Erstes Kapitel.

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Sie hausten in ihrem Heim zu Moczydoly als ein glücklich verbundenes Paar, während der alte Ritter ihnen die Burg in Bogdaniec erbaute. Dieser Bau verursachte ihm viel Plage, denn er wollte die Grundmauern aus Kalksteinen, die Warte aus Ziegelsteinen aufführen lassen, die nur sehr schwer in dieser Gegend beschafft werden konnten.

Im Laufe des ersten Jahres wurde der Graben fertiggestellt, eine Arbeit, die dadurch unendlich erleichtert ward, weil die Anhöhe, auf welche der Bau zu stehen kommen sollte, schon früher, vielleicht noch in heidnischer Zeit, mit einem Graben umgeben worden war.

An zahlreichen Stellen brauchten daher nur die Bäume und die Weißdornhecken, die nach und nach aus dem uralten Zeiten entstammenden Graben emporgeschossen waren, entfernt und dieser etwas breiter und tiefer gemacht zu werden. Bei dieser Arbeit stießen die Leute auf eine so ergiebige Quelle, daß das Wasser sich rasch verbreitete und Macko einen Abfluß dafür herstellen lassen mußte. Nachdem der Wall mit einem Palissadenringe versehen war, ging der alte Ritter daran, das nötige Holz für den Bau auszuwählen, Eichenstämme, die so umfangreich waren, daß drei Männer sie nicht umspannen konnten, und Lärchenstämme, bei denen man annehmen durfte, daß sie weder unter dem Mörtelbewurfe, noch unter einer Bedeckung mit Rasenstücken faulen würden. Trotzdem ihm aber auch hiefür Leute sowohl aus Zgorzelic wie aus Moczydoly zur Verfügung standen, begann er erst nach einem Jahre mit der Errichtung des Gebälkes, die er jedoch dann um so eifriger betrieb, als Jagienka Zwillingen das Leben schenkte. Der Himmel schien sich vor dem alten Ritter aufzuthun! Jetzt wußte er, für wen er sich mühte, für wen er arbeitete, jetzt wußte er, daß das Geschlecht der »Grady« erhalten bleiben, daß das stumpfe Hufeisen auf dessen Wappen noch mehr als einmal von dem Blute eines Feindes bespritzt werde.

Die Zwillinge erhielten die Namen Macko und Jasko. »Das sind Bursche,« Pflegte der alte Ritter zu sagen, »die sind über alles Lob erhaben. In dem größten Königreiche findet man nicht zwei, die ihnen gleichkämen – und noch ist nicht aller Tage Abend.« Er umfaßte sie sofort mit unermeßlicher Liebe, aber Jagienka selbst galt ihm mehr als die ganze Welt. Wer sie vor ihm pries, der konnte alles bei ihm erreichen. Zbyszko wurde weit und breit seines Weibes halber beneidet, das ihm ja nicht nur großen Reichtum zugebracht hatte, sondern in solch herrlicher Schönheit erstrahlte, wie die schönste Blume auf weiter Flur. Wohl hatte ihr Ehegemahl eine reiche Morgengabe mit ihr bekommen, allein was wollte dies bedeuten gegen die heiße Liebe, die sie ihm schenkte, gegen ihre bezaubernde Schönheit, gegen ihre edeln Sitten und gegen eine Klugheit, derer sich mancher Ritter gar gern gerühmt hätte. Es fiel Jagienka nicht schwer, schon wenige Tage nach der Geburt der Zwillinge dem Hause wieder vorzustehen, mit ihrem Gatten zu jagen oder in der Frühe von Moczydoly nach Bogdaniec zu reiten, um gegen Mittag bei Macko und Jasko Zurück zu sein. War es daher nicht natürlich, wenn ihr Ehegemahl sie wie seinen Augapfel liebte, wenn sie der alte Macko liebte, wenn sie von den Bediensteten, für die sie ein menschliches Herz hatte, angebetet ward, und wenn an jedem Sonntag in Krzesnia bei ihrem Eintritt in die Kirche ein Gemurmel der Bewunderung entstand? Ihr früherer Freier, der händelsüchtige Cztan aus Rogow, welcher sich mit der Tochter eines Großbauern vermählt hatte und welcher nach der Messe fast regelmäßig die Schenke mit dem alten Wilk aus Brzozowa zu besuchen Pflegte, sagte oftmals, nachdem er schon etwas angetrunken war, zu jenem: »Mehr als einmal haben wir uns, Euer Sohn und ich, um ihretwillen die Köpfe blutig gehauen, denn jeder von uns wollte sie zum Weibe, doch eben so gut hätten wir versuchen können, den Mond vom Himmel zu holen.« Allerorts wurde die Meinung laut, eine zweite Frau wie sie könne nur an dem königlichen Hofe in Krakau gefunden werden. Abgesehen von ihrem Reichtum, von ihrer Schönheit und ihrem verfeinerten Wesen, erregten auch ihre unverwüstliche Gesundheit, ihre Kraft das größte Staunen, ja, es herrschte nur eine Stimme darüber, »daß es wohl außer ihr keine Frau gebe, die, mit der Heugabel bewaffnet, gegen einen Bären in den Wald ziehe und welche die Nüsse nicht mit den Zähnen aufbeiße, sondern sie auf den Tisch lege, um sie dann plötzlich mit der Hand in einer Weise zu zerdrücken, als ob sie von einem Mühlstein zermalmt worden wären.« Kurz, Jagienkas Lob verbreitete sich in dem Pfarrsprengel von Krzesnia, in den nahegelegenen Dörfern, ja, selbst in der Wojwodschaft Sieradz. Wie sehr aber nun auch Zbyszko beneidet ward, kein Mensch staunte darüber, daß er ein solches Weib errungen hatte, konnte sich doch keiner in der ganzen Umgegend solcher Kriegsthaten wie der junge Kämpe rühmen.

Die Jüngeren unter den neu- und altgeadelten Edelleuten erzählten sich allerlei Mären von den Deutschen, deren Seelen Zbyszko in den Schlachten unter Fürst Witold und in den Zweikämpfen auf festgetretener Erde »ins Jenseits befördert« hatte. Ihren Aussagen nach war ihm noch kein Gegner entronnen, hatte er nicht weniger als zwölf Ritter, darunter auch Ulryk, den Bruder des Großmeisters, in Marienburg aus dem Sattel gehoben, ja, sie behaupteten, er könne es mit jedem Ritter in Krakau aufnehmen, und selbst der unbesiegbare Zawisza Czarny sei ihm in Freundschaft zugethan.

Freilich gab es auch etliche, die all diese unglaublichen Mären anzweifelten, allein sobald die Frage auftauchte, wen man in der Umgegend zu wählen habe, sollte es zum Wettkampfe zwischen polnischen und fremdländischen Rittern kommen, so pflegten auch diese Zweifler zu sagen: »Keinen andern wie Zbyszko,« und erst in zweiter Linie kam der bärtige Cztan aus Ragow oder sonst einer der ansässigen Kämpen in Betracht, da diese alle, trotz ihrer Tapferkeit, in ritterlichen Künsten weit hinter dem jungen Erben aus Bogdaniec zurückstanden.

Außer durch seinen Ruhm gewann aber Zbyszko auch durch seinen Reichtum großes Ansehen unter den Nachbarn. Jagienka hatte ihm Moczydoly und das ihr von dem Abte zugefallene reiche Erbe in die Ehe gebracht. Dies war nun freilich nicht sein Verdienst, doch längst zuvor hatte er ja schon Spychow mit all den von Jurand angehäuften Schätzen besessen und zudem ging die Rede, daß allein die von den Rittern aus Bogdaniec gewonnene Beute an Rüstungen, Pferden, Gewändern und Kleinodien dazu ausreichen würde, drei oder vier Dörfer zu kaufen.

Man erblickte darin eine besondere Gnade Gottes gegen das im Wappen ein stumpfes Hufeisen führende Geschlecht der »Grady«, das noch vor ganz kurzer Zeit nichts sein Eigen genannt hatte, wie das verödete Bogdaniec und welches nun plötzlich zu solch großem Reichtum gelangt war. »Nach dem Brande ist in Bogdaniec nichts stehen geblieben wie das baufällige Haus,« pflegten die älteren Leute zu sagen, »und aus Mangel an Arbeitskräften mußte das Besitztum verpfändet werden – jetzt aber ist der Ritter Macko im stande, eine neue Burg zu errichten.« Wie groß aber das Staunen war, so gesellte sich ihm doch auch das instinktive Gefühl zu, daß das ganze Volk unaufhaltsam bedeutsamen Ereignissen entgegengetrieben werde, und daß sich alles nach dem Willen Gottes gestalten müsse. Die Bewunderung war daher auch nicht mit Neid gepaart, im Gegenteile, in der ganzen Umgegend schaute man mit Stolz auf die beiden Ritter aus Bogdaniec, welche als lebendiges Beispiel dafür dienen konnten, was ein Edelmann mit starkem Arme, mit tapferem Sinn und mit der Lust an Abenteuern auszurichten vermochte. Gar mancher fühlte sich durch die ihm gesetzten engen Grenzen innerhalb seines Heims und seines Heimatlandes bedrückt, wenn er sich die Erfolge Mackos und Zbyszkos vergegenwärtigte, und unwillkürlich drängte sich ihm der Gedanke auf, daß jenseits der Grenzen großer Reichtum, ausgebreitete Ländereien zu erringen seien, die er zum Ruhme für sich und für das Königreich gewinnen könne. Dieses Kraftbewußtsein, das allmählich in den einzelnen Geschlechtern erstarkte, teilte sich schließlich der Allgemeinheit mit, indem es sich ausbreitete wie das kochende Wasser, das in seinem Gefäße übersiedet. Was nützte es, wenn die klugen Herren in Krakau, wenn der friedliebende König diese Kraft noch für einige Zeit zu unterdrücken und den Krieg mit dem Erbfeinde noch auf lange Jahre hinauszuschieben suchten – keine Macht der Welt konnte dem Drängen des Volkes widerstehen, konnte das Ringen nach Größe eindämmen.

Zweites Kapitel.

Macko verlebte gar frohe Tage. Mehr als einmal erklärte er den Nachbarn, ihm sei ein größeres Glück zu teil geworden, als er jemals erhofft habe. Wohl hatte ihm das Alter Haar und Bart gebleicht, allein seine Kraft, seine Gesundheit wären ungeschwächt geblieben, heitere Zufriedenheit erfüllte sein Herz. Milde prägte sich jetzt auf seinem früher so strengen Antlitz aus, aus seinen Augen sprach freundliche Anteilnahme an dem Schicksale anderer. Immer mehr gab er sich der festen Ueberzeugung hin, daß er nunmehr gegen Unglück, gegen Sorge gefeit sei, daß sein Leben nunmehr so ruhig dahinfließen werde wie ein klarer Bach. Bis in das hohe Alter wehrhaft zu bleiben, bis in das hohe Alter die Besitztümer bewirtschaften und Reichtümer für die »Enkelkinder« sammeln zu können – das war zu allen Zeiten sein höchster Wunsch gewesen, und nun war mit einem Male dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Was Macko unternahm, gedieh. Die Wälder waren stellenweise ausgehauen und ausgerodet worden, auf den Neuäckern sproßte im Frühling die Saat prächtig hervor, der Viehstand mehrte sich und auf den Wiesen grasten vierzig Stuten mit ihren Fohlen, welche der alte Edelmann tagtäglich besichtigte, Schaf- und Viehherden weideten auf dem Bruchlande und auf den Brachäckern. Bogdaniec hatte sich völlig verändert; nicht mehr öde und verlassen lag das Gut da, nein, Wohlstand und lebhaftes Getriebe waren daselbst zu bemerken. Die Augen eines jeden, der dahin wanderte, wurden geblendet von dem Anblicke des Wartturmes und der noch ungeschwärzten Mauern des Kastells, die im Sonnenglanze golden, in dem Scheine der Abendröte purpurfarbig schimmerten.

Aus vollen Zügen genoß der alte Macko diese Freuden und niemals widersprach er, wenn seine »glückliche Hand« gerühmt ward. Schon ein Jahr nach den Zwillingen kam ein dritter Knabe zur Welt, den Jagienka, zu Ehren ihres Vaters, Zych nannte. Mit großem Entzücken begrüßte Macko auch diesen neuen Ankömmling, ohne sich darob zu sorgen, daß, wenn es so weiter gehe, der mühsam errungene Besitz wieder geteilt werden müsse. »Was besaßen wir denn?« so fragte er, als er mit Zbyszko einmal darüber sprach. »Nichts! Und doch hat sich jetzt durch Gottes Gnade alles zum Guten gewendet. Der alte Pakosz aus Sulislawic besitzt bei zweiundzwanzig Söhnen nur ein Dorf, hast Du aber jemals gehört, daß das Geschlecht Hungers gestorben wäre? Und dann, wenn man das Königreich, wenn man Litauen in Betracht zieht, umfassen diese vielleicht ein kleines Gebiet, besitzen diese Kreuzritter, diese Hundsbrut, vielleicht nicht eine große Zahl von Dörfern und Burgen? Hei! Zahlreiche Burgen aus roten Ziegelsteinen befinden sich darunter, für die unser erlauchter König Kastellane ernennen könnte; wenn daher der Herr Jesus uns weiter seine Gnade angedeihen läßt, wird es Platz genug für alle geben.« Gar bemerkenswert war dieser Ausspruch, denn trotzdem der Orden auf dem Gipfel seines Ruhmes stand, da er über eine unermeßliche Zahl von Kriegsvolk verfügte, da er an Reichtum und Macht alle Königreiche des Westens überragte, betrachtete doch der alte Ritter jetzt schon die Burgen der Kreuzritter als die zukünftigen Wohnsitze der Nachkommen Zbyszkos. Aehnliche Gedanken hegten viele in dem Königreiche Jagiellos, und nicht allein deshalb, weil es die alte polnische Erde war, auf der sich der Orden festgesetzt hatte, sondern weil das Bewußtsein der Kraft, welches die Brust des ganzen Volkes schwellte, nach allen Seiten hin nach Betätigung rang.

Erst im vierten Jahre nach Zbyszkos Vermählung ward die Burg vollendet, und dies konnte nur dadurch erreicht werden, daß außer den Dienstleuten aus Bogdaniec, aus Moczydoly und aus Zgorzelic auch eine Anzahl von Knechten, welche von den Nachbarn geschickt worden waren, an dem Bau mithalfen. Der alte Wilk aus Brzozowa erwies sich dabei vornehmlich als guter Nachbar, hatte er doch, nach dem Tode seines Sohnes ganz allein in der Welt stehend, treue Freundschaft mit Macko geschlossen und demzufolge auch Zbyszko und Jagienka sein Herz zugewendet. Macko schmückte die Wohngelasse der Burg nicht nur mit der Beute aus, die teils er, teils sein Bruderssohn im Kriege gewonnen, oder die letzterer von Jurand ererbt hatte, sondern auch mit allerlei Gegenständen, die von dem Abte auf Jagienka übergegangen waren oder aus Zgorzelic herrührten. So schuf er nach und nach einen gar prächtigen Wohnsitz, dessen Fenster sogar Glasscheiben aus Sieradz aufwiesen. Im fünften Jahre nach seiner Vermählung siedelte Zbyszko mit Weib und Kindern in die Burg über, denn erst dann waren alle andern Bauten, wie die Stallungen für die Pferde, die Ställe für das Vieh, die Küchen und die Bäder fertig gestellt, die unterirdischen Gewölbe nicht zu vergessen, welche der alte Ritter aus Kalkstein hatte ausführen lassen, damit sie, in ihrer Unzerstörbarkeit, allen Zeiten trotzen konnten. Er selbst aber blieb in dem alten, baufälligen Hause, ohne den Bitten von Zbyszko und Jagienka Gehör zu schenken, die ihn zu einer Uebersiedelung veranlassen wollten.

»Ich will hier sterben, wo ich geboren bin!« Pflegte Macko auf alle Einwendungen des jungen Paares zu antworten. »Seht Ihr, als in den früheren Kämpfen Bogdaniec verheert, als alles niedergebrannt ward – bei meiner Treu, da trotzte dieses alte Haus dem Schwerte und dem Feuer. Die Leute behaupten zwar, das Feuer habe ihm nichts anhaben können, weil das Dach ganz mit Moos bedeckt gewesen ist – ich aber glaube, daß es durch die Gnade, durch den Willen Gottes verschont geblieben ist, damit wir hierher zurückzukehren vermochten, damit unser Geschlecht aufs neue wachse und gedeihe. Keinen Zufluchtsort haben wir mehr, so klagte ich oftmals auf unsern Fahrten, doch ich hatte unrecht, dies zu thun. Traun, nichts fanden wir freilich hier vor, womit wir hätten wirtschaften, womit wir unsern Hunger hätten stillen können, aber wir fanden doch ein Dach, das uns schützte. Für Euch junge Menschenkinder kommt all dies wahrlich nicht mehr in Betracht, mich dünkt jedoch, daß es mir nicht geziemt, das alte Haus zu verlassen, welches so getreu mit uns ausgehalten hat.«

Und so blieb er denn in dem alten Hause. Allein gar oft erschien er in der neuen Burg, um sich an deren Größe, an deren Pracht zu werden, und um gleichzeitig nach Zbyszko und Jagienka, sowie nach seinen »Enkelsöhnen« zu sehen. Stolz und Freude schwellten jedesmal die Brust des alten Ritters, wenn er die Burg betrat, die ja zum größten Teile sein eigenes Werk war. Gern verlieh er auch dieser Freude dem alten Wilk gegenüber Ausdruck, der ihn zuweilen aufsuchte, oder zu dem er sich hie und da nach Brzozowa begab. Als die beiden daher wieder einmal am Feuer beisammen saßen, um ein Stündchen mit einander zu schwätzen, da schilderte Macko dem Nachbarn die neue Lebensweise, indem er sagte: »Seht Ihr, oftmals glaube ich, meinen eigenen Augen nicht trauen zu dürfen. Bekanntermaßen ist ja Zbyszko nicht nur in Masovien, in Marienburg und bei dem Fürsten Janusz gewesen, sondern er hat sogar schon in Krakau in dem Schlosse des Königs geweilt – traun, es hätte nicht viel gefehlt und sein Haupt wäre gefallen – und wie Ihr wißt, ist Jagienka im Reichtum aufgewachsen, von einer eigenen Burg hat sich indessen weder der eine noch die andere träumen lassen. Nun aber erweckt es den Anschein, als ob sie es nie anders gewöhnt gewesen. Sie wandeln in den Wohngelassen umher, ich sage Euch, in den Wohngelassen wandeln sie einfach umher, erteilen den Dienstleuten ihre Befehle und setzen sich nieder, wenn sie müde sind. Man glaubt fürwahr einen Burgvogt mit seiner Ehegemahlin vor sich zu sehen. Und in einem eigens dafür bestimmten Gemache speisen sie mit den Vögten und den Bediensteten, wobei sie auf erhöhten Sitzen Platz nehmen, während die andern tiefer sitzen und erst dann zu essen beginnen, wenn der Gebieter und die Herrin bedient sind. So will es freilich die höfische Sitte, ich aber muß es mir immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen, daß ich nicht vor einem mir fremden, hohen Herrn und dessen Ehegemahlin, sondern vor meinem Bruderssohn und dessen Weib stehe, die mich alten Burschen an der Hand fassen, an den Ehrensitz geleiten und ihren Wohlthäter nennen.«

»Dafür wird sie der Herr Jesus segnen!« bemerkte der alte Wilk.

Dann ließ er das Haupt traurig sinken, nahm einen Schluck Met und mit einem eisernen Haken das Feuer aufschürend, fügte er hinzu:

»Mein Sohn aber ist tot!«

»Das war der Wille Gottes!«

»Bei meiner Treu! Seine älteren Brüder, fünf an der Zahl, sind ihm schon längst vorausgegangen. Ihr wißt dies ja. Das ist auch der Wille Gottes gewesen. Aber dieser jüngste ist der beste von allen gewesen. Ein echter Wilk! Hei, wenn er nicht gefallen wäre, säße er heute auch auf seiner eigenen Burg.«

»Der Tod Cztans würde weniger zu beklagen sein.«

»Ach, was ist denn Cztan? Freilich ist er so stark, daß er Mühlsteine auf seinen Schultern tragen könnte. Doch wie häufig hat ihn mein Sohn darnieder geworfen! Hei, dieser wußte, was die ritterliche Sitte erheischte, Cztan aber läßt sich von seinem Weibe auf die Schnauze hauen, denn obgleich er ein starker Bursche ist, gebricht es ihm doch an Verstand.«

»Hei, mit ihm läßt sich so wenig reden, wie mit dem Hinteren eines Pferdes!« warf Macko ein.

