Kapitel 34

 

34

 

Dicks Gesicht wurde aschfahl. »Woher wissen Sie das?«

 

»Die Photographie ist auf dem Weg zu uns, heute nachmittag wird sie in London sein. Aber ich brauche sie erst gar nicht zu sehen. Der Mann in Gloucester hat drei Impfnarben am rechten Unterarm.«

 

Es herrschte Totenstille.

 

»Ich wunderte mich, als Sie das Gespräch auf die Blattern brachten«, sagte Dick gefaßt. »Ich hätte mir denken können, daß etwas dahintersteckt. Was sollen wir nun machen?«

 

»Ich werde Ihnen lieber aufzählen, was wir nicht machen können«, sagte Elk. »Wir dürfen Bennett und Fräulein Ella nicht benachrichtigen. Ray hat sich aus guten Gründen entschlossen, seine Identität nicht zu offenbaren. Sie werden einen verdorbenen Nachmittag haben, Herr Hauptmann«, sagte Elk liebenswürdig. »Oh, ich möchte nicht mit Ihnen tauschen! Denn Sie müssen dabei Ihr leichtes Geplauder aufrechterhalten, oder die junge Dame wird erraten, daß etwas vorgeht.«

 

»Gott im Himmel, das ist ja entsetzlich!« sagte Dick leise.

 

»Das ist wohl wahr«, gab Elk zu, »und wir können nichts machen. Wir müssen es als Tatsache hinnehmen, daß er schuldig ist. Wenn Sie anders dächten, würde es Sie verrückt machen. Und selbst wenn er so unschuldig wäre wie Sie oder ich, was für Möglichkeiten hätten wir, eine Untersuchung einzuleiten oder die Ausführung des Urteils aufzuhalten?«

 

»Der arme John Bennett«, sagte Dick niedergeschlagen.

 

»Wenn Sie anfangen wollen, sentimental zu werden«, knurrte Elk und zwinkerte dabei wütend, »dann verfüge ich mich in eine nüchternere Atmosphäre. Guten Tag!«

 

»Warten Sie ein bißchen, ich kann ihr momentan nicht allein gegenübertreten. Kommen Sie mit mir zurück?«

 

Elk zögerte und folgte dann widerwillig.

 

Ella vermochte aus dem Betragen der beiden den Schrecken, der auf ihren Gemütern lastete, nicht zu erraten. Elk kam von neuem auf Geschichte und Daten zu sprechen und die Enttäuschungen, die diese ihm bereitet hatten, und dies war ein ausgiebiges und geläufiges Thema, das den ganzen Weg nach Harley Terrace vorhielt.

 

»Gott sei Dank, die Preislisten sind gekommen!« sagte Dick mit einem Seufzer der Erleichterung, als er den großen Stoß auf seinem Schreibtisch bemerkte.

 

»Und warum: Gott sei Dank?« lächelte Ella.

 

»Weil ihn sein Gewissen drückt, wenn er eine Entschuldigung dafür braucht, daß er seine Arbeit im Stich läßt!« half Elk ihm.

 

Der Zwang war so groß, daß er ihn unerträglich fand, und als Dick ihm nach einem beschwörenden Blick durch ein Nicken die Erlaubnis erteilte, sprang er mit einem Gefühl wie vor den Ferien auf.

 

»Ich muß jetzt gehen, Fräulein Bennett«, sagte er. »Ich glaube, Sie beide werden den ganzen Nachmittag brauchen, um Maytree Haus einzurichten, obgleich …«

 

Soweit war es gekommen, als eine Stimme im Vorraum laut wurde. Es war die aufgeregte, schrille, hysterische Stimme einer Frau. Bevor Dick die Tür erreichen konnte, wurde sie aufgerissen, und Lola stürzte ins Zimmer. Sie war aufgelöst, verzweifelt, ihr schönes Gesicht geschwollen von Tränen.

 

»Gordon, Gordon! Oh, du mein Gott«, schluchzte sie. »Wissen Sie es schon?«

 

»Still!« sagte Dick, denn Ella stand neben ihm. Aber Lola war außerstande zu hören und zu verstehen.

 

»Sie haben Ray gefangen und sie werden ihn hängen! Und Lew ist tot!«

 

Das Unglück war geschehen.

 

»Mein Bruder?« fragte Ella, starr vor Schrecken.

 

Erst in diesem Augenblick erkannte Lola sie und nickte heftig. »Ja, ich habe es herausbekommen«, schluchzte sie. »Ich hatte Verdacht und ich schrieb. Ich habe eine Fotografie von Phenan bekommen. Ich wußte sofort, daß es Lew sei. Der Frosch hat es getan! Der Plan war monatelang vorbereitet! Ich weine nicht um Lew. – Ich schwöre, daß ich nicht um Lew weine. Aber der Junge! Es war meine Schuld, ich habe den armen Jungen in den Tod gelockt, Gordon!« Und sie brach in hysterisches Schluchzen aus.

 

»Bringen Sie sie fort«, sagte Dick leise. Und Elk führte die willenlose Gestalt zur Tür hinaus.

 

»Ist das wahr?« hauchte Ella.

 

Dick nickte. »Ich fürchte, daß es wahr ist, Ella.«

 

»Wenn ich‘ nur wüßte, wo ich Vater finden kann!« sagte sie gefaßt.

 

»Glaubst du, daß es gut ist, ihn zu benachrichtigen, wo er nicht helfen kann?«

 

Sie forschte in seinem Gesicht.

 

»Ich glaube, du hast recht, Dick. Ja, Vater darf nichts erfahren. Dick, könnte ich Ray nicht sehen?«

 

Dick schüttelte den Kopf. »Ella, wenn Ray so tapfer geschwiegen hat, um euch das zu ersparen, so würden seine ganze Haltung und sein Mut dahin sein, wenn du ihn besuchen wolltest.«

 

Elk kam rasch herein. »Ein Telegramm für Sie, Fräulein Bennett«, sagte er. »Ich habe den Boten vor der Haustür getroffen. Es ist von Horsham nachgeschickt worden, wie ich vermute.«

 

»öffne es, bitte«, sagte das Mädchen. »Es kann von Vater sein.«

 

Dick riß den Umschlag auf, das Telegramm lautete:

 

›Ihr Bild entwickelt. Kann Mord nicht verstehen. Besuchen Sie mich. Selinski-Haus, Wardourstraße.‹

 

»Was soll das heißen?« fragte Elk.

 

»Ich verstehe es auch nicht!« sagte Dick. »Kann Mord nicht verstehen? Hat dein Vater versucht, Aufnahmen für Kinostücke zu machen?«

 

»Nein, Liebster, sicher nicht! Das hätte er mir gesagt.«

 

»Was für Bilder hat dein Vater an Selinski geschickt?«

 

Sie versuchte ihre Gedanken zu sammeln. »Es war eine Forellenaufnahme«, sagte sie. »Aber er hat mir von einem verdorbenen Film erzählt. Er war auf dem Land und ist eingeschlafen, während er auf einen Dachs gewartet hat. Und die ganze Zeit hat der Apparat gekurbelt. Er wollte den Film gar nicht entwickeln lassen. Er muß ihn verwechselt haben. Selinski erwähnt die Forellen ja gar nicht.«

 

»Wir müssen sofort nach der Wardourstraße.«

 

Es war Elk, der so entschieden sprach, der ein Auto holte und die beiden hineinschob.

 

Als sie in die Wardourstraße kamen, war Herr Selinski gerade beim Lunch, und niemand wußte etwas über den Film oder hatte Erlaubnis ihn vorzuführen. Eineinhalb Stunden warteten sie auf ihn in dem schmierigen Büro, während Boten auf der Suche nach Selinski durch die Stadt jagten. Schließlich kam er, ein höflicher, gefälliger, kleiner Mann, der sich in tausend Entschuldigungen erging, obgleich er seine Besucher gar nicht hatte erwarten können.

 

»Ja, es ist eine merkwürdige Aufnahme«, sagte er. »Ihr Herr Vater, Fräulein Bennett, ist ein sehr guter Amateur, das heißt, jetzt ist er ja Berufsfotograf. Und wenn es wahr ist, daß er die Erlaubnis für die Zoo-Aufnahmen bekommen hat, so wird er sicherlich in die erste Reihe unserer Naturfotografen treten.«

 

Sie folgten ihm in einen großen Saal, in dem die Sessel aneinandergereiht standen. Sie setzten sich vor einen kleinen, weißen Schirm.

 

»Das ist unser Theater«, erklärte Selinski. »Haben Sie vielleicht eine Ahnung, Fräulein, ob Ihr Vater nicht versucht hat, Kinostücke zu drehen? Denn die Szene ist an und für sich sehr gut gespielt. Auf der Etikette stand ›Forellen in einem Teich‹, oder so ähnlich. Aber es kommen weder Forellen noch ein Teich vor.«

 

Man hörte ein Knacken, und der Raum verfinsterte sich. Dann erschien auf der Leinwand ein Bild, das im Vordergrund einen Streifen grauen, sandigen Bodens zeigte. Man sah die schwarze Öffnung eines Baues, aus der ein seltsam aussehendes Tier hervorspähte.

 

»Sehen Sie, das ist der Dachs«, erklärte Herr Selinski. »Bis jetzt sieht es sehr vielversprechend aus, aber ich verstehe nicht, was Ihr Herr Vater weiterhin damit gemacht hat. Die ganze Stellung der Kamera wird eine andere.«

 

Während er sprach, schwenkte das Bild ein wenig nach rechts, als ob es heftig gezogen würde. Und jetzt sah man zwei Männer, Landstreicher offenbar. Einer saß, den Kopf in den Händen, da, der andere neben ihm schenkte einen Becher voll.

 

»Das ist Lew Brady!« flüsterte Elk aufgeregt. Und in diesem Augenblick sah der andere Mann auf. Ella stieß einen Schrei aus.

 

»Es ist Ray! O Dick, es ist Ray!«

 

Keine Frage, er war es. Sie sahen, wie Brady ihm zu trinken anbot; sahen ihn den Becher widerwillig leeren und zurückreichen. Dann sahen sie, wie er die Arme gähnend ausstreckte und sich zum Schlaf zusammenkauerte. Die liegende Gestalt wurde auf das Gesicht gedreht, und Lew bückte sich und steckte Ray etwas in die Tasche. Sie bemerkten deutlich den Glasreflex.

