Vierzehntes Kapitel

Trotz der späten nächtlichen Stunde ließen sich noch häufig die Töne der Musik auf dem Wasser hören. Noch immer glitten Gondeln durch die dunkeln Kanäle, während Lachen und Gesang unter den Bogen der Paläste erschallten. Die Piazza und Piazetta glänzten noch vom Scheine der Lichter und hallten wider von der Fröhlichkeit der unermüdlichen Volksmenge.

Donna Violettas Wohnung lag fern von dem Schauplatz allgemeiner Fröhlichkeit, und dennoch erreichten die von fern hertönenden Klänge der Instrumente, gedämpft und zitternd, die Ohren der Bewohner.

Die Stellung des Mondes verschattete den engen Kanal, der unter den Fenstern ihrer Wohnzimmer vorüberfloß. Auf einem über das Wasser hängenden Balkon stand das junge Mädchen und hörte bezaubert auf eine der sanften Melodien, in der sich venezianische Stimmen gegenseitig in Gondolieregesängen antworteten. Ihre beständige Gefährtin und Erzieherin war ihr zur Seite, der geistliche Vater beider stand weiter im Hintergrunde des Zimmers.

»Wohl mag es anmutigere Städte, lebhaftere Residenzen geben auf dem festen Lande«, sagte die entzückte, sich aus ihrer lauschenden Stellung aufrichtende Violetta, nachdem die Stimmen schwiegen, »allein, welche Stadt mag sich vergleichen mit Venedig, in solcher Nacht und solcher zauberischen Stunde?«

»Die Vorsehung ist weniger parteiisch gewesen in Austeilung ihrer irdischen Güter, als es dem gewöhnlichen Auge scheint«, erwiderte der Karmeliter. »Wenn wir unsere eigentümlichen Augenblicke himmlischer Andacht besitzen, so haben andere Städte wieder ihre besondern Vorzüge. Genua und Pisa, Florenz, Rom und hauptsächlich Neapel –«

»Neapel, Vater!«

»Ja, Tochter, Neapel. Unter allen Städten des sonnigen Italiens ist dies die schönste und von der Natur am reichsten begabte. Von allen Regionen, die ich während meines Wander- und Büßerlebens besucht, ist dies das Land, wo sich des Schöpfers Hand am göttlichsten gezeigt hat.«

»Wahrlich! Das Land muß schön sein, das eines Karmelitermönchs Einbildungskraft so erwärmen kann.«

»Der Vorwurf ist gerecht. Ich sprach mehr unter dem Einfluß von Erinnerungen vergangener Tage des Müßiggangs und des Leichtsinns als mit dem demütigen Sinn, der die Hand des Schöpfers auch im einfachsten und geringsten seiner wunderbaren Werke erkennen sollte.«

»Sie machen sich ohne Ursache Vorwürfe, Vater«, bemerkte die sanfte Florinde, ihre Blicke auf das Antlitz des Mönchs richtend, »die Schönheiten der Natur bewundern, heißt den anbeten, der sie erschuf.«

In diesem Augenblick erhoben sich melodische Töne vom Wasser zu dem Balkon hinauf. Donna Violetta zog sich beschämt zurück und errötete bis an die Stirn.

»Ein Musikchor zieht vorüber«, bemerkte ruhig Donna Florinde.

»Nein, es ist ein Kavalier! Die Gondelführer sind Diener, in seiner Farbe gekleidet.«

»Dies ist ebenso kühn, wie es galant sein mag«, erwiderte der Mönch, der Musik mit sichtlichem Mißvergnügen zuhörend.

Es ließ sich nicht länger bezweifeln, es war eine Serenade. Obgleich in Venedig eine häufige Sitte, so war es doch das erste Mal, daß eine solche Huldigung unter den Fenstern der Donna Violetta erfolgte. Die gesuchte Zurückgezogenheit, in der sie lebte, ihre bekannte Bestimmung, die Eifersucht des Staates und vielleicht auch die Achtung, die ein so junges Mädchen ihres hohen Standes einflößt, hatten wohl bis jetzt den Verlangenden, den Eiteln und den Eigennützigen zurückgehalten.