Sofort ergriff er aber auch die Gelegenheit, um nicht nur das ritterliche Wesen, sondern auch den Verstand Zbyszkos in den Himmel zu heben, indem er erklärte, sein Bruderssohn habe in Marienburg mit den berühmtesten Rittern innerhalb der Schranken gekämpft, und ihm falle es ebenso leicht mit Fürsten zu reden, wie Nüsse aufzuknacken. Nicht minder rühmte er die Klugheit und Geschicklichkeit Zbyszkos im Wirtschaften, wodurch der reiche Besitz gesichert sei. Damit jedoch der alte Wilk ja nicht denken konnte, Zbyszko drohe in dieser Hinsicht irgend welche Gefahr, fuhr Macko in gedämpftem Tone fort:

»Traun, durch die Gnade Gottes ist er mit großem Reichtum gesegnet, mit einem größeren Reichtum, als die Leute glauben. Doch,« fügte er vertraulich hinzu, »sprecht mit niemand von dem, was ich Euch sagte.«

Die Leute wurden jedoch nicht müde, allerlei Betrachtungen anzustellen und sich Wunderdinge von den Reichtümern zu erzählen, welche der Gebieter und die Herrin von Bogdaniec aus Spychow mitgebracht halten, ja, es ging sogar die Rede, es sei Geld für sie aus Masovien in Salztonnen angelangt. Als es aber gar bekannt ward, Macko habe sich die mächtigen Herren aus Koniecpole durch ein Darlehen verpflichtet, da steigerte sich noch die hohe Meinung, die man von den in Bogdaniec aufgehäuften Schätzen hegte. Selbstverständlich stieg daher das Ansehen Zbyszkos und Mackos immer mehr, selbstverständlich gewannen sie immer größern Einfluß auf ihre Nachbarn, und infolgedessen mangelte es in der Burg auch niemals an Gästen, die auch der alte Ritter, trotz seines Hanges zur Sparsamkeit, stets freundlich empfing, weil dadurch der Ruhm des Geschlechtes vermehrt ward.

Ganz besonders herrlich wurden die Tauffeierlichkeiten begangen, und jedes Jahr nach dem Feste Maria Himmelfahrt veranstaltete Zbyszko eine glänzende Gasterei für die ganze Nachbarschaft, an der auch die Edelfrauen teilnahmen, um den Ritterspielen zuzuschauen, den Sängen zu lauschen und bis zum frühen Morgen beim Fackelscheine mit den jungen Rittern zu tanzen. Wie leuchteten die Augen Mackos vor Freude, wie schwoll ihm die Brust vor Entzücken, wenn er dann auf Zbyszko und Jagienka blickte, die sich so würdig und edel zu bewegen wußten. Zbyszko war viel größer und männlicher geworden, und obgleich sein Gesicht für die mächtige Gestalt selbst dann zu jung aussah, wenn er sein üppiges Haar mit einem purpurnen Bande zusammenhielt, wenn er in die prächtigsten, mit Gold- und Silberfäden bestickten Gewänder gekleidet war, so sagte nicht nur Macko, sondern auch manch anderer Edelmann von ihm: »Bei Gott! Gleich einem Fürsten sitzt er auf seiner Burg.« Vor Jagienka aber beugten die Ritter, denen die Sitten des Westens bekannt waren, mit der Bitte die Knie, sie zu ihrer Herrin wählen zu dürfen – derart erstrahlte sie in Gesundheit, Jugendfrische, Kraft und Schönheit. Sogar der in höherem Alter stehende Herr aus Koniecpole, welcher die Würde eine Wojwoden in Sieradz bekleidet hatte, wußte sich nicht vor Staunen zu lassen bei ihrem Anblicke und verglich sie mit der Morgenröte, ja, sogar mit der Sonne, »welche der Erde Licht verleiht und sogar in alten Knochen neue Lebenskraft erweckt.«

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Stolz und Freude schwellten jedesmal die Brust des alten Ritters, wenn er die Burg betrat.

Drittes Kapitel.

Im Laufe des fünften Jahres indessen – in den Ansiedelungen herrschte die beste Ordnung, schon seit Monden flatterte auf der Warte das Banner mit dem stumpfen Hufeisen und Jagienka hatte einem vierten Knaben, der Jurand genannt ward, das Leben gegeben – sagte der alte Macko eines Tages zu Zbyszko: »Alles blüht und gedeiht! Wenn mir daher der Herr Jesus noch einen Wunsch erfüllen würde, könnte ich in Frieden sterben.«

Einen prüfenden Blick auf den Ohm werfend, fragte Zbyszko hierauf: »Sprecht Ihr von dem Kriege mit den Kreuzrittern? Einen andern Wunsch hegt Ihr wohl schwerlich!«

»Ich wiederhole Dir das, was ich schon früher sagte. So lange der Großmeister Konrad lebt, kommt es nicht zum Kriege.«

»Wird er denn ewig leben?«

»Auch ich werde nicht ewig leben, und aus diesem Grunde denke ich an etwas ganz anderes.«

»An was?«

»Traun, Du thust besser daran, nicht darnach zu fragen. Jedenfalls begebe ich mich nach Spychow und suche vielleicht von dort aus die Fürstenpaare in Plock und Chersk auf.«

Diese Antwort versetzte Zbyszko in kein allzugroßes Staunen, war doch Macko im Laufe der letzten Jahre mehrmals in Spychow gewesen. Der junge Ritter fragte deshalb nur: »Gedenkt Ihr lange fort zu bleiben?«

»Länger als sonst, da ich einige Zeit in Plock verweilen werde.«

Etwa acht Tage darauf rüstete sich Macko zur Fahrt, auf die er einige Wagen, sowie eine Rüstung und Waffen mitnahm, »für den Fall, daß er innerhalb der Schranken zu kämpfen haben sollte.« Beim Abschiede wiederholte er nochmals, er gedenke länger als sonst fern zu bleiben, und dies bewahrheitete sich, vergingen doch sechs Monate, ohne daß er zurückgekehrt wäre, ohne daß er eine Botschaft geschickt hätte. Zbyszko geriet allmählich in Sorge und sandte daher schließlich einen besonderen Boten aus, der indessen Spychow nicht erreichte, da er schon jenseits Sieradz mit dem alten Ritter zusammentraf, mit dem er sofort wieder zurückkam.

Macko trug anfänglich eine etwas finstere Miene zur Schau, nachdem ihn jedoch Zbyszko von dem unterrichtet hatte, was während seiner Abwesenheit geschehen war, als er sich sagen durfte, daß alles gut stand, heiterte sich sein Antlitz ein wenig auf und er begann, von seiner Fahrt zu sprechen.

»Weißt Du, daß ich in Marienburg gewesen bin?« fragte er den Bruderssohn.

»In Marienburg?«

»Gewiß; wo denn sonst?«‘

Mit großen, erstaunten Augen blickte Zbyszko zuerst auf seinen Ohm, dann schlug er sich auf die Schenkel und rief: »Bei Gott, dies schwand mir vollständig aus dem Gedächtnis.«

»Das ist bei Dir etwas ganz anderes. Du hast Deine Gelöbnisse erfüllt,« entgegnete Macko, »doch Gott schütze mich davor, daß ich jemals meiner Gelübde, meiner Ehre vergäße. Was wir gelobten, das haben wir auch stets gehalten, dieser Sitte will auch ich huldigen, so lange ich noch einen Atemzug zu thun vermag und so mir das heilige Kreuz seine Hilfe verleiht.«

Bei diesen Worten verdüsterte sich Mackos Antlitz wieder und seine Züge nahmen den drohenden und energischen Ausdruck an, den Zbyszko in solcher Weise nur zu jener Zeit an seinem Ohm wahrgenommen hatte, als sie mit Witold und mit Skirwoillo in den Kampf gegen die Kreuzritter gezogen waren.

»Was habt Ihr ausgerichtet?« fragte daher der junge Ritter. »Sprecht, sprecht, habt Ihr Euer Gelöbnis erfüllt?«

»Nein. Er wird sich mir nicht stellen.«

»Weshalb nicht?«

»Weil er Groß-Komtur geworden ist.«

»Kuno Lichtenstein ist Groß-Komtur geworden?«

»Bei meiner Treu! Sie werden ihn auch noch zum Großmeister wählen. Was kann man wissen? Jetzt dünkt er sich ja schon Fürsten ebenbürtig. Es geht die Rede, er habe jetzt schon alles zu sagen, er leite jetzt schon alle Angelegenheiten des Ordens, ohne seinen Rat unternehme der Großmeister nichts. Wird sich ein solch mächtiger Herr auf festgetretener Erde stellen? Nur Spott und Hohn würde ich bei aller Welt ernten, wenn ich eine Herausforderung an ihn ergehen ließe.«

»So hat man über Euch gespottet?« rief nun Zbyszko voll Aerger und mit blitzenden Augen.

»Die Fürstin Alexandra aus Plock hat mich fürwahr weidlich verlacht. ›Ei, so geht doch‹, sagte sie, ›und fordert den römischen Kaiser zum Kampfe. Wie uns bekannt ist‹, sagte sie, ›haben Zawisza Czarny, Powala aus Taczew und Paszko aus Biskupice den Groß-Komtur schon längst zum Kampfe gefordert, ohne daß selbst sie eine Antwort erhalten hätten. Er kann sich nicht stellen. Nicht daß es ihm an Mut gebräche‹, sagte sie, ›nein, aber er ist ein Ordensbruder, er hat ein so schweres, ein so hohes Amt zu versehen, daß ihm dergleichen Dinge ganz aus dem Sinn kommen. Wenn er sich stellte, würde er weit mehr Unehre auf sich laden, als wenn er überhaupt keine Antwort erteilt.‹ In solcher Weise hat die Fürstin Alexandra gesprochen.«

»Und wie lautete Eure Antwort?«

»Nagender Gram beugte mich fürwahr darnieder! Nichtsdestoweniger erklärte ich aber, nach Marienburg gehen zu wollen, damit ich vor Gott und den Menschen bezeugen könne, alles gethan zu haben, was in meiner Macht stand, deshalb bat ich denn die hohe Frau, sie möge mich mit einer Botschaft betrauen und mir ein Schreiben nach Marienburg mitgeben, denn sonst, das wußte ich wohl, wäre ich nicht mit heiler Haut aus diesem Wolfsnest entkommen. Doch in meinen Gedanken legte ich mir alles solchergestalt zurecht. Er hat freilich weder der Herausforderung von seiten Zawiszas, noch Powalas oder Paszkos Folge geleistet, wenn aber ich ihm in Gegenwart des Großmeisters, der Komture und der Gäste ins Gesicht schlage, oder ihm die Barthaare ausreiße, dann wird er sich mir wohl stellen.«

»Gott segne Euch!« rief Zbyszko voll Eifer.

»Traun,« fuhr der alte Ritter fort, »für alles giebt es Rat, wenn man Verstand besitzt. Doch diesesmal gewährte mir der Herr Jesus keine Gnade, denn ich traf Lichtenstein nicht in Marienburg an. Wie man mir berichtete, war er zu Witold als Gesandter geschickt worden. Ich schwankte, ob ich ihn erwarten, oder ob ich ihm folgen solle. Möglicherweise hätte ich ihn ja auf dem Wege verfehlen können. Da ich indessen schon in früheren Zeiten die Bekanntschaft des Großmeisters und des Großkämmerers gemacht hatte, vertraute ich ihnen, mit der Bitte um tiefste Verschwiegenheit, den wahren Grund meines Kommens an. Doch auch sie schrien sofort auf mich ein, mein Vorsatz sei ein vergeblicher.«

»Was für Gründe gaben sie an?«

»Die gleichen Gründe, welche die Fürstin aus Plock angeführt hat. Der Großmeister äußerte sich zudem folgendermaßen: ›Was würdest Du von mir denken, wenn ich mit jedem Ritter aus Masovien oder Polen kämpfen wollte?‹ Bei meiner Treu, darin hat er recht, denn dann wäre er schon lange nicht mehr auf dieser Welt! Jene beiden beratschlagten sich aber mit dem Kämmerer und an der abendlichen Tafel erzählten sie den ganzen Hergang. Ich sage Dir, dies wirkte, als wenn man einen Bienenschwarm aufgescheucht hätte. Die ganze Schar der Gäste sprang mit dem Rufe empor: »Wir können uns stellen, wenn Kuno es auch nicht darf.« Ich wählte mir nun drei Ritter aus, mit denen ich der Reihe nach kämpfen wollte, doch siehe da, es bedurfte der eindringlichsten Vorstellungen, damit der Großmeister auch nur einem von ihnen gestattete, sich mit mir zu messen. Dieser eine nannte sich gleichfalls Lichtenstein und war ein Blutsverwandter Kunos.«

»Traun!« rief jetzt Zbyszko, »wie ist es Euch dabei ergangen?«

»Seine Rüstung habe ich mit hierhergebracht, doch sie ist derart zerhauen, daß kein Mensch mehr etwas dafür geben wird.«

»So wahr mir Gott helfe, Ihr habt nun Euern Schwur erfüllt.«

»Anfänglich glaubte ich dies auch und war sehr glücklich darüber, doch späterhin sagte ich mir: nein, das ist nicht das Gleiche! Deshalb finde ich auch noch immer keinen Frieden, denn es ist nicht das Gleiche.«

Nun versuchte Zbyszko den Ohm zu trösten, indem er sagte: »Ihr kennt mich und wißt, daß ich in solchen Angelegenheiten sowohl gegen mich wie gegen andere ein strenger Richter bin; wenn ich aber das erreicht hätte, was Ihr erreicht habt, würde ich zufrieden sein. Sogar die berühmtesten Ritter in Krakau müßten mir Recht geben, wenn man ihre Meinung einholte. Selbst Zawisza, ein Muster an ritterlicher Ehre, könnte nicht anders urteilen.«

»Glaubst Du dies in der That?« fragte Macko.

»Bedenkt doch nur eins: jene Ritter, deren Ruhm die ganze Welt erfüllt, wollten mit ihm kämpfen, doch keinem ist das gelungen, was Ihr gethan habt. Was nützte es jenen, wenn sie Lichtenstein den Tod schwuren? Ihr aber habt einen Lichtenstein erschlagen.«

»Das ist wahr!« meinte nun der alte Ritter.

Doch Zbyszko, dem jeder ritterliche Kampf großes Interesse einflößte, fragte jetzt: »Laßt hören! Sagt mir: war er jung oder alt, und wie habt Ihr gekämpft, zu Pferde oder zu Fuß?«

»Fünfunddreißig Jahre war er alt. Sein Bart reichte bis zum Gürtel und hoch zu Roß saß er. Gott stand mir bei, so daß ich ihn mit der Lanze treffen konnte. Dann erst kam es zum Streite mit den Schwertern Ich sage Dir, das Blut schoß ihm stromweise aus dem Mund, sein langer Bart war purpurrot gefärbt.«

»Seht Ihr? Wie oft habt Ihr doch darüber geklagt, das Alter drücke Euch darnieder.«

»Gewiß! Doch wenn ich auch zu Roß oder zu Fuß siegreich gekämpft und tapfer ausgehalten habe, in voller Rüstung in den Sattel zu springen, vermochte ich nicht mehr.«

»Hei! Kuno selbst würde von Euch besiegt worden sein.«

Der alte Ritter machte eine verächtliche Handbewegung wie zum Zeichen, daß er mit Kuno ein noch leichteres Spiel gehabt haben würde, und forderte dann Zbyszko auf, mit ihm die Rüstung zu besichtigen, die er nur als Siegestrophäe mitgebracht hatte, da sie ja trotz der trefflichen Arbeit, mit Ausnahme des Hüftbleches und der Beinschienen, ganz ohne Wert war.

»Lieber wäre es mir freilich, wenn ich Dir die Rüstung Kunos zeigen könnte!« erklärte Macko schließlich in düsterem Tone.

»Gott der Herr weiß am besten, was uns frommt!« entgegnete Zbyszko. »So Kuno Großmeister wird, könnt Ihr nur in einer gewaltigen Schlacht auf einen Zusammenstoß mit ihm rechnen.«

»Ich horchte nach allen Seiten hin, um zu hören, was die Leute sagten,« warf Macko ein. »Etliche meinten, auf Konrad werde Kuno kommen, andere nannten Ulryk, den Bruder Konrads, als dessen Nachfolger.«

»Ich würde Ulryk den Vorzug geben!« rief Zbyszko.

»Ich auch, und weißt Du, weshalb? Kuno ist klüger und listiger, Ulryk entflammbarer, ein echter Ritter, der auf Ehre hält und den Krieg ebenso herbeisehnt wie wir. Man spricht allgemein davon, daß, falls er Großmeister werden sollte, ein Sturm losbrechen würde, wie ihn die Welt noch nie zuvor gesehen habe. Konrad leidet an Schwächeanfällen. In meiner Gegenwart ist er einmal ohnmächtig geworden. Man weiß nicht, wie bald es eine Aenderung geben kann. Hei, vielleicht erleben wir noch die Erfüllung unseres Wunsches.«

»Gott gebe es! Sind denn wieder neue Mißhelligkeiten ausgebrochen?«

»Alte und neue Zwistigkeiten sollten geschlichtet werden. Ein Kreuzritter bleibt eben stets ein Kreuzritter. Selbst wenn er weiß, daß Du ihm überlegen bist, und daß er Dir gegenüber leicht den Kürzeren ziehen kann, wird er Dir auflauern, weil er nun einmal nicht anders zu handeln vermag.«

»Ein jeder von ihnen stellt eben die Macht des Ordens über die aller Königreiche.«

»Nicht alle Kreuzritter, doch gar viele unter ihnen, sind dieser Meinung, der vornehmlich Ulryk huldigt. Und fürwahr – ihre Stärke ist unermeßlich.«

»Erinnert Ihr Euch aber dessen, was Zyndram aus Maszkowice sagte –«

»Wohl erinnere ich mich dessen. Und mit jedem Jahr wird es schlimmer. Der Bruder empfängt den Bruder nicht so, wie ich allerorts empfangen ward, wenn gerade kein Kreuzritter Zeuge davon war. Immer verhaßter macht sich der Orden.«

»Wir werden daher nicht mehr lange zu warten haben?«

»Ob noch lange oder nicht mehr lange, wer kann dies wissen?« antwortete Macko. »Inzwischen aber,« fügte er hinzu, »dürfen wir uns keine Ruhe gönnen, müssen wir unsern Besitz zu vergrößern suchen, damit wir würdig auf dem Walplatze erscheinen können.«

Drittes Kapitel.

Der Krieg wegen Samogitien zwischen den Kreuzrittern und Witold erregte die Gemüter allzusehr, als daß nicht jeder Einzelne im Königreiche sich um den Verlauf gekümmert hätte. Manche sagten mit Sicherheit voraus, daß Jagiello seinem Blutsverwandten zu Hilfe komme und daß bald ein allgemeiner Feldzug gegen den Orden unternommen werde. Die Ritterschaft sah diesem Feldzuge mit Ungeduld entgegen, und in allen Wohnsitzen der Edelleute versicherte man sich gegenseitig, daß viele der Krakauer Herren, welche dem Rate des Königs angehörten, zu dem Kriege geneigt seien, weil sie dächten, es sei nötig, endlich einmal diesem Feinde die Faust zu zeigen, der sich nie mit dem zufrieden geben wollte, was ihm zukam, und sogar dann darauf ausging, fremdes Eigentum an sich zu reißen, wenn er von Furcht vor der Macht des Nachbarn erfüllt war. Aber der kluge Macko, welcher als erfahrener Mann schon gar viel gesehen und erlebt hatte, glaubte nicht daran, daß der Krieg nahe sei, und sprach sich auch so dem jungen Jasko aus Zgorzelic sowie andern Nachbarn gegenüber aus, welche er in Krzesnia traf.

»So lange Meister Konrad am Leben ist, wird es nicht dazu kommen, denn er ist einsichtsvoller als alle andern und weiß, daß es kein gewöhnlicher Krieg, sondern ein Gemetzel wäre. ›Dein Tod oder der meine!‹ so würde es heißen. Und da er die Macht des Königs kennt, wird er dazu die Hand nicht bieten.«

»Ei, wenn aber der König zuerst den Krieg erklärt?« fragten die Nachbarn.

Macko schüttelte den Kopf.

