Kapitel 30

 

30

 

In der Nacht schlief Marjorie sehr schlecht. Vielleicht quälte sie der Gedanke an ihren Mann und seine baldige Abreise.

 

Sie würde dann auch eine Lady Tynewood sein, eine Frau ohne Mann. Noch vor einer Woche hätte sie dieser Gedanke glücklich und zufrieden gemacht, aber heute sah sie nur die Nachteile ihrer Lage und war sehr bedrückt.

 

Sie schaltete das Licht wieder ein und versuchte zu lesen. Aber immer wieder kehrten ihre Gedanken zu ihren eigenen Sorgen und Nöten zurück. Sollte sie hier immer mit ihrer Mutter weiterleben und nur dem Namen nach mit einem Mann verheiratet sein, der sie nicht zu sehen wünschte?

 

Auch diese Aussichten erschienen ihr nicht mehr so angenehm wie noch vor zwei Wochen. Sie hatte ihm vorschlagen wollen, ihn nach Südafrika zu begleiten, und sich eingeredet, daß ihr die Reise gut bekommen würde. Außerdem hatte sie auch den Wunsch, fremde Länder kennenzulernen. Sie konnte ja in Kapstadt oder auch in Kimberley bleiben, und sie brauchten nicht viel voneinander zu sehen. Natürlich wollte sie auch Onkel Stedman besuchen, der sie zu dieser merkwürdigen Heirat gezwungen hatte.

 

Marjorie war ganz tief in Gedanken, als sie plötzlich ein Geräusch im Gang hörte, und ging zur Tür. Sie sah noch gerade, wie Pretoria-Smith in seinem Zimmer verschwand.

 

Erstaunt sah sie zu seiner Tür hinüber, die am anderen Ende des Korridors lag. Vielleicht konnte er auch nicht schlafen? Sie ging leise den Gang entlang und klopfte an seiner Tür.

 

»Wer ist da?« hörte sie seine Stimme.

 

»Marjorie«, entgegnete sie schnell. Sie glaubte ein »Verflucht!« zu hören, aber sie hoffte, daß sie sich getäuscht hatte.

 

»Oh! Was treibst du denn noch zu so früher Morgenstunde?«

 

Sie blickte ihn voll Interesse an. »Sonderbare Frage!« erwiderte sie lachend. »Bist du spazierengegangen?«

 

»Ja, ich war noch ein wenig draußen.«

 

Sein Regenmantel lag auf dem Bett.

 

»Ich hoffe, daß du schlafen kannst«, sagte sie etwas verlegen.

 

»Es sieht nicht so aus. Glaubst du, daß wir deine Mutter stören, wenn wir uns bei dir ein wenig unterhalten?«

 

»Nein.« Sie freute sich über das Zutrauen, das er zu ihr hatte. »Wir stören sie sicher nicht. Sie hat einen sehr gesunden Schlaf.«

 

Er ging den Korridor entlang und wunderte sich, daß sie so schnell vorauseilte. Als er in ihr Zimmer trat, sah er, daß sie die Bettdecke glattstrich.

 

Er schloß die Tür, setzte sich, stand aber sofort wieder auf, weil er ein unangenehmes Gefühl hatte, und steckte die Hand in die Hüfttasche. Zu Marjories Verwunderung zog er einen Revolver heraus und legte ihn neben den Stuhl auf den Teppich.

 

»Du brauchst keine Angst zu haben, er ist nicht geladen. In diesem Land trage ich niemals Patronen in der Schußwaffe. Hier leben nämlich so viele Leute, denen ich gern das Lebenslicht ausblasen möchte, daß ich dauernd in Versuchung käme, es wirklich zu tun.«

 

»Aber warum trägst du dann überhaupt eine Waffe bei dir? Hast du etwa einen Einbruch begangen?« scherzte sie.

 

Als er nickte, sah sie ihn verblüfft an.

 

»Ja, ich habe mich eben als Amateureinbrecher betätigt«, sagte er ruhig. »Das ist heute nacht schon das zweite Schlafzimmer einer Dame, das ich betrete.«

 

»Ist das dein Ernst?« fragte sie verwundert.

 

»Ich habe Lady Tynewood besucht. Ein offenes Geständnis erleichtert das Gewissen. Außerdem kann eine Frau vor Gericht nicht als Zeugin gegen ihren Mann aussagen.«

 

»Ist das wirklich wahr, was du eben sagtest?«

 

»Ich lüge niemals, besonders nicht um drei Uhr morgens. Um diese Zeit ist man gewöhnlich sehr korrekt.« Er machte eine Pause. »An einem der nächsten Tage werde ich dir auch erzählen, warum ich hingegangen bin. Der Besuch hat sich gelohnt. Ich habe heute nacht über manches nachgedacht, und auf dem Heimweg ist es mir schwer auf die Seele gefallen, daß ich dir einen sehr schlechten Dienst erwiesen habe, Marjorie.«

 

»Wieso?«

 

»Durch diese Heirat. Selbst um dem alten Stedman einen Wunsch zu erfüllen, hätte ich es nicht tun dürfen. Es muß doch schrecklich für dich sein.«

 

»Und für dich nicht?«

 

»Für mich macht es keinen großen Unterschied. Nur schleppe ich die unangenehme Gewißheit herum, daß ich dir wahrscheinlich dein Leben verdorben habe.«

 

»Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen«, erwiderte sie mit einer Gelassenheit, die in größtem Widerspruch zu ihrer eigentlichen Stimmung stand. »Es hat allerdings manche Unannehmlichkeiten mit sich gebracht, aber es macht auch für mich keinen großen Unterschied. Sicher hätte ich in aller Ruhe in Tynewood weitergelebt, bis ich eine alte Jungfer geworden wäre. Und zu Weihnachten hätte ich gestrickte Röcke und Westen an die Armen verteilt.«

 

»Das glaube ich nicht! Natürlich wärst du gut und liebevoll zu armen Leuten gewesen, aber eine alte Jungfer wärst du unter keinen Umständen geworden. Aber Marjorie, mache dir keine Sorgen über deine unglückliche Lage, denn vielleicht – vielleicht kommt es nicht zu einer Scheidung.«

 

»Wie meinst du das?« fragte sie und sah ihn gespannt an.

 

»Wenn ich nach Afrika zurückkehre, werde ich mich mit Stedman aussprechen und dann in das Massai-Land ziehen, vielleicht auch in das Barotse-Land am belgischen Kongo. Ich habe mir schon immer gewünscht, einmal Okapi zu jagen. Ich will nicht mit voller Absicht Selbstmord begehen«, sagte er mit einem leichten Lächeln, »aber das sind merkwürdige Gebiete, die selbst für erfahrene Reisende große Gefahren bergen.«

 

»Dann darfst du nicht dorthin gehen«, sagte sie impulsiv. »Noch einen Augenblick. Das klingt so, als ob ich den Versuch machen wollte, deine Sympathie auf diese Weise zu erringen, aber das stimmt nicht«, sagte er jetzt ernster. »Mit neunzig. Prozent Wahrscheinlichkeit gehöre ich zu den fünfundsiebzig Prozent, denen weiter nichts passiert, als daß die Sonne ihnen die Nase braunbrennt. Ich kenne dich und weiß, daß du meinen Tod nicht wünschst, selbst wenn du dadurch deine Freiheit wiedergewinnen könntest. Aber es ist immer, die Möglichkeit vorhanden, und Leute wie ich werden nicht alt.«

 

»Nun, eine ähnliche Chance hast du auch«, entgegnete sie.

 

»Wie meinst du denn das?«

 

»Ich habe ein schwaches Herz und eine angegriffene Lunge.«

 

»Stimmt das?« fragte er aufgeregt. »Aber mein liebes Kind, dann solltest du doch morgen sofort mit mir nach London gehen und einen Spezialisten aufsuchen. Ich kenne einen erstklassigen Arzt, dem du dich anvertrauen kannst …«

 

Er hielt plötzlich an, weil sie ihn auslachte, bis ihr die Tränen in die Augen kamen.

 

»Du läßt dir aber auch wirklich alles weismachen. Meinetwegen kannst du ganz unbesorgt sein. Ich bin die gesündeste Frau, die du dir denken kannst, und ich bin davon überzeugt, daß du meinen Tod nicht wünschst, und mit neunzig Prozent Wahrscheinlichkeit –«

 

Er neigte sich zu ihr und faßte sie am Ohrläppchen.

 

»Du kleiner Teufel!« Weiter sagte er nichts, steckte seinen Revolver wieder ein und ging in sein Zimmer zurück.

 

Ein wenig traurig blieb Marjorie zurück.

 

Kapitel 31

 

31

 

»Sie kennen ja Lady Tynewood«, sagte Mrs. Stedman.

 

Diesmal gab Pretoria-Smith der Dame die Hand.

 

»Ja, ich kenne sie, und ich fürchte, daß ich das letztemal etwas unhöflich zu ihr war. Hoffentlich hat sie es mir inzwischen verziehen.«

 

Alma lächelte. »Ich habe gehört, daß Sie einen schweren Malariaanfall hatten, Mr. Smith. Das entschuldigt alles.«

 

»Ja, es hatte mich ziemlich gepackt.«

 

Mrs. Stedman konnte es kaum erwarten, ihre Neuigkeit anzubringen, und ließ Alma deshalb gar nicht zu Wort kommen.

 

»Wissen Sie schon, daß Lady Tynewood vorige Nacht einen Einbrecher im Hause hatte?«

 

»Einen Einbrecher?« fragte er. »Das klingt ja interessant! Haben Sie ihn auch gleich über den Haufen geschossen?«

 

»Unglücklicherweise ist er entkommen. Mein Sekretär, Mr. Javot, hat ihn verfolgt.«

 

»Sicher hat er ihm einen Denkzettel gegeben. Das ist fein.«

 

»Nein, das ist ihm nicht gelungen«, erwiderte Alma gereizt. »Im Dunkeln hat sich der Mensch davonmachen können.«

 

»Vermissen Sie etwas?« fragte er.

 

»Nicht das mindeste. Wir haben ihn bei der Arbeit gestört.«

 

»Wie sah er denn aus?«

 

»Recht gewöhnlich und roh«, entgegnete sie und zuckte die Schultern. »Sein Gesicht konnte ich allerdings nicht sehen, weil er ein Taschentuch um die untere Hälfte gebunden hatte. Aber seine Stimme würde ich auf jeden Fall wiedererkennen.«

 

Bei den letzten Worten sah sie ihn scharf an.

