Kapitel 27

 

27

 

Chefinspektor Smith verließ Scotland Yard ein paar Minuten nach elf. Er ging in der Richtung nach Blackfriars, und wenn er hier entlangwanderte, dachte er gewöhnlich nach. Einer seiner Beamten hatte die Straße von Scotland Yard nach Savoy Hill deshalb »den Garten des Denkens« genannt. Sooft sich Surefoot über ein Problem nicht klarwerden konnte, ging er hier auf und ab, gleichgültig ob es Sommer oder Winter war, ob es regnete oder ob die Sonne schien. Um diese Stunde waren nur wenig Leute auf der Straße zu sehen; ab und zu fuhr ein Auto vorüber, und gelegentlich tauchte auch ein Bettler auf, der nach Zigarren- und Zigarettenstummeln suchte.

 

In der Nähe eines Hotelgartens, der nach dem Themseufer hinausführte, stand ein blauer Luxuswagen, und Smith sah hinein, als er vorüberkam. Er tat es mehr aus Gewohnheit als aus Neugierde. Mit einem flüchtigen Blick streifte er die Dame, die in dem Auto saß, und setzte dann seinen Spaziergang fort.

 

Im Weitergehen dachte er unentwegt darüber nach, wie er Binny verhaften könnte. Das größte Problem war gelöst: Er wußte, wer der Mörder war. Jetzt handelte es sich noch um die schwierige Aufgabe, ihn zu fassen.

 

Er kehrte um und ging nach Scotland Yard zurück. Um diese Zeit mußten die Berichte von der Südküste einlaufen.

 

Das große Luxusauto hielt immer noch neben dem Gehsteig, aber die Dame stand jetzt draußen an der offenen Tür. Sie war etwa Mitte Fünfzig und etwas korpulent.

 

Zu seinem größten Erstaunen sprach sie ihn mit einer merkwürdig hohen Stimme an.

 

»Könnten Sie nicht einen Polizisten für mich holen?«

 

Das war ein Ansinnen für einen so wohlbekannten Mann von Scotland Yard!

 

»Wo fehlt es denn?« fragte er.

 

Sie trat etwas von der Tür zurück.

 

»Mein Chauffeur ist betrunken zurückgekommen, und ich kann ihn nicht aus dem Wagen bringen.«

 

Ein betrunkener Chauffeur ist für alle Polizeibeamten ein Greuel. Surefoot öffnete die Tür und schaute hinein. Aber er sah nichts, ebensowenig hörte oder fühlte er etwas. Sein Bewußtsein schwand plötzlich.

 

Kapitel 28

 

28

 

Surefoots Kopf schmerzte entsetzlich. Er versuchte, die Hände zu bewegen, aber es gelang ihm nicht. Der Wagen raste in wildem Tempo durch eine Gegend, die nicht von Laternen erleuchtet war. Aus dem Geräusch der Räder schloß Smith, daß die Fahrt über eine neuangelegte Straße ging. Es war merkwürdig, daß ihm diese Tatsache wichtig erschien. Er konnte sich auf nichts besinnen und wußte nur, daß er zusammengekrümmt auf dem Boden eines Autos lag. Nach einer kleinen Weile verlor er wieder die Besinnung.

 

Erst als der Wagen über unebenes Gelände ratterte, kam Smith erneut zu sich. Er schaute auf, versuchte sich zu erheben und merkte nun, daß er Handschellen an den Gelenken hatte. Es waren seine eigenen. Er trug immer ein Paar solcher Eisen in der Tasche.

 

Jemand hatte ihm die Hände gefesselt. Jemand hatte ihm auch die Beine zusammengebunden. Er fühlte das, konnte aber mit den Händen nicht so weit hinunterreichen, um den Knoten zu lösen. Plötzlich erinnerte er sich an die Dame, an das Auto und an den. Chauffeur, nach dem er im Wagen gesucht hatte.

 

Das Auto rüttelte jetzt so heftig, daß Smith große Schmerzen empfand. Wahrscheinlich fuhren sie über einen gepflügten Acker oder einen Feldweg. Kurz darauf hielt der Wagen an, und die Tür wurde aufgerissen. Der Chefinspektor sah die »Frau« und wußte nun, mit wem er es zu tun hatte.

 

Ein kleines Landhaus lag wenige Schritte entfernt, ein häßlicher Bau aus roten Ziegeln.

 

Binny packte seinen Gefangenen am Kragen, zerrte ihn auf die Straße und schleppte ihn zu dem Haus. Die Tür flog auf, und Smith wurde in das dunkle Innere gedrängt. Es roch nach frischem Mörtel, nach Putz und neuem Holz. Binny verschloß die Tür von innen und schob den Detektiv dann in einen vollständig dunklen Raum. Dort stürzte Smith zu Boden. Es war erstaunlich, daß er sich mit gebundenen Beinen so weit hatte fortbewegen können.

 

Binny steckte ein Streichholz an, und gleich darauf erhellte das Licht einer Petroleumlampe das Zimmer. Es standen zwei Sofas, ein Stuhl und ein Küchentisch in dem Raum. Weder Vorhänge noch Gardinen waren angebracht, und die Fensterläden waren geschlossen. Der ganze Raum machte einen kahlen Eindruck.

 

Binny setzte sich auf den Stuhl, stemmte die Hände auf die Knie und betrachtete Smith.

 

Es war schwer, in dieser alten Frau mit dem gelben Gesicht und der grauen Perücke Binny zu erkennen. Er trug einen langen Damenpelzmantel, und die Perücke saß etwas schief. Das gab ihm ein teils komisches, teils grauenerregendes Aussehen. Da er sich um keinen Preis lächerlich machen wollte, nahm er sie ab. Aber mit dem kahlen Kopf und dem gelblichbraunen Gesicht wirkte er noch grotesker.

 

»Na, jetzt hab‘ ich Sie gefangen«, sagte er heiser und grinste häßlich. Dann sprach er plötzlich mit der affektiert hohen Stimme, die er als Mr. Washington Wirth stets annahm.

 

»Dieses kleine Landhaus habe ich mir vor ein paar Jahren gebaut. Ich dachte, ich könnte es einmal brauchen. Aber ich war lange Zeit nicht hier, und nun verlasse ich England. Wollen Sie es nicht kaufen, Mr. Smith? Es ist ein ausgezeichneter Platz, um sich von Berufssorgen zurückzuziehen. Hier hat man Ruhe, und ich sag‘ Ihnen, Sie werden bald sehr ruhig sein!«

 

Binny zog eine Pistole aus der Tasche, legte sie auf den Tisch, bückte sich, hob Surefoot auf und lehnte ihn in eine Ecke des Zimmers. Dann knöpfte er das Seidentuch auf, das um die Fußgelenke des Gefangenen geschlungen war, zog ihm die Schuhe aus und warf sie in eine andere Ecke. Nach einer kleinen Pause lockerte er den Kragen des Chefinspektors.

 

»Es ist Ihnen nichts passiert. Sie sind nicht im geringsten verletzt, Mr. Smith. Ein Gummiknüppel, mit dem man jemand über den Schädel schlägt, tötet nicht. Natürlich ist es unangenehm für Sie, das gebe ich zu.«

 

Surefoots Mund war trocken, und sein Kopf dröhnte. Aber er fürchtete sich nicht im mindesten, obwohl er seine verzweifelte Lage klar genug erkannte.

 

»Sie wußten nicht, daß dieser kleine Landsitz mir gehört?«

 

»O doch, das wußte ich sehr gut. Der Platz liegt etwa hundert Meter von der großen Chaussee nach Taplow entfernt. Sie haben das Grundstück vor vier Jahren gekauft und hundertfünfzig Pfund dafür gezahlt.«

 

Einen Augenblick war Binny sprachlos.

 

»Ich habe das Haus in der vorigen Woche von meinen Beamten durchsuchen lassen, und es wird jetzt von der Buckinghamshire-Polizei bewacht. Ein ähnliches Haus haben Sie in Wiltshire.«

 

Binny starrte ihn verblüfft an. Surefoot sah es und suchte seinen Vorteil rücksichtslos auszunutzen.

 

»Welchen Zweck hat es denn, solche Dummheiten zu machen, Binny? Vorläufig können wir nicht beweisen, daß Sie einen Mord begangen haben. Wir wissen nur, daß Sie Hervey Lynes Schecks gefälscht haben. Das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, sind sieben Jahre. Vielleicht bekommen Sie noch eins extra, weil Sie mich hierhergeschleppt haben. Aber was bedeutet ein Jahr! Holen Sie mir jetzt etwas Wasser. Hinter diesem Zimmer liegt die Küche. Lassen Sie es erst eine Zeitlang laufen, neulich war es rostig und trübe. Auf der Anrichte steht ein Zinnbecher, waschen Sie ihn erst gründlich aus!«

 

Der Instinkt, zu gehorchen, ist bei den meisten Menschen größer als der Instinkt, zu befehlen. Binny ging hinaus, kehrte mit dem Zinnbecher zurück und hielt ihn an die Lippen seines Gefangenen.

 

»So, nun nehmen Sie mir die Handfesseln ab. Dann wollen wir uns ein wenig unterhalten. Warum haben Sie nicht Mike Hennessey hierhergebracht, statt ihn –« Surefoot hielt ein, denn er erkannte sofort, welch einen großen Fehler er gemacht hatte.

 

Binny trat wütend zurück.

 

»Haben Sie nicht eben gesagt, daß Sie mich nicht wegen Mordes verfolgen wollen? Sie sind ein ganz gemeiner, doppelzüngiger Kerl! Aber ich werde Ihnen schon zeigen, was ich mit Ihnen vorhabe!«

 

Er langte nach der Pistole auf dem Tisch, nahm sie auf und prüfte sie sorgfältig.

 

»Ich hatte Ihnen schon immer sagen wollen, wo Ihre Macht zu Ende ist«, begann er.

 

»Nun, Ihr Wunsch ist in Erfüllung gegangen«, erwiderte Surefoot kühl. »Es wäre besser, wenn Sie sich beeilten.«

 

»Sie können sicher sein, daß ich mich beeile.«

 

Binny grinste verächtlich, schob die Pistole in die Tasche, nahm das Seidentuch auf und band dem Gefangenen die Füße wieder zusammen. Dann legte er den Pelzmantel und die Frauenkleider ab. Aus einem Theaterkoffer, der in einer Ecke stand, nahm er einen alten Anzug und zog ihn an.

 

»Der Boden hier ist gerade nicht sehr weich«, erklärte Binny mit vielsagender Betonung. »Man kommt erst nach eineinhalb Metern auf eine Tonschicht.«

 

Wenn er glaubte, Smith durch diese Worte zu erschrecken, erlebte er eine Enttäuschung.

 

»Warum lassen Sie mich das nicht erledigen? Sie sind etwas zu korpulent und außerdem aus der Übung. Aber mich würde es freuen, mein eigenes Grab zu graben.«

 

Binny schien eine Sekunde lang den Vorschlag zu überlegen.

 

»Nein, ich werde es allein tun«, sagte er dann.

 

»Aber warum machen Sie sich denn solche Mühe?« entgegnete Surefoot leichthin. »Sobald man mich vermißt, wird man nach mir suchen, und zwar sowohl hier als auch in dem anderen Haus. Soviel ich sehe, wollen Sie keine Spuren hinterlassen. Es steht noch nicht fest, daß wir Ihnen einen Mord nachweisen können, aber wenn Sie einen Polizeibeamten umbringen, kommen Sie bestimmt an den Galgen.«

 

Smith wollte nur Zeit gewinnen.

 

»Wegen der Geschichte mit Hennessey kommen Sie vielleicht durch«, fuhr er fort. »Auch die Sache mit dem alten Lyne und Tickler kann man schließlich nicht beweisen. Aber wenn Sie mich über den Haufen schießen, ist es aus. Die Leute kommen hierher und durchsuchen das Grundstück. Die finden mich, verlassen Sie sich darauf!«

 

Binny blieb an der Tür stehen.