»Seht … ich habe alles in der Nähe beobachtet und bin im stande, manches zu beurteilen. Wäre der König aus unserm Stamme, wäre er der Abkömmling von Königen, deren Vorfahren schon Christen waren, würde er vielleicht zuerst auf die Deutschen losschlagen. Aber unser Wladislaw Jagiello (ich will seinen Ruhm nicht schmälern, denn er ist ein trefflicher Herrscher, den Gott gesund erhalten möge) war Großfürst von Litauen und noch ein Heide, als wir ihn zum König erwählten. Zum Christentum trat er erst dann über, und die Deutschen verlästern ihn nun in der ganzen Welt, indem sie sagen, seine Seele sei heidnisch geblieben. Daher stünde es ihm schlecht an, zuerst den Krieg zu erklären und Christenblut zu vergießen. Aus diesem Grunde macht er sich nicht auf, um Witold zu Hilfe zu kommen, obwohl ihm die Hände zucken, denn das weiß ich, daß er die Kreuzritter haßt wie die Pest.«

Durch solche Reden bekam Macko den Namen eines Mannes, der jedes Ding in das richtige Licht zu stellen vermochte. In Krzesnia war er jeden Sonntag nach der Messe von einem Kreis von Menschen umgeben und allgemach ward es üblich, daß dieser oder jener Nachbar, wenn er irgend eine neue, besondere Kunde vernommen hatte, in Bogdaniec einkehrte, damit ihm der alte Ritter das erklärte, was ein gewöhnlicher Edelmann mit seinem Verstand nicht so rasch zu fassen vermochte. Macko empfing alle freundlich, äußerte sich auch gerne jedem gegenüber, und wenn schließlich der Gast, nachdem er gesagt hatte, was er zu sagen wünschte, wieder aufbrach, vergaß er niemals, ihn mit folgenden Worten zu verabschieden: »Ihr wundert Euch über meinen Scharfblick, aber so Zbyszko, wenn es Gottes Wille ist, zurückkehrt, da werdet Ihr Euch erst recht wundern! Im Rate des Königs sollte er sitzen, solch ein kluger, tüchtiger Bursche ist er.«

Und indem er dies seinen Gästen einredete, redete er es schließlich auch sich selbst und Jagienka ein. Den beiden erschien Zbyszko jetzt wie der Königssohn im Märchen. Als der Frühling kam, duldete es sie kaum mehr im Hause. Die Schwalben, die Störche kehrten zurück, der Wachtelkönig ließ seine Stimme wieder auf den Wiesen erschallen, in der grünenden Wintersaat schlugen die Wachteln, Schwärme von Kranichen und Kriechenten waren zuvor schon gekommen – nur Zbyszko allein kehrte nicht zurück. Aber nach dem Eintreffen der Zugvögel aus dem Süden drang von Norden die Kunde her, daß der Krieg ausgebrochen sei. Man sprach von Schlachten und zahlreichen Treffen, in denen der kluge und gewandte Witold bald der Sieger, bald der Besiegte gewesen, man sprach auch von großen Verlusten, welche die Deutschen durch die Kälte und durch Krankheiten erlitten hatten. Schließlich verbreitete sich durch das ganze Land die frohe Nachricht, daß der tapfere Sohn Kiejstuts Neu-Kowno oder Gotteswerder eingenommen, es zerstört und keinen Stein auf dem andern gelassen habe. Als diese Botschaft zu Macko gelangte, bestieg er sein Roß und jagte im Galopp nach Zgorzelic.

»Du mußt wissen,« sagte er zu Jagienka, »jene Gegend ist mir bekannt, denn dort haben Zbyszko und ich mit Skirwoillo die Kreuzritter krumm und lahm geschlagen, dort ward auch der biedere de Lorche von uns gefangen genommen. Nun, es war Gottes Wille, daß die Deutschen zu Falle gebracht wurden, denn die Einnahme dieses Kastells war schwierig.«

Indessen hatte Jagienka schon vor Mackos Ankunft von der Erstürmung Neu-Kownos, ja auch davon gehört, daß Witold Friedensverhandlungen begonnen habe. Diese letztere Nachricht hatte ungleich größeres Interesse für sie als die erste, denn wenn der Frieden wirklich geschlossen ward, mußte Zbyszko, falls er am Leben geblieben war, zurückkehren.

Daher begann sie sofort den alten Ritter auszufragen, ob die Sache glaubwürdig sei, und nachdem er Platz genommen hatte, antwortete er ihr folgendermaßen: »Bei Witold ist alles möglich, denn er ist ganz verschieden von andern Menschen und sicherlich der Klügste von allen Fürsten in der ganzen Christenheit. Will er seine Herrschaft gegen Rußland ausdehnen, so macht er Frieden mit den Deutschen, und hat er dann erreicht, was er sich vorgenommen, so geht er wieder auf die Deutschen los. Diese wissen sich weder ihm gegenüber noch den unglückseligen Samogitiern gegenüber zu helfen. Einmal entreißt er ihnen dies Gebiet, dann giebt er es ihnen wieder zurück, – und er giebt es ihnen nicht nur zurück, sondern er hilft ihnen sogar, wenn es gilt, die Bewohner niederzuhalten. Es giebt Leute unter uns, sogar in Litauen, die es ihm verargen, daß er derart mit dem Leben dieser unglücklichen Menschen spielt. Und offen gesprochen, würde ich es ihm auch zur Schande anrechnen, wenn er nicht Witold wäre; denn ich denke zuweilen, er ist weiser als ich und weiß, was er thut! In der That hörte ich von Skirwoillo selbst, durch dieses Land habe Witold dem Orden ein ewig um sich fressendes Geschwür ins Fleisch gesetzt, so daß dieser niemals mehr gesunden könne. Die Mütter in Samogitien werden aber immer wieder Kinder zur Welt bringen, und es ist nicht schade um vergossenes Blut, wenn es nicht umsonst geflossen ist.«

»Für mich handelt es sich nur darum, ob Zbyszko zurückkehrt.«

»Wenn es des Herrn Wille ist, so kehrt er zurück. Gott gebe nur, Mädchen, daß Du zu einer glücklichen Stunde gesprochen hast.«

Indessen gingen wieder einige Monate dahin. Die Kunde kam, daß der Frieden in der That zustande gekommen war, die schweren Aehren des Getreides wurden gelb, die mit Buchweizen besäten Felder färbten sich rötlich, aber von Zbyszko hörte man nichts.

Schließlich, als die nötigste Arbeit gethan war, konnte Macko diese Ungewißheit nicht länger ertragen, er erklärte, er werde nach Spychow aufbrechen, um dort, wo er sich näher bei Litauen befinde, Nachricht einzuholen und zugleich auch zu sehen, wie der Böhme wirtschafte.

Jagienka bestand darauf, ihn zu begleiten und weil er ihrem Wunsche nicht willfahren wollte, entspann sich ein heftiger Zwist zwischen ihnen, welcher eine ganze Woche hindurch währte. Da, als sie eines Abends in Zgorzelic wieder deshalb miteinander stritten, stürmte wie ein Wirbelwind ein Bursche aus Bogdaniec, barfuß, auf ungesatteltem Pferde, ohne Mütze auf der blonden Mähne in den Hof und schrie den in der Vorhalle Sitzenden schon von weitem zu: »Der junge Herr ist zurückgekommen!«

Zbyszko war in der That zurückgekehrt, aber seltsam, nicht nur abgemagert, elend und ermattet durch die Mühseligkeiten seiner Fahrt, sondern auch gleichgültig und wortkarg. Der Böhme, welcher samt seinem Weibe mit ihm gekommen war, sprach für ihn und für sich selbst. Er sagte, die Unternehmung des jungen Ritters sei offenbar von Erfolg gekrönt gewesen, denn in Spychow habe er auf den Sarg Danusias und aus den Sarg ihrer Mutter ganze Büschel Pfauen- und Straußfedern, die Helmzier seiner Feinde, niedergelegt. Zbyszko hatte auch erbeutete Pferde und Rüstungen mitgebracht, von denen zwei von ungewöhnlichem Werte waren, obgleich sie durch die Hiebe von Schwertern und Streitäxten furchtbar gelitten hatten. Macko brannte vor Neugierde, alles genau aus dem Munde seines Bruderssohnes zu hören, doch dieser machte eine abwehrende Handbewegung und antwortete nur einsilbig. Am dritten Tage erkrankte er und konnte sein Lager nicht verlassen. Es zeigte sich, daß seine linke Seite verletzt war und er zwei Rippen gebrochen hatte, welche, schlecht eingerichtet, ihm beim Gehen und Atmen hinderlich waren. Die Wunden, welche er seiner Zeit im Kampfe mit dem Auerochsen davongetragen hatte, machten sich auch wieder fühlbar, und die Fahrt von Spychow nach Bogdaniec hatte seine Kraft vollständig erschöpft. All dies war zwar an sich nicht gefährlich, denn Zbyszko war ja jung und so stark wie ein Eichbaum, aber mit eins überkam ihn eine unendliche Erschöpfung, wie wenn alle Beschwerden, die er ertragen, nun plötzlich an seinem Marke zehrten. Anfangs glaubte Macko, nach zwei oder drei Tagen vollständiger Ruhe werde alles vorüber sein, aber gerade das Gegenteil stellte sich heraus. Nichts half, weder eine Salbe, noch die vom Schäfer empfohlene Beräucherung mit Kräutern, noch die durch Jagienka und den Priester aus Krzesnia übersandten Heiltränke, Zbyszko ward immer schwächer, immer matter und – immer trauriger.

»Was ist Dir? Wünschest Du vielleicht etwas?« fragte ihn der alte Ritter.

»Ich habe keinen Wunsch – alles gilt mir gleich,« entgegnete Zbyszko.

In dieser Weise ging ein Tag nach dem andern hin. Da verfiel Jagienka auf den Gedanken, daß das Leiden vielleicht kein gewöhnliches sei, daß der junge Ritter vielleicht irgend ein Geheimnis habe, das ihn bedrücke, und daher drang sie in Macko, er möge nochmals zu erforschen suchen, was es sein könne.

Ohne Schwanken erklärte sich Macko bereit dazu, doch nach einigem Ueberlegen bemerkte er: »Ei, würde er es Dir nicht lieber sagen als mir? Denn er hat Dich ja gerne, und das habe ich auch gesehen, daß er Dich immer mit den Augen verfolgt, wenn Du durch die Stube gehst.«

»Das habt Ihr gesehen?« fragte Jagienka.

»Wenn ich sage, daß er Dich mit den Augen verfolgt, so verfolgt er Dich mit den Augen. Und kommst Du lange Zeit nicht hierher, dann schaut er immer und immer wieder nach der Thüre. Frage Du ihn!«

Und dabei hatte es sein Bewenden. Indessen zeigte es sich, daß Jagienka nicht wußte, was sie fragen solle, und auch nicht den Mut fand zu fragen. So oft es dazu kommen sollte, sagte sie sich, sie müsse von Danusia und von Zbyszkos Liebe für die Dahingeschiedene sprechen, dies aber vermochte sie nicht über die Lippen zu bringen.

»Ihr seid klüger als ich,« sagte sie zu Macko, »Ihr habt mehr Verstand und Erfahrung, redet Ihr mit ihm, ich vermag es nicht.«

Demnach mußte sich Macko der Aufgabe unterziehen, ob er es nun gern oder ungern that, und eines Morgens, da Zbyszko etwas munterer zu sein schien als gewöhnlich, hub er also mit ihm zu sprechen an: »Hlawa erzählte mir, daß Du ein ganzes Bündel Pfauenbüsche in dem Grabgewölbe zu Spychow niedergelegt hast.«

Ohne den Blick von der Stubendecke abzuwenden, auf die er schaute, nickte Zbyszko nur bejahend mit dem Kopfe.

»Nun, der Herr Jesus gewährte Dir Glück, denn in Kriegszeiten ist es leichter, Troßknechte zu finden als Ritter. Knechte kannst Du erschlagen so viele Du willst, aber nach Rittern muß man zuweilen gut Umschau halten. Haben sie sich Dir denn ohne weiteres gestellt?«

»Etliche habe ich mehrmals zum Kampfe auf festgetretener Erde gefordert und einmal umringten sie mich in der Schlacht,« entgegnete der Kranke in lässigem Tone.

»Beute hast Du genug mitgebracht.«

»Zum Teil erhielt ich sie von Knäs Witold zum Geschenk.«

»Ist er immer noch so freigebig?«

Zbyszko nickte wieder mit dem Kopfe, da er offenbar keine Neigung fühlte, das Gespräch fortzusetzen.

Aber Macko ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen und beschloß nun, zur Sache überzugehen.

»Sage mir offen,« begann er, »nachdem Du die Pfauenbüsche auf jene Särge niedergelegt hattest, mußt Du Dich doch unendlich erleichtert gefühlt haben? Jeder Mensch ist froh, wenn er sein Gelübde erfüllt hat. Bist Du froh gewesen? Nun?«

Zbyszko wendete den trüben Blick von der Decke ab, richtete ihn auf Macko und antwortete gleichsam mit einer gewissen Verwunderung: »Nein!«

»Nicht? Heiliger Gott! Ich glaubte, wenn Du jenen Seelen im Himmel Genüge gethan, würden Deine Kümmernisse zu Ende sein.«

Der Leidende schloß eine Weile die Augen, als ob er über etwas nachsinne, und schließlich sagte er: »Den erlösten Seelen verlangt es offenbar nicht nach dem Blute der Menschen.«

Ein kurzes Schweigen folgte.

»Weshalb zogst Du aber in den Krieg?« fragte Macko.

»Weshalb?« rief Zbyszko lebhaft aus, »weil ich selbst dachte, daß es mir Erleichterung bringe. Weil ich selbst dachte, daß es Danuska und mich befriedigen werde. Aber als ich das Grabgewölbe verließ, wo die Särge stehen, faßte mich Staunen, denn ich fühlte mich noch ebenso bedrückt wie zuvor. Daher ist es ganz klar, daß den erlösten Seelen nicht nach Menschenblut verlangt.«

»Das muß Dir jemand gesagt haben, Du selbst bist nicht auf den Gedanken gekommen.«

»Ich selbst habe es daraus entnommen, daß mir die Welt nicht heiterer erschien als zuvor. Und Pater Kaleb bestärkte mich in meiner Meinung.«

»Einen Feind im Kriege zu töten, ist keine Sünde, ja, es ist sogar lobenswert, und Deine Widersacher sind Feinde unseres Geschlechtes gewesen.«

»Auch ich betrachte es nicht als Sünde und beklage jene Deutschen nicht.«

»Dann härmst Du Dich also immer noch um Danusia?«

»Wahrlich, wenn ich ihrer gedenke, dann wird mir weh ums Herz. Aber das ist der Wille Gottes! Ihr ist wohl in den himmlischen Gefilden, und ich habe mich jetzt in alles gefunden.«

»Weshalb schüttelst Du diese Schwermut nicht ab? Was ist’s, das Dir not thut?«

»Ich weiß es nicht, aber …«

»An Ruhe fehlt es Dir wahrlich nicht und Du wirst nun bald gesunden. Gehe ins Bad, erfrische Dich, trinke einen Krug Meth, damit Du in Schweiß kommst, das wird Dir gut thun.«

»Nun, und was dann?«

»Und sofort wird Deine Heiterkeit zurückkehren.«

»Wie wäre dies möglich? Ich bin nicht heiter, und die frühere Heiterkeit in mir zu erwecken, das vermag niemand.«

»Du verbirgst mir etwas!«

Zbyszko zuckte die Achseln.

»Ich kenne keine Heiterkeit, doch habe ich auch nichts zu verbergen.«

Und er sprach so offenherzig, daß Macko wieder von seinem Argwohn abkam, er strich mit der breiten Hand seine grauen Haare glatt, wie er häufig zu thun Pflegte, wenn er angestrengt über etwas nachdachte, und bemerkte schließlich: »Ich will Dir sagen, was Dir fehlt. Die Vergangenheit ist abgethan für Dich, über die Zukunft aber bist Du Dir noch nicht im Klaren, verstehst Du mich?«

»Ein wenig, aber nicht ganz,« antwortete der Kranke. Und er streckte und dehnte seine Glieder wie ein Mensch, den der Schlaf überwältigt.

Macko indessen war überzeugt, daß er die wahre Ursache erraten hatte, und er freute sich ungemein darüber; denn nun fühlte er sich vollständig beruhigt. Sein Vertrauen auf die eigene Klugheit wuchs und er dachte bei sich: »Es ist kein Wunder, daß die Leute mich so häufig zu Rate ziehen.«

Als nach dieser Unterredung, am Abend desselben Tages, Jagienka in den Hof einritt, verkündete er ihr, bevor sie noch vom Pferde steigen konnte, daß er wisse, was Zbyszko fehle.

Da glitt die Maid rasch vom Sattel herab und fragte hastig: »Nun was ist’s? Sprecht!«

»Du allein besitzest das richtige Heilmittel für ihn.«

»Ich? Was meint Ihr?«

Er legte den Arm um sie und flüsterte ihr etwas in das Ohr, doch sie lies sofort wieder von ihm weg, und ihr Antlitz zwischen der Pferdedecke und dem hohen Sattel verbergend, rief sie aus: »Geht, ich mag Euch nicht leiden!«

»So gewiß ich Gott liebe, spreche ich die Wahrheit!« entgegnete Macko lachend.

Viertes Kapitel.

Der alte Macko war der Wahrheit ziemlich nahe gekommen. Zbyszko hatte in der That mit der Vergangenheit abgeschlossen. So oft der junge Ritter Danusias gedachte, fühlte er tiefes Leid um sie, gleichwohl sagte er sich, es sei besser für sie, in himmlischen Gefilden zu wandeln, als am Hofe des Fürsten Janusz zu weilen. Er hatte sich schon in den Gedanken eingelebt, daß sie der Erde entrückt war, er hatte sich damit vertraut gemacht und meinte, es könne nicht anders sein. Einst in Krakau hatte er auf den in Blei gefaßten Kirchenfenstern die farbenreichen, in der Sonne schimmernden Abbildungen der heiligen Jungfrau angestaunt, und jetzt stellte er sich Danusia geradeso vor. Er sah ihr schönes, verklärtes Antlitz, das ein wenig zur Seite gewendet war, ihre gefalteten Händchen, die gen Himmel gerichteten Augen, er sah dann auch, wie sie unter den himmlischen Heerscharen, welche zu Ehren der Mutter Gottes und des Kindes musizieren, in die Saiten der Laute griff. Nichts Irdisches haftete ihr jetzt mehr an, zu einem reinen, körperlosen Wesen war sie ihm geworden, und so oft er daran dachte, wie sie Hoffräulein gewesen, wie sie im Jagdschlosse geplaudert und gelacht hatte, wenn sie mit andern bei Tische saß, überkam ihn eine gewisse Verwunderung, daß dies möglich gewesen war. Schon während des Kriegszuges unter Witold, da sein ganzes Sinnen und Trachten auf Kampf und Schlacht gerichtet war, hatte er der Verstorbenen nicht mehr gedacht wie ein Gatte, der sich nach der Gattin sehnt, sondern er hatte sie angebetet, wie ein Frommer seine Schutzheilige. Auf diese Weise ward seine Liebe mehr und mehr zu einer süßen, himmlisch reinen Erinnerung, ja, schließlich verwandelte sie sich geradezu in andächtige Verehrung.

Wäre er ein Mensch von schwächerem Körperbau und größerer Denkkraft gewesen, so wäre er wohl Mönch geworden, und in der Stille des Klosterlebens hätte er jene himmlisch reine Erinnerung in sich bewahrt bis zu dem Augenblick, da die Seele, von irdischen Banden befreit, sich in den unendlichen Raum erhebt, gleich dem aus seinem Käfig entflohenen Vogel. Aber er stand noch im Anfang der zwanziger Jahre, er konnte mit der Faust den Saft aus einem harten Aste herausdrücken, er konnte sein Roß derart mit den Schenkeln zusammenpressen, daß dem Tiere der Atem ausging. Im großen und ganzen glich er den andern Edelleuten jener Zeit. Diejenigen, welche nicht in der Kindheit starben oder Priester wurden, kannten weder Maß noch Ziel in der Bethätigung ihrer Kraft, manche unter ihnen führten sogar ein ganz zügelloses Leben, ergaben sich der Trunksucht, ließen sich Räubereien zu schulden kommen, wieder andere verheirateten sich in früher Jugend, und wurden sie in reiferem Alter zum Kriege aufgeboten, dann zogen sie mit vierundzwanzig oder auch mehr Söhnen aus, die alle an Stärke mit wilden Ebern wetteifern konnten.