 

»Die Flasche!« sagte Elk.

 

Aber dann wendete sich die Gestalt in der Mitte des Bildes hastig um. Ein Mann schritt langsam auf Lew zu. Sein Gesicht war den Beschauern unsichtbar, er wendete sich ihnen nicht ein einziges Mal während der ganzen Zeit zu. Sie sahen, wie er den Arm hob, sahen das Aufblitzen von zwei Schüssen und beobachteten atemlos, als läge Zauberbann auf ihnen, die Tragödie, die darauf folgte. Der Mörder beugte sich nieder, legte die Pistole neben den schlafenden Ray und, eben als er … jetzt … jetzt … jetzt sich ihnen zuwendete, wurde die Leinwand wieder weiß, und das Licht flammte auf.

 

»Er ist unschuldig, Dick, er ist unschuldig!« rief Ella verzweifelt. »Hast du nicht den Mann gesehen, der geschossen hat?«

 

Dick erfaßte mit festem Griff ihre beiden Schultern. Sie war halb wahnsinnig vor Schmerz und Entsetzen. Und während der verblüffte Selinski verständnislos auf die Szene blickte, sagte Dick kurz und befehlend: »Du wirst jetzt zu mir nach Hause gehen, wirst ein Buch nehmen und wirst lesen. Hörst du, Ella? Du darfst nichts beginnen, eh du Nachricht von mir erhältst! Du wirst nicht aus dem Haus gehen, du wirst nur lesen und lesen die Bibel, Polizeinachrichten, was du willst, aber du darfst nicht daran denken! Elk und ich werden alles tun, was menschenmöglich ist.«

 

Sie bemeisterte ihre wilde Angst und versuchte sogar zu lächeln. »Ich weiß, daß du es tun wirst«, sagte sie, am ganzen Leib schaudernd. »Bitte, bring mich nach Haus.«

 

Er sandte Elk nach der Fleetstraße, um auch die geringsten Berichte über den Mord in den Zeitungsbüros zu erheben, und brachte Ella selbst nach Harley Terrace.

 

Als sie aus dem Wagen stiegen, sah Dick, daß ein Mann vor dem Haus wartete. Es war Joshua Broad. Ein Blick auf sein Gesicht genügte, um zu erkennen, daß er von dem Mord wußte und dessen Umstände erriet. Er wartete im Vorraum, bis Dick das Mädchen in sein Arbeitszimmer geführt und jede illustrierte Zeitung, jedes Buch, das er finden konnte, vor ihr aufgestapelt hatte.

 

»Lola ist zu mir gekommen und hat mir alles erzählt.«

 

»Das habe ich geahnt«, sagte Dick. »Wissen Sie etwas Näheres?«

 

»Ich wußte nur, daß die beiden Männer in der Verkleidung von Landstreichern ausgezogen sind. Das ist das Werk des Frosches. Aber warum hat er das getan?«

 

»Ich weiß es«, sagte Dick. »Der Frosch kam gestern nacht zu Fräulein Bennett und fragte sie, ob sie ihn heiraten will. Er versprach, ihren Bruder zu retten, wenn sie einwilligte. Aber ich kann kaum glauben, daß er den ganzen teuflischen Plan zu diesem Zweck ersonnen haben soll.«

 

»Zu keinem anderen«, sagte Broad kühl. »Sie kennen den Frosch nicht, Gordon. Der Mann ist ein Stratege. Sagen Sie, Gordon, kann ich irgend etwas für Sie tun?«

 

»Ich möchte Sie bitten, hier zu bleiben und Fräulein Bennett Gesellschaft zu leisten«, sagte Dick.

 

Ella sah mit einem peinvollen Blick auf, als der Besucher ins Zimmer trat. Sie glaubte die Anwesenheit eines Fremden zu dieser Stunde nicht ertragen zu können und sah flehentlich zu Dick auf.

 

»Falls Sie nicht wollen, daß ich hierbleibe, Fräulein Bennett«, sagte Broad, »so werde ich sogleich gehen, aber ich habe Ihnen die Mitteilung zu machen, daß Ihr Bruder sicherlich gerettet werden wird.«

 

»O Gott, haben Sie Nachrichten von ihm?« fragte Ella hastig.

 

»Ja, die habe ich, aber Sie dürfen es mir nicht verargen, wenn ich jetzt noch nicht darüber sprechen darf!« sagte der Amerikaner fröhlich.

 

Dick telefonierte an die Garage nach seinem Wagen, nach demselben gelben Rolls, den Ray gelenkt hatte, als er zum erstenmal nach Horsham gekommen War. Dicks erster Besuch galt dem Büro der Staatsanwaltschaft, wo er die Tatsachen vorlegte.

 

»Das ist eine höchst merkwürdige Geschichte«, sagte der Oberstaatsanwalt, »aber ich bin da natürlich nicht kompetent. Sie würden besser sofort den Staatssekretär aufsuchen, Gordon.«

 

»Tagt das Unterhaus jetzt?«

 

»Nein, und ich glaube sogar, daß der Staatssekretär, der als einziger etwas für Sie tun kann, sich zur Zeit nicht einmal in der Stadt befindet. In der letzten Woche wurde eine Konferenz in San Remo abgehalten. Und ich habe so eine Ahnung, daß er auch hingefahren ist.«

 

Dicks Herz stand still.

 

»Ist niemand sonst im Ministerium des Innern, der helfen kann?«

 

»Der Unterstaatssekretär. Vielleicht fahren Sie zu ihm.«

 

Das Departement der Staatsanwaltschaft war im Ministerialgebäude untergebracht, und Dick ging geradewegs auf die Suche nach dem verantwortlichen Beamten.

 

Der Sekretär, dem er die Umstände erklärte, schüttelte den Kopf.

 

»Ich fürchte, daß wir nichts machen können, Gordon«, sagte er. »Der Staatssekretär ist auf dem Land und sehr krank.«

 

»Wo ist der Vizestaatssekretär?« fragte Dick verzweifelt.

 

»Der ist in San Remo.«

 

»Und wie weit ist Herrn Whitbys Haus von der Stadt entfernt?«

 

»Ungefähr dreißig Meilen, diesseits von Tunbridge Wells.«

 

Dick schrieb die Adresse auf ein Stück Papier.

 

Eine halbe Stunde später raste über die Westminsterbrücke ein langer gelber Rolls Royce, der sich mit einer Sorglosigkeit durch das Gewühl hindurchdrängte, die sogar den kaltblütigsten Chauffeuren den Atem stocken ließ. Vierzig Minuten, nachdem er Whitehall verlassen hatte, eilte Dick durch eine Ulmenallee nach dem Heim des Staatssekretärs.

 

Der Kammerdiener, mit dem er sprach, vermochte ihn nicht zu entmutigen.

 

»Ich fürchte, Herr Whitby wird Sie nicht empfangen können. Der Herr hat einen sehr bösen Gichtanfall gehabt, und die Ärzte haben verordnet, daß er sich von allen Geschäften fernhalten muß.«

 

»Es ist eine Sache auf Leben und Tod«, sagte Dick. »Ich muß ihn sprechen! Wenn er mich nicht empfängt, dann bleibt mir nichts übrig, als zum König zu gehen!«

 

Diese Botschaft, die er dem Kranken überbringen ließ, hatte eine Einladung zur Folge.

 

»Worum handelt es sich?« fragte der Minister scharf, als Dick hereintrat. »Ich kann mich mit keinem, wie immer gearteten Geschäft befassen. Ich leide durch diesen höllischen Fuß die Qualen eines Verdammten. Sagen Sie schnell, worum es sich handelt!«

 

Gordon erzählte ihm rasch seine Entdeckung.

 

»Eine erstaunliche Geschichte!« sagte der Minister ächzend. »Wo ist denn der Film?«

 

»In London.«

 

»Aber ich kann doch nicht nach London fahren, es ist mir physisch unmöglich. Können Sie nicht jemanden im Ministerium dazu veranlassen, dies zu bestätigen? Wann soll Ihr Mann gehängt werden?«

 

»Morgen früh um acht, Exzellenz.«

 

Der Staatssekretär dachte nach und trommelte wütend auf die Tischplatte. »Ich wäre ja ein Unmensch, wenn ich mich weigerte, diesen gottverdammten Film zu sehen«, sagte er. »Aber ich kann nicht in die Stadt fahren. Es sei denn, Sie verschaffen mir einen Krankenwagen. Vielleicht rufen Sie eine Londoner Garage an, daß sie mir einen Wagen schickt, oder, noch besser, lassen Sie mir einen vom hiesigen Spital schicken.«

 

Alles schien sich gegen Dick verschworen zu haben. Das Krankenauto des Ortes war in Reparatur. Aber schließlich meldete man Dick aus London, daß ein Krankenauto sich in zehn Minuten auf den Weg begeben würde.

 

Aber zwei Stunden vergingen, bevor der Krankenwagen kam. Der Chauffeur hatte während der Fahrt zweimal die Reifen wechseln müssen. Mit großer Vorsicht und doch unter den wütenden Flüchen des Ministers, mit denen er das schmerzende Bein bedachte, wurde die Bahre in den Krankenwagen gehoben. Die Reise schien Dick kein Ende nehmen zu wollen. Er hatte an Selinski telefoniert und ihn gebeten, sein Büro so lange offenzuhalten, bis sie kämen. Es war acht Uhr abends, als der Minister in das »Theater« geleitet und der Film abgerollt wurde.

 

Herr Whitby verfolgte das Drama mit dem größten Interesse, und als es zu Ende war, schöpfte er tief Atem.

 

»So weit wäre das in Ordnung«, sagte er. »Aber wie soll ich mich davon überzeugen, daß es nicht mit Absicht gestellt wurde, um dem Mann einen Aufschub zu verschaffen? Und wie soll ich mich davon überzeugen, daß der Vagabund derjenige ist, den Sie meinen?«

 

»Diese Sicherheit kann ich verschaffen, Exzellenz«, sagte Elk. »Ich bekam heute nachmittag die Fotografien aus Gloucester.«

 

Er zog aus seiner Brieftasche zwei Bilder hervor, das eine im Profil, das andere en face, und legte sie vor den Minister hin.