 

»Ich habe einmal einen Polizisten gekannt, der konnte genausogut schwätzen wie Sie. Aber das hat ihm nichts geholfen, er schmort doch in der Hölle.«

 

Er ging hinaus und schloß die Tür hinter sich.

 

Smith zog die Beine hoch, so daß er das verknotete Seidentuch mit den Händen erreichen konnte. Schließlich brachte er es fertig, den Knoten zu öffnen. Aber im gleichen Augenblick hörte er, daß Binny zurückkam.

 

Der Mann fand die ungewohnte Tätigkeit doch schwerer, als er erwartet hatte. Seine Stirn war in Schweiß gebadet. Er suchte in dem Koffer, fand eine Flasche Whisky, entkorkte sie und nahm einen langen Zug.

 

»Müssen Sie sich Mut antrinken, oder brauchen Sie neue Kräfte?« fragte Surefoot.

 

»Das werden Sie schon noch sehen«, brummte Binny.

 

Smith blickte sehnsüchtig auf die zwei Pistolen, die aus Binnys Taschen herausschauten. Der Verbrecher war schon wieder halb zur Tür gegangen, kehrte aber noch einmal um und prüfte den Knoten des Seidentuches.

 

»Aha, den haben Sie schon aufgemacht! Nun, das Handwerk will ich Ihnen legen!«

 

Er durchsuchte den Koffer aufs neue, schlang dann einen Strick zwischen den Handschellen durch, zog die Arme des Gefangenen hoch und befestigte den Strick um seinen Nacken.

 

»Sie sehen merkwürdig aus – fast, als ob Sie beteten. Aber ich werde Sie jetzt nicht mehr lange warten lassen.«

 

Mit diesen Worten verließ er den Raum.

 

Surefoot war völlig hilflos, obwohl er die Autohupen von der nahen Chaussee hören konnte.

 

Er beobachtete die rauchende Petroleumlampe. Der Docht war zu hoch geschraubt, und der Zylinder hatte sich auf der einen Seite schon schwarz gefärbt.

 

Binny war vor allem darauf bedacht, zu entkommen. Er würde sich hüten, irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Selbst den Mord würde er nicht im Hause begehen.

 

Eine volle Stunde verging. Dann hörte Smith schwere Schritte und wußte, daß das Ende nahe war.

 

Kapitel 29

 

29

 

Man hatte die Abwesenheit Surefoots in Scotland Yard wohl bemerkt. Es war aufgefallen, daß er nicht verabredungsgemäß in seinem Büro erschienen war, um die Meldungen entgegenzunehmen. Da es sich allerdings nur um negative Berichte handelte, hätte man sich mit seinem Ausbleiben schließlich abgefunden. Aber zufällig meldete ein junger Polizist, daß er ein blaues Luxusauto gesehen habe, das von einer Dame gesteuert wurde. Als er ihr an der Ecke der Westminsterbrücke und des Themseufers das Haltesignal gab, achtete sie nicht darauf, obwohl sie auf der falschen Seite der Straße fuhr. Er hatte die Nummer notiert.

 

Gewöhnlich werden solche kleinen Vergehen erst am nächsten Morgen erledigt, aber während der Meldung erschien ein Mitglied des Parlaments und zeigte an, daß ihm sein blauer Wagen gestohlen worden sei.

 

»Es war ein Mann, der sich als Frau verkleidet hatte«, schloß er seinen Bericht.

 

»Wie kommen Sie darauf?« fragte der Polizeiinspektor.

 

»Als er in den Wagen stieg, stieß er mit dem Kopf an den oberen Teil der Tür. Dadurch wurden sein Hut und seine Perücke zurückgeschoben, und ich sah, daß es ein Mann mit kahlem Kopf und gelbbraunem Gesicht war. Zuerst dachte ich, er würde an Gelbsucht leiden.«

 

Der Inspektor richtete sich plötzlich wie elektrisiert auf. Die Polizei von ganz England suchte nach einem Mann mit kahlem Kopf und gelbbraunem Gesicht. Kurz darauf waren Telegraf und Telefon tätig.

 

Einige Zeit später kam wieder eine Meldung von einem Verkehrsschutzmann. In der Nähe von Heston, wo eine Straßenbahn die Hauptstraße kreuzt, hatte der blaue Wagen einen Aufenthalt gehabt. Nur mit Mühe und Not entging er einem Zusammenstoß und mußte so scharf bremsen, daß der Wagen schleuderte. Der Polizist ging auf das Auto zu, um sich den Führerschein zeigen zu lassen. Dabei sah er eine Frau am Steuer. Aber noch bevor er eine Frage stellen konnte, fuhr der Wagen wieder davon.

 

Erst anderthalb Stunden, nachdem die Beschreibung des blauen Autos an alle Stationen durchgegeben war, kam dieser Bericht. Inzwischen hatte man auch Chefinspektor Smith gesucht, da verschiedene Nachrichten auf ihn warteten. Man hatte ihn aber nirgends im Amt finden können.

 

Seine Gewohnheit, ab und zu am Themseufer einen kleinen Spaziergang zu machen, war allgemein bekannt, und der Polizeiposten dort hatte auch gesehen, daß Smith zum Savoy Hill gegangen war. Einer seiner Kollegen hatte beobachtet, daß der Chefinspektor dort umkehrte. Jemand erinnerte sich daran, daß er ein blaues Luxusauto an der Straße hatte stehen sehen.

 

Als die Ermittlungen so weit gediehen waren, hatte der Präsident selbst die Sache in die Hand genommen. Alle Detektive waren im Amt zur Beratung versammelt.

 

»Möglich, daß Binny an die Küste geflohen ist«, sagte er. »Vielleicht hat er aber auch eins seiner beiden Landhäuser aufgesucht. Die Polizei von Buckinghamshire und von Salisbury muß sofort telefonisch verständigt werden. Außerdem soll sofort das Überfallkommando an beide Orte fahren.«

 

Der Präsident sah auf die Uhr. Sie zeigte soeben halb zwei.

 

*

 

Surefoot Smith hatte kaum eine halbe Minute Zeit, um sich für einen der vielen Pläne zu entscheiden, die er sich überlegt hatte. Die meisten hatte er bereits als unausführbar verworfen.

 

Langsam öffnete sich die Tür, und Binny kam herein.

 

»So, jetzt werden Sie einen kleinen Spaziergang mit mir machen, mein Freund«, sagte er liebenswürdig, nahm die Flasche vom Tisch und trank gierig.

 

Dann bückte er sich, löste den Strick und die Fessel an Surefoots Füßen, riß ihn mit einem kräftigen Ruck vom Boden hoch und stellte ihn auf die Beine.

 

Smith schwankte etwas. Sein Kopf schmerzte furchtbar, aber die Gefahr des Augenblicks ließ alles vergessen. Er dachte jetzt vollkommen klar. Binny stand neben der Tür und hatte die Pistole in der Hand. Auf die Mündung hatte er einen eiförmigen Stahlkörper geschraubt. Surefoot hatte einen solchen Schalldämpfer noch nie gesehen.

 

Er ging zum Tisch und legte die Hände auf die Platte.

 

»Na, beten Sie erst noch ein wenig?« höhnte Binny.

 

»Es soll doch niemand erfahren, daß ich hier war? Sie wollen doch keine Spuren hinterlassen?«

 

»Richtig geraten!« entgegnete Binny belustigt.

 

»Wenn nun ein paar hundert Leute hierhereilten und alle möglichen Fragen an Sie stellten, würde Ihr Plan dann über den Haufen geworfen werden?«

 

»Was soll das heißen?« fragte er scharf.

 

Er machte einen Schritt auf seinen Gefangenen zu. Im gleichen Augenblick hob Surefoot die Lampe hoch und warf sie in den offenen Koffer, unter Kostüme, Perücken und Bärte. Glas splitterte, das Licht flackerte, und gleich darauf schoß mit dumpfem Knall eine Flamme zur Decke empor.

 

Binny stand still, von Schrecken gelähmt. Erst als sich Surefoot mit aller Gewalt auf ihn warf, um ihm mit den Handschellen ins Gesicht zu schlagen, erwachte er aus seiner Erstarrung und duckte sich. Der Schlag ging vorbei. Im nächsten Moment fühlte Smith ein heißes Brennen im Gesicht und hörte, daß eine Kugel in die Wand schlug. Wieder holte er aus und zielte nach Binnys Schädel. Obwohl sich der Mann zur Seite bog, konnte er dem Hieb doch nicht ganz ausweichen. Dabei fiel ihm die Pistole aus der Hand.

 

Das Zimmer stand nun in Flammen; die Treppe brannte, und die Hitze wurde unerträglich.

 

Smith schlug wieder auf Binny ein. Mit einem schnellen Fußtritt hatte er die Pistole zu dem brennenden Koffer gestoßen.

 

Die Tür stand auf, und Binny lief aus dem Raum hinaus. Er versuchte, die Tür zu schließen, aber Smith hatte sich schon dazwischengeschoben. Er taumelte in den Gang und warf sich wieder mit voller Wucht auf den Mörder.

 

Die einzige Hoffnung des Chefinspektors bestand darin, Binny auf den Fersen zu bleiben. Der Verbrecher hatte noch eine Pistole in der Tasche, und wenn er diese herausziehen konnte, war es vorbei. Es gelang Smith, ihn gegen die Wand zu drücken. In dieser Stellung war es Binny unmöglich, die Waffe zu erreichen. Mit allen Mitteln versuchte er, von seinem Gegner loszukommen, und nach einer fast übermenschlichen Anstrengung konnte er sich schließlich freimachen. Surefoot war dicht hinter ihm. Im nächsten Moment zog Binny die Pistole, aber Smith brachte ihn zu Fall. Eine Sekunde später erhob sich Binny jedoch wieder und lief weiter.

 

Die Flammen schlugen schon aus dem Dach und aus den Fenstern und erleuchteten die ganze Umgebung. Smith verfolgte den Verbrecher trotz seiner Fesseln. Plötzlich wandte sich Binny um, und diesmal konnte er sorgfältig zielen. Der Chefinspektor wußte, daß es jetzt keine Hoffnung mehr für ihn gab. Binny war ein guter Pistolenschütze, und er war kaum ein Dutzend Schritte von ihm entfernt. Verzweifelt sprang Surefoot vorwärts, trat aber ins Leere und fiel …

 

Er hörte den Schuß und wunderte sich, daß er noch lebte. Schließlich erkannte er, was geschehen war. Er war in das Grab gestürzt, das Binny für ihn geschaufelt hatte!

 

Plötzlich krachten mehrere Schüsse hintereinander, und jemand brüllte ein lautes »Halt!«

 

Bald darauf beugte sich sein Sergeant über den Rand der Grube.

 

»Wir haben ihn«, erwiderte der Detektiv auf Surefoots hastige Frage. Smith war müde, verletzt und zerschunden, aber als er diese Nachricht hörte, vergaß er alle Schmerzen.

 

*

 

Die Verhaftung und Verurteilung Binnys wirkten entschieden demoralisierend auf Surefoot Smith. An dem Tag, an dem der Verbrecher im Gefängnis von Pentonville gehenkt wurde, brach der Chefinspektor mit einer lebenslangen Gewohnheit. Er trank nämlich nicht Bier, sondern Whisky.

 

»Wenn es einen Tag gibt, an dem ich mich betrinken darf, dann ist es der heutige!« sagte er zu Dick Allenby.

 

Kapitel 3

 

3

 

Mary Lane sah erschrocken auf ihre goldene Armbanduhr.

 

»Vier Uhr, mein Lieber!«

 

Es tanzten immerhin noch etwa zwanzig Paare auf dem Parkett des Gesandtschafts-Klubs. Es war ein Galaabend, und bei solchen Festen wurde es immer sehr spät.

