Fünftes Kapitel.

Früh am Morgen wurde die Niewiaza erreicht und überschritten. Etliche setzten auf Pferden darüber, andere, indem sie sich an den Schwänzen der Pferde hielten, andere wieder auf Bündeln von Birkenruten. Der Uebergang bewerkstelligte sich so rasch, daß Macko, Zbyszko, Hlawa und jene Masuren, die freiwillig Heeresfolge leisteten, die behende Gewandtheit der Samogitier aufs höchste bewunderten und zum erstenmale vollständig begriffen, weshalb weder Wälder, noch Sümpfe, noch Flüsse die Litauer in ihren Kriegszügen aufhalten konnten. Trotzdem alle durchnäßt aus dem Wasser kamen, legte doch keiner seine Gewandung – den Schafspelz oder den Wolfspelz ab, nein, ein jeder der Krieger stellte sich so lange mit dem Rücken gegen die Sonne, bis wie aus einer Pechhütte der Dampf aus seinem Körper aufstieg, und schon nach ganz kurzer Rast zog man dann weiter gen Norden. Es dunkelte bereits, als man an dem Niemen anlangte, der durch das Steigen der Gewässer zur Frühlingszeit stark angeschwollen war. Der Uebergang bot daher noch größere Schwierigkeiten. Die Skirwoillo bekannte Furt hatte sich stellenweise in tiefe Wassertümpel verwandelt, durch welche die Pferde schwimmen mußten. Zwei der Mannen wurden von Zbyszkos und Hlawas Seite hinweggerissen. Umsonst versuchten diese die Bedrohten zu retten, in der Dunkelheit verschwanden sie in dem wilden Strome. Kein Hilferuf war laut geworden, hatte doch der Anführer den Befehl erteilt, der Fluß müsse in tiefster Stille überschritten werden. Alle andern erreichten jedoch glücklich das jenseitige Ufer, an dem sie die Nacht verbrachten, ohne sich an einem Feuer wärmen zu können.

Bei Tagesanbruch wurde die ganze Kriegsschar in zwei Teile geschieden. Mit der einen Abteilung zog Skirwoillo jenen Rittern und Kreuzrittern entgegen, welche Nahrungsmittel nach Gotteswerder bringen sollten, die andere Abteilung führte Zbyszko abermals gegen die Insel, um der Schar den Weg zu verlegen, welche von der Burg aus den Ankömmlingen entgegenrücken sollte. Der Tag schien schön zu werden. Glänzend und hell stand die Sonne am Firmamente, nur über den Wäldern, den Wiesen und den Gesträuchen lag noch dichter, weißer Nebel, der alles verhüllte. Dies gereichte Zbyszko und seinen Mannen zu großem Vorteil, war es doch kaum anzunehmen, daß die Deutschen, deren Blicken sie verborgen blieben, durch einen Rückzug den Zusammenstoß vereitelten. Voll Freude darüber wandte sich der junge Ritter zu Macko, der neben ihm ritt und sagte: »Bei einem solchen Nebel können wir sie überfallen, ehe sie uns gewahr werden. Gott gebe nur, daß es bis Mittag so bleibt.«

Nach diesen Worten sprengte er zu den bei der Vorhut sich befindenden Anführern, um ihnen verschiedene Befehle zu erteilen, kehrte aber dann rasch wieder zu dem Ohm zurück.

»Bald gelangen wir an einen Weg,« erklärte er letzterem, »welcher die zu der Insel führende Furt mit dem Innern des Landes verbindet. Dort wollen wir uns in dem Dickicht verbergen und die Deutschen erwarten.«

»Durch wen hast Du von dem Wege gehört?« fragte Macko.

»Durch etliche meiner Mannen, die hierzulande geboren sind, und die uns als Führer dienen.«

»In welcher Entfernung von der Burg und von der Insel soll der Angriff stattfinden?«

»In einer Entfernung von fünf Meilen.«

»Da thust Du gut daran, denn würde dies näher bei der Burg geschehen, so könnte ihnen von dort aus Beistand geleistet werden. Nun aber ist dies kaum zu befürchten, wird doch nicht ein Laut in die Burg dringen.«

»Ihr seht, ich habe dies wohl bedacht.«

»Das eine hast Du wohl bedacht, doch noch gar manches muß überlegt werden. Wenn man auf die Mannen, die hier geboren sind, Vertrauen setzen darf, so sende zwei oder drei von ihnen auf Kundschaft, damit sie uns sofort berichten können, wenn die Deutschen im Anzug sind.«

»Das habe ich schon gethan.«

»Dann will ich Dir noch einen Rat geben. Suche ein oder zweihundert Deiner Kriegsleute aus und erteile ihnen den Befehl, sich vom Kampfe fern zu halten, damit sie gleich bei Beginn desselben forteilen und den Deutschen den Rückweg auf die Insel abschneiden können.«

»Das ist ja das Wichtigste,« erklärte Zbyszko, »dieser Befehl ist daher längst erteilt. Die Deutschen werden in die Schlinge geraten.«

Glücklich darüber, daß sich Zbyszko trotz seiner jungen Jahre so erfahren in der Kriegskunst zeigte, blickte Macko von Stolz erfüllt auf seinen Bruderssohn, indem er lächelnd vor sich hin murmelte: »Tüchtig erweist sich unser Blut!«

Der Knappe Hlawa aber ward noch freudiger gestimmt als Macko, denn ihm ging eine Schlacht über alles in der Welt.

»Wohl weiß ich nicht,« ergriff er das Wort, »wie sich unsere Mannen schlagen werden, sie gehen jedoch ruhig, in bester Ordnung und voll Kampfeslust vor. Wenn jener Skirwoillo alles klug ausgedacht hat, wird der Feind kein gesundes Glied aus dem Kampfe tragen.«

»Gott gebe, daß uns nur wenige entrinnen,« ließ sich jetzt Zbyszko vernehmen. »Doch habe ich Befehl erteilt, so viele Gefangene wie möglich zu machen und ja keinen Kreuzritter, keinen Ordensbruder zu töten.«

»Aus welchem Grunde, o Herr?« fragte der Böhme.

Da erwiderte Zbyszko: »Sieh auch Du zu, daß meine Befehle ausgeführt werden. Ein jeder Ritter, der aus fremdem Lande stammt, hat schon viele Städte besucht, ist schon in vielen Burgen gewesen. Ist es daher zu verwundern, daß er bei seinem Zusammentreffen mit allerlei Menschen manch Neues vernommen hat? Und gar noch ein Ordensritter! Der weiß stets mehr, als wir uns träumen lassen. Doch um Gott die Wahrheit zu geben, es liegt mir auch deshalb viel daran, einen namhaften Ritter in meine Gewalt zu bekommen, um ihn dann auswechseln zu können. Was gilt mir mehr, als die Heißgeliebte? Ach, daß sie noch am Leben wäre!«

Nach diesen Worten gab er seinem Pferde die Sporen und sprengte an die Spitze der Abteilung, einesteils um noch etliche Anordnungen zu geben, andernteils um die schweren Gedanken von sich abzuschütteln, denen er sich jetzt nicht hingeben durfte. Das Ziel war nicht mehr fern, der Angriff mußte bald erfolgen.

»Aus welchem Grunde glaubt der junge Herr, sein Eheweib sei noch am Leben und befinde sich in dieser Gegend?« fragte nun Hlawa den alten Ritter.

»Weil Danusia nicht sofort von Zygfryd getötet worden ist,« entgegnete Macko, »deshalb darf er die Hoffnung hegen, daß sie ihm erhalten geblieben ist. Wenn sie ermordet worden wäre, hätte der Priester in Szczytno nicht den Bericht erteilen können, den auch Zbyszko vernommen hat. Selbst der grausamste Mensch wird nicht so leicht die Hand gegen ein schutzloses Weib – nein, bei meiner Treu – gegen ein unschuldiges Kind erheben.«

»Habt Ihr der Kinder des Fürsten Witold vergessen?«

»Grausam sind die Kreuzritter, das ist wahr. Doch es ist erwiesen, daß Danusia nicht getötet, sondern von Szczytno in diese Gegend verbracht worden ist. In irgend einer dieser Burgen wird sie wohl schmachten.«

»Hei! Das wäre herrlich, wenn wir dies Eiland und diese Burg in unsere Gewalt bekommen könnten!«

»Betrachte Dir diese Krieger einmal genau!« meinte nun Macko.

»Da habt Ihr recht, da habt Ihr recht! Doch es ist mir ein Gedanke gekommen, den ich meinem jungen Gebieter mitteilen will.«

»Was nützen hier Pläne und Gedanken! Kannst Du vielleicht Mauern mit Wurfspießen zertrümmern?«

So sprechend deutete Macko auf die Speere, mit denen die Mehrzahl der Kriegsleute bewaffnet war, und fragte dann: »Hast Du jemals eine solche Kriegsschar gesehen?«

Der Böhme hatte in der That noch niemals etwas Aehnliches erschaut. In völliger Auflösung, ohne jede Ordnung, zog das Kriegsvolk dahin, denn in dem Dickicht, zwischen den Baumstämmen und Gesträuchen mußte man sich durchschlagen, so gut es eben ging. Fußvolk und Reiterei waren nicht mehr getrennt – wo nur ein Reiter sein Roß zwischen den Fichten hindurchtrieb, da hielt sich der oder jener des Fußvolks an der Mähne, an dem Schwanze oder an dem Sattel des Pferdes fest, um rascher vorwärts zu kommen. Mit den Fellen von Wölfen, Bären und Panthern über den Schultern, mit den auf ihren Köpfen emporragenden Eberhauern, Hirschgeweihen und borstigen Ohren der grimmigsten Bestien hätten all diese Krieger ohne die in die Höhe starrenden Waffen, ohne die in Teer getränkten Bogen, ohne die Köcher auf ihrem Rücken in dem morgendlichen Nebel jedem Beschauer wie wilde Tiere erscheinen müssen, die, von Hunger und Blutgier getrieben, sich aus der Tiefe des bergenden Waldes hervorgewagt hatten. Es war das ein solch schreckenerregender, ungewöhnlicher Anblick, daß er sich nur mit jenem seltsamen Vorgang – » gomon« genannt – vergleichen ließ, bei dem das schlichte Volk sagte, wilde Tiere jagten in rasender Eile dahin, Steinblöcke und Bäume mit sich fortreißend.

Einer jener Edelleute aus Lekawica, die mit dem Böhmen gekommen waren, näherte sich diesem, bekreuzte sich und sagte: »Im Namen des Vaters und des Sohnes! Nicht mit menschlichen Wesen, nein, mit einem Rudel Wölfen ziehen wir dahin.«

Obwohl nun Hlawa noch niemals ein ähnliches Kriegsheer gesehen hatte, erwiderte er doch als ein erfahrener Mann, der alles kennt, den nichts in Erstaunen setzt: »Wölfe laufen zur Winterszeit in Rudeln zusammen, das Blut der Kreuzritter übt jedoch auch im Frühling seine Anziehungskraft.«

Und in der That, der Mai war gekommen, es war Frühling geworden. An den Haselnußsträuchen im Walde keimte das junge Grün. Aus dem weichen, zarten Moose, über das der Fuß der Kriegsleute lautlos glitt, sproßten Blumen, Blüten und zackige Farrenkräuter hervor. Die von den beständig niedergegangenen Regenschauern durchfeuchteten Bäume verbreiteten den Geruch ihrer nassen Rinde, und aus dem Waldesgrunde stieg der starke Duft gefallener Nadeln und morschen Holzes empor. Der helle Glanz der leuchtenden Sonne zauberte die Regenbogenfarben auf die von Tautropfen glitzernden Blättchen, und fröhlich erklang das Gezwitscher der Vögel.

In immer wachsender Eile bewegte sich die Kriegsschar vorwärts, denn Zbyszko trieb sie beständig an. Allein schon nach kurzer Zeit kehrte er zu der Nachhut zurück, mit der Macko, Hlawa und die freiwillig in den Krieg gezogenen Masuren ritten. Die Aussicht auf einen siegreichen Kampf schien ihn offenbar neubelebt zu haben, denn der kummervolle Ausdruck war aus seinem Antlitz geschwunden, seine Augen blitzten wie in früherer Zeit.

»Auf!« rief er, »uns ziemt es, an der Spitze zu reiten, nicht aber bei der Nachhut. Und nun merkt auf das, was ich Euch sage,« fuhr er fort, nachdem seiner Aufforderung Folge geleistet worden war, »hört mich. Möglicherweise gelingt es uns, die Deutschen unerwartet zu überfallen, sollten sie uns jedoch früh genug gewahr werden, um sich in Schlachtordnung aufstellen zu können, dann müssen wir uns als Erste auf sie werfen, denn wir sind am besten gewappnet, wir führen die schärfsten Schwerter.«

»Das soll geschehen!« erklärte Macko.

Schon setzten sich die Mannen fester in die Sättel, gerade als ob es im nächsten Augenblicke losgehen werde, schon holte der und jener tief Atem, während er prüfte, ob sein Schwert leicht aus der Scheide gehe. Abermals wiederholte Zbyszko den Befehl, jeden Ritter in weißem Mantel, welcher sich unter dem Fußvolke befinde, zu verschonen, ihn nicht zu töten, sondern ihn nur zum Gefangenen zu machen, dann sprengte er wieder zu den Anführern und gleich darauf machte die Kriegsschar Halt. Sie hatte den Weg erreicht, der zu der Furt führte. Tatsächlich konnte er jedoch keine Straße, sondern nur ein breiter Pfad genannt werden, und erst vor ganz kurzer Zeit war der Wald so weit ausgeholzt worden, daß ein Kriegsheer, ja sogar Wagen, ungefährdet hindurchzukommen vermochten. Auf beiden Seiten des Pfades ragten hohe Fichtenbäume empor, da und dort lagen die mächtigen Stämme, die gefällt worden waren. An manchen Stellen standen die Haselnußsträuche so dicht, daß kein Auge hindurchzudringen vermochte. Mit kundigem Blicke suchte Zbyszko diese geeigneten Plätze für seine Kriegsschar aus. Damit die Deutschen sie nicht schon von ferne wahrnehmen und sich dann zurückziehen oder in Schlachtordnung aufstellen konnten, hieß er seine Mannen sich auf beiden Seiten des Pfades in den Hinterhalt legen und hier den Feind erwarten.

Die Samogitier, welche an das Leben in den Wäldern, an die Kriegführung inmitten einer Wildnis gewohnt waren, bargen sich so rasch hinter Bäumen und gefällten Stämmen, hinter Haselnußsträuchen und jungen Tannen, als ob die Erde sie verschlungen hätte. Keiner von ihnen gab einen Laut von sich, kein Pferd ließ auch nur ein Schnauben hören. Von Zeit zu Zeit lief das oder jenes wilde Tier auf die auf der Lauer liegenden Leute zu, ein jedes rannte aber erschreckt in den tiefen Wald zurück, sobald es eines Menschen ansichtig wurde. Zuweilen erhob sich ein Windstoß, sodaß plötzlich ein mächtiges Brausen durch den Wald fuhr, dem jedoch sofort wieder lautlose Stille folgte. Nur aus der Ferne ertönte in kurzen Zwischenräumen der Ruf des Kuckucks, und in der Nähe erklang dann und wann das Hämmern des Spechtes.

Freudig horchten die Samogitier auf dieses Hämmern, galt ihnen doch der Vogel als Bringer froher Kunde. Zahllose Spechte schienen hier zu nisten, denn allmählich erklang ein so durchdringendes, starkes Hämmern von allen Seiten, wie wenn es von Menschenhänden herrühre. Es war, als ob jene Vögel eine Schmiede im Walde errichtet hätten und seit frühem Morgen an strenger Arbeit wären. Macko und die Masuren dünkte es, sie hörten Zimmerleute, welche das Gebälk eines neuen Hauses aufschlugen, und sie glaubten, in die Heimat versetzt zu sein.

Doch die Zeit verstrich und noch immer war nichts zu vernehmen, als die Stimmen der Vögel, als das Brausen des Waldes. Der Nebel schwand mehr und mehr, die wärmende Sonne brach völlig durch. Doch lautlos harrten die Krieger auf ihren Posten aus. Schließlich wandte sich Hlawa, dem das Schweigen und die Spannung unerträglich geworden waren, zu Zbyszko und flüsterte: »O Herr, wenn Gott keinen der Weißmäntel lebend davonkommen läßt, könnten wir nicht zur Nachtzeit über den Fluß setzen, die Burg überrumpeln und in unsere Gewalt bringen?«

»Glaubst Du denn nicht, daß sie Boote ausgesetzt und der Bemannung ein Losungswort erteilt haben?«

»Das haben sie sicherlich. Doch ebenso gewiß werden auch die mit dem Schwerte bedrohten Gefangenen das Losungswort nicht nur verraten, sondern es sogar auf deutsch der Wache zurufen. Wenn wir nur einmal auf der Insel sind, dann wird die Burg –«

Er konnte nicht weiter reden, Zbyszko legte ihm plötzlich die Hand auf den Mund, denn von dem Wege her ertönte das Krächzen eines Raben.

»Schweig!« rief der junge Ritter, »das ist ein Zeichen.«

Und noch ehe man zwei Vaterunser hätte sprechen können, sprengte ein Samogitier auf seinem kleinen zottigen Pferde daher, dessen Hufe fürsorglich mit Schafsfellen umwickelt waren, damit kein Geräusch hörbar, keine Spur hinterlassen werde.

Scharf blickte der Reiter nach allen Seiten aus, und kaum hörte er aus dem Dickicht die Antwort auf das Krächzen, so drang er so rasch in den Wald ein, daß er sich schon nach wenigen Sekunden neben Zbyszko befand.

»Sie kommen!« sagte er hierauf leise.

Sechstes Kapitel.

Zbyszko fragte hastig, auf welche Weise sie vorrückten, wie viel Reiterei und wie viel Fußvolk es sei, vor allem aber, wie weit entfernt sie sich noch befanden. Aus der Antwort des Samogitiers entnahm er, daß die Abteilung die Zahl von einhundertfünfzig Kriegern nicht überstieg, von denen etliche fünfzig zu Pferd von einem weltlichen Ritter, nicht aber von einem Kreuzritter angeführt wurden, daß sie in Schlachtordnung vorrückten, daß sie eine Anzahl Wagen mit einem Vorrat von Rädern mitführten; daß der ganzen Abteilung in einer Entfernung von zwei Bogenschüssen eine aus acht Mannen bestehende Vorhut vorausgehe, welche die Landstraße häufig verlasse, um das Dickicht des Waldes zu durchsuchen, und schließlich, daß sie eine Viertelmeile entfernt waren.

Daß die Feinde sich in Schlachtordnung vorwärts bewegten, war keine frohe Kunde für Zbyszko. Er wußte aus Erfahrung, welche Schwierigkeiten es hatte, die geschlossenen Reihen der Deutschen zu durchbrechen, und daß eine solche Schar selbst während des Rückzuges sich zu verteidigen und gleich einem von Hunden in die Enge getriebenen Eber um sich zu hauen verstand. Hingegen erfreute ihn die Nachricht, daß sie nicht weiter als eine Viertelmeile entfernt waren, denn er sagte sich, daß jene Mannen, die er vorausgesandt hatte, den Deutschen nun schon in den Rücken gefallen waren, und daß sie, falls diese eine Niederlage erlitten, keine lebende Seele entrinnen lassen würden. Was die der Abteilung vorausziehende Streifwache anbelangte, so machte sie ihm wenig Sorge, da es von Anfang an zu erwarten gewesen war, daß es so kommen könne, und er auch seinen Samogitiern zuvor schon befohlen hatte, entweder jene Vorhut ruhig durchzulassen oder, wenn der Versuch gemacht werde, das Innere des Waldes zu erforschen, in aller Stille jene acht Mannen einen nach dem andern gefangen zu nehmen.

Aber dieser Befehl war ganz überflüssig gewesen. Die Streifwache zog schon heran. Verborgen hinter einigen entwurzelten Baumstämmen, in der Nähe der Landstraße sahen die Samogitier die Kriegsknechte, welche an der Biegung des Weges Halt machten und miteinander sprachen, sehr genau. Nachdem der Anführer, ein starker, rotbärtiger Krieger, durch ein Zeichen Schweigen geboten hatte, begann er angestrengt zu lauschen. Es war klar, daß er schwankte, ob er in den Wald eindringen solle oder nicht.

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Während eines kurzen Augenblickes hing der Tod über des alten Ritters Haupte.

Schließlich, als er nur das Hämmern der Spechte vernahm, dachte er offenbar, daß die Vögel sich nicht hören lassen würden, wenn jemand im Forste verborgen wäre, daher winkte er mit der Hand und führte seine Untergebenen weiter.

Zbyszko wartete, bis sie an der nächsten Biegung verschwunden waren, dann näherte er sich in aller Stille, an der Spitze der schwer bewaffneten Mannen, der Landstraße. Unter ihnen befanden sich Macko, der Böhme, die beiden Edelleute aus Lekawica, drei junge Ritter aus Ciechanow und mehrere der angesehensten und bestbewaffneten Bojaren aus Samogitien. Sich noch länger zu verbergen, war nicht mehr nötig, daher beabsichtigte Zbyszko sogleich, wenn Deutsche sich zeigten, bis zur Mitte des Weges vorzusprengen, sich auf sie zu werfen, und sie zu zerstreuen. Falls das gelang und falls der allgemeine Kampf sich zu einer Reihe von Einzelkämpfen gestaltete, durfte er sicher sein, daß die Samogitier Meister über die Deutschen wurden.

Und abermals folgte tiefe Stille, welche nur von dem Rauschen und Flüstern des Waldes unterbrochen wurde. Doch bald drangen von der östlichen Seite der Landstraße auch menschliche Stimmen zu den Ohren der Krieger. Anfangs etwas verworren und wie aus der Ferne klingend, schienen sie allmählich näher zu kommen und waren immer deutlicher zu vernehmen.

Zbyszko führte nun seine Abteilung in die Mitte der Landstraße und stellte sie in keilförmiger Schlachtordnung auf. Er selbst trieb sein Pferd an die Spitze, unmittelbar hinter ihm befanden sich Macko und der Böhme. In der nächsten Reihe standen drei Reiter, in der darauffolgenden vier. Sie waren alle gut bewaffnet; zwar fehlten ihnen die mächtigen Speere oder Lanzen der Ritter, da diese bei Märschen durch den Wald nur hinderlich gewesen wären, dagegen trugen sie für den ersten Angriff den kurzen und leichteren samogitischen Speer bei sich, Schwert und Beil waren für den Kampf im Handgemenge am Sattel befestigt.

Hlawa horchte aufmerksam und angestrengt, dann flüsterte er Macko zu: »Sie singen!«

»Merkwürdig! Der Weg scheint sich im Walde zu verlieren, weil wir sie von diesem Platze aus nicht sehen können,« sagte Macko.

Da wendete sich Zbyszko, welcher es für nutzlos erachtete, sich noch länger zu verbergen oder auch nur leise zu sprechen, zu ihm und sagte: »Dies kommt daher, daß sich die Landstraße längs des Flusses hinzieht und viele Biegungen macht. Wir werden sie ganz plötzlich zu Gesicht bekommen, und so wird es am besten sein.«

»Wie fröhlich sie singen!« warf der Böhme ein.

In der That sangen die Deutschen durchaus kein frommes Lied, dies war aus der Weise leicht zu erkennen. Bei aufmerksamem Lauschen unterschied man auch, daß kaum mehr als zehn Leute sangen, und daß nur ein Ausruf von allen wiederholt wurde. Dieser Ausruf aber hallte wie Donnerschall weithin durch den Wald.

Und so voll Heiterkeit und Frohsinn, gingen sie dem Tode entgegen.

»Bald werden wir sie sehen,« sagte Macko.

Sein Gesicht verfinsterte sich plötzlich und nahm einen wolfsähnlichen Ausdruck an. War er doch hart und rachsüchtig geworden, und hatte er doch noch nicht Vergeltung für jenen Pfeilschuß geübt, welchen er damals empfing, als er, um Zbyszko zu retten, sich mit einem Briefe der Schwester Witolds zum Großmeister begeben wollte.

In ihm bäumte sich alles auf, und gleich einem unaufhaltsamen Strome riß ihn der Durst nach Rache mit sich fort.

»Dem Manne wird es nicht gut ergehen, mit welchem er zuerst anbindet,« dachte Hlawa, nachdem er einen Blick auf den alten Ritter geworfen hatte.

Mittlerweile trug der Wind ganz deutlich den Ausruf herbei, der von allen im Chore wiederholt ward: »Tantaradei«! – und gleich darauf hörte Hlawa die Worte eines ihm bekannten Liedes:

»Bei den rôsen er wol mac,
Tandaradei!
merken wâ mir'z houbet lac ...«

Da riß der Gesang plötzlich ab, denn zu beiden Seiten des Weges erscholl ein so lautes, durchdringendes Krächzen, wie wenn in diesem Waldwinkel eine große Versammlung von Raben abgehalten worden wäre. Die Deutschen wunderten sich nicht wenig darüber. Unwillkürlich fragten sie sich, woher all diese Vögel kämen und wieso deren Stimmen dicht über dem Erdboden, nicht aber in den Wipfeln der Bäume ertönten.

Die erste Reihe der Kriegsknechte zeigte sich jetzt an der Biegung und blieb beim Anblick der unbekannten Reiter wie versteinert stehen.

In demselben Augenblick neigte sich Zbyszko auf den Sattel herab, gab seinem Pferde die Sporen und sprengte vorwärts.

»Werft Euch auf sie!«

Die andern folgten ihm. Auf beiden Seiten des Waldes erscholl der furchtbare Ruf der samogitischen Krieger. Ungefähr zweihundert Schritte trennten Zbyszkos Mannen von den Deutschen, welche im nächsten Augenblick einen ganzen Wald von Lanzen gegen die Heranreitenden richteten, während die hintern Reihen sich mit der gleichen Schnelligkeit gegen die beiden Seiten des Waldes wendeten, um sich gegen die Angriffe auf den Flanken zu verteidigen. Ihre Geschicklichkeit wäre von den polnischen Rittern bewundert worden, hätten diese Zeit zur Bewunderung gesunden und hätten deren Pferde sie nicht in rasendem Laufe den erhobenen, glänzenden Lanzen entgegengetragen.

Durch einen für Zbyszko günstigen Zufall befand sich die deutsche Reiterei bei der Nachhut, in der Nähe der Wagen. Zwar rückte sie sofort zu ihrem Fußvolk vor, doch konnte sie sich weder einen Weg durch die Reihen bahnen, noch an ihnen vorbeireiten und sie daher auch nicht gegen den ersten Ansturm decken. Bald sahen sich die berittenen Deutschen umringt von einer Schar Samogitier, welche aus dem Dickicht herausstürzten gleich einem wildgewordenen Wespenschwarm, dessen Nest von einem unbedachten Wanderer beschädigt worden ist. Unterdessen hatte Zbyszko mit seinen Mannen das Fußvolk angegriffen.

Doch dieser Angriff blieb ohne Erfolg. Nachdem die Deutschen ihre schweren Lanzen und Hellebarden in die Erde aufgepflanzt hatten, hielten sie dieselben in einer Linie fest, sodaß die leichte, samogitische Reiterei diesen Wall nicht zu durchbrechen vermochte. Mackos Pferd, durch eine Hellebarde in das Schienbein getroffen, bäumte sich hoch auf und grub sich dann mit den Nüstern in den Grund. Während eines kurzen Augenblickes hing der Tod über des alten Ritters Haupte, aber er, der in allen Kämpfen sehr erfahren und gegen Zufälle gewappnet war, zog die Füße aus den Steigbügeln und griff mit starker Hand nach eines Deutschen scharfem Speere, sodaß dieser, statt seine Brust zu durchbohren, ihm als Stütze diente. Dann sprang er mitten durch die Pferde, und sein Schwert ziehend, begann er damit über die Speere und Hellebarden herzufallen, gerade wie ein raubgieriger Falke wütend über eine Schar langschnäbeliger Kraniche herfällt. Als Zbyszkos Pferd im Laufe zurückgehalten ward, und sich fast ganz auf die Hinterbeine stellte, stützte er sich auf seinen Speer, zerbrach ihn aber und griff nun gleichfalls zum Schwerte. Der Böhme, welcher dem Beile vor allen andern Waffen den Vorzug gab, schleuderte das seine gegen die Feinde und war für einen Augenblick waffenlos. Einer der Edelleute aus Lekawica fiel, den andern ergriff bei diesem Anblick eine so wahnsinnige Wut, daß er heulte wie ein Wolf, und seinem blutüberströmten Pferde die Sporen gebend, es blindlings mitten unter die Feinde trieb. Die samogitischen Bojaren schlugen mit ihren Hirschfängern auf die großen und kleinen Speere, hinter denen die Gesichter der Kriegsknechte hervorschauten, welche gleichsam von Verwunderung durchdrungen zu sein schienen und in deren ganzem Gebaren sich zugleich Haß und Entschlossenheit ausdrückte. Es zeigte sich indessen, daß ihre Reihen nicht durchbrochen werden konnten. Auch die Samogitier, welche die Flanken angriffen, prallten wieder zurück wie vor dem sicheren Verderben. Zwar rückten sie dann abermals mit noch größerem Ungestüm vor, vermochten aber nichts auszurichten.

Im Nu kletterten nun etliche auf die Fichtenbäume am Wege und schossen ihre Pfeile mitten unter die Kriegsknechte hinein, deren Anführer daraufhin den Befehl gaben, den Rückzug gegen die Reiterei anzutreten. Die deutschen Armbrustschützen erwiderten indessen die Schüsse der Feinde, sodaß von Zeit zu Zeit manch unter den Baumzweigen verborgener Samogitier gleich einem reisen Fichtenzapfen zu Boden fiel und sich im Todeskampfe mit den Händen in das Moos des Waldes eingrub oder emporschnellte wie ein aus dem Wasser geworfener Fisch. Umringt auf allen Seiten, konnten die Deutschen nicht auf Sieg rechnen, da sie jedoch sahen, daß ihre Schutzwehr nicht vergeblich war, wähnten sie, wenigstens eine kleine Schar von ihnen sei vielleicht im stande, noch aus der Umgarnung zu entkommen und zum Flusse zu gelangen.

