Fünftes Kapitel.

Am neunten Tage nach dem Aufbruch Jagienkas erreichte Zbyszko die Grenze von Spychow. Er hatte jede Hoffnung aufgegeben, Danusia lebend zu ihrem Vater zu bringen, so sterbenskrank war sein junges Weib. Von der Stunde an, da die Beklagenswerte völlig unzusammenhängend Antworten erteilt hatte, war er sich klar darüber geworden, daß nicht nur ihr Geist gestört, sondern daß auch ihr Körper von einer Krankheit befallen sei, gegen welche das durch die Gefangenschaft, durch die erduldeten Mißhandlungen und durch die erlittenen Aufregungen erschöpfte Kind nicht anzukämpfen vermochte. Möglicherweise hatte auch der Schrecken über den lärmenden Kampf Zbyszkos und Mackos gegen die Deutschen den Ausbruch der Krankheit herbeigeführt. Thatsache war es, daß von dieser Zeit das Fieber fast bis zu Ende der Fahrt nicht mehr wich. Gewissermaßen gereichte der bewußtlose Zustand Danusias dem jungen Ritter zum Vorteil, denn Zbyszko konnte dadurch sein Weib, gleich einer Toten, also ohne Erkenntnis der Gefahren, die er nur mittelst übermenschlicher Anstrengung überwand, durch die größten Wüsteneien bringen. Kaum aber hatten sie die Wälder hinter sich, kaum waren sie in eine gottgesegnetere Gegend gelangt, so ging es mit den Gefahren und den Entbehrungen zu Ende. Die dort ansässigen Bauern und Edelleute leisteten bereitwillig Hilfe, ja, die Leute überboten sich an Liebesdiensten, als sie vernahmen, der junge Kämpe habe ein Kind ihres Stammes aus den Händen der Kreuzritter befreit, die Tochter des berühmten Jurand, von dessen Thaten in den Burgen, auf den Höfen und in den Hütten gesungen wurde. Von allen Seiten bekam Zbyszko Nahrungsmittel und Pferde angeboten, alle Thüren standen ihm offen. Danusias Tragbahre mußte nicht mehr zwischen zwei Pferden befestigt werden, denn kräftige junge Burschen trugen sie von Dorf zu Dorf mit einer Sorgfalt und einer Vorsicht, als ob sie irgend eine Heilige trügen. Die Frauen erwiesen ihr die zärtlichste Fürsorge, die Männer aber lauschten zähneknirschend der Schilderung von all den Leiden, die Danusia erduldet hatte. Mehr als einer wappnete sich sofort mit dem eisernen Panzer und griff zu seinem Schwerte, zu seiner Streitaxt oder zu seinem Speere, um mit Zbyszko auszuziehen, um mit »Zins und Zinseszins« die verübten Missethaten heimzuzahlen, denn diese urwüchsigen, rauhen Menschen wollten es sich nicht damit genügen lassen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sie wollten blutige Rache nehmen.

Zbyszko lag jedoch in dieser Zeit jeder Rachegedanke fern, ihm war es nur um Danusia zu thun. Zeigte sich ein Schein von Besserung bei der Kranken, dann atmete er hoffnungsfreudig auf, verschlimmerte sich ihr Zustand, bemächtigte sich seiner dumpfe Verzweiflung. Gegen das Ende der Fahrt vermochte er sich jedoch nichtlänger zu täuschen, an eine Genesung seines jungen Weibes war nicht mehr zu denken. Gleich zu Anfang, als er sich auf den Weg gemacht hatte, überkam ihn zeitweise die abergläubische Furcht, der Tod folge ihnen in den Wüsteneien, die sie durchzogen, Schritt auf Schritt, auf den geeigneten Augenblick lauernd, in dem er sich auf Danusia werfen und ihr das Herzblut aussaugen könne. Dieses Gesicht, oder vielmehr diese Empfindung bedrängte ihn besonders in dunkler Nacht so heftig, daß ihn häufig der heiße Wunsch ergriff, sich gegen das drohende Gespenst zu wenden, es zum Kampfe zu fordern, wie man einen Ritter zum Kampfe fordert, und bis zum letzten Atemzuge den Streit auszufechten. Je mehr der junge Ritter sich aber seinem Ziele näherte, desto schlimmer wurde es, denn nicht mehr hinter ihm schlich der Tod einher, er hielt sich neben der Schar, inmitten der Schar. Wohl war er nicht sichtbar, allein sein eisiger Atem durchkältete alles rings umher, und Zbyszko sah ein, daß er gegen einen solchen Feind nichts ausrichten konnte, daß er trotz Tapferkeit und Stärke, trotz der besten Waffen ihm das Liebste auf Erden ohne Widerstand überlassen müsse.

Diese Ueberzeugung beugte ihn aber um so tiefer darnieder, weil sie in ihm einen Schmerz erweckte, so unbändig wie ein Wirbelwind, so tief wie die See. Wie sollte Zbyszko auch nicht von Wehmut, von Jammer ergriffen werden, wenn er, auf die Heißgeliebte schauend, unwillkürlich in vorwurfsvollem Tone also sprach: »Habe ich Dich deshalb so heiß geliebt, habe ich Dich deshalb gesucht und um Dich gekämpft, um Dich jetzt schon in die Erde betten zu müssen, um Dich jetzt schon auf ewig zu verlieren?« Und wenn er dann die fieberglühenden Wangen der Kranken, ihre unstät blickenden Augen bemerkte, fragte er abermals: »Willst Du mich verlassen? Fühlst Du kein Mitleid mit mir, ziehst Du es denn vor, fern von mir, statt bei mir zu sein?« Zuweilen dünkte es ihn, seine Gedanken verwirrten sich, zuweilen drohte ein Schluchzen seine Brust zu zersprengen, das er indessen gewaltsam unterdrückte aus Empörung und Grimm über diese rücksichtslose, unbarmherzige Macht, welche ein unschuldiges Kind mit ihrer kalten Hand erfaßte. Wäre jetzt der schlimme Kreuzritter in seiner Nähe gewesen, er hätte ihn, einem wilden Tiere gleich, in Stücke gerissen.

An dem Jagdhofe angelangt, gedachte Zbyszko Rast zu machen, allein er fand ihn vollständig verödet. Von den Wächtern erfuhr er indessen, das Fürstenpaar habe den Jagdhof gleich mit Ende des Frühlings verlassen und habe sich nach Plock zu Ziemowit, dem Bruder des Fürsten begeben. Der junge Kämpe verzichtete daher sofort auf seinen Plan, nach Warschau zu ziehen, wo er den fürstlichen Arzt zu treffen geglaubt, von dem er Heilung für sein krankes Weib erhofft hatte. So schwer es ihn auch ankam, ihm blieb nichts anderes übrig, als sich nach Spychow zu wenden, als Jurand den Leichnam seines Kindes zu überbringen. »Alles ist zu Ende,« sagte sich Zbyszko immer und immer wieder.

Da plötzlich, etliche Wegstunden vor Spychow, leuchtete ihm ein neuer Hoffnungsstrahl. Die fieberhafte Röte wich von Danusias Wangen, ihre Augen verloren den unstäten Blick, ihr Atem ging ruhiger. Zbyszko bemerkte dies sofort, und um ihr jedmögliche Erleichterung zu verschaffen, ließ er nochmals Rast machen. Sie hatten vielleicht noch eine Meile bis Spychow zurückzulegen, jetzt befanden sie sich aber, fern von jeder menschlichen Behausung, auf einem breiten, inmitten eines Feldes und einer Wiese gelegenen Pfade. Doch ein in der Nähe stehender wilder Birnbaum bot genügenden Schutz gegen die Sonne. Unter dessen Zweigen wurde daher Halt gemacht. Die Knechte stiegen von den Pferden und sattelten die Tiere ab, damit diese leichter Gras fressen konnten. Die beiden Frauen, denen die Wartung Danusias oblag, und die jungen Burschen, welche die Kranke trugen, legten sich, von dem Wege und der Hitze ermüdet, in den Schatten, und waren bald fest eingeschlafen. Nur Zbyszko wachte, auf der Wurzel des Birnbaumes sitzend, an der Tragbahre, ohne auch nur eine Sekunde seinen Blick von seinem Weibe zu wenden.

Es war um die Mittagszeit. Tiefe Stille herrschte ringsumher. Mit geschlossenen Augen, regungslos lag Danusia da. Doch Zbyszko schien es, als ob sie nicht schlafe. Und in der That, als auf der andern Seite der großen Wiese ein Bauer, der das Gras mähte, stehen blieb und mit dem Wetzstein seine Sense schärfte, da öffnete Danusia, leicht erbebend, die Augen, schloß sie jedoch sofort wieder. Dann aber hob sich ihre Brust wie durch einen tiefen Atemzug und sie flüsterte kaum hörbar: »Die duftenden Blumen …«

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Bleibe bei mir! Bleibe bei mir, Danusia!.

Dies waren die ersten klaren, nicht im Fieber gesprochenen Worte, welche seit Beginn der Fahrt über ihre Lippen kamen, denn von der von der Sonne bestrahlten Wiese führte ein leichter Windhauch den durchdringenden Duft von Heu, Honig und von wohlriechenden Kräutern herzu. Was Wunder also, daß Zbyszko bei dem Gedanken, die Kranke erlange das Bewußtsein wieder, sich vor Wonne nicht zu fassen wußte. In der ersten Freude wollte er sich ihr zu Füßen werfen, allein aus Furcht, sie könne erschrecken, bezwang er sich, kniete an der Tragbahre nieder, und sich über sein junges Weib beugend, rief er leise: »Danusia! Danusia!«

Da öffnete diese aufs neue die Augen, schaute ihn groß an, und während ein seliges Lächeln ihr Antlitz verklärte, nannte sie wie damals in der Hütte, aber mit weit mehr Bewußtsein seinen Namen: »Zbyszko!«

Hierauf versuchte sie, ihm ihre Hände entgegenzustrecken, allein dies ging über ihre Kraft; er aber schlang seine Arme um sie mit einem so glückerfüllten Herzen, als ob er ihr für die größte Gunst zu danken habe.

»Du bist aus dem tiefen Schlafe erwacht,« sagte er. »O, dem Herrn sei Lob und Preis dafür – Gott sei –«

Er vermochte nicht weiter zu reden, und geraume Zeit hindurch herrschte tiefes Schweigen, war doch ein jedes in den Anblick des andern versunken. Die Stille wurde nur unterbrochen durch den würzigen Lufthauch, der von der Wiese her durch die Blätter des Birnbaumes fuhr und sie zum Rauschen brachte, sowie durch das Zirpen der Grillen und durch den aus weiter Ferne herüberklingenden Gesang des Mähers.

Danusia blickte immer klarer darein und hörte nicht auf zu lächeln, gleich einem Kinde, dem im Traume ein Engel erscheint. Doch allgemach schaute sie verwundert umher.

»Wo bin ich?« fragte sie schließlich.

Ein wahrer Wortschwall entströmte nun Zbyszkos Lippen, der, vor Entzücken sich kaum mehr kennend, in kurzen, abgerissenen Sätzen entgegnete: »Bei mir bist Du! Du bist in der Nähe von Spychow! Zu Deinem Vater begeben wir uns! Deine Leiden sind zu Ende! O meine Danusia, meine Danusia! Ich habe Dich gefunden, ich habe Dich befreit! Du bist nicht mehr in der Macht der Deutschen! Aengstige Dich nicht länger! Bald werden wir in Spychow sein. Du bist krank gewesen, doch der Herr Jesus hat sich barmherzig gezeigt! Welche Schmerzen haben wir erduldet, wie viele Thränen sind geflossen! Danusia! – Ja, nun ist alles gut! Eitel Glück liegt vor Dir! Hei, wie habe ich Dich gesucht, wie bin ich umhergewandert! … Oh, allbarmherziger Gott! … Oh! …«

Er seufzte laut, dann aber atmete er tief auf, als ob nun jede Last von seiner Brust gewälzt sei.

Danusia lag zwar noch immer unbeweglich da, allein sie schien sich über etwas zu besinnen, etwas zu überlegen. Endlich fragte sie mit schwacher Stimme: »So hast Du mich nicht vergessen?«

Und zwei große Thränen rannen langsam über ihre Wangen auf die Kissen nieder.

»Ich Dich vergessen!« schrie Zbyszko auf.

In diesem Aufschrei aber lag mehr als in den heißesten Schwüren, als in den leidenschaftlichsten Beteuerungen. Ach, er hatte sie ja zu allen Zeiten mit ganzer Seele geliebt, jetzt indessen, da er sie wiedergefunden hatte, war sie ihm teurer geworden als alles auf der Welt.

Und wieder trat tiefes Schweigen ein, und wieder herrschte ringsum Stille. Selbst der Gesang des Mähers war verstummt, doch plötzlich wetzte dieser zum zweiten Male seine Sense.

Nach wenigen Minuten bewegte Danusia aufs neue die Lippen, allein sie flüsterte so leise, daß Zbyszko sie nicht verstehen konnte. Tief beugte er sich daher zu ihr herab und fragte: »Was sagst Du, meine Taube?«

Und sie antwortete: »O, die duftenden Blumen!«

»Wir sind an einer Wiese,« erklärte Zbyszko, »doch bald werden wir uns zu Deinem Vater aufmachen, der ebenfalls aus der Gefangenschaft befreit ist. Nun bleibst Du mein bis zum Tode! Hörst Du mich, verstehst Du mich?«

Mit einem Male erfaßte ihn eine entsetzliche Angst, denn er bemerkte, wie eine fahle Blässe ihr Antlitz überzog und dicke Schweißtropfen auf ihre Stirn traten.

»Was ist Dir, sprich?« fragte er in höchstem Schrecken, während ein kalter Schauer seine Glieder überlief und es ihn dünkte, das Haar sträube sich auf seinem Haupte.

»Was ist Dir? Sage es mir!« wiederholte er gleich darauf in noch eindringlicherem Tone.

»Dunkel! Dunkel!« flüsterte sie.

»Dunkel? Die Sonne scheint ja so helle! Siehst Du es denn nicht?« fragte er mit zitternder Stimme. »Erst vor wenigen Minuten hast Du ja wie einstmals mit mir gesprochen. Ich beschwöre Dich im Namen Gottes, sage mir nur noch ein Wort.«

Nun bewegte Danusia wohl die Lippen, allein sie vermochte selbst nicht mehr zu flüstern. Zbyszko erriet nur, daß sie seinen Namen nennen, daß sie nach ihm rufen wollte. Kurz darauf begannen ihre abgezehrten Hände zu zittern und an der Decke zu zerren, die über sie ausgebreitet lag. Doch währte dies nur einige Sekunden. Jetzt konnte kein Zweifel mehr herrschen – die Schatten des Todes senkten sich über sie.

In seiner Angst, in seiner Verzweiflung flehte Zbyszko sie an, noch bei ihm auszuharren – er machte es sich ja nicht klar, daß seine Bitten fruchtlos waren.

»Danusia! O allbarmherziger Jesus!« rief er. »Geh‘ nicht von mir, harre aus, bis wir Spychow erreicht haben! Bleibe bei mir! Bleibe bei mir, Danusia! O Jesus! O Jesus! O Jesus!«

Durch Zbyszkos lautes Klagen wurden die Frauen, die jungen Burschen geweckt, und die Knechte, welche auf der Wiese mit den Pferden beschäftigt waren, eilten herbei. Gleich beim ersten Blick erkannten alle, wie es um ihre Herrin stand; unverweilt knieten sie daher nieder und sprachen die Litanei.

Kein Windhauch war mehr zu spüren, kein Rauschen fuhr mehr durch die Zweige des Birnbaumes, nur das laute Beten der Knienden unterbrach die lautlose Stille rings umher.

Kurz bevor die Litanei zu Ende war, öffnete Danusia noch einmal die Augen, gerade als ob sie einen letzten Blick auf Zbyszko, auf die von der Sonne bestrahlte Erde werfen wolle – dann sank sie in den ewigen Schlaf.

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Nachdem die Frauen ihr die Augen geschlossen hatten, begaben sie sich, um Blumen zu pflücken, auf die Wiese, wohin ihnen die Knechte folgten. Flurgeistern gleich bewegten sie sich, von der Sonne hell beschienen, in dem hohen Grase hin und her, sich zeitweise niederbeugend und weinend aus Mitleid und Kummer. Zbyszko kniete im Schatten an der Tragbahre, das Gesicht an Danusias Knie gelehnt. Regungslos verharrte er so, kein Wort kam über seine Lippen. Es schien alles in ihm erstorben zu sein. Er achtete weder auf die Frauen noch auf die Knechte, die sich bald ihm näherten, bald sich von ihm entfernten, emsig bemüht, goldene Butterblumen oder Glockenblumen zu pflücken, sowie die in großer Menge vorhandenen Pechnelken und allerlei weiße, nach Honig duftende Blüten. An feuchten tiefer gelegenen Stellen fanden die Suchenden auch Feldlilien und Ginster auf dem in der Nähe eines Brachfeldes liegenden grünen Raine. Sobald ein jedes einen ganzen Arm voll gepflückt hatte, umzogen sie klagend die Tragbahre, indem sie Blumen und Blüten auf die Tote streuten. Nur das Antlitz ließen sie frei, ihr Antlitz, das zwischen den weißen Lilien und Glockenblumen so friedlich aussah, daß die Entschlummerte, die nun den ewigen Schlaf schlief, einem holden, reinen Engel glich.

Nur noch eine Meile waren sie von Spychow entfernt. Als daher nach einiger Zeit der erste Schmerz versiegt war, die Thränen trockneten, nahmen die jungen Burschen die Tragbahre wieder auf, und die ganze Schar bewegte sich dem Fichtenwalde zu, der schon zu dem Gebiete von Spychow gehörte.

Die Knechte führten die Pferde hinter dem Zuge her, während Zbyszko die Bahre tragen half und die Frauen, Blumen in den Händen und fromme Lieder singend, voranschritten – ein Trauerzug, der langsam, langsam zwischen der grünen Wiese und dem gleichmäßig grauen Brachfelde dahinschritt.

An dem blauen Himmel zeigte sich kein Wölkchen, die ganze Welt schien in goldenen Sonnenschein getaucht zu sein.

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Erstes Kapitel.

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Endlich erreichten sie mit dem Leichname Danusias die Waldungen von Spychow, an deren Grenzen die bewaffneten Knechte Jurands bei Tag und Nacht Wache hielten. Einer von ihnen machte sich sofort auf, um den alten Tolima und Pater Kaleb zu benachrichtigen, die andern führten den Zug auf einem sich anfangs in schmalen Windungen hinschlängelnden, aber allmählich breiter werdenden, lehmigen Wege bis zu der Stelle, wo der Forst ein Ende nahm. Hier begann ein weites Gefilde mit morastigem Erdreich, wo Scharen von Sumpfvögeln umherschwärmten, und das zu der auf einer steinigen Anhöhe liegenden Burg Jurands führte. Die Heranziehenden erkannten alsbald, daß die Trauerkunde schon nach Spychow gelangt war, denn kaum waren sie aus dem Dunkel des Waldes ins Freie getreten, als das Glockengeläute der Schloßkapelle zu ihren Ohren drang. Binnen kurzem erblickten sie auch in der Ferne viele Menschen, Männer und Frauen, die ihnen entgegen kamen. Als diese Schar sich bis auf zwei oder drei Bogenschüsse genähert hatte, konnte man schon die einzelnen Personen unterscheiden. An der Spitze schritt Jurand selbst, von Tolima gestützt und mit einem Stabe nach dem Wege suchend. An seiner ungewöhnlich hohen Gestalt, den leeren roten Augenhöhlen und den weißen, bis zu den Schultern herabfallenden Haaren war er leicht zu erkennen. Neben ihm ging im weißen Chorhemde und mit einem Kreuze in der Hand der Pater Kaleb. Diesen wurde eine Standarte mit Jurands Abzeichen nachgetragen, welche von den bewaffneten Mannen aus Spychow umringt war, und dann folgten verheiratete Frauen, an ihren Kopftüchern kenntlich, sowie Jungfrauen mit herabwallenden Haaren. Hinter der Schar kam ein Wagen, auf den die sterbliche Hülle Danusias niedergelegt werden sollte.

Als Zbyszko den Vater Danusias erblickte, befahl er, die Bahre, welche er bis zu diesem Augenblick am Kopfende getragen hatte, niederzusetzen, und sich Jurand nähernd schrie er auf in dem furchtbaren Tone, welcher der Ausdruck unendlicher Pein, unendlicher Verzweiflung ist.

»Ich suchte sie so lange, bis ich sie fand, und befreite sie, aber sie wollte lieber zu Gott als nach Spychow!«

Hier ward er völlig von Schmerz überwältigt, er sank an Jurands Brust, umschlang ihn mit den Armen und stöhnte laut: »O Jesus! Jesus! Jesus! …«

Bei diesem Anblick gerieten die bewaffneten Mannen von Spychow förmlich in Aufruhr, und sie schlugen mit den Lanzen an die Schilder, da sie nicht wußten, wie sie auf andre Weise ihren Schmerz und ihren Rachedurst an den Tag legen sollten. Die Frauen erhoben ein lautes Wehklagen, wobei immer eine dem Beispiel der andern nachahmte, sie drückten ihre Schürzen an die Augen oder verhüllten ihre Köpfe vollständig damit, indem sie in markerschütternden Tönen riefen: »O! Welch ein Unglück! Für Dich ist die Freude, für uns sind nur Thränen – der Tod hat Dich hinweggerafft, der Sensenmann Dich gemäht! Ach!« Und die Köpfe zurückwerfend, die Augen schließend, schrien etliche unter ihnen: »Schlimm erging es Dir hier. Du Blume, bei uns – gar schlimm! Dein Vater blieb zurück in großer Betrübnis, Du aber wandelst schon in göttlichen Gefilden – ach!« Wieder andere warfen der Toten vor, daß sie kein Erbarmen für die Thränen des verlassenen Vaters, für die Thränen des Gatten gefühlt habe. Und diese Klagen und dies Leid äußerte sich in einer Art von Gesang, denn anders vermochten diese Menschen ihren Schmerz nicht auszudrücken.

Aber Jurand, sich Zbyszkos Umarmung entziehend, streckte seinen Stab aus, zum Zeichen, daß er zu Danusia heranzutreten wünsche, da faßten ihn Tolima und Zbyszko unter den Armen, um ihn zur Tragbahre zu geleiten, und er kniete bei dem Leichnam nieder, er fuhr mit der Hand von der Stirne bis zu den kreuzweise gefalteten Händen der Toten und nickte einige Male mit dem Kopfe, wie wenn er sagen wolle, daß dies seine Danusia sei, keine andere – und daß er sein Kind erkenne. Dann umschlang er sie mit dem einen Arm, während er den andern, verstümmelten emporhob, die Anwesenden aber verstanden ihn, denn diese stumme Anklage vor Gott war beredter als alle Aeußerungen des Schmerzes. Zbyszko, dessen Gesicht nach dem plötzlichen Schmerzesausbruch wieder eine starre Miene angenommen hatte, kniete jetzt schweigend, einem Steinbild ähnlich, an der andern Seite der Bahre, und rings umher ward es so stille, daß man das Zirpen der Grillen und das Summen der Fliegen vernehmen konnte. Schließlich besprengte Pater Kaleb die Tote, Zbyszko sowie Jurand mit Weihwasser und begann das »Requiem aeternam«. Nach Beendigung des Gesanges betete er lange Zeit laut, und den Umstehenden dünkte, daß sie die Stimme eines Propheten vernahmen, da er zu Gott flehte, daß durch die Leiden des unschuldigen Kindes das Maß der Sünde voll sei, und daß nun der Tag des Gerichtes, der Strafe und des Verderbens für die Ungerechten kommen möge.

Dann setzten sie sich wieder in Bewegung gen Spychow, doch legten sie Danusias Leichnam nicht auf den Wagen, sondern trugen ihn auf der mit Blumen geschmückten Bahre dem Zuge voraus.

Das Geläute der Glocken hatte nicht aufgehört, es schien sie zu rufen und einzuladen, und sie schritten singend über die weiten, von der goldenen Abendröte beleuchteten Triften, wie wenn die Dahingeschiedene sie zu ewigem Glanze, zu ewigen lichten Höhen führe. Der Abend hatte schon begonnen, und die Herden waren von der Weide zurückgekehrt, als der Zug anlangte. Die Kapelle, worin die sterbliche Hülle Danusias niedergesetzt wurde, erstrahlte von Fackeln und Wachskerzen. Auf Befehl des Pater Kaleb beteten sieben Jungfrauen abwechselnd die Litanei an der Leiche bis zum Anbruch des Tages. Bis zum Anbruch des Tages verließ auch Zbyszko die Dahingeschiedene nicht, und am Morgen legte er sie in einen Sarg, der während der Nacht von geschickten Handwerksleuten aus Eichenholz gezimmert und in dessen Deckel, gerade wo das Haupt der Toten ruhen sollte, goldglänzender Bernstein eingefügt worden war.

Jurand befand sich nicht in der Kapelle. Gleich nach seiner Rückkunft in die Burg hatten ihm die Füße den Dienst versagt, und als man ihn auf sein Lager gebracht hatte, war er plötzlich nicht mehr fähig, sich zu bewegen, wußte er weder, wo er sich befand, noch was mit ihm vorging. Umsonst sprach Pater Kaleb zu ihm, umsonst fragte er, was ihm fehle, Jurand hörte ihn nicht, verstand ihn nicht; auf dem Rücken liegend, hob er nur die Lider und lächelte mit strahlendem, glückseligem Antlitz. Zuweilen bewegte er auch die Lippen, wie wenn er mit jemand spräche. Die bei ihm Anwesenden sagten sich dann, daß er wohl mit seiner in das ewige Heil eingegangenen Tochter zu sprechen glaube und ihr zulächle. Sie sagten sich auch, daß es zu Ende mit ihm gehe, und er sich schon in die ewige Glückseligkeit entrückt glaube, aber darin täuschten sie sich, denn unempfindlich und taub für alles, was um ihn her vorging, verharrte er so ganze Wochen hindurch, ohne daß das Lächeln von seinem Gesichte schwand. Als Tolima schließlich mit dem Lösegeld für Macko wieder aufbrach, befand sich Jurand noch am Leben.

Zweites Kapitel.

Nach dem Begräbnis Danusias war zwar Zbyszko nicht erkrankt, nicht bettlägerig geworden, aber eine Art von Erstarrung hielt seine Sinne gefangen. Anfangs, während der ersten Tage, stand es noch nicht so schlimm mit ihm, denn er ging umher, er besprach sich im Geiste mit seinem toten Weibe, oder er begab sich zu Jurand und setzte sich an dessen Lager nieder. Auch berichtete er dem Priester von der Gefangenschaft Mackos, und sie beschlossen, Tolima nach Preußen und Marienburg zu senden, damit er in Erfahrung bringe, wo der alte Ritter sich befand, und ihn loskaufe, zugleich aber auch für Zbyszko die Summe bezahle, welche mit Arnold von Baden und dessen Bruder vereinbart worden war. In den unterirdischen Gewölben in Spychow fehlte es nicht an Silber, das Jurand teils aus seinen Besitzungen zugeflossen, teils von ihm erbeutet worden war, und Pater Kaleb nahm als wahrscheinlich an, daß die Kreuzritter, sofern sie das Geld erhielten, den alten Mann freilassen und nicht verlangen würden, daß der junge Kämpe sich persönlich bei ihnen einstelle.

