendsten Gemütes überwältigen kann. Viele suchen sich selber zu betrügen bei der Beichte, aber durch Gottes Macht gelingt es wenigen.«

»Gepriesen sei dafür die gelobte Mutter und ihr Sohn, der Mensch geworden«, erwiderte der Fürst, von dem stillen Glauben des Mönchs ergriffen, und bekreuzigte sich fromm. »Vater, du hast vergessen, den Verurteilten zu nennen.«

»Es ist ein gewisser Jacopo Frontoni, der als Bravo verrufen ist.«

Der Fürst von Venedig stutzte, wechselte die Farbe, und sein Blick verriet unverstelltes Erstaunen.

»Sprichst du von dem blutigsten Stilett, das je die Stadt geschändet hat, als von der Waffe eines nur sogenannten Bravo? Die Kunstgriffe des Ungeheuers sind mächtiger gewesen als deine Erfahrung, Mönch! Das treue Bekenntnis eines solchen Elenden kann nur eine Geschichte blutiger und empörender Verbrechen sein.«

»Als ich in sein Gefängnis trat, war ich derselben Meinung, aber ich ging fort in der Überzeugung, daß ihm die öffentliche Stimme unrecht getan hat. Wenn Ew. Hoheit die Gnade haben will, seine Geschichte anzuhören, werdet Ihr ihn eher für einen Gegenstand des Mitleids als der Verdammung halten.«

»Unter allen Verbrechern in meinem Reiche hätte ich diesen für den letzten gehalten, zu dessen Gunsten etwas vorgebracht werden könnte! Aber sprich frei, Karmeliter. Meine Neugier ist so groß als mein Erstaunen.«

Der Doge ließ seinen Gefühlen so ganz freien Lauf, daß er im Augenblicke gar nicht an die Gegenwart des Inquisitors dachte, dessen Gesicht ihm sonst wohl mochte verraten haben, wie bedenklich die Sache zu werden anfing.

Der Mönch dankte dem Himmel, denn es war nicht immer leicht in diesem geheimnisvollen Staate, die Wahrheit vor die Ohren der Mächtigen zu bringen. Wenn ein so doppelsinniges Wesen in der ganzen Verfassung herrscht, so verwebt sich der entsprechende Sinn in die Gewohnheiten der Freimütigsten, wenn sie es auch selber nicht merken. Als daher Vater Anselmo zu der verlangten Erklärung schritt, berührte er schonend die Kunstgriffe des Staates und deutete mit Zurückhaltung die Gebräuche und Meinungen an, die ein Mann seines heiligen Berufes und seiner Redlichkeit unter anderen Umständen furchtlos verdammt haben würde.

»Es mag einem so hochgestellten Herrn, als Ihr seid, gebietender Fürst«, begann der Karmeliter, »vielleicht fremd sein, daß ein niedriger, aber fleißiger Arbeiter dieser Stadt, ein gewisser Francesco Frontoni, vor langer Zeit wegen Zollverbrechens verurteilt wurde. Dieses Verbrechen pflegt der Staat immer streng zu bestrafen, denn wenn die Menschen die Güter dieser Welt allem übrigen vorziehen, so verkennen sie den Zweck, der sie zum geselligen Verbande zusammengeführt hat.«

»Vater, wolltest du von einem gewissen Francesco Frontoni sprechen?«

»Ja, Hoheit, so hieß er. Der Unglückliche hatte einen Mann zum Freunde und Vertrauten, der als Freier seiner Tochter um seine Geheimnisse zu wissen schien. Als sich dieser falsche Freund, der Zollverbrechen verübt hatte, auf dem Punkte sah, entdeckt zu werden, ersann er einen Betrug, durch den er selbst entkam und auf seinen allzu vertrauensvollen Freund den Unwillen der Regierung lenkte. Francesco wurde zum Gefängnis unter den Bleidächern verurteilt, um ihn zum Geständnis von Tatsachen zu bringen, die nie geschehen waren.«

»Das ist ein hartes Geschick, ehrwürdiger Mönch, wenn die Sache so erwiesen werden kann!«

»Großer Doge, das ist das Übel bei Geheimhaltung und Intrige in der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten.«

»Hast du noch mehr von diesem Francesco zu sagen, Mönch?«

»Seine Geschichte ist kurz, Signore. In der Lebenszeit, die die meisten Menschen in Tätigkeit für ihr eigenes Wohl verwenden, schmachtete er im Kerker.«

»Ich erinnere mich, von einer solchen Anklage gehört zu haben – aber die Sache fiel während der Regierung des vorigen Dogen vor, nicht wahr, Vater?«

»Und hat fast bis zum Ende der Regierung des jetzigen gedauert, Hoheit.«

»Wie? Der Senat hat doch, von dem Mißgriff in Kenntnis gesetzt, sein Unrecht schnell wieder gutgemacht!«

Der Mönch sah den Fürsten ernst an, als wollte er sich Gewißheit verschaffen, ob das Erstaunen, das er wahrnahm, nicht ein hoher Grad von Verstellung wäre. Er überzeugte sich jedoch, daß die Sache zu denen gehörte, die, wie ungerecht, grausam und zerstörend sie auch für das Glück eines einzelnen sein mögen, doch nicht wichtig genug sind, um vor die gebracht zu werden, die an der Spitze einer Verwaltung stehen, die mehr ihr eigenes Bestehen als das Gemeinwohl ins Auge faßt.

»Signore Doge«, sagte er, »der Staat ist behutsam, wo es seinen eigenen guten Ruf gilt. Es sind Gründe, die ich mir nicht herausnehme zu untersuchen, die aber den Kerker des armen Francesco noch immer verschlossen hielten, als nach dem Tode und Bekenntnisse seines Anklägers schon längst seine Unschuld erwiesen war.«

Der Fürst sann nach, und sodann fiel ihm ein, die Mienen seines Gesellschafters zu Rate zu ziehen. Der Marmor des Pfeilers, an den dieser gelehnt stand, war nicht kälter und unbeweglicher als das Gesicht des Inquisitors. Der Mann hatte gelernt, vor den erkünstelten Pflichten seines Amtes jede natürliche Regung schwinden zu lassen.

»Und was hat diese Sache des Francesco mit der Hinrichtung des Bravo zu tun?« sagte der Doge nach einer Pause, während der er sich vergeblich bemühte, die gleichgültige Miene seines Rates anzunehmen.

»Das zu beantworten, werde ich hier der Tochter des Gefängniswärters überlassen! – Tritt vor, Kind, und erzähle, was du weißt. Gedenke daran, daß du, vor dem Dogen von Venedig redend, zugleich vor dem Könige der Himmel stehst.«

Gelsomina zitterte. Wie sie erzogen war, konnte sie, der Güte ihrer Sache ungeachtet, nicht leicht eine natürliche Scheu bekämpfen. Aber getreu ihrem Versprechen und ermutigt durch ihre Liebe zu dem Verurteilten, trat sie einen Schritt vor und versteckte sich nicht länger hinter dem Gewande des Karmeliters.