Keinem kam es in den Sinn, sich zu ergeben, denn da sie selbst ihre Gefangenen niemals schonten, wußten sie, daß sie auch nicht auf das Mitleid der zur Verzweiflung und Empörung getriebenen Feinde rechnen dursten. So zogen sie sich denn in der Stille zurück. Mann für Mann, Schulter an Schulter, bald die Lanzen und Hellebarden erhebend bald sinken lassend, Hiebe und Stiche austeilend, ihre Pfeile gebrauchend, so gut das Getümmel der Schlacht es gestattete, und sich fortwährend ihrer Reiterei nähernd, die mit anderem feindlichem Kriegsvolk um Leben und Tod kämpfte.

Da geschah etwas ganz Unerwartetes, etwas, wodurch der Ausgang dieses verzweifelten Kampfes entschieden wurde. Jener Edelmann aus Lekawica, welcher durch den Tod seines Bruders von Wahnwitz ergriffen worden war, neigte sich, ohne von seinem Rosse zu steigen, herab, und hob den Leichnam vom Boden auf, offenbar in der Absicht, ihn vor den Hufschlägen der Pferde zu retten und an einem sicheren Orte niederzulegen, wo er ihn dann nach der Schlacht finden konnte. Aber in demselben Augenblicke überkam ihn ein neuer Wutanfall und raubte ihm völlig jedes klare Bewußtsein, denn anstatt vom Wege abzulenken, griff er die Feinde an und warf den Leichnam mit aller Kraft auf die scharfen Lanzenspitzen, welche, in dessen Brust, Leib und Hüften eindringend, sich unter der Last förmlich bogen. Bevor aber die Kriegsknechte imstande waren, ihre Lanzen herauszuziehen, sprengte der Wahnsinnige durch die entstandene Bresche in ihre Reihen hinein, gleich einem Sturmwinde die Menschen über den Haufen werfend.

Im nächsten Augenblick streckten sich zehn Hände gegen ihn aus, zehn Lanzen durchbohrten die Flanken seines Rosses, aber die Reihen waren nun durchbrochen, und bevor sie sich wieder ordnen konnten, warf sich einer der samogitischen Bojaren, der sich am nächsten befand, in die Bresche, ihm folgte Zbyszko sowie der Böhme, und das furchtbare Getümmel ward mit jedem Augenblicke größer. Wieder andere Bojaren ergriffen nun gleichfalls die Leichname von Gefallenen und warfen sie auf den Wall von Lanzenspitzen. Auf den Flanken machten die Samogitier einen neuen Angriff. Die ganze bisher wohlgeordnete Heerschar der Deutschen geriet ins Wanken, gleich einem Hause, dessen Mauern geborsten sind, sie teilte sich gleich einem Baumstamme, in den ein Keil eingetrieben ist, und zerstreute sich schließlich.

Allmählich ward die Schlacht zu einer Metzelei. Die langen, deutschen Speere und Hellebarden waren nutzlos in diesem Handgemenge, dagegen drangen die Hirschfänger der Reiter tief in die Hirnschalen und Nacken der Deutschen ein, die Pferde jagten in das dichteste Menschengewühl, die unglücklichen Kriegsknechte zu Boden werfend und zerstampfend. Den Reitern fiel es leicht, von oben herab die Feinde zu treffen, daher schlugen sie unaufhörlich drein, ohne abzulassen. Von den Seitenwegen strömten immer neue Scharen wilder Krieger in Wolfsfellen und mit der Blutgier von Wölfen herbei. Ihr Heulen übertönte die flehentlichen Bitten um Erbarmen und das Aechzen der Sterbenden. Die Besiegten warfen ihre Waffen nieder, etliche versuchten, in den Wald zu entkommen, einige warfen sich zu Boden und stellten sich tot, manche standen wie erstarrt da, mit bleichen Gesichtern und geschlossenen Augen, wieder andere beteten, einer, dessen Sinne sich offenbar vor Schrecken verwirrt halten, begann auf einer Pfeife zu spielen, wobei er lächelnd emporschaute, bis eine samogitische Keule ihm den Schädel zerschmetterte. Der Fichtenwald stellte sein Brausen ein, wie erschreckt über dies Blutbad.

Mehr und mehr schmolz die kleine Schar der Ordensknechte zusammen. Nur im Dickicht erscholl noch von Zeit zu Zeit der Lärm des Kriegsgetümmels und der durchdringende Schrei der Verzweifelten. Zbyszko, sowie Macko und hinter diesen alle Reiter sprengten jetzt gegen die feindliche Reiterei heran.

In einem Kreise ausgestellt, kämpfte diese. Es war die gewöhnliche Art der Deutschen, sich zu verteidigen, wenn der Feind ihnen mit großer Uebermacht entgegentrat. Die gut berittenen Krieger, die auch besser gewappnet waren als das Fußvolk, stritten tapfer und mit bewunderungswürdiger Verwegenheit. Kein Träger des weißen Mantels war unter ihnen zu sehen, sie gehörten meist den mittleren und weniger angesehenen preußischen Adelsgeschlechtern an, deren Obliegenheit es war, auf Geheiß des Ordens ins Feld zu ziehen. Auch ihre Pferde waren zum größten Teil gewappnet, manche mit Panzern aus Draht und alle mit eisernen Stirnbinden, an denen in der Mitte ein Horn aus Stahl hervorragte. Den Oberbefehl hatte ein hochgewachsener, schlanker Ritter in dunkelblauem Panzer und gleichfarbigem Helm mit herabgelassenem Visier.

Aus der Tiefe des Waldes wurde ein Hagel von Pfeilen auf sie abgeschossen, aber deren Spitzen prallten von den Helmen, den Panzern und harten Armschienen ab, ohne eine Spur zurückzulassen. Eine dichte Mauer von Samogitiern zu Fuß und zu Roß umgab sie, doch sie verteidigten sich, indem sie wütend um sich schlugen und mit ihren langen Schwertern solche Hiebe anstellten, daß die Getroffenen scharenweise vor den Hufen ihrer Rosse lagen. Die vordersten Reihen der Angreifer wollten sich zurückziehen, aber sie wurden von hinten vorgeschoben, und waren deshalb nicht im stande dazu. In dem dichten Gedränge entstand ein grenzenloser Wirrwarr, die Augen wurden geblendet von dem Flimmern der Lanzen, dem Funkeln der Schwerter. Die Pferde wieherten, bissen um sich, schlugen mit den Hinterfüßen aus. Da sprengten die samogitischen Bojaren, da sprengten Zbyszko, der Böhme und die Masuren in den Kreis. Unter ihren gewaltigen Streichen geriet die ganze Schar ins Wanken und bewegte sich hin und her wie ein Wald, dessen Stämme und Zweige vom Sturme gepeitscht werden, jene Angreifer jedoch rückten schweißtriefend von der Mühseligkeit des Kampfes nur langsam vorwärts, dabei wie die Holzhauer verfahrend, welche die Tannen fällen, wo sie am dichtesten stehen.

Nun befahl Macko, die langen Hellebarden der Deutschen auf dem Schlachtfelde zu sammeln, und nachdem sich ungefähr dreißig wilder Krieger damit bewaffnet hatten, bahnten sie sich einen Weg damit bis zu den Deutschen. Als sie bei diesen angelangt waren, schrie er: »Schlagt los auf die Füße der Pferde!« und sofort zeigten sich die entsetzlichen Folgen dieses Befehles. Die deutschen Ritter konnten ihre Feinde nicht mit den Schwertern erreichen, während die Schienbeine der Pferde furchtbar durch die Hellebarden zerschmettert wurden. Da erkannte der blaue Ritter, daß das Ende der Schlacht herannahe, und daß nichts übrig blieb, als sich entweder durch die Feinde durchzuschlagen, welche ihm und seiner Schar den Rückweg abschnitten, oder mit ihr zu Grunde zu gehen.

Er wählte das erstere – und im Nu machte auf seinen Befehl die ganze Reihe der Ritter Front nach der Richtung, aus der sie gekommen waren. Die Samogitier waren ihnen sofort auf dem Nacken, allein die Deutschen hingen ihre Schilder um die Schultern, durchbrachen den sie umzingelnden Ring, spornten ihre Pferde an und jagten der Windsbraut gleich gen Osten.

Doch nun trafen sie mit jener Heeresabteilung zusammen, welche gerade herbeisprengte, um in die Schlacht einzugreifen, aber den besseren Waffen unterliegend, von den Pferdehufen zermalmt, wurden die Mannen dieser Abteilung hingemäht wie Ackerfelder vom Sturmwinde. Der Weg zur Burg war frei, aber die Rettung unsicher, denn die Pferde der Samogitier waren schneller als die der Deutschen. Der blaue Ritter begriff dies nur zu wohl.

»Wehe!« sagte er sich im Innern, »kein einziger wird entrinnen, wenn schon ich mit meinem eigenen Blute ihr Leben erkaufen mochte.«

Nach diesen Erwägungen gebot er den Reitersmännern, die sich in seiner Nähe befanden, ihre Pferde anzuhalten, er selbst wandte das seine, und ohne darauf zu achten, ob jemand seiner Aufforderung gehorchte, bot er dem Feinde die Stirn.

Zbyszko sprengte zuerst heran, daher schlug ihm der Deutsche auf den schützenden Helm, traf aber nur die vortretende Kante, zerschmetterte sie jedoch nicht und verletzte auch das Antlitz nicht. Da faßte Zbyszko,» anstatt Hieb mit Hieb zu vergelten, den Ritter um den Leib, rang mit ihm und, vor allem darauf bedacht, ihn lebend in seine Gewalt zu bekommen, bemühte er sich, ihn vom Sattel zu reißen. Aber seine Steigbügel brachen von dem allzu starken Druck und die Kämpfer fielen zu Boden. Während eines kurzen Augenblickes wälzten sie sich auf der Erde, mit Händen und Füßen um sich schlagend, bald jedoch erlangte der junge Kämpe durch seine ungewöhnliche Kraft die Uebermacht über seinen Gegner und sich mit seinen Knien auf dessen Leib stemmend, hielt er ihn fest, wie etwa ein Wolf einen Hund festhält, der es gewagt hat, ihn im Dickicht zu stellen.

Und er hielt ihn unnötigerweise fest, denn der Deutsche war bewußtlos geworden. Mittlerweile sprengten auch Macko und der Böhme heran. Als Zbyszko sie erblickte, rief er ihnen zu: »Kommt und bindet ihn! Das ist ein angesehener Ritter – ein gegürteter!«

Der Böhme sprang vom Pferde, da er indessen sah, wie hilflos der Besiegte dalag, band er ihn nicht, sondern öffnete seinen Panzer und seine Armschienen, nahm seinen Gürtel nebst dem daranhängenden Misericordia, durchschnitt den Riemen, womit der Helm befestigt war und machte schließlich die Schraube auf, welche das Visier zusammenhielt.

Doch kaum hatte er des Ritters Antlitz erschaut, als er emporsprang und rief: »Herr! Herr! Seht nur!«

»De Lorche!« schrie Zbyszko auf.

Und de Lorche lag mit bleichem, schweißbedecktem Antlitz und geschlossenen Augen da, regungslos, einem Toten ähnlich.

Siebentes Kapitel.

Zbyszko befahl, ihn auf einen der erbeuteten mit Rädern und Achsen beladenen und zu jenem Zuge gehörenden Wagen zu legen, welche neue Zufuhr in die Burg hatte bringen sollen. Er selbst bestieg ein anderes Pferd und sprengte mit Macko davon, um die Fliehenden weiter zu verfolgen. Diese Verfolgung war indessen nicht allzu schwer, denn die Pferde der Deutschen taugten wenig zu einer solchen Flucht auf der vom Frühlingsregen durchweichten Landstraße. Auf einer schnellen, leichtfüßigen Stute, welche dem erschlagenen Edelmann aus Lekawica angehört hatte, überholte Macko nach einigen hundert Schritten fast alle Samogitier und erreichte bald den ersten Deutschen. Dem ritterlichen Gebrauche gemäß rief er ihn zwar an, auf daß er sich entweder als Gefangener ergebe oder zum Kampfe stelle, aber da jener that, als ob er nicht höre, zur Erleichterung seines Pferdes sogar seinen Schild wegwarf, sich vorbeugte und seine Sporen in des Rosses Flanken drückte, da versetzte ihm der alte Ritter mit seiner breiten Axt einen furchtbaren Hieb zwischen die Schulterblätter und hob ihn aus dem Sattel.

So rächte er sich an den Flüchtlingen für den verräterischen Pfeilschuß, den er einst empfangen hatte; sie aber flohen vor ihm gleich einem Rudel Hirsche, die alle von unbezwinglicher Furcht erfüllt sind, aber keinen Trieb hegen, zu kämpfen und sich zu verteidigen, sondern nur den einen, sich vor dem entsetzlichen Verfolger zu retten. Etliche liefen in den Wald, einer blieb im Sumpfe stecken, und diesen erwürgten die Samogitier mittelst eines Halfters. Ganze Scharen verfolgten die Flüchtlinge bis ins Dickicht, wo nun unter Lärm und Geschrei eine wilde Jagd begann. Der Forst hallte davon wider, bis der letzte Mann bezwungen war. Dann kehrten der alte Ritter aus Bogdaniec, Zbyszko und Hlawa auf das erste Schlachtfeld zurück, wo die erschlagenen deutschen Kriegsknechte lagen. Die Leichname waren entblößt, etliche auch furchtbar verstümmelt von den Händen der rachsüchtigen Samogitier. Ein großer Sieg war gewonnen, und das Volk wie trunken vor Freude. Nach der letzten Niederlage Skirwoillos bei Gotteswerder war Unzufriedenheit in die Herzen der Samogitier eingezogen, vornehmlich weil die ihnen durch Witold zugesagten Hilfstruppen nicht so schnell eingetroffen waren, wie man erwartet hatte. Jetzt aber lebte die Hoffnung wieder auf und die Flamme der Begeisterung entzündete sich aufs neue gleich einem Feuer, dem frische Nahrung zugeführt wird.

Allzuviele waren sowohl bei den Samogitiern wie bei den Deutschen gefallen, um sie bestatten zu können, aber Zbyszko befahl, mit den Speeren Gräber für die beiden Edelleute aus Lekawica zu graben, welche hauptsächlich zu dem Siege beigetragen hatten, und sie unter zwei Fichtenbäumen zu beerdigen, in deren Rinde er mit der Spitze seines Schwertes Kreuze einschnitt. Dann, nachdem er dem Böhmen anbefohlen hatte, über den immer noch bewußtlosen Herrn de Lorche zu wachen, brach er mit seinen Mannen auf und zog eilig wieder auf der nämlichen Straße der Richtung zu, wo sich Skirwoillo befinden mußte, um ihm für alle Fälle Hilfe zu bringen. Doch es währte lange, bis er auf das von den Streitern schon verlassene Schlachtfeld stieß, welche wie das erste mit den Leichnamen der Samogitier und Deutschen bedeckt war. Zbyszko sagte sich, Skirwoillo müsse einen bedeutenden Sieg davongetragen haben, denn wenn dieser furchtbare Heerführer geschlagen worden wäre, hätten sie auf ihrem Wege deutsche, gegen die Burg ziehende Krieger treffen müssen. Offenbar war es aber ein blutiger Sieg gewesen, da etwas weiterhin, jenseits des eigentlichen Schlachtfeldes, noch Leichname von erschlagenen Samogitiern dicht an einander gereiht lagen. Bei diesem Anblick dachte der erfahrene Macko, ein Teil der Deutschen müsse wohl im stande gewesen sein, sich vor dem Verderben zu retten.

Ob Skirwoillo sie dann verfolgt hatte, war schwer zu entscheiden, weil die Spuren trügerisch waren, und eine die andere immer wieder verwischt hatte. Doch glaubte Macko, daß die Schlacht hier schon ziemlich lange, vielleicht früher als die von Zbyszko gelieferte, stattgefunden hatte, denn die Leichname waren schwarz und angeschwollen, manche auch schon von Wölfen zerrissen, welche sich bei Annäherung der bewaffneten Mannen ins Dickicht flüchteten.

In Anbetracht all dessen beschloß Zbyszko, nicht auf Skirwoillo zu warten, sondern zu dem früheren, sicheren Lagerplatz zurückzukehren. Spät in der Nacht dort angelangt, traf er sogleich mit dem samogitischen Heerführer zusammen, welcher etwas früher dort eingetroffen war. In Skirwoillos sonst etwas düsterem Gesichte drückte sich jetzt frohe Zuversicht aus. Sofort fragte er nach der Schlacht, die stattgesunden hatte, und als er von dem Siege hörte, sagte er mit einer, dem Krächzen eines Raben gleichen Stimme: »Ich bin zufrieden mit Dir und mit mir. Die Hilfstruppen werden nicht so rasch eintreffen, wenn aber der Großfürst kommt, wird auch er seine Befriedigung äußern, denn die Burg wird unser sein.«

»Was für Gefangene sind gemacht worden?« fragte Zbyszko.

»Nur Weißfische, keine Hechte! Es war einer da, es waren sogar zwei da, aber sie entschlüpften, die bärbeißigen Hechte! Sie bissen unsere Mannen und suchten dann das Weite!«

»Durch Gottes Gnade ward mir ein Gefangener in die Hände geliefert,« entgegnete der Jüngling. »Es ist ein mächtiger und angesehener weltlicher Ritter, ein Fremder!«

Der schreckliche Samogitier umfaßte seinen eigenen Hals mit beiden Händen, dann machte er eine Bewegung, wie wenn er mit einem Stricke in die Höhe gezogen werde.

»So wird es ihm ergehen!« sagte er, »gerade wie den andern … So!«

Doch Zbyszko runzelte die Stirne.

»Höre, Skirwoillo,« antwortete er, »so wird es ihm nicht ergehen, denn er ist mein Gefangener und mein Freund. Uns beide hat Fürst Janusz zu gleicher Zeit gegürtet, und ich gestatte nicht, daß Du mit einem Finger an ihn rührst!«

»Du gestattest es nicht?«

»Ich gestatte es nicht!«

Und sie maßen sich mit finsteren Blicken, wobei Skirwoillos Gesicht sich verzerrte und geradezu den Ausdruck eines Raubtieres annahm. Schon waren beide nahe daran, ihrem Zorn die Zügel schießen zu lassen, als Zbyszko, dessen Herz von den Ereignissen des Tages erschüttert war und welcher jeden Streit mit dem alten Heerführer zu vermeiden wünschte, den er ehrte und schätzte, ihn plötzlich umfaßte, an die Brust drückte und rief: »So willst Du mir ihn entreißen und mir damit die letzte Hoffnung rauben? Wie kannst Du mir ein solches Unrecht zufügen?«

Skirwoillo entzog sich der Umarmung nicht, schließlich aber erhob er sein Haupt von Zbyszkos Schulter und diesen von unten herauf ansehend, ließ er ein eigentümliches Schnauben hören: »Wohlan,« sagte er nach kurzem Schweigen, »morgen lasse ich meine Gefangenen aufhängen, wünschest Du aber einen für Dich zu behalten, so überlasse ich ihn Dir.«

Dann umarmten sie sich nochmals und trennten sich in gutem Einvernehmen, zur großen Befriedigung Mackos, welcher bemerkte: »Durch Heftigkeit kannst Du offenbar nichts bei ihm erreichen, aber durch freundliches Entgegenkommen wird er zu Wachs in Deinen Händen.«

»So ist das ganze Volk,« erwiderte Zbyszko, »die Deutschen allein nur wissen dies nicht.«

Nach diesen Worten befahl er, Herrn de Lorche, der in einer Hütte rastete, an die Feuerstätte zu führen, und derselbe erschien denn auch bald, von dem Böhmen geleitet, unbewaffnet, ohne Helm, mit einem ledernen Wams bekleidet, auf dem der Panzer seine Spuren zurückgelassen hatte, und mit einer roten Mütze auf dem Haupte.

De Lorche hatte schon durch Hlawa erfahren, wessen Gefangener er war, deshalb trat er mit kalter hochmütiger Miene heran und beim Scheine der Flamme war Trotz und Verachtung in seinem Gesichte zu lesen.

»Danke Gott,« sagte Zbyszko zu ihm, »daß er Dich in meine Hand gab, denn von mir hast Du nichts zu befürchten.«

Und er wollte ihm in freundschaftlicher Weise die Hand reichen, aber de Lorche blieb unbeweglich stehen.

»Den Rittern, welche die ritterliche Ehre beschimpft haben, indem sie mit den Saracenen gegen die Christen kämpften, reiche ich nicht die Hand.«

Einer der anwesenden Masuren übersetzte seine Worte, deren Bedeutung Zbyszko sofort erriet. Und heiß wallte das Blut in ihm auf.

»Thor!« schrie er auf; unwillkürlich den Griff seines »Misericordia« ergreifend.

De Lorche erhob das Haupt.

»Töte mich!« sagte er, »ich weiß ja, daß Ihr die Gefangenen nicht schont.«

»Schont Ihr sie denn?« rief der Masur, der solche Worte nicht ruhig anhören konnte. »Seid Ihr es nicht gewesen, welche all die in der Schlacht gemachten Gefangenen am Ufer der Insel aufgehängt habt? Darum wird auch Skirwoillo Eure Kriegsknechte hängen lassen.«

»So geschah es in der That,« entgegnete de Lorche, »aber dies sind Heiden gewesen.«

Indessen war es nicht zu verkennen, daß er sich dieser Antwort gewissermaßen schämte, und man konnte daraus entnehmen, daß er im Innern eine solche That nicht billigte.

Mittlerweile hatte Zbyszko wieder kaltes Blut erlangt und sagte mit ruhiger Würde: »De Lorche, aus derselben Hand empfingen wir Gürtel und Sporen; Du kennst mich auch und weißt, daß die Ritterehre mir teurer ist als Leben und Glück, also höre, was ich Dir mit einem Eide bei dem heiligen Georg beschwöre. Viele von den Gefangenen waren längst getauft, und die Leute, welche noch keine Christen sind, strecken ihre Hände nach dem Kreuze aus, wie nach ihrer ewigen Seligkeit. Aber weißt Du, wer ihnen hindernd in den Weg tritt, damit sie nicht zur Erlösung gelangen, weißt Du, wer ihnen die Taufe verwehrt?«

Der Masur übersetzte Zbyszkos Worte sofort, und de Lorche schaute daher fragend in des Jünglings Antlitz.

Dieser aber sagte: »Die Kreuzritter!«

»Das kann nicht sein!« schrie der lothringische Ritter auf.

»Bei der Lanze und bei den Sporen des heiligen Georg, die Kreuzritter sind es! Denn wenn das Kreuz hier die Oberhand bekäme, würden sie keinen Vorwand mehr für ihre Ueberfälle, ihr herrisches Gebaren in diesem Lande und für die Unterdrückung des unglückseligen Volkes haben. Doch Du hast sie ja kennen gelernt, de Lorche, und weißt am besten, ob ihre Thaten gerecht sind.«

»Ich glaubte, daß sie ihre Sünden büßen, indem sie mit den Heiden Kämpfen und sie zur Taufe zu bewegen suchen.«

»Mit Blut werden die Heiden von den Kreuzrittern getauft, nicht mit dem heiligen Wasser. Lies dieses Blatt; und Du wirst sogleich erfahren, daß Du im Dienste von Menschenschindern, Räubern und Söhnen der Hölle gegen die Bekenner des christlichen Glaubens und der christlichen Liebe gekämpft hast.«

Bei diesen Worten überreichte er ihm den Brief der Samogitier an die Könige und Fürsten, der überall herumgeschickt worden war. De Lorche nahm ihn und überflog ihn beim Scheine des Feuers mit den Augen. Er überflog ihn rasch, denn die Kunst zu lesen war ihm nicht fremd. Ueber die Maßen erstaunt fragte er dann: »Ist all dies wahr?«

»Es ist wahr, so Gott mir und Dir helfe! Er weiß am besten, daß ich jetzt nicht nur meiner eigenen Sache, sondern auch der Gerechtigkeit diene.«

De Lorche schwieg eine Weile, dann sagte er: »Ich bin Dein Gefangener!«

»Gieb Deine Hand,« erwiderte Zbyszko. »Mein Bruder bist Du, nicht mein Gefangener.«

Nun reichten sie sich die Rechte und setzten sich zum abendlichen Imbiß nieder, den der Böhme durch die Knechte hatte bereiten lassen. Während des Mahles vernahm de Lorche mit nicht geringer Verwunderung, daß Zbyszko trotz der Geleitsbriefe den Aufenthaltsort Danusias noch nicht entdeckt hatte, und daß die Gültigkeit dieser Geleitsbriefe durch die Komture aus Anlaß des Krieges bestritten worden war.

»Nun ist es mir klar, weshalb Du Dich hier befindest!« sagte er zu Zbyszko, »und ich danke Gott, daß er mich Dir als Gefangenen überlieferte, denn ich glaube, die Kreuzritter werden für mich auswechseln, wen Du willst, weil sich sonst ein großes Geschrei in den westlichen Ländern erheben würde. Stamme ich doch aus einem mächtigen Geschlechte …«

Hier schlug er sich plötzlich mit der Hand an die Stirne und rief: »Bei allen Reliquien in Akwisgran 14! An der Spitze der nach Gotteswerder ziehenden Hilfstruppen befanden sich Arnold von Baden und der alte Zygfryd von Löwe. Wir wissen dies durch Briefe, welche in der Burg eintrafen. Sind diese Ritter denn nicht gefangen genommen worden?«

»Nein!« antwortete Zbyszko aufspringend, »keiner der Angesehensten ist gefangen genommen worden! Aber bei Gott, eine wichtige Kunde teilst Du mir mit. Bei Gott! Von den andern Gefangenen werde ich jetzt, ehe man sie aufhängt, erfahren, ob Zygfryd ein Weib mit sich geführt hat.«

Er rief nach den Knechten, damit sie ihm Fackeln anzündeten, und eilte der Richtung zu, wo sich Skirwoillos Gefangene befanden. De Lorche, Macko, sowie der Böhme folgten ihm.

»Höre,« sprach der Lothringer unterwegs zu ihm, »gieb mich frei auf mein Wort, dann werde ich selbst in ganz Preußen nach ihr forschen. Sobald ich sie gefunden habe, kehre ich zu Dir zurück und dann kannst Du mich für sie auswechseln, wenn sie noch am Leben ist!«

»Wenn sie noch am Leben ist!« rief Zbyszko aus.

Unterdessen waren sie bei Skirwoillos Gefangenen angelangt. Einige von ihnen lagen auf dem Rücken, wieder andere waren grausamer Weise mit Stricken an Baumstämme festgebunden. Das Licht der Fackeln fiel hell auf Zbyszkos Haupt, so daß die Augen all dieser Unglücklichen sich auf ihn richteten. Da ertönte eine durchdringende, herzzerreißende Stimme: »O mein Gebieter, mein Beschützer! Rettet mich!«

Zbyszko nahm einen brennenden Span aus der Hand eines Knechtes, eilte damit auf den Rufenden zu und die Leuchte emporhebend, schrie er laut: »Sanderus!«

»Sanderus!« stieß auch der Böhme voll Verwunderung hervor.

Und der Reliquienhändler, unfähig seine geknebelten Hände zu bewegen, streckte den Hals vor und ließ sich abermals vernehmen: »Erbarmen! … Ich weiß, wo sich die Tochter Jurands befindet! … Rettet mich!«

  1. Aachen.

Siebentes Kapitel.

Aber sie trocknete ihre Thränen und forderte den Böhmen auf, ihr zu Jurand zu folgen und ihm die neue Kunde mitzuteilen. Sie trafen ihn in einer großen Stube, wo er aufrecht dasaß; Pater Kaleb, Anielka und der alte Tolima befanden sich bei ihm, eine zahme Wölfin lagerte zu seinen Füßen. Der Meßmer des Ortes, welcher zugleich Psalmist war, spielte auf der Laute und trug ihnen Gesänge von den ehemaligen Kämpfen Jurands mit den Kreuzrittern vor, und, den Kopf in die Hand gestützt, lauschten alle, in tiefe Betrachtungen und Trauer versenkt. Das Gemach war hell vom Monde beleuchtet. Einem beinahe schwülen Tage war ein stiller, warmer Abend gefolgt, die Fenster standen offen und im Scheine des Mondes waren die in der Stube umherschwirrenden Maikäfer zu sehen, welche von den Lindenbäumen draußen hereinkamen. Auf dem Herde glimmten noch einige Holzscheite, auf denen ein Knecht einen aus Honig, stärkendem Wein und duftenden Kräutern gemischten Trank wärmte.

Der Psalmist, oder vielmehr der Meßmer und Diener des Pater Kaleb, stimmte gerade einen neuen Gesang an von einem siegreichen Treffen: »Es reitet Jurand, er reitet dahin, unter ihm sein braunes Roß«, als Jagienka eintrat und sagte: »Gelobt sei Jesus Christus!«

»Von Ewigkeit zu Ewigkeit!« antwortete Pater Kaleb.

Jurand saß auf einer Bank, die Arme auf die Lehne gestützt; als er Jagienkas Stimme hörte, wendete er sich sogleich zu ihr und grüßte sie mit einem Neigen seines Hauptes, das ganz weiß geworden war.

»Zbyszkos Knappe ist von Szczytno zurückgekehrt,« begann das Mägdlein, »und neue Kunde bringt er von dem Kaplane. Macko wird nicht hierher zurückkehren, zu Knäs Witold hat er sich aufgemacht.«

»Wie, er wird nicht zurückkehren?« fragte Pater Kaleb.

Nun erzählte sie alles, was sie aus Hlawas Munde vernommen hatte.

Sie erzählte von Zygfryd, wie er sich für den Tod Rotgiers rächte, von Danusia, welche der alte Komtur zu Rotgier bringen wollte, damit dieser das Blut der Unschuldigen trinke, und davon, wie Jurands Tochter unerwarteterweise durch den Henker beschützt worden war. Sie verschwieg auch nicht, daß Macko jetzt die Hoffnung hege, im Verein mit Zbyszko könne er Danusia finden, sie befreien und nach Spychow bringen. Aus diesem Grunde habe er sich sofort zu Zbyszko begeben und ihnen befohlen, in Spychow zu bleiben.