»Gehe nach Plock,« sagte der Priester zu Tolima bei dessen Aufbruch, »und lasse Dir dort von dem Fürsten einen Geleitsbrief geben, sonst könnte der erste beste Komtur Dich ausrauben und gefangen nehmen.«

»Ei, ich kenne sie ja gut,« entgegnete der alte Tolima. »Sie sind im stande, sogar auch diejenigen zu berauben, welche Geleitsbriefe haben.«

Und er machte sich auf den Weg. Aber es währte nicht lange, so bereute Pater Kaleb es schon, daß er nicht Zbyszko selbst abgesandt hatte. Zwar hatte er befürchtet, im ersten Augenblick des Schmerzes könne der junge Ritter entweder nicht so vorgehen, wie es nötig war, oder am Ende gar seiner Wut gegen die Kreuzritter allzusehr die Zügel schießen lassen und sich irgend einer Gefahr aussetzen. Auch hatte er sich gesagt, daß es dem Tiefbetrübten wohl schwer fallen werde, sich sogleich nach solchem Herzeleid und Kummer vom Grabe der Geliebten zu trennen, zumal nach einer so schrecklichen und traurigen Fahrt, wie die, welche durch ihn von Gotteswerder bis Spychow unternommen worden war. Jetzt hingegen bereute der Priester, all diesen Bedenken Raum gegeben zu haben, denn Zbyszko ward mit jedem Tag schwermütiger. Bis zum Tode Danusias hatte er in beständiger Erregung gelebt, hatte er stets all seine Kräfte angespornt. Ans Ende der Welt war er gedrungen, er hatte manchen Kampf bestanden, er hatte sein Weib aus der Gefangenschaft befreit, durch Wüsteneien war er gewandert, und plötzlich sollte nun alles zu Ende sein, wie auf einen Schlag. Nichts blieb zurück als die Erkenntnis, daß alles umsonst, daß die erlittenen Mühseligkeiten vergeblich gewesen – und daß er diese zwar überwunden hatte, daß aber zugleich mit ihnen unendlich viel, auch die Hoffnung, alles Gute und die Liebe aus seinem Leben entschwunden waren. Ein jeder Mensch lebt in der Zukunft, ein jeder entwirft Pläne und beschließt manches für die kommenden Tage, für Zbyszko hingegen war das »morgen« gleichgültig geworden, und was die Zukunft anbelangte, so hatte er dasselbe Gefühl wie Jagienka, als sie, von Spychow wegreitend, sagte: »Hinter mir, nicht vor mir liegt das Glück!« Dies Gefühl von Freudlosigkeit, von Schwäche, die Empfindung, daß alles um ihn her öde und leer sei, ward durch den unendlichen Schmerz, den immer wachsenden Gram um Danusia hervorgerufen. Der Schmerz, welcher über ihn gekommen war, nahm ihn ganz gefangen und ward so gewaltig, daß schließlich in Zbyszkos Herzen nichts anderes mehr Raum fand. Er dachte nur noch an sein Leid und versenkte sich förmlich darein. Unempfindlich für alles, zog er sich in sein Inneres zurück, gleichsam in einem Traume umherwandelnd, ohne zu wissen, was um ihn her vorging. All seine Körper- und Geisteskräfte schienen nachgelassen zu haben, seine ehemalige Energie und Kühnheit waren entschwunden und hatten einer gewissen Lässigkeit Platz gemacht. In Blick und Bewegung hatte er jetzt etwas von der Würde eines Greises. Ganze Tage und Nächte saß er entweder in der Gruft am Sarge Danusias oder vor dem Hause, sich während der Nachmittagsstunden in der Sonne wärmend. Zuweilen war er so geistesabwesend, daß er keine Frage beantwortete. Pater Kaleb, der ihn liebte, befürchtete, der Gram, könne an ihm zehren wie der Rost am Eisen zehrt – und voll Betrübnis sagte er sich immer wieder, daß es vielleicht besser gewesen wäre, wenn er Zbyszko mit dem Lösegeld zu den Kreuzrittern geschickt hätte. »Es ist notwendig,« sprach er zu dem Küster des Ortes, mit dem er sich in Ermanglung eines andern über die eigenen Kümmernisse zu unterhalten pflegte, »daß ihn irgend etwas aufrüttle, sonst wird er vollständig zu Grunde gehen.« Und der Küster stimmte ihm bei, indem er den klugen Vergleich anführte: für einen Menschen, der an einem Knochen würge, sei es am besten, ihm einen tüchtigen Schlag in das Genick zu geben.

Zwar trat nun kein besonderes Ereignis ein, aber einige Wochen später langte unerwarteter Weise Herr de Lorche in Spychow an. Sein Anblick erschütterte Zbyszko tief, mahnte er ihn doch an den Kriegszug mit den Samogitiern und an die Befreiung Danusias. De Lorche selbst scheute sich nicht, diese schmerzlichen Erinnerungen aufzurühren. Im Gegenteil, da er schon von Zbyszkos Verlust gehört hatte, verweilte er beständig an seiner Seite, betete mit ihm am Sarge Danusias und sprach unaufhörlich von ihr. Auch dichtete er, der sich mit Recht ein Minstrel hätte nennen dürfen, ein Lied auf die Dahingeschiedene, das er des Nachts am Gitterfenster der Gruft zur Laute sang, ein so trauriges, rührendes Lied, daß Zbyszko, obwohl er die Worte der Dichtung nicht verstand, durch die Weise allein schon tief bewegt, in einen Strom von Thränen ausbrach, der nicht versiegte bis zum Morgen.

Erschöpft vom Weinen, von Kummer und Schlaflosigkeit, sank er dann in langen Schlummer, und als er wieder erwachte, war es offenbar, daß die Thränen ihm das Herz erleichtert hatten, da er erfrischt und gestärkt schien, auch vertrauensvoller in die Zukunft schaute. Die Anwesenheit Herrn de Lorches machte ihm Freude, er dankte ihm dafür, daß er gekommen war, und fragte schließlich, wieso er von seinem Unglück gehört habe. De Lorche erwiderte durch Pater Kaleb, daß er Danusias Tod zuerst in Lubowa, von dem alten Tolima erfahren, den er dort im Gefängnisse bei dem Komtur gesehen habe, daß er aber in jedem Falle nach Spychow gekommen wäre, um sich Zbyszko wieder zu stellen.

Die Kunde von Tolimas Gefangennahme brachte sowohl auf den jungen Ritter als auch auf den Priester einen großen Eindruck hervor. Sie begriffen sofort, daß das Lösegeld als verloren zu betrachten sei, denn nichts auf der ganzen Welt war schwieriger, als den Kreuzrittern eine Summe zu entreißen, die sie einmal in den Klauen hatten. Darum war es nötig, zum zweitenmal mit Lösegeld auszuziehen.

»Wehe!« rief Zbyszko aus. »Mein armer Oheim wartet sehnsuchtsvoll auf seine Befreiung und denkt wohl, ich hätte seiner vergessen! Ich muß jetzt sogleich zu ihm eilen.«

Dann wendete er sich zu Herrn de Lorche: »Weißt Du, wie alles gekommen ist? Weißt Du, daß er sich in den Händen der Kreuzritter befindet?«

»Ich weiß es,« antwortete de Lorche, »denn ich sah ihn in Marienburg, und darum gerade bin ich hierhergekommen.«

Jetzt aber begann Pater Kaleb laut zu klagen: »Wir haben nicht richtig gehandelt,« sagte er, »und niemand von uns ist vernünftig gewesen. Tolima habe ich auch mehr Klugheit zugetraut. Weshalb begab er sich nicht nach Plock, anstatt sich ohne Geleitsbrief mitten unter diese Räuber zu wagen?«

Herr de Lorche zuckte die Achseln.

»Was sind ihnen Geleitsbriefe? Und ward dem Fürsten von Plock, sowohl wie auch Eurem Fürsten nicht genug Schaden durch die Kreuzritter zugefügt? An der Grenze hören ja die Ueberfälle und Kämpfe niemals auf. Denn auch Eure Leute geben keinen Frieden. Jeder Komtur, wahrlich, sogar jeder Vogt thut, was er will, und an Raubsucht übertrifft immer einer den andern.«

»Um so eher hätte Tolima nach Plock gehen sollen.«

»Dies wollte er auch thun, aber unterwegs, an der Grenze, nahmen sie ihn bei Nacht fest. Er wäre von ihnen erschlagen worden, hätte er nicht erklärt, daß er für den Komtur Geld nach Lubowa bringe. Dadurch rettete er sich, und der Komtur ruft jetzt Zeugen dafür auf, daß Tolima dies selbst gesagt hat.«

»Und wie geht es meinem Oheim? Ist er gesund? Trachtet man ihm nach dem Leben?« fragte Zbyszko.

»Er ist gesund!« antwortete de Lorche. »Aber der Haß gegen ›König‹ Witold und gegen die, welche den Samogitiern beistanden, ist dort groß, und sicherlich hätten sie den alten Ritter getötet, wenn ihnen nicht so viel am Lösegeld gelegen wäre. Wolfgang und Arnold von Baden schützen ihn aus der nämlichen Ursache, und schließlich handelt es sich auch um mein Haupt, denn wollte das Kapitel mich opfern, so würde die Ritterschaft von Geldern, Berg und Flandern sich dagegen auflehnen. Ihr wißt doch, daß ich ein Blutsverwandter des Grafen von Geldern bin.«

»Und wieso handelt es sich auch um Dein Haupt?« unterbrach ihn Zbyszko voll Verwunderung.

»Weil ich durch Dich gefangen genommen wurde. Ich sprach folgendermaßen in Marienburg: ›Wenn Ihr den alten Ritter von Bogdaniec töten laßt, wird sein Bruderssohn mein Haupt fordern‹.«

»Ich fordere es nicht, so wahr mir Gott helfe!«

»Wohl weiß ich, daß Du es nicht forderst, aber sie befürchten es, und dadurch droht Macko keine Gefahr bei ihnen. Sie sagten mir, auch Du seiest in Gefangenschaft geraten, Wolfgang und Arnold von Baden hätten Dich auf Dein Ritterwort freigelassen, daher sei es nicht nötig, daß ich mich Dir stelle. Doch entgegnete ich ihnen, daß Du noch frei gewesen, als Du mich gefangen nahmst. Und so bin ich zu Dir gekommen! Während ich mich in Deiner Gewalt befinde, werden sie weder Dir noch Macko etwas anhaben. Zahle jenen Brüdern Dein Lösegeld, für mich aber verlange zwei- oder dreimal so viel. Bezahlen müssen sie. Nicht darum spreche ich so, weil ich glaube, ich sei mehr wert als Du, sondern weil ich die Kreuzritter wegen ihrer Geldgier, welche ich verachte, strafen möchte. Einstmals hatte ich eine ganz andere Meinung von ihnen, aber jetzt habe ich einen wahren Abscheu gegen sie und das Leben unter ihnen gefaßt. In das heilige Land nach Abenteuern will ich ausziehen, denn jenen vermag ich nicht länger zu dienen.«

»Bleibt bei uns, Herr,« sagte Pater Kaleb. »Ich glaube, Ihr werdet wohl bleiben, denn daß sie Lösegeld für Euch bezahlen werden, scheint mir nicht wahrscheinlich.«

»Wenn sie es nicht bezahlen, so bezahle ich es selbst,« antwortete de Lorche. »Ich führe ein ansehnliches Gefolge mit mir, sowie reich beladene Wagen, und das, was sich darin befindet, wird genügen.«

Pater Kaleb wiederholte Zbyszko diese Worte, die auf Macko sicherlich Eindruck gemacht hätten, allein Zbyszko, der sich weniger um Hab und Gut kümmerte, erwiderte: »Bei meiner Ehre! Es darf nicht sein, wie Du sagst. Ein Bruder und ein Freund bist Du mir gewesen, von Dir nehme ich kein Lösegeld.«

Und von dem Gefühl durchdrungen, daß neue Bande sie nun verknüpften, umarmten sie sich. Aber de Lorche sagte lächelnd: »Die Deutschen dürfen jedoch nichts davon wissen, denn in betreff Mackos werden sie wohl Schwierigkeiten erheben. Und seht Ihr, zahlen müssen sie, da sie fürchten, ich könne sonst an den Höfen und unter der Ritterschaft verkünden, daß sie zwar gerne ritterliche Gäste zu sich bitten, daß sie jedoch, wenn diese Fremden in Gefangenschaft geraten, ihrer nicht mehr gedenken. Und der Orden hat jetzt Leute nötig, denn Witold, noch mehr aber die Polen und deren König flößen ihm Angst ein.«

»So mag es denn so sein!« entgegnete Zbyszko. »Du bleibst hier oder an irgend einem Platze in Masovien, ich aber gehe meines Oheims wegen nach Marienburg und gebe mir den Anschein, als ob ich von ingrimmigem Haß gegen Dich erfüllt wäre.«

»Beim heiligen Georg, thue dies!« antwortete de Lorche. »Doch zuerst höre, was ich Dir noch mitzuteilen habe. In Marienburg sagt man, daß der polnische König nach Plock komme und mit dem Meister daselbst oder an irgend einem Grenzorte zusammentreffen werde. Die Kreuzritter wünschen dies sehr, weil sie in Erfahrung bringen möchten, ob der König Witold beistehen würde, falls derselbe ihnen wegen Samogitien offen den Krieg erklärt. Ha! Sie sind so klug wie die Schlangen, aber in diesem Witold haben sie doch ihren Meister gefunden. Der Orden fürchtet ihn auch, weil man niemals weiß, was er im Sinne hat, und was er thut. ›Er überließ uns Samogitien,‹ sagen sie in dem Kapitel, ›aber dadurch ist’s, als ob fortwährend ein Schwert über unsern Häuptern hinge. Ein Wort von ihm‹, sagen sie, ›und die Empörung ist da!‹ Und in der That, so ist es auch. Ich muß mich an seinen Hof begeben, sobald es mir möglich ist. Vielleicht trifft es sich, daß ich innerhalb der Schranken bei ihm kämpfen kann, und außerdem habe ich auch gehört, daß die Frauen dort von wahrhaft engelhafter Schönheit sind.«

»Ihr sagt, Herr, daß der König von Polen nach Plock komme?« fragte Pater Kaleb.

»So ist es. Mag sich Zbyszko dem Gefolge des Königs anschließen. Der Großmeister wünscht es selbst, Jagiello für sich einzunehmen, und wird ihm nichts abschlagen. Ihr wißt ja, wenn die Not es erheischt, kann niemand demütiger sein, als die Kreuzritter. Mag sich also Zbyszko dem Gefolge anschließen, mag er seine eigene Sache geltend machen, mag er ein lautes Geschrei erheben über das ihm zugefügte Unrecht. Die Deutschen werden sich ganz anders als sonst verhalten in Gegenwart des Königs und in Gegenwart der Krakauer Ritter, welche weltberühmt sind und deren Aussprüche und Urteile sich stets unter der ganzen Ritterschaft verbreiten.«

»Ein vortrefflicher Rat! Beim Kreuze des Herrn, ein ganz vortrefflicher!« rief der Priester aus.

»Gewiß!« bestätigte de Lorche. »An Gelegenheit zur Auszeichnung wird es nicht fehlen. In Marienburg vernahm ich, daß man Feste und Turniere veranstalte, denn die fremden Gäste wollen sicherlich mit den polnischen Rittern kämpfen. Bei Gott! Auch Ritter Jan von Aragonien wird kommen, der hervorragendste Ritter in der ganzen Christenheit. Wißt Ihr denn nicht? Aus Aragonien sandte er ja Euerm Zawisza seinen Handschuh, auf daß man an fremdländischen Höfen nicht sage, es gebe einen zweiten Ritter, der ihm gleicht.«

Die Ankunft de Lorches und die Gespräche mit ihm hatten Zbyszko so vollständig aus der Erstarrung erweckt, die ihn zuvor gefangen gehalten, daß er jetzt voll Aufmerksamkeit den Berichten des Freundes lauschte. Von Jan von Aragonien wußte auch er zu erzählen, denn zu jener Zeit mußte jeder Ritter die Namen der berühmtesten Kämpen kennen und im Gedächtnis bewahren, und der Ruhm der Edeln Aragoniens, Jans vornehmlich, war durch alle Lande gedrungen. Kein Ritter that es ihm innerhalb der Schranken gleich, die Mauren flohen, sobald sie seine Rüstung von weitem erschauten und allgemein ward er für den gewaltigsten Ritter der ganzen Christenheit gehalten.

Die Kunde von ihm erweckte den kriegerischen, ritterlichen Sinn Zbyszkos aufs neue, und erfragte mit großem Eifer: »Er forderte also Zawisza Czarny zum Kampfe heraus?«

»Ein Jahr ist es wohl her, seitdem der Handschuh eintraf, und Zawisza den seinigen absandte.«

»Und wird Jan von Aragonien gewiß kommen?«

»Gewiß ist es noch nicht, aber Gerüchte über sein Kommen sind im Umlauf. Die Kreuzritter haben ihm längst eine Einladung zugehen lassen.«

»Gebe Gott, daß wir seine Kämpfe mitansehen dürfen.«

»Gebe es Gott!« antwortete de Lorche. »Und wenngleich Zawisza besiegt wird, was leicht geschehen kann, gereicht es ihm doch zur Ehre, daß solch ein Kämpe wie Jan von Aragonien ihn zum Kampfe forderte, traun! Euerm ganzen Volke gereicht es zur Ehre!«

»Wir werden sehen,« bemerkte Zbyszko. »Ich sage nur: gebe Gott, daß wir alles mitanschauen dürfen!«

»Und ich stimme bei.«

Gleichwohl sollte sich ihr Wunsch diesmal nicht erfüllen, denn in alten Chroniken wird berichtet, daß der Waffengang Zawiszas mit dem hochberühmten Jan von Aragonien erst einige Jahre später zu Perpignan stattfand, wo in Gegenwart des Kaisers Sigmund, des Papstes Benedikt XIII., des Königs von Aragonien und vieler Fürsten und Kardinäle, Zawisza Czarny aus Garbow mit dem ersten Stoß seiner Lanze den Gegner vom Pferde warf und einen glänzenden Sieg über ihn davontrug. Indessen machten sich Zbyszko und de Lorche keine weitern Sorgen, denn sie dachten, wenn auch Jan von Aragonien sich nicht zur bestimmten Zeit stellen könne, würden sie dennoch bedeutende Ritterthaten sehen. Mangelte es doch in Polen nicht an tapfern Kämpen, die Zawisza wenig nachgaben, und unter den Gästen des Ordens waren immer die ersten der waffenkundigen Männer aus Frankreich, England, Burgund und Italien zu finden, welche bereitwillig den Kampf mit jedem aufnahmen.

»Höre,« sagte Zbyszko schließlich zu Herrn de Lorche, »ich fühle Sehnsucht nach meinem Oheim und ich muß nun eilen, ihn loszukaufen. Daher will ich mich morgen bei Tagesanbruch sogleich nach Plock aufmachen. Aber weshalb solltest Du hier bleiben? Wenn Du mein Gefangener bist, so kannst Du mich begleiten, dann wirst Du den König sowie den ganzen Hofstaat schauen.«

»Gerade wollte ich Dich darum bitten,« antwortete de Lorche, »denn längst schon wünschte ich die Polnischen Ritter zu sehen, und zudem hörte ich, daß die Frauen am königlichen Hofe eher Engeln als Bewohnern des Erdenthales gleichen.«

»Soeben erst sagtest Du etwas Aehnliches von Witolds Hofe,« bemerkte Zbyszko.

Achtes Kapitel.

Die Knechte lösten sogleich seine Bande, doch er, dessen Glieder steif geworden waren, fiel zu Boden. Als sie ihn dann aufhoben, schwanden ihm die Sinne, denn er hatte schreckliche Qualen ausgestanden. Umsonst brachten sie ihn aufs Zbyszkos Befehl an das Feuer, suchten ihm Speise und Trank einzuflößen, rieben ihn mit Talg ein und bedeckten ihn mit warmen Fellen. Sanderus kam nicht zum Bewußtsein und fiel schließlich in so festen Schlaf, daß Hlawa kaum im stande war, ihn um die Mittagszeit des folgenden Tages zu erwecken.

Zbyszko, der von Ungeduld beinahe verzehrt ward, eilte unverzüglich herbei. Anfangs konnte er indessen nichts in Erfahrung bringen, denn war nun das Entsetzen über seine furchtbaren Erlebnisse, war das Gefühl der Hilflosigkeit daran schuld, welches gewöhnlich schwache Naturen überkommt, wenn die drohende Gefahr vorüber ist, genug, Sanderus brach in so heftiges Schluchzen aus, daß er sich vergeblich bemühte, die ihm gestellten Fragen zu beantworten. Der Hals war ihm wie zugeschnürt, seine Lippen zitterten und die Thränen flossen unaufhaltsam, wie wenn sein Leben mit ihnen dahinströme.

Endlich, nachdem er sich ein wenig ermannt und durch Stutenmilch gekräftigt hatte, ein Mittel, dessen stärkende Wirkung durch die Tataren bei den Litauern bekannt geworden war, begann er darüber zu jammern, daß die »Söhne Belials« ihn mit den Lanzen windelweich geschlagen, und daß sie ihm das Pferd genommen hätten, das mit Reliquien von ganz ungewöhnlichem Werte beladen gewesen sei. Schließlich, fügte er hinzu, als man ihn am Baume festgebunden habe, seien ihm von den Ameisen dermaßen die Füße und der ganze Körper zerbissen worden, daß ihn binnen kurzem unfehlbar der Tod ereilt hätte.

Nun aber ward Zbyszko von heftigem Zorn ergriffen, er sprang auf und rief: »Antworte, Du Landstreicher, auf das, was ich Dich frage, und hüte Dich, daß Dir nicht noch Schlimmeres begegne.«

»Herr,« ließ sich nun der Böhme vernehmen, »nicht weit von hier befindet sich ein Ameisenhaufen von roten Ameisen, gebt Befehl, daß man ihn dorthin bringe, und er wird sogleich seine Zunge zu gebrauchen wissen.«

Hlawa sprach freilich nicht im Ernste, ja, er lächelte sogar dabei, denn im Innern war er Sanderus recht gewogen; dieser aber erschrak heftig und rief: »Erbarmen! Erbarmen! Gebt mir noch ein wenig von diesem heidnischen Getränk, und ich sage alles, was ich gesehen habe, und was ich nicht gesehen habe.«

»Wenn Du nur eine einzige Lüge sagst, schlage ich Dir die Knochen entzwei,« versetzte der Böhme.

Aber er führte zum zweiten Mal einen Schlauch mit Stutenmilch an Sanderus‘ Lippen, und dieser ergriff ihn, setzte den Mund daran wie ein Kind an die Mutterbrust und begann gierig zu trinken, indem er dabei die Augen bald öffnete, bald wieder schloß.

Als er zwei Quart oder auch etwas mehr zu sich genommen hatte, schüttelte er sich, legte den Schlauch auf seine Knie und sagte, wie wenn er sich nur einer unabwendbaren Notwendigkeit gefügt hätte: »Welch ekelhafter Trank!« Zu Zbyszko gewendet, fügte er hinzu: »Nun mögt ihr fragen, o mein Retter!«

»Befand sich mein Weib bei der Abteilung, mit der Du kamst?«

Auf Sanderus‘ Gesicht drückte sich eine gewisse Verwunderung aus. Zwar wußte er schon, daß Danusia die Ehegemahlin Zbyszkos war, er wußte aber auch, daß die Trauung heimlich vollzogen und die Jungfrau gleich darauf entführt worden war, darum hatte er vornehmlich die Tochter Jurands in ihr gesehen.

Indessen erwiderte er hastig: »Ja, mein allergnädigster Herr, sie befand sich dabei. Aber Zygfryd de Löwe und Arnold von Baden durchbrachen die Reihen des Feindes.«

»Hast Du mein Weib gesehen?« fragte Zbyszko mit klopfendem Herzen.

»Ihr Angesicht habe ich nicht erschaut, o Herr, doch sah ich eine an zwei Pferden befestigte, ganz verhüllte Tragbahre, worin sie jemand gefangen mit sich führten, und diese Tragbahre ward von demselben Weibe bewacht, die, von Danveld geschickt, in den Jagdhof kam. Auch hörte ich ein Lied, ein recht trauriges, und es klang aus der Tragbahre hervor.«

Zbyszko war bleich vor Erregung, er ließ sich auf einem Baumstamm nieder und wußte während eines kurzen Augenblickes nicht, was er noch fragen solle. Macko und Hlawa waren ebenfalls unendlich erregt, als sie diese große, wichtige Kunde vernahmen. Vielleicht dachte der Böhme auch an seine eigene, geliebte Herrin, welche in Spychow zurückgeblieben war und für welche diese Nachricht eine Unglücksbotschaft bedeutete.

Ein tiefes Schweigen folgte. Der schlaue Macko indessen, der Sanderus noch nicht kannte und zuvor kaum von ihm gehört hatte, betrachtete ihn argwöhnisch und fragte: »Was für ein Mensch bist Du denn, und was thatest Du bei den Kreuzrittern?«

»Was ich für ein Mensch bin, großmächtiger Ritter,« antwortete der Landstreicher, »mögen Dir diese sagen, dieser tapfere Fürst (hier wies er auf Zbyszko) und dieser mutige böhmische Graf, welche mich seit langer Zeit kennen.«

Offenbar hatte die Stutenmilch wohlthuend auf ihn eingewirkt, denn er ward ganz lebhaft, und sich zu Zbyszko wendend, begann er mit einer Stimme, die keine Spur mehr von Schwäche zeigte: »Herr, Ihr habt mir zweimal das Leben gerettet. Ohne Euch wäre ich von den Wölfen aufgefressen worden, oder die Strafe der Bischöfe hätte mich getroffen. Denn diese, wohl irre geleitet durch meine Feinde (o wie schlecht die Welt doch ist!), hatten Befehl gegeben, mich zu verfolgen, weil ich Reliquien verkaufte, deren Echtheit sie bezweifelten. Aber Du, Herr, hast mich in Deinen Schutz genommen, dank Dir diente ich den Wölfen nicht zum Fraße, dank Dir konnte mir die Verfolgung nichts anhaben, weil jedermann glaubte, ich gehöre zu Deinem Gefolge. Bei Dir hat es mir auch nie an Speise und Trank gefehlt und sie waren besser als die Stutenmilch hier, welche ekelhaft ist. Ich trinke sie aber doch, um zu zeigen, daß ein armer, gottesfürchtiger Pilgrim vor keiner Buße zurückschreckt.«

»Du Possenreißer, sage rasch, was Du weißt, und halte uns nicht länger zum Narren!« rief Macko.

Doch Sanderus setzte abermals den Schlauch an seine Lippen und leerte ihn ganz, dann wendete er sich, ohne auf Mackos Worte zu hören, wieder zu Zbyszko.

»Weil Ihr mich beschützt habt, bin ich Euch zugethan, Herr. Wie die Schrift sagt, sündigten auch die Heiligen neunmal in der Stunde, daher kommt es vor, daß auch Sanderus zuweilen sündigt, aber undankbar ist auch Sanderus niemals gewesen und wird es auch niemals sein. Als Euch das Unglück traf – erinnert Euch, – da sagte ich: ›Nun wandre ich von Burg zu Burg, und indem ich unterwegs den Leuten gute Lehren beibringe, werde ich die Verlorene suchen.‹ Wen habe ich nicht gefragt! Wo bin ich nicht gewesen! Um dies zu erzählen, wäre viel Zeit erforderlich; genug, daß ich sie fand, und daß ich von diesem Augenblick an wie eine Klette an dem alten Zygfryd hängen blieb. Zu seinem Diener machte ich mich und von Burg zu Burg, von Komturei zu Komturei, von Stadt zu Stadt folgte ich ihm, bis zu dieser letzten Schlacht.«

Zbyszko war unterdessen seiner Erregung Herr geworden und sagte: »Ich bin Dir dankbar, und die Belohnung soll Dir nicht entgehen. Aber jetzt beantworte mir meine Frage: ›Willst Du bei Deinem Seelenheil schwören, daß mein Weib noch am Leben ist?‹«

»Ich schwöre es bei meinem Seelenheil!« entgegnete Sanderus ernst.

»Weshalb hat Zygfryd Szczytno verlassen?«

»Das weiß ich nicht, Herr, ich hege nur meine Vermutungen. Er ist ja nie als Starost in Szcyztno gewesen, und er verließ den Ort vielleicht, weil er des Großmeisters Gebote fürchtete, welcher, wie man sagt, an ihn schrieb, er möge der Fürstin von Masovien die Gefangene ausliefern. Vielleicht entfloh er auch schon, ehe jener Brief eintraf, denn seine Seele war verhärtet durch Schmerz und Groll, und er wollte Rache für Rotgiers Tod nehmen. Manche behaupten jetzt, dieser sei sein Sohn gewesen. Ich weiß nicht, ob dem so ist, ich weiß nur, daß irgend etwas seine Sinne verwirrt haben muß, und daß er Jurands Tochter – ich wollte sagen, Euere junge Ehegemahlin – solange er lebt, nicht freilassen wird.«

»Gar wunderlich dünkt mich all dies,« warf Macko plötzlich ein, »denn wenn jener alte Hund so ergrimmt auf Jurands ganzes Geschlecht wäre, so würde er Danusia gewiß getötet haben.«

»Er wollte sie auch töten,« entgegnete Sanderus, »aber da stieß ihm etwas zu, wodurch er schwer erkrankte, und wodurch er beinahe den letzten Atemzug gethan hätte. Unter seinen Leuten wird viel darüber geflüstert. Manche sagen, als er bei Nacht in den Turm gegangen sei, um die junge Herrin zu morden, sei ihm der böse Geist entgegengetreten, wieder andere sagen, es sei ein Engel gewesen. Sicher ist nur, daß man ihn ohne Bewußtsein vor dem Turme im Schnee fand. Noch jetzt, wenn er daran denkt, stehen ihm die Haare zu Berge, deshalb wagt er auch nicht, Hand an die Jungfrau zu legen, und fürchtet sich, jemand dazu zu veranlassen. Er führt den stummen Henker von Szczytno immer mit sich, aber niemand weiß weshalb, denn der Henker hütet sich nicht minder wie alle andern, ihr ein Leid zuzufügen.«

Diese Worte brachten einen tiefen Eindruck hervor. Zbyszko, Macko und der Böhme traten näher zu Sanderus heran, welcher das Zeichen des Kreuzes machte und dann fortfuhr: »Bei den Kreuzrittern ist nicht gut sein. Zuweilen habe ich Dinge gehört und mitangesehen, daß mich schauderte. Euer Gnaden sagte ich schon, daß des alten Komturs Sinne etwas verwirrt sind. Fürwahr, wie könnte es auch anders sein, da ihn Geister aus jener Welt heimsuchen! So oft er sich allein befindet, hört er neben sich ein Schnauben, gerade wie wenn jemand bei ihm stünde, dem der Atem ausgegangen ist. Und das ist jener Danveld, welcher durch den furchtbaren Gebieter von Spychow erschlagen ward. Zygfryd sagt dann zu ihm: ›Was willst Du? Eine Messe kann Dir nicht helfen, weshalb kommst Du?‹ Und jener knirscht nur mit den Zähnen und fängt wieder an zu schnauben. Aber noch häufiger kommt Rotgier, der einen Geruch von Schwefel in der Stube zurückläßt, und mit dem der Komtur noch mehr spricht. ›Ich kann nicht,‹ sagt er zu ihm. ›Ich kann nicht! Wenn es mir später möglich ist, so will ich es thun, aber jetzt kann ich es nicht!‹ Ich hörte auch, wie er ihn fragte: ›Würde es Dir denn Erleichterung bringen, mein Söhnchen?‹ Und so geht es in einem Zuge fort. Gewöhnlich redet er nach einem solchen Besuche zwei oder drei Tage mit niemand ein Wort, auf seinem Gesichte aber drückt sich dann eine furchtbare Pein aus. Die Tragbahre wird von ihm und der Dienerin sorgfältig gehütet, so daß kein Mensch jemals die junge Herrin erblicken kann.«

»Und wird sie nicht von ihnen gequält?« fragte Zbyszko in dumpfem Tone.