»Es gilt mir«, flüsterte die verwirrte, entzückte Violetta.

»Einer von uns«, antwortete ihre vorsichtige Freundin.

»Gelte es, welcher es wolle, es ist sehr dreist«, fügte der Mönch hinzu.

»Welcher Geschmack in dieser Musik«, flüsterte sie, aus Furcht, ihrem Ohr einen Ton zu entziehen. »Es ist die Melodie von einer von Petrarcas Sonetten. Wie unbesonnen und doch wie edel!«

»Mehr edel als weise«, sagte Donna Florinde, indem sie auf den Balkon trat und mit scharfen Blicken das Wasser unten durchmusterte. »Da sind Musikanten in der Farbe eines Adeligen in einer Gondel«, fuhr sie fort, »und ein einzelner Kavalier in einer andern.«

»Hat er keinen Diener bei sich? Rudert er selbst?«

»In Wahrheit, den Anstand übersah er nicht; einer in geblümter Jacke führt das Boot.«

»Sprich denn, teuerste Florinde, ich bitte dich.«

»Würde sich das schicken?«

»Ich denke ja. Sprich nicht hart zu ihnen. Sage, daß ich dem Senate angehöre. Daß es nicht anständig sei, um eine Tochter des Staates so zu werben – sag, was du willst, nur sprich nicht hart zu ihnen.«

»Ha! Es ist Don Camillo Monforte! Ich erkenne ihn an seiner Gestalt und dem höflichen Winken seiner Hand.«

»Diese Tollkühnheit richtet ihn zugrunde! Seine Ansprüche werden zurückgewiesen – er verbannt. Ist nicht bald die Zeit, daß die Polizeigondel vorbeikommt? Rate ihm zum Fortgehen, gute Florinde – und dennoch, können wir gegen einen Signore seines Ranges so unhöflich sein?«

»Vater, raten Sie uns, Sie wissen, was er wagt, der Neapolitaner, mit seiner unbesonnenen Galanterie – hilf uns, mit deiner Weisheit, nicht ein Augenblick ist zu verlieren.«

Der Karmeliter hatte aufmerksam und nachsichtig die Bewegung beobachtet, die eine so neue Empfindung in dem warmen, unerfahrenen Herzen der schönen Venezianerin erregte. Bedauern, Kummer und Mitgefühl malten sich in seinem blassen Antlitz, als er bemerkte, wie sich das Gefühl eines so schuldlosen und warmen Herzens bemeisterte; doch war sein Blick eher der eines Mannes, der die Gefahr der Leidenschaften kannte, als daß er sie, ohne ihren Ursprung und ihre Macht zu berücksichtigen, verdammte. Als die Gouvernante die Bitte getan hatte, verließ er schweigend das Zimmer. Donna Florinde trat vom Balkon und näherte sich ihrem Zögling. Keine Erklärung, keine hörbare noch sichtbare Mitteilung erfolgte, Violetta warf sich in die Arme ihrer erfahreneren Freundin. Jetzt hörte die Musik plötzlich auf, und ein bloßes Plätschern der Ruder ließ sich hören.

»Er ist fort!« rief die Gefeierte der Serenade. »Die Gondeln schwimmen davon, und wir haben nicht einmal den gewöhnlichen Dank abgestattet für ihre Artigkeit.«

»Es bedarf dessen nicht – oder vielmehr, er würde die Gefahr, die so schon groß genug ist, nur vermehrt haben. Gedenke deiner hohen Bestimmung, mein Kind, und laß sie ziehn.«

»Und dennoch, mein ich, sollte es ein Mädchen meines Ranges an Höflichkeit nicht fehlen lassen. Vielleicht meint das Kompliment nichts als die gewöhnliche Sitte, und wir hätten sie ohne Dank nicht fortlassen sollen.«

»Bleib drinnen, Kind. Ich will auf die Bewegung der Boote aufpassen.«

Schnell war die Gouvernante auf dem Balkon. Aber wie eilig sie auch war, die Dunkelheit unten zu durchspähen, so erfolgte noch eiliger die schnelle Frage, was sie sähe.