Während sie sprach, bebte ihre Stimme wie vor Traurigkeit und Kummer, und als sie geendigt hatte, herrschte eine Weile tiefes Schweigen in dem Gemache. Nur in den Lindenbäumen draußen im Hofe erscholl der Schlag der Nachtigallen, der durch die offenen Fenster in die Stube drang und sie mit süßem Klang erfüllte.

Aller Augen richteten sich auf Jurand, der mit gesenkten Lidern und gebeugtem Haupte dasaß und nicht das geringste Lebenszeichen von sich gab.

»Habt Ihr gehört?« fragte ihn schließlich Pater Kaleb.

Und er senkte den Kopf noch tiefer herab, erhob den linken Arm und deutete mit der Hand gen Himmel.

Das Licht des Mondes fiel auf sein Gesicht, auf seine weißen Haare, seine geschlossenen Augenlider, und aus diesem Gesichte sprach ein solches Martyrium, doch zugleich auch solch eine unendliche Ergebung in den Willen Gottes, daß allen dünkte, sie sähen nur eine von irdischen Banden befreite Seele vor sich, welche sich jetzt und für immer vom Leben losgelöst hatte, nichts mehr erwartete und nichts mehr erhoffte.

Wieder folgte tiefes Schweigen und wieder war nichts zu hören, als der Gesang der Nachtigallen, der den Hof und das Gemach erfüllte.

Da überkam Jagienka plötzlich großes Mitleid, etwas wie kindliche Liebe rührte sich in ihrem Herzen für den unglücklichen alten Mann, und unwillkürlich ihrem Impulse folgend, eilte sie auf ihn zu, ergriff seine Hand, küßte sie und benetzte sie mit ihren Thränen.

»Ich bin eine Waise!« rief sie aus der Tiefe ihres überströmenden Herzens, »ich bin kein Jüngling, sondern Jagienka aus Zgorzelic. Macko hat mich mitgenommen, um mich vor schlechten Menschen zu schützen, aber nun bleibe ich bei Euch, bis Gott Danusia zu Euch zurückführt.«

Jurand zeigte nicht die geringste Verwunderung, gerade wie wenn er geahnt hätte, daß er ein Mägdlein vor sich habe, er zog sie an seine Brust, während sie, unaufhörlich seine Hand küssend, in abgebrochenen Lauten mit thränenerfüllter Stimme fortfuhr: »Ich bleibe bei Euch, und Danusia wird zurückkehren. Dann werde ich nach Zgorzelic gehen … Gott wacht über die Waisen! – Mir haben die Räuber den Vater erschlagen, aber Euer Liebling ist am Leben und kehrt zurück. Gebe dies Gott der Allbarmherzige, gebe dies die heilige Gottesmutter, die Erbarmungsreiche!«

Nun kniete Pater Kaleb nieder und rief in feierlichem Tone: » Kyrie eleison

» Christe eleison!« antworteten der Böhme und Tolima im Verein.

Alle warfen sich auf die Knie nieder, denn alle sagten sich, diese Litanei werde nicht beim Herannahen des Todes, sondern zur Errettung geliebter Wesen aus Todesgefahr gesprochen. Auch Jagienka kniete nieder, Jurand glitt von der Bank herab auf die Knie und im Chore riefen sie: » Kyrie eleison! Christe eleison! Gott, Vater vom Himmel – erbarme Dich unser. Gott, Sohn, Erlöser der Welt – erbarme Dich unser!«

Die Stimmen der Menschen und ihr flehentlicher Ruf: Erbarme Dich unser! vereinigte sich mit dem wehmütigen Gesang der Nachtigallen.

Plötzlich erhob sich die zahme Wölfin von dem vor Jurands Bank liegenden Bärenfell, näherte sich dem offenen Fenster, stemmte sich mit den Vordertatzen gegen die Brüstung und ihre dreieckige Schnauze zum Monde erhebend, begann sie leise und kläglich zu heulen.

– – – – – –

Erstes Kapitel.

.

Obwohl nun der Böhme Jagienka geradezu anbetete und sein Herz ihn mehr und mehr zu der wunderbar schönen Tochter der Sieciechowa hinzog, dürstete doch sein jugendlicher kühner Geist vor allem nach Krieg und Streit. Trotzdem aber war er auf Mackos Befehl nach Spychow zurückgekehrt, wußte er doch, was ihm als Untergebener zukam, ja, er fand eine gewisse Befriedigung in dem Gedanken, daß er den beiden Frauen Schutz und Schirm sein könne. Als indessen Jagienka selbst erklärte, was auch ganz richtig war, sie bedürften in Spychow keinerlei Schutz, Hlawas Pflicht sei es daher vornehmlich, Zbyszko zur Seite zu stehen, begrüßte er diesen Ausspruch mit Freuden. Da er Macko zudem nur unmittelbar unterstand, konnte er dem alten Ritter gegenüber leicht die Entschuldigung geltend machen, seine rechtmäßige Herrin habe ihm befohlen, Spychow zu verlassen und sich zu Zbyszko zu begeben.

Jagienka jedoch ging in ihrem Thun von der Voraussetzung aus, ein solch mutiger, gewandter Knappe wie Hlawa könne Zbyszko von unendlichem Nutzen sein und ihn aus gar mancherlei Fährlichkeiten erretten. Hatte er dies doch schon bei der fürstlichen Jagd bewiesen, als Zbyszkos Leben durch den wilden Auerochsen ernstlich bedroht war. Und nun gar erst im Kriegsfalle, in einem Kriege an der litauischen Grenze, wie schätzbar mußten da seine Dienste sein. Hlawas ganzes Sinnen und Trachten war auch darauf gerichtet, in den Krieg zu ziehen. Als er daher zusammen mit Jagienka das Gelaß Jurands verließ, sagte er: »Allergnädigste Herrin, darf ich Euch um ein gutes Wort auf die Fahrt bitten!«

»Wie soll ich dies verstehen?« fragte Jagienka. »Willst Du Dich denn heute schon auf den Weg machen?«

»Nein, erst morgen mit Tagesanbruch, damit die Pferde heute Nacht noch rasten können. Gar lange währt die Fahrt nach Samogitien.«

»So gehe denn! Wird es Dir doch jetzt noch leichter fallen, den Ritter Macko einzuholen.«

»Das ist kaum anzunehmen. Der alte Ritter ist an die größten Mühseligkeiten gewöhnt und ist schon viele Tagreisen vor mir voraus. Außerdem will er den kürzeren Weg durch Preußen einschlagen, während ich durch Wüsteneien ziehen muß. Er kann auch allerwärts die Briefe Lichtensteins vorzeigen, während ich mir nur durch dieses hier freie Bahn verschaffen kann.«

So sprechend legte er die Hand auf den Griff seines Schwertes, Jagienka aber rief: »Seid ja stets auf Eurer Hut. Wenn Ihr Euch nun doch einmal auf den Weg machen wollt, müßt Ihr auf Erreichung Eures Zieles bedacht sein und alles thun, um nicht den Kreuzrittern in die Hände zu fallen. Aber auch in den Wäldern habt acht auf Euch selbst, denn dort hausen gar schlimme Götter, die von den Menschen verehrt wurden, bevor diese sich zum Christentum bekehrt haben. Wohl erinnere ich mich noch daran, wie die Ritter Macko und Zbyszko davon erzählt haben.«

»Auch ich erinnere mich deren Worte, doch jede Furcht liegt mir fern. Keine Götter, nein, armselige Wesen sind jene, ohne Macht, ohne Gewalt. Doch sowohl vor ihnen wie vor den Deutschen will ich mich hüten, wenn nun der Krieg ernstlich entbrennt.«

»So ist der Krieg noch nicht ausgebrochen? Sprich, was hast Du darüber bei den Deutschen gehört?«

Daraufhin zog der kluge Böhme sinnend die Brauen zusammen und ließ sich nach kurzem Schweigen also vernehmen: »Es herrscht Krieg, und doch ist dies kein rechter Krieg. Fleißig haben wir allenthalben Umfrage gehalten, und besonders der Ritter Macko ließ es sich sehr angelegen sein, denn gar schlau ist er, und mit jedem Deutschen kann er es aufnehmen. Entweder erfand er einen Vorwand, wenn er nach dem oder jenem fragen wollte, oder er schützte freundschaftliches Wohlwollen vor, wenn er sich nach irgend etwas erkundigte. Dabei verriet er sich aber nie, sondern benützte die schwache Seite eines jeden dazu, alles Wissenswerte so geschickt aus ihm herauszulocken, wie man den Fisch mit der Angel aus dem Wasser lockt. Leiht mir nur ein geduldiges Ohr, gnädigste Herrin, dann sollt Ihr alles genau erfahren. Vor etlichen Jahren überließ Fürst Witold, der gegen die Tataren ziehen und deshalb Frieden mit den Ordensrittern haben wollte, Samogitien den Deutschen. Eitel Liebe und Einigkeit herrschte nunmehr. Burgen gestattete er den Kreuzrittern zu gewinnen, ja, bei meiner Treu, er leistete ihnen sogar Hilfe dabei. Auf einer Insel traf er mit dem Großmeister zusammen, sie aßen, tranken und versicherten sich gegenseitig treuer Freundschaft. Sogar in den jenseits des Flusses gelegenen Forsten durften die Kreuzritter jagen, und als sich die armen Bewohner Samogitiens gegen die Herrschaft des Ordens erhoben, nahm Fürst Witold nicht nur für die Deutschen Partei, sondern er stand ihnen sogar mit seinem Kriegsheere bei. In ganz Litauen murrte man darob, griff er doch dadurch sein eigenes Geschlecht an. Der Untervogt von Szczytno erzählte uns dies alles. Hei, wie pries er die Herrschaft der Kreuzritter in Samogitien, wie rühmte er es, daß sie Priester dahin senden, welche den Einwohnern die heilige Taufe erteilen, und daß sie zu Zeiten einer Hungersnot daselbst nicht mit Korn kargen. – Das mag nun seine Richtigkeit haben, geschah es doch auf Befehl des Großmeisters, der weit gottesfürchtiger ist, als all die andern, allein was thaten darum die Kreuzritter? Die Kinder führten sie fort nach Preußen, die Frauen beschimpften sie vor den Augen ihrer Ehegatten und ihrer Brüder, und so sich einer oder der andere ihrem Thun widersetzte, ward er zum Strange verurteilt, und aus diesen Ursachen, o Herrin, ist der Krieg entbrannt.«

»Wie war es aber mit Fürst Witold?«

Geraume Zeit hindurch verschloß der Fürst seine Augen gegen die in Samogitien verübten Greuel und blieb den Ordensrittern nach wie vor zugethan. Erst noch vor ganz kurzem nahm sein Ehegemahl, die Fürstin, längeren Aufenthalt in Preußen, ja sogar in Marienburg. Gleich der Königin von Polen ist sie dort empfangen worden. Und dies geschah vor ganz kurzem. Mit Geschenken ward sie überhäuft, und so viele Turniere, Feste und Schaustellungen aller Art fanden statt, daß man sie nicht aufzuzählen vermag. Allgemein herrschte der Glaube, die Freundschaft zwischen Fürst Witold und den Kreuzrittern werde ewig dauern, da trat ganz unerwartet eine Sinnesänderung bei ihm ein.«

»Nach dem, was ich von meinem gottseligen Vater und von Macko gehört habe, ändert Fürst Witold gar häufig seinen Sinn.«

»Nicht Menschen gegenüber, die auf Ehre halten, wohl aber den Kreuzrittern gegenüber, auf die man niemals bauen kann. Als sie von ihm die Auslieferung verschiedener Flüchtlinge verlangten, da erklärte er, zur Auslieferung der Mannen niederen Standes sei er zwar bereit, die Freigeborenen gebe er jedoch nicht preis, denn ein freier Mann habe das Recht, da zu leben, wo es ihm gefalle. Daraufhin entstanden ernstliche Zwistigkeiten, Briefe wurden gewechselt, Drohungen wurden laut. Kaum drang die Kunde hiervon zu den Samogitiern, so brach der Aufruhr gegen die Deutschen los. Die Besatzungen wurden niedergemetzelt, die Burgen erstürmt. Doch nicht genug daran, jetzt machen sie sogar fortwährend Einfälle in Preußen. Und Fürst Witold läßt dies nicht nur geschehen, sondern er freut sich über die Bedrängnis der Kreuzritter, er leistet den Samogitiern insgeheim Hilfe.«

»Ich verstehe,« erwiderte Jagienka. »Doch so lange die Hilfe nur im Geheimen geleistet wird, kann doch von einem Kriege keine Rede sein.«

»Der Krieg wird scheinbar mit den Samogitiern, in Wirklichkeit indessen mit Witold geführt. Allerwärts suchen die Deutschen ihre Grenzburgen zu verteidigen und nur zu gerne würden sie einen Zug nach Samogitien unternehmen. Allein damit hat es noch gute Wege, sie müssen dazu den Winter abwarten. Das Land ist durchweg so sumpfig, daß die Kreuzritter dies jetzt nicht wagen dürfen. Da wo ein Samogitier sicher dahin schreitet, versinkt ein Deutscher in dem Moraste. Deshalb ist auch der Winter ein Freund der Deutschen. Sobald daher der Frost eintritt, werden die Kreuzritter mit ihrer ganzen Streitmacht vorrücken, während Fürst Witold die Samogitier unterstützen wird, wenn er die Zustimmung des Königs von Polen erhält, welcher der Oberherr des Großfürsten sowie von ganz Litauen ist.«

»So wird es auch zu einem Kriege mit dem König von Polen kommen?«

»Dies behauptet man wenigstens sowohl bei den Deutschen wie bei uns. Aus diesem Grunde bitten auch die Kreuzritter an allen Höfen um Unterstützung und die Kapuzen 11 brennen ihnen auf den Häuptern, wie dies bei allen Missethätern der Fall ist; denn mit der Königsmacht ist nicht zu spaßen, und ein jeder der polnischen Ritter speit sofort in die Hand, wenn die Kreuzritter auch nur genannt werden.«

Als Jagienka diese Worte vernahm, seufzte sie tief auf und meinte: »Wie viel besser haben es doch die Männer in der Welt, als wir Frauen! Du kannst nun zum Beispiel in den Krieg ziehen, wie dies Zbyszko und Macko schon gethan haben, wir aber müssen hier in Spychow bleiben.«

»Wie könnte dies auch anders sein, allergnädigste Herrin? Wohl müßt Ihr hier verweilen, allein Ihr seid in völliger Sicherheit. Auch jetzt noch ist der Name Jurands bei den Deutschen gefürchtet, und ich selbst bin in Spychow Zeuge davon gewesen, wie sie von Angst ergriffen wurden, als sie Kunde von seiner Anwesenheit in Spychow erhielten.«

»Wohl wissen wir, daß wir hier nichts zu fürchten haben, denn auch der alte Tolima schützt uns, die Sümpfe schützen uns. Doch gar schwer fällt es mir, in Ungewißheit hier ausharren zu müssen.«

»Sobald sich irgend etwas ereignen sollte, werde ich Euch Nachricht zukommen lassen. Schon vor unserem Aufenthalt in Szczytno habe ich in Erfahrung gebracht, daß zwei gar tüchtige junge Burschen von hier beabsichtigten, freiwillig in den Krieg zu ziehen. Der alte Tolima vermag sie nicht daran zu hindern, entstammen die beiden doch edeln Geschlechtern aus Lekawica. Nunmehr machen sie sich mit mir auf die Fahrt, und im Falle der Not werde ich sofort einen von ihnen abschicken, damit er Euch von allem unterrichte.«

»Gott lohne es Dir. Ich habe zwar stets gewußt, wie klug Du in jeder Bedrängnis zu handeln verstehst, bis in den Tod werde ich Dir aber dankbar bleiben für Deine treue Ergebenheit.«

»Nichts Schlimmes ist mir von Euch geschehen, nur Gutes habe ich von Euch empfangen. Der Ritter Zych machte mich als ganz jungen Burschen bei Boleslaw zum Gefangenen, und ohne Lösegeld zu fordern, schenkte er mir die Freiheit wieder. Doch Euch zu dienen, galt mir mehr als alle Freiheit! Gott gewähre mir nur noch das Glück, mein Blut für Euch vergießen zu dürfen, vielgeliebte Herrin.«

»Gott geleite Dich und sei mit Dir!« ergriff nun Jagienka das Wort, dem Böhmen die Hand entgegenstreckend.

Doch er wollte ihr größere Ehre erweisen. So sank er denn vor ihr auf die Knie und küßte ihre Füße. Dann schaute er empor, indem er, ohne sich zu erheben, also sprach: »Ich bin nur ein einfacher Knecht, allein trotzdem stamme ich aus edlem Geschlechte und diente Euch treu. Gebt mir daher ein Angedenken von Euch mit auf die Reise. Weist meine Bitte nicht ab! Gar viele werden in dem Kriege niedergemäht werden, ich aber rufe den heiligen Georg zum Zeugen auf, daß ich trotzdem in der ersten, nicht aber in der letzten Reihe kämpfen werde.«

»Was soll das für ein Angedenken sein, um das Ihr mich bittet?« fragte Jagienka erstaunt.

»Gebt mir ein Band von Euch! Selbst mit dem kleinsten Streifchen will ich zufrieden sein. Unter Eurem Zeichen zu sterben, wird mir leichter werden, wenn mir mein Ende beschieden sein sollte.«

Noch tiefer neigte er sich zu ihren Füßen, um dann die Herrin nochmals mit gefalteten Händen anzuflehen. Tiefer Kummer malte sich jetzt auf Jagienkas Antlitz, die nach kurzem Schweigen, wie von einem plötzlichen Schmerze überwältigt, erwiderte: »Ei, Du Getreuer, weshalb bittest Du mich um ein Angedenken? Nichts Gutes kann es Dir bringen. Von einer Glücklichen fordere ein Angedenken, dann wird Dir die Gabe auch Glück bringen. Doch wie ist es um mich bestellt? Nur Kummer und Sorge lasten auf mir, nur Elend wird mir die Zukunft bringen. O niemals wird Dir oder einem andern ein Zeichen von mir Glück verleihen, denn wie wäre dies möglich, da ich selbst nicht glücklich bin. Glaube mir, Hlawa, gar viel Schlimmes giebt es auf dieser Welt, gar viel Schlimmes, gar viel …«

Sie verstummte plötzlich, fühlte sie doch, daß sie in Thränen ausbrechen würde, wenn sie noch weiter spräche, denn schon wurden ihr die Augen feucht. Auch der Böhme war tief bewegt, denn er begriff nur zu wohl, wie schwer ihr eine Entscheidung darüber fallen müsse, ob sie nach Zgorzelic heimkehren, in dessen Nähe ja die wilden Gesellen Cztan und Wilk hausten, oder ob sie in Spychow bleiben solle, wohin früher oder später Zbyszko mit Danusia kommen würde. Hlawa hatte ein tiefes Verständnis für all das, was in dem Herzen des Mägdleins vorging, allein er wußte keinen Rat, wie ihr zu helfen sei. Abermals umfaßte er ihre Füße und wiederholte immer und immer wieder: »Hei! Sterben möchte ich für Euch, sterben möchte ich für Euch!«

Jagienka aber sagte: »Steh auf! Die Tochter der Sieciechowa möge Dich zum Kriege gürten oder Dir ein Angedenken verleihen, denn Glück leuchtet ihr schon lange aus den Augen, wenn sie Dich anschaut.«

Auf ihr Rufen erschien Anielka sofort aus dem anstoßenden Gemache. Sie hatte längst an der Thüre gelauscht, und nur durch ihre Schüchternheit war sie davon abgehalten worden, Abschied von dem schönen Knappen zu nehmen, trotzdem sie sich mit ganzer Seele darnach sehnte. Verwirrt, scheu, klopfenden Herzens trat sie jetzt wie traumbefangen ein. Thränen schimmerten in ihren Augen, als sie, einer Apfelblüte gleich, mit niedergeschlagenem Blicke, stumm und wortlos vor ihm stand. Für Jagienka empfand Hlawa bei der Ergebenheit und der Verehrung, die er ihr zollte, die größte Ehrfurcht. Niemals hätte er es gewagt, auch nur in Gedanken sich zu ihr zu erheben, der Tochter der Sieciechowa fühlte er sich jedoch ebenbürtig, und da ihm heißes Blut durch die Adern rollte, konnte er sich dem Zauber nicht entziehen, der von ihr ausging. Und ihre Schönheit ergriff ihn jetzt umsomehr, als durch ihre Verwirrung, ihre Thränen die Liebe durchschimmerte, wie durch das klare Wasser des Baches der goldene Grund durchschimmert. So wandte er sich denn nun zu ihr und sagte: »Wißt, ich ziehe in den Krieg. Möglicherweise falle ich. Werdet Ihr dann um mich klagen?«

»Ich werde um Euch klagen,« antwortete die Maid mit ihrem dünnen Stimmchen.

Und unverweilt flossen ihre Thränen, die ja bei ihr stets in Bereitschaft waren. Aufs tiefste bewegt, küßte ihr Hlawa die Hände, indem er Jagienkas wegen den heißen Wunsch nach zärtlicherer Liebkosung unterdrückte.

»Gürte ihn oder gieb ihm ein Angedenken auf die Fahrt mit,« ließ sich nun Jagienka vernehmen, »damit er unter Deinem Zeichen kämpfen kann.«

Wahrlich, es fiel der Tochter der Sieciechowa nicht leicht, ihm etwas zu geben, ging sie doch in Männerkleidern umher. Umsonst sann und sann sie! Weder ein Band noch eine Schleife trug sie bei sich. Die Laden aber, in denen die Gewandungen der Mägdlein mitgeführt wurden, waren noch nicht geöffnet worden, seitdem diese Zgorzelic verlassen hatten. Anielka wußte nicht, was beginnen. Da kam ihr Jagienka zu Hilfe, indem sie ihr riet, das Netz von dem Haupte zu nehmen und es ihm zu geben.

»Bei Gott, gebt mir das Netz!« rief Hlawa, nicht wenig erfreut. »An meinem Helme will ich es tragen, und wehe der Mutter des Deutschen, der es mir zu entreißen sucht.«

Mit beiden Händen fuhr sich Anielka an das Haupt, und gleich darauf fielen ihr die hellen, glänzenden Haare über Schultern und Nacken. Als sie Hlawa so vor sich stehen sah, die schöne Maid mit aufgelösten Haaren, da veränderte sich mit einem Schlage sein Gesicht, auf dem Röte und Blässe wechselte. Rasch das Netz ergreifend, führte er es an die Lippen, barg es dann an seiner Brust, warf sich nochmals vor Jagienka nieder, umfaßte hierauf fast leidenschaftlich die Knie Anielkas, erhob sich schnell und verließ mit den Worten die Stube: »Damit muß ich mich zufrieden geben.«

Trotzdem nun der Böhme wegmüde und wenig erfrischt war, legte er sich doch nicht zur Ruhe nieder; die ganze Nacht zechte er mit den beiden jungen Edelleuten aus Lekawica, welche mit ihm nach Samogitien ziehen wollten. Allein er betrank sich dabei nicht, nein, mit dem ersten Morgengrauen trat er in den Vorhof der stark befestigten Burg, wo die Pferde, schon gesattelt, feiner harrten.

Da ward in der Mauer über dem Wagenschuppen ein Fenster aus Ochsenblase sachte ein wenig aufgethan, und durch die Spalte schaute ein blaues Augenpaar in den Vorhof. Der Böhme bemerkte dies sofort. Schon that er einige Schritte auf die Mauer zu, um das an seinem Helme befestigte Netz zu zeigen und nochmals Abschied zu nehmen, da hinderten ihn Pater Kaleb und der alte Tolima daran, die in den Vorhof kamen, weil sie ihm noch Ratschläge für die Fahrt erteilen wollten.

»Begieb Dich an den Hof des Fürsten Janusz,« sprach Pater Kaleb. »Möglicherweise triffst Du dort mit dem Ritter Macko zusammen, jedenfalls aber wird Dir über alles genaue Kunde werden, denn Du bist ja daselbst kein Fremder. Die Wege von dort nach Litauen sind bekannt, gar leicht wirst Du deshalb einen Führer durch die Wildnis finden. Ist es daher Dein fester Vorsatz, den Herrn Zbyszko aufzusuchen, so ziehe durch Litauen, nicht aber geradewegs nach Samogitien, in die Hände der Preußen. Bedenke auch dies: die Samogitier könnten Dich leicht töten, bevor Du zu sagen vermagst, wer Du bist, kommst Du jedoch von Fürst Witold, dann liegt die Sache ganz anders. Der Segen Gottes ruhe indessen über Dir und über den beiden andern Rittern. Kehre gesund zurück und bringe das Jungfräulein mit Dir, ich aber werde Tag für Tag von der Vesper an bis zum Erscheinen des ersten Sternes mit ausgebreiteten Armen, in Kreuzesgestalt, auf der Erde liegen und für Dich beten.«

»Ich danke Euch, Vater, für Eueren priesterlichen Segen,« ergriff nun Hlawa das Wort. »Schwer wird es zwar fallen, das Opfer lebend den Händen der Teufel zu entreißen, allein der Herr Jesus herrscht über Leben und Tod, deshalb wollen wir hoffnungsvoll, nicht aber traurig, in die Zukunft schauen.«

»Das ist das beste! Auch ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ja, ja. Hoffnung ist Leben, doch unsere Herzensangst ist wohl berechtigt. Das Schlimmste ist, daß Jurand selbst, sobald der Name seines Töchterleins genannt wird, gen Himmel zeigt, als ob es dort zu schauen wäre.«

»Wie vermag er denn, es zu erschauen? Längst hat er ja die Augen eingebüßt!«

Da sagte Pater Kaleb wie zu sich selbst und doch auch wieder zu dem Böhmen gewendet: »Nicht selten pflegt es zu geschehen, daß gerade der Mensch, dessen irdisches Augenlicht erloschen ist, manches zu sehen vermag, was kein anderer erblicken kann. Häufig, gar häufig kommt dies vor. Ist es indessen denkbar, daß Gott der Herr diesem Lämmlein eine Kränkung zufügen ließ? Hat denn die Jungfrau den Kreuzrittern jemals Schlimmes gethan? Niemals! So voll Unschuld ist sie gewesen, wie eine Gotteslilie, gütig war sie gegen die Menschen, einem fröhlich singenden Waldvögelein glich sie! Gott der Herr liebt die Kindlein, er fühlt Erbarmen mit menschlichen Leiden … Traun! wenn sie den Tod erlitten hat, wird er sie vielleicht wieder erwecken, wie Pietrowin 12 erweckt ward, der aus dem Grabe auferstehend, noch lange Zeit weiter wirtschaftete. Bleibe gesund und möge Gott der Herr seine Hand schützend über Euch und über das Mägdlein halten.«

Nach diesen Worten kehrte Pater Kaleb in die Kapelle zurück, um die Frühmesse zu lesen, der Böhme aber bestieg sein Roß, neigte sich nochmals vor dem nunmehr geschlossenen Fenster und machte sich auf den Weg; war es doch nun völlig Tag geworden.

  1. Die Mütze brennt dem Diebe auf dem Kopfe: Polnisches Sprichwort. Anmerkung der Uebersetzerinnen.
  2. Polnische Sage von Pietrowin, der von dem heiligen Stanislaus vom Tode erweckt ward, um Zeugnis für den Verkauf seines Gutes abzulegen. Anmerkung der Uebersetzerinnen.

Zweites Kapitel.

Bald nach Beginn des Frühlings hatten sich Fürst Janusz und Fürstin Anna Danuta mit einem Teile ihres Hofstaates zum Fischfang nach Chersk begeben, ein Vergnügen, dem sie gar gerne huldigten, ja, das sie zu ihrem liebsten Zeitvertreib rechneten. Durch Mikolaj aus Dlugolas hörte der Böhme gar vielerlei neue Kunde, die teils seine eigenen Angelegenheiten, teils den Krieg berührte. Zuvörderst erfuhr er, daß der Ritter Macko augenscheinlich seine Absicht aufgegeben habe, geradewegs zwischen den »Preußischen Bollwerken« hindurch nach Samogitien zu ziehen, war er doch vor wenigen Tagen in Warschau gewesen und dort mit dem Fürstenpaare zusammengetroffen. Der alte Mikolaj bestätigte auch all das, was Hlawa bis jetzt über den Krieg vernommen hatte. Wie ein Mann hatte sich ganz Samogitien gegen die Deutschen erhoben, während Fürst Witold, weit davon entfernt, dem Orden noch länger gegen die unglücklichen Samogitier beizustehen, aber auch ohne ihm den Krieg zu erklären, die Kreuzritter mittelst allerlei Verhandlungen hinhielt und inzwischen deren Feinde nicht nur mit Geld und Korn unterstützte, sondern diesen auch Mannen und Pferde zuführte. Unverweilt schickte sowohl Witold, wie der Orden Gesandte an den Papst, an den Kaiser und an andere christliche Großen und klagten sich wechselseitig des Treubruches, der Hinterlist und des Verrates an. Fürst Witold betraute mit dieser Sendung den klugen Mikolaj aus Rzeniew, der es verstand, die von den Kreuzrittern gesponnenen Fäden zu entwirren, indem er den Beweis erbrachte, wie schwer Samogitien und Litauen bedrückt wurden.

Der Hochmut der Kreuzritter war aber auch schon dadurch etwas gedemütigt worden, weil nach einer Versammlung in Wilno sich die Bande zwischen Litauen und Polen noch mehr befestigt hatten und infolgedessen vorauszusehen war, daß Jagiello, als Oberherr über das ganze, unter Witolds Herrschaft stehende Gebiet, in Kriegsläuften auf dessen Seite stehen werde. Graf Jan Sayn, der Komtur von Grudziansk und Graf Schwartzburg aus Danzig begaben sich auf Befehl des Großmeisters mit der Anfrage zu dem polnischen König, was der Orden von ihm zu erwarten habe. Allein Jagiello erteilte keinerlei Antwort, trotz der kostbaren Gefäße, und der vornehmlich zur Jagd taugenden Geerfalken, die ihm die Abgesandten als Gabe überbrachten. Infolgedessen drohten letztere mit dem Kriege, wennschon es ihnen nicht allzu ernst damit war, wußten sie doch nur zu gut, wie der Großmeister und das Kapitel insgeheim die Macht Jagiellos fürchteten und darnach trachteten, den Tag der Rache, den Tag der eigenen Niederlage zu verzögern.