 

»Tut mir leid, daß es so ein langweiliger Abend war.«

 

Aber Dick Allenby sah nicht gelangweilt aus. Er hatte freundliche blaue Augen und ein faltenloses, sonnengebräuntes Gesicht, obwohl er in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen hatte.

 

»Auf jeden Fall hast du mich gerettet«, sagte er und winkte einem Kellner. »Bis du kamst, war ich ganz allein. Ich habe geschwindelt, als ich dir erzählte, daß Moran hier war und später wegging. Der Junge war überhaupt nicht da. Jerry Dornford sucht Anschluß – er scheint die Hoffnung noch nicht aufgegeben zu haben.«

 

Er sah zu einem Tisch auf der anderen Seite des Tanzsaals hinüber, wo der tadellos gekleidete Jerry saß.

 

»Ich kenne ihn kaum«, entgegnete Mary.

 

Er lächelte.

 

»Er möchte dich eben besser kennenlernen, aber ich kann dir nur den guten Rat geben, ihm aus dem Weg zu gehen. Jerry entfernte sich kurz vor dem Abendessen und ist erst vor kurzem wieder aufgetaucht. Die Gesellschaft, die du besucht hast, war wohl auch nicht sehr anregend, was? Dieser Wirth ist doch ein ganz merkwürdiger Kerl. Ich muß sagen, Mike Hennessey hat sich ziemlich viel herausgenommen, daß er dich dazu eingeladen hat.«

 

»Aber Mike ist ein netter Mensch«, protestierte sie.

 

»Mike ist ein Verbrecher. Ein liebenswürdiger Charakter, aber doch ein Verbrecher. Solange der frei herumläuft, ist es eine Schande, daß andere Leute im Gefängnis sitzen.«

 

Sie traten auf die Straße hinaus, und während sie auf ein Taxi warteten, sah Dick Allenby ein bekanntes Gesicht.

 

»Mr. Smith, Sie sind noch so spät auf den Beinen?«

 

»Sie meinen so früh am Morgen«, entgegnete der Detektiv und begrüßte die junge Dame.

 

»Guten Morgen, Miss Lane. Eigentlich keine gute Angewohnheit, in einen Nachtklub zu gehen.«

 

»Ich habe eine ganze Menge schlechter Angewohnheiten«, erwiderte sie lächelnd.

 

Ein Taxi fuhr vor. Mary lehnte Dicks Begleitung ab, und der Wagen entfernte sich.

 

»Nette junge Dame«, bemerkte der Chefinspektor. »Schauspielerinnen mag ich im allgemeinen nicht – ich komme gerade von der Marlborough Street, wo ich drei verhaftet habe.«

 

»Haben Sie eine kleine Razzia abgehalten?«

 

»Ach, es war nichts von Bedeutung. Übrigens wäre ich neulich beinahe in Ihre Werkstätte gekommen und hätte mir Ihre neue Schußwaffe angesehen. Ist doch wohl eine Art Luftgewehr?«

 

»Ja. Wer hat Ihnen denn davon erzählt?«

 

»Dieser Dornford. Ich verstehe die Mechanik Ihrer neuen Pistole nicht. Dornford sagt, daß bei jedem Abfeuern die Waffe neu geladen wird.«

 

»Durch das Abfeuern erhalte ich komprimierte Luft.«

 

Dick Allenby war nicht in der Stimmung, über seine Erfindung zu sprechen.

 

»Das Ding sollten Sie nach Chikago verkaufen, dort haben die Leute großes Interesse an solchen Sachen. Jede Woche werden mindestens sechs Leute umgebracht, und die Polizei fängt niemand!«

 

Dick lachte. Er war erst vor einem Monat aus Chikago zurückgekehrt und kannte die schweren Aufgaben, die die Polizei drüben zu lösen hatte.

 

»Wenn einer umgebracht werden soll«, fuhr Smith fort, »machen sie mit ihm eine Spazierfahrt aufs Land und jagen ihm unterwegs eine Kugel durch den Kopf. So etwas wäre hier einfach nicht möglich.«

 

»In der Beziehung bin ich etwas skeptisch.« Dick schüttelte den Kopf. »Aber es ist beinahe halb fünf, und ich möchte mich jetzt nicht länger über Verbrechen unterhalten. Kommen Sie mit in meine Wohnung, dort können wir noch ein Glas trinken.«

 

»Schön, ich begleite Sie. Schlafen kann ich doch nicht mehr. Dort steht ein Taxi.«

 

Das Auto stand mitten auf der Straße neben einer Verkehrsinsel.

 

Smith pfiff. »Der Chauffeur ist fortgegangen«, sagte der Portier des Nachtklubs. »Ich habe schon vorhin versucht, den Wagen für die Dame zu rufen.«

 

»Der Kerl schläft wahrscheinlich«, meinte Smith und ging über die Straße. Dick folgte.

 

Der Chefinspektor sah durch das geschlossene Fenster, konnte aber im Innern nichts erkennen. Als er schließlich die Tür aufmachte, sah er jemand am Boden liegen.

 

»Der Mensch scheint sinnlos betrunken zu sein!« rief Smith und leuchtete die Gestalt mit seiner Lampe an.

 

Das Gesicht war grauenvoll entstellt, denn der Mann hatte aus nächster Nähe einen Schuß in den Kopf erhalten. Aber Smith erkannte trotzdem, daß Mr. Horace Tom Tickler tot in diesem Wagen lag.

 

»Was, den hat man auch auf eine Spazierfahrt mitgenommen?« fragte der Chefinspektor verstört. »Großer Gott, wir leben doch nicht in Chikago!«

 

Kapitel 4

 

4

 

Fünf Minuten später war ein Dutzend Polizeibeamter zur Stelle. Ein Sergeant in der Marlborough Street, der gerade einen Betrunkenen transportierte, hatte sie alarmiert.

 

»Der ist mit einer Pistole von sehr kleinem Kaliber aus allernächster Nähe erschossen worden«, sagte er, als er den Toten oberflächlich untersucht hatte.

 

Kurz darauf kam der Krankenwagen, und Horace Tom Ticklers Leiche wurde fortgeschafft. Ein Polizist brachte das Auto zur nächsten Polizeiwache. Die Nummer war bereits aufgeschrieben, und Scotland Yard hatte Beamte ausgeschickt, um den Eigentümer, den Taxichauffeur Wells, aufzutreiben.

 

Man hatte Dick Allenby nicht besonders eingeladen, an den Ermittlungen teilzunehmen, aber er ging trotzdem zur Polizeiwache mit.

 

Der Mann war tatsächlich im Wagen erschossen worden. Das Geschoß hatte ein Loch in den Lederbezug gerissen.

 

»Wahrscheinlich lebte er noch, als er auf dem Boden lag«, meinte Smith. »Der Mörder muß einen zweiten Schuß abgefeuert haben. Wir haben nämlich eine Kugel im Boden des Wagens entdeckt.«

 

»Haben Sie den Chauffeur gefunden?« fragte Dick.

 

»Der ist auf dem Weg hierher.«

 

Mr. Wells war entsetzt, als er erfuhr, unter welchen Umständen man sein Auto gefunden hatte. Seine Aussagen waren klar.

 

Kurz vor zwei Uhr hatte er den Wagen wie gewöhnlich vor der verschlossenen Garage stehenlassen, damit er am frühen Morgen geputzt und für die Tagestour fertiggemacht werden konnte. Er durfte das riskieren, da Taxis äußerst selten gestohlen wurden; sie konnten leicht erkannt werden und brachten daher den Autodieben nichts ein.

 

Wells hatte ein vorzügliches Alibi. Als er den Wagen verlassen hatte, war er zur nächsten Polizeiwache gegangen, um dort einen Regenschirm und eine Brieftasche abzugeben, die einer der Fahrgäste liegengelassen hatte. Ein Polizist hatte gesehen, wie er den Wagen vor der Garage stehenließ, und war auch später dazugekommen, als der Chauffeur die Gegenstände persönlich auf der Wache abgab.

 

Es war bereits sieben Uhr, und die Straßen in West End belebten sich allmählich. Dick fuhr zu seiner Wohnung in Queen’s Gate zurück. Er war sehr beruhigt darüber, daß Mary nicht über die Straße gegangen war und die Tür des Unglücksautos geöffnet hatte. Es war zwanzig Minuten vor der Entdeckung an der Stelle geparkt worden. Der Portier hatte beobachtet, wie der Chauffeur den Wagen verließ und in Richtung der Air Street ging.

 

Die Polizeibeamten stellten fest, daß der Hebel der Zähluhr immer noch nach unten gedrückt war und auf siebzehn Shilling zeigte. Daraus konnten sie annähernd berechnen, wieviel Zeit zwischen dem Mord und der Entdeckung des Verbrechens vergangen war.

 

Spät am Nachmittag suchte der Chefinspektor Dick Allenby in seiner Wohnung auf.

 

»Ich dachte, Sie würden sich dafür interessieren, wie weit wir mit unseren Nachforschungen gekommen sind. Wir haben in einer der Taschen des Toten hundert Einpfundnoten gefunden.«

 

»Was, so viel Geld hatte Tickler bei sich?«

 

»Woher wußten Sie denn, daß der Mann Tickler heißt?« Surefoot Smith sah ihn argwöhnisch an.

 

Dick antwortete nicht gleich.

 

»Nun ja, ich erkannte ihn, als er im Wagen lag. Früher war er einmal Diener bei meinem Onkel.«

 

»Davon haben Sie aber gestern abend kein Wort gesagt.«

 

»Ich war meiner Sache zuerst nicht ganz sicher. Erst als er aus dem Wagen gehoben wurde, konnte ich es genau feststellen. Ich glaube, der Mann wurde entlassen, weil er gestohlen hatte, und zwar vor etwa sechs oder sieben Jahren.«

 

Der Chefinspektor nickte.

 

»Nun, dann ist alles in Ordnung. Ich wollte Ihnen eben dasselbe erzählen. Heute morgen habe ich nämlich den alten Lyne aufgesucht, aber der kümmert sich nicht um Scotland Yard. Der ist also Ihr Onkel? Da kann man Ihnen ja gratulieren!«

 

»Was sagte er denn?« fragte Dick neugierig.

 

Surefoot Smith steckte seine große Pfeife an und setzte sich.

 

»Die Geschichte machte nicht den geringsten Eindruck auf ihn. Er erinnerte sich nur noch daran, daß Tickler gestohlen hatte, und das wußten wir selbst auch schon. Hundert Einpfundnoten! Wenn wenigstens eine Fünfpfundnote darunter gewesen wäre! Dann kämen wir leichter vorwärts. Ich möchte nur wissen, wer den auf die Fahrt mitgenommen hat. Sicher war es ein Amerikaner.«

 

Smith sah mehrere Flaschen Bier unter einer der Werkbänke, öffnete zwei und trank sie kurz hintereinander aus.

 

»Wie fanden Sie denn meinen lieben Onkel?«

 

»Sind Sie mit ihm befreundet?«

 

Dick schüttelte den Kopf.

 

»Nun, dann kann ich Ihnen ja ruhig sagen, was ich von ihm denke.«

 

Der Chefinspektor äußerte sich in wenig schmeichelhafter Weise über Hervey Lyne.

 

»Das mag stimmen«, pflichtete Dick Allenby bei und sah ruhig zu, wie der Chefinspektor eine weitere Flasche Bier nahm. »Ich spreche in der letzten Zeit überhaupt nicht mehr mit ihm.«

 

»Sagen Sie mal, hatten Sie nicht seinerzeit einen Wortwechsel mit Tickler?«

 

Dick kniff die Augenlider zusammen.

 

»Hat Lyne Ihnen das erzählt?«

 

»Irgend jemand hat es mir gesagt«, bemerkte Smith.

 

»Ja, ich habe ihn aus meiner Wohnung hinausgeworfen. Er brachte eine beleidigende Mitteilung von meinem Onkel und fügte von sich aus noch ein paar unverschämte Bemerkungen hinzu.«

 

Smith erhob sich von der Bank und klopfte sich sorgfältig ab.