»Beide Gondeln sind fort«, war die Antwort. »Die mit den Musikanten tritt schon in den Canale Grande, doch die des Kavaliers ist unbegreiflicherweise ganz verschwunden.«

»Nein, nein, sieh nur wieder zu, so schnell kann er uns nicht verlassen.«

»Ich habe nicht die rechte Richtung beachtet. Dort ist seine Gondel, nahe der Brücke unseres Kanals.«

»Und der Kavalier? Er wartet auf irgendein Zeichen der Höflichkeit, es ziemt nicht, ihm dies vorzuenthalten.«

»Ich sehe ihn nicht. Sein Diener sitzt auf den Landungsstufen, die Gondel selbst scheint leer. Der Mann sieht aus, als warte er, doch seinen Herrn seh ich nirgends.«

»Heilige Jungfrau! Sollte dem tapfern Herzog von Sant‘ Agata etwas zugestoßen sein?«

»Nichts als das Glück, hier zu Ihren Füßen zu liegen«, rief eine Stimme nahe der Erbin. Donna Violetta wandte ihren Blick vom Balkon und erblickte denjenigen, der ihre ganze Seele erfüllte, zu ihren Füßen.

Der Aufschrei des Mädchens und ihrer Freundin und die schnelle, eifrige Bewegung des Mönchs brachten bald die ganze Gruppe zusammen.

»Das darf nicht sein«, sagte letzterer im Tone des Vorwurfs. »Stehen Sie auf, Don Camillo, oder ich muß es bereuen, Ihren Bitten Gehör gegeben zu haben. Sie überschreiten unsere Bedingungen.«

»So sehr wie dieses Gefühl meine Hoffnung übertrifft«, erwiderte der Edelmann. »Vergebens widerstrebt man der Vorsehung, Vater! Die Vorsehung machte mich zum Retter dieses lieblichen Geschöpfes, als sie der Zufall in die Giudecca warf, und wiederum ist mir die Vorsehung so günstig, mich zum Zeugen ihres Gefühls zu machen. Sprich, schöne Violetta, du willst nicht ein Werkzeug des Eigennutzes des Senats werden – du willst nicht hören auf seine Wünsche, deine Hand einem Habsüchtigen zu geben, der mit dem heiligsten aller Schwüre seinen Spott treiben möchte, nur um deine Reichtümer zu besitzen.«

»Wem hat man mich bestimmt?« fragte Violetta.

»Was liegt daran, daß du es nicht für mich bist. Irgendein Glücksjäger, irgendein Unwürdiger, der die Gaben des Schicksals mißbraucht.«

»Du kennst die Sitten Venedigs, Camillo, und mußt wissen, daß ich ohne Hoffnung in ihren Händen bin.«

»Stehen Sie auf, Herzog von Sant‘ Agata«, sagte der Mönch befehlend, »als ich Ihnen erlaubte, diesen Platz zu betreten, geschah es nur, um den anstößigen Auftritt von den Toren zu entfernen und Sie selbst zu retten vor der übereilten Nichtachtung des Mißfallens des Staates. Vergebens ist es, Hoffnung zu nähren, die den Absichten der Republik entgegen sind. Stehen Sie denn auf und achten Sie Ihr Versprechen.«

»Das wird von der Entscheidung dieser Dame abhängen. Machen Sie mir Mut mit einem zustimmenden Blick, schönste Violetta, und nicht Venedig mit seinem Dogen und seiner Inquisition soll mich einen Zoll breit von Ihren Füßen entfernen.«

»Camillo«, antwortete das zitternde Mädchen, »du, der Retter meines Lebens, bedarfst des Kniens nicht!«