So wurden denn plötzlich alle Unterhandlungen, besonders aber die mit Witold, so rasch abgebrochen, wie man ein Spinnengewebe zerreißt. Am Abend nach dem Eintreffen Hlawas in Warschau langte neue Kunde in der Burg an. Bronisz aus Ciasnoca, ein Hofherr des Fürsten Janusz, der von diesem behufs Einziehung von Erkundigungen nach Litauen geschickt worden war, stellte sich ein, und mit ihm erschienen zwei angesehene litauische Knäsen, mit Briefen von Witold und von den Samogitiern. Die Nachrichten lauteten unheilvoll, der Orden bereitete sich zum Kriege vor. Die Befestigungen der Burgen wurden verstärkt, Pulver und Blei bereitet, Steine zu Kanonenkugeln behauen, Kriegsknechte und Ritter an der Grenze zusammengezogen, während eine Abteilung leichter Reiterei und Fußvolk von Ragneta, Gotteswerder und von anderen Grenzburgen aus sich nach Litauen und Samogitien geworfen hatte. In dein Dickicht der Forsten, auf den Gefilden, in den Dörfern, allüberall wurde der Kriegsruf laut, und jeden Abend züngelten die Flammen über dem Wäldermeere empor. Witold ließ nunmehr den Samogitiern offen seinen Schutz angedeihen, er sandte ihnen seine Ratgeber, er bestimmte den durch seine Tapferkeit bekannten Skirwoillo zum Führer des bewaffneten Volkes. Und Skirwoillo säumte nicht; alles um sich her niederbrennend, zerstörend, verheerend, fiel er in Preußen ein. Der Fürst selbst brach mit einem Kriegsheere gen Samogitien auf; etliche Burgen befestigte er noch mehr, andere, wie zum Beispiel Alt-Kowno, zerstörte er, damit sie nicht den Kreuzrittern zum Stützpunkt dienen konnten. Bald war es kein Geheimnis mehr, daß mit Anbruch des Winters, also sobald Sümpfe und Moräste zugefroren sein würden, ja, falls der Sommer trocken sein sollte, sogar schon früher ein gewaltiger Krieg in allen Gebieten von Litauen, Samogitien und Preußen entbrennen werde. Denn wenn der König dem Fürsten Witold Hilfe leistete, dann mußte der Tag kommen, an dem die Deutschen gleich einer Sturmflut entweder die halbe Welt überströmten, oder auf lange Zeit hinaus in das Gebiet zurückgedrängt wurden, auf dem sie früher seßhaft gewesen waren.

Doch dies alles gehörte noch der Zukunft an. Mittlerweile drang der Schmerzensschrei der Samogitier, ihre Klage über die erlittene Unbill, ihr Ruf nach Gerechtigkeit durch die ganze Welt. In Krakau, in Prag, an dem päpstlichen Hofe und in anderen westlichen Landen besprach man die Leiden des unglücklichen Volkes.

Da nun dieser Jammer auch an den masovischen Hof drang, entschlossen sich etliche Ritter und Edelleute, unverweilt den Bedrängten zu Hülfe zu eilen, glaubten sie doch schon deshalb nicht erst den Fürsten Janusz um Erlaubnis dazu bitten zu müssen, weil dessen Eheweib die Schwester Witolds war.

Hlawa war hoch erfreut über den Entschluß der masovischen Ritter. »Je mehr Mannen aus Polen zu dem Fürsten Witold stoßen,« so sagte er sich, »desto heißer wird der Krieg entbrennen, desto sicherer wird man gegen die Kreuzritter etwas ausrichten können.« Der Gedanke gewährte ihm auch große Befriedigung, daß er nicht nur Zbyszko wieder sehen werde, dem er von ganzem Herzen ergeben war, sondern auch den alten Ritter Macko, den er gar gern einmal im Kampfe bewundert hätte. Aber abgesehen von dem allem, winkte ihm doch auch die Aussicht, unbekannte Lande durchwandern, neue Städte sehen zu können, zu einem Ritterstande, zu einem Kriegsheere zu stoßen, die er zuvor noch nie erschaut hatte, und schließlich dem Fürsten Witold nahe zu kommen, ihm, dessen Ruhm die ganze weite Welt erfüllte.

Dies alles in Erwägung ziehend, nahm er sich vor, seinen Weg in Eilmärschen zurückzulegen und nirgendwo länger Rast zu machen, als dies die Pferde bedurften. Jene Bojaren, welche mit Bronicz aus Ciasnoca gekommen waren, wie auch die andern Litauer, die sich an dem fürstlichen Hofe eingefunden hatten, sie alle kannten die Straßen und Wege ganz genau und konnten daher ihn und die aus freiem Willen ausziehenden masovischen Ritter von Ansiedelung zu Ansiedlung, von Stadt zu Stadt, so wie durch die Waldwildnisse Masoviens, Litauens und Samogitiens geleiten.

Drittes Kapitel.

In einem Walde, ungefähr fünf Meilen von Alt-Kowno, der Burg, welche durch Witold zerstört worden war, hatte Skirwoillo, seine Hauptmacht zusammengezogen. Von hier aus warf er sich je nachdem ihm dies geboten erschien, mit Blitzesschnelle bald hierhin, bald dorthin, überschritt da und dort die preußische Grenze, überfiel die noch in den Händen der Kreuzritter befindlichen großen und kleinen Burgen und entzündete somit die Kriegsfackel in dem ganzen Grenzgebiete. In eben diesem Walde traf der getreue Knappe mit Zbyszko zusammen, bei dem sich auch der vor zwei Tagen angelangte Macko befand. Nachdem der Böhme seinen Gebieter Zbyszko begrüßt hatte, legte er sich zur Ruhe und schlief, ohne sich auch nur zu rühren, die ganze Nacht hindurch. Erst am folgenden Tage, gegen Abend, stellte er sich bei dem alten Ritter ein. Von der Reise ermüdet und übel gelaunt, empfing ihn Macko auf die unfreundlichste Weise und befragte ihn sofort, weshalb er nicht in Spychow geblieben sei. Der alte Kämpe ward auch erst dann ein wenig besänftigt, als Hlawa, einen Augenblick benützend, in dem Zbyszko das Zelt verlassen hatte, sich mit der Erklärung rechtfertigte, Jagienka habe ihm die Fahrt ausdrücklich befohlen.

Weiter fügte er hinzu, daß abgesehen von diesem Befehle und von seiner fast unbezähmbaren Kriegslust, ihn auch der Wunsch hierher geführt habe, sofort einen Boten mit der Kunde nach Spychow senden zu können, sobald sich etwas Entscheidendes ereignen sollte. »Die Herrin,« sagte er, »die ein Engel an Güte ist, betet täglich für die Tochter Jurands, obgleich sie dadurch ihr eigenes Glück außer acht läßt, doch alles muß einmal ein Ende nehmen. Wenn Jurands Tochter nicht mehr am Leben ist, so möge ihr Gott der Herr das Licht des ewigen Lebens gewähren, denn unschuldig war sie wie ein Lämmlein; wird sie jedoch lebend aufgefunden, dann muß ich meiner Herrin unverweilt die Nachricht senden. Vor der Ankunft von Jurands Tochter soll sie Spychow verlassen, damit sie nicht nach deren Heimkehr mit Schimpf und Schande ausgetrieben werde.«

Nur widerwillig diesen Worten lauschend, murmelte Macko aber und abermals vor sich hin: »das ist nicht Deine Sache.« Allein Hlawa, fest entschlossen, offen zu reden, beachtete dies nicht, sondern sagte schließlich: »Die Herrin wäre besser in Zgorzelic geblieben, denn diese Fahrt ist für sie von keinerlei Gewinn gewesen. Man hat der Armen eingeredet, Jurands Tochter sei nicht mehr am Leben, gar leicht kann sich dies aber auch anders verhalten.«

»Wer hat ihr eingeredet, daß jene nicht mehr am Leben sei? Kein anderer als Du!« hub jetzt Macko zornerfüllt an. »Du hättest Deine Zunge im Zaume halten sollen. Ich aber nahm Jagienka mit auf die Fahrt, weil sie vor Cztan und Wilk sich ängstigte.«

»Ein Vorwand nur ist dies gewesen,« entgegnete der Knappe. »Keine Gefahr würde ihr in ihrem Heim gedroht haben, denn von ihren Bedrängern hätte einer den andern von ihr fern gehalten. Ihr aber fürchtetet, o Herr, meine Gebieterin könne, im Falle Jurands Tochter nicht mehr am Leben sei, dem Ritter Zbyszko auch verloren gehen, und deshalb nahmt Ihr sie mit Euch auf die Fahrt.«

»Was maßest Du Dir an? Was bist Du denn, ein gegürteter Ritter oder ein Knecht?«

»Ein Knecht, aber der Knecht meiner Herrin, die ich vor Unbill schützen will.«

In tiefes Sinnen verloren stand Macko da, war er doch selbst nicht recht mit sich zufrieden. Häufig schon hatte er sich darob getadelt, Jagienka mit sich genommen zu haben. Es wurde ihm täglich klarer, daß er dem Jungfräulein ein Unrecht zugefügt hatte, indem er es Zbyszko zuführen wollte, ja, daß dies mehr als ein Unrecht zu nennen sei, wenn Danusia aufgefunden werden würde. Nur zu wohl fühlte er, welche Wahrheit in den kühnen Worten Hlawas lag, daß er die Maid hauptsächlich deshalb habe mit sich ziehen lassen, um sie auf alle Fälle für Zbyszko zu behüten.

Trotzdem aber begann er, wie um sich selbst und Hlawa zu täuschen, schließlich wieder: »Daran habe ich wahrlich nie gedacht. Jagienka bestand darauf, mit mir zu ziehen.«

»Sie bestand darauf, weil wir ihr vorredeten, die Sicherheit ihrer Brüder sei eine weit größere, wenn sie sich von Zgorzelic fern halte, weil wir ihr sagten, Jurands Tochter befinde sich nicht mehr am Leben, deshalb ist sie mit Euch gezogen.«

»Kein anderer als Du hast ihr dies alles gesagt,« schrie Macko.

»Ich habe mich dessen schuldig gemacht. Jetzt aber müssen wir ihr zeigen, wie die Dinge liegen. Wir sind zum Handeln verpflichtet, o Herr, unterlassen wir es aber, dann wäre es besser für uns, zu Grunde zu gehen.«

»Was willst Du beginnen?« fragte Macko ungeduldig. »Was glaubst Du in einer Schlacht mit einem solchen Kriegsheere zu erreichen? Bevor der Monat Juli kommt, wird sich vielleicht alles besser gestaltet haben. Die Kreuzritter können ja nur zu bestimmten Zeiten Krieg führen – im Winter oder während eines trockenen Sommers. Die Kriegsfackel glimmt zwar schon, sie brennt aber noch nicht. Vermutlich hat sich Fürst Witold nach Krakau begeben, um dem König Bericht zu erstatten und dessen Zustimmung, dessen Unterstützung zu erlangen.«

»Gar viele Burgen der Kreuzritter befinden sich aber hier in der Nähe. Wenn wir auch nur zwei davon in unsere Gewalt bekommen könnten, würden wir vielleicht Jurands Tochter auffinden oder uns Gewißheit über ihren Tod verschaffen.«

»Und wenn weder das eine noch das andere der Fall wäre?«

»Jedenfalls ist sie von Zygfryd in diese Gegend gebracht worden. Dies ward uns wenigstens in Szczytno berichtet, und wir selbst haben auch nie anders gedacht.«

»Doch hast Du schon das Kriegsvolk hier gesehen? Komm mit mir hinter das Zelt und schau umher. Etliche sind nur mit Pfählen bewaffnet, etliche tragen erzene, von den Urahnen ererbte Schwerter.«

»Bei meiner Treu, was liegt daran! Gar tüchtig sollen sie sich aber im Kampfe erweisen.«

»Vermögen sie indessen mit nackter Brust die Burgen zu erstürmen, und gar noch die Burgen der Kreuzritter?«

Das weitere Gespräch wurde durch das Hinzutreten Zbyszkos unterbrochen, dem Skirwoillo, der Anführer der Samogitier folgte. Letzterer, ein fast kleiner Mann, der an Wuchs kaum einen Waffenträger überragen mochte, war kräftig und breitschultrig gebaut. Seine hohe gewölbte Brust konnte nahezu einem Höcker verglichen werden, und seine unverhältnismäßig langen Arme reichten fast bis zu den Knien. Im großen und ganzen ähnelte er Zindram aus Maszkowice, jenem berühmten Ritter, dessen Bekanntschaft Macko und Zbyszko seinerzeit in Krakau gemacht hatten, besaß er doch gleichfalls einen ungewöhnlich großen Kopf und völlig krumme Beine. Wie allgemein von ihm behauptet ward, verstand er sich vortrefflich auf die Kriegskunst. Den größten Teil seines Lebens hatte er im Felde verbracht. Er stritt lange Jahre hindurch in Rußland gegen die Tataren, und dann kämpfte er gegen die Deutschen. Während jener Kriege war ihm die russische Sprache geläufig geworden, später lernte er an Witolds Hofe auch etwas polnisch, und das Deutsche verstand er nicht nur, sondern wußte sogar nicht weniger als drei Worte zu sagen: »Feuer«, »Blut« und »Tod«. Sein ungeheurer Kopf steckte stets voll Kriegslisten und Kriegsplänen, die zu vereiteln die Kreuzritter nie im stande waren. Was Wunder, daß man ihn vornehmlich in den an der Grenze gelegenen Komtureien nicht wenig fürchtete.

»Wir haben einen Angriff in Erwägung gezogen,« wandte sich Zbyszko sofort mit ungewöhnlichem Eifer an seinen Ohm, »und sind jetzt zu Euch gekommen, um aus Eurem erfahrenen Munde einen Rat zu erhalten.«

Macko bedeutete Skirwoillo, auf einem mit einem Bärenfelle bedeckten Fichtenstamme Platz zu nehmen, dann befahl er einem Knechte, einen großen Krug Met zu bringen, aus dem die Ritter sich ihre Blechgefäße voll schöpften, und erst nachdem sich alle durch einen tüchtigen Trunk gestärkt hatten, hub der alte Kämpe also an: »Ihr wollt also einen Angriff unternehmen. Was bezweckt Ihr damit?«

»Eine Burg der Deutschen wollen wir niedersengen.«

»Welche? Ragneta oder Neu-Kowno?«

»Ragneta!« erwiderte Zbyszko. »Vor vier Tagen sind wir gegen Neu-Kowno gezogen, wurden aber zurückgeschlagen.«

»Just ist es so gewesen!« fügte Skirwoillo hinzu.

»Wie sind die Deutschen dabei zu Werke, gegangen?«

»Auf äußerst tüchtige Weise.«

»Geduldet Euch ein wenig,« ergriff nun Macko das Wort, »denn ich kenne dies Land nicht genau. Wo liegt Neu-Kowno und wo Ragneta?«

»Von hier nach Alt-Kowno ist’s nicht ganz eine Meile,« antwortete Zbyszko, »und von Alt- nach Neu-Kowno ungefähr die gleiche Entfernung. Die Burg steht auf einer Insel. Umsonst versuchten wir, überzusetzen, sie vereitelten unsern Plan. Während eines halben Tages verfolgten sie uns, schließlich jedoch verbargen wir uns in diesem Walde; unsere Mannen waren indessen derart nach allen Richtungen hin auseinander getrieben, daß etliche von ihnen sich erst heute in der Frühe wieder einstellten.«

»Wo liegt Ragneta?«

»Weit, weit fort!« rief nun Skirwoillo, mit seinen riesenlangen Armen gen Norden zeigend.

»Gerade weil die Burg so weit entfernt liegt, sollten wir einen Ueberfall wagen,« ließ sich jetzt Zbyszko vernehmen. »Dort herrscht Ruhe, denn alle bewaffneten Mannen aus jener Gegend sind gegen uns aufgeboten worden. Von einem Ueberfalle auf Ragneta lassen sich die Deutschen nichts träumen, auf Sorglose, Unbekümmerte werden wir daher stoßen.«

»Wahrlich, so ist es!« bemerkte Skirwoillo.

»Demzufolge glaubt Ihr, daß wir die Burg nehmen können?« fragte Macko.

Skirwoillo schüttelte verneinend das Haupt, aber Zbyszko antwortete: »Die Burg ist stark befestigt, doch könnte uns der Zufall günstig sein. Zunächst müssen wir das Land verwüsten, Dörfer und Städte niederbrennen, die Kornspeicher vernichten, vor allem aber Gefangene zu machen suchen. Manch namhafter Kämpe mag sich dann unter ihnen befinden, für den die Kreuzritter willig Lösegeld bezahlen, oder den sie für einen andern auszuwechseln gern bereit sind.«

Sich nun zu Skirwoillo wendend, fuhr er fort: »Ihr selbst, Fürst, habt mir beigestimmt und nun bedenkt noch eines: Neu-Kowno liegt auf einer Insel. In der Nähe dieser Burg können wir daher weder Dörfer zerstören, noch Vieh hinwegführen, noch Gefangene machen. Einmal schon sind wir geschlagen worden. Darum ist es besser, einen Angriff dort zu wagen, wo sie uns jetzt am wenigsten erwarten.«

»Wer siegt, der glaubt fast nie an einen neuen Ueberfall,« murmelte Skirwoillo.

Nun hub Macko zu sprechen an. Er erklärte sich mit Zbyszkos Ansicht einverstanden, war er doch überzeugt, der junge Ritter werde in Ragneta weit eher etwas in Erfahrung bringen, als in Neu-Kowno, ja, es werde ihm bei Ragneta weit leichter gelingen, einen namhaften, zur Auswechslung geeigneten Kämpen in seine Gewalt zu bekommen. Allein ganz abgesehen davon, hielt Macko es auch weit ratsamer, in der Ferne, in einem weniger bewachten Gebiete unvermutet einzufallen, als gegen eine Burg vorzugehen, die wohl befestigt war, von einer siegesfrohen Besatzung verteidigt ward und zudem auf einer von der Natur schon geschützten Insel lag.

Als ein kriegskundiger Ritter setzte er seine Ansicht so klar auseinander und begründete sie in solch trefflicher Weise, daß er auf jeden überzeugend wirken mußte. Jene beiden lauschten ihm aufmerksam. Skirwoillo runzelte dann und wann, wohl als Zeichen der Zustimmung, die Stirn und murmelte: »Die reine Wahrheit, die reine Wahrheit.« Zuletzt zog er die breiten Schultern dermaßen in die Höhe, daß sein gewaltiges Haupt fast dazwischen verschwand und man, während er so sinnend dasaß, noch mehr als sonst den Eindruck bekam, als ob er verwachsen sei.

Mit einem Male erhob er sich rasch und schickte sich, ohne ein Wort zu sprechen an, das Zelt zu verlassen.

»Aber, Fürst, wie soll es werden?« fragte Macko. »Wohin sollen wir aufbrechen?«

»Nach Neu-Kowno!« entgegnete Skirwoillo kurz, indem er sich entfernte.

Macko und Hlawa blickten zuerst voll Staunen auf Zbyszko, dann schlug sich der alte Ritter mit beiden Händen auf die Schenkel und rief: »Bei meiner Treu, gerade wie ein Stück Holz! Er hört einem zu und lauscht und lauscht und thut dann doch nur, was er will. Da wäre es am besten, das Maul zu halten.«

»Mir hat man’s längst gesagt, wie er ist!« warf Zbyszko ein. »Und um die Wahrheit zu gestehen, noch nie sind mir verstocktere Menschen vorgekommen, wie diese hier. Sie fragen den Fremden um seine Meinung und thun dann, als ob er in den Wind gesprochen habe.«

»Weshalb hörte er uns dann an?«

»Weil wir gegürtete Ritter sind, und weil er jedes Ding von zwei Seiten erwägen will. Doch thöricht ist er nicht.«

»In Neu-Kowno denkt man sicherlich jetzt am wenigsten an einen neuen Angriff unsererseits,« bemerkte Hlawa, »weil wir erst zurückgeschlagen worden sind. Dies mag wohl kein Irrtum von ihm sein.«

»So laßt uns gehen. Ich will nach den Mannen schauen, die ich zu führen habe,« ergriff nun Zbyszko das Wort, der sich in dem Zelte ganz beklemmt fühlte. »Es liegt mir ob, ihnen zu sagen, daß sie sich bereit halten sollen.«

Gemeinsam traten sie ins Freie. Die Nacht war hereingebrochen, eine tief dunkle, wolkige Nacht, die nur von den Lagerfeuern erhellt ward, an denen die Samogitier saßen.

Viertes Kapitel.

Einer milden, nebligen Nacht folgte ein teils klarer, teils trüber Tag, stürmte es doch zuweilen so heftig, daß ganze Wolkenzüge am Himmel hin und her getrieben wurden. Mit dem Morgengrauen sollte ausgebrochen werden, so lautete der Befehl Mackos. Da plötzlich erklärte der Pechsieder, der die Führung bis zu den Hütten übernommen hatte, Pferde könnten zwar überall durchkommen, die Wagen jedoch müßten an manchen Stellen auseinandergenommen und deren einzelne Stücke von den Leuten mitsamt dem Gepäcke, mit den Gewandungen und mit den Speisevorräten getragen werden. Daß dadurch aber nicht nur eine große Verzögerung entstehen würde, sondern daß hierfür auch eine gewaltige Kraftanstrengung erforderlich wäre, unterlag keinem Zweifel. Allein die abgehärteten, an Mühseligkeiten gewöhnten Männer erklärten, sich willig der schwersten Arbeit unterziehen zu wollen, nur um aus der verrufenen Schenke fortzukommen. In froher Laune ward schließlich der Weg angetreten. Selbst der furchtsame Wit, kühn gemacht durch die Worte und die Anwesenheit des Pechsieders, zeigte keine Angst.

Gleich hinter der Schenke gelangten sie in einen Hochwald, den sie mittelst geschicktem Lenken der Pferde durchzogen, ohne die Wagen auseinanderzunehmen. Zuweilen legte sich der Wind vollständig, zuweilen brach er mit solch unerhörter Gewalt los, peitschte er wie mit Riesenflügeln die Fichtenstämme, daß sich deren Aeste bogen, daß sie krachten, sich gleich Windmühlen hin und her drehten und schließlich brachen. Der Wald seufzte und stöhnte unter diesem wilden Gebrause, und selbst in den Ruhepausen grollte und klagte er, wie aus Schmerz über jene Ausbrüche, über jene Allgewalt. Dann und wann verhüllten schwere Wolken das Tageslicht vollständig, dann und wann fiel ein dichter Regenschauer, mit Schneeflocken vermischt, herab, und es ward so dunkel, als ob es schon Abend sei. War dies aber der Fall, so verlor Wit stets aufs neue den Mut und schrie: »Der Böse ist ergrimmt und wird uns Schlimmes zufügen,« doch niemand achtete dieser Worte. Sogar die ängstliche Anielka nahm sich den Ausruf nicht zu Herzen, war ihr doch Hlawa so nahe, daß sie mit ihrem Steigbügel den seinen berühren konnte, und sah er doch so kühn und verwegen in die Welt, als ob er am liebsten den Teufel selbst zum Kampfe gefordert hätte.

Aus dem Hochwalde kamen sie nach geraumer Zeit in ein mit Gesträuchen bewachsenes Dickicht, in dem das Fahren eine Unmöglichkeit wurde. Die Wagen mußten nun auseinandergenommen werden. Dies geschah indessen ebenso rasch wie geschickt. Die kraftvollen Mannen luden sich hierauf Räder, Deichseln und die andern Teile der Wagen, sowie das Gepäck auf die Schultern und trugen alles auf dem entsetzlich schlechten Wege mehrere hundert Schritte weit. Trotz der größten Anstrengung erreichten sie denn erst spät am Abend die Hütten, wo sie von den Pechsiedern gastlich empfangen wurden. Von ihnen erhielten sie auch die Versicherung, daß sie durch das Höllenthal oder vielmehr, wenn sie sich längs desselben hielten, in die Stadt kommen konnten. Diese Leute, welche beständig in einer Einöde lebten, bekamen zwar nur selten Brot und Mehl zu sehen, Hunger mußten sie indessen niemals leiden, hatten sie doch stets nicht nur Ueberfluß an geräuchertem Fleisch, sondern vornehmlich an geräucherten Pisgurren, Fische, von denen die Wassertümpel wimmelten. Reichlich boten sie ihre Vorräte dar, streckten aber dann immer wieder, um Fladen bittend, die Hände aus. Männer, Weiber und Kinder, alle waren sie geschwärzt von dem Pechrauche. Einer der Männer, ein fast hundertjähriger Greis, erinnerte sich noch der im Jahre 1331 in Leczyca verübten Metzeleien, sowie der völligen Zerstörung dieser Stadt durch die Kreuzritter. Obgleich nun Macko, Hlawa und die beiden Mägdlein fast alles schon von dem Prior in Sieradz gehört hatten, lauschten sie doch voll Spannung den Worten des alten Mannes, in dem, während er am Feuer saß und die Kohlen schürte, die entsetzlichen Erinnerungen aus seiner Jugendzeit wieder aufzuleben schienen. Ja, ähnlich wie in Sieradz waren auch in Leczyca weder Kirchen noch Priester verschont worden, umfloß das Blut der Greise, der Frauen und Kinder stromweise die Füße der Sieger. Ach, diese Kreuzritter! Immer und immer wieder diese Kreuzritter! Mackos und Jagienkas Gedanken weilten unaufhörlich bei Zbyszko, der ja während seines Aufenthaltes bei diesen feindlich gesinnten Deutschen ebenso gefährdet war, wie wenn er in den Rachen eines Wolfes geraten wäre. Auch der Tochter der Sieciechowa wurde es bange ums Herz, lag doch die Möglichkeit vor, unter diese entsetzlichen Ordensritter zu geraten, wenn man die Spuren des Abtes weiter verfolgte.

Der Alte aber begann schließlich von jener Schlacht bei Plowce zu erzählen, durch welche den Einfällen der Kreuzritter ein Ende gemacht worden war. Er selbst hatte, den eisernen Dreschflegel in der Hand, als Knecht unter dem von einer Bauerngemeinde errichteten Fußvolke mitgekämpft. Dies war die Schlacht, in der fast das ganze Geschlecht Mackos den Tod gefunden hatte, deshalb waren diesem auch fast alle Einzelheiten genau bekannt. Nichtsdestoweniger schien es, als ob er etwas ganz Neues erführe, als er der Erzählung des Alten lauschte, der nun von der furchtbaren Niederlage der Deutschen berichtete. Gleichwie der Wirbelsturm in den Saaten wütet, hatten die Schwerter der polnischen Ritter unter den Deutschen gewütet, so unaufhaltsam waren diese von der gewaltigen Faust des Königs Lokietek darnieder geschmettert worden.

»Ja, ja, gar gut erinnere ich mich noch an alles,« erklärte der Greis. »Ich weiß es noch sehr gut, wie sie in das Land einfielen, wie sie Burgen und Schlösser niedergebrannt haben, wie sie die Kinder in der Wiege dahinschlachteten. Doch, traun, der Tag der Vergeltung blieb nicht aus. Hei, das ist eine Schlacht gewesen! Wenn ich jetzt die Augen schließe, sehe ich noch den Kampfplatz deutlich vor mir.«

Und der Alte schloß die Augen und versank, mechanisch die Kohlen in der Asche aufschürend, in sinnendes Schweigen. Aber Jagienka, die voll Spannung der weiteren Erzählung entgegensah, fragte schließlich: »Wie ist es denn auf dem Kampfplatze gewesen?«

»Wie’s auf dem Kampfplatze gewesen ist?« wiederholte der Greis. »Ich erinnere mich an alles noch so gut, als ob ich es heute vor mir sähe. Der größte Teil des Gefildes war mit Gestrüppe bedeckt, rechts aber befanden sich Sümpfe und schmale Streifen von Stoppelfeldern. Nach der Schlacht jedoch war nichts mehr von dem Gestrüppe, nichts mehr von den Sümpfen und nichts mehr von den Stoppelfeldern zu erblicken. Nur Eisen und Eisen lag umher: Schwerter, Streitäxte, Speere und prächtige Rüstungen, eines auf dem andern, gerade als ob jemand die ganze geheiligte Erde damit bedeckt hätte! … Niemals zuvor sah ich so viele erschlagene Geschlechter auf einem Haufen zusammenliegen, niemals zuvor sah ich so viel Menschenblut fließen.«

Auch Macko schwoll das Herz vor Stolz bei dieser Erinnerung, und er rief: »Das ist die reine Wahrheit. Unser Herr Jesus ist barmherzig. Ueber das ganze Königreich sind sie seiner Zeit hereingebrochen wie das Feuer oder wie die Pestilenz. Nicht nur Sieradz und Leczyca haben sie zerstört, sondern noch viele andere Plätze. Und was war die Folge hiervon? Hei, unser Volk hat ein unverwüstliches Leben in sich, seine Kraft kann nicht gebrochen werden! So einer dieser Hundsbrüder, dieser Kreuzritter, einen der unsrigen auch an der Kehle packt, zu erwürgen vermag er ihn nicht, denn die Zähne werden ihm eingeschlagen … Schaut doch umher! König Kasimir hat Sieradz sowohl wie Leczyca weit prächtiger aufgebaut, als dies zuvor der Fall gewesen ist, und wie von Alters her werden dort Versammlungen abgehalten, während die bei Plowce erschlagenen Kreuzritter in der Erde verfaulen. Gott gebe einem jeden von ihnen ein solches Ende!«

Beifällig nickte der Greis bei diesen Worten mit dem Kopfe, schließlich hub er also an: »Das ist wohl kaum der Fall, das ist wohl kaum der Fall. Nach der Schlacht befahl zwar der König dem Fußvolk, Gruben zu graben, und die Leute aus der Umgegend halfen dabei, daß die Schaufeln nur so knirschten. Dann legten wir die Deutschen in die Gruben, die wir der Ordnung gemäß gut zuwarfen, damit sich keine Seuchen entwickeln konnten, allein in den Gräben sind jene nicht geblieben.«

»Wie, dort sind sie nicht geblieben? Was ist denn mit ihnen geschehen?«

»Mit eigenen Augen habe ich es nicht gesehen, ich erzähle Euch daher nur das, was ich von andern hörte. Nach der Schlacht erhob sich ein entsetzlicher Sturm, der zwölf Wochen hindurch, jedoch nur des Nachts, heulte und tobte. Bei Tag herrschte eitel Sonnenschein, bei Nacht aber raste der Wind so gewaltig, daß er geradezu die Haare den Menschen vom Kopfe riß. Nichts anderes wie Teufel sind es gewesen! Brüllend und mit der Heugabel bewaffnet sausten ganze Scharen, gleich einem Sturmwinde dahin, und befand sich einer der Teufel über den Gruben, so stieß er mit der Heugabel in die Erde, zog einen Kreuzritter hervor und nahm ihn mit sich in die Hölle. Wohl hörten dann die Leute in Plawce ein Geheul wie von einem Rudel Hunde, sie vermochten jedoch nicht zu unterscheiden, ob die Deutschen aus Angst und Schrecken derart heulten, oder die Teufel aus Lust und Freude. Dies dauerte so lange, bis ein Priester die Gruben weihte, und bis zu Neujahr die Erde so fest gefroren war, daß sie mit keiner Heugabel durchstochen werden konnte.«

Jetzt schwieg der Alte eine kurze Weile, fuhr aber dann also fort: »Gott lasse einem jeden der Kreuzritter das Ende zu teil werden, daß Ihr ihnen gewünscht habt, Herr Ritter, wenn gleich ich dies ja nicht mehr erleben werde. Solche Bürschlein aber wie diese zwei können noch Zeuge von gar manchem sein, niemals jedoch werden sie ähnliches erschauen, was ich erschaut habe.«

So sprechend blickte der Greis abwechselnd bald auf Jagienka, bald auf die Tochter der Sieciechowa, wobei sich immer größeres Staunen über deren Schönheit auf seinem Antlitz zeigte.