 

»Das hätten Sie mir alles gestern abend sagen sollen«, entgegnete er vorwurfsvoll. »Sie hätten mir damit viel Arbeit erspart.«

 

Er betrachtete die merkwürdig aussehende Luftpistole, nahm sie in die Hand und legte sie wieder hin.

 

»Mit so einer Waffe hätte man die Schüsse abfeuern können, die Tickler getötet haben.«

 

»Wollen Sie damit sagen, daß ich den Mann umgebracht habe?« fragte Allenby ärgerlich.

 

Der Chefinspektor lächelte.

 

»Lassen Sie sich die Laune nicht verderben. Ich habe ja gar nichts gegen Sie. Mein Groll richtet sich nur gegen die wissenschaftlichen Methoden, mit denen die Verbrecher heutzutage arbeiten.«

 

»Gewiß ist das eine gute Waffe«, erwiderte Dick, der sich wieder faßte, »aber ich verfolge damit ganz andere Ziele – ich weiß nicht, ob ich das in Ihren Schädel trommeln kann …«

 

»Danke schön«, murmelte Smith.

 

»Sie soll vor allem für die Industrie nutzbar gemacht werden. Wenn ich hier in dieser Stahlkammer eine gewöhnliche Patrone abschieße, erziele ich einen unheimlich hohen Luftdruck, den ich dazu verwenden kann, eine Maschine in Gang zu setzen. Genauso kann ich mit dem Ding einem Galgenvogel das Lebenslicht ausblasen.«

 

Smith sollte um vier Uhr nachmittags an einer Konferenz in Scotland Yard teilnehmen. Er haßte derartige Besprechungen, bei denen die Leute an einem runden Tisch zusammensaßen, rauchten und hochtrabende Reden über Dinge hielten, von denen sie nichts verstanden. Aber dieses Mal kam er pünktlich und fand, daß seine vier Kollegen dieses Verbrechen ebensowenig erklären konnten wie er selbst.

 

Eine neue Nachricht war inzwischen eingetroffen. Ein Polizist, der am Portland Place patrouillierte, hatte in dem Toten einen Mann wiedererkannt, den er kurz vor zwei Uhr in einer Nebenstraße gesprochen hatte. Das stimmte mit den Beobachtungen des Chefinspektors überein, der um zwei Uhr Tickler vom Portland Place her die Regent Street hatte entlanggehen sehen.

 

Merkwürdigerweise hatte der Polizist nichts von dem betrunkenen Mann erzählt, für den sich Tickler so sehr interessiert hatte.

 

»Das bringt mich auch nicht weiter«, sagte Surefoot und legte den Bericht beiseite. »Ich möchte nur wissen, warum dieser kleine Dieb ums Leben kam. Er war ziemlich am Ende. Bevor ich ihn anrief, habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie er sich nach Zigarettenstummeln bückte.«

 

Smith fand in seinem kleinen Büro eine Anzahl von Briefen. Einer davon war in Westminster aufgegeben und am Nachmittag zugestellt worden. Das Kuvert war schmutzig, und eine wenig geübte Hand hatte die Adresse geschrieben. Der Chefinspektor riß den Umschlag auf und nahm ein Blatt Papier heraus, das von einem billigen Notizblock abgerissen war. Mit Bleistift stand darauf gekritzelt:

 

Wenn Sie wissen wollen, wer den armen Mr. Tickler ermordet hat, so erkundigen Sie sich am besten bei Mr. L. Moran.

 

Smith sah lange auf die Nachricht.

 

»Warum auch nicht?« fragte er dann laut. Er hielt Mr. Moran schon immer für eine dunkle Persönlichkeit.

 

Kapitel 5

 

5

 

Mary Lane war davon überzeugt, daß sie eines Tages im West End als große Schauspielerin gefeiert werden würde, wenn sie sich auch den Wunschtraum, über Nacht berühmt zu werden, aus dem Kopf geschlagen hatte.

 

Am zweiten Morgen nach der Gesellschaft bei Washington Wirth hatte sie eine kurze Unterredung mit Mr. Hervey Lyne über die Rente, die er ihr zahlte. Es war keine angenehme Unterhaltung.

 

»Wenn du zur Bühne gehst, mußt du eben damit rechnen, daß du nur ein Hungerleben führen kannst. Dein Vater hat mich zum Vollstrecker seines Testaments gemacht, und ich besitze unbeschränkte Vollmacht. Und ich sage dir nochmals, bis zu deinem fünfundzwanzigsten Geburtstag bekommst du nicht mehr als hundertfünfzig Pfund jährlichen Zuschuß. Es hat keinen Zweck, noch weiter darüber zu reden.«

 

Mary Lane beherrschte sich in bewunderungswürdiger Weise.

 

»Ein Vermögen von zwanzigtausend Pfund bringt mehr als hundertfünfzig jährlich ein«, sagte sie.

 

»Du bekommst nicht mehr Geld in die Hand, ehe du fünfundzwanzig bist. Und dann werde ich glücklich sein, wenn ich nicht mehr dein Vormund sein muß. Übrigens noch eins: Du bist mit meinem Neffen Richard Allenby befreundet?«

 

Sie warf den Kopf in den Nacken.

 

»Ja.«

 

Er drohte ihr mit dem Finger.

 

»Ich möchte dich warnen. Von mir bekommt er nichts, ganz gleich, ob ich lebe oder tot bin.«

 

Der Butler Binny begleitete sie bis zur Tür und war sehr liebenswürdig zu ihr.

 

»Nehmen Sie sich das nicht zu Herzen«, sagte er beruhigend. »Heute hat er seinen bösen Tag.«

 

Sie erwiderte nichts darauf. Binny seufzte schwer und schüttelte traurig den Kopf, als er die Haustür schloß.

 

Der alte Hervey Lyne war ein exzentrischer Mensch, mit dem nicht leicht auszukommen war.

 

Die vornehmen Herren, die während der Regierungszeit der Königin Viktoria Tausende auf ihre Rennpferde setzten und Einladungen und Sektgelage gaben, waren manchmal in Schwierigkeiten, bares Geld aufzutreiben. Dann kamen sie immer zu Hervey, weil sie sofort wußten, ob er ihnen Geld leihen würde oder nicht.

 

Das war das Angenehme an ihm, daß er sofort ja oder nein sagte. Und was er sagte, meinte er auch, ohne lange zu handeln oder zu feilschen. Er gab das Geldgeschäft auf, als die Testamentsvollstrecker des Herzogs von Crewdon einen großen Prozeß gegen ihn anstrengten und verloren. Hervey hatte bestimmt damit gerechnet, daß die Gegner gewinnen würden.

 

Er betrachtete alle Leute, die zu ihm kamen, als Narren und hatte nicht die geringste Achtung vor ihnen. Seiner Meinung nach war es töricht, Geld zu borgen, hohe Zinsen zu zahlen und das Geld zurückzugeben.

 

Auch Dick Allenby hielt er für einen Narren, einen unverschämten Burschen, der sich für einen Erfinder hielt und nicht klug genug war, beizeiten Geld zu verdienen. Ebenso war Mary Lane in seinen Augen eine dumme Person, eine alberne Schauspielerin, die sich in Pose setzte, ihr Gesicht schminkte und für eine viel zu kleine Gage auf der Bühne arbeitete. Allenby war sein Neffe, der bei etwas vernünftigem Benehmen leicht von ihm eine Million hätte erben können. Mary Lane war die Tochter seines früheren Partners und hätte, wenn sie einen anderen Beruf gehabt hätte, dieselbe Summe bekommen können.

 

Seine Dienstboten hielt er natürlich auch für besondere Dummköpfe.

 

Binny kümmerte sich aber nicht um das, was sein Herr von ihm dachte. Er war freundlich, hatte große treue Augen und einen vollständig kahlen Kopf. Er war ein wenig faul, und seine Frau hatte morgens immer viel Mühe, ihn aus dem Bett zu bringen.

 

Er versah alle möglichen Dienste bei Mr. Lyne: er war Kammerdiener, Privatsekretär, Bote, Butler und Krankenpfleger. Von Rechts wegen hätte er ein hohes Gehalt haben müssen.

 

Der alte Hervey saß in seinem Rollstuhl zwischen den Kissen und sah düster auf die Setzeier und die Toastschnitten, die vor ihm auf einem Tablett standen.

 

»Hat dieser verrückte Detektiv wieder nach mir gefragt?«

 

»Nein«, entgegnete Binny. »Sie meinen doch Mr. Smith?«

 

»Ich meine den blöden Kerl, der sich nach diesem Verbrecher Tickler erkundigte«, rief der Alte heftig und schlug mit der Faust so hart auf den Tisch, daß die Tassen tanzten.

 

»Der im Auto gefunden wurde?«

 

»Fragen Sie nicht so dumm, Sie wissen es doch ganz genau. Natürlich hat ihn irgendeiner von dem Diebsgesindel getötet, mit dem er befreundet war. Die Leute nehmen ja gewöhnlich ein solches Ende.«

 

Hervey Lyne verfiel in Schweigen. Er schaute düster vor sich hin und dachte darüber nach, ob Binny ihn auch bestahl. Seit einiger Zeit war sein Verdacht gewachsen, da die Rechnungen bei der Kolonialwarenhandlung immer größer wurden. Binny hatte zwar erklärt, daß die Lebensmittelpreise in die Höhe gegangen seien, aber das war nach Lynes Meinung gelogen. Der Kerl gehörte zu diesen verdammt ruhigen Leuten, die vor ihrem Herrn kriechen, sich aber kein Gewissen daraus machen, ihn zu bestehlen. Es war höchste Zeit, daß er Binny entließ und einen anderen Butler engagierte.

 

»Wann kommt dieser Bursche?« fragte er barsch.

 

Binny schenkte am Nebentisch seinem Herrn gerade eine Tasse Tee ein. Er wandte den Kopf und sah ihn ungewiß an.

 

»Wen meinen Sie? Die junge Dame ist um neun gekommen.«

 

Hervey verzog verächtlich den Mund.

 

»Sie Dummkopf, ich meine den Bankdirektor.«

 

»Mr. Moran – um zehn.«

 

»Bringen Sie mir den Brief – bringen Sie ihn sofort!«

 

Binny stellte die Teetasse vor Mr. Lyne, blätterte in einem kleinen Stoß von Papieren, die auf dem offenen Sekretär lagen, und fand schließlich, was er suchte.

 

»Lesen Sie vor – lesen Sie genau«, drängte der alte Mann.

 

Sein Augenlicht war sehr schlecht geworden. Er konnte wohl noch hell und dunkel unterscheiden, an dem lichten Schein erkennen, wo das Fenster lag, ohne Hilfe die siebzehn Treppenstufen hinaufsteigen, die zu seinem Schlafzimmer führten, und seinen Namen unterschreiben. Aber das war auch alles.

 

Binny las mit monotoner Stimme:

 

»Sehr geehrter Mr. Lyne, es wird mir ein Vergnügen sein, morgen vormittag um zehn Uhr bei Ihnen vorzusprechen.

 

Mit vorzüglicher Hochachtung

Leo Moran«

 

Hervey lächelte wieder.

 

»So, es wird ihm ein Vergnügen sein?« wiederholte er mit schriller Stimme. »Meint der Kerl denn, ich bestelle ihn zum Vergnügen her?«

 

Es klingelte an der Haustür. Binny ging nach unten und kam kurz darauf mit dem Besucher zurück.

 

»Mr. Moran«, meldete er.

 

»Nehmen Sie Platz, Mr. Moran.« Der alte Mann machte eine ungewisse Handbewegung. »Binny, bringen Sie einen Stuhl, und dann machen Sie, daß Sie hinauskommen – verstanden? Und horchen Sie nicht an der Tür, verdammt noch mal!«

 

Der Besucher lächelte, als sich die Tür hinter Binny schloß. Die Worte schienen wenig Eindruck auf den Butler gemacht zu haben.