Daß er den bessern Rittern glich und sich mit ihnen messen konnte, dessen war sich Zbyszko nicht bewußt, zumal er gleich nach seiner Rückkehr erkrankte. Allmählich jedoch heilten die schlecht eingerichteten Rippen wieder und nur auf der Seite blieb eine kaum bemerkbare Anschwellung zurück, die ihn jedoch in keiner Weise hinderte und die nicht allein durch den Panzer sondern auch durch gewöhnliche Kleidung vollständig verdeckt werden konnte. Die Ermattung Zbyszkos war vorüber. Seine dichten, blonden Haare, die er gegen das Ende der Trauerzeit schließlich doch noch abgeschnitten hatte, waren wieder gewachsen und fielen ihm über die Schultern herab. Er hatte die frühere ungewöhnliche Schönheit wiedererlangt. Als er vor einigen Jahren in Krakau dem Tod durch Henkershand entgegenging, sah er aus wie ein Jüngling von edlem Geschlechte, jetzt aber war er noch viel schöner geworden, war er in der That einem Königssohne zu vergleichen. Schultern, Brust, Lenden und Arme hatten etwas von dem gewaltigen Körperbau eines Riesen, sein Antlitz hingegen war dem eines Mägdleins ähnlich. Die sich in ihm regende Lebenskraft, durch die lange Ruhe noch mächtiger geworden, schäumte nun in ihm auf, sodaß es ihm wie Feuer durch die Adern lief. Er aber, der nicht wußte, was dies bedeutete, wähnte, er sei immer noch krank und verließ sein Lager nicht, froh daß Macko und Jagienka ihn behüteten und pflegten und ihm in allem willfahrten. Zuweilen dünkte ihn, daß er glücklich, daß er wie im Himmel sei, zuweilen auch – vornehmlich wenn Jagienka sich nicht bei ihm befand – erschien ihm sein Dasein elend, trübselig, unerträglich. Dann dehnten sich seine Muskeln krampfhaft aus, eine wahre Fieberhitze ergriff ihn, und er erklärte Macko, sobald er seine Gesundheit wiedererlangt habe, ziehe er wieder in die Ferne bis an das Ende der Welt, gegen die Deutschen, die Tataren – oder gegen ein anderes barbarisches Volk – nur um dies Leben los zu werden, das schwer auf ihm laste. Anstatt mit ihm zu streiten, nickte dann Macko mit dem Kopfe und stimmte ihm bei – aber mittlerweile sandte er zu Jagienka, bei deren Ankunft stets jeder Gedanke Zbyszkos an neue kriegerische Unternehmungen schwand, wie der Schnee zerschmilzt, wenn die Frühjahrssonne ihn erwärmt.

Sie aber kam eilfertig, nicht nur der Aufforderung wegen, sondern auch aus freiem Willen, denn sie liebte Zbyszko von ganzer Seele und von ganzem Herzen. Während ihres Aufenthaltes an dem Hofe des Bischofs und des Fürsten zu Plock, hatte sie Ritter erschaut, die ebenso schön, ebenso berühmt wegen ihrer Kraft und Tapferkeit waren, und die mehr denn einmal vor ihr niederknieten, um ihr Treue bis zum letzten Atemzuge zu geloben, aber Zbyszko war ihr Auserwählter, ihn hatte sie schon in früher Jugend mit aller Inbrunst einer ersten Neigung geliebt, und durch sein unglückliches Schicksal hatte ihre Liebe in dem Maße zugenommen, daß er ihr jetzt unendlich wert und hundertmal teurer war als alle Ritter, ja als alle Fürsten der Erde. Jetzt, da er mit der zurückkehrenden Gesundheit jeden Tag schöner ward, verwandelte sich schließlich ihre Neigung in solche Leidenschaft, daß für sie die ganze Welt rings umher zu versinken schien. Sich selbst gestand sie indessen dies Gefühl nicht einmal ein, und vor Zbyszko verheimlichte sie es sorgfältig, aus Furcht, er könne sie deshalb geringschätzen. Sogar Macko gegenüber zeigte sie sich jetzt ebenso vorsichtig und schweigsam, wie sie früher vertrauensvoll gewesen war. Einzig nur die zarte Sorge, die sie bei der Pflege des Leidenden an den Tag legte, hätte sie verraten können, daher suchte sie nach einem Vorwande, der ihr häufiges Kommen erklären sollte, und eines Tages sagte sie zu Zbyszko: »Wenn ich ein wenig auf Dich acht gebe, so geschieht es nur aus Zuneigung für Macko. Du hast wohl an einen besondern Grund gedacht? Sprich!«

Und wie wenn sie vorn an der Stirne ihre Haare ordnen wolle, bedeckte sie ihr Gesicht mit der Hand und blickte ihn durch ihre Finger aufmerksam an, er aber, betroffen durch diese unerwartete Frage, antwortete erst nach einer Weile tief errötend: »Ich habe an keinen besondern Grund gedacht. Du bist jetzt eine andere geworden.«

Ein tiefes Schweigen folgte.

»Eine andere?« fragte Jagienka schließlich in leisem, weichem Tone – »Gewiß bin ich anders geworden! Aber daß Du mir jemals gleichgültig werdest, dazu kann es, bei Gott, niemals kommen!«

»Gott lohne Dir für dies Wort!« entgegnete Zbyszko.

Von nun an verkehrten sie zwar auf freundschaftlichem Fuße miteinander, doch lag in ihrem ganzen Gebaren etwas Steifes, Gezwungenes. Zuweilen kam es vor, daß sie miteinander plauderten, aber dabei an ganz andere Dinge dachten. Häufig auch verstummten beide plötzlich. Von seinem Lager aus verfolgte Zbyszko, wie Macko gesagt hatte, Jagienka fortwährend mit den Augen, wohin sie sich auch wendete, denn manchmal erschien sie ihm so wunderbar schön, daß er sie nicht genug betrachten konnte. Nicht selten trafen sich ihre Blicke plötzlich und dann überzog eine helle Glut beider Wangen, und ihre Pulse klopften, wie wenn sie erwartete, etwas zu hören, das ihr Herz erweichen und es ihm vollständig zu eigen machen müsse.

Doch Zbyszko schwieg stille, hatte er doch seine frühere Kühnheit vollständig eingebüßt; er fürchtete Jagienka durch ein unbedachtes Wort zu erschrecken, ja, er redete sich trotz allem, was er sah, ein, sie bringe ihm, und zwar nur Macko zu Gefallen, eine mehr schwesterliche Liebe entgegen.

Er erwähnte dies auch einmal seinem Ohm gegenüber. Umsonst bemühte er sich indessen, ruhig, gleichgültig zu sprechen. Ohne es sich selbst klar zu machen, geriet er in immer größere Erregung, wurde er immer bitterer in seinen Aeußerungen. Macko hörte

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Jagienka begann schließlich, die Arme erhebend, Zbyszkos goldblondes Haar zu kämmen.

anfänglich alles geduldig mit an, schließlich aber sagte er nur das eine Wort »Thor« und verließ die Stube.

Kaum befand er sich aber im Stalle, rieb er sich schmunzelnd die Hände und schlug sich vor Freude auf die Schenkel.

»Hei,« murmelte er vor sich hin, »wenn sie Dir ohne weiteres in die Arme fiele, würdest Du sie nicht anschauen. Ein wenig Angst kann Dir gar nichts schaden, denn Du bist ein Thor. Während Dir der Mund wässerig gemacht wird, baue ich die Burg. Nichts liegt mir ferner, als Dir in die Hände zu arbeiten, als Dir die Binde von den Augen zu nehmen, ob Du nun auch noch wilder um Dich schlagen magst wie alle Pferde in Bogdaniec. Um ein verlöschendes Feuer aufflammen zu machen, muß man nur Späne darauf werfen; das Feuer bei Dir anzufachen, ist aber, wie ich glaube, durchaus nicht nötig.«

Nein, Macko fachte das Feuer nicht an, im Gegenteile, er entmutigte und quälte Zbyszko in jeder Weise, gleich einem alten, schlauen Spötter, der sich an der Unerfahrenheit der Jugend ergötzt. Als daher eines Tages Zbyszko abermals seinen Entschluß kundgab, in den Krieg zu ziehen, damit er, wie er erklärte, einem ihm unerträglichen Leben entrinne, da meinte der alte Ritter: »Solange auf Deinen Lippen noch kein Flaum sproßte, erteilte ich Dir Ratschläge, nun aber – thue, was Du willst. Wenn Du, Deinem eigenen Ermessen folgend, es für ratsam hältst, von hinnen zu ziehen, so gehe nur, so gehe nur.«

Aufs höchste überrascht, richtete sich Zbyszko auf seinem Lager empor: »Was soll das heißen?« rief er. »Ihr widersetzt Euch meinem Vorhaben nicht?«

»Weshalb sollte ich mich widersetzen? Mir war es nur um unser Geschlecht zu thun, das mit Dir zu Grunde gehen könnte. Doch vielleicht habe ich jetzt ein Mittel gefunden, um dies zu vereiteln.«

»Was für ein Mittel?« fragte Zbyszko beunruhigt.

»Was für eines? Bei meiner Treu, ich habe zwar eine beträchtliche Anzahl von Jahren aus dem Rücken, das läßt sich nicht leugnen – allein es ist immer noch Kraft in meinen Knochen. Sicherlich hätte ein jüngerer als ich bei Jagienka mehr Aussicht – doch da ich ein Freund ihres Vaters war – wer weiß, ob ich nicht –«

»Wohl seid Ihr ein Freund ihres Vaters gewesen, warf jetzt Zbyszko ein, mir aber habt Ihr auch ein Wohlwollen bewiesen – ein – ein …«

Hier mußte der junge Ritter innehalten, weil seine Lippen bebten, allein Macko erklärte: »Traun! Da Du einmal entschlossen bist. Dich selbst zu Grunde zu richten, kann ich nichts dagegen thun.«

»Ei, macht, was Ihr wollt – ich aber ziehe heute schon in die weite Welt.«

»Thor!« murmelte Macko abermals vor sich hin.

Dann verließ er rasch die Stube, um nach den Knechten zu sehen, welche einen Graben rings um das Kastell ausstechen sollten und die zum Teil aus Bogdaniec selbst stammten, zum Teil ihm aber aus Zgorzelic und aus Moczydoly von Jagienka zur Hilfe gesandt worden waren.

Erstes Kapitel.

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Sie verweilten einige Zeit in Plock, um die nach dem Testamente des Abtes Jagienka zufallende Erbschaft zu ordnen, und mit den nötigen Dokumenten versehen, zogen sie weiter, ohne auf ihrem Wege oft Rast zu machen. Dieser war jetzt nicht beschwerlich und völlig gefahrlos, denn durch die Hitze waren die Moräste ausgetrocknet, die Flüsse in ihr Bett zurückgetreten, und die Landstraße führte durch eine friedliche, von gastfreundlichen Heimatsgenossen bewohnte Gegend. Von Sieradz aus sandte der vorsichtige Macko einen Knecht nach Zgorzelic, um seine und Jagienkas Ankunft zu melden. Daraufhin eilte ihnen Jasko, der Bruder Jagienkas, bis zur Hälfte des Weges entgegen und geleitete sie an der Spitze einiger bewaffneten Mannen nach Hause.

Dies Zusammentreffen erregte viel Jubel, und freudige Ausrufe der Begrüßung wurden laut. Jasko war der Schwester immer so ähnlich gewesen wie ein Tropfen Wasser dem andern, aber jetzt überragte er sie an Größe. Er war ein prächtiger Bursche, mutig, heiter wie sein Vater, von dem er die Lust an frohem Gesang ererbt hatte, und voll sprühendem Leben. Er fühlte sich älter als seine Jahre, war sich seiner Kraft wohl bewußt und meinte, er sei schon ein reifer Mann, denn er verstand es, seinen Knechten den Gebieter zu zeigen, und sie führten schleunigst jeden seiner Befehle aus, offenbar sein Ansehen und seine Macht fürchtend.

Macko und Jagienka staunten nicht wenig über ihn, während er mit großer Freude die Schönheit und das verfeinerte Wesen seiner Schwester bewunderte, die er so lange nicht mehr gesehen hatte. Er erzählte ihnen, er habe schon die Absicht gehegt, Jagienka aufzusuchen, und wenn sie etwas später angelangt wären, so hätten sie ihn nicht mehr in Zgorzelic getroffen. Denn es sei sein Wunsch, die Welt zu sehen, sich mit andern Menschen zu messen, sich die Ritterkünste zu erwerben, sowie auch da und dort Gelegenheit zum Kampfe mit fahrenden Rittern zu finden.

»Es ist gut, wenn man die Sitten und Gebräuche der Menschen kennen lernt,« antwortete Macko, »denn man erfährt dadurch, was man in jeder Lage zu sagen und zu thun hat, und die natürlichen Geistesgaben werden entwickelt. Was aber die Kämpfe anbelangt, so ist es besser, wenn ich Dir sage, daß Du noch zu jung dazu bist, als wenn irgend ein fremder Ritter es Dir sagen müßte, welcher Dich zudem unfehlbar auslachen würde.«

»Aber wenn er mich genug ausgelacht hätte, würde er jammern,« entgegnete Jasko, »oder seine Ehegemahlin und seine Kinder würden jammern.«

Und er schaute mit drohenden Blicken umher, wie wenn er allen fahrenden Rittern der Welt sagen wollte: »Bereitet Euch zum Tode!« Doch der alte Ritter aus Bogdaniec fragte: »Und Cztan und Wilk, haben sie Euch in Frieden gelassen? Ich frage deshalb, weil beide Jagienka nur zu gern sahen.«

»Ei! Wilk ist in Schlesien erschlagen worden. Dort wollte er eine deutsche Burg erstürmen und nahm sie auch ein, aber da wurde ein Holzblock von den Zinnen auf ihn herabgeschleudert und nach zwei Tagen that er den letzten Atemzug.«

»Es ist schade um ihn! Auch sein Vater zog häufig nach Schlesien gegen die Deutschen, welche unser Volk so sehr bedrücken und es ausplündern. Die schwierigste Aufgabe ist die Einnahme einer Burg, denn weder Waffen noch Rüstung, noch ritterliche Künste sind uns dabei von Nutzen. Gott gebe, daß Fürst Witold keine Burgen erobern, sondern die Kreuzritter auf offenem Felde vernichten will! Und Cztan? Was hört man von ihm?«

Jasko fing an zu lachen.

»Cztan hat sich vermählt. Er nahm die wegen ihrer Schönheit berühmte Tochter eines Großbauern aus Wysokie Brzeg zum Weibe. Hei! Nicht nur hübsch ist sie, sondern auch gewandt und rührig. Dem Cztan geht doch mancher gerne aus dem Wege, sie aber schlägt ihn auf die bärtige Schnauze und führt ihn an der Nase herum wie einen Bären an einer Kette.«

Der alte Ritter ward sehr aufgeräumt, als er dies hörte.

»Da seht einmal! Alle Weiber sind gleich. Jagienka, Du wirst einst gerade so sein! Gott sei gelobt, daß durch diese beiden Raufbolde kein Unheil angestiftet ward, denn offen gesprochen, wundert es mich, daß sie in ihrer Bosheit Bogdaniec nicht beschädigt haben.«

»Cztan wollte es auch thun, aber Wilk, welcher der Klügere von beiden war, gestattete es nicht. Er kam zu uns nach Zgorzelic und fragte: ›Was ist aus Jagienka geworden?‹ Ich sagte, eine Erbschaft von dem Abte habe sie veranlaßt, in die Ferne zu ziehen. Da fragte er: ›Weshalb hat mir Macko nichts davon gesagt?‹ Ich gab ihm die Antwort: ›Warum hätte er es Dir sagen sollen? Ist Jagienka etwa die Deine?‹ Und nachdem er eine Weile nachgedacht hat, da erwiderte er: ›Du hast recht, sie ist nicht die Meine!‹ Und da er einen scharfen Verstand hatte, begriff er selbstverständlich, daß er Euch und uns für sich gewinnen würde, wenn er Bogdaniec Cztan gegenüber verteidigte. So kämpften sie denn mit einander, zerfleischten sich gegenseitig und tranken sich dann voll, wie dies ihre Gewohnheit war.«

»Gott sei Wilks Seele gnädig!« sagte Macko.

Und er atmete tief auf, froh darüber, daß ihm in Bogdaniec kein anderer Schaden erwachsen war, als der, den seine lange Abwesenheit veranlaßt hatte.

In der That war kein Anlaß zur Unzufriedenheit vorhanden, im Gegenteil, der Viehstand hatte sich vergrößert, mit der kleinen Stutenherde liefen schon mehrere zweijährige Fohlen, von denen einige, ungewöhnlich große und starke, die Abkömmlinge der friesischen Hengste waren. Der einzige Verlust bestand darin, daß einige der Kriegsgefangenen entflohen waren. Doch nicht viele hatten dies Wagnis unternommen, denn sie konnten sich nur nach Schlesien wenden und dort wurden die Gefangenen von den Deutschen und von den sich zu den Deutschen zählenden Raubrittern schlimmer behandelt, als von den polnischen Edelleuten. Aber das ungeheure, alte Gebäude sah noch baufälliger aus als früher, der Mörtel war abgefallen, die Wände und die Decken waren geborsten und die vor zweihundert oder auch mehr Jahren zusammengefügten Balken aus Lärchenholz waren morsch geworden. In all die einst von den zahlreichen Sippen aus Bogdaniec bewohnten Stuben war während der langen Regengüsse im Sommer das Wasser eingedrungen, das Dach hatte Löcher bekommen und war mit Büscheln aus grünem und rostbraunem Moose bedeckt. Das ganze Haus hatte sich gesenkt und sah aus wie ein umfangreicher, geschwärzter Pilz.

»Mit ein wenig Sorgfalt könnte es erhalten werden, denn der Verfall ist noch nicht allzuweit vorgeschritten,« sagte Macko zu dem alten Bauernvogt Kondrat, welcher während der Abwesenheit seiner Gebieter das Gut verwaltet hatte.

Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Ich für meinen Teil würde gern bis zu meinem Tode hier wohnen, aber Zbyszko muß ein Kastell haben!«

»Um Gottes willen! Ein Kastell?«

»Ei, und warum denn nicht?«

Es war der Lieblingsgedanke des alten Ritters, für Zbyszko und dessen Nachkommen ein Kastell zu erbauen. Er wußte, daß ein Edelmann, welcher nicht auf einem gewöhnlichen Hofe, sondern hinter einem Graben und Palissaden wohnte, ein Edelmann, der sich des Besitzes einer Warte rühmen durfte, von der ein Wächter in die Runde schauen konnte, bei den Nachbarn ein gewisses Ansehen genoß, und daß er in allem leichteres Spiel hatte. Für sich verlangte Macko nicht viel, aber für Zbyszko und dessen Sprößlinge erschien ihm alles zu gering, umsomehr als sich ihre Habe in der letzten Zeit so beträchtlich vergrößert hatte.

»Mag er nun Jagienka nehmen,« dachte er. »Mit ihr erhält er Moczydoly, sowie das ihr vom Abte zugefallene Erbe, und dann wird im ganzen Umkreis niemand uns gleich kommen Gott gebe dies!«

Aber alles hing davon ab, ob Zbyszko zurückkehrte, dies war jedoch unsicher und hing wiederum von der Barmherzigkeit Gottes ab. Daher sagte sich Macko, daß es für ihn nötig sei, sich jetzt in Gunst bei dem Herrgott zu setzen, daß er dessen Zorn nicht auf sich laden dürfe, sondern alles thun müsse, um dessen Gnade zu gewinnen. Von diesem Gedanken erfüllt, ließ er es in der Kirche von Krzesnia weder an Wachs, noch an Getreide, noch an Wildbret fehlen, und eines Abends in Zgorzelic angelangt, sagte er zu Jagienka: »Nach Krakau wallfahre ich morgen, an das Grab unserer Königin, der heiligen Jadwiga.«

Voll Schrecken sprang Jagienka von der Bank empor.

»So habt Ihr schlimme Botschaft erhalten?«

»Keinerlei Botschaft ist mir zugekommen, und es wäre auch nicht möglich. Aber Du wirst Dich erinnern, daß ich zu jener Zeit, als ich mit dem Splitter in der Seite krank darnieder lag – Du weißt doch – und als Du dann mit Zbyszko auf die Biberjagd gingst, gelobte, ich wolle zu ihrem Grabe wallfahren, wenn Gott mich gesunden lasse. Damals wurde mein Vorhaben von allen gepriesen. Und wahrlich! Unser Herrgott hat genug heilige Diener da oben, aber nicht jeder Heilige hat ein solches Ansehen wie unsere gnädige Herrin, die ich nicht beleidigen möchte, besonders weil es sich um Zbyszko handelt.«

»Ihr habt recht! Bei meinem Leben!« erwiderte Jagienka. »Aber Ihr seid doch jetzt erst von einer beschwerlichen Fahrt zurückgekehrt.«

»Was will das bedeuten! Ich wünsche alles sofort zu Ende zu bringen und dann ruhig zu Hause zu bleiben, bis Zbyszko zurückkehrt. Möge unsre Königin Fürbitte bei dem Herrn Jesus für ihn einlegen, dann können auch zehn Deutsche bei seiner guten Rüstung ihm nichts anhaben. Nach dieser Wallfahrt kann ich mit größerer Zuversicht den Bau des Kastells unternehmen.«

»Zumal Ihr noch so starke Knochen habt.«

»Gewiß, ich fühle mich recht kräftig. Doch will ich Dir noch etwas anderes sagen. Mag Jasko, den es in die Ferne zieht, mit mir gehen. Ich bin ein erfahrener Mann und wohl im stande, ihn im Zaum zu halten. Und wenn wir irgend ein Abenteuer zu bestehen hätten – denn dem Bürschlein zucken ja schon die Finger – so schadet es nichts. Du weißt ja, daß es mir nichts Neues ist, zu Fuß oder zu Roß, mit dem Schwerte oder mit der Streitaxt zu kämpfen.«

»Ich weiß! Niemand könnte ihn besser behüten als Ihr!«

»Aber ich glaube, es wird nicht zum Kampfe kommen, denn so lange die Königin lebte, wimmelte es in Krakau von fremden Rittern, die ihre Augen an der Schönheit der Herrin weiden wollten, aber jetzt ziehen sie vor, nach Marienburg zu gehen, weil die Tonnen dort fast von Malvasier bersten.«

»Ei, wir haben ja eine neue Königin.«

Macko schnitt eine Grimasse und machte eine Bewegung mit der Hand.