»Wie die Mohnblumen in einem Getreidefelde,« begann er dann plötzlich kopfschüttelnd wieder, »ähnliche Bürschlein habe ich noch niemals gesehen.«

Unter solchen Gesprächen verstrich ein Teil der Nacht, dann legten sich die müde Gewordenen zum Schlummer nieder. Auf Moos, so weich wie Flaum, fanden sie Rast, warme Felle dienten ihnen als Decken. Durch einen erfrischenden Schlaf gekräftigt und gestärkt, traten sie am nächsten Morgen, sobald es völlig tagte, aufs neue die Fahrt an. Der Weg, den sie längs des Teufelsthales einschlugen, war zwar nicht besonders gut, bot aber auch keine allzu großen Schwierigkeiten, und so erreichten sie noch vor Sonnenuntergang Leczyca. Die Stadt war nach ihrer Einäscherung teils aus roten Ziegelsteinen, teils sogar aus andern Steinen frisch aufgebaut worden. Von hohen Mauern umgeben, wies sie zahlreiche Warttürme und noch prächtigere Kirchen als Sieradz auf. Die Dominikaner wußten ausführlich über den Abt zu berichten. Ihrer Aussage nach befand er sich auf dem Wege der Besserung, so daß er sich der freudigen Hoffnung hingeben konnte, einer völligen Genesung entgegenzugehen. Die Weiterfahrt hatte er schon seit mehreren Tagen angetreten. Wenn es nun aber auch Macko nicht allzusehr darum zu thun war, den Abt unterwegs einzuholen, weil er bei sich schon beschlossen hatte, die beiden Mägdlein nach Plock zu bringen, wohin sie auch der Abt gebracht hätte, so lag ihm doch um Zbyszkos willen viel an einem raschen Vorwärtskommen. Sorge und Kummer erregte daher die Nachricht in ihm, daß seit der Abreise des Abtes Bäche und Ströme in unheilvoller Weise angeschwollen seien. An eine Fortsetzung der Fahrt konnte deshalb nicht mehr gedacht werden. Macko wurde indessen von den Dominikanern als ein Ritter, der nicht nur ein beträchtliches Gefolge hatte, sondern der auch, wie er selbst sagte, sich auf dem Wege zu dem Fürsten Ziemowit befand, gastfreundlich empfangen und beherbergt. Er erhielt sogar schließlich ein Täfelchen aus Olivenholz von ihnen, auf dem in lateinischer Sprache ein Gebet an den Engel Raphael, dem Schutzpatron aller Reisenden, geschrieben stand.

Der unfreiwillige Aufenthalt in Leczyca währte vierzehn Tage. Nur zu bald entdeckte einer der Knappen des Burgstarosten, daß die beiden schönen Bürschlein im Gefolge des alten Ritters verkleidete Mägdlein waren und entbrannte sofort in heißer Liebe zu Jagienka. Kaum hatte indessen Hlawa dies in Erfahrung gebracht und sich darüber vergewissert, so beschloß er, den Knappen auf festgetretener Erde zum Zweikampfe zu fordern, und stand erst von diesem Vorhaben ab, als ihn Macko darauf aufmerksam machte, daß sie ja am nächsten Morgen die Weiterfahrt antreten wollten.

Als sie sich unterwegs nach Plock befanden, waren die Straßen durch den Wind schon trockener geworden, denn wenn auch noch häufig Regenschauer fielen, waren sie doch, wie gewöhnlich zur Frühjahrszeit, selten von langer Dauer. Der Frühling hatte schließlich seine Einkehr gehalten und gar warmes Wetter gebracht. Helle Wasserstreifen glitzerten auf den Furchen der Felder, aus dem Ackerlande führte der Windhauch den Geruch von feuchter Erde mit sich. Aus den Morästen sprießten Butterblumen hervor, in dem Walde keimten die Sumpfveilchen, und das fröhliche Gezwitscher der Grasmücken tönte durch das Geäst. Auch die Herzen der Dahinziehenden schwollen in frischer Lust und Hoffnungsfreude, kamen sie doch so rasch vorwärts, daß sie schon nach sechzehn Tagen vor den Thoren von Plock standen.

Da sie jedoch zur Nachtzeit anlangten, waren die Thore bereits geschlossen, und so mußten sie außerhalb der Mauern bei einem Weber Rast machen. Erst zu sehr vorgerückter Stunde legten sich die beiden Mägdlein zur Ruhe, fielen aber dann auch, aufs höchste ermüdet von den Mühseligkeiten und den Beschwerden der langen Reise, in einen felsenfesten Schlaf. Macko, dem die größten Strapatzen nichts anhaben konnten, ließ Jagienka und Anielka ruhig weiter schlafen, er selbst aber wartete nur das Oeffnen der Thore ab und begab sich dann sofort allein in die Stadt, wo er die Kathedrale und den Wohnsitz des Bischofes leicht fand. Die erste Kunde, die ihm hier wurde, lautete dahin, der Abt habe schon vor sieben Tagen das Zeitliche gesegnet. Ja, schon vor einer Woche war der Abt gestorben, der herrschenden Sitte gemäß mußten aber Messen über dem Sarge gelesen und sechs Tage lang Leichenfeierlichkeiten abgehalten werden. Macko traf also gerade an dem Tage in Plock ein, an dem das Begräbnis, die Gedächtnisfeier und das letzte Leichenmahl zum ehrenden Angedenken an den Dahingeschiedenen stattfinden sollten.

Tief bekümmert über das Gehörte, empfand Macko nicht einmal Lust dazu, sich die Stadt anzuschauen, die er übrigens auch schon berührt hatte, als er sich früher einmal mit einem Schreiben der Fürstin Alexandra zu dem Großmeister begeben wollte. So rasch wie möglich kehrte er in das außerhalb der Mauern gelegene Haus des Webers zurück. Unterwegs sagte er zu sich selbst: »Ja, ja, nun ist er tot! Möge ihm die ewige Ruhe zu teil werden! Gegen den Tod giebt es kein Mittel in der Welt! Was kann ich aber nun mit den beiden Mägdlein beginnen?«

Sinnend schritt er dahin. »Ist es ratsamer, sie unter der Obhut der Fürstin Alexandra oder der Fürstin Anna Danuta zurückzulassen, oder sie mit nach Spychow zu nehmen;« so fragte er sich. Mehr als einmal schon war ihm auf dieser Fahrt der Gedanke gekommen, Danusia lebe vielleicht nicht mehr, es könne daher nur wünschenswert sein, wenn Jagienka in der Nähe von Zbyszko weile. Daß der junge Ritter die von ihm heiß Geliebte lange betrauern und beweinen werde, darüber konnte kein Zweifel herrschen, allein ebensowenig unterlag es einem Zweifel, daß die Nähe einer Maid wie Jagienka großen Einfluß ausüben müsse. Lebhaft erinnerte sich Macko daran, wie Zbyszko, dessen Herz ihn ja fort aus den Wäldern Masoviens zog, von einem Zittern ergriffen worden war, als sich Jagienka in seiner Nähe befunden hatte. In Erwägung dieser Gründe hätte er sich selbst jetzt, nach dem Tode des Abtes, nur ungern dazu entschlossen, die Tochter Zychs in Plock zurückzulassen. Allein es handelte sich auch um die Hinterlassenschaft des Abtes, und Macko verachtete ja irdische Güter durchaus nicht. Der Abt war zwar in Unfrieden von ihnen gegangen, er hatte zwar erklärt, er werde ihnen auch nicht das Geringste hinterlassen, konnte er aber nicht möglicherweise vor seinem Tode Reue empfunden haben? Daß er Jagienka etwas verschrieben hatte, das war zudem gewiß, sonst hätte es der Abt sicherlich vermieden, dies in Zgorzelic immer und immer wieder zu beteuern. Erbte aber Jagienka, dann kam auch Zbyszko durch sie nicht zu kurz. Mit einem Male verspürte der alte Kämpe Lust, in Plock zu bleiben, um sich über das Wie und Was zu vergewissern, um selbst nach dem Rechten zu sehen. Nur zu bald verwarf er aber wieder diesen Gedanken. »Wie, um irdischer Güter willen sollte ich hier bleiben?« so fragte er sich, »während mein Bruderssohn in einem Kerker der Kreuzritter schmachtet und mir, auf Rettung hoffend, flehend die Hände entgegenstreckt?« Hier gab es thatsächlich nur einen Ausweg. Macko mußte Jagienka unter dem Schutze der Fürstin und des Bischofes zurücklassen und von diesen die Zusicherung erlangen, daß sie jeder Benachteiligung der Maid entgegentreten würden, falls der Abt ihr etwas verschrieben haben sollte. Doch nach kurzem Ueberlegen verwarf der alte Kämpe auch diese Idee wieder. »Das Mägdlein besitzt an und für sich schon eine große Habe,« dachte er, »vermachte ihr aber nun auch der Abt einen Teil seines Besitztumes, dann wird, so wahr Gott im Himmel ist, irgend ein Masur sie zu gewinnen suchen. Und allzulange wird sie nicht mehr widerstehen, denn selbst der gottselige Zych behauptete, daß es ihr längst schon unter den Füßen brenne.« Dieser Gedanke versetzte den Sinnenden in großen Schrecken. Wie, wenn nun Zbyszko sowohl auf Danusia wie auf Jagienka verzichten müßte! Um nichts auf der Welt durfte dies geschehen!

»Welche nun auch Gott ihm beschieden haben mag, die soll er nehmen,« sagte sich Macko, »eine von ihnen aber muß es sein.«

Er beschloß nun, vor allem Zbyszko zu retten und Jagienka, wenn eine Trennung nötig werden würde, in Spychow oder bei der Fürstin Danuta, nicht aber in Plock zurückzulassen, wo ein gar prächtiger Hofhält geführt ward, und wo demzufolge viele schöne Ritter weilten.

Erfüllt von all diesen Gedanken, kehrte er raschen Schrittes in die Behausung des Webers zurück, um Jagienka von dem Tode des Abtes zu benachrichtigen, wobei er sich indessen fest vornahm, sehr behutsam zu Werke zu gehen. Denn wie leicht konnte das Mägdlein über eine unerwartete Kunde allzusehr erschrecken und dadurch in ihrer Gesundheit geschädigt werden. An Ort und Stelle angelangt, fand er die beiden Jungfräulein schon angekleidet, ja, prächtig herausgeputzt und so fröhlich zwitschernd wie zwei Waldvögelein. So ließ er sich auf eine Bank nieder, gebot dem Gesellen des Webers, ihm einen Krug mit warmem Bier zu bringen, und noch düsterer als zuvor dareinschauend, begann er, zu Jagienka gewendet, also zu fragen: »Hörst Du, wie in der Stadt die Glocken geläutet werden? Weshalb glaubst Du wohl, daß dies geschieht? Sonntag ist heute nicht, und die Frühmesse hast Du verschlafen. Möchtest Du nicht den Abt sehen?«

»Gewiß, gar gern möchte ich ihn sehen!« antwortete die Gefragte.

»Traun, Deine Augen werden ihn ebenso sicher erschauen, wie den König Cwiek 7

»So ist er denn weiter in die Ferne gezogen?«

»Du hast es erraten. Er ist in die Ferne gezogen. Doch hörst Du nicht das Geläute der Glocken?«

»Ist er tot?« rief Jagienka.

»Wir wollen für seine ewige Ruhe beten.«

Gemeinsam mit der Tochter der Sieciechowa knieten beide nieder und sprachen das Gebet für die ewige Ruhe des Abtes. Ihre Stimmen aber vereinigten sich mit dem Geläute der Glocken. Heiße Thränen rannen über das Antlitz Jagienkas, war sie doch von ganzem Herzen dem Abte zugethan, der, trotz seines jähzornigen Wesens, niemals einem Menschen ein Leid zugefügt, der stets mit vollen Händen Almosen ausgestreut, und der sie selbst, als sein Patenkind, wie die eigene Tochter geliebt hatte. Auch Macko, von dem Gedanken tief bewegt, daß ja der Abt sein und Zbyszkos Blutsverwandter war, brach in Thränen aus, faßte sich aber rasch wieder und begab sich mit dem Böhmen und den zwei Mägdlein zu der Beisetzung in die Kirche.

Bei dem Begräbnis ward eine große Pracht entwickelt. Bischof Jakob aus Kurdwanow schritt selbst an der Spitze des Leichenzuges, alle Priester, alle Mönche beteiligten sich daran, in allen Klöstern von Plock erklangen die Glocken. Gar viele Reden wurden gehalten, da man sich aber dabei der lateinischen Sprache bediente, konnte sie außer der Geistlichkeit kein Mensch verstehen. Den Schluß der Feierlichkeiten bildete eine von dem Bischof veranstaltete Gasterei, zu der sich geistliche und weltliche Teilnehmer von der Kirche aus begaben.

Auch Macko befand sich mit den beiden Bürschlein unter den letzteren, wozu er, als ein Blutsverwandter des Verstorbenen und als ein dem Bischof wohlbekannter Ritter ein gutes Recht hatte. Der Bischof empfing ihn infolgedessen mit zuvorkommender Auszeichnung und bemerkte sofort nach der Begrüßung: »Euch und Euerem Geschlechte sind etliche Waldungen verschrieben, alles andere aber, was nicht den Klöstern und der Abtei zufällt, geht auf das Patenkind des Abtes über, auf eine gewisse Jagienka aus Zgorzelic.«

Macko, der sich kaum etwas erwartet hatte, zeigte sich höchst glücklich über die ihm und Zbyszko zugefallenen Wälder. Seltsamerweise schien es aber der Bischof gar nicht zu bemerken, daß einer der jungen Bursche, die mit dem alten Kämpen gekommen waren, bei Erwähnung des Namens von Jagienka aus Zgorzelic die feuchten, gleich einer Flockenblume blauen Augen emporrichtete und sagte: »Gott lohne es ihm, doch ich wollte, er wäre noch am Leben.«

Unverweilt wandte sich daraufhin Macko zu dem Bürschlein und raunte ihm zu: »Schweige still, Du ladest Dir ja Schimpf und Schande auf, wenn …«

Da mit einem Male brach er ab. Auf seinem Antlitz malte sich tiefes Staunen, in seinen Blicken spiegelte sich die Wut eines wilden Tieres. Dort an der Thüre, durch welche in diesem Augenblicke die Fürstin Alexandra eintrat, stand, sich nach höfischer Sitte verneigend, Kuno von Lichtenstein, jener selbe Ritter, durch den Zbyszko in Krakau nahezu den Tod erlitten hätte.

Jagienka hatte noch nie zuvor Macko in einem solchen Zustande gesehen. Mit seinem verzerrten Gesichte, mit den unter dem Schnurrbart fest zusammengepreßten Zähnen glich er einem wütenden Hunde, als er, den Rittergürtel fester anziehend, auf den verhaßten Kreuzritter zuschritt.

Doch auf halbem Wege blieb er plötzlich stehen, indem er sich mit seiner breiten Hand über das Haar strich. Noch zur rechten Zeit fiel ihm ein, daß sich Lichtenstein wohl als Gast, oder, was noch wahrscheinlicher war, als Gesandter an dem Hofe von Plock aufhalte und daß er sich des gleichen Verbrechens wie Zbyszko auf der Straße von Tyniec schuldig mache, wenn er jetzt, ohne vorhergegangene Herausforderung, auf Lichtenstein losstürme.

Da er überdies mehr Erfahrung und Bedachtsamkeit als Zbyszko besaß, bezwang er sich auch leichter. Während er daher rasch seinen Rittergürtel wieder etwas lockerte, bemühte er sich, freundlicher darein zu schauen, und als die Fürstin, nachdem sie Lichtenstein begrüßt hatte, sich in ein Gespräch mit dem Bischof Jakob aus Kurdwanow einließ, näherte er sich ihr raschen Schrittes. Sich tief vor ihr verneigend, rief er ihr seinen Namen ins Gedächtnis zurück und erklärte, er fühle sich ihr stets zu Dank verpflichtet, habe sie ihm doch seiner Zeit mit einem Schreiben die größte Wohlthat erwiesen.

Wenn schon nun auch die Fürstin seiner gänzlich vergessen hatte, erinnerte sie sich doch sofort wieder des Schreibens und all dessen, was damit zusammenhing. Sie war zudem ganz genau über die Vorgänge unterrichtet, die sich in der Nähe des masovischen Hofes abgespielt hatten, sie wußte von dem Geschicke Jurands, von der Entführung Danusias, sie wußte von deren Vermählung mit Zbyszko und von dessen blutigem Siege über Rotgier. Selbstverständlich war ihr Interesse durch diese Nachrichten ebenso erregt worden, wie wenn sie einer Rittergeschichte oder einem jener Gesänge gelauscht hätte, welche bei den Deutschen die Minstrels und in Masovien die fahrenden Schüler vorzutragen pflegten. Freilich stand sie den Kreuzrittern nicht so feindlich gegenüber, wie dies bei Anna Danuta, dem Weibe des Fürsten Janusz der Fall war, eine Thatsache die um so begreiflicher erschien, als ihr die Kreuzritter, um sie für sich zu gewinnen, mit demutsvoller Zuvorkommenheit begegneten, ja, sie geradezu mit Gaben überschütteten. Trotzdem nahm sie aber jetzt nicht nur volle Partei für die Liebenden, sondern sie war auch bereit, ihnen ihre Hülfe angedeihen zu lassen. Wie froh war sie daher, in Macko einen Menschen gefunden zu haben, von dem sie eine genaue Schilderung der Begebenheiten erwarten durfte.

Und der alte Ritter, dem es ja hauptsächlich darum zu thun war, den Schutz und den Beistand der einflußreichen Fürstin zu gewinnen, und der sofort bemerkte, welche aufmerksame Zuhörerin er an ihr hatte, erzählte ihr natürlich bereitwillig von dem unglückseligen Lose Zbyszko und Danusias. Fast zu Thränen rührte er sie mit seinen Worten, die davon zeugten, wie ihm das traurige Geschick seines Bruderssohnes das Herz beschwerte.

»Etwas Rührenderes habe ich in meinem ganzen Leben nicht gehört,« erklärte schließlich die Fürstin, »und aufs höchste bedaure ich ihn allein schon deshalb, weil er das Glück nicht genießen konnte, das ihm der Besitz des Mägdleins gewährt hätte. Doch sprecht, seid ihr dessen gewiß, daß ihm dies Glück versagt geblieben ist?«

»Ei, beim allmächtigen Gott, ich wollte, es wäre ihm beschieden gewesen!« entgegnete Macko. »Doch die Trauung wurde ja tief in der Nacht vollzogen, während er durch schwere Krankheit an sein Lager gefesselt war, und schon mit Tagesanbruch ward ihm sein Weib entrissen.«

»Und haltet Ihr die Kreuzritter für die Schuldigen? Hier geht die Rede, Räuber hätten den Kreuzrittern ein anderes Mägdlein an Stelle Danusias ausgeliefert. Man hat mir auch von einem Briefe Jurands gesprochen –«

»Nicht das irdische, sondern das Gottesgericht hat hier entschieden. Als gar tapferer Ritter ist dieser Rotgier gepriesen worden, als ein Ritter, der bisher über die Beherztesten den Sieg davongetragen hat, und doch ist er durch die Hand eines unreifen Menschleins gefallen.«

»Ei, das ist mir ein schönes, unreifes Menschlein!« meinte die Fürstin lächelnd. »Wehe dem, der dessen Weg kreuzt! Schweres

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Als Lichtenstein die beiden auffallend schönen, prächtig gekleideten Bürschlein erblickte, sagte er sich sofort, ein solches Gefolge könne nicht der erste beste haben.

Unrecht ist geschehen – wer wollte dies leugnen? Eure Klagen sind nur zu begründet! Doch von jenen vier Schuldigen haben ja schon drei den Tod gefunden, und wie mir gesagt ward, ist der einzig überlebende Alte kaum seinem Ende entronnen.«

»Und Danusia! Und Jurand!« rief Macko, »wo sind sie? Und Zbyszko? Gott allein weiß, welch schweres Geschick ihn betroffen haben mag, da er nach Marienburg gegangen ist.«

»Dies ist mir wohlbekannt. Doch solche Räuber, wie Ihr zu glauben scheint, sind die Kreuzritter denn doch nicht. Befindet sich Euer Bruderssohn erst in Marienburg bei dem Großmeister und dessen Bruder Ulrich, der gar ritterlich gesinnt ist, dann kann ihm um so weniger Schlimmes widerfahren, als er einen Geleitsbrief von dem Fürsten Janusz besitzt, von dem er auch verschiedene Schreiben zu überbringen hat. Ausgeschlossen ist’s aber freilich nicht, daß er irgend einen Ritter zum Zweikampfe fordert und dabei fällt, denn in Marienburg strömen stets die berühmtesten Ritter aus allen Weltgegenden zusammen.«

»Traun, das erweckt keine Furcht in mir!« warf der alte Ritter ein. »Wenn er nicht in einen unterirdischen Kerker geworfen oder meuchlings erschlagen worden ist, ängstige ich mich so lange nicht um ihn, als er das Schwert zu führen vermag. Nur einmal traf er mit einem überlegeneren Gegner in den Schranken zusammen, und dies war kein anderer als Henryk, der Fürst von Masovien, eben derselbe, welcher hier Bischof gewesen ist. Doch Zbyszko gehörte damals noch ganz und gar dem Knabenalter an. Jetzt aber weiß ich freilich einen, den er so sicher wie das Vaterunser fordern würde, einen, den zu fordern ich auch gelobt habe, und welcher jetzt hier weilt.«

So sprechend, blickte er bedeutungsvoll auf Lichtenstein, der sich gerade mit dem Wojwoden aus Plock unterhielt.

Da zog die Fürstin finster die Brauen zusammen und erklärte in dem strengen, harten Tone, der bei ihr stets ein Zeichen der Erregung war: »Ob Ihr nun irgend einen Eid geleistet habt, oder ob Ihr keinen Eid geleistet habt, vergeßt nicht, daß jener unser Gast ist, und daß ein jeder, der unsere Gastfreundschaft genießen will, sich guter Sitten befleißigen muß.«

»Ich weiß das, huldreiche Frau,« entgegnete Macko. »Schon hatte ich den Rittergürtel gelockert und wollte auf ihn losgehen, da bezwang ich mich noch zur rechten Zeit, indem ich mir sagte, er möge vielleicht als Gesandter hier weilen.«

»Ihr täuscht Euch nicht, er ist als Gesandter hier. Das ist zudem ein Mensch, der großes Ansehen unter den Seinen genießt, auf dessen Rat der Großmeister viel giebt, ja, dem er kaum einen Wunsch versagt. Als eine Fügung Gottes dürfen wir es wohl betrachten, daß Euer Bruderssohn in Marienburg nicht mit ihm zusammentrifft, denn wenn auch Lichtenstein einem edlen Geschlechte entstammt, soll er doch rachsüchtig und unbeugsam sein. Hat er Euch erkannt?«

»Das glaube ich kaum, hat er mich doch stets nur ganz kurz gesehen. Als wir von Tyniec weiter zogen, waren wir behelmt und späterhin suchte ich ihn nur noch einmal Zbyszkos wegen auf. Da ist er aber sehr beschäftigt gewesen, und obendrein dämmerte es bereits stark. Wohl habe ich bemerkt, daß er mich jetzt anschaute, allein sicherlich that er dies nur, weil Ihr mir, wohledle Frau, eine ungewöhnlich lange Unterredung gestattetet, denn gar bald wendeten sich seine Blicke einer andern Richtung zu. Zbyszko hätte er sicherlich erkannt, meiner aber hat er gewiß längst vergessen, und von einem Gelöbnis ist ihm vielleicht nie etwas zu Ohren gekommen. Vermutlich sind seine Gedanken auch von weit Wichtigerem in Anspruch genommen.«

»Von weit Wichtigerem?«

»Ja, denn gar viele edle Ritter haben feierlichst gelobt, ihn zum Kampfe zu fordern, wie Zawisza aus Garbow, Powala aus Taczew, Marcin aus Wrocimowice, Paszko, Zlodziej, und Lis aus Targowisko. Ein jeder von ihnen könnte es mit zwei Rittern wie Lichtenstein aufnehmen, allergnädigste Frau, wie soll es ihm daher erst ergehen, wenn er jene insgesamt gegen sich hat? Besser würde es für ihn sein, er wäre nie geboren worden, hängt ihm doch stets das Schwert drohend über dem Haupte. Ich selbst werde mich indessen nicht nur hüten, ihm mein Gelöbnis kund zu thun, sondern mich sogar bestreben, sein Vertrauen zu gewinnen.«

»Zu welchem Zwecke?«

Ein so schlauer Ausdruck spiegelte sich mit einem Male auf dem Antlitz Mackos, daß er einem alten Fuchse glich.

»Damit er mir ein Schreiben ausstellt, mittelst dessen ich ungefährdet die Lande der Kreuzritter durchziehen und, so dies nötig sein sollte, Zbyszko Rettung bringen kann.«

»Wie vereinigt sich aber ein solches Thun mit der ritterlichen Ehre?« fragte die Fürstin lächelnd.

»Sehr gut!« antwortete Macko in festem Tone. »Wenn ich ihn zum Beispiel rückwärts überfiele, ohne ihn vorher gewarnt zu haben, dann würde ich freilich Unehre auf mich laden. In Friedenszeiten aber einen Feind durch Klugheit zu überlisten, das macht keinem Schande.«

»So will ich Euch denn mit ihm bekannt machen!« bemerkte jetzt die Fürstin.

Rasch winkte sie Lichtenstein zu sich heran und machte ihn mit Macko bekannt, indem sie sich sagte, daß, selbst wenn jener sich des alten Ritters erinnern sollte, kein großer Nachteil daraus entspringen könne.

Doch Lichtenstein erkannte ihn nicht. Thatsächlich hatte er Macko auf der Landstraße von Tyniec nur im Helme gesehen, und nur das einzige Mal in der Abenddämmerung mit ihm gesprochen, als der alte Ritter bei ihm erschienen war, um seine Verzeihung für Zbyszkos Vergehen zu erbitten.

Stolz verneigte sich Lichtenstein; als er indessen die beiden ausfallend schönen, prächtig gekleideten Bürschlein erblickte, die hinter dem alten Ritter standen, sagte er sich sofort, ein solches Gefolge könne nicht der erste beste haben, und obwohl er noch immer seine hochmütige Miene beibehielt, die er stets zur Schau trug, wenn er nicht mit Königen oder Fürsten sprach, blickte er doch jetzt etwas weniger abweisend darein.