»Herzog von Sant‘ Agata – meine Tochter!«

»Achte nicht auf ihn, großmütige Violetta – seine Rede ist nicht die der Natur – er spricht wie alle seines Alters. Er ist ein Karmeliter und muß so weise scheinen. Die Übermacht der Leidenschaft ist ihm stets fremd geblieben. Die Kälte seiner Zelle erstarrte die Wärme seines Herzens. Wäre er menschlich, er hätte geliebt, hätte er geliebt, nie trüg er die Kapuze.«

Vater Anselmo trat einen Schritt zurück, als fühlte er sein Gewissen getroffen, und die Blässe seiner abgehärmten Züge wurde leichenfahl, seine Lippen bewegten sich, als wollte er sprechen, doch die Stimme erstickte wie unter schwerem Druck. Die gutmütige Florinde sah seinen Schmerz und versuchte die Vermittlerin zwischen dem ungestümen jungen Mann und ihrem Zöglinge zu sein.

»Wohl kann es sein, wie Sie sagen, Signore Monforte«, sagte sie, »daß der Senat aus väterlicher Sorgfalt einen Gatten sucht, würdig der Erbin eines so berühmten und reichen Hauses als das von Tiepolo. Was ist dabei aber so Ungewöhnliches? Suchen nicht alle Edeln Italiens eine ihrem Stande und ihren Glücksgütern angemessene Partie? Wie können wir wissen, ob die Güter meiner jungen Freundin mindern Wert haben in den Augen des Duca von Sant‘ Agata als in den Augen des, den der Senat zu ihrem Gemahl erwählt?«

»Könnte dies sein!« rief Violetta aus.

»Glaub es nicht; meine Reise nach Venedig ist kein Geheimnis. Ich suche die Zurückgabe von Ländereien und Häusern, die man meiner Familie lange vorenthalten hat, in Verbindung mit Senatswürden, die mir von Rechts wegen zukommen. Freudig geb ich alles auf für deine Liebe.«

»Hörst du es, Florinde? Nein, Don Camillo darf man nicht mißtrauen.«

»Was ist doch der Senat und alle Macht des St. Markus, daß sie unser Leben elend machen sollten? Sei mein, geliebte Violetta! Und in meinem festen Schlosse in Kalabrien wollen wir ihrer Rache und ihrer Politik trotzen. Ihre getäuschte Hoffnung soll Stoff zum Scherz für meine Vasallen liefern, und unser Glück soll das Glück von Tausenden machen. Ich heuchle weder Nichtachtung der Ratswürde noch Gleichgültigkeit für das, was ich verliere, doch für mich hast du bei weitem mehr Wert als die gehörnte Mütze selbst mit all ihrem eingebildeten Ruhm und Einfluß.«

»Großmütiger Camillo!«

»Sei mein und erspare den kalten Rechenmeistern im Senat ein neues Verbrechen. Sie gedenken über dich zu verfügen nach ihrem Vorteil, als seist du eine wertlose Ware. Doch du wirst ihre Absicht vereiteln. Ich lese deinen hochherzigen Entschluß in deinen Augen, Violetta, dein Wille wird triumphieren über ihre List und ihren Egoismus.«

»Verhandelt möcht ich nicht werden, Don Camillo, wohl aber erworben und gewonnen, wie sich’s ziemt für ein Mädchen meines Standes. Vielleicht lassen sie mir auch freie Wahl. Signore Gradenigo schmeichelte mir neulich mit dieser Hoffnung, als er von einer meinen Jahren angemessenen Verbindung sprach.«

»Glaub ihm nicht, ein kälteres Herz, einen lieblosern Sinn findet man nicht in Venedig. Er sucht deine Gunst für seinen verschwenderischen Sohn, einen Kavalier ohne Ehre, der Gefährte nichtswürdiger Menschen. Glaub ihm nicht, er ist geübt in der Verstellung.«

»Wenn das so ist, dann haben ihm seine Künste wenig geholfen, unter den jungen Männern in Venedig schätze ich keinen weniger als Giacomo Gradenigo.«