»Ich habe sie gesehen! – Mehr sage ich nicht – verstehst Du?«

Nach einer Weile fügte er hinzu: »Nach drei oder vier Wochen werden wir zurückkehren.«

In der That führte der alte Ritter aus, was er sich vorgenommen hatte. Er ließ Jasko bei seiner Ritterehre und bei dem Haupte des heiligen Georg schwören, daß er nicht auf seinem Vorhaben, eine längere Fahrt zu unternehmen, beharren werde, und sie brachen auf.

Ohne Unfall langten sie in Krakau an, denn es herrschte Frieden in dieser Gegend. Nachdem Macko seinem Gelübde Genüge gethan hatte, gelang es ihnen, durch Powala aus Taczew und den jungen Knäs Jamont Zutritt an dem königlichen Hof zu erlangen. Macko war der Meinung gewesen, daß er von den Hofherren und hohen Würdenträgern eifrig nach den Kreuzrittern ausgeforscht werde, da er Gelegenheit gehabt hatte, sie kennen zu lernen und in der Nähe zu beobachten. Aber nach einer Unterredung mit dem Kanzler und mit dem Krakauer Schwertträger kam er voll Staunen zu der Ueberzeugung, daß sie nicht weniger, sondern mehr als er von den Kreuzrittern wußten. Sie wußten alles, selbst die geringfügigsten Dinge, welche sowohl in Marienburg als auch in andern, und sogar in den entferntesten Burgen vorgingen. Sie wußten, welche Heeresabteilungen sich dort befanden, wie groß die Zahl der Krieger und die Zahl der Geschützstücke, welche Zeit vonnöten war, um ein Kriegsheer zusammenzuziehen, und welche Pläne die Kreuzritter für den Kriegsfall hatten. Sie wußten sogar von jedem Komtur, ob er jähzornig und leidenschaftlich oder bedächtig war, und sie hatten all diese Thatsachen so sorgfältig verzeichnet, wie wenn der Ausbruch des Krieges am folgenden Tage bevorstünde.

Der alte Ritter freute sich im Innern nicht wenig darüber, denn er erkannte, daß man sich in Krakau mit weit mehr Ueberlegung, Umsicht und Thatkraft zum Kriege rüstete als in Marienburg. »Unser Herr Jesu hat uns mindestens ebensoviel oder auch noch mehr Tapferkeit verliehen,« sagte sich Macko, »gewiß aber mehr Verstand und größere Erfahrung.« Und so war es in der That zu jener Zeit. Er erfuhr auch bald, woher jene Nachrichten gekommen waren; die Einwohner von Preußen selbst, Leute aus allen Ständen, Deutsche sowohl wie auch Polen, hatten Kunde gebracht. Dem Orden war es gelungen, einen solchen Haß gegen sich zu erwecken, daß alle im preußischen Lande auf das Eintreffen der Kriegsheere Jagiellos wie auf ihre Erlösung harrten. Macko gedachte jetzt der Worte, die Zindram aus Maszkowice seiner Zeit in Marienburg ihm gegenüber geäußert hatte und sagte sich im Geiste: »Das ist ein Kopf! Eine Welt von Weisheit birgt sich darin.«

Und er rief sich jedes seiner Worte ins Gedächtnis zurück, ja, einmal als der junge Jasko ihn über die Kreuzritter ausforschte, führte er sogar Zindrams weise Rede an, indem er bemerkte: »Stark sind sie, diese Schufte, aber was denkst Du denn? Wird nicht jeder Ritter, sogar der stärkste, aus dem Sattel fliegen, wenn man Sattelgurt und Steigbügel unter ihm zerschneidet?«

»Er wird aus dem Sattel fliegen, so wahr ich hier stehe!« antwortete der Jüngling.

»Ha! Siehst Du?« rief Macko mit einer wahren Donnerstimme. »Zu dieser Einsicht wollte ich Dich bringen.«

»Weshalb?«

»Weil der Orden solch ein Ritter ist.«

Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Aus dem Munde des ersten besten wirst Du dies nicht hören, dessen kannst Du gewiß sein.«

Und als Jasko noch nicht begriff, um was es sich handelte, begann er ihm die Sache zu erklären, vergaß jedoch hinzuzufügen, daß nicht er selbst diesen Vergleich gemacht hatte, sondern daß er Wort für Wort dem klugen Kopfe Zindrams aus Maszkowice entsprungen war.

Zweites Kapitel.

In Krakau verweilten sie nicht lange, und ohne die Bitten Jaskos, welcher sich Stadt und Leute anschauen wollte, da ihm alles wie ein wunderbarer Traum erschien, wären sie noch rascher wieder aufgebrochen. Aber der alte Ritter beeilte sich so sehr, noch zur Erntezeit an seinen häuslichen Herd zurückzukommen, und selbst die inständigsten Bitten halfen so wenig, daß am Tage Mariä Himmelfahrt der eine schon in Bogdaniec, der andere in Zgorzelic angelangt war.

Von dieser Zeit an begann für sie ein ziemlich einförmiges Leben, das ganz von der Feldarbeit und von den gewöhnlichen ländlichen Beschäftigungen ausgefüllt war. In dem niedrig gelegenen Zgorzelic, vornehmlich aber in Moczydoly, Jagienkas Gute, fiel die Ernte vortrefflich aus, in Boganiec hingegen war die Frucht infolge des trockenen Jahres nur spärlich geraten, und es bedurfte keiner großen Mühe, um sie einzusammeln. Im allgemeinen befand sich wenig bestelltes Land dort, denn das Gut war reich an Waldungen, und infolge der langen Abwesenheit der Gebieter lag sogar auch der Boden, den der Abt durch Ausroden hatte urbar machen lassen, wegen Mangel an Arbeitskräften brach. Obwohl nun der alte Ritter einen solchen Verlust sonst kaum verschmerzte, nahm er sich dies nicht allzusehr zu Herzen, weil er sich sagte, daß es ihm leicht fallen werde, durch Geld alles in Ordnung und in das richtige Geleise zu bringen – wenn er nur wußte, für wen er arbeitete und sich abmühte. Aber gerade durch diesen Zweifel konnte keine Freude an seinem Werke aufkommen. Zwar ließ er seine Hände nicht müßig ruhen, er erhob sich vor Tagesanbruch, ritt hinaus zu den Herden, beaufsichtigte die Arbeit in Wald und Feld, ja er wählte sogar schon einen Platz für das Kastell und suchte das Bauholz aus, doch wenn nach einem heißen Tage die Sonne versank und mit einem goldenen und rötlichen Schimmer den Abendhimmel färbte, da ergriff ihn zuweilen eine so unendliche Sehnsucht und ein Angstgefühl, wie er es bisher noch nie empfunden hatte. »Ich gönne mir keine Ruhe und plage mich hier,« sagte er sich, »während mein armer Zbyszko vielleicht von einem Speere durchbohrt irgendwo auf freiem Felde liegt, und die Wölfe ihm den Totengesang heulen.« Bei diesem Gedanken zog sich ihm das Herz krampfhaft zusammen. Dann lauschte er aufmerksam, ob sich wohl der Hufschlag von Pferden vernehmen lasse, wodurch Jagienkas Ankunft sich täglich kundgab, denn trotzdem er ihr gegenüber stets behauptete, daß er voll Hoffnung sei, schöpfte er doch durch sie erst frischen Mut, und sein gebeugter Geist richtete sich bei ihrem Anblick von neuem auf.

Und sie kam Tag für Tag, gewöhnlich gegen Abend, die Armbrust und den Speer am Sattel, um sich gegen einen Ueberfall bei der Rückkehr zu schützen. Es war zwar durchaus nicht anzunehmen, daß sie Zbyszko schon in Bogdaniec treffen werde, da Macko ihr gegenüber niemals seine Ueberzeugung verhehlte, man dürfe ihn nicht vor einem Jahre erwarten – aber offenbar nährte die Maid diese Hoffnung in sich, denn sie erschien nicht wie in den alten Zeiten in einer nur losen gegürteten Kleidung, den Schafpelz über die Schultern geworfen und mit Blättern in den wirren Haaren, sondern mit schön geflochtenen Zöpfen und in einem eng anliegenden, farbigen Tuchgewande aus Sieradz. Macko eilte ihr entgegen und ihre erste Frage lautete immer, gerade als ob es ihr von jemand eingeprägt worden wäre: »Wie ist es?« Und seine Antwort lautete: »Noch ist keine Kunde gekommen!« Hierauf führte er sie in die Stube und beim Herdfeuer plauderten sie von Zbyszko, von Litauen, von den Kreuzrittern und vom Kriege – immer wieder von neuem beginnend, fortwährend von denselben Dingen – und keines der beiden wurde dieses Gespräches jemals müde, im Gegenteil, sie konnten sich nie genug daran thun.

So blieb es viele Monate hindurch. Zuweilen ritt Macko nach Zgorzelic, aber häufiger geschah es, daß Jagienka nach Bogdaniec kam. Manchmal, wenn es in der Umgegend nicht sicher war, geleitete Macko die Maid nach Hause. Gut bewaffnet, hegte der Ritter keine Furcht vor wilden Tieren, denn er war ihnen gefährlicher als sie ihm. Dann ritt er dicht neben Jagienka her und aus dem Innern des Waldes erscholl gar häufig dumpfes, drohendes Gebrüll, sie aber, alles vergessend, was um sie vorging, sprachen nur von Zbyszko. Wo er wohl sein mochte? Was er wohl that? Ob er schon so viele Kreuzritter erschlagen hatte oder noch erschlagen werde, wie er Danusia und deren Mutter gelobt hatte? Ob seine Rückkehr nun bald bevorstehe? Dabei richtete Jagienka Fragen an Macko, die sie schon unzähligemale an ihn gerichtet hatte, und er beantwortete sie mit derselben ernsten Bedächtigkeit, wie wenn er sie zum erstenmale höre.

»Ihr meint also,« erkundigte sie sich, »daß der Kampf auf dem Schlachtfelde minder gefährlich für einen Ritter sei, als die Erstürmung einer Burg?«

»Du hörtest doch, was Wilk widerfahren ist? Vor einem Holzblock, der von einem Walle herabgeschleudert wird, vermag keine Rüstung zu schützen, im Felde hingegen muß sich ein in der Kriegskunst erfahrener Ritter selbst dann nicht ergeben, wenn auch zehn Feinde ihm gegenüberstehen.«

»Und Zbyszko? Besitzt er eine gute Rüstung?«

»Er besitzt einige gute Rüstungen, und die beste ist die von den Friesen erbeutete, denn sie ist in Mailand geschmiedet worden. Erst war sie ihm noch ein wenig zu weit, doch jetzt ist sie wie für ihn gemacht.«

»Und an einer solchen Rüstung prallt doch jede Waffe ab? Glaubt Ihr nicht?«

»Was Menschenhand geschaffen hat, kann durch Menschenhand auch zerstört werden. Gegen die mailändische Rüstung kämpft man mit dem mailändischen Schwert, und die Engländer schießen ihre Pfeile dagegen ab.«

»Die Engländer schießen ihre Pfeile dagegen ab?« fragte Jagienka voll Bestürzung.

»Habe ich Dir noch nicht von ihnen gesprochen? Bessere Bogenschützen als sie giebt es nicht auf der ganzen Welt, die Bewohner der masovischen Wälder ausgenommen. Aber die Masuren haben nicht so treffliche Bogen wie die Engländer. Ein englischer Pfeil durchbohrt auf hundert Schritte die beste Rüstung. Bei Wilna habe ich dies mitangesehen. Und kein Engländer verfehlt sein Ziel, und es giebt manche unter ihnen, welche einen Habicht im Fluge treffen.«

»O diese Söhne der Hölle! Wie habt Ihr Euch ihnen gegenüber zu helfen gewußt?«

»Es giebt kein anderes Mittel, als sich sofort auf sie zu stürzen. Die Hellebarden wissen sie auch gut zu gebrauchen, diese Hundeseelen, aber im Handgemenge können es die Unsrigen wohl mit ihnen aufnehmen.«

»Die Hand Gottes hat Euch bisher beschützt, und sie wird nun auch Zbyszko beschützen.«

»Gar oft bete ich jetzt in dieser Weise: ›Lieber Gott, Du hast uns erschaffen und in Bogdaniec seßhaft gemacht, daher behüte uns hinfür, auf daß wir nicht zu Grunde gehen!‹ Fürwahr ist es Gottes Sache, uns zu behüten. Die Wahrheit zu sagen, ist es freilich keine kleine Mühe, auf die ganze Welt acht zu geben und nichts zu vergessen, zuvörderst muß sich deshalb der Mensch bei Gott in Erinnerung bringen, indem er der heiligen Kirche gegenüber nicht knausert, zweitens aber sind Gottes Gedanken nicht unsre Gedanken.«

So plauderten sie häufig miteinander, sich gegenseitig Mut und Trost zusprechend. Tage, Wochen, Monate verstrichen mittlerweile. Im Herbst bekam Macko einen Zwist mit dem alten Wilk aus Brzozowa. In früherer Zeit schon hatten sich Grenzstreitigkeiten zwischen dem Abte und dem alten Wilk sowie dessen Sohn wegen eines jungen Waldes erhoben, den der Abt, als ihm Bogdaniec verpfändet worden war, in Besitz nahm und ausroden ließ. Damals hatte er seine beiden Widersacher sogar zum Kampfe mit der Lanze oder mit dem langen Schwerte gefordert, sie indessen wollten sich einem Geistlichen nicht stellen und bei dem Gerichte konnten sie nichts erreichen. Nunmehr forderte der alte Wilk jenes Grundstück zurück, Macko aber, welcher auf nichts in der Welt so viel Wert legte wie auf Ländereien und von dem Gedanken geleitet wurde, daß Gerste vortrefflich auf dem Neuacker gedeihen werde, wollte nichts von einer Verzichtleistung hören. Sie würden sich unfehlbar an das Burggericht gewendet haben, wären sie nicht zufälligerweise bei dem Probste in Krzesnia zusammengetroffen. Als dort der alte Wilk plötzlich nach einem heftigen Streite sagte: »Nicht auf die Menschen, wohl aber auf Gott setze ich mein Vertrauen, und er wird Rache an Eurem Geschlechte nehmen für das mir zugefügte Unrecht!« Da ward der ergrimmte Macko sofort weich, er erbleichte, schwieg zuerst eine Weile und sagte dann zu dem zanksüchtigen Nachbarn: »Hört, ich bin es nicht gewesen, der schuld an diesem Zerwürfnis ist, sondern der Abt. Gott weiß, auf wessen Seite das Recht ist; doch wenn Ihr Zbyszko deshalb verfluchen wollt, dann nehmt lieber den Acker, und so wahr ich für meinen Bruderssohn Gesundheit und Glück von Gott herabflehe, so wahr trete ich Euch das Grundstück von Herzen gern ab.«

Und er streckte die Hand gegen Wilk aus. Dieser, welcher ihn seit langer Zeit kannte, war nicht wenig erstaunt, denn er hatte keine Ahnung davon, wie viel Liebe das scheinbar so harte Herz Mackos für den Bruderssohn barg, und wie er sich um dessen Schicksal sorgte. Eine Weile vermochte Wilk kein Wort hervorzubringen, und erst als der über diese Wendung der Dinge erfreute Probst von Krzesnia das Zeichen des Kreuzes über sie machte, antwortete er:

»Wenn die Sache sich so verhält, dann ist es etwas anderes! Nicht am Gewinn ist mir etwas gelegen – denn ich bin alt und habe niemand, dem ich meine Habe hinterlassen könnte – doch mein Recht wollte ich durchsetzen. Dem, der mir mit Güte entgegenkommt, überlasse ich auch gerne etwas von meinem Eigentum. Und Euern Bruderssohn möge Gott segnen – so daß Ihr ihn in Euern alten Tagen nicht beweinen müßt, wie ich meinen einzigen Sohn beweine! …«

Sie fielen einander in die Arme, und dann stritten sie sich lange darüber, wer das ausgerodete Stück Erde nehmen solle. Macko ließ sich indessen schließlich überreden – zumal Wilk allein auf der Welt stand und tatsächlich niemand hatte, dem er sein Gut hinterlassen konnte.

Hierauf lud Macko seinen Nachbar nach Bogdaniec ein, wo er ihn reichlich mit Speise und Trank bewirtete – denn sein Herz war von großer Freude erfüllt. Gewährte ihm doch die Hoffnung, daß Gerste auf dem Neuacker vortrefflich gedeihen werde und zugleich auch der Gedanke, daß er den Fluch Gottes von Zbyszkos Haupt abgewendet habe, die größte Genugthuung.

»Wenn er zurückkehrt, wird es ihm an Ländereien und Vieh nicht fehlen,« dachte er.

Jagienka war nicht minder vergnügt über diese Vereinbarung.

»Wahrlich,« sagte sie, nachdem sie gehört hatte, wie die Sache abgemacht worden war, »wenn unser Herr Jesus, der Barmherzige, zeigen will, daß Eintracht ihm lieber ist als Zank und Streit, dann muß er Zbyszko glücklich zu Euch zurückkehren lassen.«

Mackos Gesicht erhellte sich, wie wenn ein Sonnenstrahl darauf gefallen wäre.

»So denke ich auch,« erwiderte er. »Unser Herrgott ist allmächtig, daran ist nicht zu zweifeln, aber es giebt auch Mittel, die Gunst der himmlischen Mächte zu erringen, man muß nur klug dabei zu Werk gehen …«

»An Klugheit hat es Euch niemals gefehlt,« entgegnete die Maid, den Blick zu ihm erhebend.

Und wie wenn sie im stillen über etwas nachgedacht hätte, fügte sie nach einer Weile hinzu: »Aber wie liebt Ihr auch Euern Zbyszko! Wie liebt Ihr ihn!«

»Wer sollte ihn nicht lieben?« antwortete der alte Ritter. »Und Du? Hassest Du ihn etwa?«

Darauf gab Jagienka keine direkte Antwort, doch rückte sie näher zu Macko, an dessen Seite sie saß, heran, und das Köpfchen abwendend, stieß sie ihn leicht mit dem Ellbogen an, indem sie sagte: »Laßt mich in Frieden!«

Fünftes Kapitel.