 

»Führen Sie den Film noch einmal vor«, befahl dieser, und sie sahen die Tragödie von neuem sich abrollen.

 

»Aber was, um Himmels willen, hat denn der Operateur angestellt, um diesen Film aufzunehmen?«

 

»Er ging aus, um die Aufnahme eines Dachses zu machen. Ich weiß dies, Exzellenz, weil Herr Selinski mir alle zu seiner Verfügung stehenden Informationen mitgeteilt hat.«

 

Der Minister sah Dick an. »Sie sind aus dem Staatsanwaltsdepartement, ich erinnere mich jetzt sehr gut an Sie. Ich muß Ihrem Manneswort glauben. Dies ist kein Fall für einen Aufschub, sondern nur für eine Wiederaufnahme des Prozesses, zur Aufklärung sämtlicher Umstände.«

 

»Ich danke, Exzellenz«, sagte Dick und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

 

»Sie können mich jetzt in das Ministerium des Innern bringen«, brummte der dicke Mann. »Morgen werde ich ja wahrscheinlich Ihren Namen und Ihr Gedächtnis verfluchen, obgleich ich gestehen muß, daß ich mich seit dieser Fahrt beinahe besser fühle. Ich möchte diesen Film haben.«

 

Sie mußten warten, bis der Film in der Kassette gebracht wurde, und dann halfen Gordon und Elk dem Sekretär in das wartende Krankenauto. Um Viertel zehn lag der Urteilsaufschub zur Unterschrift des Königs bereits in Dicks Händen. Und das Wunder, das der Minister gar nicht zu hoffen gewagt hatte, begab sich. Er war imstande, mit Dicks und eines Stockes Hilfe nach seinem Auto zu humpeln.

 

Vor dem großen Palast standen Wagen um Wagen. Es, war die Nacht des ersten Balles in dieser Saison, und die Halle bot ein unvergeßliches Bild.

 

Die fürstlichen Juwelen der Damen, das Scharlachrot, Blau und Giftgrün diplomatischer Uniformen, der Glanz der Orden, so unzählbar wie nächtliche Sterne, und mehr noch die Organisation dieser prächtigen Veranstaltung fesselten Dick, während er müde und verstaubt, eine sonderbar kontrastierende Figur, an. einer Säule lehnte und das Gepränge an sich vorüberziehen ließ.

 

Der Minister war humpelnd in einem der Vorsäle verschwunden, kam aber fast gleich darauf zurück und winkte Dick mit dem Finger.

 

Dick folgte ihm, an weißhaarigen, scharlachroten und goldenen Dienern vorbei, bis sie an eine Tür kamen, vor der ein Lakai wartete.

 

Auf ein geflüstertes Wort klopfte der Lakai, und eine Stimme bat einzutreten.

 

Der Diener öffnete vor ihnen die Tür.

 

Von dem Tisch, an dem er gesessen hatte, erhob sich ein Mann, der die scharlachrote Uniform eines Generals trug. Quer über seine Brust schlang sich das blaue Band des Hosenbandordens. Aus seinen Augen blickte so viel Güte.und Menschlichkeit, wie Dick sie hier kaum zu finden erwartet hatte.

 

»Wollen Sie Platz nehmen? Bitte erzählen Sie mir jetzt den Fall so schnell Sie es vermögen, denn ich habe noch eine andere Verabredung, und Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige«, lächelte er.

 

Er hörte aufmerksam zu und unterbrach Gordon hier und da mit einer kurzen Frage. Als Dick zu Ende war, nahm er die Feder und schrieb mit kühner, mannhafter Schrift ein Wort, löschte es ab und händigte das Dokument dem Staatssekretär aus.

 

»Hier ist Ihr Aufschub. Ich freue mich darüber«, sagte er.

 

Dick, der sich über die ausgestreckte Hand beugte, hatte das Gefühl eines ungeheuren Triumphes und vergaß für einen Augenblick die schreckliche Gefahr, in der Ray geschwebt hatte. Als er in das Ministerium des Innern zurückkehrte, verabschiedete er sich mit einem sehr ernsten Ausdruck der Dankbarkeit von dem cholerischen, aber gütigen Minister, flog die Stufen zu seinem eigenen Büro hinauf und riß das Hörrohr ans Ohr. »Verbinden Sie mich mit Gloucester 8585 Amt«, sagte er und wartete auf das Fernsignal. Es kam nach wenigen Minuten.

 

»Tut mir leid, keine Verbindung mit Gloucester, die Linie ist gestört. Die Drähte abgeschnitten.«

 

Dick legte langsam das Telefon nieder. Und in diesem Augenblick erst entsann er sich dessen, daß der Frosch noch lebte, wachsam, mächtig, rachsüchtig wie immer.

 

Kapitel 35

 

35

 

Als Elk in das Zimmer des Staatsanwalts trat, saß Dick am Tisch und füllte ein Telegrammformular nach dem andern aus. Sie alle waren an den Direktor des Gloucester-Gefängnisses adressiert und enthielten die kurze Mitteilung, daß ein Urteilsaufschub für Jim Carter auf dem Wege sei. Jedes Telegramm war nach einer anderen Route aufzugeben.

 

»Was heißt das?« fragte Elk.

 

»Das Telefon nach Gloucester ist gestört«, sagte Dick. Und Elk biß sich nachdenklich auf die Lippen. »Mhm«, sagte er ger dehnt. »Nun, wenn das Telefon gestört ist, dann wird auch …«

 

»Daran möchte ich noch nicht glauben!« schnitt Dick ab.

 

Elk nahm den Apparat zur Hand. »Verbinden Sie mich mit dem Zentraltelegrafenamt«, sagte er. »Ich möchte den Chef sprechen, Fräulein. Ja, hier spricht Inspektor Elk.« Nach einer Pause meldete er sich wieder. »Wir wollen ein paar Telegramme nach Gloucester schicken, die Linien sind doch hoffentlich in Ordnung?«

 

In seinem Gesicht bewegte sich kein Muskel, während er lauschte. Dann sagte er: »Danke, vielleicht können wir mit Umweglinien arbeiten? Welches ist denn die nächste offene Stadt?« Dann wartete er. »Also, so steht es, danke.«

 

Er legte den Hörer nieder. »Alle Drähte nach Gloucester sind durchschnitten, das Hauptkabel an drei Orten zerstört, die Verbindung mit Birmingham, die in einer unterirdischen irdenen Röhre läuft, ist an drei Stellen in die Luft gesprengt worden.« Dicks Augenbrauen zogen sich zusammen.

 

»Versuchen Sie die Radiogesellschaft«, sagte er. »Sie haben jetzt eine Station in Devizes und eine andere in der Nähe von Cheltenham, und sie könnten eine Botschaft hinüberschicken.«

 

Elk ging ans Telefon. »Ist dort die Radiostation? Hier spricht Inspektor Elk, Polizeidirektion. Ich möchte eine Nachricht nach Gloucester schicken, nach dem Gefängnis, über … mhm? Aber ich denke, solch eine Schwierigkeit kann man doch beheben? … Ja, seit wann ist es denn gestört? Danke schön!« sagte er und legte das Telefon von neuem nieder.

 

»Es ist irgendwo ein Störsender«, sagte er. »Die Radioleute sagen, daß irgend jemand im Land einen geheimen Apparat hat, der von den Deutschen während des Krieges verwendet wurde und mit dem man Sendungen der Radiostation unmöglich machen kann.«

 

Dick sah nach der Uhr. Es war jetzt halb zehn.

 

»Sie können noch den 10.05-Uhr-Zug nach Gloucester erreichen, Elk, aber ich glaube, daß er nicht durchkommen wird!«

 

Als Elk sich von neuem geduldig an das Telefon begab, sagte er: »Als Telefonexperte habe ich viele Eigenschaften, die mich sozusagen zu einem großen Mann stempeln, denn .. . hallo! Verbinden Sie mich mit der großen Westbahn, bitte Groß-Westbahn, Stationsvorstand .. . denn ich habe ein tadelloses Organ, eine unendliche Geduld, Vertrauen in meine Mitbürger und . . . hallo, sind Sie das, Herr Stationsvorstand? Hier spricht Inspektor Elk. Ich sagte Ihnen das vorher . . . nein, das war jemand anders … Ist irgendeine Störung auf der Linie heute abend?«

 

Diesmal war die Pause länger.

 

»Gott im Himmel!« sagte Elk. »Gibt es irgendeine Möglichkeit durchzukommen? Was? .. . Gar keine? Wann werden die Züge wieder fahren können? .. . Danke bestens!«

 

Er wendete sich zu Dick. »Drei Bahnübergänge und eine Brücke bei Swindon in die Luft gesprengt. Zwei Leute verhaftet. Einer vom Eisenbahnwächter erschossen. Zwei Obergänge in Reading niedergerissen. Die Schienen in Slough in die Luft gesprengt. Ich werde mir nicht noch die Mühe nehmen, die anderen Linien anzurufen, denn wie ich sehe, ist der Frosch durch.«

 

Dick Gordon öffnete seinen Schrank und entnahm ihm einen ledernen Mantel und einen weichen Lederhelm. Er holte aus seiner Schublade zwei bedrohlich aussehende Brownings hervor und prüfte ihre Magazine, bevor er sie in die Tasche steckte. Dann wählte er ein halbes Dutzend Zigarren aus und verpackte sie sorgfältig in die Brusttasche seines Mantels.

 

»Sie denken doch nicht daran, allein zu gehen, Gordon?« fragte Elk.

 

Dick nickte. »Doch«, sagte er, »schicken Sie mir ein Polizeiauto nach und befehlen Sie den Leuten, daß sie vorsichtig fahren.

 

Ich denke nicht, daß man mich diesseits von Newbury aufhalten wird. Ich kann es noch erreichen, bevor es ganz finster wird. Sagen Sie Fräulein Bennett, daß der Aufschub des Urteils unterzeichnet ist, und daß ich auf dem Weg zu ihm bin.« Elk schwieg, aber er folgte seinem Vorgesetzten auf die Straße hinaus und stand so lange neben dem Polizeimann, der das Auto bewacht hatte, bis Dick den Benzintank und die Reifen auf das sorgfältigste geprüft hatte. Dann winkte er dem langen, gelben Wagen nach, solange er noch etwas von ihm sehen konnte.