 

»Nun, das ist wenigstens etwas. Was hätte er denn Ihrer Meinung nach stehlen wollen – etwa Ihren Schmuck?«

 

Darüber war sie sich selbst nicht klar. Sie hatte nur den Verdacht, daß Pretoria-Smith der Einbrecher war. Über diese Möglichkeit hatte sie den ganzen Morgen mit Mr. Javot gesprochen, aber der wollte nichts davon hören.

 

»Es mag ein Mann gewesen sein«, sagte sie mit Nachdruck, »gegen den ich Material sammle. Vielleicht vermutete er das und wollte meine Beweisstücke stehlen.«

 

»In diesem Fall hätte er doch bei der Polizeistation oder in Scotland Yard oder in der Kirche von St. Giles in Camberwell einbrechen sollen«, warf er leicht hin.

 

Lady Tynewood verfärbte sich. Sie antwortete ihm nicht und wandte sich an Mrs. Stedman. »Ich gehe jetzt zur Post. Diese Sendung muß ich nämlich eingeschrieben aufgeben.«

 

Sie hatte ein kleines Päckchen in der Hand.

 

»Ach, ist etwa die Fotografie darin, von der Sie mir schon erzählten?« fragte Mrs. Stedman.

 

»Ja, es ist das Bild«, bestätigte Alma. »Es wird mir endlich die Stellung verschaffen, die mir gebührt.«

 

»Das klingt ja ganz romantisch«, meinte Smith. »Ist es das Bild eines Freundes, Lady Tynewood?«

 

»Es ist das Bild meines Mannes!«

 

Pretoria-Smith runzelte die Stirn und machte ein ungläubiges Gesicht. Das genügte, um sie zum Äußersten zu reizen.

 

Sie riß die Schnur von dem Päckchen ab, entfernte die Siegel und wickelte die Fotografie aus dem Papier. »Kennen Sie den Mann?« fragte sie herausfordernd und hielt ihm das Bild hin.

 

Er betrachtete es, nahm es ihr dann plötzlich aus der Hand, und ehe sie wußte, was geschah, zerriß er es in kleine Stücke. Mit einem Wutschrei sprang sie auf ihn zu, aber sein starker Arm hielt sie zurück. Er wandte sich um und warf die einzelnen Stücke ins Kaminfeuer. »Ich kenne ihn sehr gut«, sagte er ruhig. »Aber er ist nicht Ihr Mann, Lady Tynewood!«

 

Marjorie hatte die Szene verstört beobachtet. Sie konnte sich weder sein kühnes Handeln noch Almas Wut erklären. Ihre Mutter war in heller Verzweiflung, aber Pretoria-Smith lächelte nur kalt.

 

Lady Tynewood trat einen Schritt zurück.

 

»Das soll Ihnen noch teuer zu stehen kommen!« sagte sie.

 

»Es hat mich schon viel mehr Mühe und Ärger gekostet als Sie, obgleich Sie eine harte Strafe verdienten«, erwiderte er ernst.

 

Der nächste Augenblick brachte eine dramatische Unterbrechung. Die Tür wurde aufgerissen, und Lance Kelman trat herein.

 

Marjorie hatte ihn seit ihrer Trauung nicht wiedergesehen und erschrak über die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war. Seine Gesichtszüge hatten einen gewöhnlichen, fast rohen Ausdruck bekommen.

 

»Alma, ich hörte, daß Sie hier wären –«, begann er, vollendete aber den Satz nicht, als er sie näher ansah. »Was ist denn geschehen? Sie haben doch das Bild Ihres Mannes?«

 

Sie antwortete nicht, und sein Blick fiel nun auf Pretoria-Smith. »Und ich habe Sie jetzt!« rief er frohlockend. »Sie sind Norman Garrick, der Halbbruder von Sir James Tynewood, den Sie vor vier Jahren ermordet haben!«

 

Kapitel 32

 

32

 

Pretoria-Smith brach schließlich das lange, peinliche Schweigen, das diesen Worten folgte.

 

»Nachdem Sie nun Ihre kleine Rolle hergesagt und die nötige Sensation hervorgerufen haben, können Sie machen, daß Sie wieder verschwinden, sonst packe ich Sie am Kragen und werfe Sie hinaus! Und Sie können mit ihm gehen«, wandte er sich an Lady Tynewood.

 

Sie zitterte vor Wut.

 

»Er ist tot – das ist wahr!« stieß sie hervor und legte die Hand auf Kelmans Arm. »Kommen Sie.«

 

Die beiden entfernten sich zusammen.

 

Pretoria-Smith trat ans Fenster und sah ihnen nach, bis sie durch das Gartentor verschwanden, dann drehte er sich lachend um. »Nun, Mrs. Stedman, was sagen Sie zu alledem?«

 

Die alte Dame wußte nicht mehr, was sie denken sollte.

 

Es ist ganz schrecklich«, erwiderte sie nur.

 

»Ja, entsetzlich!« pflichtete er ihr bei.

 

Sie sah ihn pikiert an.

 

»So etwas ist noch nie in unserer Familie passiert!«

 

»Das ist wirklich schade. In unserer Familie sind viel schlimmere Dinge vorgekommen. Zwei meiner Vorfahren wurden gehenkt, und einem wurde der Kopf mit dem Schwert abgeschlagen. Sie können also ruhig sagen, daß es in der Familie liegt.«

 

»Schrecklich, schrecklich!« jammerte Mrs. Stedman wieder und schüttelte den Kopf. »Das kommt nun in alle Zeitungen!«

 

»Das ist weiter nicht schlimm. Wenn es nur nicht in die Magazine und Zeitschriften kommt. Aber im Ernst, Mrs. Stedman, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Es ist wirklich nichts passiert, was Ihnen Grund dazu gäbe.«

 

»Ich bin mit Lady Tynewood eng befreundet«, erklärte sie aufgebracht. »Und es ist mir furchtbar peinlich –«

 

»Regen Sie sich deshalb nicht auf. Sie sollen Ihr ganzes Leben lang eine enge Freundin von Lady Tynewood bleiben«, erwiderte Smith vergnügt. »Grämen Sie sich bitte deshalb nicht.«

 

Aber die alte Dame wollte nicht so leicht auf ihre böse Stimmung verzichten und ging auf ihr Zimmer.

 

»Was bedeutet das denn alles? Bist du wirklich Norman Garrick?« fragte Marjorie leise.

 

»Nein. Aber es gibt manchmal Augenblicke«, entgegnete er mit einem seltsamen Lächeln, »in denen ich wirklich nicht mehr weiß, wer oder wo ich bin.« Er holte tief Atem. »Ich glaube, es ist gut, wenn ich so bald wie möglich nach Südafrika fahre.«

 

*

 

Merkwürdigerweise sprachen Alma Tynewood und Lance Kelman im gleichen Augenblick auch über die Abreise von Pretoria-Smith. Javot nahm widerwillig an dieser Beratung teil.

 

»Sie müssen den Haftbefehl beantragen, bevor sich der Mensch aus dem Staube macht«, sagte Lance. »Ich kenne diese Art Leute. Ich habe ihn durch meine Worte gewarnt, und er wird auch prompt darauf reagieren. Die nächste Nachricht von ihm lautet sicher, daß er geflohen ist.«

 

»Einen Augenblick«, erwiderte Javot. »Wir wollen doch erst einmal Klarheit schaffen. Sie behaupten, daß er Norman Garrick, der Halbbruder von Sir James, ist. Wie haben Sie denn das eigentlich herausgebracht?«

 

»Das war allerdings sehr schwer«, sagte Lance Kelman und streifte Lady Tynewood mit einem zärtlichen Blick. Aber sie war jetzt nicht in der Stimmung, mit ihm zu flirten. »Wenn Sie so wollen, war es direkt eine Inspiration, zu der mich diese Dame hier veranlaßte. Ich wurde durch sie gewissermaßen zu meinen Erfolgen angespornt. Die Überzeugung, daß meine Bemühungen dazu beitrugen, sie in den Augen der Welt wieder zu rehabilitieren, trieb mich an, Tag und Nacht zu arbeiten –«

 

»Also, schwätzen Sie keinen Kohl«, entgegnete Javot kühl. »Sagen Sie uns lieber, was Sie eigentlich herausgebracht haben.«

 

Mr. Kelman sah ihn betroffen an und schluckte ein paarmal.

 

»Ich habe Doktor Fordhams Reisen nachgeforscht« fuhr er dann etwas kleinlaut fort. »Er kam in derselben Woche in England an, in der Sie Sir James heirateten«, wandte er sich an Alma. »Ich konnte allerdings die Passagierliste nicht mehr einsehen. Aber er kam mit einem anderen Herrn an, der ein paar Tage später mit einem anderen Schiff nach Übersee ging. Die Nacht vor seiner Abreise logierte dieser Herr im Grand Western Hotel in Southampton, weil die Abfahrt des Schiffes um einen Tag verschoben wurde. Er war allein und schrieb sich als Norman Garrick in das Fremdenregister ein. Ich habe die Eintragung selbst gelesen.«

 

»Das war also zwei Tage nach meiner Hochzeit?«

 

»Schwören kann ich allerdings nicht auf das Datum, aber auf einen oder zwei Tage kommt es doch wirklich nicht an. Auf jeden Fall wohnte er als Mr. Norman Garrick in dem Hotel und mietete einen Wagen, in dem er an demselben Abend nach Schloß Tynewood fuhr. Das konnte ich noch in der Garage feststellen. Soviel wußte ich, als ich heute zurückkam, und dann habe ich noch die frühere Haushälterin Doktor Fordhams aufgesucht. Wie Sie wissen, kam ich zuerst hierher, und Sie erzählten mir, daß Lady Tynewood schon bei der Frau war.«

 

Javot nickte.

 

»Ich stellte meine Nachforschungen bei ihr allerdings ganz anders an als Sie, Alma«, sagte Lance jetzt in herablassendem Ton. »Ich fragte nicht nach Dokumenten, sondern ging direkt auf mein Ziel los und erkundigte mich, ob sie sich auf etwas Wichtiges besinnen könnte, das vor vier Jahren passierte. Und da erzählte sie mir –«, er machte eine Pause, um seinen Worten mehr Ausdruck zu geben, »daß auf dem Schloß ein Herr erschossen worden sei!«

 

»Woher wußte sie denn das?« fragte Alma schnell.