»Dieser Ritter hier hegt die Absicht, nach Marienburg zu ziehen,« ergriff die Fürstin erklärend das Wort. »Ich selbst werde ihn der Gnade des Großmeisters empfehlen. Nichtsdestoweniger möchte er auch von Euch ein Schreiben haben, kennt er doch das Ansehen, das Ihr in dem Orden genießt.«

Nach diesen Worten wandte sie sich wieder an den Bischof, während Lichtenstein, seine kalten stahlblauen Augen auf Macko richtend, also fragte: »Welche Gründe veranlassen Euch, o Herr, zum Besuche des Hauptsitzes unseres Ordens?«

»Nur fromme und ehrbare Beweggründe führen mich dahin,« erwiderte Macko, kühn aufblickend. »Wäre dies nicht der Fall, so würde sich die huldreiche Fürstin nicht für mich verwendet haben. Manch frommes Gelöbnis habe ich gethan, doch möchte ich auch einmal Eurem Großmeister von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, ihm, der für den Frieden auf Erden wirkt und unter der Ritterschaft der ganzen Welt rühmlichst bekannt ist.«

»Keiner, für den sich die allergnädigste Fürstin, Eure Herrin und Wohlthäterin, verbürgt, wird sich bei uns über Mangel an Gastfreundschaft zu beklagen haben. Doch was den Großmeister anbetrifft, so werdet Ihr ihn schwerlich zu Gesicht bekommen. Schon vor einem Monat ist er nach Danzig übergesiedelt, von wo aus er sich zuerst nach Königsberg und dann noch weiter an die Grenze begeben will, denn wenn gleich er den Frieden liebt, ist er doch gezwungen, die Erbgüter des Ordens gegen die verräterischen Einfälle Witolds zu schützen.«

Als Macko diese Kunde vernahm, sah er plötzlich so kummervoll darein, daß Lichtenstein, dessen scharfem Blick nichts entgehen konnte, sofort bemerkte: »Ich sehe, daß Euer Bestreben, zu dem Großmeister zu gelangen, ebenso lebhaft ist, wie der Wunsch, Eure frommen Gelübde zu erfüllen.«

»Ihr habt’s getroffen, Ihr habt’s getroffen!« rief Macko eifrig. »Doch sprecht, ist der Krieg mit Witold um Samogitien gewiß?«

»Er selbst ist der Urheber davon, denn trotz seines Eides hat er den Aufrührern offenen Beistand geleistet.«

Tiefes Schweigen folgte diesen Worten, schließlich jedoch hub Macko also an: »Bei meiner Treu! Dem Orden möge all das Glück zu teil werden, das er verdient. Zu dem Großmeister kann ich nicht gelangen, die gethanen Gelöbnisse aber will ich erfüllen.«

Allein ungeachtet dieses Ausspruches wußte er sich keinen Rat; mit einem unsagbaren Angstgefühl legte er sich selbst die Frage vor: »Wo soll ich Zbyszko nun suchen, wo werde ich ihn nun finden?«

Es war leicht vorauszusehen, daß es nutzlos gewesen wäre, Zbyszko in Marienburg zu suchen, wenn der Großmeister Marienburg verlassen hatte und in den Krieg gezogen war, aber in jedem Falle mußte man genaue Kunde über den Jüngling einziehen. Der alte Macko sorgte sich sehr, da er jedoch ein Mann war, der sich stets zu helfen wußte, beschloß er, keine Zeit zu verlieren und sogleich am folgenden Morgen wieder aufzubrechen. Es ward ihm leicht, sich von Lichtenstein durch die Vermittlung der Fürstin Alexandra, welche das unbegrenzte Vertrauen des Komturs genoß, die erbetenen Briefe zu verschaffen. So erhielt er denn eine Empfehlung an den Starosten von Brodnica, sowie an den Großmeister der Johanniter in Marienburg, wofür er Lichtenstein einen großen, silbernen schön getriebenen Humpen aus Wroclaw überreichte, einen Humpen in der Art, wie ihn die Ritter des Nachts mit Wein gefüllt an ihr Lager zu stellen pflegten, um bei Schlaflosigkeit ein Mittel zur Hand zu haben, das ihnen Schlaf und Trost brachte. Diese Freigebigkeit Mackos überraschte den Böhmen nicht wenig, welcher wußte, daß der alte Ritter sonst nicht allzusehr geneigt war, irgend jemand mit Geschenken zu überschütten. Jener aber sagte: »Ich that dies, weil ich ein Gelöbnis ablegte und mit diesem Ritter kämpfen muß. Auf keine Weise könnte ich jedoch einem Menschen nach dem Leben trachten, welcher mir einen Dienst erwiesen hat. Bei uns ist es nicht Sitte, auf einen Wohlthäter loszuschlagen.«

»Aber es ist schade um den schönen Humpen!« erwiderte der Böhme in etwas widerspenstigem Tone.

Darauf entgegnete Macko: »Habe keine Furcht, ich thue nichts ohne Ueberlegung, denn wenn mir der Herr Jesus in seiner Barmherzigkeit gestattet, diesen Deutschen niederzuwerfen, werde ich auch den Becher zurückgewinnen und zugleich viele andere kostbare Dinge nebenbei.«

Nun begannen die beiden Männer sowie Jagienka sich miteinander zu beraten, was weiter zu thun sei. Abermals fuhr es Macko durch den Sinn, er könne diese und die Tochter Sieciechowas unter dem Schutze der Fürsten Alexandra in Plock zurücklassen, wobei es ihm wiederum hauptsächlich um des Abtes Testament zu thun war, das sich in den Händen des Bischofs befand. Aber dem widersetzte sich Jagienka mit der ganzen Kraft ihres unbeugsamen Willens. Wohl wäre es leichter gewesen, ohne sie die Fahrt fortzusetzen, weil man dann in den Nachtherbergen keine besondere Schlafkammer ausfindig machen, überhaupt keine Rücksicht nehmen und den Gefahren nicht aus dem Wege gehen mußte. Sie hatten jedoch Zgorzelic nicht verlassen, um in Plock zu bleiben. Das Testament war gut geborgen in des Bischofs Händen, und wenn die Mägdlein tatsächlich unterwegs irgendwo zurückbleiben sollten, waren sie sicherer unter dem Schutze der Fürstin Anna, als unter dem der Fürstin Alexandra, weil man am Hofe der ersteren den Kreuzrittern weniger zugethan, Zbyszko aber sehr geneigt war. Zwar behauptete Macko, daß Verstand nicht der Frauen Sache sei und daß es sich nicht gezieme, sich einem Weibe gegenüber in Erörterungen einzulassen wie einem verständigen Menschen gegenüber, dessen ungeachtet blieb er aber nicht bei seinem Vorsatze und gab bald vollständig nach, da Jagienka ihn auf die Seite führte und mit Thränen in den Augen sagte: »Wisset! – Gott sieht in mein Herz – daß ich vom Morgen bis zum Abend für ihr – für Danusias und für Zbyszkos Glück bete. Unser Gott im Himmel weiß dies am besten. Aber Hlawa und auch Ihr sagt ja, daß sie verschwunden ist und daß sie nicht lebend aus den Händen der Kreuzritter entkommen werde. Und ist dem so, dann …«

Hier zauderte sie ein wenig, die bis jetzt zurückgehaltenen Thränen flossen langsam über ihre Wangen herab, und leise fügte sie hinzu: »Dann möchte ich Zbyszko nahe sein!«

Diese Worte und ihre Thränen rührten Macko tief, gleichwohl antwortete er: »Wenn sie zu Grunde geht, wird Zbyszkos Herzeleid so groß sein, daß er Dich auch nicht einmal anschaut.«

»Daß er mich anschaut, wünsche ich gar nicht, ich wünsche nur, bei ihm zu sein.«

»Du weißt doch, daß ich ganz dasselbe will, was Du willst, aber im ersten Kummer wird er sogar im stande sein, Dir harte Worte zu sagen.«

»Mag er mir immerhin harte Worte sagen!« antwortete sie mit traurigem Lächeln. »Doch wird er es nicht thun, weil er nicht weiß, daß ich es bin.«

»Er wird Dich erkennen!«

»Nein, er wird mich nicht erkennen. Ihr erkanntet mich ja auch nicht. Sagt ihm, ich sei es nicht, sondern Jasko, und Jasko gleicht mir ja auf ein Haar. Sagt ihm, daß Jasko sehr gewachsen ist, und es wird Zbyszko nicht in den Sinn kommen, daß ich es bin.«

Da begann der alte Ritter abermals von den einwärts gebogenen Knien zu sprechen, weil aber auch die Knie von Knaben zuweilen einwärts gebogen sind, konnte dieser Einwurf nicht gelten, vornehmlich da Jagienka von ihrem Bruder, der in der letzten Zeit seine Haare hatte wachsen lassen und sie in einem Netze trug wie andere edle Jünglinge und Ritter, tatsächlich kaum zu unterscheiden war. Aus diesem Grunde gab Macko schließlich nach, und nun ward über die weitere Fahrt beraten. Am folgenden Morgen wollten sie aufbrechen. Macko beschloß, in das Ordensland einzudringen, sich nach Brodnica zu begeben, daselbst Kundschaft einzuziehen und, wenn sich der Großmeister trotz der Angaben Lichtensteins noch in Marienburg befand, dorthin zu gehen, im entgegengesetzten Falle aber in der Richtung von Spychow längs der Grenze des Ordenslandes vorzurücken und unterwegs nach dem jungen polnischen Ritter und dessen Gefolge zu fragen.

Der alte Ritter dachte, er könne in Spychow oder am Hofe des Fürsten Janusz zu Warschau eher etwas von Zbyszko erfahren, als anderswo. So machte er sich denn am folgenden Morgen auf den Weg. Der Frühling hatte schon begonnen und damit auch die Ueberschwemmungen. Skowa und Doweca waren ausgetreten, so daß die Reisenden erst am zehnten Tage nachdem sie Plock verlassen hatten, die Grenze überschritten und Brodnica erreichten. Das Städtchen zeichnete sich durch Reinlichkeit und Ordnung aus, aber gleich beim ersten Schritt ward man an die Strenge deutscher Herrschaft gemahnt, denn an einem außerhalb der Stadt auf dem Wege nach Gorezenica errichteten ungeheuren Galgen 8 mit gemauertem Untergrund hingen noch die Leichname einiger Gerichteten, unter denen sich auch eine Frau befand. Auf der Warte und auf dem Schlosse wehte eine Fahne, welche eine rote Hand in weißem Felde zeigte. Den Komtur trafen die Reisenden nicht an Ort und Stelle, denn er hatte sich mit einem Teil der Besatzung an der Spitze der benachbarten Edelleute nach Marienburg begeben. Diese Mitteilung erhielt Macko von einem alten blinden Kreuzritter, welcher einst Komtur von Brodnica gewesen war und jetzt aus Anhänglichkeit an die Stadt und die Burg seine letzten Lebenstage hier verbrachte. Nachdem der Kaplan des Ortes ihm den Brief Lichtensteins vorgelesen hatte, nahm er Macko gastfreundlich auf, und da er inmitten einer polnischen Bevölkerung wohnte, verstand er die polnische Sprache vortrefflich, sodaß es Macko nicht schwer fiel, mit ihm zu verhandeln. Zufälliger Weise war er gerade sechs Wochen zuvor in Marienburg gewesen, wohin man ihn als erfahrenen Ritter zu einem Kriegsrat berufen hatte, daher wußte er genau, was dort vorging. Nach dem jungen polnischen Ritter befragt, sagte er, des Namens erinnere er sich nicht mehr, doch habe er von einem Jüngling gehört, welcher vornehmlich deshalb Staunen erregt habe, weil er trotz seiner Jugend schon gegürtet und dann auch, weil er stets siegreich bei dem Turnier gewesen sei, welches der Großmeister, der Sitte gemäß, für die fremden Gäste veranstaltet hatte, bevor er zum Feldzug auszog. Allgemach kam dem alten Kreuzritter sogar auch in Erinnerung, daß der mannhafte, edelgesinnte, wenn schon jähzornige Ulrich von Jungingen, der Bruder des Meisters, jenen Jüngling liebgewonnen und in seinen besondern Schutz genommen, ja daß er ihm eiserne Briefe 9 mitgegeben hatte, und daß der junge Ritter dann später, wahrscheinlich gen Osten aufgebrochen sei. Diese Kunde erfreute Macko ungemein, da er nicht den geringsten Zweifel hegte, daß Zbyszko jener Ritter war. In Anbetracht dessen lag nun kein Grund mehr vor, sich nach Marienburg zu begeben, denn obgleich der Großmeister der Johanniter oder andere Würdenträger und Ritter des Ordens, welche dort geblieben waren, noch bessere Fingerzeige hätten geben können, vermochten sie doch nicht auszusagen, wo Zbyszko gegenwärtig weilte. Zudem wußte Macko selbst am besten, wo er seinen Bruderssohn finden könne. War es doch nicht schwer zu erraten, daß dieser in der Gegend von Szczytno umherstreife, und wenn er Danusia dort nicht fand, seine Nachforschungen in den entfernteren Schlössern und Komtureien des Ostens fortsetze.

Ohne Zeit zu verlieren, zogen die Reisenden nun durch das Ordensland gen Szczytno. Sie kamen rasch vorwärts, da die zahlreichen Städte und Städtchen durch Landstraßen verbunden waren, welche von den Kreuzrittern, vornehmlich aber von den in den Städten seßhaften Kaufleuten in gutem Stand erhalten wurden und den polnischen fast gleich kamen, die man unter der umsichtigen, thatkräftigen Regierung König Kasimirs angelegt hatte. Zudem war das Wetter wunderschön, der nächtliche Himmel ausgestirnt, und an den hellen Tagen um die Melkezeit am Mittag wehte ein warmer leichter Wind, welcher die Brust der Menschen schwellte, ihre Lebensgeister hob. Auf den Feldern grünte das Getreide, die Wiesen waren über und über mit Blumen bedeckt, ein würziger Harzgeruch entströmte den Fichtenwäldern. Während der ganzen Fahrt nach Lidzborak, von dort nach Dsialdow und weiter bis nach Niedzborz sahen die Reisenden keine Wolke am Himmel. In Niedzborz erst kam während der Nacht ein Regenschauer mit Gewitter, das erste in diesem Frühling. Doch Regen und Donner währten nicht lange, und als der Tag anbrach, war das Firmament wieder so hell, ruhig, golden und leuchtend, daß alles, soweit das Auge reichte, glänzte und schimmerte wie Diamanten und Perlen. Die Erde schien den Himmel anzulachen und sich über den Reichtum der Natur zu freuen.

An diesem Morgen zogen sie von Niedzborz gen Szczytno. Die masovische Grenze war nicht mehr weit entfernt, und sie hätten sich ebensogut nach Spychow wenden können. Während eines kurzen Momentes dachte Macko auch daran, dies zu thun, doch nachdem er alles wohl erwogen hatte, beschloß er geradewegs gegen die furchtbare Feste der Kreuzritter zu dringen, worin sich so manches abgespielt hatte, das für Zbyszkos Schicksal verhängnisvoll geworden war. Nachdem er einen Landmann als Führer genommen hatte, gebot er diesem, ihn samt seinem Gefolge nach Szczytno zu geleiten, obwohl ein Führer nicht unbedingt notwendig war, denn von Niedzborz nach Szczytno zog sich eine gerade Landstraße hin, worauf die deutschen Meilen mit Steinen bezeichnet waren.

Der Führer befand sich immer einige Schritte voraus, hinter ihm kam Macko und Jagienka zu Pferde, hierauf in ziemlich großer Entfernung der Böhme und die hübsche Anielka, den Schluß bildeten die von bewaffneten Mannen umgebenen Wagen. Es war noch früh am Morgen. Ein rosiger Schimmer färbte den östlichen Himmel, obwohl die Sonne schon hell schien, und die Tautropfen auf Gräsern und Blumen in Opale verwandelte.

»Fürchtest Du Dich nicht, nach Szczytno zu gehen?« fragte Macko.

»Nein, ich fürchte mich nicht!« antwortete Jagienka. »Unser Herrgott ist über mir, denn ich bin ja eine Waise.«

»Dort kennt man keine Ehre und keine Treue. Von allen ist Danveld freilich der Schlimmste gewesen, doch Jurand hat ihn mit Godfryd zugleich aus dem Wege geräumt. So sagt der Böhme. Rotgier, der durch Zbyszkos Streitaxt fiel, war nicht besser, aber auch der Alte ist hart und grausam und hat sich dem Teufel verschrieben … Die Leute wissen zwar nichts Sicheres, ich glaube indessen, wenn Danusia getötet ward, so ist es durch des Alten Hand geschehen. Es geht die Rede, er habe auch einen Unglücksfall gehabt, aber die Fürstin erzählte mir in Plock, er sei wieder genesen. Mit ihm werden wir in Szczytno zu verhandeln haben. Gut, daß wir im Besitze des Briefes von Lichtenstein sind, denn gewiß fürchten ihn die Brüder, diese Hunde, mehr als den Großmeister selbst, denn sie sagen, er genieße großes Ansehen, sei grausam und strenge und überdies rachsüchtig. Nicht die geringste Beleidigung verzeihe er. Ohne dies Schreiben würde ich nicht so ruhig nach Szczytno gehen.«

»Und wie nennt sich jener alte Mann?«

»Zygfryd de Löwe.«

»Gott gebe, daß wir uns ihm gegenüber schützen können.«

»Gott gebe es!«

Hier lachte Macko laut und nach einer Weile begann er wieder: »Die Fürstin in Plock sagte zu mir: ›Euer Vorgehen ist dem von Lämmern gegen Wölfe zu vergleichen, trotzdem haben schon drei von den Wölfen das Leben verloren, weil die unschuldigen Lämmer sie überwältigten.‹ Und so ist es in der That, wenn alles, was ich hörte, der Wahrheit entspricht.«

»Und Danusia? Und ihr Vater?«

»Ich stellte der Fürstin die gleiche Frage. Doch in der Seele bin ich froh darüber, daß es sich gezeigt hat, wie gefährlich es ist, uns ein Unrecht zuzufügen. Siehst Du, auch wir verstehen es, ein Beil in die Hand zu nehmen und es zu gebrauchen! Und was Danuska und Jurand anbelangt, so glaube ich wie der Böhme, daß sie nicht mehr am Leben sind, aber tatsächlich weiß niemand etwas Sicheres darüber. Jurand beklage ich, denn bei Lebzeiten verzehrte er sich in Kummer um seine Tochter, und wenn er tot ist, so ist er eines schrecklichen Todes gestorben.«

»So oft ihn jemand in meiner Gegenwart erwähnt, muß ich an mein geliebtes Väterchen denken. Auch er ist ja nicht mehr unter den Lebenden!« sagte Jagienka.

So sprechend, hob sie die feuchten Augen zum Himmel empor.

Macko aber nickte und sagte: »Er steht vor Gottes Gericht, und sicherlich wird er im ewigen Lichte wandeln, denn einen besseren Menschen als ihn gab es in unserem ganzen Königreiche nicht.«

»Nein, nein, einen besseren gab es nicht!« seufzte Jagienka.

Das Gespräch wurde durch den als Führer dienenden Landmann unterbrochen, der plötzlich seinen Hengst anhielt, dann eine Wendung mit ihm machte und im Galopp auf Macko zuritt, indem er in seltsamem, erschreckten Tone ausrief: »O um Gotteswillen! Seht, Herr Ritter, wer dort vom Hügel herab auf uns zukommt.«

»Wer? Wo?« fragte Macko.

»Seht dorthin! Es muß ein Riese oder etwas Aehnliches sein!«

Ihre Pferde anhaltend, blickten Macko und Jagienka nach der bezeichneten Richtung und sahen wirklich auf der Anhöhe etwa fünfzig Schritte entfernt eine Gestalt, welche durch ihre Größe das Maß eines gewöhnlichen Menschen beträchtlich zu überragen schien.

»Daß es ein riesiger Kerl ist, darin hat er recht!« murmelte Macko. Dann runzelte er die Stirne, spie plötzlich aus und sagte: »Behext sei dieser Hund!«

»Weshalb verwünscht Ihr ihn?« fragte Jagienka.

»Weil ich mich erinnere, daß ich und Zbyszko an einem Morgen wie der heutige auf der Landstraße von Tyniec nach Krakau einen ähnlichen riesenhaften Menschen gesehen haben. Damals sagten die Leute, es sei Walgierz Wlady. Schließlich zeigte es sich, daß es der Herr aus Taczew war, aber viel Gutes erwuchs nicht daraus. Behext sei der Hund!«

»Ein Ritter ist es nicht, denn er geht ja zu Fuße,« sagte Jagienka, schärfer hinsehend. »Ich sehe sogar, daß er keine Waffen hat, nur einen Wanderstab trägt er in der linken Hand.«

»Und er tastet nach dem Weg, wie wenn es Nacht wäre,« fügte Macko hinzu.

»Und er kann sich kaum vorwärts bewegen. Gewiß ist er blind, denn was sollte es sonst sein?«

»Er ist blind! Er ist blind! So wahr ich lebe!«

Sie trieben ihre Pferde an und hielten bald vor dem alten Manne, welcher, sehr langsam den Hügel herabsteigend, seinen Weg mit dem Stocke suchte.

Er war in der That ungewöhnlich groß, wenngleich er in der Nähe nicht mehr wie ein Riese erschien. Auch zeigte es sich, daß er vollständig blind war. Anstatt der Augen hatte er zwei rote Höhlen im Gesicht, die rechte Hand fehlte ihm, und er hatte den Stummel mit schmutzigen Lappen umwunden. Seine Haare fielen weit über die Schultern herab und glänzten weiß wie der Bart, der ihm bis zum Gurt reichte.

»Der Arme hat weder einen Knaben noch einen Hund bei sich und muß sich selbst tastend den Weg suchen,« bemerkte Jagienka. »Bei Gott, ich kann ihn nicht ohne Hilfe hier zurücklassen. Ob er mich verstehen wird, weiß ich nicht, doch will ich ihn in unserer Sprache anreden.« Sie sprang rasch vom Pferde und sich dicht vor den Alten hinstellend suchte sie nach Geld in dem ledernen Beutel, der an ihrem Gürtel hing.

Der Alte, welcher den Lärm und das Stampfen der Pferde hörte, streckte den Stab aus und hob den Kopf in die Höhe, wie es die Blinden zu thun Pflegen.

»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte das Mädchen. »Versteht Ihr die Sprache der Christen, Großväterchen?«

Als er ihre jugendfrische, süße Stimme vernahm, erbebte er, ein seltsamer Schimmer, etwas wie Rührung und Erschütterung überzog sein Antlitz, er senkte die Lider über die leeren Augenhöhlen und den Stab wegschlendernd, fiel er ihr zu Füßen, indem er die Arme gegen sie ausstreckte.

»Erhebt Euch! Ich bin bereit, Euch zu helfen. Was ist Euch?« fragte Jagienka voll Verwunderung.

Aber er antwortete nicht, zwei große Thränen rollten über seine Wangen und seinen Lippen entrang sich ein Laut, der wie ein Aechzen klang: »Aa! A!«

»Beim allbarmherzigen Gott! Seid Ihr denn stumm oder was ist’s, das Euch fehlt?«

»Aa! A!«

Nachdem er versucht hatte, sich auf diese Weise zu äußern, hob er die linke Hand empor, machte das Zeichen des Kreuzes und fuhr sich dann über die Lippen hin.

Jagienka, die ihn nicht verstand, schaute Macko an. Dieser sagte: »Es scheint, er will Dir auf diese Weise zeigen, wie ihm die Zunge herausgeschnitten ward.«

»Ist Euch die Zunge herausgeschnitten worden?« fragte das junge Mädchen.

»A! o! a! o!« wiederholte der alte Mann indem er nickte.

Dann wies er mit den Fingern auf seine Augen, zeigte den Stummel seines rechten Armes und machte mit der linken Hand eine Bewegung, wie wenn er einen Schlag erteilen wolle.

Jetzt verstanden ihn beide.

»Wer hat Euch das angethan?« fragte Jagienka.

Der alte Mann machte mehrmals das Zeichen des Kreuzes in der Luft.

»Die Kreuzritter!« schrie Macko auf.

Der Alte senkte wie zur Bestätigung das Haupt auf die Brust herab.

Ein kurzes Schweigen folgte. Macko und Jagienka blickten einander erschreckt an, denn sie hatten jetzt den klaren Beweis der Unbarmherzigkeit, Maßlosigkeit und Grausamkeit, welche die Kreuzritter von Szczytno kennzeichneten, vor Augen.

»Fürchterlich sind sie mit ihm zu Gericht gegangen,« sagte schließlich Macko. »Gar schwer haben sie ihn bestraft und Gott weiß, ob mit Recht! Aber dies werden wir nicht erfahren. Wenn wir nur wüßten, wohin wir ihn führen sollen. Er muß aus dieser Gegend stammen. Unsere Sprache versteht er, weil das gleiche Volk hier wohnt wie in Masovien.«

»Versteht Ihr, was wir sagen?« fragte Jagienka.

Der Alte nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Und seid Ihr aus dieser Gegend?«

»Nein!« entgegnete der Greis durch eine Gebärde.

»Aber vielleicht aus Masovien?«

»Ja!«

»Aus dem Gebiete des Fürsten Janusz?«

»Ja!«

»Und was thatet Ihr bei den Kreuzrittern?«

Der alte Mann vermochte nicht zu antworten, doch sein Gesicht drückte in diesem Augenblick so unermeßlichen Schmerz aus, daß das mitleidige Herz Jagienkas sich krampfhaft zusammenzog und sogar Macko, der sonst nicht so leicht gerührt ward, sagte: »Sicherlich haben ihm die Weißmäntel Unrecht gethan, und möglicherweise ist ihm gar keine Schuld beizumessen.«

Jagienka drückte einige kleine Geldstücke in die Hand des Armen.

»Hört!« sagte sie. »Wir werden Euch nicht verlassen. Geht mit uns nach Masovien, und wir werden uns dann in jedem Dorfe erkundigen, ob es Euer Heimatsort ist. Vielleicht können wir auf diese Weise den richtigen Weg finden. Aber steht jetzt auf, denn wir sind ja keine Heiligen!«

Doch er stand nicht auf, sondern neigte sich noch tiefer herab und umfaßte ihre Füße, wie wenn er sich völlig ihrem Schutz anheimgeben und ihr danken wolle, wobei sich indessen eine gewisse Verwunderung, ja etwas wie Enttäuschung auf seinem Antlitz malte. Ihrer Stimme lauschend, hatte er zuvor wohl angenommen, daß er einem jungen Mädchen gegenüberstehe, jetzt aber berührten seine Hände rauhes Lederwerk, wie es zur Fußbekleidung der Ritter und Knappen auf Reisen diente.

Und sie fuhr fort: »Ja, so soll es sein! Unsere Wagen werden bald hier sein, dann mögt Ihr der Ruhe pflegen, damit Ihr wieder zu Kräften kommt. Doch nach Masovien könnt Ihr nicht so bald gelangen, da wir uns zuerst nach Szczytno begeben müssen.«

Bei diesen Worten sprang der alte Mann empor. Schrecken und Staunen malte sich auf seinem Gesichte. Er breitete die Arme aus, als ob er den Weg versperren wolle, und seinen Lippen entrangen sich wilde Laute, wie wenn er bis ins tiefste Innere erschüttert wäre.

»Was ist Euch?« rief Jagienka voll Bestürzung.

Aber der Böhme, welcher mittlerweile mit Anielka herangekommen war und während einiger Zeit den alten Mann aufmerksam angeblickt hatte, wendete sich plötzlich mit veränderter Miene zu Macko und sagte in erstauntem Tone: »Bei den Wunden des Erlösers! Gestattet, Herr, daß ich mit ihm rede, denn Ihr ahnt wohl nicht, wer er ist.«

Und ohne die Erlaubnis abzuwarten, eilte er auf den Alten zu, legte ihm die Hand auf die Schultern und fragte: »Kommt Ihr aus Szczytno?«

Offenbar eigentümlich berührt von dem Klang dieser Stimme, beruhigte sich der Greis und nickte mit dem Kopfe.

»Habt Ihr dort nicht Euer Kind gesucht?«

Ein dumpfer Klagelaut war die einzige Antwort.

Hlawa erbleichte, noch einen Augenblick betrachtete er mit seinen Luchsaugen die Züge des Alten, dann sagte er langsam und nachdrücklich: »Ihr seid Jurand aus Spychow.«

»Jurand!« schrie Macko auf.

Doch Jurand schwankte in diesem Moment und verlor das Bewußtsein. Die Qualen, welche er erduldet, der Mangel an Nahrung, die Mühseligkeiten seiner Wanderschaft warfen ihn zu Boden. Es war nun schon der zehnte Tag, daß er so tastend dahinschritt, daß er in der Irre umherging und sich mit seinem Stabe den Pfad suchte, ausgehungert und matt, ohne zu wissen, wohin er sich wenden solle. Unfähig nach dem Wege zu fragen, richtete er sich bei Tage nur nach der Wärme der Sonnenstrahlen, die Nächte verbrachte er in den Gräben an der Landstraße. Wenn er durch ein Dorf oder eine Ansiedelung kam oder wenn Leute an ihm vorübergingen, bat er mit der Hand und mittelst unartikulierten Lauten um Almosen, aber es war selten, daß ihn eine mitleidige Seele dann unterstützte, denn meist wurde er für einen Verbrecher gehalten, den die gerechte Rache des Gesetzes erreicht hatte. Schon seit zwei Tagen fristete er sein Leben durch Baumrinden und Blätter, schon gab er die Hoffnung auf, Masovien zu erreichen, als ihn hier plötzlich barmherzige Menschen umringten, als die Laute der Heimatsgenossen an sein Ohr drangen, von denen ihn die eine an die süße Stimme seiner Tochter erinnerte, und da schließlich auch noch sein Name genannt ward, war die Erschütterung allzugroß, sein Herz zog sich krampfhaft zusammen, die Gedanken kreisten wild in seinem Gehirn, und er wäre mit dem Gesicht in den Staub der Landstraße gefallen, wenn die starken Arme des Böhmen ihn nicht gehalten hätten.

Macko sprang vom Pferde, dann hoben die beiden Jurand empor und trugen ihn zu einem Wagen, wo sie ihn auf Heu betteten. Nachdem es Jagienka und Anielka gelungen war, Jurand wieder zum Bewußtsein zu bringen, reichten sie ihm Nahrung und gaben ihm Wein zu trinken, wobei Jagienka, welche sah, daß er den Becher nicht halten konnte, ihm den Trank selbst einflößte. Und sogleich versank er in einen festen, bleiernen Schlaf, aus dem er erst nach drei Tagen wieder erwachte.

Die andern aber hielten jetzt Rat mit einander.

»Es unterliegt keinem Zweifel,« ließ sich Jagienka vernehmen, daß wir nun nach Spychow statt nach Szczytno gehen müssen, denn dort, an diesem sicheren Orte können wir ihn der Obhut und Pflege der Seinigen überlassen.«

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»Jurand!« schrie Macko auf.