 

Dick nahm den Weg nach Bath, und eine kleine Gesellschaft von Schützen, die ihn an den beiden Flugfeldstationen von London erwartet hatte, um ihn abzuschießen, falls er den Luftweg wählen sollte, wartete vergeblich.

 

Er vermied die direkte Straße nach Reading und nahm einen längeren Umweg. Er kam um elf Uhr nach Newbury und hörte von ein paar neuerlichen Sprengungen von Übergängen. In der Stadt gingen die wildesten Gerüchte um.

 

Zwei vollbesetzte Personenzüge waren auf der unteren Linie aufgehalten worden, und das Gedränge der Passagiere staute sich in den altmodischen Straßen der Stadt. Er sprach mit dem Lokalpolizeiinspektor. Die Straße war anscheinend noch in guter Verfassung, denn kaum zehn Minuten vor Dicks Ankunft war ein Auto aus Swindon gekommen.

 

»Bis Swindon sind Sie auf jeden Fall sicher«, sagte der Mann. »Die Gegend ist zwar in letzter Zeit von Vagabunden durchschwärmt worden, aber meine berittenen Patrouillen, die gerade zurückgekommen sind, haben auf der Landstraße nichts bemerkt.«

 

Ein Gedanke durchblitzte Dick, und er zog den Inspektor mit sich in das Polizeigebäude.

 

»Ich brauche ein Kuvert und ein amtliches Papier«, sagte er. Er setzte sich an das Pult und fertigte eine rohe Kopie des Urteilsaufschubs mit all seiner seltsamen Terminologie an, siegelte das Kuvert mit Wachs und steckte es in die Brusttasche. Dann nahm er das echte Dokument, zog den linken Schuh und Strumpf aus und legte es sorgfältig unter den bloßen Fuß, ehe er Strumpf und Schuh wieder anzog. Dann sprang er ins Auto und fuhr vorsichtig den Weg nach Didcot weiter. Seine Scheinwerfer beleuchteten die Straße vor ihm, trotzdem fuhr er nur mit halber Geschwindigkeit, und einer der Brownings lag auf dem Sitz neben ihm.

 

Er gewahrte drei umgekehrte V, von denen er annahm, daß sie die Ausläufer eines Gebäudes, möglicherweise eines Hangars wären. Aber dann entsann er sich, daß dies wohl die Chemische Fabrik sei, von der Elk ihm erzählt hatte.

 

Er fuhr mit immer größerer Vorsicht weiter. Er hatte eben die Bremse angezogen, als er drei rote Lichter sah, die quer über die Straße hinweg aufgestellt waren, und neben denen ein Polizist stand.

 

»Hier können Sie nicht weiter! Die Straße ist aufgerissen.«

 

»Seit wann?« fragte Dick.

 

»Sie ist vor zwanzig Minuten gesprengt worden«, war die Antwort. »Aber es gibt eine Meile zurück noch einen Seitenweg, von wo Sie auf die andere Seite der Schienen gelangen können. Hier können Sie umwenden.«

 

Er zeigte auf einen Torweg, der offenbar in die Fabrik führte. Dick zog den Schalthebel an und ließ seinen Wagen gegen die Öffnung hin zurückfahren. Seine Hand war ausgestreckt, um die Richtung zu ändern, als der Polizist, der neben dem Auto hergegangen war, einen Hieb nach ihm führte.

 

Gordons Kopf war gerade gebeugt, und nur der lederne Helm, den er trug, rettete ihn vor dem Tod. Der Schlag war kaum gefallen, als etwa ein halbes Dutzend Leute aus dem Schatten hervortraten. Einer sprang auf den Führersitz, warf die reglose Gestalt des Besitzers heraus, drehte die Lampen ab und fuhr weiter zurück. Die anderen trugen die roten Weglampen fort. Der Polizist beugte sich über Dick.

 

»Ach, ich habe geglaubt, daß er ganz hin ist«, sagte er enttäuscht.

 

»Du kannst das ja noch immer besorgen«, sagte jemand in der Finsternis, aber der Polizeibeamte hatte anscheinend seine Meinung geändert.

 

»Hagn wird ihn sehen wollen!« sagte er. »Hebt ihn auf!«

 

Sie trugen die leblose Gestalt über den unebenen Boden hin und durch eine Schiebetür in eine große, schlecht beleuchtete Fabrikhalle, aus der die Maschinen entfernt worden waren. An dem einen Ende der Halle war ein Raum durch Ziegelmauern abgetrennt und als Büro verwendet worden. Dorthin wurde Dick getragen und auf den Boden geworfen.

 

»Da hast du ihn, Hagn«, brummte der Polizeibeamte. »Ich glaube, er ist fertig.«

 

Hagn stand vom Tisch auf und ging zu Gordon hinüber.

 

»Dem ist nicht viel passiert«, sagte er. »Durch den Helm kann kein Schlag töten. Nehmt ihn ab.«

 

Sie nahmen den Lederhelm vom Kopf des Bewußtlosen, und Hagn untersuchte ihn flüchtig.

 

»Nein, ihm ist nichts geschehen«, sagte er. »Spritzt ihn mit Wasser an – nein, wartet! Wir wollen ihn lieber zuerst durchsuchen. Diese Zigarren«, sagte er und zeigte auf das braune Etui, das aus der Brusttasche herausragte, »die nehme ich.«

 

Das blaue Kuvert war das erste, was sie fanden. Hagn riß es auf und las.

 

»So!« lachte er und sperrte das Dokument in den Rollschreibtisch, »und jetzt schüttet ihn mit Wasser an.« Dick kam zur Besinnung. Sein Kopf schmerzte und pochte, und er hegte eine Art von Groll gegen das Bewußtsein, das man ihm aufzwang. Er setzte sich auf und rieb sich das Gesicht wie ein Mann, den man aus schwerem Schlaf weckt, blinzelte in das helle Licht und taumelte schwankend einige Schritte. Dann sah er einem nach dem andern in das grinsende Gesicht.

 

»Oh«, sagte er zum Schluß, »einer von euch hat mich niedergeschlagen. Wer war es?«

 

»Wir werden Ihnen sofort seine Karte überreichen«, spottete Hagn. »Aber wohin sind Sie mitten in der Nacht gefahren?«

 

»Nach Gloucester«, sagte Dick kurz.

 

»Ja, nach der Hölle!« brüllte Hagn. »Hinauf mit ihm, Jungens!«

 

Aus dem Büro führte eine Treppe von ungestrichenen Fichtenholzstufen nach oben, und über diese wurde er halb hinaufgestoßen, halb hinaufgezogen. Der obere Raum war in Kriegszeiten das Büro des Hilfsaufsehers gewesen. Eine kleine Kohlenfadenlampe warf einen kränklichen, gelben Schimmer auf die finstere Gruppe, die Dick umringte. Er fand Zeit, seine Umgebung zu betrachten.

 

Das Zimmer hatte ein großes Fenster, von dem aus man einen Überblick über die ganze Gegend gewann. Es war mit einer dicken Schmutzschicht überzogen, so wie der Fußboden mit Kehricht bedeckt war, den hinwegzuräumen die jetzigen Besitzer der Fabrik nicht der Mühe wert erachtet hatten.

 

»Durchsucht ihn noch einmal, versichert euch, daß er keine Pistolen bei sich hat und nehmt ihm die Stiefel weg!« rief Hagn von der Treppe her. »Du wirst einen oder zwei Tage hierbleiben, Gordon! Vielleicht kannst du mit dem Leben davonkommen, wenn man uns Balder zurückgibt. Wenn aber nicht, dann …: ›Gute Nacht, meine liebe Mutter!‹«

 

Kapitel 36

 

36

 

Dick Gordon wußte, daß jegliche Diskussion mit seinen Gegnern nur Zeitverlust bedeutete. Aber kaum war er allein, als er sich an eine Behandlung machte, die ihn einst ein Arzt gelehrt hatte. Er drückte das Kinn auf die Brust und seine beiden offenen Handflächen legte er hinter den Nacken, indem er mit den Fingerspitzen kräftig zudrückte und dann langsam den Kopf erhob, was ihm fast unerträgliche Qualen bereitete. Dann führte er die Finger über die Kehle. Nachdem er dies dreimal wiederholt hatte, war sein Kopf verhältnismäßig frei, und er begann die Möglichkeit der Flucht zu überdenken.

 

Die Tür bestand nur aus dünnem Holz, das man wohl leicht einzudrücken vermochte, aber es gab keinen andern Ausweg, als den über die Treppe. Und der Raum unter ihm war voll von Männern. Plötzlich ging das Licht aus, und das Haus lag im Dunkeln.

 

Er erriet, daß dies geschah, weil Hagn befürchtete, daß der Lichtschein von der Straße her bemerkt werden könnte.

 

Hagn hatte wirksame Maßregeln ergriffen, um dem nachfolgenden Polizeiauto, das er nach Dicks Ankunft erwarten mußte, zu begegnen. Zu Dicks Freude hatte man ihm die Zündhölzchen nicht fortgenommen, er strich eins an und sah um sich.

 

Vor einem offenen Kamin, der mit einem unbeschreiblichen Kehrichthaufen von halb verbrannten Papieren und Staub angefüllt war, lehnte eine Stahlplatte, die man zum Anbringen von Schrauben mit Löchern versehen hatte, augenscheinlich Teil eines Tanks.

 

Ein großer Schalter war an der Mauer angebracht, und Dick drehte ihn, in der Hoffnung, daß er zu der elektrischen Lampe führte. Aber anscheinend stand diese mit der unteren Lichtleitung in Verbindung. Er zündete ein neues Streichhölzchen an und folgte der Leitung. Ein dicker schwarzer Draht führte in die Ecke von der Wand und der Zimmerdecke hin. Er endete plötzlich rechts vom Kamin, und aus den Spuren am Fußboden verriet Dick, daß hier irgend einmal eine Versuchsschweißanlage eingebaut gewesen war. Er setzte sich nieder, um nachzudenken. Er konnte das Murmeln der Stimmen durch den dünnen Bretterboden hören, als er sich niederließ, und hielt das Ohr an die Falltür, die er mit einem Stück Draht, den er im Kamin gefunden hatte, reinigte. Hagn schien zu sprechen.