 

»Sie erinnerte sich, daß der Doktor Verbandstoffe und Medikamente aus seinem Hause holte. In der ersten Aufregung erzählte er ihr, daß jemand erschossen worden sei. Als er dann aber später heimkam und sie ihn nochmals nach dem Unglücksfall fragte, sagte er, daß er sich versprochen hätte. Der betreffende Herr wäre unerwartet gestorben. Es handelte sich um den Bruder von Sir James. Und dabei hatte sie keine Ahnung, daß der Mann überhaupt krank gewesen war. Damals war nur der alte Pförtner im Schloß, denn Sir James kam nur selten nach Tynewood.«

 

»Das klingt ja alles ganz gut«, erwiderte Mr. Javot nachdenklich. »Aber was haben Sie denn vorhin für einen Unsinn gefaselt von einem Haftbefehl gegen Garrick?«

 

»Nun, es ist doch ganz klar«, sagte Kelman unangenehm berührt. »Wenn Sie Ihre Angaben bei der Polizei machen, wird der Haftbefehl sicher morgen früh ausgestellt.«

 

»Die ganze Sache ist Quatsch«, erklärte Javot. »In diesem Fall wird kein Haftbefehl ausgestellt, glauben Sie mir. Was sagte doch Pretoria-Smith über die Kirche St. Giles in Camberwell?«

 

Lady Tynewood wiederholte die Worte, und Javot nickte.

 

»Ich würde dir den Rat geben, einmal hinaufzugehen und in deinem Schmuckkasten nachzusehen«, sagte er ernst. »Vielleicht fehlt doch etwas.«

 

Sie ging nach oben und kam nach wenigen Minuten bestürzt zurück.

 

»Es ist also tatsächlich fort!« sagte Javot böse, als er einen Blick auf ihr Gesicht geworfen hatte. »Na, dann bist du ja in einer ebenso schlimmen Lage wie Pretoria-Smith. Und wenn ich ehrlich sein soll, würde ich bei einer Wette eher auf ihn als auf dich setzen. Mir dämmert allmählich der wahre Sachverhalt.«

 

Er sah zu Lance hinüber, der verständnislos zugehört hatte.

 

»Vielleicht kommen Sie heute abend wieder, Mr. Kelman. Ich muß jetzt verschiedene Privatangelegenheiten mit Lady Tynewood besprechen.«

 

»Wenn ich im Wege bin, gehe ich natürlich«, erwiderte Lance.

 

»Ja, Sie sind ein wenig im Wege«, sagte Javot gelassen. »Vergessen Sie nicht, wir speisen um halb acht.«

 

Der junge Mann wartete darauf, daß Lady Tynewood ihn zum Bleiben aufforderte, aber als sie sich nicht rührte, ging er und fühlte sich ausgenützt und betrogen.

 

»Nun wollen wir einmal vernünftig miteinander reden und uns keine Illusionen machen«, begann Javot, als Kelman verschwunden war. »Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen.«

 

»Was meinst du denn?« fragte sie, aber sie wußte sehr gut, was er wollte.

 

»Pretoria-Smith hat deinen Trauschein. Unglücklicherweise ist es nicht das Dokument, das deine Verheiratung mit Sir James Tynewood bestätigt. Das wäre auch nicht schlimm, denn für ein paar Shilling kann man sich eine Kopie davon machen lassen. Er hat die Urkunde, in der die Trauung von Augustus Javot und Alma Trebizond Johnson in der Kirche St. Giles in Camberwell bescheinigt wird. Der Teufel mag wissen, wo du den Namen Trebizond aufgelesen hast. Es klingt, als ob dein Vater ein Armenier wäre.«

 

»Aber er darf es nicht wagen, mich wegen Bigamie anzuzeigen. Wir haben ihn in der Hand.«

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Meine liebe Alma, glaube mir, dieser Pretoria-Smith ist ein ganz gewitzter Junge. Den kannst du nicht so leicht fassen. Du hast ihn gar nicht in der Hand. Am besten gehst du morgen zu ihm und sprichst dich einmal richtig mit ihm aus.«

 

»Ich soll mich mit ihm aussprechen?« rief sie wütend. »Hältst du mich denn für verrückt?«

 

»Du wärst jedenfalls verrückt, wenn du es nicht tätest. Und ich möchte dir noch eins sagen. Ich liebe diese Gegend und ziehe nicht gern von hier fort. Aber wir kommen natürlich nicht um die Tatsache herum, daß wir – oder vielmehr du in seiner Macht bist, denn ich habe ja kein Verbrechen begangen. Ich habe die Bigamie nur schweigend geduldet und verziehen.«

 

»Nein, das tue ich nicht«, erklärte sie etwas ruhiger als vorher. »Ich muß mir alles noch reiflich überlegen, Javot. Für mich bedeutet es viel mehr als für dich.«

 

Sie überlegte die ganze Nacht, und am nächsten Morgen kam sie im Jagdkostüm schon zeitig zum Frühstück.

 

Javot sah sie erstaunt an.

 

»Du bist ja heute schon sehr früh aufgestanden?«

 

»Ja, ich will Kaninchen schießen.«

 

»Was haben dir denn die Karnickel getan?« fragte er.

 

»Ich brauche Zerstreuung, und ich bin in einer Stimmung, daß ich morden könnte.«

 

»Na, dann Heil und Sieg für die Kaninchenjagd«, erwiderte er belustigt.

 

Sie vermied die Hauptstraße und ging über den Feldweg, der sie zur hinteren Gartentür des Stedmanschen Anwesens brachte.

 

Pretoria-Smith, der im Schatten eines großen Baumes eine Pfeife rauchte, sah sie und beobachtete, wie sie ihr Gewehr an die Mauer lehnte, bevor sie ins Haus ging.

 

Zehn Minuten später kam er auch ins Wohnzimmer.

 

Mrs. Stedman strahlte, denn Alma war in einer versöhnlichen Stimmung. Auch Pretoria-Smith reichte sie lächelnd die Hand.

 

»Es tut mir unendlich leid, daß ich gestern so heftig gegen Sie war. Es war natürlich ein Irrtum. Hoffentlich verzeihen und vergessen Sie die dumme Angelegenheit.«

 

Er übersah ihre Hand, erwiderte aber ihr Lächeln.

 

»Nun, ich muß mich auch bei Ihnen entschuldigen«, sagte er.

 

Marjorie fühlte einen Schauder, als sie das Spiel beobachtete, das die beiden miteinander trieben.

 

Sie hatte keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte, denn ihr Mann und Alma waren in fröhlicher Laune und scherzten. Er neckte sie wegen ihrer früheren Bühnentätigkeit. Als sie nachher in den Garten gingen, folgte sie ihnen und sah, wie Lady Tynewood ihr Gewehr aufnahm.

 

»Warum denn solche Mordwaffen?« fragte er.

 

»Ich will Kaninchen schießen. Die ärgern mich.«

 

Dann bemerkte Marjorie entsetzt, daß Lady Tynewood ihr Gewehr sehr unvorsichtig handhabte. Die Mündung zeigte direkt auf das Herz von Pretoria-Smith, und beide Hähne waren gespannt.

 

Er sah es auch, aber er rührte sich nicht.

 

»Ich kann Kaninchen nicht leiden« erklärte Alma heftig und drückte ab.

 

Sie hörte das Knacken, senkte erschreckt die Waffe und starrte ihn wild an. Er schaute in ihr verstörtes Gesicht und lächelte.

 

»Ich habe mir erlaubt, die beiden Patronen herauszunehmen, bevor ich ins Wohnzimmer kam, Lady Tynewood.«

 

»Es war ein Zufall«, sagte sie und atmete schwer.

 

»Beinahe ein Zufall. Sie tun mir im Augenblick wirklich leid. Sie sind in die Enge getrieben, Alma Javot, und Sie wissen keinen Ausweg mehr.«

 

Ihre Lippen zuckten nervös. Sie hatte sich nicht mehr in der Gewalt. »Ich bin nicht schlimmer daran als Sie«, erwiderte sie.

 

»Besprechen Sie die Sache mit Javot«, entgegnete er leise, wandte sich um und ging fort.

 

Marjorie folgte ihm wieder ins Wohnzimmer.

 

»Sie wollte dich erschießen«, sagte sie betroffen. »Sicher kam sie schon mit dieser Absicht hierher!«

 

»Ach nein.« Er klopfte ihr freundlich auf die Schulter. »Du machst dir unnötig Kummer und Sorgen.«

 

»Das sagst du, um mich zu ärgern und wieder zur Vernunft zu bringen. Aber sie hat es doch wirklich versucht?«

 

»Ja, das hat sie getan. Sie ist eine arme Frau. Ich müßte eigentlich furchtbar böse auf sie sein, aber es ist nicht meine Art, zu hassen oder anderen Menschen etwas nachzutragen. Bedenke doch, wie groß die Versuchung für sie war. Ich meine nicht, mich zu erschießen, sondern den armen Jungen zu heiraten.«

 

»Du nanntest sie vorhin Alma Javot –?«

 

»Sie ist Javots Frau, und als sie meinen Bruder heiratete, beging sie Bigamie.«

 

»Er war dein Bruder?«

 

Er nickte. »Ich bin bereit, ihr die Rente weiterzuzahlen, und es ist vielleicht besser, daß ich ihr das möglichst bald schreibe, damit sie nicht noch mehr Dummheiten macht.«

 

»Du bist bereit – wie soll ich das verstehen?« fragte sie.

 

»Ich bin James Tynewood.«

 

Sie schwankte leicht. Er dachte, sie würde ohnmächtig werden und legte den Arm um sie. »Das ist ja heute ein aufregender Tag«, sagte sie. »Ich glaube, ich muß mich setzen.«

 

»Fühlst du dich nicht wohl? Du wirst doch nicht schwach werden?« fragte er ängstlich.

 

»Wenn du mich hältst, wird es schon vorübergehen.«

 

Er neigte sich über sie. »Und wenn ich dir jetzt einen Kuß gäbe, würdest du dann entsetzt davonlaufen, oder würdest du ohnmächtig werden?«

 

»Das möchte ich gern wissen. Willst du es nicht versuchen?«

 

Kapitel 33

 

33

 

»Seit meiner Jugend bin ich stets auf Reisen gewesen«, sagte Pretoria-Smith. »Mit siebzehn Jahren erbte ich den Titel. Ich war damals auf der Schule in Eton, bin von dort aus direkt nach Afrika gegangen und nur selten nach England zurückgekommen. Ich war ein begeisterter Jäger und hielt mich lieber in den Dschungeln Afrikas auf als zu Hause. Meine Mutter heiratete nach dem Tod meines Vaters zum zweitenmal, und zwar Sir John Garrick. Aus dieser Ehe stammte ein Sohn – Norman.