»Die Zusammenkunft muß endlich zu Ende gehen«, sagte der Mönch, kräftig dazwischentretend und den Herzog zum Aufstehen zwingend. »Leichter ist es, den Netzen der Sünde zu entgehen als den Agenten der Polizei. Ich zittere, daß dieser Besuch bekannt wird; wir sind umgeben von den Gehilfen des Staates, und kein Palast Venedigs wird so streng bewacht als dieser. Würdest du hier entdeckt, unbesonnener junger Mann, so müßte deine Jugend im Gefängnis verschmachten, und du würdest diesem unschuldigen und unerfahrenen Mädchen Verfolgungen und unverdiente Leiden zuziehen.«

»Im Gefängnis, sagtest du, Vater?«

»Nichts Geringeres, meine Tochter. Leichtere Vergehungen belegte oft schon der Senat mit schwerer Strafe, wenn seine Absichten dadurch vereitelt wurden.«

»Zum Gefängnis darfst du nicht verurteilt werden, Camillo.«

»Fürchte nichts. Das Alter und der friedliche Stand des guten Vaters machen ihn furchtsam. Lange schon bin ich vorbereitet auf diesen glücklichen Augenblick. Nur einer Stunde bedarf ich, Venedig und all seinen Schlingen Trotz zu bieten. Gib mir die Versicherung deiner Treue, und vertraue im übrigen mir.«

»Hörst du, Florinde!«

»Dem Geschlechte Don Camillos ziemt ein solch Benehmen, Teure, doch dir steht es schlecht an. Eine Jungfrau von Stande muß der Entscheidung ihres natürlichen Vormunds harren.«

»Auch wenn die Wahl auf Giacomo Gradenigo fällt?«

»Darauf wird der Senat nicht achten. Die Kunstgriffe des Vaters kennst du lange, und du mußt aus der Geheimhaltung seiner Werbung ersehen, daß er dessen Entscheidung nicht traut. Der Staat wird Sorge tragen, dich deinen Hoffnungen gemäß zu vermählen. Viele werben um dich, und die Wächter deines Vermögens warten nur Vorschläge ab, die deiner Geburt entsprechen.«

»Soll ich Don Camillo als unter meinem Stande betrachten?«

Hier trat der Mönch aufs neue dazwischen.

»Diese Zusammenkunft muß enden«, sagte er. »Die durch Ihre unbesonnene Musik auf uns gelenkten Blicke sind nur auf andere Gegenstände gerichtet, Signore, und Sie müssen Ihr Wort brechen oder gehen.«

»Allein, Vater?«

»Soll etwa Donna Violetta ihr Vaterhaus verlassen wie eine in Ungnade gefallene Dienerin?«

»Gewiß, Signore Monforte, Sie können vernünftigerweise von dieser Unterhaltung nicht mehr erwartet haben als die Hoffnung einer künftigen Bestimmung über Ihre Werbung – ein Versprechen –«

»Und dies Versprechen?«

Violetta wandte den Blick von ihrer Gouvernante auf ihren Geliebten, von diesem auf den Mönch und dann zur Erde.

»Ist dein, Camillo.«

Ein Ausruf entfuhr dem Mönch und gleichzeitig der Gouvernante.

»Verzeih mir, meine Freundin«, fuhr die errötende, aber entschiedene Violetta fort. »Wenn ich Don Camillo auf eine Weise Hoffnung gemacht habe, die deinem Rate und der Sittsamkeit zuwider ist, so überlege nur, daß es, wenn er gezögert hätte, sich in die Guidecca zu werfen, jetzt außer meiner Macht gewesen wäre, ihm diese geringe Gunst zu gewähren. Warum soll ich weniger großmütig sein als mein Erretter? Nein, Camillo, verurteilt mich der Senat, mich einem andern zu vermählen als dir, so sei dies mein Urteil zum Ledigbleiben, ich verberge meinen Gram in einem Kloster, bis ich sterbe!«

Feierlich und schrecklich unterbrach dies so schnell zur Erklärung gediehene Gespräch der Ton der Glocke, die zu läuten der Kammerdiener, ein treuer Diener, bevor er ins Zimmer trete, Befehl erhalten hatte. Da dieser Befehl mit dem begleitet war, nur dann zu erscheinen, wenn er aufgefordert oder durch einen dringenden Grund dazu vermocht würde, so verursachte der Ton, selbst in diesem begeisternden Augenblicke, eine plötzliche Pause.