»Du bist die Tochter des Gefängniswärters?« fragte der Fürst mit mildem Tone, obgleich sich Erstaunen in seinem Auge malte.

»Hoheit, wir sind arm und unglücklich. Wir dienen dem Staate um Brot.«

»Ihr dient einem edeln Herrn, Kind. Weißt du etwas von diesem Bravo?«

»Hoher Herr, die ihn so nennen, kennen sein Herz nicht. Es kann keinen geben in Venedig, der gegen seine Freunde herzlicher, seinem Worte getreuer und den Heiligen ergebener wäre als Jacopo Frontoni.«

»Diesen Charakter kann die Kunst auch wohl einem Bravo beilegen. Aber wir verlieren die Zeit. Was haben die beiden Frontoni miteinander gemein?«

»Hoheit, sie sind Vater und Sohn. Als Jacopo so alt war, daß er das Unglück seiner Familie einsehen konnte, lag er den Senatoren mit Bitten für seinen Vater so lange an, daß diese befahlen, man sollte den Kerker des Gefangenen einem so frommen Sohne heimlich öffnen. Ich weiß wohl, daß die Regierenden nicht allwissend sein können, sonst wäre solch Unrecht nie möglich gewesen. Aber Francesco blieb jahrelang im Gefängnis, wo es winters kalt und dunstig und sommers eine glühende Hitze ist, bis es herauskam, daß er falsch angeschuldigt war. Da ließ man zu einigem Ersatz für die gar nicht verdienten Qualen Jacopo zu ihm.«

»Warum das, Mädchen?«

»Hoheit, war es nicht aus Erbarmen? Sie versprachen auch, daß die Dienste des Sohnes zu seiner Zeit dem Vater die Freiheit erwerben sollten. Die Patrizier waren aber schwer zu überzeugen und machten Bedingungen mit dem armen Jacopo, und er ging darauf ein, sich einem schweren Geschäft zu unterziehen, damit nur sein Vater noch einmal die freie Luft atmen möchte vor seinem Tode.«

»Du sprichst in Rätseln.«

»Ich bin nicht gewohnt, großer Doge, vor so vornehmen Herren zu reden, auch nicht über solche Sachen. Aber dies weiß ich, daß Jacopo drei lange Jahre Zutritt hatte zu seines Vaters Zelle und daß dies mit Erlaubnis der Obrigkeit geschah; mein Vater würde es sonst nicht gelitten haben. Ich begleitete ihn immer bei dem frommen Gange und will die gelobte Jungfrau und alle Heiligen zu Zeu –«

»Mädchen, hast du gewußt, daß er ein Bravo ist?«

»Ach, Hoheit, nein! Er schien mir immer ein pflichtliebender Sohn, der Gott fürchtete und seinen Vater ehrte. Ich möchte nie wieder solchen Schmerz empfinden, als mich damals durchschauerte, da sie sagten, der, den ich als den guten Carlo gekannt hatte, würde in Venedig verfolgt als der verabscheute Jacopo! Aber es ist vorüber, gelobt sei die Mutter Gottes!«

»Du bist diesem verurteilten Manne verlobt?«

»Ja, Hoheit. Wir hätten uns geheiratet, wenn es Gott gefallen hätte und diesen großen Senatoren, die so vielen Einfluß auf das Schicksal der Armen haben –«

»Und du bist noch jetzt, da du den Mann kennst, willens, dich einem Jacopo anzutrauen?«

»Weil ich ihn so kenne, wie er ist, großer Doge, darum muß ich ihn ehren. Er hat dem Staate seine Zeit und seinen guten Ruf verkauft, um seinen gefangenen Vater zu retten, und darin seh ich nichts Abschreckendes für eine, die er liebt.«

»Die Sache bedarf der Erklärung, Karmeliter. Das Mädchen hat eine erhitzte Phantasie und verwickelt, was sie entwirren will.«

»Erlauchter Fürst, sie wollte sagen, daß es der Republik genehm war, dem Sohne den Besuch bei seinem Vater zu verstatten und ihm Hoffnung zu dessen Befreiung zu machen, unter der Bedingung, daß sich der junge Mann zum Vorteil der Polizei für einen Bravo ausgab.«

»Und für diese unglaubliche Geschichte bürgt Euch nichts als das Wort eines verurteilten Verbrechers?«

»Der vor seinen Augen nichts sieht als den Tod. Es gibt Mittel, die Wahrheit klar zu durchschauen, und sie sind denen bekannt, die oft sterbenden Büßern beistehen, unbekannt aber den weltlichen Menschen. Jedenfalls, Signore, ist die Sache der Untersuchung wert.«

»Darin hast du recht. Ist die Stunde zur Hinrichtung bestimmt?«

»Mit Tagesanbruch, Fürst.«

»Und der Vater?«

»Ist im Kerker gestorben.« Eine Pause.

»Hast du vom Tode eines gewissen Antonio gehört?« nahm der erschütterte Doge, sich fassend, das Wort.

»Ja, Signore. Bei meinem heiligen Amte bezeuge ich, daß Jacopo an diesem Verbrechen unschuldig ist. Ich selbst habe dem Fischer zur Beichte gesessen.«

Der Doge wendete sich ab, denn die Wahrheit dämmerte in ihm auf, und die Glut auf seinen greisen Wangen enthielt ein Geständnis, das nicht jedes Auge merken konnte. Er suchte den Blick seines Gesellschafters, aber der Ausdruck seines menschlichen Gefühls traf auf die geregelten Züge des anderen wie Licht auf polierten Stein, davon es kalt zurückprallt.

»Hoheit«, sagte eine zitternde Stimme.

»Was willst du, Kind?«

»Es gibt einen Gott für die Republik so gut als für den Gondoliere! Wird Ew. Hoheit nicht diese große Sünde von Venedig abwenden?«

»Du sprichst geradeaus, Mädchen.«

»Carlos große Gefahr hat mich kühn gemacht. Das Volk liebt Euch sehr, und keiner spricht von Euch, ohne zugleich von Eurer Güte und Eurer Dienstwilligkeit für die Armen zu sprechen. Ihr seid unser Vater, und wir haben ein Recht, zu Euch zu kommen, auch wenn wir um Gnade bitten. Hier aber, Hoheit, fordere ich nur Gerechtigkeit.«

»Gerechtigkeit ist Venedigs Wahlspruch.«

»Die von der Vorsehung reichlich gesegnet sind, wissen nicht immer, was ein Armer zu tragen hat. Es hat Gott gefallen, meiner eigenen armen Mutter schwere Leiden aufzuerlegen, die ohne ihre Geduld und ihren christlichen Glauben schwer zu überstehen wären. Das bißchen Sorgfalt, das ich ihr spenden konnte, hat zuerst Jacopos Augen auf mich gezogen, denn sein Herz war voll von Kindespflicht. Wenn Ew. Hoheit nur Carlo besuchen wollten oder ihn hierherbringen ließen, so würde seine einfache Erzählung alle schändlichen Untaten, die sie ihm aufgebürdet haben, zur Lüge machen.«