 

Der Junge war immer sehr wild, aber ich hatte ihn gern. Als meine Mutter starb, nahm sie mir das Versprechen ab, daß ich mich um ihn kümmern und ihn vor Unglück bewahren sollte. Ihr Mann war schon ein Jahr früher gestorben. Leider habe ich das Versprechen nicht gehalten. Ich sagte schon, daß ich ein leidenschaftlicher Jäger war und nur selten nach England kam. Der Junge blieb sich also selbst überlassen.

 

Norman war eitel und verkehrte viel in Schauspielerkreisen. Wurde er von anderen so vorgestellt, oder nannte er sich selbst Sir James Tynewood? Ich weiß es nicht. Er konnte es ja auch ruhig tun, weil mich nur wenige Leute kannten. Norman war in Frankreich erzogen worden und früher ebensowenig zu Hause wie ich. Er hatte einen schwachen Charakter und gab immer mehr aus, als sein Einkommen betrug. Er – er hat auch meinen Namen gefälscht.« Er zögerte einen Augenblick, bevor er weitersprach. »Es ist besser, daß ich dir die volle Wahrheit sage. Er hat fast hunderttausend Pfund Schulden gemacht. Ein großer Teil dieser Summe floß in die Taschen von Alma Trebizond.

 

Mr. Vance entdeckte die Sache und erfuhr auch, daß Norman unter meinem Namen auftrat. Er schickte deshalb durch dich einen Brief an ihn und teilte ihm mit, daß ich am nächsten Morgen nach England zurückkehren würde; er gab ihm den guten Rat, sich von seinen Freunden zu trennen und einige Zeit aufs Land zu gehen. Aber Mr. Vance hatte ihn früher schon öfter gewarnt, ohne daß ich zurückkam. Norman dachte deshalb, daß es sich wieder um einen falschen Alarm handelte.

 

Ich weiß nicht, wie Alma Trebizond es fertigbrachte, aber seine Ehe mit ihr wurde auf dem Standesamt geschlossen.

 

Ich kam damals mit Doktor Fordham, meinem besten Freund, von einer Reise nach Südafrika zurück. Er las in der Abendzeitung einen Artikel, in dem von der Heirat Sir James Tynewoods die Rede war, und zeigte ihn mir. Wir vermuteten, was geschehen war, und ich wußte zunächst nicht, was ich tun sollte. Wir wohnten im Grand Western Hotel in Southampton, und ich trug mich unter dem Namen meines Bruders in die Fremdenliste ein. Hätte ich meinen richtigen Namen gebraucht, so wäre ein Skandal entstanden, weil damals die Geschichte in allen Zeitungen stand.

 

Ich kam direkt nach London – du sahst mich damals im Büro von Mr. Vance. Am nächsten Nachmittag fuhr ich nach Schloß Tynewood. Alma hatte natürlich jenen Artikel gelesen, in dem auch das berühmte Brillantkollier aus dem Familienschmuck der Tynewoods erwähnt war. In ihrer Habgier verlangte sie von meinem Bruder, daß er es ihr sofort beschaffen sollte. Der Schmuck befindet sich im Gewahrsam der Bank, aber Norman glaubte, daß er ihn in dem Geldschrank meines Arbeitszimmers in Tynewood finden würde. Er fuhr also dorthin und war gerade dabei, die Holztür zu zertrümmern, die den Safe verdeckt, als Fordham und ich dahinkamen. Ich glaube, daß er den verzweifelten Plan gefaßt hatte, das Brillanthalsband zu stehlen und mit Alma zu fliehen.

 

Wir hatten eine Auseinandersetzung. Ich versuchte, so sachlich wie möglich zu bleiben, und ich bin jetzt noch beruhigt darüber, daß ich damals einen klaren, kühlen Kopf bewahrte. Norman brach schließlich zusammen und erzählte die Wahrheit. Er sprach von seinen Fälschungen, von seiner Heirat und allen übrigen Torheiten, die er begangen hatte. Während der Unterredung wurden wir plötzlich durch ein Klingeln gestört, und da keine Diener im Schloß waren, ging Fordham und ließ dich herein.

 

Als er zurückkam, hatte Norman die Arme auf den Tisch gelegt und das Gesicht darin vergraben. Er mußte den Revolver schon in der Hand haben. Wir wechselten nur noch ein paar Worte, dann fiel der verhängnisvolle Schuß. Bevor ich wußte, was geschehen war, fiel Norman zu Boden.

 

Ich hatte damals den Eindruck, daß meine Vorhaltungen ihn zu dieser verzweifelten Tat getrieben hatten, und darauf bezogen sich die Worte, die du hörtest. Fordham handelte wirklich als mein Freund. Er setzte alles aufs Spiel und bescheinigte in seiner Eigenschaft als Arzt, daß der Tod auf natürliche Weise eingetreten wäre. Mein Bruder wurde dann in der Schloßkapelle beigesetzt.

 

Um Normans Geheimnis zu hüten, blieb mir nichts anderes übrig, als das Land sofort wieder zu verlassen. Von jenem Tage an war ich für die Welt gestorben. Ich veranlaßte Mr. Vance, der Frau eine Rente zu zahlen, jedoch nur unter der Bedingung, daß sie das Schloß und den Park nicht betreten durfte. Am nächsten Tag fuhr ich nach Südafrika. Nun weißt du alles.«

 

Sie sah ihn mit strahlenden Augen an und holte tief Atem.

 

»Sir James Tynewood! Wie herrlich! Aber wer ist denn eigentlich Jot?«

 

»Das bin ich auch«, erwiderte er lächelnd. »Der Name ist aus meinen Anfangsbuchstaben zusammengesetzt: James Oliver Tynewood. Meine Freunde in Eton nannten mich so, und auch Norman gebrauchte nur diesen Namen. Du hättest eigentlich vermuten sollen –«

 

»Daß du Sir James warst? Aber wie hätte ich denn darauf kommen sollen?« fragte sie erstaunt.

 

»Weißt du nicht, daß nach Familientradition nur ein Tynewood in der Schloßkapelle getraut werden darf?«

 

Sie nickte.

 

»Ach, es ist zu schön. Ich kann es kaum für möglich halten.«

 

»Früher oder später wirst du dich doch von der Wahrheit überzeugen, Lady Tynewood.«

 

Sie errötete leicht. »Ach ja, natürlich, ich bin jetzt –«

 

»Du bist Lady Tynewood.«

 

»Ich glaube, es ist doch alles nur ein Traum.«

 

»Vielleicht findest du schneller zur Wirklichkeit zurück, wenn ich dir jetzt noch einen Kuß gebe?«

 

»Ich weiß nicht«, sagte sie leise. »Aber probiere es doch mal.«.

 

Kapitel 34

 

34

 

Alma Javot weinte, als sie den Brief von Sir James Tynewood gelesen hatte. Sie fühlte nun doch Reue, aber diese Reue äußerte sich in einer für sie ganz charakteristischen Art.

 

»Ich muß wirklich sagen, daß er sehr anständig ist«, sagte sie zu Javot. »Aber ich bleibe nicht hier. Ich siedle wieder nach London über und gehe zur Bühne zurück. Stelle dir vor, welchen Eindruck es macht, wenn auf den Theaterzetteln steht: Alma, Lady Tynewood!«

 

»Nun sei doch zufrieden, daß du mit heiler Haut davongekommen bist. Du nennst dich Alma Trebizond, sonst hast du es mit mir zu tun.«

 

Er sprach im Ernst, und sie wußte, daß mit Mr. Javot nicht zu spaßen war.

 

»Auf keinen Fall bleibe ich hier«, erklärte sie. »Wenn ich nicht Lady Tynewood auf Schloß Tynewood sein kann, so will ich auch nicht Mrs. Javot von Tynewood sein.«

 

»Du kannst dich meinethalben Mrs. Javot von Kensington nennen, wenn dir das Spaß macht, und solange du dich ruhig und vernünftig verhältst, hast du ja auch nichts zu fürchten. Ich bleibe jedenfalls hier. Zum Wochenende kannst du ja dann von London herüberkommen.«

 

Sie sah ihn erstaunt an.

 

»Du wirst ja auf deine alten Tage liebenswürdig, Javot?«

 

*

 

Mrs. Stedman hatte wieder Grund, sich zu beschweren. Als sie entdeckte, daß ihr Schwiegersohn ein wirklicher englischer Baron war, beanspruchte sie eine Wohnung von mehreren Zimmern im Ostflügel des Schlosses für sich.

 

»Aber es gibt doch gar keinen Ostflügel, liebe Mutter«, sagte Marjorie. »Das Haus erstreckt sich von Norden nach Süden, und außerdem werde ich nicht dort wohnen.«

 

»Was, du bleibst nicht in Tynewood?« fragte Mrs. Stedman.

 

»Mein Mann geht nach Südafrika zurück.«

 

»Und will dich allein zurücklassen? Das geht nicht.«

 

»Warum nicht? Ich regle meine häuslichen Angelegenheiten allein und ohne deine Hilfe.«

 

Die alte Frau begann zu weinen.

 

»Ja, ich sehe es schon«, sagte sie bitter. »Meine eigene Tochter wendet sich gegen mich – sie ergreift die Partei ihres Mannes!«

 

»Mach dich doch nicht lächerlich, Mutter. Er geht nach Südafrika zurück, und infolgedessen kann ich doch nicht im Schloß wohnen. Das stimmt doch, James?«

 

»Jim klingt viel besser«, meinte James Tynewood, der gerade hereingekommen war. »Nein, wir werden die nächsten Wochen und Monate nicht im Schloß wohnen. Übrigens habe ich meine Abreise nach Südafrika auf unbestimmte Zeit verschoben. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich noch eine Weile bei Ihnen bin, Mrs. Stedman?« Er sah sie nachdenklich an.

 

»Nein, im Gegenteil, ich freue mich.«

 

»Hast du an der Tür gelauscht?« fragte Marjorie, als ihre Mutter gegangen war.

 

»Natürlich!«

 

»Und du willst nicht nach Südafrika gehen?«

 

»Nein, ich bleibe hier – direkt hier im Hause.«

 

Beide schwiegen eine Weile.

 

»Wie lange dauert es, bis das Schloß eingerichtet ist?« fragte Marjorie schließlich.