 

»Mr. Moran, Sie sind mein Bankier.«

 

»Ja, Mr. Lyne. Ich habe schon vor einem Jahr angefragt, ob ich einmal mit Ihnen sprechen könnte – vielleicht erinnern Sie sich daran?«

 

»Natürlich. Aber ich mag keine Bankdirektoren sehen. Die sollen dafür sorgen, daß mein Geld Zinsen bringt. Das ist ihre Pflicht, dafür werden sie bezahlt. Haben Sie die Abrechnung?«

 

Der andere zog einen Briefumschlag aus der Tasche, öffnete ihn und nahm zwei große, zusammengefaltete Bogen heraus.

 

»Hier«, begann er. Sein Stuhl krachte, als er sich erhob.

 

»Ich will die Abrechnung nicht sehen. Sagen Sie mir die Endsumme.«

 

»Zweihundertundzwölftausendsiebenhundertsechzig Pfund und einige Shilling.«

 

»Hm!« erwiderte Mr. Lyne zufrieden. »Und wie steht es mit den Wertpapieren?«

 

»Nach dem jetzigen Kursstand sind sie sechshundertzweiunddreißigtausend Pfund wert.«

 

»Ich will Ihnen sagen, warum ich mit Ihnen sprechen wollte«, sagte Lyne, fügte aber sofort argwöhnisch hinzu: »Öffnen Sie doch einmal die Tür und sehen Sie zu, ob dieser verdammte Kerl horcht.«

 

Der Besucher erhob sich, machte die Tür auf und schloß sie wieder.

 

»Es ist niemand draußen.«

 

Er lächelte, aber Mr. Lyne konnte das nicht beobachten.

 

»So, es ist niemand draußen? Also, Moran, dann hören Sie einmal zu. Ich halte mich für einen sehr fähigen Mann. Damit will ich mich nicht rühmen; das ist eine Tatsache, die Sie selbst feststellen können. Ich traue niemandem, nicht einmal einem Bankdirektor. Meine Sehkraft ist nicht mehr besonders gut, und es fällt mir schwer, Rechnungen zu kontrollieren. Aber ich habe ein sehr gutes Gedächtnis, das ich dauernd trainiere. Ich kann Zahlen unheimlich lange behalten, und ich hätte Ihnen bis auf einige Shilling genau die Summe nennen können, die Sie eben angaben.« Der alte Mann machte eine Pause und sah durch seine dicken Gläser zu dem Besucher hinüber, der auf der anderen Seite des Schreibtisches saß.

 

»Hoffentlich spekulieren und spielen Sie nicht?«

 

»Nein, Mr. Lyne.«

 

Mr. Moran atmete erleichtert auf, als er sich wieder von dem Alten verabschieden konnte.

 

Binny wurde durch ein Klingelzeichen seines Herrn in seinem Zimmer aufgestört. Als er nach oben kam, war der Besucher schon gegangen.

 

»Sagen Sie, Binny, wie sah der Mann aus? Hatte er ein ehrliches Gesicht?«

 

Der Butler dachte lange nach.

 

»Er hatte ein ganz gewöhnliches Gesicht«, meinte er dann.

 

Lyne war ärgerlich.

 

»Bringen Sie das Frühstücksgeschirr weg. Wer kommt denn heute sonst noch?«

 

Binny überlegte lange.

 

»Ein gewisser Dornford.«

 

»Ein Herr namens Dornford«, verbesserte ihn der Alte. »Er schuldet mir Geld, deshalb ist er ein Herr. Wann kommt er?«

 

»Ungefähr um acht.«

 

»Sie bleiben im Zimmer, wenn er kommt. Haben Sie mich verstanden? Er ist ein gemeiner Kerl – ein gefährlicher Mensch. Es ist gut, wenn Sie da sind.«

 

»Jawohl.«

 

Kapitel 22

 

22

 

»Der Geruch kommt hier aus dem nächsten Zimmer.«

 

Surefoot kniete nieder und drückte das Gesicht auf den Fußboden. Der Gasgeruch war sehr stark. Die Tür ließ sich nicht öffnen, da sie von innen zugeschlossen war. Auf wiederholtes Klopfen erhielt Smith keine Antwort. Entschlossen trat er ein paar Schritte zurück und warf sich dann mit voller Wucht gegen die Tür. Krachend flog sie auf, und er fiel der Länge nach in das Zimmer. Es war so von Gas erfüllt, daß er nicht atmen konnte. Er taumelte zurück, lief in Marys Zimmer, feuchtete ein Handtuch an und preßte es auf den Mund. Dann eilte er in den nächsten Raum, und nachdem er das Fenster aufgerissen hatte, hob er den Mann auf, der auf dem Bett lag, und schleppte ihn in den Gang.

 

Einen Augenblick sah er in das gerötete Gesicht und erkannte zu seinem Erstaunen Leo Moran. Das ganze Hotel war jetzt auf den Beinen. Ein Arzt, der auf demselben Korridor wohnte, kam im Pyjama heraus und leistete die Erste Hilfe, während Surefoot in das Zimmer zurückging.

 

Er bemerkte, daß immer noch Gas aus dem Ofen strömte, drehte den Hahn ab und öffnete das Fenster noch weiter. Dabei entdeckte er, daß diese Tragödie sehr gut vorbereitet worden war. Alle Fensterritzen waren mit Isolierband zugeklebt, sogar das Schlüsselloch. Der Spalt in der Tür zum Badezimmer war mit einem Handtuch zugesteckt. In der Nähe des Bettes stand ein Glas auf dem Schreibtisch, das noch halb mit Whisky gefüllt war. Moran hatte vorher anscheinend geschrieben. Surefoot nahm den angefangenen Brief, der an den Generaldirektor von Morans Bank gerichtet war.

 

Sehr geehrter Herr,

 

ich teile Ihnen mit, daß ich wieder nach London zurückgekehrt bin. Aus Gründen, die ich Ihnen persönlich auseinandersetzen werde, wohne ich unter angenommenem Namen im Hotel. Ich hoffe, daß diese Erklärungen Ihnen genügen werden …

 

Hier endete der Brief mit einem merkwürdigen Strich, als ob Moran plötzlich von einem Unwohlsein befallen worden wäre.

 

Es lag auch ein großer, mit Maschine beschriebener Aktenbogen auf dem Tisch, aber Smith entdeckte ihn nicht gleich.

 

Der Chefinspektor schaute sich im Zimmer um. Zuerst fiel ihm auf, daß die Tür des großen Kleiderschranks weit offenstand. Er sah hinein – der Schrank war leer, auf dem Boden waren zwei schmutzige Fußspuren, unverkennbar Abdrücke von Gummischuhen. Hier hatte sich also jemand versteckt. Draußen regnete es stark, und die Fußabdrücke waren noch naß.

 

Smith trat in den Korridor hinaus und sah, daß Moran in ein anderes Zimmer getragen worden war. Der Arzt und der Portier bemühten sich, ihn wieder ins Leben zurückzurufen. Surefoot ging zurück, und nun bemerkte er den Aktenbogen, der oben auf dem Stapel anderer Papiere lag. Als er ihn aufgenommen und den Anfang gelesen hatte, setzte er sich schwer in einen Stuhl, denn dieses Schriftstück war ein Mordgeständnis.

 

Ich, Leopold Moran, stehe im Begriff, aus der Welt zu scheiden. Aber bevor ich gehe, möchte ich ein Geständnis ablegen über drei Morde. Das erste meiner Opfer war ein gewisser Tickler.

 

Er hatte entdeckt, daß ich die Bank schädigte und beraubte, und erpreßte mich infolgedessen seit vielen Monaten. Er wußte, daß ich unter dem Namen Washington Wirth Gesellschaften gab und daß ich mich in dem Zimmer über einer Garage umzukleiden pflegte. Dort überraschte er mich und verlangte von mir tausend Pfund. Ich gab ihm hundert einzelne Banknoten zu je einem Pfund und überredete ihn dann, mit mir nach West End zu fahren, und zwar in einem Taxi, das in einer Nebenstraße stand. Als er einstieg, erschoß ich ihn, schloß die Tür und fuhr nach Regent Street, wo ich den Wagen an einem Parkplatz stehenließ.

 

Am nächsten Tage hatte ich eine Unterredung mit Hervey Lyne, der argwöhnisch wurde. Ich hatte nämlich seinen Namen gefälscht, wodurch ich große Summen von seinem Konto abheben konnte.

 

Er ließ mich in seine Wohnung kommen, und ich wußte, daß er mein Spiel durchschaut hatte. Vergeblich versuchte ich, seinen Diener Binny zu bestechen. Er sollte mir helfen, den Alten zu beschwindeln. Aber der Mann war entweder zu ehrenhaft oder zu dumm, um auf meinen Plan einzugehen. Binny ist einer der ehrlichsten Menschen, die ich jemals getroffen habe. Meiner Meinung nach war es töricht von ihm, daß er mich nicht unterstützte.

 

Ich wußte, daß Hervey Lyne sich jeden Nachmittag in den Regent’s Park fahren ließ, und zwar immer an einen bestimmten Platz, den ich von meiner Wohnung aus sehen konnte. An dem betreffenden Nachmittag war ich so verzweifelt und in die Enge getrieben, daß ich ihn von meinem Fenster aus mit einem Gewehr erschoß. Ich hatte einen Schalldämpfer daran befestigt. Zufällig machte auch ein gerade vorüberfahrendes Auto großen Lärm. Später schickte ich unter meinem eigenen Namen einen Mann nach Deutschland, blieb aber selbst in London.

 

Ich fürchtete mich vor Hennessey, der mich auch erpreßte, und ich mußte ihn unter allen Umständen zum Schweigen bringen. Deshalb fuhr ich in einem Auto mit ihm nach Colnbrook und erschoß ihn im Wagen. Vorher erzählte er mir noch, daß Miss Lane im Besitz der falschen Bankabrechnung sei, die ich ihm übergeben hatte. Am Abend brach ich in ihre Wohnung ein und durchsuchte sie, fand aber nicht, was ich haben wollte.

 

Alles, was ich hier geschrieben habe, ist wahr. Ich bin lebensmüde, scheide aber ohne Reue.

 

Leo Moran

 

Surefoot las das Geständnis sorgfältig durch und suchte das Zimmer dann nach Gummischuhen ab, konnte aber keine entdecken. Er fand Mary Lane vollkommen angekleidet in ihrem Zimmer.

 

»Haben Sie nicht das Gesicht des Mannes gesehen, der bei Ihnen eindringen wollte?« fragte er.

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Haben Sie ihn sonstwie erkannt?«

 

Sie erzählte ihm von ihrer Vermutung.

 

Soweit er die Sache beurteilen konnte, war zwischen dem Auftauchen des geheimnisvollen Mannes und seiner eigenen Ankunft eine Viertelstunde vergangen. Diese Zeit genügte für Moran, sich im Zimmer einzuschließen. Smith dachte gerade darüber nach, als er etwas Glänzendes auf dem Boden sah. Er bückte sich und hob einen Schlüssel auf, der in der Nähe des offenen Fensters lag. Dann ging er in Morans Zimmer zurück, riß das Klebepflaster über dem Schlüsselloch ab, steckte den Schlüssel hinein und drehte ihn um. Nun hatte er keinen Zweifel mehr.

 

Moran war noch bewußtlos, aber der Arzt erklärte, daß er außer Gefahr sei. Surefoot hatte telefonisch zwei Detektive ins Hotel bestellt, ließ den Bankdirektor unter ihrer Bewachung zurück und ging zum Scotland Yard.

 

Mitten in der Nacht wurden drei der höchsten Polizeibeamten aus ihren Betten geholt und zu einer dringenden Konferenz nach Scotland Yard gerufen. Surefoot zeigte ihnen das Geständnis.