»Ich will Euer Gnaden die reine Wahrheit sagen. Schläge und Geschrei habe ich nicht gehört, wohl aber einen wehmütigen Gesang und zuweilen etwas wie das angstvolle Gezwitscher eines Vogels.«

»Wehe ihnen!« stieß Zbyszko zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor.

Doch Macko that seinen weiteren Fragen Einhalt.

»Genug davon,« sagte er. »Erzähle jetzt von der Schlacht. Hast Du sie mitangesehen? Wie sind die Feinde entkommen und was ist aus ihnen geworden?«

»Ich habe alles mitangesehen,« erwiderte Sanderus, »und will es getreulich berichten. Sie kämpften anfangs mit wahrer Wut, aber als sie erkannten, daß sie von allen Seiten umringt waren, da überlegten sie, auf welche Weise sie sich durchschlagen könnten. Der Ritter Arnold, welcher ein wahrer Riese ist, durchbrach zuerst den Ring und machte für sich, den alten Komtur, sowie für einige Kriegsknechte und für die zwischen zwei Pferden befestigte Tragbahre die Bahn frei.«

»Und fand keine Verfolgung statt? Wie kommt es, daß sie nicht eingeholt wurden?«

»Eine Verfolgung fand statt, aber sie fruchtete nichts, denn sobald die Verfolger dem Ritter Arnold zu nahe kamen, wandte er sich um und kämpfte Mit allen. Gott behüte jeden vor einem Tressen mit ihm, denn er hat eine so furchtbare Kraft, daß es ihm ein Leichtes ist, den Kampf mit hundert Mannen allein aufzunehmen. Dreimal wandte er sich um, und dreimal mußten sich die Verfolger zurückziehen. Die Kriegsknechte, welche sich bei ihm befanden, kamen alle um. Er selbst war meines Erachtens auch verwundet, doch er rettete sich und gab auch dem alten Komtur Gelegenheit zu einer glücklichen Flucht.«

Während Macko diesem Berichte lauschte, sagte er sich, Sanderus müsse die Wahrheit sprechen, denn er erinnerte sich, daß von dem Platze an, wo Skirvoillo die Schlacht geliefert hatte, der ganze Weg mit Leichen von Samogitiern bedeckt gewesen, von denen eine jede so furchtbar verstümmelt war, als ob die Hand eines Riesen hier gewütet hätte.

»Wie hast Du es aber zu stande gebracht, daß Du all dies mitansehen konntest?« fragte er.

»Ich sah alles mit an,« antwortete der Landstreicher, »weil ich mich hinter den Schwanz eines der Pferde verborgen hatte, an denen die Tragbahre befestigt war, und ich lief hinter diesen her, bis mich ein Hufschlag an den Bauch traf. Da fiel ich in Ohnmacht, und dadurch geriet ich in die Hände von Euer Gnaden.«

»So mag es sich wohl zugetragen haben,« bemerkte Hlawa, »aber hüte Dich, zu lügen, denn es würde Dir sonst übel ergehen.«

»Die Spuren jenes Schlages sind noch an mir wahrzunehmen,« erwiderte Sanderus, »wer den Wunsch hegt, kann sich davon überzeugen, indessen ist es besser, meinen Worten zu glauben, als wegen Unglauben verdammt zu sein.«

»Wenn schon Du auch zuweilen unwillkürlich die Wahrheit sagst, wirst Du doch durch Heulen und Zähneklappern für Deinen Reliquienhandel büßen müssen,« setzte Hlawa hinzu.

Und sie ergingen sich in Spottreden, wie es früher ihre Gewohnheit gewesen, doch ihr Gespräch ward durch Zbyszko unterbrochen. »Du bist durch dies Land gezogen, daher mußt Du es kennen. Was für Burgen befinden sich in der Umgegend, und wo glaubst Du, können sich Zygfryd und Arnold verborgen halten?«

»Burgen giebt es nicht in dieser Gegend, alles ringsumher ist Wüstenei, durch welche die erst vor kurzem angelegte Landstraße führt. Dörfer und Ansiedelungen giebt es ebensowenig, denn alles, was früher hier gegründet ward, haben die Deutschen niedergebrannt und zwar aus der alleinigen Ursache, weil die hier ansässigen Leute, welche dem nämlichen Volke entstammen wie das einheimische, sich bei Ausbruch des Krieges gleichfalls gegen die Herrschaft des Ordens auflehnten. Ich glaube, daß Zygfryd und Arnold jetzt im Walde umherwandern, und daß sie entweder dahin zurückkehren, woher sie kamen, oder sich heimlich nach jener Feste begeben wollen, nach der wir vor der unglückseligen Schlacht auszogen.«

»So verhält es sich gewiß!« sagte Zbyszko.

Und er versank in tiefes Sinnen. An seiner gerunzelten Stirne, an seinem Gesichtsausdruck war leicht zu erkennen, wie angestrengt er nachdachte, aber dies währte nicht lange. Nach einer Weile erhob er das Haupt und sagte: »Hlawa, sorge, daß Pferde und Mannen bereit sind, denn wir brechen sogleich auf.«

Der Knappe, welcher nicht die Gewohnheit hatte, nach dem Grund eines Befehles zu fragen, erhob sich und eilte auf die Pferde zu, ohne ein Wort zu sprechen. Macko hingegen blickte mit weitaufgerissenen Augen auf seinen Bruderssohn und fragte voll Verwunderung: »Aber Zbyszko! Wohin willst Du Dich denn wenden? Wie? Was hast Du vor?«

Doch Zbyszko antwortete wieder mit einer Frage: »Was denkt Ihr denn? Thue ich denn nicht meine Pflicht?«

Der alte Ritter verstummte. Er schaute jetzt nicht mehr verwundert darein, sondern schüttelte nur den Kopf. Schließlich atmete er tief auf und sagte gleichsam zu sich selbst: »Wohlan! Mag es denn so sein. Anders geht es nicht!«

Und er begab sich ebenfalls zu den Pferden. Zbyszko indessen wendete sich an Herrn de Lorche, und indem er sich mit Hilfe eines Masuren, welcher der deutschen Sprache mächtig war, verständlich machte, sagte er zu ihm: »Von Dir kann ich nicht verlangen, daß Du mir gegen Leute beistehst, mit denen Du unter derselben Fahne dienst, daher bist Du frei. Gehe, wohin Du willst.«

»Ich kann Dir jetzt nicht mit dem Schwerte beistehen, weil es meiner Ritterehre widerstreitet,« entgegnete de Lorche, »aber meiner Freiheit bediene ich mich jetzt auch nicht. Dein Gefangener bleibe ich auf Ehrenwort und auf Deine Aufforderung werde ich mich stellen, sobald Du mich berufst. Und im Notfalle vergiß nicht, daß für mich der Orden jeden Gefangenen auswechseln wird, da ich einem mächtigen Geschlechte entstamme, das zudem dem Orden treu gedient hat.«

So sagten sie sich denn Lebewohl, wie es Brauch war, einer die Hände auf des andern Schultern legend und sich auf die Wange küssend, wobei de Lorche hinzufügte: »Ich gehe nach Marienburg oder an den Hof von Masovien, Du weißt also, daß Du mich da oder dort finden kannst. Dein Gesandter mag mir nur zwei Worte sagen: ›Lothringen – Geldern‹.«

.

Und dann erblickte er in dem Halbdunkel auch ihre Augen, die weit aufgerissen, wie erschreckt und geistesabwesend dareinschauten.

»Gut,« antwortete Zbyszko, »ich gehe zu Skirwoillo, damit er Dir das Losungswort gebe, das alle Samogitier kennen und ehren.«

Er begab sich zu Skirwoillo. Der alte Heerführer gab das Losungswort und widersetzte sich auch dem Aufbruch Zbyszkos nicht, denn er wußte, um was es sich handelte. Er liebte den jungen Kämpen, war ihm dankbar für die letzte Schlacht und hatte zudem kein Recht, einen Ritter zurückzuhalten, der aus fremdem Lande war und sich nur aus eigenem Antriebe zu ihm gesellt hatte. Indem er daher Zbyszko für den bedeutenden, ihm geleisteten Dienst dankte, versorgte er ihn mit Nahrungsmitteln, die ihm in dieser verwüsteten Gegend von Nutzen sein konnten, und nahm mit dem Wunsche von ihm Abschied, ihn noch einmal im Leben bei einem großen, entscheidenden Kampfe mit den Kreuzrittern zu treffen.

Zbyszko aber war in Eile, ein inneres Feuer verzehrte ihn. Bei seinem Gefolge angelangt, traf er alles bereit und mitten unter den Mannen auch seinen Oheim schon zu Roß in einem Ringelpanzer, mit dem Helm auf dem Haupte. Sich ihm nähernd fragte er daher: »So wollt Ihr mit mir ziehen?«

»Was soll ich machen?« versetzte Macko etwas ingrimmig.

Darauf erwiderte Zbyszko nichts, er küßte nur die geharnischte Rechte seines Oheims, dann bestieg er sein Pferd, und sie ritten davon.

Unter ihrem Gefolge befand sich auch Sanderus. Zbyszko und sein Oheim kannten den Weg bis zum Schlachtfelde genau, aber von dort an sollte er ihnen als Führer dienen. Sie rechneten auch darauf, im Forste einheimische Bauern zu treffen und dachten, diese Leute, welche ihre Herren, die Kreuzritter, aus tiefster Seele haßten, würden ihnen beistehen, die Spur des alten Komturs und jenes Arnold von Baden zu verfolgen, von dessen übermenschlicher Kraft und Tapferkeit Sanderus so viel erzählt hatte.

Drittes Kapitel.

Pater Wyszoniek befürchtete, Jurand könne von einem hitzigen Fieber ergriffen und auf lange Zeit hinaus der Besinnung beraubt werden. Indessen versprach er der Fürstin und Zbyszko, es ihnen mitzuteilen, sobald der alte Ritter etwas verlange, und als sie sich entfernt hatten, begab er sich ebenfalls zur Ruhe. In der That kam Jurand erst am zweiten Festtage um die Mittagszeit wieder zu völligem Bewußtsein. Die Fürstin sowie Zbyszko waren gerade anwesend. Als der Kranke sich auf seinem Lager aufgerichtet hatte, schaute er sie an, und da er sie erkannte, sagte er, »Gnädige Herrin! … Bei Gott, dem Allbarmherzigen, bin ich denn in Ciechanow?«

»Ja, und den Festtag habt Ihr verschlafen,« entgegnete die Fürstin.

»Unter dem Schnee bin ich verschüttet gewesen. Wer hat mich gerettet?«

»Dieser Ritter, Zbyszko aus Bogdaniec. Aus Krakau her werdet Ihr Euch seiner erinnern.«

Einen Augenblick betrachtete Jurand den Jüngling mit seinem gesunden Auge, dann sagte er: »Wohl, ich erinnere mich … Und wo befindet sich Danusia?«

»Hat sie sich denn nicht mit Euch auf den Weg gemacht?« fragte die Fürstin beunruhigt.

»Wie wäre dies möglich gewesen, da ich mich zu ihr begeben wollte?«

In der Meinung, daß Jurand im Fieber spreche, blickten Zbyszko und die Fürstin einander an. Dann sagte die Herrin: »Kommt doch zu Euch. Gerechter Gott! Ist Danusia denn nicht bei Euch in Spychow gewesen?«

»Danusia? Bei mir?« fragte Jurand voll Verwunderung.

»Euere Leute sind alle zu Grunde gegangen, und nach Danusia hat man vergeblich gesucht. Warum habt Ihr sie in Spychow zurückgelassen?«

Doch er wiederholte nochmals und in etwas ängstlichem Tone: »In Spychow? Bei Euch, gnädige Herrin, ist sie ja gewesen, nicht bei mir.«

»Aber Ihr sandtet doch ihrethalben Euere Leute mit einem Schreiben in den Jagdhof?«

»Im Namen des Vaters und des Sohnes!« rief Jurand aus. »Ich habe niemand nach ihr ausgesandt.«

Da ward die Fürstin totenbleich.

»Was bedeutet dies?« sagte sie. »Seid Ihr denn auch wirklich Euerer Sinne mächtig?«

»Beim allbarmherzigen Gott, wo ist mein Kind?« schrie Jurand auffahrend.

Als Pater Wyszoniek diese Worte vernahm, eilte er plötzlich aus der Stube. Die Fürstin aber fuhr fort: »Hört nur! Eine Anzahl Bewaffneter kam mit einem Schreiben von Euch in den Jagdhof. In dem Briefe stand, Ihr wärt bei einer Feuersbrunst durch einen herabfallenden Balken verletzt worden … wärt fast erblindet und wolltet das Kind noch einmal sehen … Und sie führten Danusia mit sich fort …«

»Wehe mir!« rief Jurand. »Spychow ist weder von einer Feuersbrunst heimgesucht worden, noch habe ich nach meiner Tochter geschickt, so wahr ein Gott im Himmel ist.«

Jetzt kehrte der Pater Wyszoniek mit einem Briefe in der Hand zurück, reichte ihn dar und fragte: »Ist dieser Brief an die Fürstin nicht von Euerem Geistlichen?«

»Ich weiß nichts davon.«

»Und das Siegel?«

»Ist das meine. Was enthält der Brief?«

Pater Wyszoniek begann zu lesen, und während Jurand zuhörte, drückte er wie verzweifelt beide Hände an seine Schläfen. Dann sagte er: »Das Schreiben ist gefälscht … Das Siegel nachgemacht. Wehe meiner armen Seele! Mein Kind ist für mich verloren. Sie haben es mir entführt.«

»Wer?«

»Die Kreuzritter!«

»Bei den Wundmalen des Erlösers! Der Fürst muß sofort einen Gesandten an den Meister schicken!« rief die Herrin aus. »Allbarmherziger Jesus, rette sie, schütze sie!«

Und vor Schmerz laut aufschluchzend, eilte Anna Danuta aus der Stube. Jurand sprang von seinem Lager empor und warf in fieberhafter Hast seine Gewänder über die mächtigen Schultern. Zbyszko dagegen saß anfänglich wie versteinert da, plötzlich aber ballte er zähneknirschend die Hände.

Jetzt trat Pater Wyszoniek auf Jurand zu. »Woher wißt Ihr denn so bestimmt, daß sie von den Kreuzrittern geraubt worden ist?«

»Ich schwöre es bei den Wundmalen des Erlösers.«

»Laßt einmal sehen! … Ja, ja, das ist wohl möglich. Sie sind ja eigens auf den Jagdhof gekommen, um gegen Euch Klage zu führen. Sie wollten sich an Euch rächen …«

»Und sie haben Danusia entführt!« schrie Zbyszko auf.

Spornstreichs aus der Stube stürzend, sprang er in den Stall und gebot, die Wagen anzuspannen, die Pferde zu satteln, ohne sich selbst klar darüber zu sein, weshalb er dies that. Er wurde nur von dem dunkeln Gefühle getrieben, daß er sich zur Rettung Danusias aufmachen, daß er, wenn nötig, bis nach Preußen ziehen müsse. Dort wollte er sein junges Weib entweder den Händen der Feinde entreißen oder selbst zu Grunde gehen.

Unverweilt kehrte er hierauf in die Kemenate zurück, um Jurand über alles Mitteilung zu machen, zweifelte er doch keinen Augenblick daran, daß dieser mit ihm ziehen werde. Ingrimm, Schmerz und Leid zerrissen ihm das Herz. Allein er verlor trotz alledem nicht die Zuversicht. Ihn dünkte, in Gemeinschaft mit dem gefürchteten Ritter aus Spychow könne er alles ausrichten, im Verein mit jenem könne er selbst gegen die geschlossene Macht der Kreuzritter ankämpfen.

In der Stube traf Zbyszko jetzt außer Jurand, dem Pater Wyszoniek und den Frauen auch den Fürsten mit Herrn de Lorche und dem alten Herrn aus Dlugolas an. Kaum hatte nämlich der Fürst von dem Vorkommnis Kunde erhalten, so hatte er letzteren zu sich entboten. Der alte Herr aus Dlugolas zeichnete sich nicht nur durch seinen großen Verstand aus, sondern er kannte auch die Verhältnisse bei den Kreuzrittern ganz genau, war er doch lange Jahre in deren Gefangenschaft gewesen. Er sollte daher an den Beratungen teilnehmen.

»Es ist vor allem Vorsicht geboten. Man darf sich nicht zu einer Uebereilung hinreißen lassen, denn sonst wäre das Mägdlein verloren,« erklärte der Herr aus Dlugolas, als er um seine Ansicht befragt ward. »Es muß sofort eine Beschwerde bei dem Meister eingebracht werden, und wenn Eure fürstliche Gnaden mir ein Schreiben ausstellen will, bin ich bereit, es jenem zu überbringen.«

»Das Schreiben sollt Ihr unverzüglich erhalten!« rief der Fürst. »Mit Hilfe Gottes und des heiligen Kreuzes wird die Jungfrau gerettet werden. Der Meister fürchtet sich vor einem Kriege mit dem polnischen König und es liegt ihm daran, mit meinem Bruder Semko und mir in Frieden zu leben. Sicherlich ist das Mägdlein ohne seine Zustimmung entführt worden, sicherlich gebietet er, es wieder auszuliefern.«

»Wenn jedoch alles mit seiner Erlaubnis geschehen wäre?« fragte der Priester Wyszoniek.

»Wenngleich er auch ein Kreuzritter ist, so zeichnet er sich doch durch seine Ehrbarkeit vor allen andern aus,« entgegnete der Fürst, »und wie ich Euch schon sagte, wird er jetzt weit eher meinen Wünschen entgegenkommen, als meinen Zorn heraufbeschwören wollen. Jagiellos Macht ist nicht zu verachten. Hei, sie haben mir genug zugesetzt, so lange sie konnten, aber jetzt wird es ihnen schlecht ergehen, wenn die Masuren dem Jagiello beistehen.«

Der Herr aus Dlugolas ließ sich aber nun also vernehmen: »Das ist wahr. Die Kreuzritter thun niemals etwas ohne Grund. Meinem Dafürhalten nach haben sie daher das Mädchen nur deshalb geraubt, um Jurand das Schwert aus der Hand zu winden und entweder Lösegeld für sie zu erhalten oder sie gegen einen Gefangenen auszuwechseln.«

Dann wandte er sich an den Herrn aus Spychow und fragte: »Wen haltet Ihr gegenwärtig in Euren Kerkern gefangen?«

»De Bergow,« antwortete Jurand.

»Genießt dieser Ritter ein gewisses Ansehen?«

»So viel ich weiß, ist dies der Fall.«

Kaum hatte indessen de Lorche den Namen des Herrn de Bergow vernommen, so erkundigte er sich genau über alles, was vorgegangen war, und erklärte schließlich: »Es ist ein Blutsverwandter des Gebieters über Geldripa, eines großen Wohlthäters des Ordens, und entstammt daher einem Geschlechte, das sich unendliche Verdienste um die Ordensbrüder erworben hat.«

»Ja, ja, so ist es,« ließ sich jetzt der Herr aus Dlugolas vernehmen, indem er den Anwesenden die Worte de Lorches verdolmetschte. »Gar viele Mitglieder der Familie de Bergow haben hohe Würdenstellen in dem Orden bekleidet.«

»Deshalb haben Danveld und de Löwe immer wieder in höchster Erregung dessen Namen genannt!« warf der Fürst ein. »So oft sie auch nur den Mund öffneten, forderten sie die Freilassung de Bergows. Bei Gott im Himmel, sie haben sich des Mädchens nur deshalb bemächtigt, um de Bergows Freilassung zu erwirken.«

»Und sie werden Danusia unverweilt ausliefern!« ergriff nun der Priester das Wort.

»Vor allem müssen wir aber wissen, wo sich das Mägdlein befindet,« sagte der Herr aus Dlugolas. »Denn angenommen, der Meister frägt: ›Wem soll ich befehlen, daß er die Geraubte ausliefere?‹ Was können wir ihm antworten?«

»Wo Danusia ist?« bemerkte Jurand in dumpfem Tone. »Gewiß ist sie über die Grenze gebracht worden, aus Furcht, sie könne befreit werden, wenn sie nicht an der fernen Weichsel oder am Meere in Gefangenschaft weilt.«

»Ich finde sie! Ich befreie sie!« rief nun Zbyszko.

Der Fürst aber, der sich nicht langer bezwingen konnte, brach in wildem Zorne los: »Von meinem Jagdhofe hinweg haben sie sie geraubt! Schimpf haben sie mir angethan, und das verzeihe ich ihnen nicht, so lange ich lebe! Genug der Treulosigkeit, genug der Verräterei! Jeder Wärwolf wäre mir als Nachbar willkommener! Doch der Meister muß die Komture bestrafen, er muß das Mädchen ausliefern und meine Verzeihung durch Gesandte erflehen. Sonst mag er sich vorsehen!«

Und mit der Faust auf den Tisch schlagend, fuhr er fort: »Traun, er sehe sich vor! Mein Bruder aus Plock steht hinter mir, sowie Witold und der mächtige König Jagiello! Genug der Langmut! Weg mit der frommen Geduld, ich habe genug davon!«

Die Beratung stockte, verstummten doch alle bei diesem Zornesausbruch des Fürsten. Anna Danuta aber gewährten diese Worte großen Trost, denn nun wußte sie, wie sehr ihm das Schicksal Danusias am Herzen lag, nun wußte sie, daß Janusz, der ebenso hartnäckig wie geduldig war, nicht eher Ruhe gebe, als bis er sein Ziel erreicht haben werde.

Das herrschende Schweigen wurde schließlich durch die Worte des Paters Wyszoniek unterbrochen.

»Einstens zeichnete sich der Orden durch große Zucht aus,« sagte er, »und kein Komtur wagte auf eigene Hand, ohne Erlaubnis des Kapitels oder des Meisters etwas zu unternehmen. Deshalb verlieh ihnen auch unser Herr und Gott so große Gewalt, daß ihre Macht über weite Länderstrecken reicht. Jetzt aber ist bei ihnen alles ganz anders geworden. Weder Zucht noch Recht kennen sie, weder Ehrbarkeit noch Glaube. Nichts ist ihnen heilig. Voll Tücke und Bosheit, gleichen sie weit eher Wölfen als Menschen. Wie sollten sie auf die Gebote des Meisters oder des Kapitels hören, so sie nicht einmal die göttlichen Gebote achten? Ein jeder von ihnen sitzt gleich einem unabhängigen Fürsten auf seiner Burg, einer unterstützt den andern in seinen schlimmen Thaten. Sobald dem Meister eine Beschwerde vorgebracht wird, wissen sie sich weiß zu waschen. Angenommen nun, der Meister befiehlt ihnen, das Mägdlein auszuliefern, sie aber leisten dem Befehle keine Folge, sondern sprechen also: ›Die Gesuchte befindet sich nicht bei uns, wir haben sie nicht geraubt!‹ Was bleibt uns dann zu thun übrig?«

»Was zu thun ist?« ließ sich der Herr aus Dlugolas vernehmen. »Jurand mag nach Spychow zurückkehren. Wenn sie das Mägdlein des Lösegeldes wegen geraubt haben, oder wenn er für Herrn de Bergow ausgeliefert werden soll, so müssen sie doch jemand davon benachrichtigen, und kein anderer wie Jurand kann dies sein.«

»Die, welche auf den Jagdhof gekommen sind, haben Danusia geraubt!« meinte der Priester.

»Dafür wird sie der Meister vor Gericht fordern oder ihnen befehlen, daß sie sich Jurand zum Kampfe stellen.«

»Mir müssen sie sich stellen!« rief nun Zbyszko, »mir muß dies Recht vor allen andern eingeräumt werden.«

Jurand aber richtete sein Antlitz, das er in die Hände verborgen hatte, empor und fragte: »Wer von den Kreuzrittern ist auf dem Jagdhofe gewesen?«

»Danveld, der alte de Löwe und die beiden Brüder Godfryd und Rotgier,« entgegnete Pater Wyszoniek. »Sie führten Klage und verlangten, der Fürst möge Euch befehlen, de Bergow in Freiheit zu setzen. Der Fürst aber, der von de Fourcy hörte, daß die Deutschen die Angreifer waren, wies sie ab, gestand ihnen kein Recht zur Klage zu.«

»Begebt Euch nach Spychow,« ergriff nun auch Janusz das Wort, »denn dort werden sie ihre Ansprüche geltend machen. Wenn der Knappe des jungen Ritters hier dem de Danveld nicht das Handgelenk verrenkt hätte, wäre dies schon längst geschehen. Begebt Euch nach Spychow, und so sie eine Meldung schicken, laßt es mich wissen. Wohl mögen sie Euch das Mägdlein für de Bergow ausliefern, meiner Rache werden sie jedoch nicht entgehen. Schmach haben sie mir angethan, denn aus meinem Jagdhofe haben sie das Mägdlein hinweggeführt.«

Hier übermannte ihn der Zorn abermals derart, daß er nicht weiter zu reden vermochte. Erst nach Verlauf einiger Minuten setzte er hinzu: »Hei! Sie blasen und blasen so lange ins Feuer, bis sie ihre Schnauzen verbrennen.«

»Sie werden sich weißzuwaschen verstehen!« wiederholte der Priester Wyszoniek.

»Sobald Jurand erklärt, das Mägdlein werde von ihnen festgehalten, können sie sich nicht mehr rechtfertigen!« entgegnete Mikolaj aus Dlugolas etwas ungeduldig. »Ich glaube auch, daß sie über die Grenze entführt worden ist. Jurand hat, wie mich dünkt, recht, wenn er behauptet, sie sei in einer fernen Burg oder am einsamen Meeresgestade zu suchen. Nur muß der Beweis noch geliefert werden, dann wird sich der Meister nicht so leicht hinters Licht führen lassen.«

Mit einer gar seltsamen und geradezu Schrecken erregenden Stimme begann nun Jurand aber und abermals die Namen zu wiederholen: »De Löwe, Danveld, Godfryd und Rotgier!«

.

Einem entfesselten Orkane gleich machte sich seine wilde Verzweiflung Luft.

Dann jedoch ergriff Mikolaj aus Dlugolas von neuem das Wort. Er erteilte den Rat, man solle sofort umsichtige, gewandte Leute nach Preußen schicken, die könnten in Szeytno und Johannesburg in Erfahrung bringen, ob die Tochter Jurands sich dort befinde, oder, so dies nicht der Fall, wo sie gefangen gehalten werde. Unverweilt verließ nun der Fürst, den elfenbeinernen Stab in der Hand, die Stube, um die nötigen Weisungen zu erteilen, während die Fürstin sich in der Absicht zu Jurand wandte, ihn durch freundlichen Zuspruch aufzurichten.

»Wie ist Euch?« fragte sie.