 

»Oh, das dauert noch viele Wochen«, entgegnete er vergnügt. »Deine Mutter hat doch nichts dagegen, wenn ich hier wohne?«

 

»Nein. Sie fühlt sich höchstens sehr geehrt, daß ein Baron unter ihrem Dach wohnt. Aber ist es denn nicht sehr ungemütlich?«

 

»Ich fühle mich sehr wohl dort. Habe ich mich etwa schon einmal beklagt?«

 

»Hältst du es denn nicht für hübscher, wenn man einen elektrischen Kocher im Zimmer hat und sich Tee machen kann?« fragte sie verzweifelt.

 

Er lachte und zog sie am Ohr. »Ach ja, du hast so ein Gerät in deinem Zimmer. Also gut – wir wollen zusammen Tee kochen.«

 

 

Ende

 

Kapitel 25

 

25

 

»Mein Mann hat sich nun wieder vollständig von dem Anfall erholt. Er hat schwer an Malaria gelitten, seitdem er nach Europa kam, und leider war wohl hauptsächlich mein Verhalten dran schuld, daß man seinen Zustand ganz anders beurteilte und ihn für einen Trinker ansah. Ich habe selbstverständlich an Lord Wadham und auch an den Prinzen geschrieben, um sie über den wahren Grund jenes Vorfalls aufzuklären. Mein Mann möchte im Gasthaus von Tynewood logieren, aber das ist natürlich unmöglich …« Hier unterbrach sich Mrs. Stedman mit der Entschuldigung, daß sich der weitere Inhalt des Briefes nicht zum Vorlesen eigne.

 

Alma Tynewood konnte jedoch sehr gut sehen und entdeckte weiter unten ihren eigenen Namen.

 

»Ja, das ist alles, meine Liebe«, sagte Mrs. Stedman, faltete das Blatt hastig zusammen und legte es in ihre Schreibmappe.

 

»Dann kommt das glückliche junge Paar also nach Hause zurück, und er ist kein Trinker? Wenigstens sagt seine liebe Frau so«, erwiderte Alma nachdenklich. »Es ist wirklich rührend.«

 

»Ich hoffe, mein Kind wird glücklich«, seufzte Mrs. Stedman.

 

»Glücklich?« fragte Lady Tynewood belustigt und lachte ironisch. »Diese Art Leute kann doch eine Frau nicht glücklich machen! Und ich bin noch gar nicht davon überzeugt, daß Marjorie –« Sie vollendete den Satz nicht. »Nun, das werden wir ja noch alles sehen. Ich möchte gern freundschaftlich mit Ihrer Tochter verkehren, wenn sie mir nur halbwegs entgegenkommt.«

 

Alma legte jetzt tatsächlich Wert darauf, mit Marjorie gut zu stehen, denn der Reichtum dieser jungen Frau war ein unerschöpfliches Reservoir für sie, wenn Mrs. Stedmans Spielleidenschaft nicht nachließ.

 

»Marjorie ist ein gutes Mädchen«, sagte die alte Frau.

 

Lady Tynewood schaute interessiert in ihre Teetasse.

 

»Ist sie nicht früher einmal in Stellung gewesen?« fragte sie.

 

Mrs. Stedman erschrak. »O ja«, erwiderte sie zögernd. »Es ging uns nicht immer so gut wie jetzt. Bevor mein Schwager das Geld zurückzahlte, das er früher einmal von meinem Mann geborgt hatte, mußten wir uns sehr einschränken.«

 

Sie erzählte anderen Leuten mit Vorliebe, daß Mr. Alfred Stedman ihr das Geld nicht schenkte, sondern eine alte Schuld beglich, und daß ihr Mann in vergangenen Zeiten seinem Bruder viel Geld geliehen hatte.

 

»Ja, Lady Tynewood, wir haben schlechte Zeiten durchgemacht, weil Mr. Stedman das Geld nicht zurückzahlte. Marjorie war eine Zeitlang bei Rechtsanwalt Vance beschäftigt – eine sehr alte, angesehene Firma. Mr. Vance war früher auch der Anwalt meines Mannes, und er kümmerte sich sehr um Marjorie. Natürlich hatte sie eine Sonderstellung und war von der gewöhnlichen Tätigkeit einer Stenotypistin befreit.«

 

»Zum Beispiel mußte sie keine Botengänge machen«, warf Lady Tynewood dazwischen.

 

»Um Himmels willen, nein!« sagte Mrs. Stedman entrüstet. »Mr. Vance war sehr traurig, als sie ihm kündigte, aber ich freute mich, daß sie gehen konnte. Denken Sie, zwei Nächte hintereinander kam sie einmal sehr spät nach Hause, war bleich und zitterte am ganzen Körper. Ich glaubte schon, daß ich den Arzt holen müßte. Ganz zuletzt noch wurde sie in einer wichtigen Angelegenheit von Mr. Vance auf das Land geschickt, und als sie heimkam, brach sie vollständig zusammen. Ich kann mich noch gut auf den Abend besinnen. Am selben Tag erhielt ich einen großen Scheck von meinem Schwager.«

 

»Ach, hat er damals die große Goldmine entdeckt?«

 

»O nein, meine Liebe, die hat er erst viele Monate später gefunden«, erklärte Mrs. Stedman. »Er hatte erst eine kleine Ader entdeckt, die aber schließlich zu der großen Mine führte.«

 

Die alte Frau hatte keine Ahnung von Goldminen, aber sie wußte doch so viel, daß sie Lady Tynewood wenigstens das auseinandersetzen konnte.

 

»Hat Ihnen Ihre Tochter später einmal erzählt, was sie an jenem Abend gesehen hat oder was sie an den beiden Tagen überhaupt erfuhr?« fragte Alma gleichgültig.

 

»Marjorie sagt mir niemals, was sie erlebt. Sie ist in der Beziehung furchtbar schweigsam.«

 

Alma dachte schnell nach.

 

»War Mr. Vance sehr gut mit ihr befreundet?«

 

»Das kann ich wohl sagen. Sie müssen bedenken, daß sie doch die Tochter eines alten Klienten war.«

 

»Hat er noch Briefe mit ihr gewechselt, nachdem sie nicht mehr bei ihm tätig war?«

 

Die alte Frau schaute erstaunt auf.

 

»Das ist aber eine sonderbare Frage. Warum interessieren Sie sich denn so sehr für diese Einzelheiten?«

 

Lady Tynewood lachte.

 

»Ich möchte eben gern wissen, welche Beziehungen zwischen einem Chef und seiner früheren Privatsekretärin bestanden, nachdem sie nicht mehr zusammenarbeiteten.«

 

»Es ist merkwürdig, daß Sie gerade diese Frage stellen«, sagte Mrs. Stedman langsam. »Ich hatte nämlich immer den Eindruck, daß Mr. Vance und Marjorie ein Geheimnis miteinander haben. Natürlich kam es überhaupt nicht in Frage«, sagte sie mit ehrbarer Miene, »daß sich Mr. Vance in Marjorie verliebt hätte, denn er hat eine Frau und sechs Kinder. Nein, diese Möglichkeit war vollkommen ausgeschlossen.«

 

Alma hatte eine größere Lebenserfahrung und hielt, das durchaus nicht für vollkommen ausgeschlossen. Sie war aber bereit, Mrs. Stedman in diesem besonderen Fall zu glauben.

 

»Ich weiß, daß Marjorie manchmal sehr bekümmert und aufgeregt war«, erzählte die alte Frau weiter. »Als ich einmal eine ganz harmlose Bemerkung machte, wurde sie plötzlich kreidebleich.«

 

»Was für eine harmlose Bemerkung war denn das?«

 

»Lassen Sie mich einmal nachdenken.« Mrs. Stedman runzelte die Stirn. »Ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Ich erwähnte nur, daß die frühere Wirtschafterin von Doktor Fordham am anderen Ende des Dorfes ein Haus gemietet hat.«

 

»Wer ist Doktor Fordham?«

 

»Ich kenne ihn überhaupt nicht, aber er muß vor einiger Zeit hier im Ort gewohnt haben. Nach seinem Tod ist seine Haushälterin hier geblieben. Ich glaube, Sir James hat ihr das Haus überlassen. Aber Sie müßten doch eigentlich etwas von der Sache wissen.«

 

»Ich weiß nicht das geringste davon. Aber wo liegt denn dieses Haus? Wohnt die Frau jetzt auch noch dort?«

 

Mrs. Stedman nickte.

 

»Ich fragte Marjorie, warum sie sich so sehr für Doktor Fordham interessierte, aber sie ging überhaupt nicht darauf ein, sondern sprach sofort von anderen Dingen.«

 

»Wie heißt die Haushälterin von Doktor Fordham?«

 

»Es ist eine gewisse Mrs. Smith«, sagte die alte Frau ungeduldig. »Aber heute sind Sie furchtbar neugierig. Diese Wirtschafterin kann Sie doch unmöglich interessieren. Ach so«, entschuldigte sie sich dann plötzlich, »das Haus gehört ja Sir James. Jetzt verstehe ich –«

 

Lady Tynewood erhob sich und verabschiedete sich bald darauf.

 

Sie fand Mr. Javot bei einem Spaziergang im Garten und erzählte ihm kurz, was sie von Mrs. Stedman erfahren hatte.

 

»Kümmere dich lieber nicht darum«, warnte er.

 

»Bist du verrückt?« fragte sie ärgerlich. »Siehst du denn nicht ein, was es für mich und für dich bedeutet, wenn James tot ist?«

 

Er kratzte sich das Kinn.

 

»Ich sehe eine Menge unangenehmer Folgen, die deine alberne Neugierde haben kann. Du scheinst überhaupt nicht mehr klar denken zu können.«

 

Sie hatte sich auf eine Gartenbank gesetzt. »Wenn James tot ist«, sagte sie langsam, »gehört alles mir, das Schloß und die vielen Güter. Und wenn er so starb, wie ich annehme, soll dieser gemeine Pretoria-Smith seiner Strafe nicht entgehen.«

 

»Kümmere dich bloß nicht um diese Dinge«, wiederholte der friedliebende Javot. »Du hast hier einen schönen Wohnsitz und ein bequemes Leben. Du brauchst doch nur Ruhe zu halten und dich deines Daseins zu freuen.«

 

»Nennst du das hier vielleicht ein Leben?« fuhr sie ihn wütend an. »Ich bin hier für die ganze Welt begraben und sitze in einem kleinen Nest auf dem Lande, wo ich Schweine und Enten großziehen kann! Ich habe den Aufenthalt hier gründlich satt, Javot. Ich will nach London zurück, aber dazu brauche ich viel Geld. Ich muß ein Haus in der Stadt haben und mehrere Autos. Außerdem möchte ich große Gesellschaften geben wie früher.«

 

»Du kannst doch jetzt schon wieder hingehen und dir dort eine kleine Wohnung mieten –«

 

»Was, eine kleine Wohnung?« brauste sie auf. »Meinst du, ich würde mich vor meinen Freundinnen blamieren, vor Mollie Sinclair und Millie Vane? Ich möchte ihre Gesichter sehen, wenn ich nach London zurückkäme und nicht standesgemäß auftreten könnte! Glaubst du, ich bleibe in diesem elenden Dorf, weil mir das Landleben Spaß macht? Nein, ich halte es nur aus, weil ich in London nicht repräsentieren kann, wie ich es als Lady Tynewood tun müßte. Weil ich nicht das Geld habe, das mir zusteht! Vor ein paar Tagen habe ich noch einen Brief von Mollie erhalten. Sie fragt mich, warum ich sie nicht einmal nach Schloß Tynewood einlade. Natürlich ahnt sie nicht, wie die Verhältnisse in Wirklichkeit liegen. Nein, ohne Geld gehe ich auf keinen Fall nach London zurück. Ich bin doch keine Idiotin!«

 

»Wenn du dich nicht ruhig verhältst, wirst du dich auch noch in Tynewood unmöglich machen.«

 

Sie sprang empört auf und ging fort.