 

»Dann ist ja alles sonnenklar«, erklärte sein direkter Vorgesetzter. »Sobald er wieder zu Bewußtsein gekommen ist, lassen Sie ihn ins Gefängnis überführen und erheben Anklage gegen ihn.«

 

Surefoot schwieg einen Augenblick und warf einen prüfenden Blick auf das Schriftstück.

 

»Das Geständnis ist aber nicht im Hotelzimmer geschrieben worden«, sagte er. »Es müßte denn sein, daß eine unsichtbare Schreibmaschine dort untergebracht wäre. Ich habe jedenfalls keine gesehen. Die Tür war von innen verschlossen, und ich fand den Zimmerschlüssel in Miss Lanes Zimmer auf dem Boden. Weiterhin habe ich entdeckt, daß das Klebepflaster, das die Ritzen der Balkontür abdichtete, von außen angebracht war. Da hat der Täter einen Fehler begangen.«

 

Smith nahm eine Flasche mit einer hellgelben Flüssigkeit aus der Tasche.

 

»Hier ist der Whisky, den ich auf dem Schreibtisch fand. Er muß untersucht werden.«

 

»Wie war Moran denn gekleidet, als Sie ihn fanden?« fragte einer der Chefinspektoren.

 

»Er war vollkommen angekleidet und trug auch Schuhe. Aber merkwürdigerweise lag er mit den Füßen auf dem Kissen. In dieser Lage würde ich jedenfalls nicht Selbstmord begehen. Es ist alles sehr sonderbar!«

 

Sein Vorgesetzter richtete sich im Stuhl auf: »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«

 

Surefoot überlegte eine Weile.

 

»Moran war am Abend noch ausgegangen. Der Portier sah ihn dann zurückkommen, und zwar eine Stunde, bevor ich ihn in seinem Zimmer fand. Whisky und Soda waren ihm nach oben gebracht worden, der Whisky in einem Glas, die Sodaflasche war verschlossen. Er hatte das Getränk eine Stunde vorher bestellt. Ich habe die Schriftstücke durchgesehen, die auf dem Schreibtisch lagen, und aus allem die Überzeugung gewonnen, daß Moran nicht die Absicht hatte, Selbstmord zu begehen. Er war nach London zurückgekommen, um die Cassari-Aktien zu kaufen, die am Londoner Markt noch zu haben waren. Außerdem hatte er den festen Auftrag, in London ein Büro der Cassari-Petroleum-Gesellschaft zu eröffnen. Er wollte keinerlei Aufsehen erregen, da sonst vielleicht seine Absicht durchkreuzt worden wäre, die Petroleumaktien zu kaufen. Ich habe das alles aus einem Brief ersehen, den er einem Türken nach Konstantinopel geschrieben hat. Ich nahm mir die Freiheit, ihn zu öffnen.

 

Obendrein wollte Moran morgen den Generaldirektor seiner Bank aufsuchen – das sieht nicht nach Selbstmord aus.«

 

»Aber wie erklären Sie sich denn dann die ganze Sache?«

 

»In Morans Abwesenheit ist jemand in sein Zimmer eingedrungen. Das war verhältnismäßig leicht, denn auf der Etage liegen zwei unbewohnte Zimmer, die ebenfalls einen Ausgang auf den langen Balkon an der Vorderseite des Hauses haben. Der Eindringling hat ein Betäubungsmittel in den Whisky gegossen und sich dann im Kleiderschrank versteckt. Als Moran den Whisky getrunken und die Besinnung verloren hatte, trat der andere aus dem Versteck hervor, hob Moran auf und legte ihn aufs Bett. Er verklebte alle Ritzen an Tür und Fenstern und drehte den Gashahn auf. Dann verließ er das Zimmer durch die Glastür, ging auf den Balkon, verklebte auch die Glastür noch von außen und kam in Miss Lanes Zimmer. Wahrscheinlich hat er die Türen auf dem Balkon verwechselt. In ihrem Zimmer hat er dann auch Morans Schlüssel verloren. Auf dem Korridor bemerkte er wohl den Verlust und wollte in Miss Lanes Zimmer zurückkehren. Sie wachte aber auf, und ihr Schrei verscheuchte ihn.«

 

»Aber wie konnte der Mann das Hotel verlassen, ohne daß ihn der Nachtportier sah?«

 

Surefoot lächelte mitleidig. »Es gibt drei Ausgänge. Am leichtesten war es für ihn, die Gesindetreppe zu benutzen und das Hotel durch die Küche zu verlassen.«

 

Surefoot unterstrich mit einem Bleistift ein paar Zeilen des Geständnisses.

 

»Sehen Sie einmal, wie sehr er Binny herausstreicht und lobt. Das ist doch sehr verfänglich. Jedes Kind muß ja merken, daß Binny dieses Schriftstück verfaßt hat!«

 

»Was – der Butler des verstorbenen Mr. Lyne?«

 

Surefoot nickte.

 

»Ich kenne ihn noch unter verschiedenen anderen Namen. In London war er zum Beispiel als Mr. Washington Wirth bekannt. Er ist der gesuchte Mörder.«

 

Kapitel 23

 

23

 

Die hohen Beamten sahen Surefoot verblüfft an.

 

Smith nahm ein längliches Kuvert aus der Brusttasche, das die Übertragung eines langen Chiffre-Telegramms sowie eine etwas verschwommene Fotografie enthielt.

 

»Dieses Bild wurde uns telegrafisch übermittelt. Es ist ein Foto von Arthur Ryan. Das ist ein anderer Name dieses Verbrechers, der sowohl in Chikago als auch in New York von der Polizei gesucht wird. Er arbeitete mit drei verschiedenen Banden zusammen und hatte Glück, daß er mit dem Leben davonkam. Ich werde Ihnen einen Abschnitt aus dem Telegramm vorlesen:

 

Der Mann spricht ein sehr gewöhnliches Englisch und soll früher Kammerdiener gewesen sein. Seine Verbrechen begeht er in der Weise, daß er bei einer reichen Familie Stellung sucht und die Gelegenheit dann zu Räubereien großen Stils ausnutzt. In den Staaten hat er sich vielfach am Alkoholschmuggel beteiligt. Er ist verantwortlich für die Ermordung Eddie McGeans und steht im Verdacht, auch noch andere Morde begangen zu haben.«

 

Er gab das Foto aus der Hand, damit die anderen es betrachten konnten.

 

»Das Bild ist nicht gerade sehr gut. Es wurde im Polizeipräsidium von New York aufgenommen. Aber es zeigt deutlich, daß es Binny ist. Ich habe ihn auf den ersten Blick erkannt.«

 

»Ja, das stimmt«, erwiderte Chefinspektor Knowles, während er das Foto prüfte. »Ich sah ihn hier im Hause, als Sie ihn verhörten. Aber mir ist nicht klar, warum er den alten Lyne ermordet haben soll?«

 

»Weil er sein Geld unterschlagen hat. Miss Lane hat uns auf die Spur gebracht. Es tut mir leid, daß ich nicht selbst so schlau war, alles zu durchschauen. Sämtliche gefälschten Schecks waren am Siebzehnten des jeweiligen Monats ausgeschrieben. Da sie dem alten Mann längere Zeit die Wirtschaft geführt hatte, wußte sie, daß er an diesem Tag stets die Rechnungen der Geschäftsleute bezahlte. Er hatte dabei die üble Angewohnheit, Mitteilungen, meistens sogar recht beleidigende Äußerungen, auf die Rückseite der Schecks zu schreiben. Ich entdeckte eine solche Bemerkung, die lautet: ›Schicken Sie nicht mehr chinesische E …‹ Miss Lane wußte, daß Lyne ständig glaubte, er würde von den Kaufleuten betrogen. Er nahm an, daß sie ihm sogar alte chinesische oder andere importierte Eier schickten. Und um dem Händler ins Gewissen zu reden, schrieb er bei Bezahlung der Rechnung derartige Mahnungen auf die Rückseite der Schecks. Miss Lane hat das häufig gesehen. Es war ganz gleich, ob es sich um Schuster, Schneider oder Kolonialwarenhändler handelte. Sie hat in dieser Richtung Nachforschungen angestellt und die Kaufleute einzeln aufgesucht und ausgefragt.

 

Und nun kommt das Interessante. Die Leute erklärten, daß Lyne sie bereits seit zwei oder drei Jahren nicht mehr mit Schecks bezahlte. Entweder kam Binny persönlich und brachte bares Geld, oder er schickte die Beträge durch die Post. Wissen Sie, was das bedeutet?

 

Lyne war fast blind – die Schecks, die er für die Händler zeichnete, zahlte Binny auf sein eigenes Privatkonto ein. Der alte Mann wollte nicht zugeben, daß er kaum noch sehen konnte. In seiner Eitelkeit behauptete er, noch gut lesen zu können. Es war daher leicht für Binny, am Siebzehnten des Monats seinem Herrn Schecks vorzulegen, mit denen er angeblich die Rechnungen der Kaufleute bezahlen wollte. Zuerst füllte er sie mit Bleistift und mit den wirklichen Summen aus, die sie zu bekommen. hatten. Ich habe mehrere Schecks untersucht. Unter dem Mikroskop kann man noch die Bleistiftschrift erkennen. Natürlich war es nicht schwer, sie auszuradieren. Wenn er Lynes Unterschrift erhalten hatte, setzte er die großen Summen ein, die dann auf sein Konto eingezahlt wurden.

 

Binny muß nun Wind davon bekommen haben, daß Untersuchungen gegen ihn eingeleitet waren, denn er machte den Versuch, Miss Lane in ihrer Wohnung zu überfallen. Sie hat sich nur dadurch retten können, daß sie bei einem telefonischen Anruf an die Polizei vorgab, ihn für Moran zu halten. Er war zufrieden, als er das hörte, und ließ sie in Ruhe. Hätte er sich nur ein wenig mehr um die Sache gekümmert, so hätte er herausbekommen, daß alle ihre Nachforschungen nicht Moran, sondern ihm galten. Aber wenn die Verbrecher immer logisch dächten, könnte man sie ja niemals henken.«

 

»Wo wurde denn der Mord an Lyne begangen?« fragte der Vorgesetzte.

 

Surefoot schüttelte den Kopf.

 

»Die Frage bereitet mir viel Kopfzerbrechen. Es ist möglich, daß Binny den Schuß abfeuerte, als Dornfords Auto so geräuschvoll vorüberfuhr. Nach dem Geständnis, das Moran mit dem Mord belasten sollte, könnte man ja fast annehmen, daß es so vor sich gegangen ist. All die anderen Verbrechen, die darin erwähnt werden, wurden in der angegebenen Weise von Binny selbst begangen.«

 

Surefoot Smith ging ins Hotel zurück, um sich nach Morans Befinden zu erkundigen. Es waren noch manche Einzelheiten des Falles aufzuklären.

 

Die Ermordung Mike Hennesseys gab ihm zu denken. Wenn der Theaterdirektor Binny erpreßte, war allerdings ein Motiv vorhanden. Aber was konnte denn Mike Hennessey wissen? Selbstverständlich war ihm bekannt, daß Binny tagsüber Butler und Bedienter war, während er abends den großartigen Washington Wirth spielte. Warum sollte aber Mike den Mann erpressen, der ihm soviel Geld gab?

 

Binny mußte Mike aus einem anderen Grund ermordet haben, das stand für Surefoot fest.

 

Der Butler war nicht mehr gesehen worden, seitdem Mary ihn nach Newcastle geschickt hatte. Sie hatte diese Reise natürlich nur zum Vorwand genommen, um ungestört den Schlüssel an der Hintertür von Hervey Lynes Haus ausprobieren zu können.

 

Der mit Leuchtfarbe angestrichene Schlüssel war kein Geheimnis mehr. Manchmal kam »Mr. Washington Wirth« von seinen Gesellschaften in angeheiterter Stimmung zurück. Er mußte sich dann in dem Zimmer über der Garage umkleiden, und es war mehrmals vorgekommen, daß er den Schlüssel dort hatte liegenlassen. Wahrscheinlich hatte er die Gewohnheit, ihn auf den Tisch zu legen. Wenn der Schlüssel aber aufleuchtete, sobald das Licht ausgedreht war, wurde Binny an ihn erinnert.