»Welch merkwürdige Anordnungen Du triffst!« entgegnete Macko. »Nach Spychow müssen wir ihn schicken, aber es ist doch nicht unumgänglich nötig, daß wir alle mitgehen; ein Wagen genügt, um ihn hinzubringen.«

»Ich will gar keine Anordnungen treffen, ich meine nur, wir könnten durch ihn viel von Zbyszko und Danusia hören.«

»Und wie willst Du mit ihm reden, da ihm die Zunge fehlt?«

»Und wer hat es Euch gezeigt, daß ihm die Zunge fehlt, wenn nicht er selbst? Ihr seht, daß wir auch ohne Sprache alles erfuhren, was uns zu wissen notthat; wie wird es also erst sein, wenn wir an seine Zeichen mit dem Kopfe und mit den Händen gewöhnt sind? Fragt ihn zum Beispiel, ob Zbyszko von Marienburg nach Szczytno zurückgekehrt ist, und er wird entweder bejahend nicken oder eine verneinende Bewegung machen. So wird es auch bei allen andern Fragen sein.«

»Das ist richtig!« rief der Böhme aus.

»Ich leugne ja auch nicht, daß dies richtig ist,« erklärte Macko, »und mir selbst ist der gleiche Gedanke gekommen, aber bei mir heißt es immer, zuerst überlegen und dann das Mundwerk gebrauchen.«

Nach diesen Worten gab er Befehl, die Wagen gegen die masovische Grenze zu lenken. Unterwegs ritt Jagienka von Zeit zu Zeit an den Wagen heran, worauf Jurand lag, aus Furcht, er könne aus dem Schlaf in den Tod hinübergeschlummert sein.

»Ich habe ihn nicht erkannt,« hub Macko wieder an, »aber dies ist auch kein Wunder. Er ist ja früher so stark wie ein Auerochse gewesen. Die Masovier sagten, er sei der einzige von ihnen, der sich mit Zawisza messen könne – und jetzt gleicht er einem Skelett.«

»Es ging schon das Gerücht,« sagte der Böhme, »daß sie ihn durch Martern zu Tode gequält haben, aber manche Leute wollten nicht glauben, daß Christen derart mit einem gegürteten Ritter verfuhren, welcher überdies den heiligen Georg zum Schutzpatron hat.«

»Gott wird sie strafen!« rief Jagienka aus.

Macko wendete sich zu dem Böhmen.

»Wieso hast Du ihn erkannt?«

»Ich erkannte ihn auch nicht sogleich, wenn schon dies leichter für mich gewesen wäre als für Euch, Herr, da es noch nicht lange her ist, daß ich mit ihm zusammengetroffen bin. Doch etwas Eigentümliches fiel mir an ihm auf, und je länger ich ihn ansah, desto mehr verstärkte sich dieser Eindruck. Früher hatte er keinen solchen Bart und keine weißen Haare, er war ein mächtiger Herr und ein vielvermögender, wie war es also möglich, ihn in diesem Bettler zu erkennen? Aber als die Jungfrau sagte, daß wir nach Szczytno gehen, und er zu heulen begann, da wurden mir plötzlich die Augen geöffnet.«

»Von Spychow sollte man ihn zu dem Fürsten bringen, welcher das einem Mann von solchem Ansehen zugefügte Unrecht nicht ungestraft hingehen lassen kann.«

»Sie werden ihre Schuld nicht eingestehen, Herr. Sie werden sagen, daß der Gebieter von Spychow im Kampfe die Zunge und die Hand und das Auge eingebüßt habe.«

»Das ist wahr!« erwiderte Macko. »Haben sie doch seiner Zeit den Fürsten mit sich fortgeführt. Er kann nicht gegen sie ausziehen, weil er nicht siegen würde, es sei denn, daß unser König ihm zu Hilfe käme. Die Leute schwatzen auch gar viel von einem großen Kriege, und ich habe noch nicht einmal etwas von einem kleinen gesehen!«

»Mit dem Fürsten Witold wird aber Krieg geführt.«

»Gelobt sei Gott, daß wenigstes dieser bereit ist, es mit dem Orden aufzunehmen. Hei! Fürst Witold, das ist mein Mann! Und an Schlauheit sind sie ihm nicht gewachsen, denn er ist schlauer, als sie alle zusammen. Gar oft bedrängten die Schufte ihn dermaßen, daß die Schlinge schon über seinem Haupte hing, und jedesmal wußte er sich gleich einer Schlange herauszuwinden, wußte er sie mit seinem Biß zu verwunden. Hüte Dich vor ihm, wenn er auf Dich losschlägt, aber hüte Dich noch mehr vor ihm, wenn er Dir schmeichelt.«

»Zeigt er sich jedem so?«

»Nein, nicht jedem, nur den Kreuzrittern zeigt er sich so. Gegen andere ist er ein guter und freigebiger Knas!«

Hier sann Macko ein wenig nach, wie wenn er sich Witold besser vergegenwärtigen wolle.

»Er ist ein ganz andrer Mensch als die hier ansässigen Fürsten,« sagte er schließlich. »Es war notwendig, daß Zbyszko sich zu ihm begab, denn unter seiner Führung und durch ihn vermag er am meisten gegen den Orden auszurichten.«

Nach einer Weile fügte er hinzu: »Wer weiß, ob wir ihn dort nicht finden, denn dann kann man Rache nehmen, wie sich’s gebührt.«

Hierauf sprachen sie wieder von Jurand, von dessen unglückseligem Lose, von der ihm durch die Kreuzritter zugefügten Unbill, durch die Kreuzritter, welche einstmals ohne jeden Anlaß seine heißgeliebte Gattin getötet, ihm dann, Rache mit Rache vergeltend, die Tochter entrissen und ihn schließlich selbst durch so furchtbare Qualen gemartert hatten, wie selbst die Tataren sie nicht schlimmer hätten aussinnen können. Macko und Hlawa knirschten mit den Zähnen bei dem Gedanken, daß sogar die Freilassung Jurands eine neue, wohlberechnete Grausamkeit war. Der alte Ritter gelobte sich daher im Innern, genau zu erforschen, wie alles gewesen war, und es dann mit Zinsen zurückzuzahlen.

Unter solchen Gesprächen und Erwägungen verbrachten sie den Weg nach Spychow. Dem heitern Tage war eine stille, sternhelle Nacht gefolgt, so daß sie nirgends ein Nachtlager aufschlugen, die Pferde aber dreimal reichlich fütterten. Es war noch dunkel als sie zur Greuze gelangten, und in der Frühe erreichten sie – unter der Führung eines gedungenen Boten – das Gebiet von Spychow. Offenbar hielt der alte Tolima hier alles unter eiserner Hand, denn kaum waren sie in den Wald eingedrungen, als zwei bewaffnete Mannen ihnen entgegentraten; sobald diese jedoch erkannten, daß sie keine Krieger, sondern einen Ritter mit Gefolge vor sich hatten, ließen sie die kleine Schar unbehelligt vorüber, ja sie geleiteten sie sogar über die Stellen, welche, überschwemmt und sumpfig, für die des Orts Unkundigen wohl sonst unzugänglich gewesen wären.

In der Burg wurden die Ankömmlinge von Tolima und dem Pater Kaleb empfangen. Die Kunde, daß der Gebieter zurückgekehrt war, daß gottesfürchtige Menschen ihn zurückgebracht hatten, verbreitete sich blitzesschnell durch die Besatzung. Erst als Jurands Leute wahrnahmen, wie er aus den Händen der Kreuzritter hervorgegangen war, da überkam sie eine solche Wut, daß sie in eine wahre Flut von Drohungen ausbrachen, und wenn sich in dem unterirdischen Gefängnisse von Spychow noch ein Kreuzritter befunden hätte, dann wäre es keiner Macht der Erde gelungen, ihn vor einem sicheren Tode zu bewahren.

Die berittenen Mannen wollten sich sofort zu Pferde setzen, an die Grenze sprengen, alle Ritter ergreifen, die ihnen entgegentreten würden, und deren Köpfe dann vor des Herrn Füße legen, aber Macko hielt sie von ihrem Vorhaben ab, weil er wußte, daß die Deutschen in Städten und Burgen wohnten, das Landvolk hingegen demselben Stamme angehörte wie er und Jurands Leute, obwohl es unter fremder Herrschaft lebte. Aber weder Lärm noch Geschrei seiner Leute, noch das Knarren des Brunnenschwengels vermochte Jurand zu erwecken, der auf einem Bärenfell vom Wagen in seine Stube getragen und dort auf das Lager gebettet ward. Pater Kaleb, der Genosse seiner Jugendjahre, sein Milchbruder, der ihn wie ein leiblicher Bruder liebte, blieb bei ihm und begann ein inbrünstiges Gebet zu sprechen, der Erlöser der Welt möge dem unglücklichen Jurand die Augen, die Zunge und die Hand wieder geben.

Die ermüdeten Reisenden gingen zur Ruhe, nachdem sie einen Morgenimbiß zu sich genommen hatten. Macko erwachte, als es schon spät am Nachmittag war, und befahl einem Knechte, Tolima zu rufen.

Da er zuvor schon durch den Böhmen erfahren hatte, daß Jurand, ehe er seine Burg verließ, allen Mannen Gehorsam gegen Zbyszko anempfohlen und daß er diesen durch den Mund des Pater Kaleb zum Erben von Spychow eingesetzt hatte, sagte er zu dem Alten im Tone eines Vorgesetzten: »Ich bin der Oheim Eures jungen Herrn, und bis er zurückkehrt, müßt Ihr in mir Euren Gebieter sehen.«

Tolima neigte seinen grauen, wolfsähnlichen Kopf und die Hand an sein Ohr haltend, fragte er: »So seid Ihr der edle Ritter von Bogdaniec?«

»Der bin ich,« entgegnete Macko, »wie kommt’s, daß Ihr von mir wißt?«

»Unser junger Herr Zbyszko erwartete Euch hier und fragte nach Euch.«

Als er dies hörte, sprang Macko mit beiden Füßen empor und seiner Würde ganz vergessend schrie er auf: »Zbyszko in Spychow?«

»Er ist hier gewesen, Herr, vor zwei Tagen entfernte er sich aber wieder.«

»Guter Gott! Woher kam er und wohin ging er?«

»Er kam von Marienburg und hielt sich unterwegs in Szczytno auf, wohin er ging, sagte er uns jedoch nicht.«

»Er sagte es Euch nicht?«

»Vielleicht sagte er es dem Pater Kaleb.«

»Allmächtiger Gott! Dann sind wir an einander vorübergekommen,« rief Macko, sich mit den Händen an die Schenkel schlagend.

Tolima hielt die Hand an das andere Ohr.

»Was sagt Ihr, Herr?«

»Wo ist Pater Kaleb?«

»Bei dem alten Herrn, an dessen Lager.«

»Ruft ihn her! – Doch nein! – Ich gehe selbst zu ihm!«

»Ich rufe ihn!« sagte der Alte.

Und er entfernte sich; doch ehe er den Priester hereinführte, trat Jagienka in die Stube.

»Komm her! Weißt Du schon? Vor zwei Tagen ist Zbyszko hier gewesen.«

Jagienkas Antlitz veränderte sich sofort, und es war deutlich zu sehen, wie ihre Glieder bebten.

»Er ist hier gewesen und wieder weggegangen?« fragte sie mit klopfendem Herzen – »wohin denn?«

»Ja vor zwei Tagen ist er weggegangen, der Pater weiß vielleicht, wohin.«

»Wir müssen sogleich mit dem Pater sprechen!« sagte sie in entschiedenem Tone.

Nach einer Weile trat Pater Kaleb in das Zimmer, und in der Meinung, Macko habe zu ihm geschickt, um etwas von Jurand zu hören, sagte er, der Frage zuvorkommend: »Er schläft noch.«

»Ich habe gehört, daß Zbyszko hier gewesen ist!« rief Macko aus.

»Ja, er ist hier gewesen, aber vor zwei Tagen verließ er die Burg wieder.«

»Wohin hat er sich begeben?«

»Wohin er sich begeben solle, wußte er selbst nicht. Er ging, um Nachforschungen anzustellen. Gegen die samogitische Grenze ist er gezogen, wo jetzt Krieg geführt wird.«

»Beim allmächtigen Gott, sagt, Pater, was Ihr von ihm wißt.«

»Ich weiß nur das, was er mir mitteilte. Er war in Marienburg und fand dort einen mächtigen Beschützer, des Großmeisters Bruder, welcher der angesehenste unter den Kreuzrittern ist. Auf dessen Befehl hin erhielt Zbyszko die Erlaubnis, in allen Schlössern Nachforschungen anzustellen.«

»Nach Jurand und Danusia?«

»Nach Jurand forschte er nicht, da ihm gesagt ward, er sei nicht mehr am Leben.«

»Erzählt von Anfang an.«

»Sofort, laßt mich nur erst Atem schöpfen und zu mir selbst kommen, denn aus einer anderen Welt kehre ich gerade zurück.«

»Aus einer andern Welt? Wie meint Ihr das?«

»Aus jener Welt, in die man nicht hoch zu Roß, wohl aber durch Gebet gelangen kann … wo ich zu den Füßen unseres Herrn Jesus saß, den ich um Erbarmen für Jurand anflehte.«

»Habt Ihr um ein Wunder gefleht? Glaubt Ihr, daß Euch eine solche Macht zusteht?« fragte Macko mit großer Neugierde.

»Mir steht keine solche Macht zu, aber dem Erlöser. Wenn er will, kann er Jurand die Augen, die Zunge und die Hand zurückgeben.«

»Wenn er will, kann er es freilich thun,« entgegnete Macko. »Indessen ist es nichts Geringes, um das Ihr batet.«

Pater Kaleb gab keine Antwort, vielleicht hatte er auch nicht gehört, was Macko sagte, denn er blickte noch wie geistesabwesend vor sich hin, und es war unverkennbar, daß er sich zuvor vollständig in sein Gebet versenkt hatte. Er verbarg jetzt das Gesicht in den Händen und saß einige Zeit schweigend da. Schließlich fuhr er empor, rieb sich mit der Hand die Augen und sagte: »Nun mögt Ihr fragen!«

»Auf welche Weise gelang es Zbyszko, den Vogt von Sambia für sich zu gewinnen?«

»Ulryk ist jetzt nicht mehr Vogt von Sambia.«

»Dies kommt nicht in Betracht. Haltet Euch an das, was ich frage, und sagt, was Ihr wißt.«

»Bei dem Turnier wußte er ihn sich zu gewinnen. Ulryk von Jungingen kämpft gern innerhalb der Schranken, daher kämpfte er auch mit Zbyszko, denn es waren gar viele ritterliche Gäste in Marienburg und der Großmeister hatte Kampfspiele veranstaltet. Die Sattelgurt Ulryks ging entzwei, und Zbyszko hätte ihn leicht vom Pferde werfen können, doch als er dies wahrnahm, stieß er seinen Speer in den Boden und stützte sogar den Schwankenden.«

»Hei! Siehst Du nun?« rief Macko sich an Jagienka wendend. – »Und hat Ulryk ihn deshalb lieb gewonnen?«

»Ja, deshalb hat er ihn lieb gewonnen. Weder mit scharfer noch mit stumpfer Lanze wollte er mehr mit ihm kämpfen, weil er ihn lieb hatte. Zbyszko erzählte ihm seine Kümmernisse und jener, der auf ritterliche Ehre hält, entbrannte in Zorn und führte Zbyszko zu seinem Bruder, dem Meister, auf daß der Jüngling Klage erhebe. Gott verleihe ihm dafür die ewige Seligkeit, denn unter den Kreuzrittern giebt es nicht viele Gerechte. Zbyszko sagte mir auch, Herr de Lorche habe ihm beistehen können, weil er seiner angesehenen Familie und seines Reichtums wegen dort ungemein verehrt werde, und er hat tatsächlich in allem Zeugnis für Zbyszko abgelegt.«

»Und was erfolgte nach dieser Klage und durch dieses Zeugnis?«

»Es erfolgte, daß der Großmeister dem Komtur von Szczytno strengen Befehl gab, alle Gefangenen, die sich in Szczytno befanden, Jurand nicht ausgenommen, unverzüglich nach Marienburg zu schicken. Was diesen anbelangt, so schrieb der Komtur zurück, daß er an seinen Wunde» gestorben und bei der Kirche begraben worden sei. Die andern Gefangenen schickte er nach Marienburg, und darunter befand sich auch ein blödsinniges Mädchen, nicht aber unsere Danusia.«

»Ich weiß durch den Knappen Hlawa,« bemerkte Macko, »daß Rotgier, jener Ritter, welcher von Zbyszko erschlagen ward, am Hofe des Fürsten Janusz erzählte, ein schwachsinniges Mägdlein erwähnte. Er sagte, dies Mägdlein sei von den Kreuzrittern für Jurands Tochter gehalten worden, und als die Fürstin ihm erwiderte, sie hätten ja die rechte Tochter Jurands gekannt und gewußt, daß sie keine Schwachsinnige sei, erklärte er: ›Wohl, das ist die Wahrheit, aber wir dachten, der Böse habe sie verwandelt‹.«

»Das Gleiche schrieb der Komtur an den Großmeister – er schrieb, daß jenes Mägdlein sich nicht im Gefängnisse, sondern in ihrem Schutze befunden habe, daß sie es den Händen von Räubern entrissen hätten, welche schwuren, es sei Jurands Tochter in verwandelter Gestalt.«

»Und schenkte der Großmeister dieser Aussage Glauben?«

»Er wußte selbst nicht, ob er ihr Glauben schenken solle oder nicht, doch Ulryk entbrannte nur noch mehr in Zorn, er verlangte von seinem Bruder, daß dieser einen Offizial des Ordens mit Zbyszko nach Szczytno sende, und so geschah es auch. Als sie nach Szczytno kamen, trafen sie den alten Komtur Zygfryd nicht mehr an, denn er hatte sich wegen des Krieges mit Witold in eine der östlichen Burgen begeben, nur ein Untervogt war zur Stelle, dem der Offizial befahl, alle unterirdischen Gewölbe und Kerker zu öffnen. Sie suchten und suchten, fanden jedoch nichts. Auch forderten sie gar viele Leute auf, Zeugnis abzulegen. Und da sagte man Zbyszko, von dem Kaplan könne man viel erfahren, weil er den stummen Henker verstehe. Aber der alte Komtur hatte den Henker mit sich genommen und der Kaplan hatte sich nach Krolewiec 10, zu einem Kirchenkongreß begeben. Sie treffen häufig dort zusammen und senden Klagen gegen die Kreuzritter an den Papst, denn ein schweres Leben haben die armen Priester im Ordensland.«

»Ich wundere mich nur, daß sie Jurand nicht gefunden haben,« bemerkte Macko.

»Offenbar hatte ihn der alte Komtur zuvor schon freigelassen. Und diese Freilassung war eine weit größere Niederträchtigkeit, als wenn sie ihm sofort die Kehle abgeschnitten hätten. Sie wollten aber, daß er vor seinem Tode so viel, nein, mehr leide, als ein Mensch überhaupt zu ertragen vermag. Blind, stumm, und seiner rechten Hand beraubt! Nein, von Gottesfurcht wissen die Kreuzritter nichts! Weder die Heimat konnte er finden, noch nach dem Wege fragen, noch um Almosen bitten. Sie dachten wohl, er werde irgendwo an einem Zaun vor Hunger sterben oder in einem tiefen Gewässer ertrinken. Was haben sie ihm denn gelassen? Nichts als die Erinnerung an das, was er einst gewesen, und die Erkenntnis seines Elendes. Welch unsagbare Qualen mußte er erdulden! Vielleicht saß er einmal vor einer Kirche oder an einer Landstraße, und Zbyszko kam vorüber und erkannte ihn nicht. Vielleicht auch hörte er Zbyszkos Stimme und konnte ihn nicht rufen! Hei! Die Thränen kommen mir, wenn ich davon rede! Gott vollbrachte ein Wunder, indem er Euch mit ihm zusammenführte, und darum glaube ich, er wird noch ein größeres vollbringen, wenn schon meine unwürdigen und sündigen Lippen ihn darum bitten.«

»Und was habt Ihr noch von Zbyszko erfahren? Wohin ist er gezogen?« fragte Macko.

»Er sprach folgendermaßen zu mir: ›Ich weiß, daß Danusia in Szczytno gewesen ist, aber sie haben sie entweder fortgeführt oder umgebracht. Der alte Zygfryd de Löwe – sprach er weiter – hat dies gethan, und so wahr mir Gott hilft, will ich nicht ruhen noch rasten, bis ich ihn in meine Gewalt bekomme‹.«

»Dies hat er gesagt? Dann ist er gewiß gegen die östlichen Komtureien gezogen, aber dort wird jetzt Krieg geführt.«

»Er wußte, daß dort Krieg geführt wird, und deshalb hat er sich zu Knäs Witold begeben. Er sagte, durch diesen vermöge er eher etwas gegen die Kreuzritter auszurichten, als durch den König selbst.«

»Zu Knäs Witold!« rief Macko emporspringend.

Dann wendete er sich zu Jagienka: »Siehst Du nun, daß das Richtige geschieht? Habe ich nicht die gleiche Ansicht ausgesprochen? So wahr ich lebe, habe ich vorausgesagt, daß wir zu Witold gehen müßten!«

»Zbyszko hegte die Hoffnung,« bemerkte Pater Kaleb, »daß Witold in Preußen einfallen und die dortigen Burgen erobern werde.«

»Wenn sie ihm Zeit lassen, wird es auch dazu kommen,« antwortete Macko. »Gelobt sei Gott, nun wissen wir wenigstens, wo wir Zbyszko zu suchen haben.«

»Wir müssen sogleich aufbrechen,« sagte Jagienka.

»Schweig!« rief Macko aus. »Es geziemt sich nicht für einen Untergebenen, seinem Herrn Ratschläge zu geben.«

Bei diesen Worten warf er ihr einen bedeutungsvollen Blick zu, wie wenn er ihr ins Gedächtnis zurückrufen wolle, daß sie ihm Gehorsam schulde, und sie suchte sich zu sammeln und schwieg.

Macko besann sich eine Weile, dann sagte er: »Natürlich werden wir Zbyszko jetzt finden, denn zweifellos hält er sich bei niemand sonst als bei Knäs Witold auf, aber es ist nötig zu wissen, ob er noch einen anderen Grund gehabt hat, in die Welt hinauszuziehen, als den, sein Gelübde zu erfüllen und den Kreuzrittern die Köpfe vor die Füße zu legen.«

»Und wie kann man dies erfahren?« fragte Pater Kaleb.

»Wenn ich wüßte, daß jener Priester aus Szczytno schon von der Synode zurückgekehrt ist, würde ich ihn aufsuchen,« entgegnete Macko. »Ich habe Briefe von Lichtenstein bei mir und kann ohne Gefahr nach Szczytno gehen.«

»Es war keine Synode, sondern nur ein Kongreß,« erwiderte Pater Kaleb, »und der Kaplan muß längst schon zurückgekehrt sein.«

»Das ist gut. Ueberlaßt alles Uebrige mir. Ich werde für alle Fälle Hlawa, zwei Mannen mit Kriegsrossen mit mir nehmen und mich nach Szczytno begeben.«

»Und dann zu Zbyszko?« fragte Jagienka.

»Und dann zu Zbyszko, aber unterdessen bleibst Du hier und wartest, bis ich zurückkehre. Ohnedies glaube ich, daß ich nicht länger als drei oder vier Tage verweilen werde. Ich habe starke Knochen und an Mühseligkeiten bin ich gewöhnt. Doch zuvörderst bitte ich Euch, Pater Kaleb, um ein Schreiben an den Kaplan von Szczytno. Er wird mir eher Glauben schenken, wenn ich ihm einen Brief von Euch zeige, weil Priester immer das größte Vertrauen zu einander haben.«

»Die Leute sprechen nur Gutes von jenem Priester,« antwortete Pater Kaleb, »und sofern jemand etwas Bestimmtes weiß, so ist er es.«

Gegen Abend war der Brief bereit, und am folgenden Morgen vor Sonnenaufgang befand sich Macko schon unterwegs.

  1. König Cwiek, eine sagenhafte Gestalt, die keines Menschen Auge je erblickt hat.
  2. Mauerreste solcher Galgen erhielten sich noch bis zum Jahre 1818.
  3. Geleitsbriefe. Anmerkung der Uebersetzerinnen.
  4. Königsberg. Anmerkung der Uebersetzerinnen.

Fünftes Kapitel.

Jurand erwachte in Gegenwart des Pater Kaleb aus seinem langen Schlafe, und da ihm das Bewußtsein seiner Erlebnisse entschwunden, und er auch nicht klar darüber war, wo er sich befand, begann er sein Lager sowie die Wand zu befühlen. Doch Pater Kaleb legte die Arme um ihn, und in helle Thränen ausbrechend sagte er: »Ich bin es! Du bist in Spychow, Bruder Jurand! Gott hat Dich schwer heimgesucht, aber Du bist bei den Deinen. Gottesfürchtige Leute brachten Dich in Deine Burg zurück … Bruder Jurand! Mein Bruder!«

Und ihn an seine Brust drückend, küßte er seine Stirne, seine leeren Augenhöhlen, küßte ihn wieder und wieder. Jurand war anfangs wie betäubt und schien nichts zu verstehen, schließlich jedoch fuhr er mit seiner Linken über Stirne und Haupt, wie wenn er das auf ihm lastende, verworrene Gefühl dumpfer Betäubung von sich abschütteln wolle.

»Hörst Du mich und verstehst Du mich?« fragte Pater Kaleb.

Jurand gab ein Zeichen mit dem Kopfe, daß er höre, dann streckte er die Hand nach einem silbernen Kruzifixe aus, das er einst von einem reichen deutschen Ritter erbeutet hatte, nahm es von der Wand herab, drückte es an seine Lippen, an seine Brust und überreichte es dem Pater Kaleb.

Dieser aber sagte: »Ich verstehe Dich, Bruder. Ja, er ist Dir geblieben, und wie er Dich aus dem Lande der Gefangenschaft geführt hat, so kann er Dir auch alles zurückgeben, was Du verloren hast.«

Jurand deutete mit der Hand nach oben, zum Zeichen, daß ihm wohl erst dort alles wiedergegeben werde, wobei seine Augenhöhlen von Thränen überflossen und unendlicher Schmerz sich aus seinem entstellten Antlitz malte.

Als Pater Kaleb diese Bewegung und diesen Schmerz sah, glaubte er, daß Danusia nicht mehr am Leben sei, daher kniete er am Lager nieder und sagte: »O Herr, gieb ihr die ewige Glückseligkeit, und möge das ewige Licht ihr leuchten, möge sie ruhen in ewigem Frieden. Amen!«

Da fuhr der Blinde empor und sich auf sein Lager setzend, schüttelte er sein Haupt und bewegte seine Hand hin und her, wie wenn er dem Gebet des Pater Kaleb Einhalt thun wolle. Doch konnten sie sich nicht verständigen, weil in diesem Augenblick der alte Tolima eintrat, dem die Besatzung der Burg, sowie die Bauernvögte – die angesehensten, edelsten Landleute von Spychow – nebst den Forsthütern und Fischern folgten, denn die Kunde von der Rückkehr des Gebieters hatte sich schon durch ganz Spychow verbreitet. Sie umfaßten dessen Knie, küßten seine Hand und brachen in bittere Thränen aus beim Anblick dieses verstümmelten, gebrechlichen Greises, in dem der ehemalige, gewaltige Jurand, der gefürchtete Feind der Kreuzritter, der siegreiche Streiter in jedem Kampfe, kaum mehr zu erkennen war. Doch etliche unter ihnen, namentlich diejenigen, welche ihn bei seinen Kriegszügen zu begleiten pflegten, kannten sich nicht mehr vor Schmerz und Wut, ihre Gesichter wurden bleich, eine unbeugsame Härte drückte sich darin aus. Nach einer Weile traten sie zusammen, begannen miteinander zu flüstern, indem einer den andern mit dem Ellenbogen anstieß, einer den andern vorschob, bis schließlich der zu der Besatzung gehörende Schmied von Spychow, ein gewisser Sucharz, zu Jurand herantrat, dessen Füße umfaßte und sagte: »Als sie Euch hierherbrachten, Herr, wollten wir uns sogleich gen Szczytno aufmachen, aber jener Ritter, welcher Euch brachte, hinderte uns daran. Gestattet es nun, o Herr, denn Rache müssen wir nehmen. Möge es so sein, wie es ehemals

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… und die leeren Augenhöhlen emporrichtend, hielt er das Kruzifix in die Höhe.

gewesen ist. Ungestraft sollen sie uns nicht beschimpft haben, ungestraft sollen sie uns nicht beschimpfen! … Unter Eurer Führung zogen wir gegen sie aus, laßt uns auch jetzt unter Tolima oder ohne ihn gegen sie ausziehen. Szczytno wollen wir erobern, und dann muß das Blut dieser Hundsbrut in Strömen fließen, so uns Gott hilft.«

»So uns Gott hilft!« wiederholten einige Stimmen.

»Auf nach Szczytno!«

»Blut muß fließen!«

Und die Flamme der Leidenschaft loderte hoch empor in den Herzen der Masuren. Zähneknirschend, mit gerunzelter Stirne und blitzenden Augen standen sie da. Doch nach wenigen Augenblicken verstummten diese Rufe, diese Zornesausbrüche, und aller Augen richteten sich auf Jurand.

Diesem aber glühten die Wangen, wie wenn die ehemalige Rachsucht, die ehemalige Kampfeslust wieder in ihm erwacht sei. Er richtete sich empor und begann von neuem die Wand zu betasten. Den Mannen dünkte, daß er sein Schwert suche, doch seine Finger berührten das Kreuz, das von Pater Kaleb an die frühere Stelle gehängt worden war.

Er nahm es zum zweiten Mal herab, dann überzog Totenblässe sein Antlitz, er wendete sich gegen die Mannen und die leeren Augenhöhlen emporrichtend, hielt er das Kruzifix in die Höhe.

Ein tiefes Schweigen folgte.

Draußen senkte sich schon der Abend hernieder, durch die offenen Fenster drang das Gezwitscher der Vögel, die sich auf dem Söller der Burg und auf den Lindenbäumen im Hofe zur Ruhe niederließen. Die letzten Strahlen der Sonne erfüllten das Gelaß mit rötlichem Glanze, sie fielen auf das erhobene Kreuz und die weißen Haare Jurands.