 

Er lächelte und nahm ein welkes Blatt von einer Rose ab.

 

»Ja, so ist das Leben«, sagte er und gähnte.

 

Kapitel 26

 

26

 

Die Rückreise von der See war viel angenehmer und interessanter für Marjorie als die Hinfahrt. Pretoria-Smith war jetzt gut gekleidet und sah gepflegt aus.

 

Marjorie Smith war nicht gerade sehr glücklich, aber sie hatte ihre Ruhe wiedererlangt. Sie vertraute ihrem Mann, und sie glaubte ihm, und Glauben und Vertrauen sind der beste Ersatz für Liebe zwischen Eheleuten.

 

»Ich bin so froh, daß du nun bei uns im Hause wohnen willst«, sagte sie plötzlich nach einem längeren Schweigen. »Mit der Mutter kann man ja manchmal schwer fertig werden. Aber im Grunde ihres Herzens ist sie eine wirklich gute Frau, wenn sie auch ab und zu eine taktlose Bemerkung macht.«

 

»Ja, ich weiß es.«

 

»Und dann verkehrt bei uns diese Lady Tynewood. Sie besucht die Mutter fast jeden Tag. Hoffentlich stört sie dich nicht.« Es war Marjorie peinlich, daß sie das erwähnen mußte.

 

Er lächelte leicht.

 

»Es tut mir leid, daß ich mich an dem Vormittag damals nicht beherrschte und so heftig gegen sie wurde. Aber gerade an dem Morgen hatte ich entsetzliche Kopfschmerzen. Ich habe mich übrigens bei Lady Tynewood schriftlich entschuldigt.«

 

»Du hast ihr geschrieben?« fragte sie erstaunt und legte die Hand auf die seine. »Das war sehr lieb von dir. Ich kann diese Frau ebensowenig leiden wie du, aber meine Mutter betrachtet sie als Freundin, weil sie sonst nur wenig Bekannte hat.«

 

»Ich verspreche dir, daß ich Lady Tynewood gegenüber sehr höflich sein werde«, erklärte er mit Nachdruck.

 

Schließlich hielt der Wagen vor dem Haus von Mrs. Stedman. Marjories Mutter empfing das junge Paar mit Wohlwollen.

 

»Ich habe eure Zimmer richten lassen. Es wäre doch zu schrecklich gewesen, wenn Mr. Smith in dem kleinen Fremdenzimmer auf der anderen Seite des Hauses hätte wohnen sollen.« Sie klopfte ihrer Tochter freundlich auf die Wange. »Ich habe Mr. Smith deshalb mein Zimmer gegeben. Es hat außerdem den Vorteil, daß es direkt neben dem deinen liegt.«

 

»Aber Mutter, du bist doch nicht etwa unsertwegen ausgezogen?« rief Marjorie bestürzt.

 

»Kein Opfer ist mir zu groß für meine Tochter«, entgegnete Mrs. Stedman lächelnd.

 

»Du gehst sofort in dein Zimmer zurück«, erklärte die junge Frau entschieden. »Ich kann nicht gestatten, daß du dir Unannehmlichkeiten machst. Mein Mann ist auch mit dem Fremdenzimmer zufrieden.«

 

»Ich würde am liebsten in dem Raum über dem Stall schlafen, Mrs. Stedman.«

 

Marjorie sah ihn bittend und schließlich ärgerlich an.

 

»Mir genügt ein Strohsack oder ein Feldbett in. einer Scheune, wo die großen Spinnen und Käfer herumkrabbeln.«

 

Die alte Frau sah ihn erstaunt an. Pretoria-Smith war doch früher ein so ruhiger, schweigsamer Mann gewesen!

 

»Ich gehe nicht wieder in mein Zimmer zurück«, sagte sie bestimmt. »Das Fremdenzimmer ist ein wenig feucht – und dein Mann darf nicht darin schlafen.«

 

»Aber Mutter –«, begann Marjorie.

 

»Dein Zimmer ist ja allerdings sehr groß, und als ich jung verheiratet war, schliefen Eheleute überhaupt nicht in zwei verschiedenen Zimmern. Ein großes, gemeinsames Schlafzimmer und ein Ankleideraum. Aber heutzutage –«

 

Smith kam Marjorie zu Hilfe.

 

»Mrs. Stedman«, sagte er düster, »entweder nehmen Sie Ihr Zimmer wieder und lassen mich im Fremdenzimmer schlafen, oder ich gehe ins Gasthaus. Bedenken Sie aber, was die Leute sagen werden, wenn wir uns nach so kurzer Ehe schon wieder trennen wollen.«

 

Dieser Grund war ausschlaggebend. Mrs. Stedman war zwar noch nicht ganz zufrieden, aber sie fügte sich doch.

 

»Du hast mich heute nicht gerade sehr unterstützt«, meinte Marjorie, als sie ihn später allein im Wohnzimmer traf.

 

»Was, ich hätte dich nicht unterstützt?« fragte er entrüstet. »Wenn ich nicht eingegriffen hätte, wären die Gewohnheiten früherer Zeiten wieder aufgelebt, allerdings ohne Ankleidezimmer.«

 

»Du bist doch ein merkwürdiger Mann. Aber wir werden ja nicht lange hier sein. Sagtest du nicht etwas davon, daß wir nach London gehen würden?«

 

»Ja, ich gehe nach London. Ich muß noch viele Einkäufe machen, bevor ich zurückfahre.«

 

»Zurück – nach Südafrika? Wann willst du denn reisen?«

 

»Nächsten Sonnabend in einer Woche.«

 

Beide schwiegen eine Weile.

 

»Du hast mir aber gar nicht gesagt, daß du schon so bald fahren willst.«

 

»Diese gute Nachricht habe ich als eine Überraschung für dich aufbewahrt.«

 

Wieder trat eine längere Pause ein.

 

»Also, nächsten Sonnabend in einer Woche«, sagte Marjorie halb zu sich selbst. »Wie lange wirst du denn fortbleiben?«

 

»Es können vier Jahre werden – vielleicht bleibe ich auch für immer dort.«

 

»Dann muß ich –«, sie vollendete den Satz nicht.

 

»Du wirst eine liebe, vernünftige Frau sein«, sagte er ruhig, »bis ich deinen Onkel davon überzeugen kann, daß diese ganze Heirat lächerlich und überflüssig war.«

 

»Und was soll dann werden?«

 

»Nun, dann kannst du dich von mir scheiden lassen. Es ist mir zwar nicht ganz recht, und es ist auch peinlich, daß du diese Unannehmlichkeit auf dich nehmen mußt, aber wenn ich keinen Einspruch erhebe, bekommst du ein günstiges Urteil, und die Öffentlichkeit erfährt wenig davon.«

 

»Willst du mir denn Grund zur Ehescheidung geben?«

 

Er nickte.

 

»Das ist ja entsetzlich! Aber ich will mich doch gar nicht scheiden lassen, ich wüßte niemanden, den ich heiraten sollte. Aber vielleicht willst du eine andere Frau heiraten?« fragte sie.

 

»Das ist wohl kaum anzunehmen.«

 

Sie ging zu der Tür, öffnete sie und trat in den Garten hinaus.

 

Sie hatte das merkwürdige Gefühl, daß sie etwas verloren hatte, und versuchte, sich darüber klarzuwerden., Eine Weile sträubte sie sich gegen die Erkenntnis, aber dann gestand sie sich den Grund ein. Sie hatte Pretoria-Smith gern, und er wollte sie verlassen. Er war so freundlich und so liebenswürdig zu ihr gewesen.

 

Nach einiger Zeit folgte er ihr und ging neben ihr her.

 

»Vom nächsten Donnerstag ab werde ich dich also nicht wiedersehen, bis du zurückkömmst, um mir Lebewohl zu sagen?«

 

»Ist das denn notwendig?« erwiderte er und steckte sich eine Zigarette an.

 

»Wenn du nicht gern kommen möchtest, brauchst du es natürlich nicht zu tun. Notwendig ist es nicht, und ich glaube auch, daß du sehr viel zu tun haben wirst.«

 

»Ich komme, wenn es dir lieb ist.«

 

Sie erwiderte nichts darauf.

 

Das Leben hatte plötzlich an Reiz und Farbe für sie verloren.

 

»Bevor du gehst, muß ich dir aber noch etwas erzählen«, sagte sie.

 

Er sah sie scharf an. »Hast du einen anderen Mann lieb?«

 

»Gibt es denn jemanden, den ich lieb habe?« fragte sie ihn.

 

Er wurde verlegen.

 

»Das meinte ich auch«, entgegnete, er etwas steif. »Wir haben uns niemals Illusionen darüber gemacht, daß wir höchstens gute Freunde sein können. Wir haben uns eben nur geheiratet, um die Laune des alten Stedman zu erfüllen.«

 

»Setz dich bitte hierher.«

 

Sie ließen sich auf einer Bank nieder, und Marjorie sprach von Dingen, die sie noch niemandem erzählt hatte.

 

»Es handelt sich um Sir James Tynewood. Ich weiß, daß er tot ist, und ich weiß auch, daß du bei ihm warst, als er starb.«

 

Kapitel 27

 

27

 

Pretoria-Smith schwieg eine Weile und steckte sich eine neue Zigarette an. »Sir James Tynewood ist tot«, sagte er dann langsam, »und es stimmt, daß ich davon weiß. Ich kenne auch die Frau, die ihn ums Leben gebracht hat.«

 

Sie wußte nicht, wie sie nun fortfahren sollte. Er bemerkte es und wandte sich freundlich, ja liebevoll zu ihr.