»Was ist das!« rief der Karmeliter dem rasch eintretenden Diener entgegen. »Was bedeutet diese Nichtbefolgung meines Befehls?«

»Es sind Staatsbeamte unten, die Einlaß begehren im Namen der Republik.«

»Das wird ernsthaft«, sagte Don Camillo, der allein seine Geistesgegenwart nicht verlor. »Mein Besuch ist bekannt geworden, und die tätige Eifersucht des Staates ahnt dessen Zweck. Rufen Sie Ihre Entschlossenheit herbei, Donna Violetta, und Sie, mein Vater, seien Sie guten Muts! Ich will die Verantwortlichkeit des Verbrechens, wenn es ein solches ist, auf mich nehmen und alle andern von der schweren Bürde des Vorwurfs befreien.«

»Gib es nicht zu, Vater Anselmo. Teure Florinde, wir wollen seine Strafe mit ihm teilen!« rief die erschreckte, außer aller Fassung gebrachte Violetta aus. »Ich habe ja auch teil an seiner Unbesonnenheit, er tat ja nichts ohne Aufmunterung von meiner Seite.«

Der Mönch und Donna Florinde blickten sich in stummer Bestürzung an. Der Mönch gebot Schweigen durch einen Wink, indem er sich zum Diener wandte.

»Was für Abgesandte des Staates sind es?« fragte er.

»Vater, es sind dessen wohlbekannte Beamte und tragen die Zeichen ihrer Würde.«

»Und ihr Begehr?«

»Sie verlangen Donna Violetta zu sprechen.«

»Noch ist Hoffnung!« rief der Mönch aus, freier atmend. Durchs Zimmer schreitend, öffnete er eine Tür, die zur Hauskapelle führte. »Ziehen Sie sich zurück in die heilige Kapelle, Don Camillo, bis wir Aufklärung erhalten über diesen ungewöhnlichen Besuch.«

Die Zeit war dringend, der Aufforderung ward sogleich Genüge getan. Der Herzog ging in die Kapelle, und sobald die Tür hinter ihm geschlossen war, ward dem treuen, des Vertrauens würdigen Diener anbefohlen, die Wartenden einzuführen. Nur eine Person erschien. Auf den ersten Blick erkannte man in ihm einen öffentlichen und verantwortlichen Beamten der Regierung, der oft geheime und schwierige Pflichten auszuführen hatte. Donna Violetta ging ihm, aus Achtung vor denen, die ihn gesandt hatten, entgegen, und zwar mit Fassung.

»Ich fühle mich geehrt durch die Sorgfalt meiner erhabenen Vormünder«, sagte sie, sich verneigend für den tiefen Bückling, mit dem der Abgesandte die reichste Erbin von Venedig begrüßte. »Welchem Umstande verdanke ich diesen Besuch?«

Der Beamte blickte mit gewohnter argwöhnischer Vorsicht umher, wiederholte seine Begrüßung und antwortete: »Fräulein, ich habe den Befehl erhalten, der Tochter des Staates, der Erbin des erlauchten Hauses Tiepolo sowie der Donna Florinde Merkata, ihrer Gesellschafterin, dem Vater Anselmo, ihrem Beichtvater, und allen denen, die des Vergnügens ihrer Gesellschaft und der Ehre ihres Vertrauens genießen, meine Aufwartung zu machen.«