»Das ist nicht nötig – das ist nicht nötig. Dein Glaube an seine Unschuld, Mädchen, ist beredter, als alle seine Worte sein können.«

Ein Freudenstrahl blitzte in Gelsominas Gesicht auf, sie wandte sich zu dem Mönche und sagte: »Seine Hoheit gibt Gehör, und wir werden durchdringen! Vater, sie mögen drohen in Venedig und den Furchtsamen ängstlich machen, aber sie werden das niemals tun, was wir gefürchtet haben. Ist nicht Jacopos Gott mein Gott und ihr Gott? Der Gott des Senates und des Dogen? Des Rates und der Republik? Ich wünschte, die geheimen Mitglieder vom Rate der Drei hätten den armen Jacopo gesehen, wenn er nach seinem Tagewerk, müde von der Arbeit, gepeinigt von dem ewigen Zögern, in die Winter- oder Sommerzelle trat, wie es nun gerade war, eisig kalt oder brennend heiß, und sich zwang, vergnügt zu sein, damit der fälschlich Angeklagte nicht noch mehr sein Elend fühlen möchte! – Ach, ehrwürdiger und gütiger Fürst, Ihr wisset wenig von der Last, die oft die Armen zu tragen haben, denn Euch ist das Leben Sonnenschein. Aber Millionen sind da, die tun müssen, was sie hassen, um nur nicht tun zu müssen, was sie fürchten.«

»Kind, du sagst mir nichts Neues.«

»Außer, daß ich Euch Beweise gebe, Hoheit, daß Jacopo kein solch Ungeheuer ist, als sie aus ihm machen wollen. Ich weiß nicht, aus was für geheimen Gründen der Rat den jungen Mann zu einem Betruge bewogen hat, der beinahe so unglücklich geendet hätte, jetzt aber, da alles aufgeklärt ist, haben wir nichts zu fürchten. Kommt, Vater! Wir wollen den guten und gerechten Dogen zur Ruhe gehen lassen, wie seinen Jahren zukommt, und wollen zurückgehen, Jacopos Herz aufzuheitern durch die Nachricht von unserem Erfolge, und wollen der gelobten Maria für ihre Gnade danken.«

»Halt!« rief der Greis mit erstickter Stimme. »Ist es wahr, was du mir gesagt hast, Mädchen? Vater, kann es so sein?«

»Signore, ich habe alles wahrhaft gesagt, wie mich mein Gewissen trieb.«

Des Fürsten Auge schweifte wild von dem bewegungslosen Mädchen zu dem gleichfalls unbewegten Mitgliede der Drei hinüber.

»Tritt hierher, Kind«, sagte er, und seine Stimme zitterte, »tritt her, daß ich dich segne.« Gelsomina trat schnell vor und ließ sich vor dem Herrn auf ihre Knie nieder.

Nie hatte Vater Anselmo einen lauteren und glühenderen Segen gesprochen, als jetzt von den Lippen des Dogen von Venedig floß. Der letztere hob sodann die Tochter des Gefangenenwärters auf und bedeutete den beiden Gästen, sich zu entfernen. Gelsomina gehorchte gern, denn ihr Herz, voll Begierde, ihren Erfolg mitzuteilen, war schon in Jacopos Zelle, aber der Karmeliter warf noch einen zögernden Blick zurück als ein Mann, der besser bekannt war mit den Wirkungen weltlicher Politik, wenn diese mit dem Interesse solcher Leute zusammenhängt, die die Herrschaft zum Vorteil der Bevorrechteten anwenden. Im Hinausgehen aber war seine Hoffnung neu belebt, denn er sah den greisen Fürsten, unfähig, sein Gefühl länger zurückzuhalten, mit ausgestreckten Armen, mit tränenerfüllten Augen, mit einem Blicke, in dem sich Verlangen nach der Freude menschlichen Mitgefühls lebendig aussprach, auf seinen schweigsamen Gesellschafter zueilen.

Einunddreißigstes Kapitel

Einunddreißigstes Kapitel

Wieder rief der Morgen die Venezianer an ihr Tagewerk. Agenten der Polizei hatten geschäftig die Stimmung des Volkes bearbeitet, und sobald die Sonne über dem Meere emporstieg, fingen die Plätze an, sich zu füllen. Da fand sich der neugierige Bürger ein in Mantel und Mütze, da gafften verwundert barfüßige Arbeitsleute, da kam der vorsichtige, bärtige Hebräer in seinem weiten Rock, Edelleute zeigten sich in Masken und manche aufmerksame Fremde, von den Tausenden, die diese Stadt noch immer besuchten, obgleich der Glanz ihres Handels im Abnehmen war. Man erzählte einander, daß eine Handlung der vergeltenden Gerechtigkeit für die Ruhe der Stadt und die Sicherheit der Bürger gehandhabt werden sollte.

Die Dalmatier waren unfern des Meeres dergestalt aufmarschiert, daß sie die beiden Granitsäulen der Piazetta umgaben. Ihre ernsten soldatischen Gesichter waren nach ihnen, den afrikanischen Säulen, jenen wohlbekannten Grenzzeichen des Todes, zugekehrt. Einige grimmige Krieger von höherem Range durchschritten den Raum vor den Truppen, während sich ein dichtgedrängter Haufe hinter diesen anschloß. Aus besonderer Gunst hatte man über hundert Fischern vergönnt, sich innerhalb des bewaffneten Kreises aufzustellen, damit sie sehen sollten, wie ihr Stand gerächt würde. Zwischen den hohen Fußgestellen des heiligen Theodor und des Flügellöwen befanden sich Block und Axt, ein Tragekorb und Sägespäne, die damals üblichen Gerätschaften bei Hinrichtungen. Neben diesen stand der Scharfrichter.

Eine Bewegung in der Menge lenkte endlich jedes Auge nach dem Tore des Palastes. Ein Gemurmel erhob sich, die Menge wallte hin und her, und eine kleine Schar Sbirren wurde sichtbar. Ihr Schritt war schnell, wie der Gang des Geschicks. Die Reihe der Dalmatier öffnete sich zur Aufnahme dieser Handlanger des Schicksals und schloß sich wieder hinter ihnen, als verschlössen sie mit dem Verurteilten die Welt mit allen ihren Hoffnungen. Als sie bei dem Blocke zwischen den Säulen ankamen, teilten sich die Sbirren in Reihen und zogen sich ein wenig zurück, Jacopo blieb allein vor den Todeswerkzeugen mit seinem geistlichen Ratgeber, dem Karmeliter, der gaffenden Menge sichtbar.

Vater Anselmo war in der gewöhnlichen Ordenskleidung der Barfüßermönche. Die Kapuze des heiligen Mannes war zurückgeschlagen und zeigte den Umstehenden seine kasteiten Züge. Sein Gesicht war ein Bild verworrener Ungewißheit; oft blitzten Funken von Hoffnung fieberhaft darin auf. Während sich seine Lippen betend bewegten, schweifte sein Blick unwillkürlich von einem Fenster des Dogenpalastes zum andern. Er stellte sich indessen neben den Verurteilten hin und bekreuzigte sich dreimal mit innigem Eifer.