Zbyszko, der hinter Jurand herritt, vermochte jedoch dessen Schweigen nicht lange zu ertragen. »Mir wäre es lieber,« dachte er bei sich, »er hätte seinem Zorn freien Lauf gelassen, als daß er ihn unterdrückt.« Demzufolge ritt er an dessen Seite, setzte die Füße fest in die Steigbügel und sprach also: »Hört, wie sich alles zugetragen hat. Was Danusia für mich in Krakau that, das wißt Ihr, es ist Euch aber nicht bekannt, daß man in Bogdaniec mich mit Jagienka, der Tochter von Zych aus Zgorzelic zusammenzubringen versuchte. Ihr Vater wollte sie mit mir vermählen, Macko wollte es, und der mir blutsverwandte reiche Abt wollte es auch. Doch was soll ich Euch ein Langes und ein Breites vorreden? Das Mädchen ist sittsam und es ist kräftig wie eine junge Hindin, und der Brautschatz, nun, der ist auch nicht zu verachten. Allein trotzdem konnte nichts daraus werden. Wohl that mir Jagienka leid, aber noch mehr bekümmerte mich Danusia – und ich machte mich zu ihr auf nach Masovien, denn wahrlich, glaubt mir, so vermochte ich nicht länger zu leben. Wenn Ihr Euch erinnert, wie Ihr selbst einmal geliebt habt, wenn Ihr der früheren Zeiten gedenkt, dann wird Euch das nicht wundernehmen.«

Hier hielt Zbyszko unwillkürlich inne, wie wenn er auf eine Antwort Jurands warte, als dieser aber nach wie vor schwieg, fuhr er also fort: »Unser Herr und Gott verlieh mir die Kraft, die Herrin und Danusia auf der Jagd vor einem Auerochsen zu retten. Da sagte die Fürstin sofort zu mir: ›Nun wird Jurand nicht mehr gegen Dich sein, denn wie sollte er Dir nicht für eine solche That danken?‹ Allein mir kam selbst damals nicht in den Sinn, ohne Eure väterliche Zustimmung mich mit dem Mädchen zu vermählen. Freilich mir war es auch nicht darnach! Das Tier hatte mich so schlimm zugerichtet, daß nicht viel fehlte, und es wäre mit mir vorbei gewesen. Doch bald darauf – seht Ihr – kamen die Boten, um Danusia nach Spychow zu geleiten, und ich lag noch immer auf dem Krankenlager. Da dachte ich, traun, nicht anders, als daß ich sie niemals wiedersehen werde, da dachte ich nicht anders, als daß Ihr sie nach Spychow zurückberufen hättet, um sie einem andern zum Weibe zu geben. In Krakau seid Ihr doch gegen mich gewesen. Auch glaubte ich, dem Tode verfallen zu sein. Hei, bei dem allmächtigen Gotte, was war das für eine Nacht! Nichts wie Jammer, nichts wie Schmerz! Mich dünkte, die Sonne scheine mir nicht mehr, wenn ich sie von mir lassen müsse! Ihr wißt doch auch, was Leid, was Schmerz heißt …«

Zbyszko vermochte nicht weiter zu reden. Thränen erstickten seine Stimme. Doch er faßte sich rasch wieder und fügte hinzu: »Es war schon Abend geworden, als die Boten eintrafen und erklärten, Danusia gleich mit sich nehmen zu müssen, davon wollte jedoch die Fürstin nichts hören. Sie befahl ihnen, den andern Morgen abzuwarten. Da gab mir der Herr Jesus den Gedanken ein, daß Danusia der Fürstin zu Füßen fallen und diese um ihre Einwilligung zur Trauung bitten möge. Wenn ich dann doch sterben muß, dachte ich, so ist mir wenigstens noch dieses Glück zu teil geworden. Bedenkt, das Mägdlein sollte von mir gehen, und ich lag schwer krank, dem Tode nahe, darnieder. Blieb mir da noch Zeit, erst Euere Einwilligung einzuholen? Der Fürst hatte den Jagdhof schon verlassen, die Fürstin schwankte unschlüssig hin und her, konnte sie sich doch bei niemand Rats erholen. Doch zuletzt fühlte sie, sowie Pater Wyszoniek Erbarmen mit mir – und Pater Wyszoniek gab mich und Euere Tochter zusammen … Im Namen Gottes, kraft der göttlichen Gesetze.«

Jurand aber fügte dumpf hinzu: »Das ist nun die Strafe Gottes!«

»Für wen soll dies eine Strafe sein?« fragte Zbyszko. »Erwägt doch, daß die Boten vor der Trauung anlangten, und daß, einerlei ob die Trauung stattgefunden haben würde oder nicht, Danusia mit ihnen hätte ziehen müssen.«

Aber Jurand erwiderte kein Wort. In sich gekehrt, finster und mit einem solch versteinerten Gesicht ritt er dahin, daß Zbyszko in tiefster Seele erschrak. Wohl fühlte letzterer eine gewisse Erleichterung, wie dies immer zu sein pflegt, wenn man ein langgehegtes Geheimnis offenbart hat, allein er fürchtete jetzt, der alte Ritter könne in seinem Groll verharren, und ihr Verhältnis werde sich noch fremder und unfreundschaftlicher als früher gestalten.

Und so bemächtigte sich denn plötzlich eine große Niedergeschlagenheit des jungen Ritters. Niemals zuvor, selbst damals nicht, als er sich von Bogdaniec aus auf den Weg machte, war ihm so schlimm zu Mute gewesen. Ihn dünkte jetzt, er dürfe weder auf eine Aussöhnung mit Jurand, noch auf die Rettung Danusias hoffen, alles erschien ihm in trübem Lichte, und mehr und mehr erfüllte ihn die Gewißheit, die Zukunft werde noch größeres Leid, noch größeres Unheil über ihn bringen. Doch diese verzweifelte Stimmung währte nicht lange. Seine kraftstrotzende Natur gewann bald wieder die Oberhand, und nur Kampf und Streit lagen ihm noch im Sinn. »Will er sich unversöhnlich zeigen,« sagte er sich, an Jurand denkend, »mag er es thun, was kümmert es mich!« Und er wäre in diesem Augenblicke sogar bereit gewesen, Jurand entgegenzutreten. Ihn drängte es, den Kampf mit irgend jemand aufzunehmen, es war ihm, als müsse er irgend etwas vollbringen, als müsse er sich Erleichterung verschaffen, indem er seinem Schmerz, seinem Grimme und seiner Erbitterung Ausdruck verlieh.

Sie hatten inzwischen die an einem Scheideweg gelegene und »Swietlik« genannte Schenke erreicht, wo Jurand gewöhnlich auf seiner Heimkehr von dem fürstlichen Hofe nach Spychow mit Leuten und Pferden Rast zu machen pflegte. So geschah denn dies auch jetzt wieder, und bald darauf befand sich Zbyszko mit Jurand in einer besonderen Stube. Plötzlich wandte sich letzterer zu dem jungen Ritter, schaute ihn durchdringend an und fragte: »Also hast Du Dich nur ihretwegen aufgemacht?«

»Glaubt Ihr, daß ich es leugne?« antwortete Zbyszko in unwirschem Tone, während er Jurand mit dem Entschlusse fest in die Augen blickte, dessen Zornesausbruch nicht geduldig über sich ergehen zu lassen. Doch siehe da, auf dem Antlitz des alten Kriegers malte sich kein Groll, sondern nur grenzenloser Schmerz.

»Und mein Kind hast Du gerettet?« fragte er nach wenigen Minuten wieder, »und aus dem Schnee hast Du mich ausgegraben?«

Voll Staunen, ja mit einer gewissen Angst blickte Zbyszko auf den Redenden, fürchtete er doch, Jurand sei seiner Sinne nicht mehr ganz mächtig, weil er die gleiche Frage wiederholte, die er zuvor schon gestellt hatte.

»Setzt Euch,« bat er daher den alten Ritter, »mir will scheinen, daß Ihr noch recht schwach seid.«

Allein Jurand streckte die Arme aus, umfaßte Zbyszko und zog ihn stürmisch an die Brust. Dieser hingegen, von Verwunderung ergriffen, umschlang den Hals des alten Kriegers und so lange hielten sich die beiden fest umschlossen, als ob das gemeinsame Leid, der gemeinsame Schmerz sie aneinander gefesselt hätten.

Als sie sich aber endlich trennten, da umfaßte Zbyszko die Knie Jurands und küßte mit thränenfeuchten Augen dessen Hände.

»So seid Ihr nicht mein Widersacher?« fragte er.

»Ich war Dein Widersacher,« entgegnete Jurand, »denn ich wollte sie Gott dem Herrn weihen!«

»Ihr gedachtet sie Gott zu weihen, Gott der Herr aber schenkte sie mir. Sein Wille muß geschehen.«

»Sein Wille geschehe!« wiederholte Jurand; »nur sei er jetzt uns gnädig.«

»Wem sollte Gott der Herr beistehen, wenn nicht dem Vater, der sein Kind sucht, wenn nicht dem Manne, der sein Eheweib sucht? Den Räubern wird Er doch keinen Beistand leisten!«

»Und doch ist sie hinweggeführt worden!« erklärte Jurand.

»Gebt ihnen de Bergow zurück!« bemerkte hierauf Zbyszko.

»Ich gebe ihnen alles, was sie wünschen.«

Bei dem Gedanken an die Kreuzritter erwachte in ihm jedoch sofort wieder ein solch glühender Haß, daß er gleich darauf zähneknirschend hinzufügte: »Dann aber sollen sie von mir etwas zu hören bekommen, was sie sich nicht träumen lassen.«

»Das gelobe ich auch mit einem Eide,« ergriff nun Zbyszko das Wort, »doch jetzt laßt uns vor allem Spychow erreichen.«

Sofort wurde der Befehl erteilt, die Pferde bereit zu halten. Nach einem kurzen Imbiß und nachdem sich die Leute ein wenig in den warmen Stuben erwärmt hatten, machte man sich wieder auf den Weg, trotzdem die Dämmerung schon anbrach. Da aber noch eine sehr weite Strecke zurückgelegt werden mußte, und da stets heftiger Frost in der Nacht einzutreten pflegte, fuhren Jurand und Zbyszko, die noch immer nicht ganz bei Kräften waren, in einem Schlitten. Zbyszko sprach von seinem Ohm, den er von ganzem Herzen herbeiwünschte, war doch Macko einer der wenigen, die sich eben so großer Schlauheit wie Tapferkeit rühmen durften, und Schlauheit war in einem Kampfe gegen einen Feind wie die Kreuzritter fast noch von größerer Bedeutung als Tapferkeit.

»Versteht Ihr es, klug vorzugehen oder irgend welche List zu gebrauchen? Ich vermag es nicht!«

»Ich ebenso wenig,« entgegnete Jurand. »Nicht mit List gedachte ich gegen sie zu kämpfen, sondern mit der Faust, gestählt durch den in mir tobenden Schmerz.«

»Nur zu gut begreife ich das,« meinte der junge Ritter. »Wie sollte ich es auch nicht begreifen, da ich Danusia liebe, die mir von jenen entrissen ward? Wenn Danusia, was Gott der Herr verhüten möge …«

Hier brach er plötzlich ab. Kummer und Sorge schnürten ihm die Kehle zu. Geraume Zeit hindurch fuhren sie schweigend die von dem fahlen Mondlicht übergossene Straße dahin, bis Jurand wie zu sich selbst zu sprechen begann: »Wenn sie noch Ursache hätten, sich an mir zu rächen, wollte ich nichts sagen! Aber bei Gott im Himmel, das haben sie nicht! Wohl stritt ich gegen sie im Felde, als ich von unserem Fürsten zu Witold entsandt ward, aber sonst zeigte ich mich wie jeder Nachbar gegen den Nachbarn. Bartosz Naleczy ließ die vierzig Ritter, die gegen ihn zogen, ergreifen, in Ketten legen und in die unterirdischen Kerker in Kozmin werfen. Einen zur Hälfte mit Gold gefüllten Wagen mußten ihm die Kreuzritter zu deren Auslösung übersenden. Ich aber, so ich mit einem Deutschen zusammenstieß, der zu Gast zu den Kreuzrittern zog, ich nahm diesen, wie ein Ritter den andern, freundlich auf und beschenkte ihn mit allerlei Gaben. Gar häufig haben sich auch die Kreuzritter mitten durch die Sümpfe bei mir eingestellt. Nie habe ich sie gedrückt, und doch haben sie mir weit Schlimmeres zugefügt, als ich je meinem größten Feinde zufügen würde …«

Und mit solcher Gewalt überkam ihn die entsetzliche Erinnerung, daß es wie ein Stöhnen klang, als er mit halb erloschener Stimme hinzufügte: »Sie war mir alles, mein höchstes Gut, und gleich einem Hunde ist sie mit Stricken gebunden worden und unter den Leiden ist sie dem Tode zur Beute gefallen … Und jetzt aufs neue mein Kind … Jesus! Jesus!«

Abermals trat tiefes Schweigen ein. Zbyszko richtete sein jugendliches Antlitz zu dem mondbeschienenen Himmel empor, dann wandte er sich zu Jurand und fragte: »Beim Vater im Himmel! … Es wäre doch besser, sie suchten die Liebe der Menschen zu gewinnen, statt stets auf Rache zu sinnen. Weshalb fügen sie denn unserem Volke so viel Schlimmes zu?«

Voll Verzweiflung streckte Jurand die Arme empor und erwiderte in dumpfem Tone: »Ich weiß es nicht …«

Zbyszko schien über seine eigene Frage noch zu sinnen, denn es vergingen mehrere Minuten, bevor er sich also vernehmen ließ: »Die Leute sagen, daß Ihr auch auf Rache sinnt.«

»Ich habe ihnen Rache geschworen!« entgegnete Jurand, sich gewaltsam aus seinem Schmerze aufraffend. »Und Gott dem Herrn gelobte ich das Kind zu weihen, wenn er mir in seiner Gnade zur Vollziehung dieser Rache verhelfen werde … Deshalb war ich gegen Dich. Nun aber weiß ich nicht: habt Ihr nach seinem Willen gehandelt, oder habt Ihr durch Euer Thun seinen Zorn erregt!«

»Nein, nein!« rief Zbyszko. »Ich sagte Euch ja schon, jene Elenden würden sie geraubt haben, wenn auch die Trauung nicht stattgefunden hatte. Gott der Herr nahm Euer Gelübde gnädig auf, Danusia aber überließ er mir, denn ohne seinen Willen geschieht nichts auf Erden.«

»Jede Sünde, die verübt wird, verstößt gegen den Willen Gottes.«

»Gewiß. Aber was sagt Ihr von den heiligen Sakramenten? Ein jedes Sakrament ist von Gott eingesetzt!«

»Dagegen läßt sich deshalb auch nichts thun.«

»Gelobt sei Gott, daß sich nichts thun läßt! Doch beklagt Euch nicht darob; denn wer könnte Euch gegen diese Räuber in einer solchen Weise beistehen, wie ich es vermag? Merkt auf, was ich Euch sage. Für das, was sie Danusia gethan, werde ich Vergeltung üben, doch wenn auch nur noch ein einziger von jenen lebt, die Eure Selige von Euch rissen, so überlaßt ihn mir, und Ihr werdet mit meinem Thun zufrieden sein.«

Jurand schüttelte das Haupt.

»Nein,« antwortete er finster, »von jenen lebt nicht einer mehr …«

Längere Zeit hindurch war nun nichts zu hören wie das Schnauben der Pferde und der dumpfe Klang der auf der hartgefrorenen Erde aufschlagenden Hufe.

»Einst in der Nacht,« ergriff Jurand schließlich wieder das Wort, »hörte ich eine Stimme, die aus dem Gemäuer zu dringen schien und die mir zurief: ›Genug der Rache!‹ aber ich achtete nicht darauf, denn nicht wie die Stimme der Verstorbenen klang es.«

»Was mochte dies wohl für eine Stimme sein?« fragte Zbyszko beunruhigt.

»Ich weiß es nicht. Aus dem Gemäuer von Spychow tönt häufig Klagen und Stöhnen, denn gar manche haben in ihren Ketten in den unterirdischen Kerkern den Tod gefunden.«

»Und was sagte Euch der Priester darüber?«

»Der Priester weihte die Burg und meinte, ich müsse eine Zeitlang jeden Rachegedanken aufgeben. Doch wie wäre dies möglich gewesen! Mir war allzuviel Leid geschehen, und außerdem sannen sie später selbst auf Rache. Sie versuchten mich stets in einen Hinterhalt zu locken, indem sie mich zum Kampfe forderten. Dies planten sie auch jetzt wieder. Majneger und de Bergow sandten mir zuerst eine Herausforderung.«

»Nahmt Ihr jemals Lösegeld?«

»Niemals. Von allen denen, die mir in die Hände fielen, ist de Bergow der erste, der mit dem Leben davonkam.«

Das Gespräch verstummte nun, denn sie bogen jetzt von der breiten Landstraße in einen schmalen Weg ein, auf dem sie nur langsam und schwer weiterkamen, weil er sich in solchen Windungen dahinzog, daß es stellenweise den Anschein hatte, als ob er sich in dem mit fußhohem Schnee bedeckten Walde verliere. Im Frühling oder im Sommer mußte dieser Weg bei Regenfällen ganz ungangbar sein.

»Ob wir wohl Spychow gegen die Essenszeit erreichen werden?« fragte Zbyszko plötzlich.

»Ja,« antwortete Jurand. »Der Wald zieht sich noch eine beträchtliche Strecke hin, und dann kommen Sümpfe, in deren Mitte die Burg liegt. Hinter den Sümpfen befinden sich morastige Wiesen und trocken gelegtes Ackerland, die Burg indessen kann man nur über hohe Wälle erreichen. Mehr als einmal schon versuchten die Deutschen, sich meiner zu bemächtigen, allein es gelang ihnen nicht, und die Knochen von gar vielen von ihnen faulen am Waldessaum!«

»Die Burg ist auch nicht leicht zu finden!« warf Zbyszko ein. »Wenn jedoch die Kreuzritter Leute mit einem Schreiben senden, wie finden sich diese zurecht?«

»Gar häufig schon schickten sie mir Botschaft. Sie haben Leute, welche des Weges kundig sind.«

»Gott gebe, daß wir ihre Boten noch in Spychow antreffen!« rief Zbyszko.

Dieser Wunsch sollte indessen viel rascher in Erfüllung gehen, als es sich der junge Ritter hatte träumen lassen. Als sie von dem Walde aus die freie Ebene erreichten, auf der inmitten von Sümpfen Spychow lag, erblickten sie zwei Reiter und einen niedrigen Schlitten vor sich, in dem drei dunkle Gestalten saßen.

Die Nacht war sehr hell, und so ließ sich besonders auf der weißen Schneefläche die ganze Schar deutlich erkennen. Die Erregung von Jurand und Zbyszko stieg aufs höchste. Denn wer anders mochte in tiefer Nacht auf der Fahrt nach Spychow begriffen sein, wenn nicht die Boten der Kreuzritter?

Zbyszko erteilte sofort den Befehl, rascher zu fahren. Binnen kurzem waren sie daher dem fremden Schlitten so nahe gekommen, daß sie gehört wurden. Unverweilt wandten sich auch die beiden Reiter, die augenscheinlich die Insassen des Schlittens schützen sollten, ihnen zu, indem sie die Armbrust anlegten und riefen: »Wer da?« 3

»Deutsche!« flüsterte Jurand seinem Gefährten zu.

Dann erhob er die Stimme und rief: »Mir gebührt es, zu fragen. Euch, zu antworten! Wer seid Ihr?«

»Reisende!«

»Was für Reisende?«

»Pilgrime.«

»Woher?«

»Aus Szczytno.«

»Sie sind es!« flüsterte Jurand aufs neue.

Die beiden Schlitten fuhren nun neben einander, und plötzlich tauchten fast dicht vor ihnen sechs Reiter auf – die Wache von Spychow, die Tag und Nacht vor den die Burg umgebenden Wällen zu finden war. Neben den Reitern liefen furchtbar große, häßliche, wolfsähnliche Hunde her.

Als die Wachen Jurand erkannten, stießen sie laute Rufe zu dessen Heil, zu dessen Ehre aus, aber in diesen Rufen lag doch ein gewisses Staunen darüber, daß der Gebieter so rasch, so unerwartet zurückkehrte. Letzterer beschäftigte sich indessen vornehmlich mit den Boten, welche er abermals fragte: »Wohin zieht Ihr?«

»Nach Spychow.«

»Was wollt Ihr dort?«

»Das können wir nur dem Herrn selbst sagen.«

Jurand hatte schon die Worte auf den Lippen: »Ich bin der Gebieter von Spychow,« allein er unterdrückte sie noch rechtzeitig, indem er sich sagte, er könne sich doch nicht in eine Unterredung vor den Leuten einlassen. So stellte er denn nur noch die Frage an die Boten, ob sie irgend ein Schreiben bei sich führten. Als er jedoch die Antwort erhielt, es sei ihnen der Auftrag geworden, alles mündlich zu bereden, erteilte er unverzüglich den Befehl, so rasch zu fahren, wie es die Pferde im stande seien. Zbyszko dachte gleichfalls an nichts anderes, als so schnell wie möglich Kunde von Danusia zu erhalten. Mit Ungeduld erfüllte es ihn daher, als ihnen noch zweimal eine Wache den Weg nach der Burg verlegen wollte, vor Ungeduld konnte er es kaum erwarten, bis die Zugbrücke über den Graben fiel, hinter dem sich auf den hohen Wällen ein Zaun mit zugespitzten Pfählen erhob. Zwar hatte er es sich früher oft in Gedanken ausgemalt, wie diese in solch schlimmem Rufe stehende Burg wohl aussehen möge, von der die Deutschen niemals sprachen, ohne das Zeichen des Kreuzes zu machen, jetzt aber hatte er nur für die Boten der Kreuzritter Augen, von denen er hören konnte, wo sich Danusia befinde, und wann sie ihre Freiheit wieder erlange.

Außer den zum Schutze beigegebenen Reitern und dem Schlittenlenker bestand die Gesandtschaft aus Szczytno aus zwei Personen: die eine davon war jene Frau, welche seiner Zeit den heilenden Balsam in den Jagdhof gebracht hatte, die andere ein junger Pilger. Das Weib kannte Zbyszko nicht, war es ihm auf dem Jagdhofe doch niemals zu Gesicht gekommen, der Pilger erschien ihm jedoch sofort wie irgend ein verkleideter Knappe. Jurand geleitete die beiden unverweilt in eine Eckstube, dann trat er vor sie hin, furchtbar, fast Schauder erregend anzusehen im Flammenschein, welcher von dem in dem Kamine brennenden Feuer auf ihn fiel.