Gerade als ob Jurand die Frage gar nicht vernommen habe, antwortete er anfänglich kein Wort, dann aber rief er plötzlich: »Die alten Wunden sind aufs neue aufgerissen worden!«

»Vertraut auf die Barmherzigkeit Gottes! Danusia kehrt zu Euch zurück, sobald Ihr de Bergow ausgeliefert habt.«

»Des eigenen Lebens will ich nicht schonen.«

Die Fürstin schwankte, ob sie Jurand nicht jetzt von der Trauung Mitteilung machen solle, allein sie konnte sich doch nicht dazu entschließen. Sollte sie dein ohnehin schon so unglücklichen Vater neuen Kummer bereiten? Nein, das vermochte sie nicht, und zudem hielt sie auch eine gewisse Furcht davon ab. »Gemeinsam mit Zbyszko wird er ja sein geliebtes Kind suchen, möge ihm dieser alles auseinandersetzen,« sagte sie sich. »Jetzt würde der Bedauernswerte vielleicht durch eine solche Kunde vollends darnieder gebeugt werden.« So gab sie denn dem Gespräche eine andere Wendung.

»Ihr werdet uns gewiß nicht verantwortlich machen wollen,« hub sie an. »Die Leute trugen Eure Farben, durch ein mit Eurem Siegel versehenes Schreiben wurde uns die Kunde, welch schwerer Unfall Euch betroffen habe, daß Euch völlige Erblindung drohe, und daß Ihr Euch darnach sehntet, Euer Kind noch einmal zu sehen.«

Jurand umfaßte die Knie der Fürstin.

»Ich mache Euch für nichts verantwortlich, erlauchte Frau!« sprach er.

»Dessen dürft Ihr aber gewiß sein, Gott wird Euch das Kind wieder zurückführen, denn sein Auge wacht über es. Er wird Danusia aus der Not erretten, wie er sie aus der Gefahr errettet hat, als jüngsthin bei der Jagd der grimmige Auerochse sich auf uns stürzen wollte – von unserm Herrn Jesus gestählt, schützte uns Zbyszko. Nicht wenig Lebenskraft büßte er dadurch ein, und lange lag er siech darnieder, uns aber, Danusia und mich, hat er beschützt, wofür ihm der Fürst Gürtel und Sporen verliehen hat. Glaubt mir! Gottes Hand schwebt über ihr. Schwer wird das arme Kind zu leiden haben, das ist gewiß, denn tiefes Herzeleid empfinde auch ich. Ich malte mir aus, wie Danusia bei Euch weilen, wie sie von Euch auf das liebevollste behütet werde, und nun …«

Ihre Stimme brach mit einem Male ab, Thränen stürzten aus ihren Augen. Da war es aber auch mit Jurands erzwungener Fassung vorbei. Einem entfesselten Orkane gleich machte sich seine wilde Verzweiflung Luft. Mit beiden Händen fuhr er sich in seine langen Haare, an den Wänden schlug er sich fast das Haupt blutig, laut stöhnte er und schrie immer wieder von neuem auf: »Jesus! Jesus! Jesus!«

Da sprang Zbyszko auf ihn zu, und ihn mit aller Kraft an den Schultern schüttelnd, rief er: »Kommt, machen wir uns auf den Weg! Auf nach Spychow!«

Neuntes Kapitel.

Der Weg zum Schlachtfelde, wo Skirvoillo die Deutschen geschlagen hatte, war für Zbyszko und dessen Gefährten leicht zu finden, weil sie ihn schon kannten. So erreichten sie es denn bald, eilten jedoch, des unerträglichen Geruches wegen, den die Leichen ausströmten, rasch vorüber. Außer einer Unzahl von Wölfen verjagten die Reiter auch Scharen von Krähen, Raben und Dohlen. Dann begannen sie eifrig nach den, auf dem Wege zurückgelassenen Spuren der Flüchtlinge zu suchen. Obgleich kurz zuvor eine ganze Heeresabteilung hier vorbeigezogen war, fand der erfahrene Macko doch ohne Schwierigkeit auf dem zerstampften Boden die Abdrücke von riesenhaften Hufen, die sich nach der entgegengesetzten Richtung hinzogen als die, welche die Heeresabteilung eingeschlagen hatte. So erklärte er denn den jüngeren, in Kriegshändeln weniger erfahrenen Leuten folgendes: »Es ist ein Glück, daß es seit der Schlacht nicht geregnet hat. Seht nur! Arnolds Pferd, das einen Mann von ungewöhnlichem Wuchse trug, muß auch ein gewaltiges gewesen sein, und es ist leicht zu erkennen, daß es beim Galopp während der Flucht sich tiefer mit den Füßen in die Erde eingrub, als wenn es langsam nach jener Seite gelenkt worden wäre, und daß es deshalb auch tiefere Spuren zurückließ. Wer Augen hat, der schaue, wie sich die Hufe in die feuchten Stellen eingedrückt haben. Mit Gottes Hilfe werden wir dieser Hundsbrut auf die Fährte kommen, es sei denn, sie hätte schon irgendwo Schutz hinter sicheren Mauern gefunden.«

»Sanderus sagte,« entgegnete Zbyszko, »daß sich keine Burgen hier in der Nähe befinden, und so verhält es sich auch, da die Kreuzritter neuerdings dies Land in Besitz genommen haben, aber nicht im stande gewesen sind, sich darin anzubauen. Wo sollten die Flüchtlinge sich verbergen? Die Bauern, welche hier wohnten, befinden sich jetzt im Lager bei Skirwoillo, denn sie sind desselben Stammes wie die Samogitier … Die Dörfer wurden, wie Sanderus uns gesagt hat, durch die Deutschen verbrannt, die Weiber und Kinder an entlegene Plätze des Waldes gebracht. Schonen wir unsere Pferde nicht, so werden wir jene Ritter bald eingeholt haben.«

»Wir müssen aber die Pferde schonen, denn selbst wenn wir unser Ziel erreichen, hängt dann doch unsere Rettung von ihnen ab,« erwiderte Macko.

»Ritter Arnold,« warf Sanderus ein, »ward in der Schlacht durch einen Streitkolben zwischen den Schulterblättern getroffen. Anfangs achtete er nicht darauf, er kämpfte weiter, aber schließlich muß die Wunde seine Kräfte doch über die Maßen erschöpft haben, denn so ist’s immer, zuerst spürt man nichts, und zuletzt schmerzt sie doch. Aus diesem Grunde kann er nicht rasch entfliehen, und vielleicht muß er irgendwo Rast machen.«

»Und die Dienstleute? Hast Du nicht gesagt, daß sich keine bei Ritter Arnold und dem alten Komtur befinden?« fragte Macko.

»Bei ihnen befinden sich zwei Reitersmänner, an deren Sätteln die Tragbahre befestigt ist. Noch eine ganze Schar von Kriegsknechten ist dabei gewesen, doch wurde sie von den Samogitiern eingeholt und vernichtet.«

»So hört denn!« sagte Zbyszko. »Unsere Mannen sollen die Reitersmänner, welche die Tragbahre mit sich führen, knebeln, Ihr, Oheim, greift Zygfryd an, und ich gehe auf Arnold los.«

»Nun,« erwiderte Macko, »mit Zygfryd kann ich es wohl aufnehmen, denn durch die Gnade unseres Herrn Jesu habe ich noch Kraft in den Knochen. Aber sei Du selbst nicht allzu zuversichtlich, denn jener Ritter muß ein wahrer Riese sein.«

»Ei, wir werden ja sehen!« antwortete Zbyszko.

»Du bist stark, das leugne ich nicht, aber es giebt noch stärkere als Du. Hast Du all der Unsrigen, hast Du jener Ritter vergessen, die wir in Krakau sahen? Könntest Du gegen Powala aus Taczew aufkommen? Und gegen Herrn Paszko Zlodziej aus Biskupice, oder gar gegen Zawisza Czarny? Wie? Rühme Dich nicht allzu sehr und denke daran, um was es sich handelt.«

»Rotgier war auch kein Schwächling,« brummte Zbyszko.

»Und wird sich für mich keine Aufgabe finden?« fragte der Böhme. Doch er bekam keine Antwort, da Mackos Gedanken von anderen Dingen in Anspruch genommen waren.

»Sofern Gott uns seinen Segen verleiht,« sagte er, »werden wir die masovischen Wälder erreichen. Dort werden wir in Sicherheit sein und alles mit einem Schlag zu Ende bringen.«

Gleich darauf seufzte er jedoch wieder, weil er wohl dachte, daß auch dann noch nicht alles zu Ende sein werde, und auch etwas für die unglückliche Jagienka geschehen müsse.

»Ach!« sagte er, »wie wunderbar sind Gottes Fügungen. Ich sinne oft darüber nach, warum es so gekommen ist, warum Du Dich nicht in herkömmlicher Weise vermählt hast, wie andere Männer, so daß ich in Ruhe und Frieden bei Euch hätte wohnen können … Bei allen Edelleuten unserer Heimat Pflegt es so zu sein … Nur wir allein ziehen unstät von Land zu Land, anstatt in christlicher Weise zu Hause zu wirtschaften.«

»Nun, das ist wahr, aber es ist der Wille Gottes!« antwortete Zbyszko.

Schweigend ritten sie einige Zeit weiter, dann wendete sich der alte Ritter wieder zu seinem Bruderssohn: »Setzest Du Vertrauen in diesen Landstreicher? Was für ein Mensch ist es?«

»Er ist leichtfertig, vielleicht auch ein Taugenichts, aber mir ist er sehr ergeben und Verrat habe ich von ihm nicht zu fürchten.«

»Wenn dem so ist, mag er vorausreiten, denn falls er die Ritter auch einholt, werden sie doch nicht erschrecken. Er kann ihnen sagen, er sei aus der Gefangenschaft entflohen, und sie werden ihm leicht Glauben schenken. So wird es am besten sein. Würden sie zuerst uns von weitem erblicken, so hätten sie dadurch die Möglichkeit, sich entweder irgendwo zu verstecken, oder sich zur Verteidigung zu rüsten.«

»Bei Nacht wird er nicht allein voranreiten, denn er ist sehr furchtsam,« entgegnete Zbyszko, »aber während des Tages wird es in der That so am besten sein. Ich will ihm sagen, er möge dreimal im Tage Rast machen und auf uns warten; wenn wir ihn aber nicht mehr an einem Futterplatze treffen, soll dies ein Zeichen sein, daß er sich schon bei ihnen befindet. Dann können wir seine Spur leicht verfolgen und die Feinde überfallen.«

»Und wird er sie nicht warnen?«

»Nein, er ist mir mehr zugethan als jenen. Ich werde ihm auch sagen, daß wir ihn bei dem Ueberfall gleichfalls binden werden, so daß er vor ihrer Rache geschützt ist … Mag er sich gebärden, als ob er uns ganz und gar nicht kenne …«

»Also denkst Du daran, sie am Leben zu lassen?«

»Und was könnte ich sonst thun?« antwortete Zbyszko in etwas trübseligem Tone. »Erwägt doch nur! … Befänden wir uns in Masovien oder irgendwo in unserer Heimat, dann dürften wir sie zum Kampfe fordern, wie ich Rotgier zum Kampfe gefordert habe, und auf Leben und Tod mit ihnen kämpfen, aber hier, in ihrem eigenen Lande, geht dies nicht an … Hier handelt es sich um Danusia, hier ist Eile vonnöten. Wir müssen rasch und in aller Stille zu Werk gehen; um kein Ungemach über uns heraufzubeschwören, müssen wir, wie Ihr gesagt habt, so schnell die Pferde laufen können, nach den masovischen Wäldern sprengen. Ueberfallen wir sie unvermutet, so treffen wir sie vielleicht ohne Waffen, ja, sogar ohne Schwerter! Und dann sollten wir sie töten? Mir graut vor solcher Schande! Sind wir nicht beide gegürtete Ritter, und jene auch?« …

»Traun, Du hast recht!« antwortete Macko. »Aber vielleicht kommt es gar nicht zum Kampf.«

Zbyszko runzelte die Stirne und auf seinem Gesichte drückte sich die offenbar allen Männern aus Bogdaniec angeborene Energie aus, auch sah er in diesem Augenblick, besonders in der Art wie er vor sich hinschaute, Macko so ähnlich, als ob er dessen leiblicher Sohn gewesen wäre.

»Was gäbe ich darum,« sagte er in dumpfem Tone, »wenn ich Zygfryd, diesen Bluthund, vor Jurands Füße legen könnte – Gott gewähre mir dies!«

»Er gewähre Dir dies!« wiederholte Macko.

Unter solchen Gesprächen hatten sie eine große Strecke zurückgelegt, als die Nacht anbrach, eine schöne, wenn auch nicht mondhelle Nacht. Sie mußten jetzt Rast machen, damit die Pferde ausschnaufen, die Leute sich durch Speise und Schlaf stärken konnten. Bevor sie jedoch der Ruhe pflegten, sagte Zbyszko zu Sanderus, daß er am folgenden Morgen allein vorausreiten müsse, und dieser erklärte sich bereit dazu, indem er mir die Bedingung stellte, daß er zu ihnen zurückkehren dürfe, falls ihm durch wilde Tiere oder durch die einheimischen Leute irgend eine Gefahr drohe. Auch bat er um die Erlaubnis, statt dreimal, viermal Halt machen zu dürfen, denn er ängstige sich sogar auch in gottgesegneten Gegenden, sobald er allein sei, und wie viel mehr noch werde er sich also in der furchtbaren Wildnis ängstigen, worin sie sich gerade befanden.

Das Nachtlager ward aufgeschlagen, und nachdem sie sich durch Speise gestärkt hatten, legten sie sich auf Felle an das kleine Feuer nieder, das sechzig Schritte vom Wege angezündet worden war. Die Knechte hielten abwechselnd Wache bei den Pferden, welche sich lange herumwälzten, zuletzt aber, nachdem sie ihr Futter gefressen hatten, einschliefen, wobei immer eines den Kopf auf den Hals des andern legte. Doch kaum graute der Morgen und warf seinen lichten Schein auf die Wipfel der Bäume, als Zbyszko emporsprang, die andern erweckte, und während es Tag ward, machten sie sich auf den Weg. Die Spuren der riesenhaften Hufe von Arnolds Hengst waren wieder ohne Schwierigkeit zu finden, denn eingedrückt in den niedrigen, gewöhnlich sumpfigen Boden, hatten sie sich unversehrt erhalten. Sanderus ritt voraus und entschwand bald ihren Blicken, aber in der Zeit zwischen Sonnenaufgang und Mittag trafen sie ihn schon an einem Futterplatze. Er sagte ihnen, daß er kein lebendes Wesen erblickt, mit Ausnahme eines großen Auerochsen, vor dem er aber nicht die Flucht ergriffen habe, weil das Tier ihm zuerst aus dem Wege gegangen sei. Um die Mittagszeit, beim ersten Imbiß, erzählte er indessen, er habe einen Landmann, einen Zeidler mit einer Leiter gesehen, ihn aber nicht festgehalten, aus Furcht, tiefer im Walde könnten sich noch mehr seinesgleichen befinden. Er habe versucht, ihn über dies und jenes auszuforschen, doch hätten sie sich nicht zu verständigen vermocht.

Während sie weiter ritten, fühlte sich Zbyszko mehr und mehr beunruhigt. Wie sollte es werden, wenn ihr Weg sie nun zu höherliegenden Gefilden führte, wo der Boden fest und trocken war, so daß die bisher sichtbaren Spuren verschwanden? Oder wenn sie ihr Ziel lange nicht erreichten und in eine mehr bevölkerte Gegend kämen, wo die Einwohner längst gewöhnt waren, dem Orden Gehorsam zu leisten, ein Ueberfall also und die Entführung Danusias beinahe zu einem Ding der Unmöglichkeit ward? Denn wenn auch Zygfryd und Arnold sich nicht innerhalb der Mauern eines Schlosses oder Kastells, wenn sie sich auch nicht in Sicherheit befanden, war doch vorauszusehen, daß das einheimische Volk deren Partei nehmen würde.

Aber zum Glück waren diese Befürchtungen grundlos, denn an der nächsten Haltestelle trafen sie um die bestimmte Zeit Sanderus zwar nicht mehr an, entdeckten jedoch an einem dicht am Wege stehenden Fichtenbaume einen großen Einschnitt in der Form eines Kreuzes, der offenbar kurz zuvor gemacht worden war. Da schaute einer auf den andern, ein tiefer Ernst malte sich in ihren Zügen, und ihre Herzen klopften heftig. Macko und Zbyszko sprangen unverzüglich vom Pferde, um auf dem Boden nach den Spuren zu forschen, und suchten eifrig, aber dies währte nicht lange, da beide bald völlig klar sahen.

Offenbar hatte Sanderus hier den Weg verlassen und war in den Waid eingedrungen, indem er den Spuren der großen Hufe nachging, die zwar nicht so tief wie auf der Landstraße, aber doch ziemlich deutlich waren, denn das mächtige Tier hatte bei jedem Schritte die Zweige der Fichtenbäume in den Torfgrund gestampft und schwarze Flecken an diesen Zweigen zurückgelassen. Auch andere Spuren blieben den scharfen Augen Zbyszkos nicht verborgen, daher bestieg er wieder sein Pferd, Macko das seine, und sie begannen nun miteinander und mit dem Böhmen in so leisem Tone zu beraten, wie wenn der Feind dicht daneben gewesen wäre.

Der Böhme gab ihnen den Rat, den Weg zu Fuß fortzusetzen, aber dies wollten sie nicht thun, weil sie nicht wußten, wie weit sie noch durch den Wald zu ziehen hatten. Einige der unberittenen Mannen sollten indessen vorausgeschickt werden und, falls sie etwas Besonderes gewahrten, ein Zeichen geben, damit die Reitersmänner sich in Bereitschaft setzen konnten.

So ritten sie denn unverweilt weiter durch den Wald. Ein zweiter Einschnitt an einem Fichtenbaume zeigte ihnen, daß sie Sanderus‘ Spur nicht verloren hatten. Binnen kurzem bemerkten sie auch, daß sie sich auf einem ziemlich begangenen Wege, oder vielmehr Fußpfad befanden. Nun waren sie überzeugt, daß sie auf irgend eine Ansiedelung stoßen und die Flüchtlinge dort finden mußten.

Die Sonne neigte sich schon dem Untergange zu und schimmerte golden zwischen den Bäumen hervor. Der Abend versprach schön zu werden. Tiefe Stille herrschte im Walde, denn für Vögel und anderes Getier war die Zeit der Ruhe gekommen. Nur da und dort unter den von der Sonne beleuchteten Zweigen sprangen noch Eichhörnchen umher, die von den Strahlen rot übergossen waren. Zbyszko, Macko, der Böhme, sowie ihre Knechte ritten im Gänsemarsch, einer hinter dem andern her. In dem sicheren Gefühle, daß die Mannen zu Fuß ihnen um eine beträchtliche Strecke voraus waren und sie nötigenfalls warnen würden, besprach sich der alte Ritter mit seinem Bruderssohn, ohne die Stimme allzusehr zu dämpfen.

»Laß uns nach der Sonne die Zeit berechnen,« sagte er. »Von dem letzten Futterplatze, bis zu der Stelle, wo das Kreuz eingeschnitten war, haben wir eine große Strecke zurückgelegt. Die Krakauer Uhr muß nun ungefähr die dritte Stunde zeigen … Sanderus befindet sich wohl längst bei jenen Rittern und hat auch genug Zeit gehabt, ihnen von seinen Abenteuern zu erzählen. Wenn er uns nur nicht verrät.«

»Er wird uns nicht verraten,« entgegnete Zbyszko.

»Und wenn sie ihm nur glauben,« fügte Macko hinzu, »denn glauben sie ihm nicht, so wird es ihm schlimm ergehen.«

»Warum sollten sie ihm nicht glauben? Und was wissen sie von uns? Aber ihn kennen sie gut. Auch kommt es ja häufig vor, daß Kriegsgefangene entfliehen.«

»Gerade das ist wichtig, denn wenn er ihnen gesagt hat, er sei aus der Gefangenschaft entflohen, werden sie vielleicht aus Furcht, er könne verfolgt werden, sogleich wieder aufbrechen.«

»Dann würde er irgend eine Ausflucht ersinnen, er würde ihnen begreiflich machen, daß eine solche Verfolgung kaum zu erwarten ist.«

Eine Weile schwiegen sie, dann dünkte es Macko, sein Bruderssohn flüstere ihm etwas zu, deshalb wandte er sich an ihn und fragte: »Was sagst Du?«

Doch Zbyszko hatte den Blick gen Himmel gerichtet, er flüsterte Macko nichts zu, aber er empfahl Gott Danusia und seine kühne Unternehmung.

Macko wollte sich bekreuzen und erhob gerade die Hand, als plötzlich einer der vorausgesandten Mannen aus den dichten Haselnußsträuchern hervortrat und zu ihm heranschlich: »Eine Pechsiederei!« sagte er. »Sie sind hier.«

»Halt!« rief Zbyszko in gedämpftem Tone, und im nämlichen Augenblick sprang er schon vom Pferde.

Macko, der Böhme, sowie die Knechte thaten das Gleiche. Drei von diesen erhielten den Befehl, bei den Pferden zu bleiben, sich mit ihnen bereit zu halten und sorgsam darauf zu achten, daß keiner der türkischen Renner wiehere. Zu den fünf andern sagte Macko: »Wir werden zwei Reitknechte und Sanderus dort treffen. Die müßt ihr sofort knebeln und so einer bewaffnet ist und sich zur Wehr setzen will, dann gebt ihm einen Schlag auf den Kopf.«

Und sie gingen vorwärts. Unterwegs flüsterte Zbyszko nochmals seinem Oheim zu: »Ihr stürzt Euch aus den alten Zygfryd, ich mich auf Arnold.«

»Sei nur behutsam!« antwortete der alte Kämpe.

Und er winkte dem Böhmen mit den Augen, indem er ihm dadurch zu verstehen gab, daß er jeden Augenblick bereit sein müsse, seinem Herrn Hilfe zu leisten.

Jener neigte das Haupt, zum Zeichen, daß er dies thun werde. Dabei holte er tief Atem und faßte sein Schwert, um zu sehen, ob es leicht aus der Scheide gehe.

Doch Zbyszko gewahrte dies und sagte: »Nein, Dir befehle ich, sogleich zu der Tragbahre zu eilen und während des Kampfes auch nicht einen Fuß breit von ihr zu weichen.«

In tiefer Stille schritten sie rasch vorwärts, fortwährend zwischen dichten Haselnußbüschen, aber sie waren noch nicht weit gekommen, zweihundertfünfzig Schritte höchstens, als das Gesträuch plötzlich ein Ende nahm und sie auf einer von Buschwerk umsäumten Lichtung standen, wo sich die rauchgeschwärzten Ueberreste einer Pechsiederei und zwei Hütten, oder Erdwohnungen befanden, in denen zweifellos Pechsieder gewohnt hatten, bis sie durch den Krieg daraus vertrieben worden waren. Die Strahlen der untergehenden Sonne beleuchteten mit hellem Glanze die Wiese, die rußigen Ueberreste und die beiden ziemlich weit voneinander entfernt stehenden Erdwohnungen. Auf einem gefällten Baumstamme vor der einen saßen zwei Ritter, vor der andern ein breitschultriger, rothaariger Mann und Sanderus. Diese beiden waren damit beschäftigt, einige Panzer mit Lappen abzureiben, und zu Sanderus‘ Füßen lagen auch zwei Schwerter, welche er offenbar später reinigen wollte.

»Sieh!« sagte Macko, den Arm Zbyszkos fassend, um ihn noch einen Augenblick zurückzuhalten, »absichtlich hat er ihnen Schwerter und Panzer genommen. Das ist gut! Der mit dem grauen Haupte muß …«

»Vorwärts!« schrie Zbyszko plötzlich, und der Windsbraut gleich stürmten sie aus die Wiese hinaus. Die beiden Ritter sprangen sofort auf, doch bevor sie noch zu Sanderus gelangen konnten, hatte Macko den alten Zygfryd schon an der Brust gepackt, nach rückwärts gebogen und sich auf ihn geworfen. Zbyszko und Arnold fuhren aufeinander wie zwei Habichte, umschlangen sich mit den Armen, und nun begann ein verzweifeltes Ringen. Der breitschultrige Deutsche, welcher zuvor neben Sanderus gesessen hatte, griff zwar sofort nach einem Schwert, doch ehe er im stande war, es zu gebrauchen, schlug ihm Wit, einer der Mannen Mackos, mit der Streitaxt auf das rote Haupt und streckte ihn zu Boden. Dann warfen er und die andern Mannen sich dem Befehle des alten Ritters gemäß auf Sanderus, um ihn zu knebeln. Trotzdem dieser aber wußte, daß es eine verabredete Sache war, brüllte er aus Furcht gleich einem einjährigen Kalbe, dem die Kehle abgeschnitten wird.

Und obgleich Zbyszko so stark war, daß der Saft aus einem Baumzweige quoll, wenn er daran drückte, hatte er nun doch die Empfindung, daß ihn nicht die Hände eines Menschen, sondern die Tatzen eines Bären umklammert hielten. Auch fühlte er, daß ohne den Panzer, welchen er trug, weil er sich gesagt hatte, daß sich wohl manch scharfe Lanzenspitze gegen ihn richten werde, der riesenhafte Deutsche ihm vielleicht die Rippen oder das Rückgrat zerbrochen hätte. Zwar hob ihn der junge Ritter ein wenig in die Höhe, aber jener hob ihn noch höher, und all seine Kraft zusammennehmend, versuchte er ihn derart zu Boden zu schmettern, daß er sich nicht mehr zu erheben vermochte.

Doch Zbyszko preßte den Deutschen ebenfalls gewaltsam zusammen, bis dessen Augen mit Blut unterlaufen waren, dann schob er seinen Fuß zwischen dessen Beine, stieß ihn an die Kniekehle und streckte ihn hin. Zwar fielen beide gleicherweise zu Boden, Zbyszko nach unten, aber in diesem Augenblick warf Macko, dem nichts entging, den halbtoten Zygfryd seinen Knechten zu, stürzte zu den Liegenden heran und hatte im Nu Arnolds Füße mit seinem Gürtel gebunden. Dann setzte er sich auf ihn, wie auf ein erschlagenes wildes Tier, indem er ihm die Spitze seines »Misericordia« an die Kehle führte.

Der Deutsche aber schrie laut auf, und seine Hände fielen kraftlos an den beiden Seiten Zbyszkos nieder, hierauf begann er zu ächzen, nicht nur wegen der Stichwunde, sondern auch weil er plötzlich einen entsetzlichen, unaussprechlichen Schmerz im Rücken verspürte, an dem er durch einen Keulenschlag während der Schlacht mit Skirwoillo verletzt worden war.

Da faßte ihn Macko mit beiden Händen und zog ihn von Zbyszko weg. Zbyszko erhob sich vom Boden, nahm eine sitzende Stellung an, dann wollte er aufstehen, konnte aber nicht. Er ließ sich wieder nieder und verharrte eine Weile regungslos. Mit bleichem, schweißbedecktem Antlitz, blutig unterlaufenen Augen, bläulichen Lippen blickte er vor sich hin, wie wenn er nicht völlig bei Bewußtsein gewesen wäre.

»Was ist Dir?« fragte Macko besorgt.

»Nichts, ich bin nur furchtbar ermattet. Helft mir auf die Füße.«

Macko faßte ihn unter den Armen und richtete ihn sofort empor.

»Kannst Du aufrecht stehen?«

»Ja!«

»Bist Du verletzt?«

»Nein. Aber der Atem stockt mir in der Brust.«

Unterdessen trat der Böhme, welcher offenbar sah, daß es nichts mehr für ihn zu thun gab, zur Hütte heran und packte die Alte sofort am Genicke. Bei diesem Anblick vergaß Zbyszko all seiner Beschwerden, er ermunterte sich sofort, und wie wenn der Kampf mit dem furchtbaren Arnold spurlos an ihm vorübergegangen wäre, lief er eilig der Hütte zu.

»Danuska! Danuska!« rief er.

Aber keine Stimme antwortete auf diesen Ruf.

»Danuska! Danuska!« wiederholte Zbyszko. Dann verstummte er. In der Hütte war es so dunkel, daß er im ersten Augenblick nichts zu unterscheiden vermochte. Doch hinter den Steinen hervor, welche rings um den Feuerherd aufgeschichtet lagen, drangen laute, rasche Atemzüge, wie die eines in die Enge getriebenen jungen Tieres.

»Danuska! Bei Gott dem Allmächtigen! Ich bin es! Ich bin Zbyszko!«

Und dann erblickte er in dem Halbdunkel auch ihre Augen, die weit aufgerissen, wie erschreckt und geistesabwesend dareinschauten.

Da eilte er auf sie zu und nahm sie in seine Arme, sie aber erkannte ihn nicht und sich von ihm losreißend, sagte sie atemlos und im Flüstertone: »Ich fürchte mich! Ich fürchte mich! Ich fürchte mich!« …

– – – – – –

Erstes Kapitel.