»Die Sie suchen, befinden sich hier gegenwärtig; ich bin Violetta Tiepolo, dieser Dame bin ich für Muttersorgfalt verpflichtet, und dieser ehrwürdige Karmeliter ist mein geistlicher Ratgeber. Soll ich meinen Haushalt herbescheiden?« »Das ist unnötig. Meine Sendung ist mehr vertraulicher als öffentlicher Art. Nach dem Tode Ihres verehrten und allgemein betrauerten Vaters, des erlauchten Senators Tiepolo, übertrug die Republik, Ihre natürliche und sorgsame Beschützerin, die Sorge für Ihre Person der besonderen Vormundschaft und Weisheit des Signore Alessandro Gradenigo, ausgezeichnet durch hohe Geburt und schätzbare Eigenschaften.«

»Es ist, wie Sie sagen, Signore.«

»Wenn die väterliche Liebe des Senats auch zu schlummern schien, so ist sie nichtsdestoweniger stets wachsam gewesen. Jetzt, da Jahre, Unterricht, Schönheit und andere Vortrefflichkeiten seiner Tochter zu so seltener Vollkommenheit gereift sind, wünscht er, die Bande, die sie verbinden, fester zu knüpfen und die Sorgfalt für Ihre Person unmittelbar selbst zu übernehmen.«

»Soll dieses mir andeuten, daß ich fernerhin nicht mehr Signore Gradenigos Mündel bin?«

»Fräulein, Ihr Scharfsinn hat schnell die Auflösung gefunden. Dem erlauchten Senator wurden seine teuern, wohlerfüllten Pflichten abgenommen. Morgen übernehmen andere Vormünder die Sorge für Ihre schätzbare Person und werden in dieser ehrenvollen Pflicht verharren, bis die Weisheit des Senats eine solche Verbindung für Sie erwählt haben wird, die Ihres hohen Namens und der Eigenschaften würdig sein wird, die einen Thron zu zieren verdienten.«

»Soll ich getrennt werden von denen, die ich liebe?« fragte Violetta ungestüm.

»Verlassen Sie sich auf die Weisheit des Senats. Ich kenne nicht seinen Willen hinsichts derer, die so lange mit Ihnen gelebt haben, doch kann kein Grund vorhanden sein, seine Klugheit und sein Zartgefühl zu bezweifeln. Ich habe nur hinzuzufügen, daß es, bis die von nun an mit dem ehrenvollen Amte Ihrer Beschützer beauftragten Personen ankommen, wohlgetan sein wird, dieselbe, wie bisher gewohnte, sittsame Zurückgezogenheit bei Empfang von Besuchenden zu beobachten und Ihre Tür, Fräulein, vor Signore Gradenigo, wie vor allen andern seines Geschlechts, verschlossen zu halten.«

»Nicht einmal danken soll ich ihm für seine Sorgfalt?«

»Er fühlt sich durch die Dankbarkeit des Senats zehnfach belohnt.«

»Es wäre freundlich gewesen, meine Gefühle für Signore Gradenigo in Worten auszusprechen, doch was man der Zunge versagt, wird wohl der Feder erlaubt sein.«

»Die Zurückhaltung, die den Verhältnissen einer so Begünstigten zukommt, ist ohne Einschränkung. San Marco ist eifersüchtig, wenn er liebt. Und nun, da mein Auftrag beendet ist, beurlaube ich mich ergebenst, mich sehr geschmeichelt fühlend, daß man mich solcher ehrenvollen Pflicht würdig genug achtete.«

Als der Abgesandte zu sprechen aufhörte und Violetta seinen Abschied erwidert hatte, wandte sie ihre ängstlichen Blicke auf die bekümmerten Züge ihrer Gefährtin. Die zweideutigen Worte solcher Botschafter waren zu wohlbekannt, um viele Hoffnung für die Zukunft zu lassen. Alle sahen ihrer morgigen Trennung entgegen, obgleich keiner den Grund dieses plötzlichen Wechsels in der Politik des Staates durchschauen konnte. Fragen war hier vergebens, denn der Schlag kam sichtlich vom geheimen Rat, dessen Motive ebensowenig zu ergründen als seine Beschlüsse vorherzusehen waren. Der Mönch erhob seine Hand zum schweigenden Segen gegen seine geistliche Pflegebefohlene, und unfähig, selbst in Gegenwart des Fremden ihren Schmerz zurückzuhalten, sanken Donna Florinde und Violetta weinend einander in die Arme.