Jacopo stand in ruhiger Haltung vor dem Block. Sein Kopf war entblößt, seine Wange farblos, Hals und Nacken bis zu den Schultern unbedeckt, sein Oberleib war mit dem Hemd und sein übriger Körper nach Brauch der Gondolieri bekleidet. Er kniete nieder, das Gesicht dem Blocke zuwendend, und betete; dann stand er auf und überschaute die Menge mit Würde und Fassung. Während sein Auge über die Reihe menschlicher Gesichter langsam hinschweifte, überflog eine flüchtige Glut sein Antlitz; denn keines von allen verriet Gefühl für sein Leiden. Seine Brust hob sich, und die zunächst standen, bildeten sich ein, nunmehr verlasse den Unglücklichen seine Selbstbeherrschung. Aber so geschah es nicht. Er schauderte wohl zusammen, dann aber gewann er wieder die vorige Ruhe.

»Du hast dich vergeblich unter der Menge nach einem wohlwollenden Auge umgesehen!« sagte der Karmeliter, dem die konvulsivische Bewegung nicht entgangen war.

»Für einen Mörder hat hier keiner Mitleid.«

»Denk an deinen Erlöser, Sohn. Er litt Schmach und Tod für ein Geschlecht, das seine Gottheit leugnete und seine Qual verhöhnte.«

Jacopo bekreuzigte sich und beugte ehrfurchtsvoll sein Haupt.

»Hast du noch mehr zu beten, Vater?« fragte der Oberste der Sbirren, dem die Aufsicht über die ganze Handlung übertragen war. »Obgleich die erlauchten Räte unerschütterlich sind in der Gerechtigkeit, so haben sie doch mit den Seelen der Sünder Erbarmen.«

»Hast du auch bestimmte Befehle?« fragte der Mönch, indem er ungewiß sein Auge wiederum auf die Fenster des Palastes heftete. »Ist es gewiß, daß der Gefangene sterben muß?«

Der Offizier lächelte über die Einfalt der Frage. Mit der Fühllosigkeit eines Mannes, der zu vertraut ist mit menschlichen Leiden, um Mitleid zu haben, fügte er hinzu: »Es ist das Schicksal aller Menschen, ehrwürdiger Mönch, und namentlich derer, über die das Gericht des heiligen Markus ergangen ist. Es wäre besser, Euer Beichtling dächt an seine Seele.«

»Du hast doch auch gewiß besonderen und ausdrücklichen Befehl? Man hat dir doch die Zeit zur Vollführung des blutigen Werkes genau bestimmt?«

»Jawohl, heiliger Karmeliter. Die Zeit wird nicht langsam sein, und Ihr tätet gut, sie Euch zunutze zu machen, wofern Ihr nicht schon mit dem Seelenzustand des Gefangenen zufrieden seid.«

So sprechend, warf der Offizier einen Blick auf die Sonnenuhr des Platzes und ging kaltblütig fort, den Priester und den Gefangenen zwischen den Säulen wieder allein lassend. Der erstere von diesen konnte offenbar noch immer nicht an die wirkliche Vollstreckung des Urteils glauben.

»Hast du Hoffnung, Jacopo?« fragte er.

»Karmeliter, auf meinen Gott!«

»Sie können dies Unrecht nicht begehen! Ich war des Antonio Beichtiger – ich war Zeuge von seinem Tode, und das weiß der Fürst!«

»Was ist ein Fürst und seine Gerechtigkeit, wo die Selbstsucht einiger weniger regiert. Vater, du bist ein Neuling im Dienste des Senats.«

»Ich vermesse mich freilich nicht, vorauszusetzen, daß Gott die Verüber dieser Tat niederdonnern wird, denn die Geheimnisse seiner Weisheit sind unerforschlich. Dies Leben und alles, was diese Welt bieten kann, ist nur ein Punkt vor seinem allumfassenden Auge, und was uns als Übel erscheint, mag des Guten voll sein. Hast du Glauben an deinen Erlöser, Jacopo?«

Der Gefangene legte seine Hand auf das Herz und lächelte mit der stillen Zuversicht, die nur denen innewohnt, die solchen Trost haben.

»Wir wollen noch einmal beten, Sohn!«

Der Karmeliter und Jacopo knieten nebeneinander, und der letztere beugte seinen Kopf dem Blocke zu, während der Mönch schließlich die göttliche Gnade für ihn erflehte. Der Karmeliter stand auf, als der andere noch betend dalag. Der Mönch war so voll von heiligen Gedanken, daß er, seines früheren Wunsches vergessend, jetzt fast mit Zufriedenheit daran dachte, wie der Gefangene nunmehr in den Genuß der Seligkeit eingehen sollte, deren Hoffnung ihn selbst so freudig erhob. Der Offizier und der Scharfrichter traten näher; ersterer stieß Vater Anselmo an und deutete auf die entfernte Uhr.

»Der Augenblick ist da«, sprach er, mehr aus Gewohnheit als aus Schonung für den Gefangenen flüsternd.

Instinktmäßig wendete der Karmeliter sein Auge nach dem Palaste, in der plötzlichen Aufregung nur seines Begriffs von irdischer Gerechtigkeit eingedenk. Es zeigten sich Gestalten an den Fenstern, und er bildete sich ein, es sollte ein Signal gegeben werden, um den entscheidenden Schlag zu hemmen.

»Halt!« rief er. »Um die Liebe der Heiligen Jungfrau, hemmet Eure Hast!«

Sein Ausruf wurde von einer durchdringenden Weiberstimme wiederholt, und in demselben Augenblicke durchbrach Gelsomina, trotz aller Bemühung, sie zurückzuhalten, die Reihe der Dalmatier und erreichte die Gruppe zwischen den Granitsäulen. Erstaunen und Neugier ergriff die Menge, und ein dumpfes Gemurmel durchlief den Platz.

»Es ist eine Wahnsinnige!« schrie einer.

»Ein Opfer seiner Kunstgriffe«, sagte ein anderer, denn wenn jemand im Rufe eines besonderen Lasters steht, unterläßt die Welt gewöhnlich nicht, ihm alle übrigen gleichfalls beizumessen.

Gelsomina ergriff Jacopos Bande und machte wahnsinnige Anstrengungen, seine Arme zu befreien.

»Ich hoffte, du würdest dir diesen Anblick sparen, arme Gessina«, sagte der Verurteilte.