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Nichts half, weder Bitten, noch Klagen, noch Liebkosungen – Danusia erkannte niemand, erlangte ihre Sinne nicht wieder. Nur von einem Gefühle schien ihr ganzes Wesen durchdrungen zu sein, von dem Gefühle entsetzlicher Angst, wie sie der zitternde Vogel empfindet, der in Gefangenschaft gerät. Welche Nahrung ihr auch vorgesetzt ward, in Anwesenheit eines andern rührte sie keinen Bissen an, trotzdem ihr gieriger Blick es nur zu deutlich verriet, daß sie hungerte, ja, daß sie vielleicht schon seit lange Hunger litt. Ließ man sie allein, so warf sie sich gleich einem wilden Tiere auf die Speisen, trat indessen Zbyszko in die Hütte, dann rannte sie in einen Winkel, um sich hinter einem Bündel trockenen Hopfens zu verbergen. Und nichts brachte sie wieder daraus hervor. Wohl hätte sie bei dem Scheine des aufflammenden Feuers ihren Ehegemahl zu erkennen vermögen, allein umsonst öffnete er ihr seine Arme, umsonst streckte er ihr, die Thränen unterdrückend, bittend die Hände entgegen. Mit dem klaren Verstande schien ihr auch jede Erinnerung entschwunden zu sein. Immer wieder schaute Zbyszko auf ihre hageren, starren, angsterfüllten Gesichtszüge, auf ihre eingesunkenen Augen, auf das zerrissene, zerfetzte Gewand, in das sie gekleidet war, und sein Herz krampfte sich vor Wut und Schmerz zusammen bei dem Gedanken, in wessen Hände sie gewesen war, was man ihr angethan haben mochte. Schließlich übermannte ihn einmal dermaßen der Zorn, daß er sein Schwert ergriff, auf Zygfryd losstürzte und diesen erschlagen hätte, wenn nicht Macko ihm entgegengetreten wäre.

Gleich Feinden rangen die Zwei miteinander. Der junge Ritter war jedoch durch den vorhergegangenen Kampf mit dem riesenhaften Arnold in solcher Weise geschwächt, daß der alte Ritter ihn bezwang. Wie zwischen eisernen Klammern preßte er Zbyszkos Hände in den seinen zusammen, während er rief: »Was soll das sein, bist Du toll geworden?«

»Gebt mich frei!« antwortete Zbyszko zähneknirschend, »oder der Lebensfunken in mir wird erlöschen.«

»Was auch geschehen mag, ich gebe Dich nicht frei! Weit besser ist es, Du zerschmetterst Dir Deinen Schädel an einem Baumstamm, als daß Du Dir und Deinem Geschlechte Unehre machst.«

Und mit neuer Kraft Zbyszkos Hände umklammernd, fügte er drohend hinzu: »Suche Dich zu beherrschen! Die Rache wird Dir nicht entgehen, doch bedenke, daß Du ein gegürteter Ritter bist. Was willst Du beginnen? Einen gefesselten Gefangenen willst Du erschlagen? Kannst Du damit Danusia helfen, und was gewinnst Du dabei? Nichts, nur Schimpf und Schande. Wohl wirst Du mir einwenden, Könige und Fürsten hätten mehr als einmal Gefangene ermordet. Freilich ist dies der Fall, doch traun, nie und nimmer ist es in unsern Landen geschehen. Und zudem, was die Welt jenen vergeben hat, das wird sie Dir nicht vergeben. Jene sind die Besitzer von Königreichen, Städten und Burgen, was aber besitzest Du? Nichts wie Deine Ehre als Ritter. Wenn auch jenen alles vergeben worden ist, Dir speit man in das Gesicht. Bezwinge Dich! Bei Gott!«

Diesen Worten folgte ein minutenlanges Schweigen.

»Gebt mich frei!« wiederholte dann Zbyszko finster. »Ich werde ihn nicht erschlagen.«

»Komm mit zum Feuer, dort wollen wir uns beraten.«

Macko geleitete seinen Bruderssohn zu einem Feuer, welches von den Kriegsleuten in der Nähe von den Teerhaufen angezündet worden war. Nachdem sich jene beiden dort niedergelassen hatten, bedachte sich der Ohm eine Weile und hub dann also an: »Vergiß auch nicht, daß Du Jurand versprochen hast, ihm diesen alten Hund auszuliefern. Jurand wird sich an ihm für all das rächen, was Danusia erlitten hat. Fürchte nichts, Jurand wird ihm alles heimzahlen! Ihm gehört der Gefangene an! Und zudem, was Dir nicht erlaubt ist, das steht Jurand frei. Er hat Zygfryd nicht zum Gefangenen gemacht, aus Deiner Hand wird er ihn empfangen. Ohne sich mit Unehre zu bedecken, darf er ihm bei lebendigem Leibe sogar die Haut abziehen – verstehst Du mich nun?«

»Ich verstehe Euch!« entgegnete Zbyszko. »Ihr redet vernünftig.«

»Augenscheinlich kehrt Dir Dein Verstand zurück. Sollte Dich aber der Teufel ein zweites Mal in Versuchung führen, dann denke an das, was ich Dir jetzt sage. Du hast gelobt, mit Lichtenstein und mit andern Rittern zu kämpfen. Erschlägst Du jedoch einen schutzlosen Gefangenen und die That wird durch die Kriegsleute ruchbar, dann wird sich Dir kein Ritter mehr stellen. Und mit vollem Rechte thut er dies nicht. Gott beschütze Dich davor. An Unglück gebricht es uns wahrlich nicht, laß nicht auch noch Schande über uns kommen. Am besten ist’s, wir beraten jetzt, was uns zu thun gebührt, wie wir uns zu verhalten haben.«

»Sprecht Euch aus!« warf Zbyszko ein.

»Mein Rat ist folgender: Wohl müßte jene Natter, welche Danusias wartet, vom Erdboden vertilgt werden. Allein es ist eines Ritters nicht würdig, sich mit dem Blute eines Weibes zu beflecken, deshalb wollen wir das schändliche Weib dem Fürsten Janusz ausliefern. Unter den Augen des Fürstenpaares hat sie auf dem Jagdhofe ihre listigen Ränke gesponnen. In Masovien möge sie daher gerichtet werden, und wird sie nicht aufs Rad geflochten, dann sündigen die Ritter gegen Gottes Gerechtigkeit. Bis wir indessen ein anderes Weib zur Wartung Danusias gefunden haben, ist uns diese Schlange vonnöten. Späterhin mag man sie an den Schwanz eines Rosses binden. Uns liegt es aber nun vor allem ob, aufs schnellste in die masovischen Wälder zurückzukehren.«

»Doch nicht in diesem Augenblicke, doch nicht zur Nachtzeit. Vielleicht wird Danusias Geist morgen klarer sein. Gott gebe dies! Aber auch die Pferde müssen rasten. Mit Tagesanbruch brechen wir auf.«

Eine weitere Unterredung wurde durch Arnold von Baden unterbrochen, der, auf sein eigenes Schwert wie auf einen Pfahl gebunden, in einiger Entfernung auf dem Rücken lag und irgend etwas in seiner Muttersprache gerufen hatte. Der alte Macko erhob sich sofort und trat auf den Gefangenen zu, da er indessen unfähig war, dessen Worte zu verstehen, schaute er suchend nach Hlawa umher.

Aber der Böhme konnte nicht sofort kommen, war er doch mit etwas anderem beschäftigt. Währenddem sich die beiden Ritter am Feuer unterredeten, hatte er sich dem Weibe genähert und es mit kräftiger Hand am Genick gepackt.

»Höre, Du Hündin!« sagte er zu ihr, indem er sie wie einen Baum hin und her schüttelte, »Du begiebst Dich sofort in die Hütte und bereitest Deiner Herrin ein Lager aus Fellen. Vor allem aber kleidest Du sie wieder in ihre Gewänder und legst selbst die Lumpen an, welche Ihr der Beklagenswerten aufgezwungen habt. Verflucht seien Eure Mütter!«

Von einer steigenden Erregung fortgerissen, schüttelte er die Frau nun mit solcher Gewalt, daß deren Augen aus den Höhlen traten. Fast hätte er ihr das Genick gebrochen, doch er bezwang sich noch rechtzeitig. Für Danusia war sie jetzt noch nötig, deshalb ließ er sie frei, indem er erklärte: »Zur geeigneten Zeit werden wir den rechten Ast für Dich finden.«

Voll Schrecken umfaßte sie seine Knie, als er sie aber von sich stieß, rannte sie in die Hütte und warf sich Danusia zu Füßen.

»Schütze mich, verlaß mich nicht!« schrie sie auf.

Doch Danusia schloß langsam die Augen, während sich ihren Lippen wieder die kaum hörbaren, klagenden Worte entrangen: »Ich fürchte mich, ich fürchte mich, ich fürchte mich!«

Und wie stets, wenn sich ihr die Ordensdienerin näherte, überfiel sie auch jetzt eine Art von Erstarrung. Willenlos ließ sie sich aus- und ankleiden. Gleich einer Wachsfigur ward sie von der Dienerin auf das Lager gebettet, welche, nicht wagend, die Hütte zu verlassen, am Feuer Platz nahm.

Doch schon nach kurzer Zeit trat Hlawa ein, wandte sich zu Danusia und sagte: »Ihr seid unter Freunden, o Herrin! Deshalb schlaft ruhig im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes!«

Das Zeichen des Kreuzes machend, wandte er sich hierauf, ohne die Stimme zu erheben, damit er Danusia nicht erschrecke, zu dem Weibe.

»In Fesseln geschlagen sollst Du auf der Schwelle der Hütte liegen,« erklärte er. »Rühre Dich aber nicht, versuche nicht, Deine Herrin zu erschrecken, sonst breche ich Dir das Genick. Auf mit Dir, hinaus!«

Nach diesen Worten trieb er das Weib über die Schwelle und knebelte sie, dann erst begab er sich zu Zbyszko.

»Ich erteilte den Befehl, die Herrin mit den Gewändern zu bekleiden, welche jene Schlange sich angeeignet hat,« begann er. »Auch ein Lager ließ ich bereiten, auf dem die Herrin nun ruhig schläft. Ihr thut besser daran, fern zu bleiben, o Herr, damit die Schlafende nicht gestört wird, die Gott nach wohlthätiger Ruhe zu völligem Bewußtsein erwachen lassen möge. Doch denkt nun auch an Euch selbst, o Herr; erquickt Euch mit Speise und Trank und legt Euch dann nieder.«

»Ich lege mich auf die Schwelle der Hütte,« entgegnete Zbyszko.

»Dann bringe ich das verfluchte Weib in die Nähe des Leichnams mit den roten zottigen Haaren. Doch Ihr müßt Euch stärken, o Herr, denn Ihr habt eine lange Fahrt, eine schwere Aufgabe vor Euch.«

Unverweilt eilte er davon, um gleich darauf wieder mit kleinen Säckchen voll geräuchertem Fleisch und gedörrten Rüben zurückzukehren, die man aus dem Lager der Samogitier mit auf die Fahrt genommen hatte. Kaum kam indessen Hlawa damit zu stande, die Vorräte vor Zbyszko auszubreiten, weil ihn Macko unverzüglich zu Arnold schickte.

»Suche sorgsam auszufinden, was dieser Riese will,« gebot der alte Ritter dem Böhmen, »denn obgleich ich etliche deutsche Worte kenne, vermag ich doch nicht zu verstehen, was er sagt.«

»Ich werde ihn hierher an das Feuer bringen, o Herr, dann könnt Ihr durch mich mit ihm reden,« ließ sich nun Hlawa vernehmen.

Und seinen Gurt abnehmend, zog er diesen zwischen den Armen Arnolds hindurch und lud sich daran den Gefesselten auf den Rücken. Wohl schwankte er unter dem Gewichte des gewaltigen Ritters, doch da auch er außergewöhnliche Kraft besaß, trug er seine Last bis an das Feuer, wo er Arnold gleich einem Sack Erbsen neben Zbyszko abwarf.

»Löst mir die Bande!« rief nun der Kreuzritter.

»Das will ich thun,« antwortete Macko durch Vermittlung des Böhmen. »Allein zuerst mußt Du bei Deiner ritterlichen Ehre schwören, Dich als Gefangenen zu betrachten. Doch selbst wenn Du Dich dessen weigerst, sollst Du von dem Schwerte losgebunden, sollen die Bande von Deinen Armen genommen werden, damit Du bei uns zu sitzen vermagst. Die Fesseln an Deinen Füßen lasse ich jedoch nicht lösen, bevor wir zu Ende gesprochen haben.«

Nach diesen Worten gab Macko dem Böhmen ein Zeichen, auf das hin der Knappe sofort den Körper und die Arme des Deutschen von den Stricken befreite und ihm dann half, sich aufzurichten. Voll Hoffart blickte nun Arnold auf Macko und Zbyszko, indem er fragte: »Was seid Ihr für Leute?«

»Das wagst Du zu fragen? Was kümmert das Dich? Suche es selbst zu ergründen.«

»Viel ist mir daran gelegen, denn nur Rittern kann ich einen Eid auf meine ritterliche Ehre ablegen.«

»So schau her!« rief jetzt Macko, indem er den Mantel zurückschlug und auf seinen Rittergürtel wies.

Aufs höchste überrascht, versank der Kreuzritter in Schweigen und hub erst nach einigen Minuten wieder an: »Was soll das heißen? Und doch geht Ihr in den Wäldern auf Raub aus, und doch steht Ihr den Heiden gegen Christen bei!«

»Du lügst!« schrie Macko auf.

In den hochmütigsten, feindseligsten Ausdrücken spann sich das Gespräch weiter, ja, oftmals drohte es in Streit auszuarten. Als jedoch Macko leidenschaftlich beteuerte, der Orden selbst trage die Schuld, daß nicht ganz Litauen sich zum Christentum bekehrt habe, als er zahllose Beweise dafür vorbrachte, da verstummte Arnold abermals vor Staunen, denn die Wahrheit trat sonnenklar zu Tage, nichts ließ sich dagegen einwenden. Ganz besonders betroffen ward der Deutsche durch die Worte Mackos, welcher, das Zeichen des Kreuzes machend, ausrief: »Wer weiß, wem Ihr thatsächlich dient, wenn auch nicht alle, so doch etliche von Euch!« – hegte man doch sogar im Orden selbst den Verdacht, daß gewisse Komture mit dem Satan im Bunde seien. Keine Klage ward zwar gegen diese anhängig gemacht, wäre doch dadurch die Schande auf alle Kreuzritter gefallen, allein Arnold wußte genau, was sich die Brüder zuflüsterten, welches Gerede unter ihnen ging. Der schlicht denkende Deutsche beunruhigte sich mehr und mehr, denn schließlich ließ sich auch Macko rückhaltlos über das seltsame Gebaren Zygfryds aus, von dem ihm durch Sanderus berichtet worden war.

»Und jener Zygfryd, mit welchem Du in den Krieg gezogen bist,« fragte der alte Kämpe, »ist er vielleicht ein Diener Gottes, dient er vielleicht unserm Herrn Jesus? Hast Du nie gehört, wie er mit bösen Geistern spricht, wie er mit ihnen flüstert und zähnefletschend mit ihnen lacht?«

»Das ist wahr!« murmelte Arnold.

Da mit einem Male rief Zbyszko, in dessen Herz Zorn und Kummer wieder die Oberhand gewannen, in heftigem Tone: »Und Du sprichst von ritterlicher Ehre! Schande über Dich, der Du einem Henker, einem Sohn der Hölle Hilfe geleistet hast! Schande über Dich, der Du ruhig mit ansahst, wie man ein schutzloses Weib, die Tochter eines Ritters, gefoltert hat! Schande über Dich, der Du die Bejammernswerte vielleicht selbst gemartert hast! Schmach und Schande über Dich!«

Starr vor Staunen machte Arnold das Zeichen des Kreuzes und sagte: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Was soll dies heißen? Sprecht Ihr von jener Besessenen, in deren Kopf siebenundzwanzig Teufel nisten? Ich –«

»Wehe! Wehe!« schrie jetzt Zbyszko mit heiserer Stimme auf, indem er abermals nach dem »Misericordia« griff und drohende Blicke auf Zygfryd warf, der ganz in der Nähe im Dunkeln lag.

Mit eiserner Hand packte Macko seinen Bruderssohn, um diesen wieder zur Besinnung zu bringen. Dann wandte er sich zu Arnold mit den Worten: »Jenes junge Weib – es ist die Tochter Jurands, es ist das Ehegemahl dieses jungen Ritters. Jetzt wirst Du begreifen, weshalb wir Euch überfielen, weshalb Ihr unsere Gefangenen seid.«

»Allbarmherziger Gott! Wie ist dies möglich? Der Geist jenes Weibes ist ja gestört.«

»Weil sie die Kreuzritter raubten, wie man ein unschuldiges Lamm raubt, weil sie durch fortgesetzte Pein und Marter zu dem gemacht ward, was sie jetzt ist.«

Als Zbyszko die Worte »unschuldiges Lamm« vernahm, preßte er von Schmerz überwältigt beide Fäuste au die Lippen, während ihm große Thränen unaufhaltsam über die Wangen rollten. In tiefes Sinnen versunken, saß Arnold am Feuer, der Böhme aber schilderte ihm in kurzen Worten die Verräterei Danvelds, die Entführung Danusias, die von Jurand erlittenen Folterqualen, den Kampf mit Rotgier. Als er geendigt hatte, herrschte langes Schweigen. Nichts war zu hören als ein zeitweises Rauschen im Walde und das Knistern der Funken im Feuer.

Schließlich jedoch fuhr Arnold aus seinem Sinnen empor.

»Ich schwöre, nicht nur auf meine ritterliche Ehre, sondern auch auf das Kreuz Christi, daß ich die Entführte kaum gesehen habe, daß ich nicht wußte, wer sie ist, und daß ich niemals die Hand dazu geliehen habe, wenn ihr ein Leid angethan ward.«

»Schwöre, freiwillig mit uns zu ziehen, ohne einen Fluchtversuch zu unternehmen, dann will ich Dich von Deinen letzten Banden lösen lassen,« erklärte nun Macko.

»Es sei, wie Du sagst; ich schwöre! Wohin willst Du mich bringen?«

»Nach Masovien, zu Jurand aus Spychow.«

So sprechend, schnitt Macko selbst die Stricke, mit denen Arnolds Füße gebunden waren, entzwei und deutete auf das Fleisch, auf die Rüben. Bald darauf erhob sich Zbyszko, um sich auf die Schwelle der Hütte niederzulegen. Die Ordensdienerin befand sich nicht mehr daselbst, war sie doch von dem Gefolge mit zu dessen Platz bei den Pferden geschleppt worden. Ein von Hlawa ausgebreitetes Fell diente dem jungen Ritter zum Lager, der indessen sehnsüchtig und ohne Schlaf zu finden, auf den anbrechenden Tag harrte, hoffte er doch, daß die Ruhe eine wohlthätige Wirkung auf Danusia ausüben werde.

Der Böhme kehrte unverweilt zu dem Feuer zurück, denn ihm lastete etwas auf der Seele, worüber er mit dem alten Ritter aus Bogdaniec sprechen wollte. Nachdenklich saß dieser noch immer auf der gleichen Stelle, ohne den schnarchenden Arnold zu beachten, welcher, durch tüchtige Nahrung gestärkt, nun so fest wie ein Stein schlief.

»So seid Ihr noch immer wach, o Herr!« hub Hlawa an.

»Der Schlaf flieht mich,« antwortete Macko. »Gott schenke uns morgen einen glücklichen Tag. Der große Bär steht am Himmel,« fuhr er fort, zu den Sternen aufschauend, »und ich sinne und sinne, wie sich alles wenden wird.«

»Auch ich kann kein Auge schließen, denn die Herrin aus Zgorzelic kommt mir nicht aus den Gedanken.«

»Hei, wahrlich, ein weiteres Ungemach. Doch, sie ist ja jetzt in Spychow.«

»Gewiß ist sie in Spychow. Wir haben sie aus Zgorzelic hinweggeführt, ohne zu wissen, weshalb.«

»Sie selbst bestand darauf, mit uns zu ziehen,« lautete die ungeduldige Antwort Mackos, der nur ungern über Jagienka sprach, weil er sich ihr gegenüber schuldbewußt fühlte.

»Und wenn dem auch so ist, was soll jetzt geschehen?«

»Hei, was geschehen soll? Ich bringe sie in ihre Heimat zurück, und dann möge Gottes Wille geschehen! … Ja, Gottes Wille geschehe!« fügte er nach kurzer Pause hinzu. »Gott der Herr gebe, daß Danusia ihre Gesundheit wieder erlange, und daß wir uns, wie andre Leute auch, endlich klar darüber werden, was uns zu thun obliegt. Doch jetzt weiß dies der Teufel allein. Wie, wenn Danusia ihre Sinne nicht wieder erlangt – und wenn sie auch nicht stirbt? – Möge es der Herr Jesus zu dem einen oder zu dem andern wenden.«

Doch der Knappe dachte in diesem Augenblick nur an Jagienka.

»Seht Ihr, allergnädigster Herr,« warf er abermals ein, »als ich Spychow verließ, als ich Abschied von meiner Herrin nahm, da sprach diese also: ›Im Falle sich irgend etwas ereignen sollte, eilst Du rascher als Zbyszko, rascher als Macko hierher, denn (so sagte sie) irgend jemand müssen jene doch mit der Kunde senden, weshalb sollten sie daher Dich nicht damit betrauen? Du aber wirst mich dann nach Zgorzelic geleiten‹.«

»Hei! Das ist richtig!« entgegnete Macko. »Unerträglich wäre es für Jagienka, in Spychow zu bleiben, wenn Danusia dort eintrifft. Besser, weit besser ist’s für sie, wenn sie sofort nach Zgorzelic zurückkehrt. Tief schmerzt mich das Schicksal der Waise, schweres Leid trage ich um sie, läßt es sich aber gegen den Willen Gottes ankämpfen? Was ist zu thun? Doch höre … Du sagst, sie habe Dir befohlen, ohne auf uns zu warten, so rasch wie möglich mit der Kunde zu ihr zurück zu eilen und sie nach Zgorzelic zu geleiten?«

»Getreulich habe ich Euch berichtet, was sie mir zu thun befahl.«

»Wohlan, mache Dich vor uns auf den Weg. Dem alten Jurand muß auch die Nachricht behutsam beigebracht werden, daß seine Tochter gefunden worden ist – eine plötzliche Freude könnte ihn töten. So wahr ich Gott liebe, das muß geschehen! Begieb Dich nach Spychow, verkünde, daß wir Danusia zurückbringen und bald mit ihr eintreffen werden. Dann aber geleite Jagienka in ihre Heimat.«

Der alte Ritter seufzte tief auf. Ihm war es wehe ums Herz, doch nicht nur Jagienkas wegen, sondern auch seiner gescheiterten Pläne wegen. Allein schon nach wenigen Minuten begann er aufs neue: »Du bist ein kluger, thatkräftiger Bursche, das weiß ich, doch wirst Du im stande sein, die Waise gegen Ueberfälle, gegen Beschimpfung zu schützen? Gar leicht kann ihr auf der Fahrt allerlei zustoßen.«

»Meinen Kopf setze ich dafür zum Pfande, daß ich dazu im stande bin. Wenn etliche tüchtige Kriegsleute mit mir ziehen –und der Gebieter von Spychow wird mir sicherlich eine Anzahl zur Verfügung stellen – kann ich meine Herrin, wenn nötig, ungefährdet bis ans Ende der Welt geleiten.«

»Potz Wetter, überhebe Dich nicht in Deinem Selbstvertrauen. Vergiß auch nicht, daß Du allerorts, vornehmlich aber in Zgorzelic, ein wachsames Auge auf Wilk aus Brzozowa und auf Cztan aus Rogow haben mußt. Traun, darüber zu reden, ist ja jetzt nicht mehr von nöten. Früher mußten wir das Mägdlein bewachen, solange man noch an etwas anderes denken konnte. Jetzt aber ist keine Hoffnung vorhanden, daß jemals etwas daraus werden wird.«

»Trotzdem will ich die Herrin auch vor jenen beiden Rittern bewachen, denn das beklagenswerte Eheweib des Herrn Zbyszko atmet ja kaum noch. Das arme Wesen ist dem Tode nahe.«

»So wahr ich Gott liebe, das hat seine Richtigkeit. Das unglückliche Geschöpf hat kaum noch Leben in sich – just wie eine Tote sieht es aus.«

»Gottes Wille geschehe! Jetzt aber müssen wir vor allem an die Herrin von Zgorzelic denken.«

»Ich hätte die Verpflichtung,« warf jetzt Macko ein, »die Waise in ihre Heimat zu geleiten. Allein ich weiß mir keinen Rat. Zbyszko darf ich aus mannigfachen Gründen nicht verlassen. Du selbst hast es mitangesehen, wie er zähneknirschend auf den alten Komtur losstürzen und ihn gleich einem wilden Eber erschlagen wollte. Und wenn es so weit kommt, wie Du behauptest, wenn Danusia auf der Fahrt ihren Atem aushaucht, dann freilich kann auch ich meinen Bruderssohn nicht von einer Gewaltthat abhalten. Sicherlich wird er sich aber nicht im Zaume halten können, so ich jetzt von ihm gehe, und Schimpf und Schande wird er auf sich, auf unser ganzes Geschlecht für immer laden, was Gott verhüten möge, Amen!«

»Traun, gegen dies alles giebt es ein einfaches Mittel,« antwortete der Böhme. »Liefert mir den grausamen Henkersknecht aus, aus meinen Händen wird er nicht entkommen, vor Herrn Jurands Füße will ich ihn in Spychow werfen.«

»Gott schenke Dir Gesundheit! Hei, Du hast Verstand!« rief Macko hocherfreut. »Eine ganz einfache Sache! Eine ganz einfache Sache. Nimm Zygfryd mit Dir, und wenn Du ihn lebend nach Spychow bringst, verfahre mit ihm, wie es Dir gut dünkt.«

»Ueberlaßt mir auch jene Hündin aus Szczytno! Wenn sie sich unterwegs nicht widerspenstig erweist, nehme ich sie auch mit nach Spychow, zeigt sie sich indessen widerspenstig, dann an irgend einen Ast mit ihr.«

»Voraussichtlich wird Danusia ihre entsetzliche Angst verlieren und rascher wieder zu sich selbst kommen, wenn jene beiden ihr nicht mehr nahe sind. Doch wenn Du die Dienerin hinwegführst, was sollen wir ohne die Hilfe eines Weibes beginnen?«

»Ihr werdet doch sicherlich auf Euerem Wege durch die Wälder auf Leute stoßen, oder Flüchtlinge mit ihren Weibern antreffen. Selbst wenn Ihr der ersten besten dieser Frauen die Pflege anvertraut, wird sie sich besser dazu eignen, als diese Schlange. Mittlerweile genügt es, wenn der junge Ritter für die Kranke sorgt.«

»Heute sprichst Du noch verständiger als sonst. Auch das ist wahr. Danusia wird weit eher wieder ihre Sinne erlangen, wenn Zbyszko beständig um sie ist. Ein Vater, eine Mutter kann er für sie sein. Wir sind einig. Wann brichst Du auf?«

»Vor Tagesanbruch. Jetzt aber will ich mich zur Ruhe legen. Mitternacht wird es wohl noch nicht sein.«

»Der große Bär steht, wie ich sagte, schon am Himmel, allein das Dreieck ist noch nicht sichtbar.«

»Gott sei gepriesen, daß endlich ein Entschluß gefaßt ist, denn gar peinlich ist mir die Lage gewesen.«

So sprechend, legte sich Hlawa an das erlöschende Feuer, bedeckte sich mit einem zottigen Felle und schlief gleich darauf fest ein. Tiefe Dunkelheit herrschte noch, als er wieder erwachte, unter dem Felle hervorkroch, nach den Sternen blickte, sich tüchtig streckte und schließlich Macko weckte.

»Es ist Zeit für mich zum Aufbruch,« sagte er.

»Wohin denn, wohin denn?« fragte der alte Ritter noch halb im Schlafe, indem er die Augen mit den Fäusten rieb.

»Nach Spychow.«

»Bei meiner Treu, es ist ja wahr! Wer schnarcht denn so laut neben uns? Ein Toter könnte ja davon erwachen.«

»Der Ritter Arnold. Ich will nur einige Zweige auf die glimmenden Kohlen werfen und mich dann zu den Mannen begeben.«

Kaum hatte Hlawa sich indessen entfernt, so kehrte er raschen Schrittes wieder zurück, indem er schon von weitem so leise wie möglich rief: »Ich bringe Euch schlimme Kunde, o Herr – schlimme Kunde!«

»Was ist geschehen?« fragte Macko aufspringend.

»Die Ordensdienerin ist entflohen. Die zu dem Gefolge gehörenden Leute haben sie mit sich auf ihren Platz bei den Pferden genommen – ein Blitzstrahl treffe sie dafür – und als sie alle in festem Schlaf lagen, ist jene gleich einer Schlange zwischen ihnen hindurchgekrochen und entflohen. Kommt mit mir, o Herr!«

In großer Unruhe eilte Macko mit dem Böhmen zu den Pferden, bei denen sie jedoch nur einen von dem Gefolge antrafen, da die andern die Entflohene suchten – ein thörichtes Unternehmen, im Dickicht, bei finsterer Nacht. Gar bald kamen auch die Leute, gebeugten Hauptes, zurück. Macko verlor keine Worte, sondern schlug mit den Fäusten auf sie ein, dann kehrte er zu dem Feuer zurück, da ihm nichts anderes zu thun übrig blieb.