Währenddessen zögerte der Abgeordnete mit seinem Fortgehen gleich einem, der mit einem Entschlusse noch nicht ganz einig ist. Aufmerksam betrachtete er den unbefangenen Karmeliter, und zwar auf eine Weise, die die Gewohnheit anzeigte, lange vorher zu denken, ehe er entschied.

»Ehrwürdiger Vater«, sagte er, »darf ich wohl um einen Augenblick Eurer Zeit bitten, in betreff des Seelenheils eines armen Sünders?« Obgleich erstaunt, konnte doch der Mönch solchen Aufruf nicht unbeachtet lassen. Einer Bewegung des Beamten Folge leistend, ging er mit ihm aus dem Zimmer und blieb, während dieser die prächtigen Zimmer durchschritt und zur Gondel hinabstieg, an seiner Seite. »Der Senat muß Sie sehr ehren, heiliger Mönch«, bemerkte letzterer während ihres Ganges, »da er Ihnen eine so vertrauliche Stellung zu einer Dame einräumt, für deren Schicksal der Staat sich so sehr interessiert?«

»Ich nehm es dafür an, mein Sohn. Ein Leben voll Frieden und Gebet sollte mir wohl Freunde erworben haben.«

»Männer wie Sie, mein Vater, verdienen das begehrte Vertrauen. Sie sind schon lange in Venedig?«

»Seit dem letzten Konklave. Ich kam als Beichtvater des verstorbenen Ministers von Florenz nach der Republik.«

»Ein ehrenvoller Posten. So sind Sie denn lange genug bei uns gewesen, um zu wissen, daß die Republik nie ihre Diener vergißt und nie eine Beleidigung vergibt.«

»Es ist ein alter Staat, dessen Einfluß noch immer weit und nahe reicht.«

»Nehmen Sie sich in acht auf diesen Stufen. Ein unsicherer Fuß gleitet auf diesem Marmor.«

»Der meinige ist zu geübt im Hinabsteigen, um unsicher zu sein. Ich hoffe, ich steige diese Treppe nicht zum letztenmal hinab.«

Der Beamte tat, als verstände er die Frage nicht, und beantwortete nur die vorhergehende Bemerkung.

»Es ist in Wahrheit ein ehrwürdiger Staat«, sagte er, »nur ein wenig schwankend vor Alter. Alle Freunde der Freiheit müssen trauern über die Abnahme einer so glorreichen Herrschaft. Sic transit gloria mundi! Ihr barfüßigen Karmeliter tut wohl daran, euer Fleisch zu kreuzigen in der Jugend, dadurch entgeht ihr dem Schmerz abnehmender Kräfte. Jemand wie Ihr kann nur wenige Jugendsünden abzubüßen haben.«

»Niemand von uns ist ohne Sünde«, erwiderte der Mönch, sich bekreuzigend. »Wer sich damit schmeicheln wollte, daß seine Seele vollkommen sei, würde nur noch das schwere Gewicht der Eitelkeit zu seinem Leben hinzufügen.« »Männer meines Standes, heiliger Karmeliter, haben wenig Gelegenheit, in Ihr Inneres zu blicken, und ich segne die Stunde, die mich in Gesellschaft eines Gottesmannes wie Sie brachte. Meine Gondel wartet – wollen Sie einsteigen?« Mißtrauisch blickte der Mönch seinen Gefährten an, doch wohl wissend, daß Widerstand vergeblich wäre, murmelte er ein kurzes Gebet und stieg ein. Ein starker Ruderschlag verkündete ihre Abfahrt von den Stufen des Palastes.