Sucharz, der Schmied, blickte zuerst Jurand, dann seine Gefährten an, schaute zum zweiten Mal auf Jurand, bekreuzte sich schließlich und verließ auf den Fußspitzen die Stube. Nach ihm entfernten sich die andern ebenso geräuschlos. Erst als sie im Hofe angelangt waren, blieben sie stehen und begannen miteinander zu flüstern:

»Was soll nun geschehen?«

»Können wir gen Szczytno ziehen, was meint Ihr?«

»Er hat ja seine Einwilligung nicht gegeben!«

»Er stellt Gott die Rache anheim. Offenbar ist auch innerlich eine vollständige Veränderung mit ihm vorgegangen.«

Und so war es in der That!

Bei Jurand in der Stube waren indessen nur Pater Kaleb, sowie der alte Tolima zurückgeblieben, zu denen sich dann noch Jagienka und Anielka gesellten. Diese hatten eine Schar bewaffneter Mannen über den Hof schreiten sehen und kamen nun, um zu erfahren, was vorgehe.

Jagienka, die kecker und selbstbewußter war als die Tochter der Sieciechowa, trat zu Jurand heran.

»Gott stehe Euch bei, Ritter Jurand,« sagte sie. »Wir sind es – wir, die Euch aus Preußen hierhergebracht haben.«

Bei dem Klange ihrer jugendfrischen Stimme verklärte sich sein Gesicht. Offenbar erinnerte er sich noch genau all dessen, was auf der Landstraße von Szczytno vorgegangen war, denn er versuchte zu danken, indem er mit dem Kopfe nickte und einige Male die Hand aufs Herz legte. Und sie erzählte ihm, wie sie ihn getroffen hatten, wie er von dem Böhmen Hlawa, dem Knappen des Ritters Zbyszko erkannt, und wie er schließlich nach Spychow gebracht worden war. Auch sagte sie, daß sie und ihr Gefährte dem Ritter Macko aus Bogdaniec, Zbyszkos Oheim, das Schwert, den Helm und den Schild nachzutragen pflegten, daß dieser Ritter aus Bogdaniec aufgebrochen sei, um seinen Bruderssohn aufzusuchen, daß er sich jetzt nach Szczytno begeben habe, nach drei oder vier Tagen aber wieder nach Spychow zurückkehren wolle.

Bei der Erwähnung von Szczytno geriet zwar Jurand nicht in die gleiche Erregung wie das erste Mal auf der Landstraße, doch drückte sich große Bestürzung aus seinem Gesichte aus. Jagienka versicherte ihn indessen, daß Ritter Macko ebenso schlau wie tapfer sei, daß er sich auch nicht so leicht in eine Falle locken lasse, und daß er außerdem Briefe von Lichtenstein in Händen habe, mit denen er sich überall unbekümmert zeigen könne.

Diese Worte beruhigten Jurand sichtlich. Es war offenbar, daß er gern nach vielen anderen Dingen gefragt hätte und im Innern unsäglich litt, weil er sich außer stande dazu fühlte. Das scharfsinnige Mädchen bemerkte dies sofort und sagte: »Wenn wir häufiger beisammen sind, werden wir uns gut verständigen können.«

Nun lächelte er, streckte tastend die Hand nach ihr aus und legte sie auf ihr Haupt, wie wenn er sie segnen wolle. In der That war er ihr sehr dankbar, aber außerdem that ihm auch ihr jugendfrisches Wesen wohl, und er fand Gefallen an ihrem Geplauder, das ihn an das Gezwitscher eines Vogels erinnerte.

Von dieser Zeit an suchte er nach ihr, wenn er nicht betete – und er betete ganze Tage hindurch – oder nicht in Schlummer versenkt war, befand sie sich aber nicht bei ihm, so sehnte er sich nach ihrer Stimme und gab auf jede Weise dem Pater Kaleb, sowie Tolima zu erkennen, daß er den liebwerten Jüngling in seiner Nähe zu haben wünsche. Sie kam dann sofort, da ihr redliches Herz aufrichtiges Mitleid mit ihm fühlte und ihr zudem bei ihm die Zeit rascher verging, während sie auf Macko wartete, dessen Aufenthalt in Szczytno sich unerwarteter Weise in die Länge zog.

Nach drei Tagen hatte er zurückkehren wollen, aber der vierte und fünfte Tag waren schon vorüber. Am sechsten gegen Abend wollte das von Angst gequälte Mädchen gerade Tolima bitten, einige Mannen zur Kundschaft auszuschicken, als plötzlich von der Wächter-Eiche die Meldung kam, daß zwei Reiter sich Spychow näherten.

Nach wenigen Augenblicken erscholl der Hufschlag von Pferden auf der Zugbrücke und Hlawa mit einem der Mannen aus Mackos Gefolge sprengte in den Vorhof ein. Jagienka, die schon zuvor aus ihrer Stube hinuntergeeilt war und draußen im Freien wartete, lief auf ihn zu, bevor er noch von seinem Rosse absteigen konnte.

»Wo ist Macko?« fragte sie mit klopfendem Herzen.

»Zu Knäs Witold ist er gezogen, und Euch läßt er gebieten, hier zu bleiben,« antwortete der Knappe.

Zweites Kapitel.

Als Zbyszko die unglückselige Kunde vernommen hatte, eilte er, ohne nach der Erlaubnis des Fürsten zu fragen, in den Stall und befahl, sein Pferd zu satteln. Der Böhme, der sich als Knappe von edler Herkunft mit ihm im Saale befand, hatte kaum Zeit, den warmen Fuchspelz seines Herrn herbeizuholen, und versuchte auch nicht, diesen zurückzuhalten, da sein natürlicher Verstand ihm sagte, daß es doch nichts nütze und nur ein unnötiger Zeitverlust sei. Nachdem er das zweite Pferd bestiegen hatte, nahmen sie am Thore dem Thürhüter die Fackeln ab und setzten sich dann zugleich mit des Fürsten Mannen in Bewegung, deren rascher Aufbruch durch den Kastellan veranlaßt worden war. Vor dem Thore umfing sie undurchdringliche Dunkelheit, doch der Sturm schien sich etwas gelegt zu haben. Vielleicht wären sie außerhalb der Stadt lange in die Irre gegangen, hätte sich nicht jener Bote bei ihnen befunden, der Kunde von dem Unfall gebracht hatte und sie jetzt um so rascher und sicherer geleiten konnte, als er einen Hund mit sich führte, welcher den Weg schon zuvor gemacht hatte. Als sie ins freie Feld kamen, blies ihnen der Wind scharf ins Gesicht. Die Landstraße war voll Schnee, und stellenweise lag er so dicht, daß es nötig war, langsamer zu reiten, da die Pferde bis zum Bauche einsanken. Die Leute des Fürsten hatten ihre Fackeln und Pechpfannen angezündet, und alle ritten dahin zwischen Rauch und Flammen, während der Wind Fackeln und Pechpfannen in ihren Händen heftig hin und her bewegte, als ob er sie zerbrechen und weithin über Wald und Feld tragen wolle. Der Weg war weit, die Ansiedelungen in der Nähe von Ciechanow hatten sie schon hinter sich gelassen, sie kamen an Niedzborz vorüber und wendeten sich nun der Richtung von Radzanow zu. Kurze Zeit vorher hatte sich der Sturm wieder etwas gelegt, die Windstöße waren weniger heftig und führten nicht mehr solche Schneemassen mit sich fort. Einzelne Flocken fielen noch immer, aber bald hörte auch dies auf. Durch die zerrissenen Wolken schimmerte hie und da ein Stern, die Pferde schnaubten, die Reiter atmeten leichter. Mehr und mehr Sterne zeigten sich, der Frost nahm ab. Noch einige Vaterunser hätte man beten können, dann ward alles stille, kein Lüftchen regte sich mehr.

Herr de Lorche, welcher neben Zbyszko ritt, suchte ihn zu trösten, indem er sagte, im Augenblick der Gefahr sei Jurand unzweifelhaft auf die Rettung seiner Tochter bedacht gewesen, und wenn auch alle andern nicht mehr am Leben wären, so würde sie gewiß noch lebend, vielleicht schlafend unter ihren Pelzen gefunden werden. Doch Zbyszko glaubte ihm nicht und hatte schließlich auch keine Zeit mehr, ihn anzuhören, da nach wenigen Augenblicken der vorausreitende Führer von der Landstraße abbog.

Der Jüngling ritt zu ihm heran und fragte: »Weshalb wenden wir uns seitwärts?«

»Weil sie nicht an der Landstraße verschüttet sind, sondern dort an jener Stelle! Seht Ihr das Erlengehölz, Herr?«

Bei diesen Worten zeigte er mit der Hand auf ein Dickicht in einiger Entfernung, das sich deutlich von der weißen Schneedecke abhob, zumal der Mond jetzt hinter den Wolken hervortrat und alles ringsumher erhellte.

»Offenbar sind sie von der Landstraße abgekommen.«

»Ja, sie sind von der Landstraße abgekommen und längs des Flusses im Kreise herumgeritten. Bei Sturm und heftigem Schneegestöber kann dies leicht vorkommen. Sie ritten weiter und weiter, bis die Pferde nicht mehr durchkommen konnten.«

»Wodurch habt Ihr sie gefunden?«

»Wir folgten diesem Hunde.«

»Befinden sich keine Hütten in der Nähe?«

»Ja, aber jenseits des Flusses. Wir sind sogleich dort an der Wkra.«

»Vorwärts also, im Galopp!« rief Zbyszko.

Aber es war leichter, den Befehl zu geben, als ihn auszuführen, denn wenngleich die strenge Kälte gebrochen schien, lag auf den Wiesen der frischgefallene Schnee noch fußhoch, so daß die Pferde bis zu den Knöcheln versanken, und man nur langsam

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Nach wenigen Minuten erblickte man eine unter dem Baume sitzende menschliche Gestalt, welche das Haupt über die Brust herabgebeugt und die Mütze über das Gesicht gezogen hatte.

vorrücken konnte. Plötzlich drang das Bellen des Hundes zu ihnen, unmittelbar vor ihnen aber tauchte ein dicker, knorriger Weidenstamm auf, dessen Wipfel mit den entlaubten Aesten im Mondschein schimmerte.

»Sie sind noch etwas weiter entfernt, dort in der Nähe des Erlengehölzes,« sagte der Führer, »aber auch hier muß etwas sein.«

»Seht den Schneehaufen unter dem Weidenbaum! Leuchtet!«

Einige Mannen des Fürsten stiegen vom Pferde und leuchteten mit ihren Fackeln. Gleich darauf rief einer von ihnen: »Hier ist ein Mensch unter dem Schnee verschüttet. Seht, der Kopf ist frei!«

»Auch ein Pferd!« rief ein zweiter.

»Sofort ans Werk!«

Die Schaufeln gruben sich tief in den Schnee ein und warfen ihn zu beiden Seiten hoch auf.

Nach wenigen Minuten erblickte man eine unter dem Baume sitzende menschliche Gestalt, welche das Haupt über die Brust herabgebeugt und die Mütze über das Gesicht gezogen hatte. Die eine Hand hielt noch die Zügel des daneben liegenden Pferdes, dessen Nüstern tief in den Schnee eingedrückt waren. Offenbar hatte dieser Mann das Gefolge verlassen, um rascher zu menschlichen Behausungen zu gelangen und Hilfe herbeizuholen, als dann sein Pferd gestürzt war, hatte er unter dem Weidenbaum, da wo er den Wind im Rücken hatte, Schutz gesucht und war hier erstarrt von Frost und Kälte.

»Leuchtet!« rief Zbyszko.

Einer von den Leuten hielt seine Fackel an das Gesicht des Erfrorenen, aber die Züge waren nicht zu unterscheiden. Erst als ein zweiter das herabgesunkene Haupt des Leblosen in die Höhe hielt, entrang sich allen der laute Ausruf: »Der Gebieter von Spychow!«

Zbyszko gebot zwei Mannen, ihn emporzunehmen und in die nächste Hütte zu tragen. Er selbst aber machte sich, ohne einen Augenblick zu verlieren, mit den übrigen Leuten und dem Führer auf, um das Gefolge zu suchen. Während er weiterritt, sagte er sich, daß er nun Danusia, sein geliebtes Weib, vielleicht tot vor sich sehen werde, und er spornte sein Pferd, das bis zur Brust im Schnee versank, aufs äußerste an. Glücklicherweise hatte er nicht mehr weit bis zu seinem Ziele, nur einige hundert Schritte.

»Halt!« ertönte es plötzlich aus der Dunkelheit. Es waren die Stimmen der Männer, welche bei den Verschütteten zurückgeblieben waren. Zbyszko sprang vom Pferde.

»Die Schaufeln her!«

Zwei Schlitten waren schon durch die Leute ausgegraben, welche das Wächteramt versehen hatten. Die Menschen in diesen Schlitten waren samt den Pferden vollständig erfroren. Wo sich noch andere Gespanne befanden, das konnte man leicht an den Schneehügeln erkennen, doch waren nicht alle Schlitten vollständig verdeckt. An manchen befanden sich noch die Pferde, die bis zum Bauche im Schnee versunken, offenbar mit aller Gewalt versucht hatten, sich wieder herauszuarbeiten, und bei dieser letzten Anstrengung zu Grunde gegangen waren. Vor zwei Pferden stand, die Lanze in der Hand, ein Mann bis zum Gürtel im Schnee, und unbeweglich wie ein Stein; etwas weiterhin sah man erfrorene Knechte, die noch ihre Rosse festhielten.

Der Tod hatte sie offenbar in dem Augenblick ereilt, da sie die Pferde aus dem tiefen Schnee herausziehen wollten. Ein Gespann am äußersten Ende des Zuges war nicht verschüttet. Der Kutscher saß zusammengekauert, mit den Händen über den Ohren da, hinter ihm, auf dem Sitze, befanden sich zwei Leute, über deren Brust eine herangewehte weiße Decke lag, die sich bis zu dem Schneehügel daneben hinzog und sie einhüllte, gleich einem Tuche, so daß sie still und friedlich zu schlummern schienen. Wieder andere waren zu Grunde gegangen, während sie bis zuletzt gegen den Sturm ankämpften, denn ihre Stellung zeigte, welche Kraft sie aufgeboten hatten. Manche Schlitten waren umgestürzt, an manchen waren die Deichseln zerbrochen. Die Schaufeln enthüllten jeden Augenblick einen gekrümmten Pferderücken, oder einen Pferdekopf, dessen Zähne in den Schnee eingedrückt waren, Männer in jedem Alter, die sich in den Schlitten oder daneben befanden, wurden ausgegraben, aber ein Weib war nirgends zu entdecken. Zuweilen arbeitete Zbyszko selbst mit, bis ihm der Schweiß auf der Stirne stand, zuweilen leuchtete er den Toten ins Gesicht, mit klopfendem Herzen forschte er nach dem geliebten Antlitz – doch umsonst! Die Flammen erhellten nur die strengen, bärtigen Gesichter der Haudegen von Spychow. Doch weder Danusia noch ein anderes weibliches Wesen war zu sehen.

»Wo mag sie sein? Was hat dies für eine Bewandtnis?« fragte sich der junge Ritter immer wieder. Er rief den in einiger Entfernung arbeitenden Leuten zu und fragte sie, was sie entdeckt hätten, doch auch von ihnen waren nur Männer ans Licht befördert worden. Endlich war das schwere Werk beendigt. Die Knechte spannten ihre eigenen Pferde an die Schlitten und fuhren mit den Leichen gen Niedzborz, um dort in den warmen Stuben zu versuchen, ob einer oder der andere von den Totgeglaubten ins Leben zurückgerufen werden könne. Zbyszko blieb noch mit dem Böhmen und zweien seiner Leute zurück. Ihm war plötzlich der Gedanke gekommen, Danusias Schlitten sei vielleicht von den andern getrennt gewesen und wenn dieser Schlitten, wie man wohl annehmen durfte, mit den besten Pferden bespannt war, hatte Jurand möglicherweise angeordnet, daß seine Tochter vorausfahre, und sie hatte dann in einer Hütte unterwegs Schutz gesucht. Was er nun beginnen sollte, wußte Zbyszko selbst noch nicht recht, auf alle Fälle wollte er jedoch nochmals in den vom Wind zusammengewehten Schneehaufen hier in der Nähe, sowie auch im Erlengehölz nachforschen, dann aber umkehren und auf der Landstraße seine Untersuchungen anstellen.

Allein unter dem Schnee war nirgends mehr etwas zu finden. Im Erlenwalde blitzten einige Male glühende Wolfsaugen vor ihnen auf, doch fanden sie keine Spur von Menschen und Pferden. Die Wiese zwischen dem Gehölze und der Landstraße schimmerte hell im Mondschein, und auf der weißen öden Fläche waren zwar in der Ferne hie und da einige dunkle Punkte zu sehen, aber auch dies waren Wölfe, welche sofort entwichen, als die Männer sich näherten.

»Euer Gnaden!« sagte schließlich der Böhme, »es ist vergeblich, daß wir hier noch suchen, denn die Jungfrau aus Spychow hat sich offenbar gar nicht bei dem Gefolge ihres Vaters befunden.«

»So laßt uns auf der Landstraße nachforschen,« erwiderte Zbyszko.

»Auch auf der Landstraße werden wir sie nicht finden. Ich habe wohl darauf geachtet, ob sich in einem der Schlitten eine Lade mit Weiberkleidern befinde. Aber es war keine vorhanden. Die Jungfrau ist in Spychow zurückgeblieben.«

Betroffen von dieser Bemerkung, aber auch voll Freude rief Zbyszko aus: »Gebe Gott, daß es so wäre, wie Du sagst!«

Und der Böhme zog die Sache noch mehr in Erwägung.

»Hätte sie sich in einem der Schlitten befunden,« setzte er hinzu, »so würde der Gebieter von Spychow sie nicht verlassen haben, er hätte sie vor sich auf das Pferd gesetzt und bei ihm wäre sie gefunden worden.«

»So reiten wir nochmals an jene Stelle!« erklärte Zbyszko in erregtem Tone.

Ihn dünkte, es könne so sein, wie der Böhme sagte. Gesetzt nun, sie hätten nicht sorgfältig genug nachgeforscht, gesetzt, Jurand hätte Danusia vor sich auf das Pferd genommen und diese hätte, als es unter ihnen zusammenbrach, ihren Vater verlassen, um für ihn Hilfe herbeizuholen? In dem Falle konnte sie noch in der Nähe irgendwo unter dem Schnee verschüttet sein.

Aber wie wenn er diese Gedanken erraten hätte, nahm Glowacz von neuem das Wort: »Dann würden sich Kleider in einem der Schlitten befinden, denn für den Hof hätte ihr das Gewand nicht genügt, das sie auf dem Leibe trägt.«

Trotzdem alles für die Richtigkeit dieser Behauptung sprach, lenkten sie ihre Pferde nochmals zu dem Weidenbaume hin – aber weder dort noch in dessen ganzem Umkreis konnten sie eine Spur von Danusia finden. Jurand war von des Fürsten Mannen nach Niedzborz gebracht worden, und rings umher herrschte tiefe Stille. Der Böhme machte noch die Bemerkung, daß der Hund, welcher ihnen den Weg zu Jurand gezeigt hatte, sicherlich auch Danusia entdeckt hätte. Nun atmete Zbyszko erleichtert auf, denn ihn überkam beinahe die Gewißheit, daß Danusia in Spychow zurückgeblieben war. Er versuchte sogar, sich klarzumachen, welche Gründe dabei mitgewirkt hatten, er sagte sich, Danusia habe offenbar ihrem Vater alles gestanden, dieser aber habe seine Zustimmung zu dem Ehebund nicht geben wollen, sie sei deshalb absichtlich von ihm zu Hause gelassen worden, er selbst aber habe sich auf den Weg gemacht, um dem Fürsten die Sache vorzustellen und um dessen Vermittlung bei dem Bischof zu bitten. Bei dem Gedanken, daß sich nun vielleicht alles anders gestalten werde, konnte sich jetzt Zbyszko eines Gefühles der Erleichterung, ja der Freude, kaum erwehren, denn er wußte, daß mit Jurands Tode alle Hindernisse beseitigt waren.

»Jurand wollte dies Ehebündnis nicht, aber unser Herr Jesus wünschte es,« sagte sich der junge Ritter, »und sein Wille ist mächtiger.«

Jetzt durfte er nach Spychow reiten, Danusia als sein Weib in Anspruch nehmen und die Ehe vollziehen. Dort an der Grenze konnte die Vereinigung mit seiner Gattin viel leichter zustande kommen, als in Bogdaniec. »Es ist der Wille Gottes! Der Wille Gottes!« wiederholte er unablässig im tiefsten Innern. Plötzlich jedoch schämte er sich dieser voreiligen Freude, und sich zu dem Böhmen wendend bemerkte er: »Es thut mir leid um ihn, dies kann ich laut bezeugen.«

»Die Leute sagen, daß er von den Deutschen gefürchtet wird wie der Tod,« entgegnete der Knappe.

Nach einer Weile fügte er hinzu: »Kehren wir jetzt in das Schloß zurück?«

»Nach Niedzborz!« antwortete Zbyszko.

In der That wendeten sie ihre Pferde Niedzborz zu und ritten in den Hof ein, wo sie von dem alten Erbherrn Jelech empfangen wurden. Jurand trafen sie nicht mehr an, doch Jelech brachte ihnen gute Kunde.

»Man rieb ihn dermaßen mit Schnee, daß beinahe die Haut von den Knochen hing,« sagte er, »man goß ihm Wein ein und brachte ihn in ein Dampfbad, wo er auch wieder zu atmen begann.«

»Er lebt also?« fragte voll Freude Zbyszko, der bei dieser Nachricht sein eigenes Interesse, seine eigenen Angelegenheiten vergaß.

»Er lebt, aber Gott weiß, ob er es überstehen wird, denn die Seele war schon beinahe entflohen.«

»Weshalb ist er aber fortgebracht worden?«

»Weil der Fürst Boten nach ihm ausgesandt hat. Was an Federgebett hier im Hause war, raffte man zusammen, er ward damit zugedeckt und fortgetragen.«

»Und sagte er nichts von seiner Tochter?«

»Er hatte kaum zu atmen begonnen, die Sprache aber noch nicht wiedererlangt.«

»Und die andern?«

»Die andern sind schon bei unserm lieben Herrgott im Himmelreich. Die Aermsten werden nicht bei der Mitternachtsmesse sein, es sei denn, daß sie der anwohnen dürfen, welche unser Herr Jesu selbst im Himmel abhält.«

»So ist keiner von ihnen wieder zum Leben erwacht?«

»Keiner! Doch kommt herein in die Stube, anstatt hier in der Hausflur zu stehen. Und wenn Ihr sie sehen wollt, sie liegen am Feuer in der Gesindestube. Kommt nur herein!«

Doch sie hatten Eile und wollten nicht eintreten, trotzdem der alte Jelech ihnen sehr zuredete, weil er immer gern Leute bei sich sah, mit denen er plaudern konnte. Von Niedzborz nach Ciechanow hatten sie noch eine beträchtliche Strecke zurückzulegen, und Zbyszko brannte vor Ungeduld, Jurand zu sehen und etwas von ihm über Danusia zu erfahren.

Daher ritten sie weiter, so schnell es auf der vom Schnee verwehten Landstraße möglich war. Als sie ankamen, war es schon nach Mitternacht, und die Messe in der Schloßkapelle ging gerade zu Ende. Zu Zbyszkos Ohren drang das Gebrüll von Ochsen, das Meckern von Ziegen, denn die Stimmen der Frommen ahmten nach alter Sitte den Tieren nach, zum Andenken daran, daß der Heiland in einem Stalle geboren war. Die Messe war kaum vorüber, als die Fürstin zu Zbyszko kam. Angst und Schrecken malten sich in ihrem Antlitz und voll Besorgnis rief sie: »Und Danuska?«

»Ist nicht gefunden worden. Hat sich denn Jurand nicht darüber ausgesprochen? Wie ich hörte, ist er ja zum Leben erwacht.«

»Barmherziger Jesu, das ist eine Strafe Gottes! Wehe uns! Jurand sagt nichts und liegt da wie ein gefällter Baum.«

»Fürchtet nichts, allergnädigste Herrin! Danuska blieb in Spychow zurück.«

»Wieso weißt Du dies?«

»Weil sich nirgends, in keinem der Schlitten eine Spur von Frauenkleidern befand. Und mit einem einzigen Gewande wäre sie doch nicht gereist.«

»Das ist richtig, so wahr ich Gott liebe.«

Der Fürstin Augen glänzten sofort wieder vor Freude, und sie rief aus: »Ei, das Jesuskindlein, das heute geboren ward, hätte auch seine Freude an Dir. Sein Segen ist über uns!«

»Jurands Ankunft ohne seine Tochter gab ihr gleichwohl zu denken, und sie fragte daher weiter: »Weshalb aber hätte er sie zurückgelassen?«

Zbyszko teilte ihr seine Vermutungen mit. Sie schienen ihr ganz richtig zu sein, beruhigten sie aber doch nicht vollständig.

»Jurand hat uns nun sein Leben zu danken,« sagte sie, »und auch Dir, denn Du bist ja ausgeritten, um ihn ungefährdet hierher zu geleiten. Er müßte einen Stein in der Brust haben, wenn er jetzt noch hartnäckig auf seinem Willen bestände. In all dem sollte er einen Fingerzeig Gottes sehen und sich nicht mehr gegen das heilige Sakrament auflehnen. Sobald ich ihn sehe und er wieder zum Bewußtsein kommt, werde ich ihm dies sagen.«

»Es ist nötig, daß ich ihn sobald wie möglich spreche, weil ich wissen möchte, weshalb Danusia ihn nicht begleitet hat. Wie, wenn sie nun krank wäre?«

»Sprich nicht davon! Ich beklage es sehr, daß ich sie nicht bei mir habe, doch wenn sie krank wäre, hätte er sie nicht verlassen!«

»Ihr habt recht, allergnädigste Herrin!« erwiderte Zbyszko.

Und sie gingen zu Jurand. Eine feuchte Wärme herrschte in der Stube, die auch hell erleuchtet war, da ungeheure Holzscheite im Krankenzimmer brannten. Der Pater Wyszoniek wachte bei dem Kranken, welcher in Bärenfelle gehüllt, mit bleichem Antlitz und geschlossenen Augen auf dem Bette lag. Seine Haare waren von dem Schweiß dicht zusammengeballt, seine Lippen geöffnet und er atmete so schwer und mühsam, daß sich die Decken über seiner Brust unablässig hoben und senkten.

»Wie steht es mit ihm?« fragte die Fürstin.

»Ich goß ihm einen ganzen Krug mit warmem Wein ein, und er geriet dann in Schweiß,« antwortete Pater Wyszoniek.

»Schläft er oder schläft er nicht?«

»Ich weiß nicht, ob er schläft. Er ist sehr unruhig.«

»Und versuchtet Ihr schon mit ihm zu sprechen?«

»Ja, ich versuchte es allerdings, doch gab er keine Antwort, und daher glaube ich, daß er vor Tagesanbruch schwerlich sprechen wird.«

»Warten wir also bis Tagesanbruch.«

Pater Wyszoniek drang nun inständig in sie, sich zur Ruhe zu begeben, doch hörte sie nicht auf ihn. Es war stets ihr Streben, den christlichen Tugenden der verstorbenen Königin Jadwiga nachzuahmen und es ihr auch in der Krankenpflege gleichzuthun, um durch solche Dienste die Seele ihres Vaters zu erlösen. So versäumte sie denn keine Gelegenheit, um in dem Reiche, das schon seit langer Zeit ein christliches war, alle andern durch ihren Glaubenseifer zu übertreffen, weil es in Vergessenheit geraten sollte, daß sie das Kind heidnischer Eltern war.

Zudem brannte sie vor Ungeduld, aus Jurands Munde etwas von Danusia zu erfahren, da sie sich ihretwegen noch nicht beruhigt fühlte. Nachdem sie am Lager Platz genommen hatte, begann sie den Rosenkranz zu beten und schlummerte dann allgemach ein. Zbyszko, der noch nicht ganz genesen war, sich auch durch den nächtlichen Ritt allzusehr angestrengt hatte, folgte ihrem Beispiel und bald schliefen beide so fest, daß sie vielleicht erst am hellen Tage erwacht wären, wenn nicht um die Morgendämmerung das Glöckchen der Schloßkapelle an ihre Ohren gedrungen wäre. Aber dies erweckte sie und Jurand. Er öffnete die Augen, richtete sich plötzlich im Bett auf und blickte umher.

»Gelobt sei Jesus Christus! … Wie fühlt Ihr Euch?« fragte die Fürstin.

Offenbar kehrte aber sein Bewußtsein nur langsam zurück, da er sie zuerst ansah, wie wenn er sie nicht erkenne, und dann ausrief: »Halt! Halt! Grabt hier im Schnee!«

»Um Gotteswillen! Ihr seid ja schon in Ciechanow!« ließ sich die Fürstin wieder vernehmen.

Doch Jurand runzelte die Stirne, als ob er nur mit Mühe seine Gedanken zu sammeln vermöge, und erwiderte: »In Ciechanow? Das Kind wartet und … der Fürst und die Fürstin … Danuska! Danuska!«

Und plötzlich die Augen schließend, sank er wieder in die Kissen zurück. Zbyszko sowie die Fürstin befürchteten, er sei tot, doch in diesem Augenblick begann er tief und gleichmäßig zu atmen wie ein Mensch, den ein gesunder Schlaf umfangen hält.

Pater Wyszoniek legte den Finger auf den Mund, zum Zeichen, daß man ihn nicht erwecke, dann sagte er leise: »vielleicht schläft er so den ganzen Tag hindurch.«

»Ja, aber was wollte er denn sagen?« fragte die Fürstin.

»Er sagte: Das Kind wartet in Ciechanow!« antwortete Zbyszko.

»Weil er noch nicht vollständig zum Bewußtsein gekommen ist,« erklärte der Pater.