 

An dem Abend, an dem Tickler ermordet wurde, hatte er den Schlüssel vollkommen vergessen und mußte ein Kellerfenster eindrücken, um seine Schlafkammer in Lynes Haus zu erreichen. Auf diese Erklärung war Mary gekommen. Sie hatte den Schlüssel gleich zu Anfang erkannt, denn als Kind hatte sie ihn alle Tage gesehen. Daraufhin schickte sie Binny nach Nordengland, um die Richtigkeit ihrer Annahme zu beweisen.

 

Bei diesem Versuch hätte sie aber beinahe ihr Leben eingebüßt, denn Binny war nicht dumm. Er ließ nicht mit sich spaßen und war natürlich nicht mit dem Zug abgefahren, sondern noch vor Mary in die Wohnung zurückgekehrt.

 

Als Surefoot ins Hotel kam, hatte Leo Moran das Bewußtsein wiedererlangt, aber es ging ihm durchaus nicht gut. Die Nachwirkungen der Gasvergiftung waren sehr unangenehm. Seine Erzählung bestätigte die Theorien des Chefinspektors.

 

Surefoot zeigte Moran darauf das Mordgeständnis und las ihm auch Teile daraus vor.

 

»Ich weiß nicht, was Binny von Morden schreibt. Das ist doch heller Wahnsinn. Wer ist denn ermordet worden?«

 

Smith erklärte es ihm kurz.

 

»Was, Hervey Lyne ist ermordet worden? Das ist ja entsetzlich! Wann ist das denn passiert?«

 

»An dem Tag Ihrer Abreise.«

 

Moran runzelte die Stirn.

 

»Aber ich sah ihn doch noch von meinem Fenster aus! Er saß in seinem Rollstuhl unter dem Baum im Park, wo er sich gewöhnlich auszuruhen pflegte. Ich habe ihn häufig dort beobachtet. Binny las ihm vor.«

 

»Wann war das?« fragte Surefoot schnell.

 

Moran dachte eine Weile nach, bevor er antwortete.

 

»Also zehn Minuten, bevor er tot aufgefunden wurde«, meinte Smith. »Die Entfernung war aber wohl zu groß – Sie konnten nicht erkennen, ob er sich mit Binny unterhielt?«

 

»Als ich ihn sah, las Binny ihm etwas vor.«

 

Surefoot hatte unerwartet einen Augenzeugen gefunden. Moran war vermutlich der einzige, der die beiden kurz vor Lynes Tod beobachtet hatte.

 

»Wo saß Binny?«

 

»An der gewöhnlichen Stelle. Er schaute Lyne ins Gesicht.«

 

»Haben Sie gesehen, daß Binny um den Stuhl herumging?«

 

Moran zögerte:

 

»Ja. Ich kann mich jetzt darauf besinnen. Er ging um den Stuhl herum. Ich mußte damals daran denken, daß Spieler manchmal von ihrem Stuhl aufstehen und ihn umkreisen, um mehr Glück im Spiel zu haben.«

 

»Sonst haben Sie nichts gesehen – oder gehört?«

 

Moran schaute ihn groß an.

 

»Haben Sie denn Binny im Verdacht?«

 

Surefoot nickte.

 

»Es ist kein Verdacht mehr. Wir wissen bereits genau, daß er der Täter ist.«

 

Moran überlegte noch einmal.

 

»Ja, er ging bestimmt um den Stuhl herum. Gehört habe ich nichts. Sie meinen doch einen Schuß? Ich habe auch nicht gesehen, daß sich Binny irgendwie verdächtig benommen hätte.«

 

Surefoot sah das gefälschte Geständnis noch einmal kurz durch.

 

»Kennen Sie Binny?«

 

»Ja, oberflächlich. Er war früher einmal mein Diener. Ich habe ihn entlassen, weil er gestohlen hat.«

 

Smith nahm das Zigarettenetui aus der Tasche, das unter dem Sitzkissen des Autos gefunden worden war.

 

Moran streckte sofort die Hand danach aus.

 

»Ach, großartig, daß Sie das gefunden haben! Das Etui gehörte zu den Dingen, die ich damals vermißte. Wie sind Sie denn dazu gekommen?«

 

Bei Morans Zustand hielt Surefoot es nicht für angezeigt, ihm die grausige Geschichte zu erzählen.

 

»Ich dachte, es gehörte vielleicht Ihnen. Aber vorläufig brauchen wir es noch.« Er steckte es wieder ein. »Es ist wahrscheinlich schon ziemlich alt und außerdem für die Gelegenheit wohl besonders gesäubert und geputzt worden.«

 

»Was für eine Gelegenheit meinen Sie denn?« erkundigte sich Moran neugierig, aber Smith überhörte die Frage.

 

Moran sprach dann offen von den Reisen, die er gemacht hatte.

 

»Ich hatte es eigentlich nicht nötig, so Hals über Kopf abzureisen, aber ich hatte mich über die Direktion sehr geärgert, die mir den Urlaub abgeschlagen hatte. Es war wichtig, daß ich nach Konstantinopel kam, während der Aufsichtsrat der Cassari-Petroleum-Gesellschaft neu gewählt wurde. Ich habe sehr großes Interesse an der Gesellschaft. Sie ist augenblicklich eine der größten ihrer Art. Übrigens ist Miss Lane auch eine reiche Frau geworden. Die Aktien, die ich von ihr gekauft hatte, können nach türkischem Recht nicht auf mich übertragen werden, da noch eine andere Unterschrift fehlt. Gesetzmäßig habe ich wohl ein Anrecht darauf, moralisch kaum. Ich werde ihr also das Aktienpaket für denselben Preis wieder zurückerstatten, den ich dafür gezahlt habe. Das bedeutet, daß sie mehr Geld besitzt, als sie überhaupt in ihrem ganzen Leben ausgeben kann.« Er lächelte schwach. »Mir ist es ähnlich gegangen.«

 

Mehr konnte Smith im Augenblick nicht von Moran erfahren, er war zu abgespannt und müde. Der Chefinspektor ließ ihn allein, damit er sich ausruhen konnte. Scotland Yard hatte die Nachricht durchgegeben, daß Dick Allenby im Flugzeug von Paris nach London unterwegs war. Er erreichte Croydon in aller Frühe und fand dort ein Polizeiauto vor, das ihn zum Regent’s Park brachte.

 

Als der Wagen in Naylors Crescent einbog, sah er Surefoot Smith und drei Polizeibeamte in Zivil, die ihn erwarteten.

 

»Es tut mir leid, daß ich Sie zurückholen mußte, aber es ist notwendig, daß ich das Haus noch einmal genau durchsuche. Und bei dieser Gelegenheit müssen Sie anwesend sein.«

 

»Haben Sie Moran gefunden?« fragte Dick ungeduldig. »Sie haben doch die telefonische Nachricht aus Dover erhalten –«

 

Surefoot nickte.

 

»Hat er Ihnen etwas über Binny gesagt?«

 

»Binny hat mir eine ganze Menge über sich selbst verraten«, erklärte der Chefinspektor grimmig. »Ich habe ihn zwar noch nicht persönlich verhört, aber er hat ein sehr interessantes schriftliches Dokument verfaßt.«

 

Dick öffnete die Haustür, und sie traten ein.

 

Obgleich die Räume erst seit kurzer Zeit unbewohnt waren, herrschte im Innern bereits ein muffiger Geruch. Hervey Lynes Arbeitszimmer war nach der Durchsuchung wieder in Ordnung gebracht worden. Die Polizeibeamten hatten alle Ecken durchsucht und sogar die Fußbodendielen aufreißen lassen. Es war wohl ausgeschlossen, daß man hier noch neue Anhaltspunkte finden konnte.

 

Sie gingen darauf in die Küche, wo Mary Lane das böse Abenteuer erlebt hatte. Smith hatte den Raum zwei Stunden nach ihrer Flucht selbst aufgesucht und war durch die Schranktür die Treppe zum Kohlenkeller hinuntergegangen. Das Feldbett, das er bei seinem ersten Besuch dort gesehen hatte, war entfernt worden.

 

»Merkwürdig, daß Binny sich mit der Frau herumschleppt«, meinte Surefoot. »Das kann ich nicht verstehen. Sie ist doch eine hoffnungslose Gewohnheitstrinkerin. Er muß sie in der Nacht, nachdem Miss Lane hier im Haus war, fortgeschmuggelt haben. Wo sie jetzt ist, möchte ich lieber nicht erfahren. Wahrscheinlich hat er sie auch kaltgemacht.«

 

Dick hatte bereits seine Meinung hierüber geäußert. Er glaubte, daß sie überhaupt nicht mit Binny verheiratet war. Hervey Lyne annoncierte immer nach einem Ehepaar, das seinen Haushalt führen sollte. Um die Stelle zu erhalten, hatte Binny wahrscheinlich eine Frau gemietet. Diese Tatsache wurde auch mehr oder weniger dadurch bestätigt, daß die beiden zwei getrennte Räume bewohnten. Es war kaum anzunehmen, daß sie dem Mörder einmal hätte gefährlich werden können. Nach Aussage der Geschäftsleute war sie stets mehr oder weniger betrunken gewesen, und Binny hatte den Haushalt allein geführt.

 

Kapitel 24

 

24

 

Der Rollstuhl, in dem der alte Lyne tot aufgefunden worden war, stand unter der Treppe. Zu Dicks Erstaunen gab Surefoot Anweisung, ihn in das Arbeitszimmer zu bringen.

 

Der Chefinspektor hatte dauernd das unangenehme Gefühl gehabt, daß er sich nicht genügend um den Stuhl gekümmert hatte. Die vielen Mitteilungen, die er in den letzten Tagen bekommen hatte, machten es notwendig, sich noch einmal eingehend mit diesem Möbelstück zu beschäftigen.

 

Direkt gegenüber der Tür des Arbeitszimmers war in der Wand eine Nische eingelassen, und Surefoot erkannte nun, daß sie einem besonderen Zweck diente. Lyne hatte anscheinend die Gewohnheit gehabt, sich in seinem Arbeitszimmer in den Rollstuhl zu setzen. An dem Türrahmen befanden sich verschiedene Kratzer in Höhe der Radnaben. Die Nische war so angeordnet, daß man den Stuhl an der Stelle leicht wenden konnte, und es machte keine Schwierigkeiten, ihn in das Arbeitszimmer hinein- oder herauszubringen.

 

Surefoot ließ einen der Polizeibeamten in dem Stuhl Platz nehmen und machte sich selbst die Mühe, ihn auf die Straße hinauszufahren. Der Gang war nicht sehr breit, und auch die Haustür ließ auf beiden Seiten nur einen verhältnismäßig schmalen Raum frei. Hier konnte man ebenfalls Kratzer und Spuren von den Radnaben erkennen.

 

Surefoot erfuhr nicht viel Neues durch dieses Experiment; er ließ den Stuhl wieder unter die Treppe bringen und setzte seine Nachforschungen im Hause weiter fort.

 

»Was wollen Sie denn finden?« fragte Dick.

 

»Binny«, entgegnete der Chefinspektor kurz. »Der Kerl ist kein Dummkopf. Er muß hier irgendwo ein Versteck haben. Wenn ich nur wüßte, wo!« Smith sah auf die Uhr. »Ist es möglich, daß Miss Lane hierherkommen könnte?«

 

Dick Allenby fuhr mit einem Taxi zu ihrem Hotel. Er wußte allerdings nicht, ob sie nach den Aufregungen der letzten Nacht imstande war, ihn in das Haus ihres Vormunds zu begleiten. Aber er fand sie frisch. Sie fragte ihn sofort nach Binny.