 

»Wenn wir auch die Straße zwischen hier und Newbury in die Luft sprengen, so wird man den Braten riechen«, sagte er.

 

»Das ist eine stupide Idee, die du da auskramst, Hagn. Was willst du eigentlich mit dem Kerl da oben machen?«

 

»Ich weiß nicht. Ich warte auf eine Nachricht vom Frosch. Vielleicht will er ihn töten.«

 

»Es wäre aber gut, ihn als Geisel für Balder dazubehalten, wenn der Frosch denkt, daß er es wert ist.«

 

Gegen fünf Uhr vernahm Dick Hagns Stimme, die er einige Zeit nicht mehr aus dem allgemeinen Gespräch herausgehört hatte.

 

»Er will, daß er stirbt!« sagte Hagn.

 

In Dicks Arbeitszimmer hatten zwei Menschen die ganze Nacht hindurch wach gesessen, und nun war es vier Uhr früh. Elk war fort, zum zwanzigstenmal in die Polizeidirektion gegangen und zum zwanzigstenmal wieder zurückgekehrt. Ella Bennett hatte verzweifelt versucht, Dicks Bitte zu erfüllen, hatte entschlossen Seite um Seite umgewendet, hatte stundenlang gelesen und doch nichts gelesen. Mit einem Seufzer legte sie das Buch hin, faltete die Hände und sah nach der Uhr.

 

»Ach, glauben Sie, daß er Gloucester erreichen wird?«

 

»Aber sicher«, sagte Broad überzeugend. »Es ist ein Mann, der überall durchkommt. Er ist von der richtigen Art und dem richtigen Typ. Ihn kann nichts aufhalten.«

 

Sie nahm das Buch wieder auf und sah gedankenlos auf die Seiten nieder.

 

»Haben Sie nichts von den Polizeiautos gehört? Herr Elk hat mir gestern abend noch eine Menge davon erzählt«, sagte sie. »Aber seither hat er nicht mehr von ihnen gesprochen.«

 

Joshua Broad befeuchtete seine trockenen Lippen.

 

»Oh, die sind ganz gut durchgekommen«, sagte er.

 

Er erzählte ihr nicht, daß zwei Polizeiautos zwischen Newbury und Reading verunglückt waren und drei Leute von einer Mine getötet wurden, die mitten unter ihnen explodierte. Er teilte ihr auch nicht die Neuigkeit mit, die ein Motorradfahrer aus Swindon gebracht hatte, daß Dicks Auto dort nicht gesehen worden war.

 

»Es sind entsetzliche Leute! Entsetzliche!« Sie zitterte.

 

»Wie konnte so eine Bande überhaupt entstehen, Herr Broad?«

 

Herr Broad rauchte eine seiner langen, dünnen Zigarren und paffte eine Zeit, bevor er sprach.

 

»Ich fürchte, ich selbst bin der Vater der Frösche«, sagte er zu ihrem Erstaunen.

 

»Sie?« Er nickte.

 

»Ja, ich habe nicht gewußt, daß dies daraus entstehen würde. Aber jetzt ist es entstanden.«

 

Er schien nicht geneigt, das Wie gerade jetzt erklären zu wollen. Bald darauf hörte man ein Klingelzeichen, und da er glaubte, daß Elk vielleicht den Schlüssel vergessen hatte, erhob er sich, um die Tür zu öffnen. Aber es war nicht Elk.

 

»Verzeihen Sie meinen Besuch zu dieser Zeit. Sind Sie es, Herr Broad?«

 

Der Besucher versuchte ihn im Dunkeln zu erkennen.

 

»Ich bin’s, Broad, ganz recht. Sie sind Herr Johnson, nicht wahr? Kommen Sie nur herein.«

 

Er schloß die Tür hinter ihm und drehte das Licht an. Der behäbige Mann war in einer bemitleidenswürdigen Erregung.

 

»Ich bin gestern nacht lange aufgeblieben«, sagte er, »und mein Diener hat mir eine Frühausgabe des Post Herald gebracht.«

 

»So wissen Sie es also?«

 

»Es ist schrecklich, schrecklich! Ich kann es kaum glauben.«

 

Johnson zog eine verknüllte Zeitung aus der Tasche und sah die Oberschriften an, als wolle er sich dessen nochmals vergewissern.

 

»Ich habe gar nicht gewußt, daß es in die Zeitungen gekommen ist«, sagte Broad.

 

Johnson reichte das Blatt dem Amerikaner.

 

»Ja, es steht drinnen. Ich glaube, der alte Whitby muß die Geschichte verbreitet haben.«

 

»Ich glaube, sie stammt von dem Kindmann Selinski. Ist es denn wahr, daß Ray zum Tod verurteilt ist?«

 

Broad nickte.

 

»Wie entsetzlich!« sagte Johnson mit gedämpfter Stimme. »Gott sei Dank, daß man es rechtzeitig erfahren hat, Herr Broad«, sagte er ernst. »Ich hoffe, daß Sie Fräulein Ella Bennett sagen werden, daß sie über jeden Penny, den ich jetzt besitze, verfügen kann, um die Unschuld ihres Bruders zu beweisen. Ich vermute, es wird ein Aufschub und ein neuer Prozeß erwirkt werden? Wenn es dazu kommt, so müssen die besten Advokaten bestellt werden.«

 

»Sie ist hier, wollen Sie nicht hereinkommen und mit ihr sprechen?«

 

»Hier?« staunte Herr Johnson. »Davon habe ich keine Ahnung gehabt.«

 

»Kommen Sie nur herein. – Es ist ein Freund hier, der Sie besuchen möchte – Herr Johnson.«

 

Der Philosoph durchschritt schnell und nervös das Zimmer und hielt dem Mädchen beide Hände hin.

 

»Es tut mir ja so leid, Fräulein Bennett«, sagte eh »So entsetzlich leid. Und wie muß Ihnen erst zumute sein? Kann ich Ihnen helfen?«

 

Sie schüttelte den Kopf und hatte Tränen der Dankbarkeit in den Augen.

 

»Das ist sehr lieb von Ihnen, Herr Johnson. Sie haben soviel für Ray getan, und Inspektor Elk hat mir auch gesagt, daß Sie ihm eine Stellung in ihrem Büro angeboten haben.«

 

Johnson schüttelte den Kopf. »Das will doch gar nichts heißen. Ich habe Ray sehr gern, und er besitzt ausgezeichnete Fähigkeiten. Wenn wir ihm aus dieser Patsche geholfen haben, müssen wir ihn sogleich wieder auf die Füße stellen. – Ihr Herr Vater weiß doch von nichts?«

 

»Gott sei Dank, nein! Wenn nur die Nachricht nicht in die Zeitung gekommen wäre«, sagte sie, als Johnson ihr erzählte, wieso er von dem Geschehnis Kenntnis erlangt hatte.

 

»Natürlich hat Selinski sie verbreitet«, sagte Broad, »ein Filmmann würde sein eigenes Begräbnis benützen, um eine Grablegung kurbeln zu können. Wie fühlen Sie sich in Ihrer neuen Lage, Herr Johnson?«

 

Johnson lächelte. »Ich bin noch immer ganz verwirrt und kann nicht einsehen, wodurch ich dies verdient habe. Aber heute habe ich bereits meine erste Froschwarnung bekommen. Ich komme mir selber höchst wichtig vor.«

 

Er zog ein Stück Papier aus seiner abgetragenen Brieftasche, auf dem nur vier Worte standen: ›Sie sind der Nächste!‹ und es trug das bekannte Handzeichen des Frosches.

 

»Ich weiß nicht, was ich den Leuten angetan habe, aber ich vermute, daß es etwas ziemlich Schlimmes sein muß, denn zehn Minuten später brachte mir der Portier meinen Nachmittagstee. Ich nahm einen Schluck, und er schmeckte so bitter, daß ich mir den Mund mit einem Desinfektionsmittel ausspülte.«

 

»Wann ist das geschehen?«

 

»Gestern«, antwortete Johnson. »Heute morgen habe ich den Tee analysieren lassen, und der Chemiker erklärte, er enthalte genug Blausäure, um hundert Menschen zu vergiften. Er konnte es nicht verstehen, wie ich auch nur einen Schluck davon zu genießen vermochte, ohne ernste Folgen zu erleiden. Ich werde die ganze Angelegenheit heute der Polizei übergeben.«

 

Die Flurtür wurde aufgesperrt, und Elk kam ins Zimmer.

 

»Was bringen Sie für Neuigkeiten?« fragte Ella begierig.

 

»Gute«, sagte Elk. »Sie brauchen sich ganz und gar nicht zu beunruhigen, Fräulein Bennett. Hauptmann Gordon kommt unter allen Umständen ans Ziel. Ich vermute, daß er jetzt in Gloucester ist und im bequemsten Bett der Stadt schläft.«

 

»Aber Sie vermuten es nur, Sie haben noch keine Nachricht aus Gloucester?« fragte Ella hartnäckig.

 

»Ich habe keine genauen Nachrichten, aber ich kann Ihnen versichern, daß die Nachrichten, die wir haben, nicht schlecht sind«, sagte Elk. »Und da können wir wetten, daß die Dinge alle wie am Schnürchen gehen. – Wieso haben Sie von der Sache erfahren, Johnson?« fragte er. Und der frischgebackene Millionär gab die Erklärung.

 

»Ich hätte Selinski und seinen Operateur in das Geheimnis einweihen sollen«, sagte Elk nachdenklich. »Diesen Filmleuten fehlt jede Zurückhaltung. Nun, und wie fühlen Sie sich als Krösus, Herr Johnson?«

 

»Herr Johnson fühlt sich nicht allzu wohl«, sagte Broad. »Er hat die Aufmerksamkeit des lieben Frosches erregt.«

 

Elk prüfte die Warnung sorgfältig. »Wann haben Sie den Wisch bekommen?«

 

»Ich fand ihn gestern morgen auf meinem Pult.« Und er erzählte auch den Zwischenfall mit dem vergifteten Tee, bevor er sich empfahl. »Ach, Herr Elk, wenn es Ihnen gelänge, den Frosch zu fangen, so würden Sie ein gutes Werk an der Menschheit tun.«

 

Es dämmerte schon, als Johnson fortging, und Elk schloß ihm das Haustor auf und sah ihm nach, als er die leere Straße hinunterschritt.