»Wo ist mein Kind?« fragte er.

Schrecken erfaßte die Gefragten, als sie dem gefürchteten Manne Auge in Auge gegenüberstanden. Der Pilger bebte trotz seines kecken Gesichtes an allen Gliedern, und dem Weibe drohten die Füße den Dienst zu versagen. Unstät wanderten ihre Blicke von Jurand zu Zbyszko, um dann auf dem glänzenden Kahlkopfe des Paters Kaleb haften zu bleiben und schließlich wieder zu Jurand zurückzukehren, als ob sie fragen wollten, was der junge Ritter und der Priester hier zu thun hätten.

»O Herr!« hub nach einer Weile der Pilger an, »wir wissen nicht, nach was Ihr fragt, allein wir kommen in einer wichtigen Angelegenheit zu Euch. All die aber, welche uns sandten, befahlen uns ausdrücklich, mit Euch ohne Zeugen zu unterhandeln.«

»Vor diesen hier habe ich kein Geheimnis,« erklärte Jurand.

»Uns ist jedoch ihre Anwesenheit nicht erwünscht, wohledler Herr,« bemerkte die Frau, »und so Ihr auf deren Bleiben beharrt, würden wir Euch um nichts anderes bitten, als daß Ihr uns gestattet, morgen wieder den Rückweg anzutreten.«

Das finstere Gesicht Jurands, der an Widerspruch nicht gewöhnt war, weissagte nichts Gutes. Mit zorniger Gebärde strich er einigemale über seinen fahlgelben Schnurrbart; schließlich bezwang er sich aber doch wieder bei dem Gedanken, daß es sich um Danusia handle, während Zbyszko, dem es hauptsächlich darum zu thun war, so rasch wie möglich zu einem Ziele zu kommen, und der keinen Augenblick daran zweifelte, daß er von Jurand die ganze Unterredung erfahren werde, sofort bemerkte: »Wir werden Eurem Wunsche Folge leisten, bleibt nur.«

So sprechend, entfernte er sich mit Pater Kaleb. Kaum befand er sich indessen in dem Hauptgelasse, wo die von Jurand erbeuteten Schilde und Waffen aufgehängt waren, als sich Glowacz zu ihm gesellte.

»O Herr!« begann dieser, »das ist das gleiche Weib.«

»Welches Weib?«

»Das die Kreuzritter mit dem hercynischen Balsam geschickt haben. Ich erkannte sie auf der Stelle, und Sanderus erkannte sie gleichfalls. Offenbar ist sie damals nur geschickt worden, damit sie alles auskundschafte, und jetzt weiß sie gewiß, wo das Jungfräulein ist.«

»Dann werde ich es auch erfahren!« sagte Zbyszko. »Kennt Ihr vielleicht auch diesen Pilger?«

»Nein,« entgegnete Sanderus. »Kauft aber ja keinen Ablaß von ihm, o Herr, das ist kein richtiger Pilger. Wenn man ihn aus die Folter spannen würde, könnte man gar mancherlei von ihm hören.«

»Warten wir es ab!« erklärte Zbyszko.

Kaum hatte sich indessen die Thüre hinter Zbyszko und dem Pater Kaleb geschlossen, so näherte sich die Pilgerin rasch dem Gebieter von Spychow und flüsterte ihm zu: »Eure Tochter ist von Räubern entführt worden.«

»Von Räubern, die das Kreuz auf dem Mantel tragen.«

»Nein. Aber es gelang den Brüdern, das Mägdlein zu befreien, und jetzt ist es bei ihnen.«

»Wo ist sie, frage ich!«

»Sie steht unter dem Schutze des Bruders Szomberg!« erwiderte das Weib, die Arme über die Brust kreuzend und sich demütig vor Jurand neigend.

Als Jurand den Namen des entsetzlichen Henkersknechtes von Witolds Kindern nennen hörte, wurde er bleich wie der Tod. Die Augen schließend, sank er auf die Bank nieder, indem er sich mit der Hand den kalten Schweiß von der Stirne trocknete.

Bei diesem Anblick schlich der Pilger, der bis jetzt seine Angst nicht zu bemeistern vermocht hatte, von der Seite herbei, ließ sich auf die Bank nieder, zog die Füße nach und schaute voll Hochmut und Dünkel auf den Gebieter von Spychow.

Dann trat ein langes Schweigen ein.

»Der Bruder Markwart bewacht sie gemeinsam mit dem Bruder Szomberg!« ergriff schließlich das Weib wieder das Wort. »Das Jüngferchen steht daher unter sicherem Schutze, es wird keine Kränkung erleiden müssen.«

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Die Pilgerin näherte sich rasch dem Gebieter von Spychow und flüsterte ihm zu: »Euere Tochter ist von Räubern entführt worden.«

»Was habe ich zu thun, damit sie mir zurückgegeben werde?« fragte Jurand.

»Euch vor dem Orden zu demütigen!« erwiderte der Pilger voll Hochmut.

Als Jurand diesen Ausspruch vernahm, erhob er sich langsam von seinem Sitze, trat auf den Pilger zu, beugte sich zu ihm herab und sagte mit dumpfer, furchtbarer Stimme: »Ihr habt zu schweigen!«

Eine furchtbare Angst bemächtigte sich aufs neue des Pilgers. Wohl wußte er, daß es seinerseits nur einer Drohung, nur einiger Worte bedurfte, um Jurand völlig darnieder zu schmettern, allein er fürchtete, es werde ihm beim ersten Worte, das ihm über die Lippen komme, etwas Entsetzliches zustoßen. So schwieg er denn. Mit zitternden Knien, sonst aber fast unbeweglich, wie erstarrt vor Schrecken, saß er da, die großen runden Augen auf das furchterregende Antlitz des Gebieters von Spychow gerichtet.

Letzterer wandte sich aber nun wieder dem Weibe zu.

»Habt Ihr ein Schreiben bei Euch?« fragte er.

»Nein, o Herr, wir haben kein Schreiben bei uns. Was wir zu melden haben, befahl man uns, mündlich zu thun.«

»So sprecht denn.«

Und sie wiederholte noch einmal, damit sich Jurand ja alles gut ins Gedächtnis einpräge: »Der Bruder Markwart bewacht sie gemeinsam mit dem Bruder Szomberg, deshalb mäßigt Euern Groll, o Herr. Ihr geschieht kein Leid. Denn wenn gleich Ihr seit vielen Jahren dem Orden schwere Kränkungen zugefügt habt, gedenken doch die Brüder Böses mit Gutem zu vergelten, wofern ihre gerechten Forderungen erfüllt werden.«

»Was fordern sie von mir?«

»Sie verlangen, daß Ihr den Herrn de Bergow freigebt.«

Jurand atmete tief auf.

»Ich liefere ihnen de Bergow aus!« erklärte er.

»Wie auch die andern Gefangenen, die Ihr in Spychow habt.«

»Außer den Knechten sind dies die beiden Knappen von Majneger und von de Bergow.«

»Ihr müßt sie freilassen, o Herr, und sie für ihre Gefangenschaft entschädigen.«

»Verhüte Gott, daß ich feilsche, wenn es sich um mein Kind handelt.«

»Das erwartet auch der Orden nicht anders von Euch,« fuhr das Weib fort, »allein dies ist noch nicht alles, was mir befohlen ward, Euch zu melden. Euere Tochter, o Herr, ist von irgend welchen Leuten und sicherlich deshalb entführt worden, um Lösegeld von Euch zu erhalten … Den Brüdern aber gelang deren Befreiung – und jetzt verlangen sie nichts weiter von Euch, als daß Ihr ihnen die Gefährten, die Gäste ausliefert. Dann aber sollt Ihr selbst, der Fürst dieses Landes, und alle hervorragenden Ritter aussagen – wie es ja auch der Wahrheit entspricht – nicht die Ritter, sondern Räuber hätten Euere Tochter entführt, und von den Räubern müßtet Ihr sie loskaufen.«

»Gut,« ließ sich Jurand vernehmen, »mein Kind ward von Räubern entführt, und ich muß es auslösen.«

»Keinem Menschen dürft Ihr etwas anderes sagen, denn wenn es nur ein Mensch erfährt, daß Ihr Euch mit den Brüdern verständigt habt, wenn auch nur eine lebende Seele eine Ahnung davon erhält, wenn irgend eine Klage zu dem Meister oder zu dem Kapitel dringt – dann werdet Ihr Schlimmes über Euch heraufbeschwören.«

Große Unruhe malte sich auf Jurands Zügen. Im ersten Augenblick war ihm die Angst der Komture, zur Rechenschaft gezogen zu werden, und daher deren Forderung, das Vorkommnis als Geheimnis zu betrachten, ganz natürlich erschienen, jetzt aber regte sich plötzlich der Argwohn in ihm, es könne dem allem noch eine andere Ursache zu Grunde liegen. Da er sich aber darüber keine Rechenschaft zu geben vermochte, erfaßte ihn eine entsetzliche Angst, eine Angst, die über die mutigsten Menschen zu kommen pflegt, wenn nicht sie selbst, sondern die ihrem Herzen am nächsten Stehenden von einer großen Gefahr bedroht werden.

Zuvörderst beschloß er indessen, die Abgesandte noch genauer auszuforschen.

»Die Komture wollen das Vorkommnis als Geheimnis betrachtet haben,« bemerkte er daher, »wie läßt sich aber das Geheimnis wahren, wenn ich für mein Kind de Bergow und all die andern freigeben soll?«

»Ihr sagt, Ihr hättet für Herrn de Bergow Lösegeld genommen und mit diesem Gelde die Räuber bezahlt.«

»Kein Mensch wird dies glauben, denn noch niemals habe ich Lösegeld genommen,« warf Jurand ein.

»Es hat sich auch noch niemals um Euer Kind gehandelt,« erklärte die Dienerin in klagendem Tone.

Abermals trat ein längeres Schweigen ein. Endlich ließ sich der Pilger, dessen Lebensgeister sich in der Voraussetzung wieder gehoben hatten, Jurand werde sich jetzt mehr Zwang auferlegen, also vernehmen: »So ist der Wille der Brüder Szomberg und Markwart.«

Die Frau aber hub wieder an: »Ihr sagt aus, der Pilger, welcher mit mir gekommen ist, habe Euch das Lösegeld gebracht, wir aber machen uns sofort mit dem edlen Herrn de Bergow und mit den andern Gefangenen auf den Weg.«

»Wie,« entgegnete Jurand, die Brauen runzelnd, »glaubt Ihr wohl, daß ich Euch die Gefangenen ausliefere, ehe Ihr mir mein Kind zurückgebt?«

»Ihr müßt Euch sogar noch zu etwas anderem verstehen, o Herr. Nach Szcytno müßt Ihr Euch begeben, wohin die Brüder Euere Tochter bringen werden.«

»Ich? Nach Szczytno?«

»Denn angenommen, sie würde aufs neue unterwegs von Räubern ergriffen, dann wären nicht nur Euer Gefolge sondern alle hier ansässigen Leute nur zu gerne bereit, die Brüder dafür verantwortlich zu machen. Deshalb sind letztere vornehmlich darauf bedacht, nur Euch selbst Euere Tochter auszuliefern.«

Jurand begann in der Stube auf und ab zu schreiten. Ihm ahnte, daß ihm ein Fallstrick gedreht werde, und schwere Sorge bemächtigte sich seiner. Doch, was sollte er thun? Die Kreuzritter konnten ihm irgend eine Bedingung stellen – er war machtlos ihnen gegenüber.

Plötzlich schien ihm indessen ein guter Gedanke zu kommen. Er blieb vor dem Pilger stehen, schaute ihn durchdringend an und wandte sich dann dem Weibe zu: »Gut, ich gehe nach Szczytno. Ihr aber und dieser Mensch, der das Gewand eines Pilgers trägt, Ihr bleibt bis zu meiner Rückkehr hier. Erst dann könnt Ihr mit de Bergow und mit den Gefangenen weiterziehen.«

»Ihr wollt den Ordensbrüdern keinen Glauben schenken, o Herr!« warf hier der Pilger ein, »wie sollen sie daher das Vertrauen in Euch setzen, daß Ihr uns und de Bergow nach Euerer Rückkehr entlaßt?«

Totenblässe überzog Jurands Antlitz und seine Züge verzerrten sich in einer Weise, daß es während eines Augenblicks den Anschein hatte, als ob er den Pilger an der Brust packen und ihn zu Boden werfen wolle – gleich darauf wurde er aber seiner Erregung wieder Herr, er atmete tief auf und sagte ruhig, allein in eindringlichem Tone: »Wer Ihr auch sein mögt, hütet Euch, meine Geduld auf allzugroße Probe zu stellen!«

Daraufhin trat der Pilger auf die Ordensschwester zu und sprach: »Redet weiter, wie Euch befohlen ward.«

»O Herr!« ergriff das Weib nun wieder das Wort, »wie würden wir uns erdreisten, an Euerem Eide auf das Schwert und auf Euere ritterliche Ehre zu zweifeln, aber Euch steht es wahrlich nicht zu, vor Leuten niedrigen Standes einen Eid abzulegen, und nicht eines Eides wegen sind wir zu Euch gesandt worden.«

»Was habt Ihr mir noch zu sagen?«

»Im Auftrage der Brüder erklären wir Euch: Ihr müßt Euch, ohne jemand davon in Kenntnis zu setzen, mit de Bergow und mit den Gefangenen nach Szczytno begeben.«

Bei diesen Worten zog sich Jurands ganzer Körper krampfhaft zusammen und seine Finger spreizten sich wie die Krallen eines Raubvogels aus; vor der Redenden stehen bleibend, neigte er sich zu ihr, als ob er ihr etwas ins Ohr flüstern wollte, und sagte: »Haben sie Euch auch zu wissen gethan, was ich befehle? Rings um Spychow soll mau Euere und de Bergows Glieder ausstreuen.«

»Eure Tochter ist in der Gewalt der Brüder und unter der Obhut von Szomberg und Markwart,« entgegnete die Ordensschwester mit Nachdruck.

»Räuber, Giftmischer, Henkersknechte!« brach Jurand los.

»Sie werden Rache für uns nehmen, denn ehe wir uns auf den Weg machten, haben sie also zu uns gesprochen: wenn er sich nicht zur Erfüllung all unserer Bedingungen versteht, wäre es besser, das Mädchen fände den Tod, wie ihn die Kinder Witolds gefunden haben. Doch Euch steht ja die Wahl offen!«

»Ihr müßt doch begreifen, daß Ihr in der Macht der Komture seid,« ließ sich der Pilger nun vernehmen. »Sie wollen Euch keine Kränkung zufügen, und der Starost aus Szczytno schickt Euch durch uns sein Wort, daß Ihr freies Geleite aus seiner Burg haben werdet. Das ist jedoch ihr Wunsch: für all das Schlimme, das Ihr ihnen schon angethan habt, sollt Ihr Euch vor den Kreuzrittern zur Erde neigen, sollt Ihr die Sieger um Gnade anflehen. Wohl werden sie Euch Verzeihung angedeihen lassen, zuvor aber sollt Ihr Euern stolzen Nacken beugen. Ihr habt sie der Verräterei und des Meineides geziehen – folglich fordern sie von Euch rückhaltloses Vertrauen. Euch und Eurer Tochter werden sie die Freiheit schenken – aber Ihr müßt darum bitten. Ihr habt sie mit Füßen getreten – deshalb müßt Ihr schwören, Eure Hände nicht mehr gegen die Weißmäntel erheben zu wollen.«

»Das ist der Wille der Komture,« fügte das Weib hinzu, »und ihnen schließen sich Markwart und Szomberg an.«

Eine tödliche Stille trat nun ein. Nur war es, als ob durch die Balken der Decke ein gedämpftes Echo dringe, das die schreckenerregenden Namen »Markwart – Szomberg« stets wiederhole. Und durch die Fenster ertönten die Rufe der Bogenschützen Jurands, welche auf den die Burg umgebenden Wällen Wache hielten.

Der Pilger und die Ordensschwester wechselten bald unruhige Blicke miteinander, bald schauten sie auf Jurand, welcher an die Wand gelehnt, völlig unbeweglich, mit gesenktem Haupte im Schatten eines Bündels Häute saß, das vor dem Fenster hing. Nur ein Gedanke fand in dem Gehirn des Gebieters von Spychow Raum. Wenn er nicht das erfüllte, was die Kreuzritter von ihm verlangten, erwürgten sie ihm das Kind, kam er indessen ihren Wünschen entgegen, war es immer noch zweifelhaft, ob er damit sich und Danusia rette. Er wußte sich keinen Rat, er sah keinen Ausweg. Im Geiste sah er schon die eisernen Hände eines Kreuzritters Danusias Hals umfassen, er kannte die Ordensbrüder genau und wußte, daß sie nicht davor zurückscheuen würden, seine Tochter zu ermorden, ihre Leiche innerhalb der Schutzmauern der Burg zu vergraben und einen Meineid abzulegen, um sich weißzuwaschen. Wer vermochte aber dann den Beweis zu liefern, daß sie von den Kreuzrittern entführt worden sei? Wohl hatte er, Jurand, die beiden Abgesandten in seiner Gewalt, er konnte sie vor den Fürsten führen, er konnte ihnen auf der Folter ein Geständnis abzwingen – aber Danusia befand sich in der Gewalt der Kreuzritter, und die Folter mochte ihr dann vielleicht auch nicht erspart bleiben. Ihn dünkte, sein Kind strecke ihm aus der Ferne die Hände entgegen, es flehe ihn um Rettung an … Wäre er sicher gewesen, daß sich Danusia in Szczytno befinde, würde er noch in der Nacht über die Grenze gegangen sein, hätte die eines Angriffes nicht gewärtigen Deutschen überfallen, die Burg genommen, die Besatzung niedergemacht und seine Tochter befreit – Wie sollte er jedoch ihren Aufenthaltsort in Erfahrung bringen? Sicherlich befand sie sich aber nicht in Szczytno. Plötzlich schoß ihm blitzschnell ein neuer Gedanke durch den Kopf. Wie, wenn er das Weib und den Pilger greifen und sie vor den Großmeister bringen ließe? Vielleicht würden beide dem Meister ein Geständnis ablegen, vielleicht könnte Danusia auf dessen Befehl hin die Freiheit erlangen? Aber ebenso rasch wie diese Idee aufgetaucht war, wurde sie wieder verworfen. Wenn nun die Ordensschwester und der Pilger dem Meister sagten, sie hätten das Lösegeld für de Bergow gebracht, von dem Mägdlein wüßten sie aber nichts, was dann? Nein, dieser Weg führte zu keinem Ziele – wo war Rettung zu finden? Und angenommen, er würde sich nach Szczytno begeben, konnte er dann nicht ergriffen und in einen unterirdischen Kerker geworfen werden? Danusia aber würden die Kreuzritter allein schon deshalb nicht freigeben, damit es nicht den Anschein erwecke, sie sei von ihnen geraubt worden. Ach, der Tod drohte seinem einzigen Kinde, das Henkersschwert schwebte über dessen geliebtem Haupt! Nach und nach verwirrten sich die Gedanken Jurands immer mehr, ein wachsender Schmerz bemächtigte sich seiner. Wie leblos, wie aus Stein gehauen, saß er da. Er hätte sich in diesem Augenblick nicht zu erheben vermocht, selbst wenn ihm der Wunsch dazu gekommen wäre.

Das lange Warten verdroß indessen augenscheinlich den Pilger und die Dienerin, denn diese hub plötzlich an: »Die Morgendämmerung ist nicht mehr allzu ferne. Entlaßt uns daher, o Herr, denn wir bedürfen der Ruhe.«

»Sowie der Stärkung nach der langen Fahrt,« fügte der Pilger hinzu.

Nach diesen Worten neigten sich beide vor Jurand – und entfernten sich.

Der Gebieter von Spychow aber saß nach wie vor unbeweglich da, gerade als ob er in tiefen Schlaf versunken sei.

Schon nach wenigen Minuten öffnete sich indessen abermals die Thüre, und Zbyszko sowie der Priester Kaleb traten über die Schwelle.

»Weshalb wurden sie hierher gesandt? Was wollen sie?« fragte der junge Ritter ungestüm, indem er sich Jurand näherte.

Jurand fuhr zusammen. Er erwiderte kein Wort, sondern blinzelte nur mit den Augen wie ein Mensch, der aus schwerem Schlaf erwacht.