 

»Wir haben ihn nicht gefunden«, erwiderte er. »Ich habe große Sorge um dich, Mary. Dieser Verbrecher schreckt vor nichts zurück.«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Ich glaube nicht, daß er mich noch einmal belästigen wird.«

 

»Wie erfuhr er denn überhaupt, daß du ihm nachspioniertest?«

 

»Das merkte er wohl, als ich ihn nach Nordengland schickte. Der Plan war vielleicht etwas ungeschickt. Ich habe seine Intelligenz unterschätzt. Ich glaube sogar, er ist mir gefolgt, als ich die einzelnen Kaufleute aufsuchte. Einmal kam es mir so vor, als ob ich ihn gesehen hätte. Das war an dem Tag, an dem ich in Maidstone war.«

 

Mary fuhr mit Dick zum Naylors Crescent. Surefoot befand sich gerade auf dem kleinen Hof auf der Rückseite des Hauses, und sie ging mit Dick in die Küche. Schaudernd dachte sie an ihren letzten mitternächtlichen Besuch. Selbst jetzt, bei hellem Tageslicht, hatte der Raum etwas Unangenehmes und Abstoßendes für sie. Die Tür des Schranks stand weit offen, ebenso die Tür, zu der der leuchtende Schlüssel gehörte. Die Küche und die danebenliegende Anrichte erschienen ihr erstaunlich klein. Aber sie erklärte sich das damit, daß ihr in ihrer frühen Jugend wohl unwillkürlich alle Dinge und Räume größer vorgekommen waren.

 

Surefoot trat gleichfalls in die Küche, als Mary sich dort umschaute, und begrüßte sie.

 

»Können Sie sich auf diesen Raum noch genau besinnen, Miss Lane?« fragte er.

 

»Ja.« Sie zeigte auf die weißen Kacheln. »Die sind allerdings erst nach meiner Zeit angebracht worden.«

 

Sie hatte den ungewissen Eindruck, daß sich auch sonst noch etwas verändert hatte, wußte aber nicht was. Und weil sie keine genauen Angaben über ihre Vermutung machen konnte, schwieg sie darüber.

 

»Wissen Sie, was das ist?« fragte Smith plötzlich. Er hatte in der Schublade des Küchentisches ein merkwürdiges Instrument gefunden. Es glich beinahe einer kleinen Gartenspritze, nur war das untere Ende ein Saugnapf aus Gummi.

 

»Eine Vakuumpumpe«, sagte Dick.

 

Smith drückte den Saugnapf auf den Tisch, setzte die Pumpe in Bewegung und hob den Tisch mit dem Apparat an der einen Seite an. »Miss Lane, haben Sie das Ding schon früher gesehen? Wissen Sie, wozu es benutzt wurde?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

Surefoot hatte auch noch einen kleinen Topf mit dunkelgrüner Ölfarbe und ein Paket Fensterkitt entdeckt.

 

»Das sah ich schon das letzte Mal. Wissen Sie; wozu es benutzt wurde?«

 

Er winkte Mary, und sie folgte ihm in den dunklen Gang. Die elektrische Birne an der Decke gab nur wenig Licht, und Surefoot nahm seine Taschenlampe, ging zu der Tür und leuchtete das dicke Eichenpaneel ab.

 

»Sehen Sie einmal hierher«, sagte er dann zu ihr.

 

Sie bemerkte eine runde Vertiefung, die mit Kitt ausgefüllt und kürzlich mit Ölfarbe überstrichen worden war.

 

»Was ist das?« fragte sie erstaunt.

 

»Das ist die Stelle, an der das Geschoß einschlug, die Kugel, mit der Hervey Lyne getötet wurde. Er ist hier in diesem Gang ermordet worden.«

 

Kapitel 18

 

18

 

Für Surefoot war es keine Neuigkeit, daß Leo Moran an Börsengeschäften interessiert war. Moran war gerissen. In diesem Ruf stand er sowohl bei der Bank als auch bei seinen Freunden. Soweit Surefoot ihn kannte, war er unberechenbar; er konnte sehr großzügig gegen andere sein, ließ sich jedoch durch seine Schlauheit häufig dazu verleiten, die Grenze des Erlaubten zu überschreiten. Er mochte ein Mörder sein; ein Fälscher war er bestimmt, außerdem ein egoistischer Junggeselle, der kaum ein anderes Steckenpferd als Schießen und das Theater hatte.

 

Noch bevor Surefoot Smith das Büro des Maklers verließ, hatte er sich ausgerechnet, daß Moran – wenigstens auf dem Papier – ein Millionär geworden war. Über eins wunderte er sich: Moran hatte dauernd Aktien gekauft, und seine Finanzmanöver erstreckten sich über all die Jahre, in denen er Unterschlagungen begangen hatte. Trotzdem hatte er nur eine verhältnismäßig kleine Summe, nur einen geringen Prozentsatz seines Geldes zum Ankauf der Cassari-Aktien benutzt. Er mußte noch in anderen Aktien spekulieren; Smith konnte sich jedoch im Augenblick darüber keine Gewißheit verschaffen.

 

Der Chefinspektor kehrte in seine Wohnung am Haymarket zurück und war erstaunt, als er Mary Lane, die ihn besuchen wollte, vor dem Hause fand.

 

»Ich bin auch eben erst gekommen«, erklärte sie: »Ich habe mich zuerst an Ihren Sekretär gewandt, und der sagte mir, daß Sie wahrscheinlich in Ihrer Wohnung seien.«

 

Er schloß die Tür auf und führte sie in sein unaufgeräumtes Wohnzimmer.

 

»Haben Sie etwas herausgebracht?« erkundigte er sich.

 

Sie schüttelte den Kopf und lächelte verlegen.

 

»Nein, ich habe bis jetzt nur erkannt, wie beschränkt meine Fähigkeiten als Detektiv sind.«

 

Sie setzte sich auf den Stuhl, den er ihr anbot.

 

»Also wollen Sie es aufgeben?«

 

Sie zögerte einen Augenblick.

 

»Nein.«

 

Es kostete sie Überwindung, dieses Nein zu sagen, denn am Morgen war sie schon halb entschlossen gewesen, einen Brief an den Chefinspektor zu schreiben und ihm den Schlüssel zurückzuschicken. Aber während des Frühstücks war dann ihr Selbstbewußtsein zurückgekehrt.

 

»Nun, was kann ich für Sie tun?«

 

»Wäre es Ihnen möglich, mir eine Liste all der größeren Schecks zu geben, die Mr. Washington Wirth auf das Konto meines Vormunds zog? Ich möchte gern die Daten wissen, an denen sie ausgestellt wurden. Darauf kommt es mir besonders an. Wenn meine Vermutung richtig ist, sind sie alle am Siebzehnten des jeweiligen Monats ausgestellt.«

 

Surefoot lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah sie groß an.

 

»Das ist mir ein wenig zu wissenschaftlich«, sagte er vorwurfsvoll.

 

Sie lachte.

 

»Es klingt geheimnisvoll, aber im Ernst, ich möchte es wissen.«

 

Er nahm den Hörer vom Telefon und wählte eine Nummer.

 

»Merkwürdig genug, daß ich nie daran gedacht habe, mir die Ausstellungsdaten der Schecks anzusehen.«

 

Sie merkte, daß er ein wenig gekränkt war, und amüsierte sich heimlich darüber.

 

Die Bank meldete sich. Dann dauerte es einige Zeit, bis ihm der Kassierer die nötigen Angaben machte.

 

Die Schecks waren tatsächlich am 17. Februar, 17. April, 17. Mai und 17. Dezember des vorigen Jahres ausgestellt. Surefoot notierte, legte dann den Hörer wieder auf und reichte ihr den Zettel.

 

»Ich dachte es mir«, sagte sie, und ihre Augen glänzten. »Alle Schecks sind am Siebzehnten ausgeschrieben.«

 

»Glänzend, daß Ihre Vermutung so prompt zutrifft. Vielleicht erklären Sie mir jetzt auch, was das zu bedeuten hat?«

 

Sie nickte.

 

»In einer Woche erfahren Sie es, inzwischen stelle ich noch einige Nachforschungen an. Aber über einen andern Punkt möchte ich noch mit Ihnen sprechen.« Ihre Stimme klang erregt. »Ich weiß nicht, ob ich es mir nur einbilde, aber ich habe das Gefühl, daß ich beobachtet werde. Ich bin sicher, daß mir gestern ein Mann gefolgt ist. In der Oxford Street verlor ich ihn aus den Augen, aber als ich in der Regent Street in ein Schaufenster sah, entdeckte ich ihn wieder, einen Mann mit abstoßenden Zügen.«

 

Der Chefinspektor lächelte.

 

»Das ist Detektivinspektor Mason. Ich weiß, daß er etwas abstoßend aussieht.«

 

»Was, ein Detektiv?« fragte sie verblüfft.

 

Surefoot nickte.

 

»Selbstverständlich muß ich Sie doch behüten. Sie werden beobachtet, aber nicht weil Sie unter Verdacht, sondern unter dem Schutz Scotland Yards stehen.«

 

Sie seufzte erleichtert auf.

 

»Sie wissen nicht, wie mich das beruhigt. Ich bin schon ganz nervös geworden. Beinahe wäre ich gestern schon aus diesem Grund zu Ihnen gekommen.«

 

*

 

Dick ärgerte sich über Marys neue Tätigkeit, da er sie selten zu Hause antraf. Er beschwerte sich bei Surefoot darüber und fragte ihn um Rat.

 

»Das ist doch eine furchtbar gefährliche Geschichte«, beklagte er sich. »Dieser Verbrecher scheut vor nichts zurück. Vielleicht denkt er noch immer, daß sie die Abrechnung in ihrem Besitz hat.«

 

»Haben Sie denn die junge Dame überhaupt gesehen?«

 

Surefoot öffnete geschickt eine neue Flasche Bier. Er saß auf der Werkbank in Dicks Arbeitsraum.

 

»Ja, gesehen habe ich sie schon. Sie wünscht, daß ich ihr Binny leihen soll.«

 

»Binny leihen? Was heißt denn das?«

 

»Nun, Binny steht jetzt in meinen Diensten. Sie sagt, sie will Nachforschungen anstellen nach einer früheren Angestellten meines Onkels, die unter einem angenommenen Namen in Newcastle wohnt. Binny soll dorthin reisen und sie ausfindig machen. Ich habe mit ihm darüber gesprochen – er kann sich auf die Frau besinnen. Sie hat ihre Stelle aufgegeben, kurz nachdem er seinen Dienst antrat, und sie war damals schon recht alt. Anscheinend hatte sie einen ungeratenen Sohn. Binny kann sich nicht an ihn erinnern, aber Mary weiß das noch sehr gut. Die alte Frau muß beinahe neunzig Jahre alt sein und lebt im Norden Englands. Mary will nun Binny hinschicken. Er soll feststellen, ob sie sich nicht geirrt hat.«

 

Smith sah ihn düster an.

 

»Davon hat sie mir nichts gesagt. Binny ist also jetzt bei Ihnen angestellt? Das Haus haben Sie ja wohl auch geerbt? Was wollen Sie denn damit machen?«

 

»Ich werde es verkaufen«, entgegnete Dick prompt. »Ich habe bereits ein Angebot.«

 

In dem Augenblick klopfte es an der Tür. Der Hausmeister kam herein und brachte ein Telegramm für Mr. Allenby.

 

Dick öffnete es und las verwundert die Nachricht. Ohne ein Wort zu sagen, reichte er das Blatt dann Surefoot. Es war in Sunningdale aufgegeben und lautete:

 

In Sachen der Ihnen gestohlenen patentierten Luftpistole. Waffe, genau Beschreibung entsprechend, wurde in Toyne Copse auf dem Boden einer Grube unter einem Toten gefunden, in dem man Gerald Dornford aus der Half Moon Street vermutet. Bitte wenden Sie sich sofort an Polizeiwache Sunningdale zwecks Identifizierung Ihres Eigentums.