 

»Ich habe den alten Knaben gern«, sagte er zu Broad. »Und er ist sicher unter einem Glücksstern geboren, denn ich verstehe nicht, warum der Alte sein Geld nicht lieber dem Baby vermacht hat…«

 

»Haben Sie das Kind schon gefunden?« unterbrach ihn Broad.

 

»Nein, das ist auch so ein Froschmysterium, das noch auf seine Aufklärung wartet.«

 

Johnson hatte eben die Straßenecke erreicht, und sie sahen ihn die Straße überqueren, als ein Mann aus dem Schatten ihm entgegentrat. Es gab eine kurze Unterredung, dann gewahrte Elk den Blitz einer Pistole und hörte den Schuß. Johnson taumelte zurück und sein Gegner wandte sich und floh.

 

In einer Sekunde war Elk auf der Straße. Der Philosoph war anscheinend nicht verletzt, wenn auch sehr erschüttert.

 

Elk rannte um die Ecke, aber der Angreifer war verschwunden. Er kehrte zu dem Philosophen zurück, der am Rand des Gehsteiges saß und seine Glieder betastete, ob sie auch heil waren.

 

»Nein, nein, ich glaube, es war nur der Schock«, keuchte Johnson. »Ich war auf eine solche Angriffsmethode nicht vorbereitet.«

 

»Wie ist es denn geschehen?« fragte Elk.

 

»Ich begreife es gar nicht!« antwortete Johnson, der noch ganz verwirrt war. »Ich wollte die Straße überqueren, da kam ein Mann auf mich zu und fragte, ob ich Herr Johnson wäre. Und dann, ehe ich noch wußte, was geschah, hatte er geschossen.«

 

Johnsons Rock war von der Flamme versengt.

 

»Nein, ich komme nicht mehr ins Haus zurück. Ich glaube auch nicht, daß man den Versuch wiederholen wird.«

 

Es kamen soeben zwei Detektive zurück, die Harley Terrace bewacht hatten, und ihnen wurde Johnson zur Begleitung anvertraut.

 

»Das sind doch die geschäftigsten Leutchen, die ich kenne«, sagte Elk kopfschüttelnd. »Man möchte glauben, daß sie mit der Arbeit in Gloucester zufrieden sein könnten und nicht noch eine Nebenbeschäftigung brauchten.«

 

Es schlug sechs Uhr, aber aus dem Westen kam keine weitere Nachricht mehr. Um sieben Uhr wurde der Zustand des Mädchens bemitleidenswert. Sie hatte sich während der Nacht mit einem Mut aufrecht erhalten, der die Bewunderung der Männer erregte. Aber jetzt, da die furchtbare Stunde herannahte, schien es mit ihrer Kraft zu Ende. Um halb acht Uhr schrillte das Telefon, und Elk war mit einem Panthersprung beim Apparat.

 

»Hauptmann Gordon hat Didcot vor einer Stunde verlassen«, besagte die Botschaft.

 

»Didcot?« keuchte Elk verzweifelt. Er sah auf die Uhr. »Vor einer Stunde? Dann hätte er Gloucester in sechzig Minuten erreichen müssen!«

 

Ella, die sich gerade dazu zwang, den Kaffee zu versuchen, den Gordons Diener im Speisezimmer serviert hatte, kam, als sie ihn sprechen hörte, ins Arbeitszimmer, und Elk wagte nicht, das Gespräch fortzusetzen. »Schon gut!« sagte er laut und warf den Hörer hin.

 

»Wie lauten Ihre Nachrichten, Herr Elk?«

 

»Die Nachrichten?« sagte Elk und zwang sein Gesicht in ein Lächeln, »oh, die sind gut!«

 

»Wer hat angerufen?« beharrte sie.

 

»Ach, das?« sagte Elk und sah das Telefon bös an, »das war ein Freund, der mich heute abend zum Essen einlud.«

 

Ella ging still ins Speisezimmer zurück, und Elk rief den Amerikaner mit einem Wink zu sich.

 

»Gehen Sie und holen Sie einen Arzt«, sagte er leise, »und sagen Sie ihm, daß er etwas mitbringen soll, was diese junge Dame für zwölf Stunden in Schlaf versenkt.«

 

»Schlechte Nachrichten?« fragte Broad.

 

Elk nickte. »Nicht die geringste Aussicht, den Jungen zu retten«, sagte er.

 

Kapitel 23

 

23

 

Herons-Klub, der auf Befehl der Polizei zeitweilig geschlossen gewesen war, durfte nun wieder seine Pforten öffnen.

 

Ray nahm seinen Lunch fast immer bei Heron ein, wenn er die Mahlzeit nicht mit Lola teilte, die eine glänzendere Atmosphäre vorzog, als der Klub sie zu Mittag bot. Als er ankam, waren nur einige Tische besetzt. Die Erinnerung an die Polizeiuntersuchung war noch immer wach in den Gemütern, und die vorsichtigeren Kunden hatten noch nicht gewagt, zurückzukehren.

 

Es war allgemein bekannt geworden, daß Hagn, der Direktor, seit der Nacht der Aushebung nicht wieder gesehen worden war. Unbestätigte Gerüchte über seine Verhaftung liefen um.

 

Ray war nicht gewohnt, seine Post nach Herons-Klub adressiert zu erhalten, und war daher überrascht, als der Kellner, der seine Bestellung übernahm, ihm zwei Briefe, einen vielfach versiegelten und sehr schweren, und einen anderen, kleineren übergab. Ray öffnete den großen Umschlag zuerst und wollte den Inhalt herausziehen, als er gewahr wurde, daß das Kuvert nichts anderes als Geld enthielt. Er wollte die Noten selbst vor einem spärlichen Publikum nicht aus dem Umschlag nehmen und stellte nur zu seiner Freude die hohe Anzahl und den Wert der Scheine fest. Es lag keine schriftliche Mitteilung dabei.

 

Aber da war ja noch der andere Brief.

 

Ray riß ihn auf. Das Schreiben trug weder Anrede noch Datum, und der Inhalt in Maschinenschrift lautete wie folgt:

 

»Am Freitagvormittag werden Sie die Kleidung anziehen, die man Ihnen zustellen wird, und sich zu Fuß auf die Landstraße nach Nottingham begeben. Sie werden den Namen ›Jim Carter‹ annehmen, Legitimationspapiere, auf diesen Namen lautend, werden in den Taschen des Rockes zu finden sein, der Ihnen morgen durch einen besonderen Boten überbracht wird. Von nun an dürfen Sie sich nicht mehr rasieren. Sie dürfen nicht in der Öffentlichkeit erscheinen, Besuche machen oder solche empfangen. Ihr Geschäft in Nottingham wird Ihnen mitgeteilt werden. Vergessen Sie nicht, daß Sie zu Fuß reisen müssen und in Unterkunftshäusern – gelegentlich auch in Schlafstellen der Heilsarmee – nächtigen werden, wie sie Vagabunden mit Vorliebe suchen. In Barnett, auf der großen Nordstraße, in der Nähe des neunten Meilensteines, werden Sie jemanden treffen, den Sie kennen und der auf der übrigen Reise Ihr Begleiter sein wird. In Nottingham werden Sie weitere Befehle erhalten. Man wird wahrscheinlich Ihrer gar nicht bedürfen, und die Arbeit, die Sie zu leisten haben, wird Sie in keiner Weise bloßstellen. Vergessen. Sie nicht, daß Ihr Name ›Carter‹ ist. Vergessen Sie nicht, daß Sie sich nicht rasieren dürfen. Vergessen Sie nicht den neunten Meilenstein und Freitag morgen. Wenn sich diese Einzelheiten Ihrem Gedächtnis eingeprägt haben, so nehmen Sie diesen Brief und den Umschlag, der das Geld enthielt, und verbrennen Sie alles im Kamin des Klubs. Ich werde Sie dabei beobachten.«

 

So war die Stunde gekommen, da die Frösche seiner bedurften. Er hatte sich vor diesem Tag gefürchtet und ihn dennoch erwartet. Er führte die Instruktionen getreulich aus, und vor den vielen neugierigen Augen der Gäste ging er mit Brief und Kuvert an den leeren Ziegelkamin, entzündete ein Zündhölzchen, verbrannte die Papiere und zertrat die Asche mit dem Fuß.

 

Sein Puls schlug schneller, als er sich an seinen Platz zurückbegab. Und ihm wurde bewußt, daß er diese Handlung in Anwesenheit des Frosches vollführt hatte. Ray sah scheu von einem zum andern der wenigen Gäste hinüber und begegnete den scharfen Blicken eines Fremden, die unablässig auf ihm geruht hatten. Das Gesicht schien ihm bekannt und doch wieder fremd.

 

Er winkte den Kellner herbei.

 

»Sehen Sie nicht sofort hin«, sagte er leise. »Aber sagen Sie mir, wer jener Herr in der zweiten Loge ist.«

 

Der Kellner wendete sich nachlässig um.

 

»Das ist Herr Joshua Broad«, sagte er.

 

Fast im Augenblick, da der Kellner diesen Namen aussprach, erhob sich Joshua Broad von seinem Sitz und kam auf Ray zu.

 

»Guten Morgen, Herr Bennett. Ich glaube nicht, daß wir uns schon früher gesprochen haben, obwohl wir beide Mitglieder des Klubs sind, und ich Sie hier schon oftmals gesehen habe. Mein Name ist Broad.«

 

»Wollen Sie nicht Platz nehmen?« Es fiel Ray ein wenig schwer, seine Stimme zu meistern. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Herr Broad. Wollen Sie vielleicht mit mir speisen?« »Nein«, antwortete der Amerikaner, »ich habe schon gegessen. Aber wenn es Sie nicht stört, werde ich meine Zigarette weiterrauchen. Ich bin der Nachbar Ihrer Freundin. Fräulein Bassano hat die Wohnung inne, die der meinen vis-à-vis liegt.«

 

Ray entsann sich nun auch des sonderbaren Amerikaners, über dessen Verhältnisse Lola und Lew Brady sich schon oftmals den Kopf zerbrochen hatten.