»Sei nicht besorgt«, erwiderte sie atemlos. »Es ist nur Neckerei – es ist nur eine List von ihnen, um zu berücken – aber sie können nicht – nein, sie dürfen kein Haar von deinem Haupte krümmen, Carlo!«

»Teuerste Gelsomina!«

»Nein, halte mich nicht. Ich will mit den Bürgern sprechen, und du wirst sehen, ich kann gut mit ihnen sprechen und ihnen dreist die Wahrheit bekanntmachen. Mir fehlt nur der Atem.«

»Geliebte! Du hast eine Mutter – einen Vater, denen deine Zärtlichkeit gehört. Deine kindliche Pflicht gegen sie wird dich beglücken.«

»Jetzt kann ich sprechen, und du sollst sehen, wie ich deinen Namen rechtfertigen will.«

Sie riß sich aus den Armen des Geliebten, der sie seiner Bande ungeachtet fest umschlungen hielt. Es wurde ihm schwerer, ihre zarte Gestalt aus seinen Armen zu lassen, als vom Leben zu scheiden. Jetzt schien der Kampf in Jacopos Seele vorüber. Geduldig legte er sein Haupt auf den Block, vor dem er kniete, und seine gefalteten Hände ließen vermuten, daß er für sie betete, die ihn eben verlassen hatte. Gelsomina aber, mit beiden Händen ihr Haar von der blendend reinen Stirn nach den Seiten streichend, trat zu den Fischern, die sie an den roten Mützen und nackten Beinen erkannte. Sie lächelte, wie man sich denken kann, daß Selige lächeln in ihrer Liebe.

»Venezianer«, sagte sie, »ich kann euch nicht tadeln. Ihr seid hier, um Zeugen zu sein vom Tode eines Mannes, der nach eurer Meinung nicht zu leben verdient.«

»Dessen, der den alten Antonio gemordet hat«, murmelte es durch den Haufen.

»Ja, des Mörders dieses alten, herrlichen Mannes. Aber wenn ihr erfahrt, daß ihr den für einen Mörder haltet, der ein frommer Sohn gewesen ist, ein treuer Diener der Republik, ein gewandter Gondoliere, ein aufrichtiges Gemüt, so werdet ihr nach Gerechtigkeit Verlangen tragen.«

Ein allgemeines Murren übertönte ihre Stimme, die schon so zitternd und leise war, daß man nur bei der größten Stille ihre Worte vernehmen konnte. Der Karmeliter war an ihre Seite getreten und bat durch ein Zeichen angelegentlich um Stille.

»Höret sie, Männer der Lagunen«, sagte er, »sie spricht heilige Wahrheit.«

»Dieser ehrwürdige, fromme Mönch und der Himmel sind meine Zeugen. Wenn ihr Carlo besser kennen und seine Geschichte gehört haben werdet, dann werdet ihr von selbst schreien, daß man ihn losgebe. Ich sage euch dies, damit ihr, wenn der Doge dort am Fenster das Zeichen der Begnadigung gibt, nicht ärgerlich werdet und glaubt, euerm Stande geschehe Unrecht. Der arme Carlo –«

»Das Mädchen rast!« unterbrachen sie die mürrischen Fischer.

Gelsomina lächelte in der Sicherheit ihrer Unschuld und fuhr fort, sobald sie wieder zu Atem kam, doch die heftige Aufregung störte noch ihre Rede.

»Der arme Carlo –«

»Ha! Ein Zeichen vom Palast!« rief der Karmeliter laut und streckte beide Arme dorthin aus, als wollte er ein Gnadengeschenk hinnehmen. In demselben Augenblick tönten die Trompeten, und von neuem wallte die Menge durcheinander. Gelsomina stieß ein Freudengeschrei aus und wandte sich schnell, um sich an die Brust des Geretteten zu werfen, da blitzte die Axt vor ihren Augen nieder, und Jacopos Kopf rollte auf dem Pflaster dahin, als suchte er sie. Eine allgemeine Bewegung unter der Menge verriet, daß alles vorbei sei.

Die Dalmatier schwenkten in Kolonnen. Die Sbirren drängten das Volk beiseite, um heimzugelangen; Wasser aus der Bucht wurde auf die Fliesen gegossen, die blutigen Sägespäne wurden zusammengerafft, und Kopf und Rumpf, Block, Tragekorb, Beil und Scharfrichter verschwanden. Der Haufe des Volkes ging um den verhängnisvollen Fleck herum.

Während dieses fürchterlichen Augenblicks standen Vater Anselmo und Gelsomina regungslos. Alles war vorüber, und noch schien der ganze Vorfall Täuschung.

»Schafft diese Verrückte fort!« sagte ein Polizeibeamter und deutete auf Gelsomina. Man gehorchte ihm mit venezianischer Bereitwilligkeit. Der Karmeliter atmete kaum. Er starrte die bewegliche Menge, er starrte die Fenster des Palastes und starrte die Sonne an, die so herrlich am Himmel strahlte.

»Du bist verloren in dieser Menge«, sprach eine Stimme neben ihm leise. »Ehrwürdiger Karmeliter, du wirst wohltun, mir zu folgen.«

Der Mönch war zu tief gebeugt, um sich zu besinnen. Sein Führer brachte ihn durch manche verborgene Straße bis zu einem Kai, wo er sogleich eine Gondel bestieg, die nach dem Festlande fuhr. Ehe die Sonne im Mittage stand, war der in Gedanken versunkene, zitternde Mönch auf dem Wege nach dem Kirchenstaate und in kurzem im Schlosse Sant‘ Agata wohnhaft.

Zur gewöhnlichen Stunde ging die Sonne hinter den Tiroler Bergen unter, und der Mond kam über den Lido herauf. Die engen Straßen Venedigs ergossen ihre Tausende wiederum auf die Plätze. Das sanfte Licht streifte die seltsame Architektur und den schwindlig hohen Turm und warf einen betrüglichen Glanz auf die Inselstadt.

Die Portikus erglänzten vom Scheine der Lampen. Die Fröhlichen lachten, die Unbekümmerten tändelten, die Maskierten verfolgten ihre versteckten Zwecke; die Balladensänger und Spaßmacher übten ihre Streiche, und Unzählige gaben sich dem leeren Ergötzen hin, wie es gedankenlose, müßige Leute lieben. Jeder lebte für sich, und die Staatsmaschine Venedigs behielt nach wie vor ihren lastenvollen Gang, der durch das verwegene Trugspiel, das er mit heiligen Grundsätzen trieb, die in der Wahrheit und im natürlichen Rechte ihre Wurzel haben, Regierer und Regierte entwürdigte und endlich ins Verderben stürzte.

Viertes Kapitel

Viertes Kapitel

Während jenes lebendigen Treibens auf der Piazza San Marco lag der Überrest der Stadt still und einsam im Lichte des Mondes, der so hoch stand, daß sein Schein zwischen die Häuser fiel und hier und da auch die Oberfläche des Wassers flimmernd berührte. Zuweilen entfaltete ein Blick seines Lichtes auf die schweren Karniese eines Palastes den merkwürdigsten Kontrast finsterer Einsamkeit von innen und glänzend reicher Architektur des äußern Gebäudes. Zu einem von diesen Edelsitzen führt uns jetzt unsere Erzählung.