Schon nach wenigen Minuten kam Zbyszko von seinem Wächterposten vor der Hütte daher. Er hatte nicht schlafen können und wollte hören, was der Lärm zu bedeuten habe. Macko erzählte ihm kurz von seiner Abmachung mit dem Böhmen und von der Flucht der Dienerin.

»Das ist kein allzugroßes Unglück,« bemerkte der junge Ritter. »Entweder kommt sie in den Wäldern vor Hunger um, oder sie wird von dem ersten besten Bauern erschlagen, mit dem sie zusammentrifft, wenn sie nicht schon zuvor die Beute von Wölfen geworden ist. Nur eines beklage ich: daß sie ihrer gerechten Strafe in Spychow entgeht.«

Wenn nun auch Zbyszko bedauerte, daß das schreckliche Weib nicht die ihr gebührende Strafe erhielt, nahm er doch alles andere mit der größten Ruhe auf. Nichts lag ihm ferner, als sich dem Plane des Böhmen in betreff Zygfryds zu widersetzen, denn nur das, was mit Danusia in Zusammenhang stand, war für ihn von Bedeutung. So begann er auch jetzt sofort wieder: »Morgen werde ich sie vor mich auf mein Roß nehmen und in solcher Weise mit ihr die Fahrt zurücklegen.«

»Wie steht es mit ihr, schlummert sie?« fragte Macko.

»Zuweilen wimmert sie ein wenig, allein ich vermag nicht zu sagen, ob sie dies wachend oder schlafend thut. Längst hätte ich mich ihr genähert, wenn ich nicht fürchtete, daß sie erschrecken könnte.«

In diesem Augenblick trat Hlawa zu den Sprechenden und sagte zu Zbyszko gewendet: »Ihr seid schon wieder auf den Beinen, o Herr! Traun, nun ist’s hohe Zeit für mich! Die Pferde stehen bereit und der alte Teufel ist schon an den Sattel gebunden. Bald wird es tagen, denn gar kurze Nächte haben wir jetzt. Gott sei mit Euch, o Herr!«

»Gehe mit Gott und bleibe gesund!«

Der Böhme nahm aber nun Macko bei Seite und sprach: »Ich möchte noch eine ernste Bitte an Euch stellen. Wenn sich irgend etwas Besonderes ereignen sollte – Ihr versteht mich, o Herr – irgend ein Unglücksfall oder wie wir dies nun nennen wollen, dann sendet sofort einen Boten nach Spychow. Sollten wir uns aber nicht mehr daselbst befinden, möge er in größter Eile uns einzuholen suchen.«

»Gut, gut,« entgegnete Macko. »Merke aber auch jetzt auf das, was ich Dir sage. Geleite Jagienka nach Plock. Dort begiebst Du Dich zu dem Bischof, teilst ihm mit, wer die Maid ist, daß sie von dem Abte getauft ward, dessen letzten Willen zu ihren Gunsten er, der Bischof, in Händen habe, und bittest ihn, ihr seinen Schutz angedeihen zu lassen, wie das ja in dem Testamente ausdrücklich gewünscht werde.«

»So uns aber der Bischof befiehlt, in Plock zu bleiben?«

»Gehorche ihm in allen Dingen, folge unbedingt seinem Rate.«

»Ich thue, wie Ihr befehlt, o Herr! Mit Gott!«

»Mit Gott!«

Zweites Kapitel.

Ein kaum merkliches Lächeln umspielte Ritter Arnolds Lippen, als er am nächsten Morgen von der Flucht der Ordensdienerin hörte, allein er sagte das Gleiche wie Zbyszko, daß das Weib entweder von Wölfen überfallen oder von Litauern getötet werde. Dies war auch sehr wahrscheinlich, denn die Bewohner der litauischen Ansiedelungen haßten den Orden und alle, die mit ihm in Verbindung standen. Die Bauern waren teils zu Skirwoillo geflohen, teils hatten sie sich zusammengerottet, hatten da und dort Deutsche erschlagen und sich dann selbst mit ihren Weibern, Kindern und dem Vieh in die undurchdringlichen Wälder gerettet. Alle Nachforschungen, die seit Tagesanbruch nach der Dienerin angestellt wurden, blieben erfolglos, wenn auch vielleicht aus dem Grunde, weil Macko und Zbyszko viel zu sehr von andern Dingen in Anspruch genommen waren, um ihre Befehle mit der nötigen Strenge zu erteilen. Ihnen lag hauptsächlich daran, rasch Masovien zu erreichen, ja, sie hätten sich sogar vor Sonnenaufgang auf den Weg gemacht, wenn Danusia nicht mit Tagesanbruch in tiefen Schlummer gefallen wäre, aus dem Zbyszko sie nicht wecken wollte. Er hatte sie in der Nacht beständig wimmern hören und daraus geschlossen, daß sie nicht schlafe, jetzt aber hoffte er, der Schlummer werde eine wohlthätige Wirkung auf sie ausüben. Zweimal trat er leise in die Hütte und jedesmal bemerkte er bei dem durch die Luken dringenden Sonnenschein, daß Danusia mit geschlossenen Augen, offenem Munde und den geröteten Wangen eines fest schlafenden Kindes dalag. Eine tiefe Rührung überkam ihn. »Gott gebe Dir Ruhe und Gesundheit, Du Holdeste aller Blumen!« flüsterte er ihr unwillkürlich zu, als er das zweite Mal neben seines Weibes Lager stand, »Deine Leiden sind vorbei, Deine Thränen werden versiegen, und der allbarmherzige Herr Jesus wird Dir ein Leben verleihen, das so ruhig dahinfließt, wie die sanften Wellen eines Stromes.« Und kraft seines schlichten, edlen, Gott zugewandten Gemütes fragte sich der junge Ritter: »Wie kann ich meinen Dank erweisen, wie kann ich alles vergelten, was soll ich irgend einer Kirche weihen von meinem Hab und Gut, von meinem Korn, meinem Vieh, von dem Wachse oder von andern ähnlichen, gottgefälligen Dingen?« Gar gern würde er sofort genannt haben, was er opfern wolle, allein dann kam ihm doch auch wieder der Gedanke, er müsse zuerst das Erwachen Danusias abwarten. »Weiß ich denn,« so fragte er sich, »wie es mit ihrer Gesundheit steht, ob sie bei ihrem Erwachen bei klarem Verstande ist, weiß ich denn, ob ich für etwas zu danken haben werde?«

Obgleich Macko der Sicherheit wegen die Lande des Fürsten Janusz so rasch wie möglich erreichen wollte, stimmte er doch auch damit überein, Danusia dürfe nicht aus dem Schlafe erweckt werden, der ihr vielleicht Heilung bringen konnte. Trotzdem sich daher die Mannen bereit halten mußten, trotzdem die Saumrosse zum Aufbruche gerüstet waren, harrte der alte Ritter geduldig aus.

Als indessen Stunde auf Stunde verrann, als die Mittagszeit verstrich und Danusia noch immer schlief, bemächtigte sich aller große Unruhe. Nachdem Zbyszko unaufhörlich durch die Luken und durch die Thüre geschaut hatte, trat er zum dritten Male in die Hütte und setzte sich auf den Pflock, den die Ordensdienerin am vorhergegangenen Abend für sich an das Lager Danusias geschleppt hatte, um diese leichter umkleiden zu können.

Lange saß Zbyszko da und schaute auf die Schlafende, deren Augen fest geschlossen waren. Nach geraumer Zeit indessen – man hätte dazwischen in aller Ruhe ein Vaterunser und ein Ave Maria sagen können – bebten mit einem Male ihre Lippen und gerade als ob sie ihn durch ihre geschlossenen Augenlider sähe, flüsterte sie: »Zbyszko!« – Sofort warf er sich vor ihr auf die Knie, drückte leidenschaftliche Küsse auf ihre abgemagerten Hände und rief in herzzerreißendem Tone: »Danusia! Gelobt sei Gott! Du hast mich erkannt!« Der Laut seiner Stimme brachte sie völlig zu sich. Sie setzte sich auf und wiederholte mit weit geöffneten Augen: »Zbyszko!« Dann blickte sie blinzelnd und voll Staunen umher.

»Du bist frei, Danusia,« erklärte nun Zbyszko, »ich habe Dich den Händen der Feinde entrissen, ich bringe Dich nach Spychow.«

Doch sie entzog ihm ihre Hände und sagte: »Das alles mußte so kommen, weil uns des Vaters Zustimmung gefehlt hat. Wo ist die Herrin?«

»Komme zu Dir, meine süße Blume! Die Fürstin ist weit, weit fort von hier, wir aber haben Dich aus der Gefangenschaft befreit.«

Danusia aber flüsterte nun, gerade als ob sie nichts gehört hätte, wie in Erinnerung verloren, vor sich hin: »Sie haben mir meine Laute genommen, sie haben meine Laute an der Wand zerschellt.«

»Gott! erbarme Dich unser!« rief Zbyszko.

Jetzt erst bemerkte er, wie unstät Danusias Blick war, wie ihre Augen glänzten, ihre Wangen glühten, und sofort schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, sie müsse schwer krank sein, im Fieber habe sie zweimal seinen Namen genannt.

Sein Herz krampfte sich zusammen vor Leid und Schmerz, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. »Danusia,« hub er von neuem an, »siehst Du mich, verstehst Du mich?«

Sie aber erwiderte in demütig bittendem Tone: »Trinken! … Wasser! …«

»Barmherziger Jesus!«

Aus der Hütte eilend, stieß er mit Macko zusammen, der sich vergewissern wollte, wie es mit Danusia stehe. Er rief ihm nur das Wort »Wasser« zu und rannte an den sich ganz in der Nähe durch Moos und Gestrüpp hinschlängelnden Bach.

Schon nach wenigen Minuten kehrte er mit einem Gefäße voll Wasser zurück, das er Danusia an die Lippen setzte. Sie trank gierig. Tief betrübt beobachtete der inzwischen in die Hütte getretene alte Ritter die Kranke, indem er fragte: »Fiebert sie?«

»Sie fiebert heftig!« entgegnete Zbyszko seufzend.

»Versteht sie, was Du mit ihr sprichst?«

»Nein.«

Macko zog bedenklich die Brauen zusammen, strich sich fortwährend über Stirn und Haupt und fragte: »Was ist nun zu thun?«

»Ich weiß es nicht.«

»Da giebt es nur einen Ausweg!« hub der Ritter abermals an, wurde aber von Danusia unterbrochen, welche, nachdem sie getrunken hatte, ihre fieberglänzenden Augen auf ihn richtete und leise sagte: »Ich habe Euch ja nichts Böses gethan! Habt Erbarmen mit mir!«

»Tiefes Erbarmen fühle ich mit Dir, Kind, und nur für Dein Wohl bin ich bedacht,« antwortete der alte Ritter, sichtlich bewegt. »Höre,« wandte er sich hierauf sofort an Zbyszko, »länger hier zu verweilen hat gar keinen Zweck. Wenn der Wind um sie bläst, wenn die Sonne sie wärmt, wird sie sich vielleicht bald besser fühlen. Verliere den Kopf nicht, Bursche, sondern bette sie entweder auf ihre Tragbahre, oder nimm sie vor Dich auf den Sattel. Dann aber rasch auf den Weg! Verstehst Du mich?«

Nach diesen Worten verließ Macko die Hütte, um noch einige Befehle zu erteilen, allein schon nach wenigen Schritten blieb er wie erstarrt stehen. Eine starke Kriegsschar – mit Hellebarden und Lanzen bewaffnet – stand auf allen vier Seiten der Lichtung aufgepflanzt und umringte gleich einer Mauer die Hütte und die Teerhaufen.

»Deutsche!« murmelte Macko vor sich hin.

Entsetzen erfaßte ihn. Rasch griff er nach seinem Schwerte, biß die Zähne zusammen und stand da, einem wilden Tiere ähnlich, welches, unerwartet von Hunden gestellt, sich zu einer verzweifelten Verteidigung bereit macht. Jetzt kamen auch der riesenhafte Arnold und etliche andere Ritter hinter den Teerhaufen hervor, und unverweilt trat ersterer auf Macko zu.

»Das Glücksrad hat sich gewendet,« sagte er, »ich bin Euer Gefangener gewesen, nun seid Ihr der unsere.«

So sprechend, blickte er mit einem Hochmut auf den alten Ritter, als ob dieser ein weit unter ihm stehendes Wesen sei. Dabei war Arnold kein böser, kein grausamer Mensch, allein er war mit dem allen Kreuzrittern gemeinsamen Fehler behaftet, welche, demütig und nachgiebig im Unglück, weder ihre Verachtung für ihre Gefangenen, noch ihren grenzenlosen Stolz zu bezwingen vermochten, sobald sie eine starke Kriegsmacht hinter sich hatten.

»Ihr seid unser Gefangener,« erklärte er nach kurzem Schweigen abermals.

Der alte Ritter blickte finster darein. Kein zaghaftes, nein, ein ausnehmend tapferes Herz schlug in seiner Brust. Hätte er sich in voller Rüstung und auf seinem Streitrosse dem Feinde gegenüber befunden, wäre Zbyszko ihm nahe gewesen, hätten beide ihre Schwerter, die Streitäxte oder jene mächtigen Speere zur Hand gehabt, welche die Ritter aus Lechien so geschickt zu führen wußten, so würde er vielleicht die Mauer aus Lanzen und Hellebarden zu durchbrechen versucht haben. Denn nicht umsonst hatten fremdländische Ritter bei Wilno den Polen beinahe vorwurfsvoll zugerufen: »Ihr verachtet den Tod allzusehr.« Doch ungewappnet, allein, ohne Streitroß stand Macko vor Arnold. Als er daher sah, daß seine Begleiter entwaffnet und gefangen waren, als er Zbyszkos gedachte, der ohne Wehr und Waffe bei Danusia in der Hütte weilte, begriff er als erfahrener, kriegskundiger Kämpe sofort seine eigene Hilflosigkeit. Langsam zog er sein Schwert aus der Scheide und warf es vor die Füße des Ritters, der mit Arnold zu ihm getreten war. Jener zeigte zwar keinen geringeren Hochmut als Arnold, allein er sprach doch mit einer gewissen Zuvorkommenheit und in gutem Polnisch: »Wie ist Euer Name, o Herr? Wenn Ihr Euer Wort gebt, werde ich nicht befehlen, Euch zu binden, denn wie ich sehe, seid Ihr ein gegürteter Ritter, und Ihr habt meinen Bruder menschlich behandelt.«

»Ich gebe mein Wort!« ließ sich Macko vernehmen.

Rasch nannte er hierauf seinen Namen und fragte, ob es ihm gestattet sei, sich in die Hütte zu begeben. »Ich möchte meinen Bruderssohn vor einer unklugen Handlung warnen,« erklärte er

.

Bald darauf trug Zbyszko auf seinen Armen Danusia aus der Hütte

und verschwand nach erhaltener Erlaubnis in der Hütte, aus der er nach kurzer Zeit, ein Misericordia in der Hand, wieder zurückkehrte.

»Mein Bruderssohn hat nicht einmal ein Schwert bei sich,« sagte Macko, »und er bittet darum, bei seinem Weibe bleiben zu dürfen, bis Ihr von hier aufbrecht.«

»Dies sei ihm gewährt!« erklärte Arnolds Bruder. »Ich werde ihm Trank und Speise zusenden, denn wir machen uns nicht sofort auf den Weg. Die Leute sind ermüdet, und wir selbst bedürfen der Erquickung, der Ruhe. Erfüllt meine Bitte, o Herr, und schließt Euch uns an.«

Nach diesen Worten wandten sich alle dem Feuer zu, an dem Macko die Nacht verbracht hatte – sei es aber nun aus Hoffart oder Stolz, die Kreuzritter gingen voran, Macko mußte ihnen folgen. Doch der alte, in allen Lebenslagen erfahrene Kämpe, welcher die herkömmlichen Sitten genau kannte, fragte sofort: »Habt Ihr, o Herr, mich als Euren Gast oder als Euren Gefangenen betrachtet, als Ihr mich batet, Euch zu folgen?«

Tief beschämt blieb Arnolds Bruder stehen, indem er entgegnete: »Geht voran, o Herr.«

Unverweilt leistete der alte Ritter dieser Aufforderung Folge, da er indessen die Eigenliebe eines Mannes nicht verwunden wollte, in dessen Gewalt er sich befand, bemerkte er: »Offenbar, o Herr, sprecht Ihr nicht nur mehrere Sprachen, sondern kennt auch die höfische Sitte.«

»Wolfgang,« fragte nun Arnold, der nur wenige Worte verstand, »wovon ist die Rede, was sagt er?«

»Was sich für ihn geziemt, das sagt er!« erwiderte Wolfgang, augenscheinlich sehr geschmeichelt von Mackos Worten.

Bald saßen sie um das Feuer vereint, an das Speise und Trank gebracht ward. Die von Macko dem Deutschen erteilte Lehre war nicht in den Wind gesprochen, denn Wolfgang ließ dem alten Ritter alles zuerst reichen. Im Laufe des Gesprächs erfuhr letzterer, auf welche Weise er und Zbyszko ergriffen worden waren. Wolfgang, ein jüngerer Bruder Arnolds, sollte das Czluchowsche Fußvolk nach Gotteswerder, also demnach gegen die aufrührerischen Samogitier führen. Da er indessen von einer weit entfernten Komturei kam, war es ihm nicht gelungen, sich an dem dazu bestimmten Platze mit der Reiterei zu vereinigen. Arnold hatte auch nicht auf ihn gewartet, konnte er doch darauf rechnen, auf seinem Wege mit andern Abteilungen Fußvolkes aus den an der litauischen Grenze gelegenen Plätzen und Burgen zusammenzutreffen. Der jüngere Bruder, der einige Tage länger zur Zurücklegung seines Marsches bedurft hatte, gelangte gerade zu der Zeit in der Nähe der Waldlichtung an, als die Ordensdienerin sich auf der Flucht befand und ihn von dem Mißgeschick in Kenntnis setzte, von dem Arnold betroffen worden war. Dieser bat, jetzt auch ihm alles auf Deutsch zu wiederholen, dann lachte er befriedigt auf, indem er erklärte, auf einen solchen Ausgang habe er gehofft.

Der schlaue Macko aber, der, wenn er sich auch in einer Klemme befand, stets darauf ausging, seinen Vorteil zu wahren, suchte die beiden Deutschen für sich zu gewinnen und sprach also: »Schlimm ist es für einen jeden, in Gefangenschaft zu fallen, doch ich danke Gott, daß er mich in Eure und nicht in andere Hände gegeben hat, denn wahrlich, Ihr seid echte Ritter, Ihr haltet auf Ehre.«

Wohl drückte Wolfgang die Augen zu und schüttelte abwehrend das Haupt, doch auf seinem Antlitz spiegelte sich hohe Zufriedenheit. Und Macko hub von neuem an: »Wie gut Ihr auch unsere Sprache kennt! Gott hat Euch, das sehe ich, für alles Verstand verliehen.«

»Ich spreche Eure Sprache, weil man in Czluchow Polnisch redet, und seit sieben Jahren dienen der Bruder und ich dort unter dem Komtur.«

»Und mit der Zeit, in nicht gar zu langer Zeit, geht dessen Würde auf Euch über. Es kann nicht anders sein. Doch Euer Bruder spricht unsere Sprache nicht, wie Ihr sie sprecht.«

»Er spricht sie nicht, verstehen aber kann er gar manches. An Kraft und Stärke ist mir der Bruder weit überlegen, obgleich ich selbst kein Schwächling bin, an Verstand und Klugheit aber kommt er mir nicht gleich.«

»Hei, durchaus nicht thöricht scheint er mir zu sein!« erklärte jetzt Macko.

»Wolfgang, was sagt er?« fragte Arnold abermals.

»Dein Lob verkündet er,« antwortete Wolfgang.

»Ich preise ihn,« ergriff Macko von neuem das Wort, »denn er ist ein echter Ritter, und das ist die Hauptsache. Ihr dürft mir glauben, noch heute wollte ich ihn auf sein Wort hin freilassen und ihm gestatten, an irgend einen Ort nach seiner Wahl, ja, selbst so weit in die Ferne zu ziehen, daß zu seiner Rückkehr ein Jahr erforderlich wäre. So müßten alle gegürteten Ritter handeln.«

Bei diesen Worten blickte Macko prüfend auf Wolfgang, dieser aber runzelte die Stirn und sagte: »Ich würde Euch vielleicht auch auf Euer Wort freilassen, wenn Ihr nicht den Heidenhunden gegen uns geholfen hättet.«

»Darin täuscht Ihr Euch,« entgegnete Macko.

Und abermals entspann sich ein heftiger Wortwechsel, wie am Tage zuvor mit Arnold. Obgleich nun das Recht auf der Seite Mackos war, hatte er doch dem seinem älteren Bruder an Klugheit überlegenen Wolfgang gegenüber einen sehr schweren Stand. Die Auseinandersetzungen hatten indessen den Vorteil, daß auch der jüngere Bruder von den in Szczytno verübten Schandtaten Kunde erhielt, daß er von der meineidigen Verräterei, von dem unglückseligen Geschick Danusias hörte. Kein Wort der Erwiderung fand er, als ihm der alte Ritter die begangenen Nichtswürdigkeiten enthüllte. Wie sehr er sich auch anfänglich dagegen sträubte, er mußte schließlich die gerechte Sache seiner Feinde anerkennen, er mußte zugestehen, daß die polnischen Ritter allen Grund hatten, Rache zu üben, so zu handeln, wie sie handelten.

»Bei den heiligen Gebeinen des Liborius,« erklärte daher Wolfgang, »ich hege kein Mitleid mit Danveld. Man sagte von ihm, er habe sich der Schwarzkunst ergeben, allein die Macht und die Gerechtigkeit Gottes sind gewaltiger als die schwarze Magie! Zygfryd ist vielleicht auch ein Knecht des Teufels, ich vermag keine Entscheidung darüber zu treffen. Zu seiner Befreiung unternehme ich jedoch nichts, denn erstens untersteht mir die Reiterei nicht, und zweitens soll er in die Hölle kommen, wenn er, wie Ihr behauptet, jenes Mägdlein gemartert hat. Gott stehe mir bei, jetzt und in meiner Todesstunde!« fügte er, sich streckend und dehnend, hinzu.

»Wie ist es aber mit jener unglücklichen Märtyrerin? Was soll mit ihr geschehen?« fragte Macko. »Wollt Ihr nicht die Erlaubnis erteilen, daß sie nach Spychow gebracht werde? Wenn sie in Euren Kerkern stürbe? denkt an den Zorn Gottes!«

»Macht mit dem Weibe, was Ihr wollt!« antwortete Wolfgang kurz, »Möge einer von Euch es zu seinem Vater bringen, wenn er sich verpflichtet, wieder zurückzukehren. Euch beide gebe ich aber nicht frei.«

»Wenn ich aber, traun, auf meine Ehre, auf den Speer des heiligen Georg schwöre?«

Wolfgang schaute unschlüssig darein, denn ein solcher Schwur war von großer Bedeutung, allein in diesem Augenblicke fragte ihn Arnold zum drittenmale: »Was sagt der alte Ritter?«

Kaum vernahm jener jedoch, um was es sich handelte, so widersetzte er sich leidenschaftlich und entschieden der Freilassung beider Ritter, durch deren Gefangennahme er für sich selbst Rettung erhoffte. In einer großen Schlacht hatte ihn Skirwoillo besiegt, im Kampfe mit den polnischen Rittern war er unterlegen. Als Krieger wußte er ganz genau, daß sein Bruder das Fußvolk nach Marienburg zurückführen mußte, denn wenn dieser den Marsch nach Gotteswerder fortsetzte, so wäre eine solche That nach der Vernichtung der vorangezogenen Heerschar gleichbedeutend mit der Hinschlachtung der Mannen gewesen. Arnold war sich folglich ganz klar darüber, daß er sich vor dem Großmeister und dem Marschall zu verantworten haben werde, konnte er aber wenigstens einen namhaften Gefangenen aufweisen, dann, so glaubte er, werde sein Urteil milder ausfallen. Was sollte es ihm aber nützen, von zwei Gefangenen zu erzählen, wenn er nicht einmal einen gefangenen Ritter vorführen konnte?

Als Macko das wilde Geschrei, die lauten Flüche Arnolds vernahm, begriff er sofort, daß er sich mit dem zufrieden geben müsse, was ihm angeboten worden war, und so sagte er zu Wolfgang gewendet: »Ich bitte Euch noch um eines, o Herr! Wohl wird mein Bruderssohn einsehen, was ihm obliegt, dessen bin ich gewiß. Er muß bei seinem Weibe bleiben und ich bei Euch. Nichtsdestoweniger erlaubt mir, ihm darzuthun, daß jede Verhandlung darüber unnütz ist, weil Euer Entschluß feststeht.«

»Gut, damit bin ich einverstanden,« erklärte Wolfgang. »Vor allem ist mir jedoch an der Festsetzung des Lösegeldes gelegen, das Euer Bruderssohn für sich und für Euch mitbringen soll, darauf kommt es besonders an.«

»Auf das Lösegeld?« fragte Macko, bestrebt diese Besprechung hinauszuschieben. »Haben wir denn nicht genug Zeit vor uns, um uns darüber zu verständigen? Das Wort eines gegürteten Ritters gilt meines Erachtens so viel wie Geld, und was die Höhe des Lösegeldes anbelangt, so müssen wir dies mit unserm Gewissen abmachen. Vor Gotteswerder machten wir einen Eurer namhaftesten Ritter zum Gefangenen, einen gewissen Herrn de Lorche, und mein Bruderssohn, der ihn selbst gefangen genommen hat, gab ihm auf sein Wort die Freiheit wieder und erwähnte nicht einmal den Betrag des Lösegeldes.«

»Nahmt Ihr Herrn de Lorche gefangen?« fragte Wolfgang eifrig. »Ich kenne ihn. Er ist ein reicher, angesehener Ritter. Doch wieso sind wir nicht mit ihm zusammengetroffen?«

»Weil er augenscheinlich gen Gotteswerder oder gen Ragneta gezogen ist,« entgegnete Macko.

»Ja, er stammt aus einer reichen, angesehenen Familie,« ergriff Wolfgang von neuem das Wort. »Da habt Ihr einen guten Fang gethan. Gern höre ich dies, denn nicht für das erste Beste werde ich Euch nun freilassen.«

Macko biß sich auf die Lippen, warf aber trotzdem stolz den Kopf zurück und sagte: »Wir wissen ganz genau selbst, was wir wert sind.«

»Um so besser,« antwortete Wolfgang von Baden.

Gleich darauf fügte er indessen hinzu: »Um so besser! Ich spreche hier freilich nicht von uns, denn wir sind demütige Mönche, welche Armut gelobt haben, ich spreche von dem Orden, der Euer Geld zum Ruhme Gottes verwenden wird.«

Darauf erteilte Macko keine Antwort. Er warf Wolfgang nur einen Blick zu, wie wenn er sagen wolle: »Rede dies jemand anderem vor«, und unverweilt begann man über die Bedingungen zu beraten. Der alte Ritter befand sich in einer äußerst schwierigen Lage. Einerseits scheute er jeden Verlust, andererseits wollte er weder Zbyszko noch sich selbst zu gering schätzen lassen. Seine Furcht, den kürzeren zu ziehen, war um so berechtigter, als Wolfgang, trotz seines zuvorkommenden Wesens, sich höchst geldgierig und hartherzig erwies. Der einzige Trost für Macko war der Gedanke, daß das Lösegeld von de Lorche für alles hinreichen werde, allein gleichzeitig schmerzte ihn auch die vergebliche Hoffnung auf Gewinn. Auf ein Lösegeld für Zygfryd durfte er nicht rechnen, denn seiner Ansicht nach verzichtete weder Jurand noch Zbyszko um irgend welchen Preis auf das Recht, das Urteil über den alten Komtur zu fällen.

Erst nach längerer Beratung wurde eine Einigung über die Höhe des Lösegeldes und über den Zeitpunkt der Auszahlung erzielt, kaum hatte sich jedoch der alte Ritter vergewissert, wie viele Mannen und wie viele Pferde Zbyszko mit sich nehmen dürfe, so eilte er zu diesem, um ihn, wohl aus Furcht, die Deutschen könnten wieder andern Sinnes werden, zu einem sofortigen Aufbruch zu veranlassen.