 

»Kennen Sie Brady schon lange?« fragte Broad.

 

»Lew? Ich könnte es nicht genau sagen. Er ist ein sehr netter Kerl«, urteilte Ray ohne Begeisterung. »Und er ist befreundet mit einer mir bekannten Dame.«

 

»Eben mit Fräulein Bassano«, sagte Broad. »Sagen Sie, sind Sie nicht einmal bei Maitlands gewesen?«

 

»Ja, vor Zeiten«, sagte Ray gleichmütig. Aus seinem Ton hätte man entnehmen können, daß er bloß als interessierter Zuschauer den Bankpalast aufgesucht hatte.

 

»Er ist ein sonderbarer Bursche, der alte Maitland, was?«

 

»Ich weiß nicht viel über ihn«, sagte Ray. »Aber er hat einen sehr netten Sekretär.«

 

»Sie meinen Johnson? Den kenne ich gut.«

 

»Der arme, alte Philo, er hat seine Stellung verloren.«

 

Broads Gesicht veränderte sich. –

 

»Johnson? Wann ist denn das geschehen?«

 

»Heute morgen traf ich ihn, und er teilte es mir mit.«

 

»Ich wundere mich, daß Maitland den Mut gehabt hat.«

 

»Den Mut?« fragte Ray verdutzt. »Da gehört doch nicht viel Mut dazu, seinen Sekretär zu entlassen.«

 

Ein flüchtiges Zucken ging über das Gesicht des Amerikaners.

 

»Ich meine damit, daß für einen Mann von Maitlands Charakter viel Mut dazu gehört, einen Menschen zu entlassen, der so viele Geheimnisse weiß. Doch was gedenkt Johnson jetzt anzufangen?«

 

»Er sieht sich nach einer Stellung um«, sagte Ray kurz.

 

Die hartnäckigen Fragen des Fremden begannen ihn zu irritieren. Broad schien dies sogleich zu merken, er ließ das Gesprächsthema fallen und plauderte noch eine Weile über alltägliche Dinge, ehe er sich empfahl.

 

Ray blieb allein zurück, und der Gedanke an den erhaltenen Auftrag nahm ihn gänzlich gefangen. Das Abenteuer, die Verkleidung waren für einen romantischen jungen Mann äußerst verführerisch, und Raymond Bennett fehlte es nicht an Romantik. In seinen Instruktionen lag eine hinreißende Ahnung von Gefahr verborgen.

 

Und es war von Vorteil für seine Gemütsruhe, daß er nicht in die Zukunft zu sehen vermochte. Denn hätte er diese Gabe besessen, so wäre er in diesem Augenblick gepeitscht von Entsetzen entflohen, um einen einsamen Ort zu suchen, ein Versteck, eine Höhle, sich darin zu verkriechen, zu schaudern und zu beten.

 

Kapitel 24

 

24

 

Dick Gordon kam in die Polizeidirektion, und Elk beeilte sich, ihm Bericht zu erstatten.

 

»Wir haben neun gleiche Reisehandtaschen gefunden, jede von der gleichen Ausstattung wie die vom Kings-Cross-Bahnhof.«

 

»Führt keine Spur zu dem Mann, der sie hinterlegt hat?«

 

»Nein, nicht die geringste. Wir haben sie auf Fingerabdrucke hin geprüft und einige Resultate erzielt, aber da sie von vielleicht einem halben Dutzend Bahnhofsbediensteten berührt worden sind, kann ich nicht annehmen, daß wir dadurch etwas erfahren. Nur in Paddington haben wir eine Tasche entdeckt, die größer ist als die anderen. Sie enthielt dieselbe Ausstattung, aber wir haben darin noch ein dickes Paket von Scheckformularen vorgefunden, von denen jedes auf verschiedene Filialen verschiedener Banken lautete. Es sind Schecks auf den Credit Lyonnais, auf die Neunte Nationalbank in New York, auf den Burrowstown Trust, auf Banken von Spanien, Italien und Rumänien und auf ungefähr fünfzig Filialen der fünf englischen Hauptbanken lautend.«

 

Dick hörte niedergeschlagen zu.

 

»Elk, ich möchte ein paar Jahre meines Lebens dafür geben, wenn ich in das Mysterium der Frösche eindringen könnte. Ich lasse Lola jetzt bewachen. Lew ist verschwunden, und als ich heute morgen einen Mann zu dem jungen Dandy Ray Bennett schickte, um zu erfahren, was ihm geschehen sei, da gab er vor, krank zu sein, und weigerte sich, den Besucher zu empfangen. Aber ich vermag Ihnen eine interessante Neuigkeit mitzuteilen.«

 

Dick Gordon entnahm seiner Brieftasche einen Umschlag und warf ihn auf den Tisch. »Ich habe mich in New York nach Saul Morris erkundigt. Hier ist die New Yorker Kabeldepesche:

 

›Beantwortung Ihrer Anfrage: Saul Morris lebt. Soll zur Zeit in England sein. Hier laufen keine Anklagen, aber es wird angenommen, daß er es war, der am 17. Februar 1918 den Saferaum des Schiffes Mantania in Southampton in England erbrochen hat und mit fünfundzwanzig Millionen Francs entfloh. Bestätigt.‹«

 

Elk las die Depesche immer wieder. Dann faltete er sie sorgfältig zusammen, steckte sie in das Kuvert und reichte sie Dick über den Tisch zurück.

 

»Saul Morris ist also in England«, sagte er mechanisch. »Das scheint mir so manches zu erklären.«

 

Als Dick ihn verlassen hatte, ging Elk daran, die Taschen nochmals einer Untersuchung zu unterziehen, da ihm in der Nacht der Gedanke an die Möglichkeit von Doppelböden gekommen war. Er berief Balder und den Kriminalsergeanten namens Fayre, einen vielversprechenden jungen Mann, in den Elk großes Vertrauen setzte, und begann seine Schlüssel hervorzusuchen.

 

Das Hervorziehen des Schlüsselbundes hatte sein festgesetztes Ritual Man vermochte den Eindruck zu gewinnen, daß Elk eine Entkleidungsszene vornehmen wollte, denn die Schlüssel ruhten in geheimnisvollen Regionen, in die man erst nach dem Lockern von Rock und Weste gelangte, indem man dort nach einer Tasche suchte, wo man sonst keine zu vermuten pflegte. Nachdem die Zeremonie erfüllt war, steckte Elk den Schlüssel feierlich ins Schloß und zog die Tür auf.

 

Der Safe war so mit Taschen vollgepackt, daß sie Elk entgegenzurutschen begannen, sowie der Halt, den die Tür geboten hatte, weg war. Elk händigte sie, eine nach der andern, Fayre aus, der sie auf den Tisch stellte.

 

»Wir werden die von Paddington zuerst aufschneiden«, sagte Elk und wies auf die größte der Taschen.

 

»Ich muß erst das andere Messer holen«, sagte Balder. »Das hier ist ganz stumpf.«

 

»Beeilen Sie sich!« antwortete Elk, und Balder lief aus dem Zimmer.

 

Im nächsten Augenblick wurde Fayre mit ungeheurer Wucht gegen die Tür geworfen, und Elk kam über ihn zu liegen. Ein schrilles Klirren von zerbrochenen Scheiben erklang, das Sausen eindringender Luft und der betäubende Donner einer Explosion. Elk war der erste auf den Beinen. Das Zimmer war voll schwarzen Rauches, so daß er nicht die Hand vor den Augen sah, und bei seinem ersten Schritt trat er bereits auf den leblosen Körper des Sergeanten. Elk hob und zog ihn auf den Korridor hinaus. Es schien ihm auf den ersten Blick, daß wenig Hoffnung auf seine Wiederherstellung wäre. Die Feueralarmglocken gellten durch das Haus, von allen Seiten stürmten bestürzte Polizisten herbei, die Löschmannschaft kam den Korridor heruntergerannt, den Schlauch hinter sich herschleppend.

 

Das glimmende Feuer war bald gelöscht, aber Elks Büro hatte sich in einen Trümmerhaufen verwandelt. Sogar die Tür des Safes war aus den Angeln gesprengt worden. Nicht eine Fensterscheibe, nicht ein Stück der Einrichtung war ganz, und ein riesiges Loch klaffte mitten im Fußboden.

 

»Balder, retten Sie die Taschen«, rief Elk, der mit Wiederbelebungsversuchen, die an dem unglücklichen Fayre vorgenommen wurden, beschäftigt war. Als man den Assistenten in die Ambulanz geschafft hatte, kehrte Elk zurück, um die Ruinen zu betrachten, die die Explosion hinterlassen hatte.

 

»Ja, es war eine Bombe«, sagte Elk.

 

Eine Gruppe älterer Beamter stand im Korridor, und sie sahen sich die Verwüstung an.

 

»Es ist wirklich ein Wunder, daß ich noch am Leben bin, und ich habe Balder das Leben gerettet, als ich ihn nach dem Messer schickte, um die Taschen aufschneiden zu können.«

 

»Aber wurden denn die Taschen nicht vorher untersucht?« fragte der Polizeipräsident zornig.

 

Elk nickte. »Gestern ist jede einzeln von mir untersucht worden, die von Paddington wurde um und um gedreht. Jeder Gegenstand, der sich darin befand, ist hier auf meinen Tisch gelegt und eingetragen worden. Ich selber habe sie in den Safe gesperrt. Es war keine Bombe dabei.«

 

»Aber wie konnte sie dann hineingelangen?« fragte der Präsident.

 

Elk schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Der einzige Mensch, der außer mir einen Schlüssel zu diesem Safe hat, ist der Vizepolizeirat meines Departements, Oberst McClintock, der gerade auf Ferien ist. Es ist nur ein Glück, daß ich Balder gerade fortgeschickt hatte. Er ist Vater von sieben Kindern.«

 

»Was war es für ein Explosivstoff?«

 

»Dynamit«, antwortete Elk sofort. »Es hat nach unten gesprengt.« Er zeigte auf das Loch im Boden. »Nitroglyzerin sprengt nach oben und seitwärts. Nein, kein Zweifel, es war Dynamit.«

 

Bei der Durchsuchung des Büros fand er eine zusammengedrückte Rolle von dünnem Stahl und später das geschwärzte, verbeulte Zifferblatt einer billigen Weckuhr.