Eine schwerfällige Pracht herrschte in der Bauart des Hauses. Der geräumige Flur war massiv gewölbt, die marmornen Stufen breit und schwer. Die Zimmer überraschten durch Bildwerk und Vergoldung, und die Wände waren reichlich geschmückt mit unzähligen Meisterwerken der größten italienischen Künstler. Die kühlen, schönen Mosaikfußböden von den kostbarsten Marmorarten vollendeten den stolzen Stil, der Glanz und Geschmack vereinigte.

Das Gebäude, das auf zwei Seiten unmittelbar aus dem Wasser hervorstieg, hatte in der Mitte, wie gewöhnlich, einen dunkeln Hof. Den verschiedenen Seiten des Hauses folgend, konnte man durch manche zu dieser Stunde dem kühlen Zug der Seeluft geöffnete Tür in die langen Reihen der mit wahrhaft königlicher Pracht ausgestattetem Gemächer blicken, in denen umschattete Lampen ein sanftes, angenehmes Licht verbreiteten.

In der Ecke des Hauses, an dem kleineren der beiden Kanäle und ganz entfernt von dem Hauptkanale der Stadt, dem das Gebäude die Front zukehrte, befand sich eine Reihe von Zimmern, die nicht mindere Pracht als die zuvor beschriebenen verrieten, aber zugleich mehr Rücksicht auf die Bequemlichkeiten des gewöhnlichen Lebens. Die Vorhänge waren von schwerstem Sammet oder von glänzendem Seidenzeuge, die Spiegel waren groß und äußerst fein geschliffen, die Fußböden wieder von gefälligen heitern Farben und die Wände mit Kunstwerken bedeckt. Aber das Ganze zeigte doch mehr ein Bild häuslicher Behaglichkeit. Die Wandbekleidung und Vorhänge hingen in ungezwungenen Falten herab, die Betten waren zum Schlafen eingerichtet, die Gemälde waren zarte Kopien von der Hand einer jungen Liebhaberin, deren Muße sich in dieser artigen und weiblichen Beschäftigung ergötzte.

Die Schöne hatte eben in ihrem Gemach eine Unterredung mit ihrem geistlichen Ratgeber und mit einer Person ihres Geschlechts, die lange bei ihr die Stelle einer Erzieherin und Mutter vertreten hatte. Die Herrin des Palastes war noch in so zartem Alter, daß sie in nördlicherer Gegend für kaum mehr als ein Kind gegolten hätte, während in ihrem Lande das Ebenmaß und die Ausbildung ihrer Formen sowie der Ausdruck eines dunkeln, sprechenden Auges weibliche Reife in körperlicher und geistiger Hinsicht kundgaben.

»Für den guten Rat danke ich Euch, mein Vater, und meine vortreffliche Florinde wird Euch noch mehr dafür dankbar sein, denn Eure Ansicht stimmt mit der ihrigen immer so ganz überein, daß ich mich oft gewundert habe, wie die Erfahrung auf eine geheimnisvolle Art den Weisen und den Tugendhaften gleiche Gedanken eingibt, und noch dazu über einen Gegenstand von so wenigem persönlichem Interesse.«

Ein leichtes verstohlenes Lächeln umzog den Mund des Karmeliters, als er die naive Bemerkung seines freimütigen Zöglings vernahm.

»Du wirst lernen, mein Kind«, erwiderte er, »wenn dich die Zeit mit Weisheit ausgerüstet haben wird, daß wir in den Dingen, die unsere Leidenschaften und Interessen am wenigsten berühren, gerade am fähigsten sind, vorsichtig und unparteiisch zu urteilen. Wenn Donna Florinde auch noch nicht das Alter erreicht hat, in dem man endlich die Begierde unterjocht, und obgleich sie noch so vieles an die Welt fesselt, so wird sie dir doch diese Wahrheit bezeugen können.«

Obgleich der Redner, sich offenbar eben zum Fortgehen rüstend, die Kutte über den Kopf gezogen hatte und sein tiefliegendes Auge mit Wohlwollen auf dem schönen Antlitz seiner Schülerin ruhte, röteten sich doch die bleichen Wangen der mütterlichen Freundin.

»Ich darf glauben, daß Violetta dies nicht erst jetzt erfährt«, sagte Donna Florinde mit merklich weicher und zitternder Stimme.

»Es wird wenig geben, das einem so unerfahrenen Mädchen, als ich bin, gesagt werden kann, was sie mich nicht gelehrt hätte«, entgegnete schnell ihr Zögling und ergriff, ohne es selbst zu merken und ohne vom Gesicht des Karmeliters den Blick abzuwenden, die Hand ihrer treuen Führerin. »Aber warum verlangt der Senat über ein Mädchen zu verfügen, das, wie bisher, auch ferner leben möchte, glücklich in ihrer Jugend und zufrieden mit der Zurückgezogenheit, die ihrem Geschlechte geziemt?«

»Die Jahre sind unaufhaltsam, selbst ein unschuldiges Kind wie du muß einst die Versuchungen eines vorgerückten Alters fühlen. Es gibt in diesem Leben gebieterische, oft tyrannische Pflichten. Du weißt, welche Politik in einem Staate herrschen muß, der sich durch hohe Waffentaten, durch Reichtümer und weit verbreiteten Einfluß so berühmt gemacht hat wie dieser. Es gibt ein Gesetz in Venedig, das jedem, der in den Angelegenheiten der Stadt irgendeine Stelle einzunehmen berechtigt ist, verbietet, sich mit Ausländern der Art zu verbinden, daß seine Ergebenheit für die Republik dabei in Gefahr käme. So darf kein Patrizier des San-Marco in einem andern Staate Güter besitzen, keine Erbin eines so hohen und geehrten Namens wie du sich einem Ausländer von Bedeutung vermählen, es sei denn mit dem Wunsch und der Bewilligung derer, die über das Gemeinwohl zu wachen eingesetzt sind.«

»Hätte mir die Vorsehung durch die Geburt einen geringeren Stand angewiesen, so wär alles dies anders. Mich dünkt, es trägt nicht viel bei zum weiblichen Glück, dem Rate der Zehn besonders am Herzen zu liegen.«

»Du sprichst unbescheiden, und ich beklage es, sagen zu müssen, gottlos. Es ist unsere Schuldigkeit, uns den weltlichen Gesetzen zu unterwerfen, und mehr als Schuldigkeit, die Ehrfurcht gebietet uns, gegen die Vorsehung nicht zu murren. Aber die Last scheint mir auch gar so schwer nicht, gegen die du dich auflehnst, meine Tochter. Du bist jung, reicher, als ein vernünftiger Wunsch zu begehren erlaubt, von einem Adel, der einen verderblichen, weltlichen Stolz erregen könnte, und schön genug, um dir selbst der gefährlichste von allen Feinden zu werden – warum murrst du gegen ein Los, das ja doch allen deines Geschlechts und deiner Verhältnisse zuteil wird?«

»Wenn ich gegen die Vorsehung gemurrt habe, so fühle ich jetzt schon Reue darüber«, entgegnete Donna Violetta, »aber fürwahr, es würde weniger unangenehm sein für ein Mädchen von sechzehn Jahren, wenn die Väter des Landes so viel Wichtigeres zu tun hätten, daß sie des Mädchens Stand und Alter und etwa auch ihren Reichtum darüber vergäßen.«