»O Herr, seid Ihr krank?« fragte der Priester Kaleb, welcher den Gebieter von Spychow zu genau kannte, um nicht sofort zu bemerken, daß etwas Außergewöhnliches mit ihm vorgegangen sein müsse.

»Nein!« antwortete Jurand.

»Und Danuska?« forschte Zbyszko weiter. »Wo ist Danusia, und was haben Euch jene mitgeteilt? Weshalb sind sie hierher gesandt worden?«

»Sie haben das Lösegeld für Bergow gebracht.«

»Das Lösegeld für Bergow?«

»Für Bergow …«

»Was soll das sein? Was ist Euch?«

»Nichts …«

Jurands Stimme klang indessen bei dieser Antwort so seltsam, so gebrochen, daß sich des Priesters und des jungen Ritters eine entsetzliche Angst bemächtigte, war es ihnen doch zuvor schon aufgefallen, daß Jurand von Lösegeld, nicht aber von einer Auswechselung Danusias mit de Bergow gesprochen hatte.

»Beim allmächtigen Gott!« rief Zbyszko, »wo ist Danusia?«

»Bei den Kreuzrittern findest Du sie nicht – nein!« entgegnete Jurand mit schlaftrunkener Stimme.

Dann stürzte er plötzlich wie leblos von der Bank auf den Fußboden.

  1. Im Original deutsch angeführt. Anmerkung der Uebersetzerinnen.

Achtes Kapitel.

Trotzdem Macko und Zbyszko mit einander übereingekommen waren, Marienburg so rasch wie möglich zu verlassen, brachen sie doch nicht an dem Tage auf, an dem ihnen durch die Darlegungen Zindrams aus Maszkowice frischer Mut eingeflößt worden war, denn an diesem Tage fanden sowohl des Mittags wie des Abends in dem Hochschlosse zu Ehren der Gäste und der Gesandten Festmahle statt, zu denen Zbyszko als Ritter in dem Gefolge des Königs, und Macko aus Rücksicht für seinen Bruderssohn geladen worden war. Zu dem Mittagsmahle, erschien eine auserlesene Gesellschaft in dem Haupt-Refektorium, das durch zehn Fenster Licht erhielt und dessen in Spitzbogen ausgeführte Decke durch eine nur selten angewandte, kunstvolle Bauart auf einer Säule ruhte. Von Fremden saßen außer den Rittern aus dem Gefolge Jagiellos nur ein schwäbischer Graf und ein Graf aus Burgund an der Tafel, welch letzterer trotz des großen Reichtums seiner Gebieter auf deren Befehl von dem Orden Geld entleihen sollte. Von den in Marienburg weilenden Kreuzrittern waren, abgesehen von dem Großmeister, noch vier Würdenträger, die sogenannten Pfeiler des Ordens anwesend, nämlich der Groß-Komtur, der Almosengeber, der Kämmerer und der Schatzmeister. Nur der Marschall befand sich gerade auf einem Zuge gegen Witold.

Obschon der Orden das Gelübde der Armut abgelegt hatte, wurde doch auf Gold und Silber gespeist, wurde doch Malvasier getrunken, weil der Meister die Gesandten aus Polen in Staunen setzen wollte. Allein trotz der köstlichsten Gerichte, trotz der aufmerksamsten Bewirtung, kam bei diesem Mahle keine Behaglichkeit aus, da die Festteilnehmer sich nur schwer untereinander verständigen konnten, da sie nach allen Seiten hin Rücksichten zu nehmen hatten. Das abendliche Festmahl in dem ungeheuern Refektorium des Ordens (Konvents-Remter) dagegen verlief weit fröhlicher, versammelten sich doch bei demselben alle Ordensglieder, sowie alle jene Gäste, welche nicht mit unter dem Kriegsvolke des Marschalls gegen Witold gezogen waren. Weder Zank noch Streit störte die Lustbarkeit. Freilich warfen die fremdländischen Ritter, in der Voraussicht, daß sie über kurz oder lang mit den Polen zusammenstoßen würden, diesen mehr oder minder unfreundliche Blicke zu, allein sie befolgten doch die zuvor von den Kreuzrittern an sie gerichtete Bitte, ein verbindliches Benehmen an den Tag zu legen, damit nicht in der Person eines Gesandten der König und mit ihm das ganze Königreich, beleidigt werde. Aber selbst in dieser Aufforderung kennzeichnete sich die Böswilligkeit des Ordens, warnten doch die Kreuzritter ihre Gäste gleichzeitig vor dem Jähzorn der

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Statt jeder Antwort rollte Powala ein Messer, das eine Elle lang und mehr denn eine halbe Spanne breit war, gleich einer Pergamentrolle zusammen und hielt es hoch empor.

Polen, indem sie behaupteten: »Bei jedem harten Worte, das aus Euerem Munde geht, werden die Polen einem der Eurigen den Bart ausreißen, oder ihm ein Messer in den Leib stoßen.« Wie erstaunt waren daher die Gäste über das höfliche Wesen von Powala aus Taczew und von Zindram aus Maszkowice, und die Scharfsinnigen unter ihnen begriffen sofort, wie verleumderisch, wie hinterlistig die Aussage der Kreuzritter gewesen war, als diese von den rohen Sitten der Polen gesprochen hatten.

Gar mancher der Gäste hatte schon allerlei Lustbarkeiten an den verfeinerten Höfen des Westens angewohnt und bekam daher keine allzugünstige Meinung von den bei den Kreuzrittern herrschenden Sitten, denn während des Festmahles brachte eine Musikkapelle einen ohrenzerreißenden Lärm hervor, Spielleute sangen rohe Lieder, Spaßmacher ergingen sich in derben Scherzen, Bären tanzten und barfüßige Mägdlein führten ihre Tänze aus. Und als die Gäste ihr Staunen über die Anwesenheit von Frauen in dem Hochschlosse ausdrückten, hörten sie, daß das Verbot gegen die Anwesenheit von Frauen längst nicht mehr bestehe, und daß sogar der weithin bekannte Winrych Kniprode seiner Zeit mit der schönen Marya von Alfleben getanzt habe. Wie die Brüder erzählten, durften nicht nur Frauen in der Burg wohnen, sondern auch bei Festen in dem Refektorium erscheinen, ein Zugeständnis, demzufolge sich auch die Ehegemahlin des Fürsten Witold, welche im vergangenen Jahre zu Gast bei dem Orden gewesen war und ihre Wohnräume in der Prächtig hergerichteten alten Gießerei in der Vorburg angewiesen bekommen hatte, tagtäglich in dem Refektorium einstellte, um Brettspiel mit goldenen Steinen zu spielen, welche ihr die Kreuzritter jeden Abend schenkten.

Besonders aber an diesem Abend ergötzte man sich an Brettspiel und Schachspiel, ja, man griff sogar zu den Würfeln, da jedes Gespräch durch die Gesänge und durch die lärmende Musik beeinträchtigt ward. Gleichwohl trat aber doch dann und wann eine längere Ruhepause ein, und eine solche benutzend, wandte sich Zindram aus Maszkowice, indem er sich ganz unwissend stellte, mit der Frage an den Großmeister, ob sich der Orden in den ihm unterstehenden Gebieten großer Beliebtheit erfreue.

Darauf entgegnete Kuno von Jungingen:

»Wer dem Kreuze anhängt, der wird auch dem Orden ergeben sein.«

Da diese Antwort sowohl bei den Kreuzrittern wie bei den Gästen großen Anklang fand, da alle den Großmeister darob laut priesen, hub dieser von neuem an: »Wer unser Freund ist, der wird sich glücklich unter unserer Herrschaft fühlen, gegen unsere Feinde indessen haben wir zwei treffliche Mittel.«

»Wollt Ihr mir diese Mittel nennen?« fragte der Ritter aus Polen.

»Vielleicht ist es Euch, edler Herr, unbekannt, daß ich aus meiner Kemenate über eine kleine Treppe in dieses Refektorium gelange, und daß sich neben dieser Treppe ein gewölbtes Gelaß befindet. Könnte ich Euch dahin geleiten, würdet Ihr sofort erkennen, welcher Art dies mein Mittel ist.«

»Bei unserm Leben, so ist es!« riefen die Brüder.

Der Herr aus Maszkowice erriet sofort, daß der Meister auf jenen mit Geld gefüllten Turm anspielte, von dem die Kreuzritter häufig prahlend zu sprechen liebten, und so begann er nach kurzem Ueberlegen: »Einstens, traun, vor langer, langer Zeit, zeigte irgend ein deutscher Kaiser einem unserer Gesandten mit Namen Skarbek solch ein Gelaß und meinte: ›Hier liegt ein Schatz, kraft dessen ich Deinen Herrn besiegen werde.‹ Doch Skarbek warf unverweilt einen kostbaren Ring in das Gelaß mit den Worten: ›Gold gehört zu Gold; wir Polen aber ziehen das Eisen vor.‹ Und wißt Ihr, was sich bald darauf ereignete, wohledler Herr? Bei Hundsfeld kam es zum Gefechte.«

»Was ist’s mit Hundsfeld?« fragten gleichzeitig einige Ritter.

»Das Gefilde dort,« entgegnete Zindram ruhig, »war nicht groß genug, um die Bestattung all der erschlagenen Deutschen zu ermöglichen, und so mußten Hunde die übrige Arbeit verrichten.«

Bestürzt und verwirrt über diese Antwort, wußten weder die Ritter noch die Ordensbrüder, was sie sagen sollten, während Zindram aus Maszkowice zum Schlüsse hinzufügte: »Mit Gold könnt Ihr gegen Eisen nichts ausrichten.«

»Hei, als zweites Mittel greifen wir stets zu dem Eisen,« nahm jetzt der Großmeister das Wort. »Ihr, wohledler Herr, habt ja in der Vorburg die Waffenschmiede gesehen. Tag und Nacht dröhnen die Hämmer, und Schwerter und Rüstungen werden geschmiedet, wie man sie in der ganzen Welt nicht wieder findet.«

Statt jeder Antwort streckte Powala die Hand bis zur Mitte der Tafel aus, erfaßte ein zum Zerteilen des Fleisches bestimmtes Messer, das eine Elle lang und mehr denn eine halbe Spanne breit war, rollte es mit der größten Leichtigkeit gleich einer Pergamentrolle zusammen, hielt es dann hoch empor, damit alle es sehen konnten, und überreichte es hierauf dem Großmeister, indem er sagte: »Wenn Euere Schwerter von gleicher Art sind, werdet Ihr nicht allzuviel damit ausrichten.«

Ein Lächeln der Befriedigung aber überzog sein Antlitz, als er sah, wie die Ritter und die Ordensbrüder von ihren Sitzen aufsprangen und, sich um den Meister scharend, die eiserne Rolle von Hand zu Hand gehen ließen, während eine tiefe Stille herrschte, weil angesichts einer solchen Kraftprobe bange Furcht aller Herzen beschlich.

»Beim Haupte des heiligen Liborius!« rief schließlich der Großmeister aus, »Ihr habt Hände von Eisen, o Herr!«

»Und von stärkerem Eisen als dieses hier,« fügte der Graf aus Burgund hinzu, »denn er rollte das Messer so leicht zusammen, wie wenn es aus Wachs wäre.«

»Und sein Antlitz rötete sich nicht einmal dabei, seine Adern schwollen nicht einmal an!« bemerkte einer der Ordensbrüder.

»Traun,« ließ sich jetzt Powala hören, »ein einfacher Sinn herrscht unter uns, wir kennen diesen Reichtum, diese Pracht nicht, die sich bei Euch unsern Augen zeigt, allein wir sind stark, wir sind gesund.«

Nun traten etliche italienische und französische Ritter auf ihn zu und redeten mit ihm in ihren wohlklingenden Sprachen, von denen freilich Macko zu behaupten Pflegte, sie lauteten, wie wenn man zinnerne Schüsseln aneinander schlüge. Laut priesen sie die Kraft Powalas, der sie ausforderte, die Becher aneinander klingen zu lassen, indem er erklärte: »Bei unsern Festmahlen könnt Ihr häufig Aehnliches sehen, ja, es geschah schon, daß ein Mägdlein ein kleineres Messer ohne Anstrengung zusammenrollte.«

Durch das Geschehene, vollends aber durch diese Worte gerieten die Deutschen, die sich vor fremden Rittern gern ihres hohen Wuchses, ihrer Kraft rühmten, in solch große Aufregung, ja, in solche Wut, daß schließlich der alte Helfenstein über die ganze Tafel rief: »Dies ist eine Schmach für uns! Bruder Arnold von Baden, liefere Du den Beweis, daß auch unsere Knochen nicht aus Wachs gemacht sind. Reicht ihm ein Messer!«

Einer der Bediensteten ergriff sofort ein Messer und legte es vor Arnold auf die Tafel. Doch sei es nun, daß sich dieser durch die Anwesenheit so vieler Zeugen bedrückt fühlte, sei es, daß er thatsächlich weniger Kraft in den Fingern besaß als Powala, genug, es gelang ihm, das Messer zur Hälfte, aber nicht vollständig zusammenzurollen.

Gar mancher aber von den fremden Gästen, dem die Kreuzritter schon häufig allerlei über den Krieg zugeraunt hatten, der im Laufe des nächsten Winters mit dem König von Polen ausbrechen werde, wurde recht nachdenklich und fragte sich, ob er wegen des in dieser Gegend voraussichtlich sehr harten Winters nicht besser daran thue, beizeiten in das Schloß seiner Väter, unter einen milderen Himmel zurückzukehren.

Das Merkwürdigste bei allem war aber die Thatsache, daß sich die Gäste im Juli solchen Gedanken Hingaben – im Juli, also zu einer Zeit der brennendsten Hitze, der wolkenlosesten Tage.

Neuntes Kapitel.

Als Zbyszko und Macko in Plock anlangten, trafen sie niemand von dem Hofe, da sich das Fürstenpaar mit seinen acht Kindern, auf eine Einladung der Fürstin Anna Danuta hin, nach Chersk begeben hatte. Von dem Bischof hörten indessen die Ankommenden, daß Jagienka in Spychow bei dem sterbenden Jurand weile. Da sich nun aber die beiden Ritter selbst auf dem Wege dahin befanden, war ihnen die Kunde von der Anwesenheit Jagienkas in Spychow äußerst willkommen.

»Vielleicht hat sie es auch nur gethan, um uns nicht zu verfehlen,« meinte der alte Ritter. »Wie lange schon habe ich sie nicht mehr gesehen und wie freue ich mich auf das Zusammentreffen. Hei, gar sehr ist sie mir zugethan. Und gewachsen muß die Maid sein, und gewiß ist sie noch schöner geworden.«

»Sie hat sich wunderbar verändert,« warf Zbyszko ein. »Trotz ihrer Schönheit konnte man sie früher nur ein schlichtes Mägdlein nennen, während jetzt – eines Königs wäre sie würdig.«

»In solcher Weise hat sie sich verändert? Bei meiner Treu, sie entstammt ja dem alten Geschlechte der Jastrzebiec aus Zgorzelic, deren Schlachtruf ›Auf zum Feste‹ lautete.«

Da Zbyszko keine Antwort erteilte, hub Macko nach kurzem Schweigen wieder also an: »Gewiß verhält es sich so, wie ich Dir gesagt habe, denn ihr Wunsch ist es, nach Zgorzelic zurückzukehren.«

»Daß sie überhaupt von dort wegging, setzt mich in Staunen.«

»Hat sie es denn nicht wegen der Hinterlassenschaft des Abtes gethan, ganz abgesehen von der Furcht, die sie vor Cztan und Wilk hegte. Ich selbst habe ihr auch vorgestellt, wie sehr sie durch ihre Anwesenheit in Zgorzelic die Sicherheit ihrer beiden Brüder gefährde.«

»Bei meiner Treu, Waisen zu überfallen, scheut sich doch ein jeder.«

Macko schaute eine Weile sinnend vor sich hin.

»Ob sie sich wohl dafür an mir gerächt haben, weil ich die Maid aus Zgorzelic fortführte!« ergriff er dann aufs neue das Wort. »Vielleicht steht in Bogdaniec kein Stein mehr über dem andern. Gott allein kann dies wissen! Ich weiß ja nicht einmal, ob ich nach meiner Rückkunft im stande sein werde, mich zu verteidigen. Jene Burschen sind jung und kräftig, ich aber bin alt.«

»Ach was, alt!« antwortete Zbyszko, »das glaubt Euch keiner, der Euch sieht.«

Macko sprach in der That nicht ganz aufrichtig, denn ihm lag jetzt etwas Anderes im Sinn, doch winkte er nur mit der Hand und sagte: »Ja, wenn ich in Marienburg nicht krank gewesen wäre, dann hättest Du recht. Aber darüber wollen wir in Spychow reden.«

Und am folgenden Tage, nachdem sie in Plock übernachtet hatten, brachen sie nach Spychow auf.

Es kamen nun schöne, helle Tage, der Weg war trocken, nicht beschwerlich und zudem gefahrlos, denn anläßlich des letzten Vergleiches hatten die Kreuzritter den räuberischen Ueberfällen an der Grenze Einhalt gethan. Ueberdies gehörten die beiden Ritter zu der Art von Leuten, denen gegenüber es auch für Räuber geratener war, sich ehrerbietig fern zu halten, als ihnen nahe zu kommen. Daher ging die Fahrt sehr rasch von statten, und am fünften Tage nachdem sie Plock verlassen hatten, trafen sie ohne besondere Fährlichkeiten in Spychow ein. Jagienka, die Macko als ihren besten Freund auf der Welt betrachtete, begrüßte ihn wie einen Vater, und er, der sonst nicht leicht zu rühren war, zeigte sich tief bewegt durch die Anhänglichkeit der jungen Maid, welche er so innig liebte. Als nach einer Weile Zbyszko nach Jurand fragte und dann zu diesem sowie in die Gruft seiner dahingeschiedenen Ehegemahlin ging, seufzte der alte Ritter tief auf und sagte: »Ja, Gott nahm zu sich, wen er zu sich nehmen wollte, und wen er zurücklassen wollte, den ließ er zurück, aber ich glaube, daß jetzt unsere Mühseligkeiten und unsere Wanderungen durch Wildnisse auf schlechten Pfaden zu Ende sind.«

Gleich darauf fügte er hinzu: »Hei! Was hat uns der Herr Jesus nicht alles zugefügt in diesen letzten Jahren!«

»Aber Gottes Hand beschützte Euch!« entgegnete Jagienka.

»Wohl, sie beschützte uns! Wenn ich offen reden soll, ist es aber jetzt an der Zeit, uns nach Hause zu begeben.«

»Solange Jurand am Leben ist, müssen wir hier bleiben,« antwortete die junge Maid.

»Und wie steht es mit ihm?«

»Er richtet sein Angesicht nach oben und lächelt. Offenbar erschaut er schon das Paradies und sein Kind.«

»Und Du pflegst ihn?«

»Ja, ich pflege ihn, aber Pater Kaleb sagt, daß auch Engel über ihn wachen. Gestern hat die Wirtschafterin zwei Engel gesehen.«

»Man sagt,« erwiderte Macko, »für einen Edelmann sei es am ehrenvollsten, auf dem Schlachtfelde zu sterben, wenn man aber wie Jurand dem Tode entgegengeht, dann ist es auch ehrenvoll, auf dem Lager zu sterben.«

»Er ißt nichts und trinkt nichts, aber fortwährend lächelt er,« bemerkte Jagienka.

»Gehen wir zu ihm. Zbyszko wird gleichfalls dort sein.«

Doch Zbyszko hatte nur kurze Zeit bei Jurand verweilt, welcher niemand erkannte – ihn zog es zu Danusias Sarg in das Grabgewölbe. Hier blieb er so lange, bis der alte Tolima kam, um ihn zum Mahle zu holen. Nun erst, als er hinaustrat, gewahrte er beim Lichte der Fackel, daß der Sarg mit Kränzen aus Flockenblumen und Ringelblumen geschmückt, der Platz rings umher gesäubert und mit Kalmus, Huflattich und Lindenblüten bestreut war, welche einen angenehmen Duft verbreiteten. Des jungen Kämpen Herz schwoll bei diesem Anblick und er fragte: »Wer hat die Gruft in dieser Weise geziert?«

»Die Jungfrau aus Zgorzelic,« entgegnete Tolima.

Der junge Ritter erwiderte jetzt nichts darauf, doch einen Augenblick später, als er Jagienka wiedersah, sank er vor ihr nieder, umfaßte ihre Knie und rief:

»Gott lohne Dir für Deine Güte und für die Blumen, welche Du Danusia geweiht hast.«

Bei diesen Worten weinte er bitterlich, und sie umfaßte sein Haupt mit beiden Händen, wie eine Schwester, welche ihren trauernder Bruder beruhigen will, und sagte: »O mein Zbyszko, wie gern würde ich Dich trösten.«

Und unaufhaltsam flossen nun die Thränen auch aus ihren Augen.