»So geht es eben im Ritterstande,« bemerkte er seufzend, »gestern hattest Du sie beim Schopfe, heute haben sie Dich. Bei meiner Treu, gar schwer wird’s uns gemacht, doch Gott gebe, daß auch wir wieder einmal an die Reihe kommen. Du darfst jetzt keine Zeit verlieren. Wenn Du Dich beeilst, wirst Du Hlawa einholen, und in größerer Sicherheit werdet Ihr gemeinsam dahinziehen. Habt Ihr aber erst die Wälder hinter Euch, habt Ihr die bewohnten Gefilde Masoviens erreicht, dann werdet Ihr bei jedem Edelmann, bei jedem Bauernvogt gastliche Aufnahme und Unterstützung finden. Selbst einem Fremden gewährt man bei uns Hilfe, gewiß also einem der Unsrigen! Vielleicht wird auch dies arme Weib auf der Fahrt Heilung finden.«

So sprechend, schaute er auf Danusia, die, wie in einem Halbschlafe befangen, laut und rasch atmete. Ihre auf dem dunkeln Bärenfelle ruhenden Hände zitterten wie im Fieber. Macko machte das Zeichen des Kreuzes über sie und sagte: »Hei, nimm sie und mache Dich auf den Weg! Möge ihr Gott gnädig sein, denn wie mich dünkt, schweben die Schatten des Todes über ihr.«

»Sprecht dies nicht aus!« schrie Zbyszko verzweifelt auf.

»Gott ist allmächtig! Ich werde die Pferde satteln lassen. Halte Dich also bereit.«

Aus der Hütte tretend, beeilte sich Macko, alles für die Fahrt vorzubereiten. Die Zbyszko von Zawisza geschenkten Türken führten die Pferde vor, an deren Sattel die Tragbahre befestigt war, und Wit, einer der Mannen aus des jungen Ritters Gefolge, brachte dessen aufgezäumtes Roß herbei.

Bald darauf trug Zbyszko auf seinen Armen Danusia aus der Hütte. Dieser Anblick war ein so rührender, daß Arnold und Wolfgang von Baden, die, von Neugierde getrieben, herzugekommen waren, sich wechselseitig bedeutsam anschauten und von Ingrimm gegen die Urheber eines solchen Jammers erfaßt wurden, als sie Danusia sahen mit ihrer kindlichen Gestalt, ihrem Gesichte, das dem Antlitz einer Heiligen auf irgend einem Kirchenbilde glich, als sie die Schwäche der Beklagenswerten bemerkten, deren Köpfchen schwer auf Zbyszkos Schulter ruhte. »Das Herz eines Henkersknechtes, nicht das eines Ritters hat Zygfryd,« flüsterte Wolfgang dem Bruder zu, »und wenn auch jenes verruchte Weib, jene Schlange, zu Deiner Rettung beigetragen hat, werde ich sie doch mit Ruten auspeitschen lassen.« Beide waren auch tief bewegt davon, daß Zbyszko sein Weib auf den Armen trug, wie eine Mutter ihr Kind trägt, und sie hatten Verständnis für seine große Liebe, denn jugendfrisches Blut floß in ihren Adern.

Zbyszko stand eine Weile zögernd da. Er wußte nicht recht, ob er sein krankes Weib vor sich auf den Sattel nehmen, oder ob er es auf die Tragbahre niederlegen solle. Schließlich entschied er sich für das letztere, von dem Gedanken ausgehend, Danusia könne nur bei äußerster Schonung die Fahrt überstehen. Rasch näherte er sich hierauf seinem Ohm und beugte sich nieder, um dessen Hand zum Abschied zu küssen. Obwohl nun Macko vor den Deutschen gern seine Erregung verborgen hätte, vermochte er sich doch nicht zu bezwingen, sondern nahm Zbyszko in seine Arme und preßte seine Lippen auf dessen üppige goldblonde Haare.

»Gott sei mit Dir!« sagte er. »Vergiß nicht des alten Mannes, denn Gefangenschaft ist ein gar hartes Los.«

»Ich werde Euer stets gedenken,« antwortete Zbyszko.

»Möge Dir die heilige Mutter Gottes Trost gewähren.«

»Gott lohne Euch für diese Worte, und für alles, was Ihr mir gethan.«

Schon nach wenigen Minuten saß Zbyszko zu Pferde. Dem alten Ritter schien aber ein neuer Gedanke gekommen zu sein, denn er sprang auf seinen Bruderssohn zu, und, seine Hand auf dessen Knie legend, sagte er: »Höre! Wenn Du Hlawa einholst, siehe zu, daß Du Dich Zygfryd gegenüber im Zaume hältst, damit Du nicht auf Dich, damit Du nicht auf meine grauen Haare Schande häufst. Jurand mag richten – ihm überlasse die Rache! Schwöre mir dies auf Dein Schwert und auf Deine Ehre.«

»So lange Ihr nicht frei seid, darf auch Jurand nicht gegen Zygfryd vorgehen, damit sich die Deutschen, Zygfryds wegen, nicht an Euch rächen,« entgegnete Zbyszko.

»Liegt Dir mein Geschick so sehr am Herzen?«

Da lächelte der junge Ritter traurig und meinte: »Ihr solltet mich doch kennen!«

»Zögere nicht mehr, ziehe mit Gott und in Gesundheit dahin.«

Die Pferde setzten sich in Bewegung, und bald waren alle hinter dem dichten Gestrüppe des Waldes verschwunden. Mit einem qualvollen Gefühle der Vereinsamung blieb Macko zurück, hing er doch mit allen Fibern des Herzens an seinem Bruderssohn, auf dem das Geschick des ganzen Geschlechtes beruhte. Allein bald überwand er seinen Kummer, bald ward er wieder Herr seiner selbst.

»Gott sei gepriesen, daß nicht Zbyszko, sondern ich der Gefangene bin,« dachte er bei sich, und sich zu den Deutschen wendend, fragte er: »Und wann gedenkt Ihr aufzubrechen, Ihr Herren, und wohin wollt Ihr Euch wenden?«

»Wir brechen auf, wann es uns beliebt,« antwortete Wolfgang, »und wir ziehen nach Marienburg, wo Ihr, o Herr, Euch zunächst vor dem Großmeister zu verantworten haben werdet.«

»Hei, ich muß wohl mit meinem Kopfe dafür büßen, daß ich den Samogitiern beigestanden habe,« sagte sich Macko.

Dabei gewährte ihm aber ebensowohl der Gedanke an de Lorche einigen Trost, wie die Ueberzeugung, daß ihn Arnold und Wolfgang von Baden schon allein wegen des Lösegeldes schützen würden.

»Doch traun, wenn ich zu Grunde gehe,« dachte der alte Kämpe bei sich, »dann fällt für Zbyszko die Verpflichtung hinweg, sich wieder zu stellen, sich selbst an seinem Eigentum zu schädigen.«

Und auch dieses Erwägen verursachte ihm eine gewisse Erleichterung.

Drittes Kapitel.

Zbyszko vermochte seinen Knappen nicht einzuholen, denn Hlawa gönnte sich weder Tag noch Nacht Ruhe und rastete nur so lange, als es unbedingt nötig war, damit die Pferde nicht verendeten, welche dadurch, daß sie nur Gras zu fressen bekamen, immer kraftloser wurden und nicht so rasch vorwärts zu kommen vermochten, wie in den Gebieten, in denen sie mit Hafer gefüttert werden konnten. Ebensowenig aber, wie der Böhme sich selbst schonte, ebensowenig nahm er Rücksicht auf das vorgerückte Alter oder auf den Schwächezustand Zygfryds. Der bejahrte Kreuzritter litt entsetzlich, denn der gewaltige Macko hatte ihm bei dem Ueberfalle gehörig zugesetzt. Am meisten peinigten ihn aber die in den sumpfigen Wäldern schwärmenden Fliegen, deren er sich nicht zu erwehren vermochte, da seine Hände gefesselt und seine Beine unter dem Bauche des Pferdes festgebunden waren. Der Knappe erdachte freilich keine neue Marter für ihn, allein jedes Mitleid für Zygfryd fehlte ihm, und er ließ dessen Rechte nur dann von den Banden befreien, wenn zur Essenszeit Halt gemacht ward. »Friß mit Deinem Wolfsmaul, damit ich Dich lebendig zu dem Gebieter von Spychow bringen kann,« so lauteten die Worte, mit denen Hlawa den Kreuzritter zum Essen zu ermuntern pflegte. Gleich bei Beginn der Fahrt hatte Zygfryd sich entschlossen, den Hungertod zu sterben, als jedoch der Böhme erklärte, er werde ihm die Zähne mit einem Messer auseinander brechen und ihm mit Gewalt Nahrung zuführen lassen, da gab der Komtur den Vorsatz auf, damit in ihm nicht die ritterliche Ehre, die Würde des Ordens beschimpft werde.

Hlawa setzte alles daran, vor dem jungen Ritter nach Spychow zu gelangen, wollte er doch seine angebetete Herrin vor dem für sie peinlichen Zusammentreffen mit Danusia bewahren. Wenn er auch nur ein schlichter Edelmann war, begriff er bei seiner Klugheit und bei seiner Kenntnis der ritterlichen Sitte gleichwohl, wie demütigend für Jagienka ein Zusammensein mit Zbyszkos Weib in Spychow sein müsse. »Wir können ja dem Bischof aus Plock sagen, der alte Ritter aus Bogdaniec sei als Schützer des Mägdleins bestellt worden und habe es deshalb mit sich genommen, verlautet es aber erst, die Herrin stehe unter der Obhut des Bischofs und es falle ihr außer Zgorzelic auch noch von seiten des Abtes eine beträchtliche Erbschaft zu, dann wird wohl selbst eines Wojwoden Sohn sich nicht zu hoch für sie dünken.« Diese Erwägung gewährte ihm immerhin etwas Trost auf der beschwerlichen, langen Fahrt und schwächte die ihn quälende Empfindung einigermaßen ab, daß die frohe Kunde, welche er nach Spychow bringen solle, für seine Herrin Unheil bedeute.

Und wenn er dann auch gar noch die Tochter der Sieciechowa im Geiste vor sich sah, wenn er sie vor sich sah mit Wangen so rot wie ein Apfel, dann drückte er die Sporen in die Flanken seines Rosses und trieb es selbst auf dem unwegsamsten Pfade zur Eile an.

Aufs Geratewohl, auf dem ersten besten Wege rückten sie vor, manchmal ging’s auch mitten durch den Wald, immer vorwärts, immer geradeaus, wie der Strich beim Mähen mit der Sichel. Der Böhme wußte nur, daß wenn er sich stets einmal ein wenig westlich und dann wieder ein wenig südlich halte, er schließlich Masovien erreichen werde, und daß sich dann alles zum Guten gestalten müsse. Tagsüber richtete er sich nach dem Stande der Sonne, des Nachts sah er nach den Sternen. Zuweilen dünkte ihn, die Waldwildnis nehme kein Ende, habe keine Grenzen. Die Tage waren häufig so düster, daß sie den Nächten glichen. Mehr als einmal sagte sich Hlawa, der junge Ritter könne unmöglich sein Weib lebend durch diese menschenleere Wildnis bringen, wo nirgends Nahrung zu finden war, wo man des Nachts die Pferde vor Bären und Wölfen schützen mußte, wo man bei Tage von Büffel- und Bison-Herden vom Wege vertrieben ward, wo grausenerregende wilde Eber ihre krummen Hauer an Fichtenstämmen wetzten, und wo ein jeder, welcher nicht durch einen Pfeilschuß oder durch einen Speerstoß ein gesprenkeltes Rehkalb oder ein junges Wildschwein erlegte, auf Tage hinaus ohne Speise blieb.

»Was wird er beginnen?« fragte sich Hlawa. »Wie kann er mit dem zu Tode gemarterten, in den letzten Zügen liegenden Weibe die Fahrt vollenden?«

Immer von neuem mußte der Böhme mit seinen Begleitern breite Moräste oder tiefe Schluchten umreiten, aus denen wilde, durch die heftigen Frühjahrsregen angeschwollene Bäche hervorschossen. In diesen Wäldern mangelte es auch nicht an Seen, auf denen bei Sonnenuntergang ganze Rudel von Elentieren und Rehen auf dem rötlich gefärbten, stillen Gewässer umherschwammen. Zeitweise bemerkte Hlawa auch aufsteigenden Rauch, ein Zeichen, daß er sich nicht weit von menschlichen Behausungen befinden konnte. Sobald er sich indessen diesen Waldansiedelungen nähern wollte, stürzten ihm wildaussehende Mannen entgegen, die Felle auf dem bloßen Leib trugen, mit Bogen und Keulen bewaffnet waren und unter den zottigen Pelzen so drohend hervorschauten, daß sie Wärwölfen glichen, und daß die Begleiter Hlawas, das Staunen jener über den unerwarteten Anblick der Reiter benutzend, es sich angelegen sein ließen, so rasch wie möglich aus deren Bereich zu kommen.

Zweimal zischten die Pfeile dicht hinter dem Böhmen und immer wieder tönte der Ruf an sein Ohr »Wokili« (Deutsche), doch er zog die Flucht jeder Erklärung vor, wer er sei. Endlich, nach Verlauf vieler, vieler Tage glaubte er die Grenze überschritten zu haben, aber erst durch polnisch sprechende Jäger erhielt er die Gewißheit, daß er sich auf masovischer Erde befand.

Von jetzt an kam er rascher vorwärts, trotzdem das ganze östliche Masovien eine Wüstenei war. Bewohnte Plätze blieben auch nun eine Seltenheit, allein erreichte Hlawa da und dort eine Ansiedelung, so zeigten sich die Bewohner durchaus nicht unzugänglich – einesteils vielleicht deshalb, weil sie weniger von dem Feinde gelitten hatten, andernteils wohl aus dem Grunde, weil der Böhme sich ihnen verständlich machen konnte. Lästig fiel nur die unersättliche Neugierde der Leute, welche, die Reiter umringend, mit Fragen nicht müde wurden und stets, sobald sie erfuhren, daß der Gefangene ein Kreuzritter sei, zu sagen pflegten: »Ueberlaßt ihn uns, o Herr, wir wollen die Strafe an ihm vollziehen.«

Und so hartnäckig bestanden sie auf ihrem Verlangen, daß der Böhme häufig aufbegehren mußte und sich zu der Erklärung genötigt sah, er überbringe den Gefangenen dem Fürsten Janusz. Erst dann wurde er nicht weiter bedrängt. Kaum gelangte er indessen in eine bewohntere Gegend, so hatte er sich gegen Edelleute und Bauern zu wehren. Der Haß gegen den Orden loderte dort in hellen Flammen auf, denn allenthalben wurde die Erinnerung an die Treulosigkeit der Kreuzritter wach, welche in Friedenszeiten den Fürsten in Zlotorya überfallen und ihn zum Gefangenen gemacht hatten. Wohl verlangte keiner, die Strafe an Zygfryd vollziehen zu dürfen, allein der oder jener kühne Edelmann meinte: »Löst ihn von seinen Fesseln. Ich will ihm ein Schwert geben und ihn auf Tod und Leben in die Schranken fordern.« Einem jeden suchte daher der Böhme immer von neuem die Ueberzeugung beizubringen, die Rache müsse dem unglücklichen Gebieter von Spychow überlassen werden, keinem Menschen stehe es zu, Jurand dieses Rechtes zu berauben.

Die Fahrt ging indessen jetzt leichter von statten, kam man doch auf gebahntere Wege und konnten die Pferde doch mit Hafer und Gerste gefüttert werden. Hlawa trieb auch zu immer größerer Eile an, es wurde kaum irgendwo Halt gemacht, und zehn Tage vor dem Fronleichnamsfeste ward Spychow erreicht.

Gegen Abend langte der Böhme an seinem Ziele an, gerade wie einst, als ihn Macko von Szczytno aus mit der Kunde zurückgeschickt hatte, daß er, der alte Ritter, nach Samogitien ziehe, und gerade wie damals erschaute Jagienka den Knappen von ihrem Fenster aus und stürzte ihm entgegen. Er aber, geraume Zeit unfähig, ein Wort hervorzubringen, warf sich ihr zu Füßen. Allein sie hob ihn rasch empor und gebot ihm, ihr unverweilt in die Burg zu folgen, denn es widerstrebte ihr, ihn vor seinen Begleitern auszufragen.

»Was hast Du Neues zu berichten?« begann sie dann sofort, mühsam Atem holend und vor Erregung zitternd. »Sind sie am Leben, sind sie gesund?«

»Sie sind am Leben und sind gesund.«

»Und jene – hat man sie gefunden?«

»Sie ist gefunden – sie ist befreit.«

»Gelobt sei Jesus Christus!«

Allein trotz dieser Worte nahmen Jagienkas Gesichtszüge plötzlich einen völlig starren Ausdruck an, zerfiel doch das, was sie erhofft hatte, in Staub und Asche. Nichtsdestoweniger hielt sie sich aufrecht, verlor sie keinen Augenblick die Geistesgegenwart, ja, schon nach wenigen Minuten hatte sie wieder vollständig die Herrschaft über sich gewonnen und fragte abermals: »Wann werden sie hier eintreffen?«

»In einigen Tagen. Es ist schwer, eine solche Fahrt mit einem kranken Weibe zurückzulegen.«

»Ist sie krank?«

»Sie ist gar grausam behandelt worden. Durch all das, was sie erduldete, hat ihr Geist gelitten.«

»Barmherziger Jesus!«

Ein kurzes Schweigen trat nun ein, nur Jagienkas bleiche Lippen bewegten sich wie im Gebete. Endlich hub letztere von neuem an: »Und kam sie durch Zbyszkos Anwesenheit nicht wieder zum Bewußtsein?«

»Das mag wohl sein, doch ich weiß darüber nichts. Ich machte mich so rasch wie möglich auf den Weg, denn ich wollte Euch, o meine Herrin, rechtzeitig von der Ankunft des jungen Ritters mit seinem Weibe unterrichten.«

»Gott lohne Dir. Erzähle mir jetzt alles genau.«

In kurzen Worten berichtete nun der Böhme alles, was er über die Befreiung Danusias, über die Gefangennahme des riesenhaften Arnold und Zygfryds wußte und erklärte schließlich, er habe Zygfryd nur deshalb nach Spychow gebracht, weil der junge Ritter diesen der Rache Jurands überlassen wolle.

»Ich muß mich jetzt zu Jurand begeben,« bemerkte Jagienka, nachdem Hlawa zu Ende gekommen war.

Doch der Knappe blieb nicht lange allein. Kaum hatte sich Jagienka entfernt, so kam Anielka aus einem der Gelasse zu ihm herbeigestürzt, und er, sei es nun, daß er durch die erlittenen Beschwerden und Mühseligkeiten nicht mehr Herr seiner selbst blieb, sei es, daß ihn die Sehnsucht beim Anblick der Maid übermannte, genug, er umfaßte sie, preßte sie an seine Brust und küßte sie in einer Weise auf Wangen, Lippen und Augen, als ob er ihr schon längst seine Liebe gestanden hätte.

Vielleicht hatte er dies auch im Geiste auf seiner langen Fahrt gethan, denn er küßte sie ohne Unterlaß, er preßte sie mit solcher Macht an sich, daß ihr der Atem zu stocken drohte; sie aber wehrte sich nicht, ward sie doch nicht nur von Staunen, sondern auch von einer solchen Schwäche ergriffen, daß sie zu Boden gestürzt wäre, wenn weniger kraftvolle Arme sie umschlungen gehalten hätten. Zum Glücke wurden sie aber bald wieder aus ihrer Weltvergessenheit gerissen, denn von der Treppe her ertönten Schritte, und gleich darauf trat Pater Kaleb über die Schwelle.

Die Liebenden trennten sich rasch. Schwer atmend, vermochte Hlawa kaum zu sprechen und all die Fragen zu beantworten, mit denen Pater Kaleb ihn bestürmte, letzterer jedoch glaubte, die Erregung des Böhmen auf die überstandenen Strapazen zurückführen zu müssen, und kaum hatte er die Bestätigung der Kunde erhalten, daß Danusia gefunden und befreit sei, so fiel er auf die Knie nieder, um Gott dafür zu danken. Inzwischen kühlte sich das erhitzte Blut Hlawas wieder etwas ab, und er vermochte sich so weit zu beherrschen, daß er dem sich von seinen Knien erhebenden Priester ruhig und ausführlich die Errettung Danusias schildern konnte.

»Gott errettete sie nicht deshalb aus der Gefahr,« ergriff schließlich der Priester das Wort, »damit ihr Geist umnachtet, damit sie dunkeln Mächten anheimgegeben bleibe. Jurand wird seine gesegneten Hände auf sie legen und mittelst eines einzigen Gebetes ihr Gesunden, ihre Geistesklarheit erflehen.«

»Der Ritter Jurand?« fragte der Böhme voll Staunen. »Steht ihm eine solche Kraft zu? Kann er denn schon hienieden heilig gesprochen werden?«

»Vor Gott dem Herrn ist er jetzt schon, während seines Lebens, ein Heiliger, und nach seinem Tode werden die Menschen einen Schutzheiligen – einen Märtyrer mehr im Himmel haben.«

»Ihr sagtet aber, ehrwürdiger Vater, der Gebieter von Spychow werde seine Hände auf das Haupt der Tochter legen. Ist ihm die Rechte wieder gewachsen? Ich weiß ja, daß Ihr diese Bitte an den Herrn Jesus gerichtet habt.«

»Ich sagte ›die Hände‹, weil dies so gebräuchlich ist,« antwortete Pater Kaleb, »doch, durch die göttliche Gnade, genügt auch eine Hand Jurands.«

»Sicherlich!« entgegnete Hlawa.

In dem Ton seiner Stimme kennzeichnete sich indessen eine gewisse Enttäuschung, hatte er doch geglaubt, ein sichtbares Wunder habe sich ereignet. Jede weitere Bemerkung seinerseits wurde aber durch den Eintritt Jagienkas vereitelt.

»Ich habe ihm die Kunde so behutsam wie möglich mitgeteilt,« erklärte sie, »damit ihn die plötzliche Freude nicht töte. Nun liegt er mit ausgebreiteten Armen, in Kreuzesform, auf der Erde und betet.«

»Auch sonst liegt er ganze Nächte hindurch auf solche Weise im Gebete,« bemerkte Pater Kaleb, »jetzt wird er sich aber wohl kaum vor dem morgigen Tage erheben.«

Und so geschah es in der That. Wie oft man auch nach Jurand schaute, stets fand man ihn in der gleichen Stellung liegend, nicht schlafend, nein, tief in sein Gebet versenkt, alles um sich her vergessend. Der Wächter, welcher von der Burgwarte aus das Land umher überschaute und, der Gewohnheit gemäß, über Spychow wachte, erklärte späterhin, er habe in jener Nacht eine gar seltsame, glänzende Helle in dem Gemache seines Gebieters wahrgenommen.

Erst am nächsten Morgen, geraume Zeit nach der Mette, bedeutete Jurand der abermals nach ihm schauenden Jagienka, daß man Hlawa, sowie den Gefangenen vor ihn bringen solle. Sofort wurde Zygfryd, dessen Hände kreuzweise auf seiner Brust zusammengebunden waren, aus dem Kerker geholt und zu Jurand geführt, zu dem sich nun auch alle andern, mit Tolima an der Spitze, eilig begaben.

Im ersten Augenblick konnte der Böhme den Gebieter von Spychow nicht wahrnehmen, denn abgesehen davon, daß die aus ölgetränktem Papier bestehenden Fenster wenig Licht einließen, war auch der Tag sehr trübe, da schwere, einen nahen Sturm verkündende Wolken am Himmel hingen. Kaum hatten sich indessen seine scharfen Augen an die Dunkelheit gewöhnt, so staunte er über die abermalige Veränderung, die mit dem ehemals schreckenerregenden Ritter vorgegangen war. Nichts mehr an ihm erinnerte an den früheren Hünen, ein zum Skelett abgemagerter Greis saß vor ihm, mit schneeweißem Haupt- und Barthaar und mit solch bleichem Antlitz, daß er einem Toten glich, als er sich, mit geschlossenen Augenlidern, in seinen Armstuhl zurücklehnte.

Auf einem neben seinem Armstuhl stehenden Tisch befanden sich ein Kruzifix, ein Krug Wasser und ein Laib Schwarzbrot, in welch letzterem ein Misericordia stak, jener Dolch, mit dem die Ritter den Verwundeten den Gnadenstoß zu erteilen pflegten. Schon geraume Zeit hindurch nahm Jurand nichts anderes als Wasser und Brot zu sich. Ein grobes, härenes, mit einem Strohseil gegürtetes Bußhemd, das er auf dem bloßen Leibe trug, diente ihm zur Kleidung. Auf solche Weise lebte nun der einst so gewaltige und gefürchtete Gebieter von Spychow seit seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft aus Szczytno. – Nachdem der durch die Eintretenden verursachte Lärm verstummt war, schob Jurand die zahme Wölfin hinweg, welche seine bloßen Füße wärmte, und richtete sich in dem Lehnstuhle auf. Ein Augenblick der höchsten Erwartung trat ein, glaubten doch alle Anwesenden, er werde nun

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Jurand begann dann langsam die Stricke an den Armen Zygfryds entzwei zu schneiden.

irgend einem von ihnen das Zeichen zum Sprechen geben, aber bleich, mit halb geöffneten Lippen, blieb er regungslos sitzen.

»Hlawa ist hier!« hub Jagienka schließlich mit ihrer einschmeichelnden Stimme an. »Wollt Ihr ihn anhören?«

Da Jurand bejahend das Haupt neigte, wiederholte der Böhme zum drittenmale seinen Bericht. Er erzählte kurz von den mit den Deutschen geführten Schlachten bei Gotteswerder, schilderte den Kampf mit Arnold von Baden, sowie die Befreiung Danusias, verschwieg jedoch, daß deren Geist durch die erlittene grausame Behandlung gestört war, weil er dem greisen Märtyrer die frohen Nachrichten nicht vergällen, weil er nicht aufs neue bange Furcht in ihm erwecken wollte.

Weil aber des Knappen Herz von Haß gegen die Kreuzritter erfüllt war, und weil er sehnlich wünschte, daß Zygfryd unerbittlich gestraft werde, verheimlichte er absichtlich weder den erbarmungswerten Zustand Danusias, noch ihre Krankheit und Schwäche, welche er als Beweis dafür anführte, daß sie gewiß eine Behandlung erduldet habe, als ob sie den Händen von Henkersknechten überliefert gewesen wäre. Sicherlich, dies erklärte er schließlich, würde sie gleich einer Blume, die dahinwelkt und zu Grunde geht, wenn sie zertreten wird, verdorben und gestorben sein, wenn man sie nicht ihren Peinigern entrissen hätte. Und während der Erzählung Hlawas wurde stets aufs neue das Grollen des Donners hörbar, und immer drohender zog sich das finstere Gewölk über Spychow zusammen.

Wenn nun auch Jurand der Erzählung so regungslos lauschte, daß es den Anwesenden dünkte, er schlafe, verstand und begriff er doch jedes Wort, denn als der Böhme die Leiden Danusias berührte, da quollen zwei große Thränen aus den leeren Augenhöhlen hervor und rannen langsam über die Wangen des beklagenswerten Vaters, dem von allen irdischen Empfindungen nur die eine geblieben war: die Liebe zu seinem Kinde.

Dann bewegten sich seine bläulichen Lippen wie im Gebete. Draußen jedoch grollte abermals der Donner, und grelle Blitze erleuchteten jeden Augenblick die Fenster. Lange, lange betete Jurand, während wieder große Zähren seinen weißen Bart benetzten. Tiefe Stille herrschte, allein nach und nach bemächtigte sich aller Anwesenden eine gewisse Unruhe, denn keines wußte, was es beginnen solle.

Endlich faßte der alte Tolima, der Gefährte Jurands in allen Schlachten und der Hüter von Spychow Mut, indem er sagte: »Vor Euch, o Herr, steht jener Verdammte, jener gottlose Kreuzritter, der Euer Kind, der Euch gemartert hat; gebt mir durch ein Zeichen kund, wie ich ihn strafen soll!«

Bei diesen Worten erhellten sich plötzlich Jurands Züge und mittelst eines Zeichens bedeutete er, man möge den Gefangenen ganz nahe zu ihm bringen.

Sofort packten zwei der Knechte den Kreuzritter unter den Schultern und führten ihn vor den Gebieter von Spychow, der, den Arm ausstreckend, mit der flachen Hand über das Gesicht Zygfryds fuhr, gerade als ob er sich dessen Züge ins Gedächtnis zurückrufen oder fest einprägen wolle, dann betastete er die Brust des Komturs, sowie die Stricke, mit denen dessen Arme kreuzweis zusammengebunden waren. Die Augenlider schließend, senkte er hierauf das Haupt.

Alle Umstehenden glaubten, er sinne über etwas nach. Wie dem nun aber auch sein mochte, lange verharrte er nicht in der gebeugten Stellung, nein, schon nach wenigen Minuten richtete er sich empor und streckte die Hand nach dem Laibe Brot aus, in dem das Unheil verkündende Misericordia steckte.