»Es wäre eben kein Verdienst, mit einer Welt zufrieden zu sein, die wir nach unseren Grillen zugeschnitten hätten, und es ist die Frage, ob wir, wenn alles nach unserem Wunsch ginge, glücklicher wären als jetzt, wo wir uns fügen müssen in die Ordnung, wie sie einmal besteht. Den Anteil, den die Republik an deinem besonderen Wohl nimmt, meine Tochter, mußt du dir gefallen lassen und so ihr vergelten für die Sicherheit und Herrlichkeit, die sie dir gewährt. Wer in dunklerem Stande, weniger gesegnet mit Glücksgütern geboren wird, kann mehr Freiheit seines Willens haben, muß aber dafür den Glanz entbehren, der die Wohnung deiner Väter erfüllt.«

»Ich wollte, es wäre weniger Pracht und mehr Freiheit darin.« »Die Zeit wird dich lehren, anders hierüber zu denken, dein Alter sieht alles in goldigen Farben; das Leben erscheint dann gleich zwecklos, sobald auch selbst der unbesonnenste Wunsch unerfüllt bleibt. Indessen leugne ich nicht, daß gerade dein Schicksal mit ganz besondern Umständen verbunden ist. Es herrscht eine Politik in Venedig, die viel berechnet und die mancher darum vielleicht für grausam hält.« Die Stimme des Karmeliters war gesunken, und einen Augenblick innehaltend, warf er einen unruhigen Blick unter seiner Kutte hervor. Dann fuhr er fort: »Die Vorsicht erheischt vom Senate, daß er solchen Interessen die Waage halte, die gegeneinander ankämpfen und wohl gar die des Staates selbst gefährden. Daher kommt es, wie ich sagte, daß ohne Erlaubnis und Aufsicht der Republik niemand, der zum Stande der Senatoren gehört, Grundbesitzer im Auslande sein und keine Person von Bedeutung sich mit Fremden, die einen gefährlichen Einfluß besitzen, verheiraten darf. Der letztere Fall ist der deinige; von den verschiedenen Großen des Auslandes, die um deine Hand anhalten, kann der Senat keinen begünstigen, ohne zu fürchten, daß ein Fremder hier mitten in der Stadt eine ungebührliche Macht erwerbe. Don Camillo Monforte, der Kavalier, dem du dein Leben verdankst und dessen du neulich voll Erkenntlichkeit gedachtest, hat wahrhaftig mehr Ursache, sich über die Härte dieser Beschlüsse zu beklagen, als du irgendwie haben kannst.«

»Mein Kummer«, fiel Violetta schnell ein, »würde noch größer sein, wenn ein Mann, der für mich soviel Mut bewiesen hat, Grund hätte, zu empfinden, wie gerecht dieser Kummer ist. Was hat den Herrn von Sant‘ Agata gerade mir zum Glücke nach Venedig gebracht, wenn es anders für ein erkenntliches Mädchen nicht unziemlich ist, so zu fragen?«

»Dein Anteil hieran ist ganz natürlich und lobenswert«, erwiderte der Karmeliter mit einer Einfalt, die seiner Kutte mehr Ehre machte als seiner Beobachtungsgabe. »Er ist jung und ohne Zweifel durch seine Reichtümer und die Leidenschaftlichkeit der Jugend zu manchem Leichtsinn geneigt. Schließ ihn in dein Gebet ein, meine Tochter. Dies ist der Dank, den du ihm abstatten magst. Das weltliche Interesse, das er hier hat, ist aber allgemein bekannt, und ich kann deine Unwissenheit darüber nur deiner zurückgezogenen Lebensweise zuschreiben.«

»Mein Pflegling hat an andere Dinge zu denken als an die Angelegenheiten eines jungen Fremden, der in Geschäften nach Venedig kommt«, bemerkte Donna Florinde sanft.

»Aber wenn ich für ihn beten soll, mein Vater, so würde mein Gebet mehr Bestimmtheit haben, wenn ich wüßte, wessen der junge Edelmann am meisten bedarf.«

»Bitte nur allein für sein geistliches Wohl. In Wahrheit, von den zeitlichen Gütern dieser Welt fehlt ihm wenig, obgleich die fleischlichen Begierden den, der am meisten hat, verführen, immer noch mehr zu verlangen. Es hat den Anschein, als ob ein Vorfahre Don Camillos vorzeiten Senator in Venedig gewesen ist, als der Tod eines Verwandten kalabrische Güter in seinen Besitz brachte. Von seinen Söhnen übernahm der jüngere diese Güter infolge eines Gesetzes, das zugunsten einer Familie, die dem Staate treu gedient hatte, ausdrücklich erlassen worden war. Auf den älteren Sohn dagegen und auf dessen Nachkommen gingen die Senatorwürde und das Familienbesitztum in Venedig über. Die ältere Linie ist nun ausgestorben, und Don Camillo bestürmt seit Jahren den Rat, ihn wieder in die Rechte einzusetzen, denen sein Ahnherr entsagt hat.«

»Können sie ihm dies verweigern?«

»Um es zu gewähren, müßten sie vom Gesetz abgehen. Wenn er seinen kalabrischen Besitzungen entsagen wollte, so würde er mehr verlieren als gewinnen. Soll er aber beides haben, so wird gegen ein Gesetz gehandelt, das man nur sehr selten suspendiert. Ich verstehe nicht viel, meine Tochter, von den Verhältnissen des Lebens, aber es gibt Feinde der Republik, die da sagen, daß sie eine schwere Knechtschaft übt und selten eine Gunst gewährt, ohne reichlichen Ersatz dafür zu fordern.«

»Ist das aber recht? Wenn Don Camillo Monforte Ansprüche hat in Venedig, betreffe es nun Paläste an den Kanälen oder Ländereien auf dem Festlande oder einen Sitz im Senat, immer sollte ihm Gerechtigkeit werden ohne Verzug, damit es nicht heiße, die Republik prahle mehr mit dieser heiligen Tugend, als sie diese selbst übe.«

»So heißt dich dein argloser Sinn reden. Es gehört zur Gebrechlichkeit des Menschen, meine Tochter, daß er seine öffentlichen Handlungen von der ängstlichen Gewissenhaftigkeit seines Tuns als Privatmann fernhält, als ob Gott, den Menschen zugleich mit Vernunft und mit dem herrlichen Trost des Christentums beschenkend, ihm zwei Seelen gegeben hätte, für deren eine nur allein zu sorgen wäre.«

»Gibt es nicht Leute, mein Vater, die es glauben, es werde nur das Böse an uns gestraft, das wir als einzelne begehen, was aber von Staats wegen geschieht, falle der Nation auch zur Last?«