 

»Aber ich wollte dich nicht stören. Erzähle mir nur deine Geschichte.«

 

»Bevor Onkel Stedman uns half, ging es uns schlecht, und ich hatte eine Stellung als Privatsekretärin bei Mr. George Vance. Er war ein Freund meines Vaters und tat viel für mich. Ich hatte alle vertraulichen Angelegenheiten der Firma zu erledigen, und ich empfing auch dich, als du damals von Südafrika zurückkehrtest. Kannst du dich noch auf mich besinnen?«

 

»O ja, sehr gut.«

 

»An dem Tag, an dem du zurückkamst, rief er mich zu sich und übergab mir einen Brief, den er selbst geschrieben haben mußte. Er war an Sir James Tynewood adressiert.

 

›Miss Stedman‹, sagte er, ›ich tue es zwar ungern, aber in diesem Fall bleibt mir nichts anderes übrig. Besorgen Sie diesen Brief persönlich. Sie sind die einzige, auf die ich mich in dieser Angelegenheit verlassen kann.‹ Er erklärte mir auch, daß die Wohnung der Schauspielerin Alma Trebizond gehöre, einer sehr lebenslustigen jungen Dame. ›Sie treffen Sir James dort. Übergeben Sie ihm das Schreiben und bringen Sie mir eine Antwort. Was Sie dort sehen und hören, müssen Sie aber als striktes Geschäftsgeheimnis betrachten.‹

 

Ich hatte früher noch nie einen solchen Auftrag erhalten und war sehr gespannt, was ich erleben würde. Als ich bei der Wohnung ankam, war es schon dunkel geworden. Schon bevor ich klingelte, konnte ich die lärmende Gesellschaft hören, und es dauerte einige Zeit, bis mir jemand aufmachte. Endlich wurde ich hineingeführt, und Sir James trat auf mich zu.

 

Ich sagte ihm, daß ich von Rechtsanwalt Vance käme. Er fluchte, als ich ihm den Brief übergab, riß ihn auf und las ihn.

 

Er hatte zuviel getrunken und brüllte mir schließlich zu, ich könnte Mr. Vance bestellen, daß er sich zum Teufel scheren sollte. Damals sah ich auch Alma Trebizond zum erstenmal.

 

Als ich zu Mr. Vance zurückkam, berichtete ich ihm alles.«

 

»Was sagte er denn dazu?«

 

»Er war sehr aufgeregt und bat mich noch einmal dringend, über alles zu schweigen.«

 

»Und am selben Abend kam ich noch zum Büro. Was geschah denn am Tage darauf?«

 

»Am Nachmittag schickte mich Mr. Vance wieder mit einem Brief zu Doktor Fordham. Er war ein Freund von Sir James.«

 

Sie erzählte ihm nun alle weiteren Einzelheiten ihrer Fahrt bis zu dem dramatischen Ende.

 

»Es war schon sehr spät, als ich wieder in London ankam«, schloß sie, »aber Mr. Vance erwartete mich noch auf dem Bahnsteig. Als ich ihm alles mitgeteilt hatte, erklärte er entschieden, daß Sir James nicht tot sei. Und dann ersuchte er mich noch einmal, nie mit einem Menschen über die Tragödie zu sprechen. Und ich habe bis heute mein Wort gehalten.«

 

Pretoria-Smith stand langsam auf, warf die Zigarette fort.

 

»Du glaubst also, daß ich Sir James umgebracht habe?«

 

»Nein, jetzt nicht mehr«, erwiderte sie bestimmt. »Als ich natürlich in den Zeitungen las, daß Sir James ins Ausland gegangen und sein jüngerer Bruder an Typhus gestorben sei, wußte ich, daß Doktor Fordham einen falschen Totenschein ausgestellt hatte. Sir James hatte keinen Bruder.«

 

»Halbbruder. Aber wie hast du dir denn die Vorgänge erklärt?« fragte er. »Welche Lösung hast du gefunden?«

 

»Keine befriedigende. Vielleicht hat sich Sir James selbst erschossen, und sein Bruder ist ins Ausland gegangen, um den Skandal für die Familie abzuwenden. Man hat dann Sir James unter dem Namen seines Bruders begraben.«

 

Er überlegte einen Augenblick. »Hast du auch daran gedacht, daß der Bruder jeden Tag auftauchen und das Familienerbe für sich in Anspruch nehmen könnte?«

 

»Das könnte er doch wohl nicht. Er war nur ein Halbbruder. Ich dachte, die ganze Angelegenheit sollte in Vergessenheit geraten und das Familienerbe mit der Zeit –« Marjorie sprach nicht weiter.

 

»An Lady Tynewood fallen?« ergänzte er. »Das ist nicht wahrscheinlich. Aber wer ist dieser Halbbruder?«

 

Sie sah schnell zu ihm auf. »Wenn überhaupt ein Halbbruder lebt, dann bist du es«, sagte sie.

 

Er nickte. »Du kannst tatsächlich logisch und scharf denken.«.

 

Kapitel 28

 

28

 

Lady Tynewood gehörte zu den ruhelosen, unermüdlichen Naturen, die sich nie mit ihrer Lage zufriedengeben.

 

Am dem Tag, an dem Pretoria-Smith und seine junge Frau zurückkehrten, fuhr sie ins Dorf und besuchte Mrs. Smith, die frühere Haushälterin Dr. Fordhams.

 

Die alte Frau lebte in einem hübschen Häuschen, das etwas abseits von der Straße lag. Sie saß am Fenster in der Sonne, als Lady Tynewood an die Tür klopfte.

 

Sie öffnete und machte eine höfliche Verbeugung. Alma beobachtete sie, ob sie Widerwillen oder Feindseligkeiten zeigte, aber die Frau machte einen freundlichen und offenen Eindruck. Dr. Fordham hatte sie also nicht ins Vertrauen gezogen, und sie wußte nichts, was sie gegen diese Frau einnehmen konnte.

 

Alma ging mit ihr in den gutgehaltenen Garten, der an der Rückseite des Hauses lag, und setzte sich in einen Sessel.

 

»Ich habe nur selten Besuch, Mylady.«

 

»Ich wußte gar nicht, daß Sie hier wohnen, Mrs. Smith, sonst hätte ich Sie natürlich längst besucht.«

 

Alma konnte sehr glatt und gewandt lügen, und Mrs. Smith fand nichts Außergewöhnliches darin, daß die Dame mit Dr. Fordham befreundet war. Sie wußte von seinem Leben ja überhaupt sehr wenig. Vorsichtig lenkte Lady Tynewood die Unterhaltung auf Dr. Fordham, und die alte Frau erzählte gern.

 

»Das war ein merkwürdiger Mann, sehr still und ruhig. Ich habe kaum mit ihm gesprochen. Er war ja auch meistens auf weiten Reisen.«

 

»Hatte er Verwandte?«

 

»Nein, keinen einzigen.«

 

»Wer hat denn sein Vermögen geerbt?«

 

»Er hat nicht viel hinterlassen, Mylady, und das wenige vermachte er mir auf dem Totenbett. Es waren etwa dreihundert Pfund in bar und ein paar Möbel. Das Haus; in dem er wohnte, gehörte ihm nicht. Aber Sir James war so liebenswürdig und schenkte es mir nachher.«

 

»Doktor Fordham muß ein sehr interessanter Mensch gewesen sein. Hat er auch Bücher geschrieben?«

 

»Nein. Er hat nur wenige Papiere hinterlassen; sie liegen oben auf dem Boden. Es sind Tagebücher von Reisen und andere Aufzeichnungen, dann noch einige Schriftstücke, wie zum Beispiel seine ärztlichen Diplome und so weiter.«

 

Alma war enttäuscht. Sie hatte gehofft, die alte Haushälterin würde mehr von ihm wissen und ihr Dinge erzählen können, die das geheimnisvolle Verschwinden von Sir James Tynewood aufklärten.

 

»Ich habe schon oft gedacht«, fuhr Mrs. Smith fort, »daß ich die Sachen eigentlich dem Rechtsanwalt Vance hätte schicken müssen. Ich nehme mir auch immer wieder vor, sie einzupacken und zur Post zu tragen. Es ist noch nicht so lange her, daß ich sie in einer alten Kiste gefunden habe.«

 

Alma zögerte und wollte schon fortgehen.

 

»Die Tagebücher handeln doch vermutlich nur von seinen Reisen im Ausland?«

 

»Ja, Mylady. Wollen Sie einmal einen Blick hineinwerfen?«

 

Sie entfernte sich und kam nach einiger Zeit mit einem, plüschbezogenen Kasten wieder, den sie auf den Schoß setzte und öffnete. »Sehen Sie, hier ist eins.«

 

Sie reichte Alma ein umfangreiches Notizbuch.

 

Lady Tynewood blätterte es durch und sah fremde Namen und Orte, die ihr keinen weiteren Aufschluß geben konnten.

 

»Dann sind noch die beiden medizinischen Diplome oben«, erklärte dann Mrs. Smith. »Die sind in lateinischer Sprache verfaßt.«

 

Alma schüttelte den Kopf. »Sonst ist nichts vorhanden?«

 

»Nur noch eine Fotografie. Sie ist interessant, weil der Doktor auf die Rückseite geschrieben hat, ›das einzig existierende Bild›. Ich weiß aber nicht, wen es darstellt.«

 

Die alte Frau suchte danach und fand sie schließlich.

 

Alma las zuerst die Schrift auf der Rückseite, wandte sie dann um und fuhr erschrocken zurück, als sie die Gesichtszüge erkannte. »Endlich!« sagte sie laut.

 

Es war ein Bild von Sir James Tynewood!

 

Kapitel 29

 

29

 

Mrs. Stedman hatte gesagt, daß sie eine lange Spazierfahrt machen würde, und Marjorie war erstaunt, daß ihre Mutter schon nach kurzer Zeit in schlechter Stimmung zurückkam. Sie selbst saß mit Pretoria-Smith auf dem Rasen und trank Tee.

 

»Ich dachte nicht, daß du schon so bald wieder hier sein würdest«, sagte sie, während sie sich erhob und der alten Dame einen Stuhl holte.

 

»Das war auch gar nicht meine Absicht«, erwiderte Mrs. Stedman in weinerlichem Ton. »Ich wünschte nur, daß du mich nicht immer kontrolliertest, als ob ich eine Fabrikarbeiterin wäre. Ich kann es nicht leiden, wenn man mir nachspioniert.«

 

»Aber warum bist du denn so ärgerlich? Was ist denn geschehen?« fragte Marjorie lächelnd.