Die Anwesenden wagten kaum zu atmen. Unverwandt blickten alle auf den Gebieter von Spychow. Wohl war das Rachegefühl begreiflich, wohl war die Strafe hundertfach verdient, trotzdem rief aber der Gedanke, daß dieser schon halb dem Tode verfallene Greis mit tastender Hand einen gefesselten Gefangen töten wolle, in eines jeden Herzen Schauder hervor.

Er aber faßte den Dolch in der Mitte, streckte den Zeigefinger bis zu dem spitzen Ende des scharfen Messers aus, damit er sich vergewissern konnte, was er berühre, und begann dann langsam die Stricke an den Armen Zygfryds entzwei zu schneiden.

Von Staunen überwältigt, glaubte keines den eigenen Augen trauen zu dürfen. Nun verstanden alle mit einem Male, was er bezweckte. Doch eine solche That konnten sie nicht billigen. Hlawa murrte zuerst, seinem Beispiele folgten Tolima und die Knechte. Nur Pater Kaleb fragte mit einer vor Schluchzen bebenden Stimme: »Bruder Jurand, was ist Euer Begehr? Wollt Ihr dem Gefangenen die Freiheit schenken?«

»Ja!« bedeutete Jurand durch eine Bewegung seines Hauptes.

»Wollt Ihr, daß ihm die Strafe erlassen bleibe, daß er der Rache entgehe?«

»Ja!«

Das Murren wurde immer lauter, die Ausbrüche des Zornes, der Entrüstung steigerten sich. Da wendete sich Pater Kaleb, dem es am Herzen lag, daß ein solches Beispiel an Barmherzigkeit und Mitleid nicht vereitelt werde, zu den Murrenden und rief: »Wer wagt es, sich dem Willen eines Heiligen zu widersetzen? Auf Eure Knie!«

Und niederkniend, hub er an: »Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name, Dein Wille geschehe –«

Unentwegt sprach er das Vaterunser zu Ende. Bei den Worten »und vergieb uns unsre Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern« schaute er unwillkürlich auf Jurand, dessen Antlitz erstrahlte, wie von überirdischem Glanze übergossen.

Und dieser Anblick und die Worte des Gebetes übten eine besänftigende Wirkung auf die Herzen der Versammelten aus, denn selbst der alte, durch unzählige Kämpfe hart gewordene Tolima umfaßte, das Zeichen des Kreuzes machend, Jurands Füße und fragte: »Wenn wir Eurem Wunsche willfahren wollen, o Herr, müssen wir wohl den Gefangenen an die Grenze geleiten?«

»Ja!« bedeutete Jurand abermals durch ein Neigen seines Hauptes.

Grell erleuchtete jetzt ein Blitzstrahl nach dem andern die Fenster, näher und näher kam das Ungewitter.

Viertes Kapitel.

Für Macko und Zbyszko, die schon unter Witold gekämpft und demzufolge genugsam Kriegsleute aus Samogitien und Litauen gesehen hatten, bot der Anblick eines Lagers nichts Neues. Der Böhme dagegen schaute voll Spannung umher, indem er bei sich überlegte, was wohl von diesen Mannen in der Schlacht zu erwarten sei, und ob sie der deutschen und polnischen Ritterschaft gleichgestellt werden könnten. Das Lager, welches sich auf einer von Nadelwäldern und Sümpfen umschlossenen Ebene befand, war dadurch vor jedem Ueberfall gedeckt, denn kein zweites Kriegsheer konnte so leicht die trügerischen Moräste überschreiten. Sogar der Grund und Boden, auf dem die Feldhütten standen, war seicht und sumpfig, allein die Leute hatten ihn so dicht mit kreuzweis geschichteten Tannen- und Fichtenzweigen bedeckt, daß sie sich ebenso sicher darauf zur Ruhe legen konnten wie auf dem trockensten Erdreich. Für den Fürsten Skirwoillo war in aller Eile eine » numa«, eine Hütte errichtet worden, wie man sie in den litauischen Ansiedelungen aus Erde und rohen Baumstämmen zu bauen pflegte, Hütten aus Zweigen hergestellt dienten den hervorragenderen Mannen zur Unterkunft, während die gewöhnlichen Krieger unter offenem Himmel um das Feuer lagerten und gegen die Unbill des Wetters nur durch Felle und Schafpelze geschützt wurden, die sie auf dem nackten Leibe trugen. In dem Lager schlief noch niemand, hatten doch die Mannen tagsüber der Ruhe pflegen können, da seit der letzten Niederlage kein neuer Angriff unternommen worden war. Etliche lagen oder saßen um die hellen Feuer, die mittelst dürrem Reisig und Wacholderzweigen unterhalten wurden, andere schürten die halberloschene, von Asche bedeckte Glut auf, aus welcher der Geruch gebratener Rüben, der Hauptnahrung der Litauer, sowie der schlechte Dunst angebrannten Fleisches emporstiegen. Auf den freien Plätzen inmitten der Feuer lagen ganze Haufen von Waffen so geschickt aufgetürmt, daß im Falle der Not ein jeder der Mannen leicht nach der eigenen Waffe greifen konnte. Hlawa betrachtete voll Neugierde die Speere mit ihren langen, schmalen, aus hartem Eisen geschmiedeten Spitzen, die aus jungen Eichstämmen gefertigten Keulen, in die Feuersteine oder Nägel getrieben worden waren, die kurzstieligen, den polnischen Streitäxten ähnlichen Beile, deren sich das Reitervolk zu bedienen pflegte, sowie die Streitäxte mit Stielen, die so lang wie Hellebarden waren und mit welchen das Fußvolk im Kampfe focht. Streitäxte aus Erz waren auch vorhanden, wohl aus jenen alten Zeiten stammend, da das Eisen in den entlegeneren Gegenden noch nicht viel gebraucht ward, ja es fanden sich sogar Schwerter aus Erz vor, wenn schon die meisten aus gutem, aus Nowogrod eingeführtem Stahl gearbeitet waren. Der Böhme nahm die Speere, die Schwerter, die Streitäxte, die in Teer getränkten und im Feuer gebrannten Bogen zur Hand und prüfte sie beim Scheine des Lagerfeuers. Nur eine kleine Zahl von Pferden befand sich innerhalb des Lagers, die Mehrzahl der Tiere weidete in den nahe gelegenen Wäldern und auf den Wiesen unter der Obhut wachsamer Pferdeknechte. Da die namhaftesten Bojaren ihre türkischen Renner in nächster Nähe haben wollten, wurden verschiedene dieser edlen Rosse in dem Lager von den Pferdeknechten aus der Hand gefüttert. Diese Renner mit ihren kräftigen Hälsen waren ganz ungewöhnlich klein, allein nicht nur darüber staunte Hlawa, sondern auch über deren zottigen Körper, wodurch sie den Rittern aus dem Westen weit eher als seltsame wilde Tiere, weit eher als Einhörner, denn als edle Pferde erschienen.

»Die großen Streithengste dienen hier zu nichts,« bemerkte der erfahrene Macko, indem er seiner früheren Feldzüge unter Witold gedachte, »denn ein schweres Roß wird sofort in den Morästen einsinken, während diese kleinen, unansehnlichen Pferdchen ebensoleicht allenthalben durchkommen werden, wie ein Mensch.«

»In der Schlacht aber,« sagte Hlawa, »können diese kleinen Pferde den starken, deutschen Streitrossen keinen Widerstand leisten.«

»Wahrlich, das vermögen sie nicht. Dagegen versucht der Deutsche umsonst, vor dem Samogitier zu fliehen und niemals wird jener im stande sein, diesen Feind einzuholen, der noch rascher zu reiten versteht, als ein Tatar.«

»Gar seltsam ist dies. Die Tataren, welche ich als Kriegsgefangene bei dem Ritter Zych aus Zgorzelic gesehen habe, waren alle so klein, daß jedes Pferd sie getragen hätte, die Samogitier jedoch sind kräftige, hochgewachsene Krieger.«

Die Mannen zeichneten sich auch tatsächlich durch ihren hohen Wuchs aus, und beim Scheine des Feuers ließ sich bei einem jeden die breite Brust, die kräftigen Schultern unter den Fellen und den Schafspelzen erkennen. Alle waren groß, starkknochig, wenn auch eher hager wie dick. Die meisten hatten eine kräftigere Gestalt als die Bewohner der andern litauischen Gebiete, saßen sie doch auf besserer, fruchtbarerer Erde und wurden dadurch weniger von Hungersnot geplagt, als das sonstige Litauen. Der Hofhalt des Großfürsten befand sich in Wilna. In Wilna stellten sich daher Fürsten aus dem Osten und aus dem Westen ein, Gesandtschaften wurden dahin abgeschickt, fremde Kaufleute strömten dort zusammen. Natürlicherweise kamen demzufolge die Bewohner Wilnas und der angrenzenden Gebiete mit Fremden in Berührung. In Samogitien hingegen zeigte sich das Fremde nur in Gestalt eines Kreuzritters oder eines Ritters des Schwertordens, welche die stillen Waldansiedlungen durch Feuer, Knechtung und Bluttaufen heimsuchten. War es daher zu verwundern, daß die Menschen hier sich ungeschlachter, roher gebärdeten, fest an dem Althergebrachten hingen, alles Neue von sich wiesen, daß sie die alten Gebräuche, die alte Kriegsführung und das Heidentum gerade deshalb hochhielten, weil ihnen der Glaube an das Kreuz nicht durch einen milden Verkündiger des Christentums, nicht mit der Liebe eines Apostels gelehrt ward?

Skirwoillo und die angesehenen Knäsen und Bojaren hatten sich schon, dem Beispiele Jagiellos und Witolds folgend, zum Christentum bekehrt. Die andern aber, ja, sogar die ungezügeltsten und wildesten Krieger sagten sich insgeheim, der Untergang und das Ende der alten Welt, des alten Glaubens seien gekommen und waren bereit, das Haupt vor dem Kreuze zu beugen, nur sollte es kein Kreuz sein, das durch die Kreuzritter ausgerichtet worden war. »Wir sehnen uns nach der Taufe,« so klang ihr Klageruf zu allen Fürsten und zu allen Völkern, »doch bedenkt, daß wir Menschen, nicht aber wilde Tiere sind, welche verschenkt, gekauft und verkauft werden können.« Da ihnen aber der neue Glaube durch Gewalt aufgezwungen ward, da sie sahen, wie der alte Glaube erlosch wie das Feuer erlischt, auf das kein Holz geworfen wird, ergriff sie unsagbarer Schmerz, tiefes Weh um die entschwundenen alten Zeiten. Der Böhme, der inmitten eines frohen, kriegerischen Treibens aufgewachsen war, inmitten eines Treibens, wo Gesang und klingende Musik fast nie verstummten, sah nun zum erstenmale in seinem Leben ein Lager, in dem solche Stille, solche Trauer herrschte. Höchstens da und dort an den Feuern, vor der entfernt gelegenen Hütte Skirwoillos ertönte eine Querpfeife oder eine Rohrpfeife, nur da und dort vernahm man undeutlich die Worte eines Liedes, das ein » burtinikas« 13 leise vor sich hinsang. Gebeugten Hauptes, den

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Da es jedoch kalt und feucht in dem Zelte war, ließen sich die beiden Ritter und mit ihnen Hlawa auf Fellen an dem Feuer nieder.

Blick unverweilt auf die flammenden Holzscheite gerichtet, lauschten die Kriegsleute diesen Tönen. Manche saßen zusammengekauert vor den Feuern, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das Antlitz in die Hände verborgen, und ähnelten, von Fellen und Schafspelzen eingehüllt, den wilden Tieren des Waldes. Schauten sie indessen empor, warfen sie einen Blick auf die vorübergehenden Ritter, dann sah man in dem Scheine der Flammen nicht finstere, wilde, nein, blauäugige, milde Gesichter, auf denen sich der Kummer bedrängter Kinder spiegelte. Am äußersten Ende des Lagers ruhten auf weichem Moose die Verwundeten, welche man aus der letzten Schlacht hatte hierherbringen können. Zauberer, sogenannte » labarysy« und » sejtanawie« saßen bei den Schmerz und Pein geduldig Leidenden, sprachen ihre Beschwörungsformeln über sie oder untersuchten ihre Wunden, auf die sie heilende Kräuter legten. Aus der Tiefe des Waldes, aus Feldern und Wiesen ertönte zeitweise der Pfiff der Pferdeknechte, dann und wann erhob sich ein Windstoß, trieb Rauchwolken über das Lager hin und rief ein Rauschen in den dunkeln Gehölzen hervor. Doch es wurde später und später in der Nacht. Die Feuer glimmten zum Teil nur noch, zum Teil waren sie vollständig erloschen, und die nun eintretende tiefe Stille vervollständigte noch mehr das Bild von Trauer und Bedrückung.

Nachdem Zbyszko seinen Mannen, denen er sich leicht verständlich machen konnte, befanden sich doch etliche Leute aus Plock unter ihnen, die nötigen Befehle erteilt hatte, wandte er sich zu seinem Knappen und sagte: »Du hast nun genug gesehen. Kehren wir in das Zelt zurück.«

»Wahrlich, ich habe genug gesehen,« antwortete Hlawa. »Doch nichts Erfreuliches ist mir zu Gesicht gekommen, denn schon im ersten Augenblicke zeigt sich’s klar, daß diese Leute geschlagen worden sind.«

»Zweimal sogar. Vor vier Tagen nahe der Burg, vor drei Tagen aus der Flucht. Und nun will Skirwoillo zum drittenmale den Angriff wagen und sich zum drittenmale schlagen lassen.«

»Weshalb begreift er nicht, daß mit solchen Kriegsleuten nichts gegen die Deutschen auszurichten ist? Der Ritter Macko hat mir dies sofort gesagt, und ich habe mich nun auch davon überzeugt. Nein, das sind keine Mannen für den Krieg.«

»Darin täuschest Du Dich. Solch tapfere Kriegsleute wie diese hier giebt es nur wenige auf Erden. Doch sie kämpfen in festgeschlossenen Scharen, während die Deutschen in Reihen vorzugehen pflegen. Wird jedoch die Reihe der Deutschen durchbrochen, dann streckt ein Samogitier rascher einen Deutschen darnieder, als der Deutsche den Samogitier. Traun, den Deutschen ist dies nur zu wohl bekannt, wie zu einer Mauer schließen sie sich daher stets fest aneinander.«

»An die Erstürmung der Burgen ist wohl nicht zu denken,« bemerkte Hlawa.

»Es mangelt uns an den Hilfsmitteln dazu,« erwiderte Zbyszko, »Fürst Witold freilich verfügt über alles Nötige, doch bevor er eintrifft, kommt keine Burg in unsere Hände, es sei denn durch Zufall, durch Verrat.«

Unter solchem Gedankenaustausch kehrten sie in das Zelt zurück, vor dem ein großes Feuer von den Knechten unterhalten ward, und in dem der Dampf des für das Mahl zu bereitenden Fleisches emporstieg. Da es jedoch kalt und feucht in dem Zelte war, ließen sich die beiden Ritter und mit ihnen Hlawa auf Fellen an dem Feuer nieder. Nachdem sie sich mit Trank und Speise erquickt hatten, versuchten sie zu schlafen, allein der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Macko wandte sich beständig von einer Seite auf die andere, und kaum bemerkte er, daß Zbyszko, die Hände um die Knie geschlungen, aufrecht beim Feuer saß, so fragte er: »Höre mich! Weshalb gabst Du den Rat gegen Ragneta zu ziehen, da doch die Burg in gar weiter Ferne liegt, und nicht gegen Gotteswerder, gegen die in der Nähe gelegene Burg? Aus welchem Grunde thatest Du diesen Vorschlag?«

»Weil eine innere Stimme mir sagt, Danusia befinde sich in Ragneta – und zudem ist man dort weit weniger auf der Hut als hier.«

»Es gebrach an Zeit, uns eingehend zu besprechen, denn ich selbst war müde, und Du mußtest nach der Niederlage die Mannen in den Wäldern wieder sammeln. Nun aber sag‘ mir offen: willst Du noch immer nach jenem Mägdlein suchen?«

»Nach welchem Mägdlein? Nach meinem Eheweibe suche ich.«

Diesen Worten folgte ein langes Schweigen, denn was sollte Macko darauf erwidern? Wäre Danusia nur in ihrer Eigenschaft als Jurands Tochter in Betracht gekommen, dann hätte sich der alte Ritter nicht gescheut, den Bruderssohn von jedem weiteren Forschen abzuhalten, durch das heilige Sakrament der Ehe jedoch war dies für Zbyszko nun zur Pflicht geworden. Niemals würde auch Macko eine solche Frage gethan haben, wenn er Zeuge des Verlöbnisses, der Trauung gewesen wäre. Da dies aber nicht der Fall war, betrachtete er Jurands Tochter immer noch als ein Mägdlein.

»Traun,« Hub Macko nach geraumer Zeit wieder an, »traun, was ich diese zwei Tage hindurch nur fragen konnte, das habe ich gefragt, Du aber antwortest stets, Du wissest nichts.«

»Ich weiß auch nur das eine, daß Gottes Zorn über mir ist.«

Jetzt richtete sich Hlawa von seinem Bärenfelle empor, setzte sich und horchte aufmerksam auf das sich nun entspinnende Gespräch.

»Da sich der Schlaf doch nicht einzustellen scheint,« ergriff Macko von neuem das Wort, »so sprich: was sahst Du, was thatest Du, was führtest Du in Marienburg aus?«

Zbyszko strich sein Haar, das seit längerer Zeit über der Stirn nicht geschnitten worden war und ihm daher fast über die Brauen reichte, langsam zurück, schaute einige Sekunden sinnend vor sich hin und ließ sich also vernehmen: »Wollte Gott, daß ich soviel von meiner Danusia zu berichten hätte, wie von Marienburg! Ihr fragt mich, was ich dort gesehen habe? Ich überzeugte mich von der unermeßlichen Macht der Kreuzritter, denen alle Könige, alle Völker verbündet sind, von einer Macht, die so groß ist, daß sie wohl kein Mensch auf Erden zu brechen vermag. Ich sah eine Burg, wie sie wohl kaum der römische Kaiser besitzt, ich sah Schätze, die jeder Beschreibung spotten, ich sah Waffen, ich sah gewappnete Mönche, Ritter und Kriegsknechte, in solch großer Schar wie ein Ameisenhaufen, ich sah so zahlreiche Reliquien, wie nur der heilige Vater in Rom sie haben kann. Hei, ich sage Euch, alles bäumte sich in mir auf bei dem Gedanken: wer kann den Angriff gegen diesen Orden wagen, wer kann sie besiegen, wer kann es auch nur mit ihnen aufnehmen, wo ist das Volk, das diese Kreuzritter niederwerfen kann?«

»Wir wollen es versuchen! Fluch ihren Müttern!« rief nun Hlawa, unfähig sich länger zurückzuhalten.

Ueber Zbyszkos Worte höchst betroffen, unterbrach der alte Ritter seinen Bruderssohn ebenfalls in der Erzählung, trotzdem er gar gern alles genau gehört hätte, und fragte: »Hast Du denn des Kampfes bei Wilna vergessen? Haben wir denn so selten Mann gegen Mann, Schulter an Schulter mit ihnen gekämpft? Ist es Dir denn aus dem Sinn gekommen, wie wenig sie gegen uns ausgerichtet haben – wie sie sich über unsere Standhaftigkeit beklagten und meinten, es genüge nicht, Pferde zu Schanden zu reiten, Lanzen zu brechen, sondern man müsse den Gegner an der Kehle packen oder das eigene Leben lassen! Auch fremde Kämpen haben sich dort mit uns gemessen – doch schimpflich mußten sie abziehen. Weshalb bist Du so kleinmütig geworden?«

»Ich bin nicht kleinmütig, nein, ich habe in Marienburg gekämpft, wo es sich stets um Tod und Leben handelt. Allein Ihr kennt die gewaltige Macht der Kreuzritter nicht.«

»Kennst Du vielleicht die ganze Stärke der Polen?« ließ sich nun Macko ärgerlich vernehmen. »Hast Du jemals unsere Banner vereinigt gesehen? Nein, niemals. Auf was beruht denn die Macht des Ordens? Auf Ungerechtigkeit, auf Verrätern, denn nicht eine Spanne des Landes, in dem sie jetzt Hausen, gehört ihnen zu eigen. Unsere Fürsten haben sie bei sich aufgenommen, wie man einen Bettler ins Haus nimmt – damit man ihn mit Gaben beschenke. Was thaten aber jene? Kaum waren sie erstarkt, so bissen sie ihren Wohlthätern gleich wütenden Hunden in die Hand. Gewaltsam rissen sie die Lande an sich, durch Hinterlist bemächtigten sie sich der Städte, darin liegt ihre Kraft! Doch selbst wenn alle Könige der Erde ihnen zu Hilfe eilten – der Tag des Gerichtes, der Tag der Rache ist nahe.«

»Ihr drängtet mich, Euch zu erzählen, was ich sah,« ergriff Zbyszko jetzt das Wort, »und nunmehr seid Ihr ärgerlich darob. Besser wäre es daher für mich, ich schwiege.«

Macko schnaubte förmlich geraume Zeit vor Zorn, nach und nach beruhigte er sich indessen wieder und fuhr fort: »Höre nun, wie ich die Sache betrachte. Es kommt doch vor, daß Du im Walde vor einem turmhohen Fichtenbaume stehst und bei Dir denkst: ›Der Baum wird in alle Ewigkeit dem Sturme trotzen‹. Erteilst Du ihm aber mit dem Rücken der Axt einen tüchtigen Schlag, dann klingt der Baum ganz hohl und morsches Holz fällt von ihm ab. Das Gleiche gilt auch von der Macht der Kreuzritter. Ich wollte von Dir wissen, was Du bei ihnen unternommen, was Du bei ihnen ausgerichtet hast. Kämpftest Du auf Tod und Leben, sprich?«

»Auf Tod und Leben habe ich gekämpft. Rücksichtslos und voller Hochmut begegnete man mir anfänglich, denn allen war mein Kampf mit Rotgier wohl bekannt. Gar Schlimmes wäre mir sicherlich widerfahren, hätte mich der Brief des Fürsten Janusz nicht davor bewahrt! Zudem wußte mich auch Herr de Lorche, dem sie große Ehre erwiesen, vor ihrer Wut zu schützen. Aber als dann später Feste und Turniere abgehalten wurden, da verlieh mir der Herr Jesus seinen Segen. Ihr hörtet doch, daß mich Ulryk, der Bruder des Großmeisters, in sein Herz geschlossen hat und mir den schriftlichen Befehl des letztern verschaffte, Danusia in meine Hände auszuliefern.«

»Die Sattelgurt soll ihm gerissen sein, so sagten uns die Leute,« bemerkte Macko, »Du aber habest nicht mehr zugestoßen, nachdem Dir dieses klar geworden sei.«

»Ich richtete die Lanze in die Höhe und von dem Augenblicke an gewann ich seine Zuneigung. Hei, bei Gott, er gab mir gewichtige Briefe, mit denen ich von Burg zu Burg ziehen und suchen konnte. Mich dünkte, mein Kummer, meine Sorgen seien nun zu Ende – ratlos sitze ich jedoch nunmehr hier, inmitten dieser wilden Gegend, und Tag für Tag wächst meine Qual, wächst meine Pein.«

In kurzes Schweigen versinkend, warf er plötzlich mit solcher Wucht ein Scheit Holz in das Feuer, daß die Funken aufsprühten, und die Flamme hoch emporloderte.

»Wahrlich,« hub er hieraus wieder an, »wenn die Beklagenswerte in irgend einer Burg schmachtet, wird sie gewiß den Glauben hegen, ich habe ihrer‘ längst vergessen. Und ist dem so, dann mag ein jäher Tod mich bald ereilen.«

Aber und abermals schleuderte er Holzscheite in das Feuer, gerade als ob er damit all die Kümmernisse von sich werfen wolle, die ihn im innersten Mark verzehrten. Staunend beobachteten dies Macko und Hlawa, die sich eigentlich jetzt erst davon überzeugten, wie unendlich Danusia von Zbyszko geliebt ward.

»Beruhige Dich!« rief daher Macko. »Sind Dir die Geleitsbriefe nicht von Nutzen gewesen? Haben die Komture dem Großmeister keinen Gehorsam geleistet?«

»Beruhigt Euch, o Herr,« ergriff nun auch Hlawa das Wort. »Gott wird Euch Trost gewähren – bald, vielleicht sehr bald.«

Thränen glänzten in Zbyszkos Augen, als er, mit aller Macht sich bezwingend, von neuem begann: »Die Schurken öffneten mir Burgen und Kerker. Ich zog von Ort zu Ort, ich suchte allenthalben! Da mit einem Male brach der Krieg aus und in Gierdawy erklärte mir der Vogt von Heideck, im Kriege herrschten andere Gesetze, die in Friedenszeiten ausgestellten Geleitsbriefe hätten keinen Wert. Ich zog ihn wohl sofort zur Rechenschaft er aber wollte sich mir nicht stellen, nein er erteilte den Befehl, mich aus der Burg zu weisen.«

»Und in den andern Burgen?« fragte Macko.

»Ueberall erhielt ich die gleiche Antwort. In Krolewiec weigerte sich der Komtur, welcher über dem Vogte von Gierdawy steht, sogar mir einen Blick in das Schreiben des Großmeisters zu thun. Krieg sei Krieg, erklärte er, ich möge vor allem dafür sorgen, daß ich mit heiler Haut davon käme. Und wohin ich mich auch wandte – den gleichen Bescheid erhielt ich allerorts.«

»Nunmehr begreife ich alles,« ließ sich der alte Ritter jetzt vernehmen. »Da Du nichts auszurichten vermagst, bist Du hierher gekommen, um wenigstens Rache nehmen zu können.«

»So ist es in der That,« entgegnete Zbyszko. »Ich glaubte. Gefangene machen, ich hoffte, mich einiger Burgen bemächtigen zu können, doch diese Mannen hier können keine Burgen stürmen.«

»Hei! Laß nur erst den Fürsten Witold kommen, dann wird alles anders werden.«

»Gott gebe, daß er zu uns stoße!«

»Er wird kommen. An dem masovischen Hofe ward mir dies gesagt. Vielleicht trifft auch der König selbst ein und mit ihm die ganze polnische Streitmacht.«

Schon wollte Zbyszko eine Antwort geben, als dies durch Skirwoillo vereitelt ward, der ganz unerwartet mit den Worten aus der Dunkelheit trat:

»Wir brechen auf.«

Macko, Zbyszko und der Böhme sprangen empor, Skirwoills aber kam dicht zu ihnen und sagte in leisem Tone:

»Es ist uns Kunde geworden, daß Verstärkungen und Zufuhren nach Neu-Kowno unterwegs sind. Ein Zug von Kriegsleuten soll unter der Anführung von zwei Kreuzrittern Vieh und allerlei Nahrungsmittel dahin bringen, das müssen wir vereiteln.«

»Ueberschreiten wir den Niemen?« fragte Zbyszko.

»Ja, wir kennen eine Furt.«

»Weiß man in der Burg von jener Absicht?«

»Gewiß. Eine ganze Schar wird den Ankömmlingen entgegen ziehen. Auf diese Schar müßt Ihr Euch Werfen.«

Eingehend erklärte er ihnen hierauf, wo sie sich zu verbergen hätten, um unerwartet die aus der Burg Ziehenden überfallen zu können. Seinem Plan nach sollten gleichzeitig zwei Angriffe unternommen werden, um die erlittene Niederlage zu rächen, ein Plan, der sich vielleicht um so leichter ausführen ließ, weil sich der Feind nach dem Siege völlig sicher fühlte. Ganz genau gab er auch die Zeit an, in der sie losschlagen mußten, und bezeichnete die Richtung, die sie dann einzuhalten hatten. Alles Uebrige jedoch überließ er ihrer Tapferkeit, ihrer Umsicht. Freude und Stolz schwellten ihre Herzen bei der Erkenntnis, daß er sie als bewährte, umsichtige Krieger betrachtete. Auf seine Aufforderung hin begleiteten sie ihn schließlich in seine Hütte, wo ihn Knäsen und Bojaren, die Führer der Abteilungen erwarteten. Nachdem er hier seine Befehle wiederholt und neue erteilt hatte, setzte er eine aus Wolfsknochen gearbeitete Pfeife an die Lippen und ließ einen so lauten, schrillen Pfiff ertönen, daß er von einem Ende des Lagers bis zu dem andern schallte.

Sofort regte es sich allenthalben an den erloschenen Feuerstätten; da und dort sprühten Funken auf, da und dort stiegen vereinzelte Flämmchen empor, die mit jedem Augenblick zahlreicher und heller wurden und deren Schein auf die Gestalten wilder Krieger fiel, die sich mit ihren Waffen um die Feuer sammelten. Wie auf einen Schlag war der Wald aus dem Schlafe erwacht, denn auch aus der Tiefe des Dickichts drangen nun die Rufe der Pferdeknechte, welche die Rosse in das Lager trieben.

  1. Wahrsager. Anmerkung der Uebersetzerinnen.