»Der Stolz der menschlichen Vernunft hat manche Spitzfindigkeit ersonnen, seinen eigenen Begierden zu frönen, aber er findet an keiner unglückseligeren Täuschung, als diese ist, seine Nahrung. Die Sünde, die andere mit fortreißt in ihre Schuld oder in ihre Folgen, ist eine doppelte Sünde, und wenn es auch die Natur der Sünde ist, ihre eigene Strafe nach sich zu ziehen, sogar schon in diesem Leben, so schmeichelt der sich doch mit falscher Hoffnung, der da meint, die Größe des Vergehens werde ihm zur Entschuldigung dienen. Die größte Sicherheit für uns Menschen ist, uns von der Versuchung zurückzuziehen; der ist am meisten geborgen vor den Lockungen der Welt, der sich von ihren Lastern am meisten entfernt hält. Ich wünsche zwar, daß der edle Neapolitaner sein Recht erlange, doch kann es vielleicht um seines ewigen Heiles willen sein, daß ihm diese Vergrößerung seines Reichtums, nach der er trachtet, vorenthalten wird.«

»Ich kann mir nicht einbilden, mein Vater, daß ein Kavalier, der sich so bereitwillig zeigte, dem Unglücklichen beizuspringen, die Gaben des Glücks so leicht mißbrauchen werde.«

Der Karmeliter heftete einen unruhigen Blick auf die klaren Züge der jungen Venezianerin. Väterliche Besorgnis und Ahnung sprachen aus seinem Auge.

»Dankbarkeit für deinen Lebensretter geziemt sowohl deinem Stande als deinem Geschlechte und ist eine Schuldigkeit. Halte dies Gefühl wert, denn es ist der Verpflichtung der Menschen gegen seinen Schöpfer gar sehr verwandt.«

»Ist es denn genug, Dankbarkeit nur zu fühlen?« fragte Violetta. »Eine Person von meinem Namen und Einflusse sollte doch mehr tun. Wir können die Patrizier, die mir verwandt sind, zugunsten des Fremden bewegen, ein schnelleres Ende dieses langwierigen Prozesses herbeizuführen.«

»Ei behüte, Tochter! Der Eifer einer jungen Dame, an der die Republik so vielen Anteil nimmt, könnte dem Don Camillo eher Feinde als Freunde erwecken.«

Donna Violetta schwieg. Der Mönch und Donna Florinde betrachteten sie mit besorgter Teilnahme; der erstere brachte darauf seine Kutte in Ordnung und rüstete sich zum Aufbruch. Violetta trat dem Karmeliter näher, und ihn mit unverstelltem Zutrauen und gewohnter Ehrerbietung anschauend, bat sie um seinen Segen. Nach dieser feierlichen Handlung wandte sich der Mönch zu der Gefährtin seiner Fürsorge. Donna Florinde ließ das Seidenzeug, an dem sie nähte, in ihren Schoß fallen und saß demütig schweigend mit gebeugtem Haupt, während der Karmeliter seine Hände über sie hinstreckte. Seine Lippen bewegten sich, aber man hörte die Worte des Segens nicht. Wäre das feurige Mädchen, das ihrer beiderseitigen Sorge anvertraut war, minder mit eigenen Gefühlen beschäftigt oder mit den Interessen der Welt, in die sie erst eintreten sollte, bekannter gewesen, so hätte sie wieder einen Beweis entdeckt von jener tiefen und sanften Gemütsverwandtschaft, die sich in dem schweigenden Verständnis ihres geistlichen Vaters mit ihrer Erzieherin kundgab.

»Du wirst uns nicht vergessen, mein Vater?« sagte Violetta mit einnehmendem Ernst. »Eine Waise, mit deren Schicksal sich die klugen Herren des Staates so ernstlich beschäftigen, bedarf eines zuverlässigen Freundes.«

»Gesegnet sei dein Fürsprecher«, sagte der Mönch, »und der Friede der Unschuldigen sei mit dir.«

Er erhob seine Hand noch einmal. Dann drehte er sich um und verließ das Zimmer. Donna Florindes Auge folgte den weißen Gewändern des Karmeliters, solange sie sichtbar waren, und als es wieder auf den Seidenstoff in ihrem Schoß fiel, schloß es sich für einen Augenblick, als schaute es innen hinein auf Regungen des Gewissens.

Die junge Herrin des Palastes rief indes einen Bedienten und befahl ihm, ihrem Beichtvater bis zu seiner Gondel das Geleite zu geben. Dann begab sie sich zu dem offenen Balkon. Es folgte ein langes Schweigen, jene italienische Ruhe atmend, wie sie dieser Stadt und der Abendstunde angemessen war. Plötzlich trat Violetta bestürzt einen Schritt vom offenen Fenster zurück. »Hörst du nicht diese Töne von oben?«

»Sind die so selten auf den Kanälen, daß sie dich vom Balkon treiben können?«

»Es sind Kavaliere unter den Fenstern am Mentonipalast, die ohne Zweifel unserer Freundin Olivia ein Ständchen bringen.«

»Auch diese Galanterie ist ganz gewöhnlich. Du weißt, daß Olivia binnen kurzem ihren Verwandten heiraten wird, nun bezeigt er ihr seine Verehrung.«

»Findest du nicht, daß solch ein öffentliches Liebeszeichen lästig ist? Wollte man um mich werben, so wünschte ich, daß niemand davon hörte als eben ich.«

»Diese Gesinnung ist schlimm für eine Dame, deren Hand der Senat zu vergeben hat. Ich fürchte, ein Mädchen deines Standes muß sich dareinfinden, daß ihre Schönheit gepriesen und ihre Talente besungen werden, vielleicht bis zur Übertreibung, und zwar selbst von Mietlingen unter einem Balkon.«

»Ich wollte, es wäre aus«, rief Violetta, sich die Ohren zuhaltend.

»Geh nur wieder auf den Balkon. Die Musik hört auf.«

»Dort singen Gondolieri am Rialto; das ist eine Musik, die ich liebe. Die süßen Töne beleidigen nicht unsere heiligsten Gefühle. Willst du heut abend fahren, liebe Florinde?«

»Wo wolltest du hin?«

»Ich weiß nicht, aber der Abend ist schön, und ich hab ein Verlangen, den Glanz und die Freude da draußen zu genießen.«

»Tausende gibt es auf den Kanälen, die ein Verlangen haben, den Glanz und die Freude da innen zu genießen. So ist es immer im Leben, was wir besitzen, wird gering geachtet, und was wir nicht haben, ist uns unschätzbar.«

»Ich bin meinem Vormund einen Besuch schuldig«, sagte Violetta. »Wir wollen nach seinem Palaste fahren.«

Trotz der moralischen Predigt meinte es Donna Florinde so streng nicht. Sie warf ihre Arbeit beiseite und machte sich bereit, ihrer Pflegebefohlenen zu willfahren. Es war die gewöhnliche Stunde für Standespersonen auszufahren und die Lockung, das Freie zu suchen, so reizend, wie sie nur Italien mit seinem milden Klima, Venedig mit seinem bunten Gedränge bieten konnte. Einer Dienerin ward befohlen, das Zimmer zu hüten. Die Gondolieri wurden gerufen, die Damen nahmen ihre Mäntel und Masken und waren geschwind im Boote.