 

»Ich bin absolut nicht ärgerlich«, entgegnete ihre Mutter feindselig. »Wenn ich ein wenig aufgeregt bin, dann hoffe ich doch immer noch so viel Haltung zu besitzen, daß ich es andere Leute nicht merken lasse. Aber Alma ist sehr unvernünftig.«

 

»Warst du wieder bei den Tynewoods?«

 

»Ja, ich war bei ihnen«, erklärte Mrs. Stedman trotzig. »Ich gehe dahin, wohin ich will, Marjorie, und ich kann es nicht dulden, daß du mir ständig Vorhaltungen machst, obendrein noch in Gegenwart von Fremden.«

 

»Ich bin doch eigentlich kein Fremder mehr, Mrs. Stedman«, meinte Pretoria-Smith. »Ich gehöre jetzt auch zur Familie.«

 

»Ach, verzeihen Sie bitte, Mr. Smith«, erwiderte sie sehr höflich. »Das hätte ich nicht sagen sollen. Sie nehmen ja viel mehr Rücksicht auf mich als Marjorie. Also, ich fuhr zu den Tynewoods, um Alma in einer Privatangelegenheit zu sprechen. Die Sache ist rein geschäftlich und hat gar nichts mit den Dingen zu tun, die Marjorie nicht liebt. Aber Alma war so aufgeregt, wie ich sie noch nie gesehen habe. Sie sagte mir, daß sie heute nachmittag nicht spielen wollte, daß sie eine große Entdeckung gemacht habe, und daß sie und Mr. Javot keine Zeit für mich hätten. Ich muß wirklich sagen, daß sich Alma zum erstenmal unhöflich gegen mich benommen hat.«

 

Marjorie sagte nichts. Sie wünschte nur, Alma Tynewood möchte sich so häßlich und abstoßend gegen Mrs. Stedman benehmen, daß diese nie wieder zu ihr ginge. Marjorie seufzte.

 

»Und was hat sie denn entdeckt?« fragte Pretoria-Smith. »Hat sie eine neue Methode gefunden, Farben aus dem Gesicht zu entfernen? Es ist nicht gut möglich, daß es sich um einen neuen Kartenschwindel handelt – zum Beispiel um den Trick, alle Asse zusammenzumischen –, denn Javot hat ihr diese Kunststücke schon vor vielen Jahren beigebracht.«

 

Mrs. Stedman sah ihn erstaunt an. »Alle Asse zusammenzumischen?« fragte sie ungläubig. »Das wäre doch Betrug!«

 

»Gewiß. Sogar ein sehr grober Betrug, den man leicht durchschauen könnte.«

 

»Das kann ich aber nicht von Alma glauben.« Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Nein, Sie sind gegen Lady Tynewood voreingenommen, Mr. Smith.«

 

»Es steht bei Ihnen, es zu glauben oder nicht«, erwiderte er. »Aber wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einmal zeigen, wie man das macht. Geben Sie mir Spielkarten, dann werde ich sie so verteilen, daß ich alle Asse und Könige bekomme.«

 

»Sie können das vielleicht, Mr. Smith«, erwiderte sie gereizt, »aber Alma hat wahrscheinlich nicht solche Übung wie Sie.«

 

»Mutter!« rief Marjorie vorwurfsvoll.

 

Pretoria-Smith lachte und sah die alte Frau sonderbar an.

 

»Warum ziehst du sie eigentlich immer auf?« fragte die junge Frau, nachdem Mrs. Stedman in ihr Zimmer gegangen war.

 

»Habe ich sie aufgezogen? Das tut mir leid«, sagte er bescheiden, aber er lachte dabei. »Du darfst mir aber glauben, Alma Trebizond ist eine gefährliche Betrügerin.«

 

»Ich verstehe wohl, warum du das sagst. Aber so schlimm, wie du sie machst, kann sie doch wohl nicht sein.«

 

»Verlaß dich darauf, daß sie beim Kartenspielen betrügt, wenn du es auch selbst nicht erlebt hast.« .

 

Sie schwieg.

 

Mrs. Stedman kam nach einiger Zeit etwas freundlicher zurück, aber ihre Gedanken beschäftigten sich immer noch mit Lady Tynewood. »Ich glaube, sie macht viel Lärm um nichts. Es muß allerdings ein großer Schock für sie gewesen sein – nach all diesen Jahren.«

 

»Was meinen Sie damit?« fragte Pretoria-Smith schnell.

 

»Sie hat ein Bild ihres Mannes bekommen. Die alte Haushälterin von Doktor Fordham hat es ihr gegeben. Es ist die einzige Fotografie, die Alma überhaupt jemals von ihm gesehen hat.«

 

Marjorie sah, wie ihr Mann entsetzt war.

 

»Was will sie denn damit machen?« fragte er heiser.

 

»Sie will sie in den Zeitungen veröffentlichen«, erklärte Mrs. Stedman. »Sie will eine Annonce einrücken und eine Belohnung für alle Nachrichten aussetzen, die sie über den jetzigen Aufenthalt von Sir James erhalten kann.«

 

»Das beabsichtigt sie?« fragte er und ging zum Hause, ohne sich zu entschuldigen.

 

Marjorie und ihre Mutter sahen einander erstaunt an.

 

*

 

Der Tag war allerdings sehr aufregend für Lady Tynewood. Mr. Javot, ihr angeblicher Sekretär, war den Anforderungen nicht gewachsen, die sie an ihn stellte. Er sollte die Texte der Annoncen aufsetzen, und als er darin versagte, übernahm sie diese Arbeit selbst. Sie wollte den Aufruf in allen größeren Zeitungen Londons und in Südafrika veröffentlichen.

 

Um zehn Uhr erhob sich Mr. Javot und gähnte.

 

»Ich kann heute nicht mehr arbeiten. Du wirst schon allein fertig werden; Alma.«

 

Sie nickte, ohne aufzusehen, und schrieb eifrig weiter.

 

»Das Foto kann ich in mein Zimmer mitnehmen«, meinte er. »Ich stehe morgen früher auf als du und bin dann auch leistungsfähiger.«

 

Sie zögerte einen Augenblick. »Gut«, erwiderte sie und reichte ihm das Bild über die Schulter.

 

Er betrachtete es und lachte. »Das Bild eines Idioten. Aber man soll ja nicht schlecht von den Toten sprechen.«

 

»Glaubst du denn, daß er tot ist?« fragte Alma.

 

»Ganz bestimmt. Er war kein Charakter, der schweigend leiden konnte und in der Verbannung blieb. Er war ein Schwächling, der sicher nach wenigen Monaten zurückgekommen wäre, um sich bei dir auszuweinen. Außerdem ist er doch das Oberhaupt einer Familie. Nimm, einmal an, er hätte sich von seinem Bruder einen Rat geben lassen und wäre unter dessen Einfluß ins Ausland gegangen. Soweit ich Sir James kenne, würde das nicht lange vorgehalten haben.«

 

Sie runzelte die Stirn. »Da hast du recht, Javot. Manchmal verrätst du tatsächlich etwas Intelligenz.«

 

»Danke für das Kompliment«, entgegnete er ironisch, »ich werde das Foto unter mein Kissen legen und darauf schlafen.«

 

Es war halb zwölf, als Lady Tynewood ihre Papiere zusammenlegte und anschließend in ihr Zimmer ging.

 

Sie war derselben Überzeugung wie Javot, aber dieser Verdacht mußte erst bewiesen werden, bevor sie das Erbe der Tynewoods antreten konnte.

 

Sie öffnete ihre Schmuckkassette, die auf ihrem Frisiertisch stand, erinnerte sich dann aber daran, daß sie Javot das Bild gegeben hatte. Kurze Zeit später war sie fest eingeschlafen.

 

Um drei Uhr wachte sie plötzlich auf, lauschte, legte sich dann auf die andere Seite und war eben wieder am Einschlafen, als sie aufs neue durch ein Geräusch aufgestört wurde. Sie setzte sich rasch im Bett auf und knipste den Lichtschalter an.

 

Der Mann, der neben ihrem Frisiertisch stand, wandte sich schnell um und hielt ihr einen Revolver entgegen.

 

»Schreien Sie nicht«, sagte er leise.

 

Sie warf einen Blick auf den Frisiertisch. Ihr Schmuckkasten war geöffnet – sie konnte das rote Futter des Deckels sehen. Der Einbrecher hielt eine kleine Taschenlampe in der Hand.

 

»Was wollen Sie hier?« fragte sie heiser. »Ich habe kein Geld im Hause, und meine Schmucksachen sind auf der Bank.«

 

Das Gesicht des Mannes konnte sie nicht sehen, denn die untere Hälfte war von einem rotseidenen Taschentuch bedeckt. Außerdem trug er einen Filzhut und einen langen Regenmantel.

 

Auf dem Gang kam jemand mit bloßen Füßen näher. Die Tür öffnete sich, und Javot steckte den Kopf herein.

 

»Sprichst du im Schlaf?« fragte er und schrak dann zusammen, als er den Fremden entdeckte.

 

»Hände hoch!«

 

Javot gehorchte sofort.

 

»Stellen Sie sich an die Wand, damit ich Sie sehen kann.«

 

Der Eindringling trug die Schmuckkassette zum Bett und suchte in den Papieren, die darin lagen.

 

»Drehen Sie beide das Gesicht fort. Sie brauchen nicht zu sehen, was ich hier mache.«

 

Alma hörte, wie ihre Schmuckstücke durcheinandergewühlt wurden und wie die Papiere raschelten. Als kurz darauf eine Tür knarrte, sah sie sich um. Der Mann war verschwunden.

 

»Laufe ihm sofort nach, Javot«, schrie sie.

 

»Das kannst du selbst tun, wenn du so begierig danach bist.«

 

»Du bist ein Feigling!«

 

»Es ist besser, ein lebendiger Feigling zu sein als ein toter Held.«

 

Sie legte die Schmuckstücke, die auf der Bettdecke verstreut waren, wieder in die Kassette zurück.

 

»Er hat nichts mitgenommen – meine Ringe sind alle da –«

 

Unten wurde leise die Haustür geschlossen.

 

»So, jetzt ist es Zeit. Jetzt kann ich die Verfolgung aufnehmen«, erklärte Mr. Javot.

 

Wenige Sekunden später hörte Alma ihn eifrig am Telefon sprechen.