 

»Sowohl Zeit als auch Kontakt!« murmelte er.

 

Von seinen Sachen suchte er, soviel er davon aufzufinden vermochte, in Balders Büro hinüberzubringen.

 

Es war wenig Hoffnung, daß dieser Überfall von den Blättern verschwiegen werden konnte. Die Explosion hatte das Fenster und einen Teil des Mauerwerks herausgesprengt und viele Schaulustige auf dem Embankment versammelt. Als Elk die Polizeidirektion verließ, rief man schon die Extraausgaben aus, die das Ereignis brachten.

 

Sein erster Besuch galt dem nahegelegenen Spital, wohin man den unglücklichen Fayre gebracht hatte. Die Nachrichten über ihn klangen ermutigend.

 

»Er wird vielleicht ein oder zwei Finger verlieren, aber er ist wirklich mit einem blauen Auge davongekommen«, meinte der Oberchirurg. »Ich kann es nicht verstehen, daß er nicht in Stücke gerissen wurde.«

 

»Und was ich nicht verstehen kann«, sagte Elk mit Nachdruck, »ist, wieso ich nicht in Stücke gerissen wurde.«

 

»Diese Hochexplosivstoffe spielen merkwürdige Streiche. Ich kann begreifen, daß die Kraft der Explosion die Tür des Safes weggesprengt hat, und doch ist dieses Papier, das ebenfalls im Bereich der Bombe war, kaum versengt.« Er zog ein Stückchen Papier aus der Tasche, dessen Ecken geschwärzt und abgebrannt waren. »Sehen Sie, ich habe es in seinen Kleidern gefunden«, sagte der Arzt.

 

Elk glättete das Papier und las:

 

»Mit vielen Grüßen von Nummer Sieben!«

 

Sorgfältig faltete er das Papier zusammen. »Das möchte ich gern behalten«, sagte er und steckte es zärtlich lächelnd in das Innere seines Brillenetuis, »Glauben Sie an Vorahnungen?«

 

»Bis zu einer gewissen Grenze«, lächelte der Arzt.

 

Kapitel 25

 

25

 

Eine Woche verging, und die Explosion im Polizeibüro war schon zur Legende geworden. Der verletzte Detektivsergeant befand sich auf dem Weg der Besserung, und in bezug auf die Frösche gab es keine Neuigkeiten.

 

Elks Fatalismus enttäuschte seine Kollegen ein wenig. Am sechsten Tag nach der Explosion hatte die Direktion die Gepäckaufbewahrungen aufs neue untersuchen lassen, und so wie es Elk erwartet hatte, war bei jeder einzelnen Endstation eine funkelnagelneue Handtasche mit genau dem gleichen Inhalt wie vorher beschlagnahmt worden. Die Taschen wurden von dem Feuerwerker nach langwierigen, sorgfältigen Schutzmaßnahmen geöffnet.

 

Aber sie enthielten außer den belgischen Pistolen nichts Bedrohliches, und der Paß lautete diesmal auf den Namen »Clarence Fielding«.

 

»Diese Burschen sind Meister in ihrem Handwerk«, sagte Elk mit widerstrebender Bewunderung, als er seine Beute besichtigte.

 

»Wollen Sie die Taschen wieder in Ihrem Büro behalten?« fragte Dick. Aber Elk schüttelte melancholisch das Haupt.

 

»Ich denke nicht«, sagte er.

 

Er ließ die Taschen sofort ausleeren und ihren Inhalt an das Untersuchungsdepartement schicken.

 

»Nach meiner Meinung«, orakelte Balder, »muß jemand in der Polizeidirektion sein, der gegen uns arbeitet. Ich habe mir die Sache schon längst überlegt, und wie ich sie mit meiner lieben Frau besprochen habe …«

 

»Haben Sie vielleicht auch die Kinder zu Rate gezogen?

 

Mhm?« fragte Elk unfreundlich. »Je weniger Sie über die Direktionsangelegenheiten in Ihrem häuslichen Kreis reden, desto besser wird das für Ihre Beförderungschancen sein.«

 

Herr Balder machte ein saures Gesicht.

 

»Da ist nichts zu fürchten und nichts zu hoffen. Ich bin schon auf die schwarze Liste gesetzt. Alles kommt davon, weil Sie mich mit Ihrem Hagn zusammengesperrt haben.«

 

»Sie sind ein undankbarer Schuft«, sagte Elk.

 

»Wer ist denn eigentlich diese Nummer Sieben?« fragte Balder. »Wie ich mir gestern die Sache überdacht und sie mit meiner lieben Frau besprochen habe, bin ich zu dem Schluß gekommen, daß er einer von den wichtigsten Fröschen sein muß. Und wenn wir den nur erwischen könnten, so würde nicht mehr viel fehlen, um den großen Burschen dranzukriegen.«

 

Elk legte seine Feder nieder. Er war gerade dabei gewesen, einen Bericht zu verfassen.

 

»Sie hätten sich der Politik widmen sollen«, sagte er und wies seinen Assistenten mit dem Ende des Federhalters aus dem Zimmer.

 

Er hatte seinen Bericht beendet und überlas ihn gerade mit kritischen Augen, als das Diensttelefon einen Besucher ankündigte.

 

»Schicken Sie ihn mir herauf!« sagte Elk, als er den Namen hörte.

 

Er läutete nach Balder. »Dieser Bericht geht zu Hauptmann Gordon zur Unterschrift«, sagte er. Und im Augenblick, da er den Brief übergab, öffnete Joshua Broad die Tür.

 

»Guten Morgen, Herr Inspektor«, grüßte er und nickte Balder freundschaftlich zu, obgleich er ihm niemals früher begegnet war.

 

»Kommen Sie nur herein und setzen Sie sich, Herr Broad. Was verschafft mir das besondere Vergnügen Ihres Besuches? – Entschuldigen Sie meine extreme Höflichkeit, aber am frühen Morgen pflege ich immer so höflich zu sein. Schon recht, Balder, Sie können gehen!«

 

Broad reichte dem Detektiv sein Zigarrenetui.

 

»Ich komme einer merkwürdigen Sache wegen«, sagte er.

 

»Niemand kommt gewöhnlicher Sachen wegen in die Polizeidirektion«, antwortete Elk.

 

»Es betrifft meine Nachbarin.« – »Lola Bassano?«

 

»Ihren Gatten.«

 

»Lew Brady?« Elk schob die Brille hinauf. »Sie werden mir doch nicht einreden wollen, daß die beiden ganz anständig verheiratet sind?«

 

»Ich glaube nicht, daß daran ein Zweifel bestehen kann«, sagte Broad. »Obwohl ich natürlich sicher bin, daß ihr junger Freund Bennett keinen Dunst von der Sache hat. Brady ist seit einer Woche in Caverley Haus, und seit dieser Zeit ist er noch nicht aus der Tür gegangen. Was aber noch sonderbarer ist, auch der junge Bennett hat während dieser Zeit seine Wohnung nicht verlassen. Ich glaube nicht, daß es einen Streit gegeben hat, ich ahnte eher, daß es etwas Tieferes sein muß. Ich habe Brady zufällig gesehen, als ich aus meiner Tür trat. Die Tür bei der Bassano stand gerade offen. Das Mädchen holte die Milch herein, und da bekam ich einen Schimmer von ihm zu sehen. Er hatte den schönsten neuen Bart, den ich an einem zurückgezogenen lebenden Boxer jemals bewundern durfte. Und Faustkämpfer haben für gewöhnlich nicht den Ehrgeiz, einen Bart zu tragen. Das machte mich also neugierig. Ich stattete Ray Bennett einen Besuch ab, ich hatte ihn neulich im Herons-Klub getroffen, und die Tatsache konnte als Entschuldigung für mich gelten, daß es mir auch gelungen war, Fräulein Bennett zu sprechen. Sein Diener, denn er hat einen Mann, der bei Tag kommt, um seine Kleider zu bürsten und die Wohnung aufzuräumen, sagte mir, daß er sich nicht wohl fühle und nicht zu sprechen sei.« Broad blies einen Rauchring in die Luft und betrachtete ihn nachdenklich. »Wenn ein Diener ergeben sein soll, so muß er auch bei seinem Herrn wohnen«, sagte er. »Es kostete mich nach dem heutigen Kurs zwei Dollar und fünfunddreißig Cent, um zu entdecken, daß auch Ray Bennett sich nachdrücklichst mit der Pflege seines Bartes beschäftigt. Wie die Sache steht, gefällt sie mir nicht.«

 

Elk rollte seine Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen. »Ich bin im Gesetzbuch nicht sehr gut bewandert«, sagte er. »Aber ich stehe unter dem Eindruck, daß es kein Gesetz gibt, demzufolge man Leute abhalten könnte, sich den Bart wachsen zu lassen. – Herr Broad, Sie sind Amerikaner, nicht wahr?«

 

»Ich genieße diesen Vorzug«, sagte der andere mit jenem halben Lächeln, das so oft in seinen Augen lag.

 

»Haben Sie je von einem Mann mit Namen Saul Morris gehört?« fragte Elk gleichgültig und starrte nach dem Fenster. Joshua Broad runzelte in der Anstrengung des Erinnerns die Stirn.

 

»Ich glaube schon«, sagte er, »er war ein ganz großer Verbrecher. Ein Amerikaner, wenn ich mich recht erinnere. Aber er ist doch längst tot, nicht wahr?«

 

Elk kratzte sich nervös das Kinn. »Ich würde für mein Leben, gern jemanden treffen, der seinem Begräbnis beigewohnt hat. Jemanden, dem ich auf den Eid glauben könnte!«

 

»Sie glauben doch nicht, daß Lew Brady …?«

 

»Nein!« sagte Elk. »Ich glaube gar nichts über Lew, außer, daß er ein überwundener Boxer ist. Und ich werde mir diesen Wettbewerb der Barte näher besehen, Herr Broad. Ich danke Ihnen für Ihre Mitteilung.«

 

Um fünf Uhr kam Balder zu Elk und fragte, ob er nach Hause gehen könne. »Ich habe meiner lieben Frau versprochen …«, begann er.

 

»Halten Sie …«, sagte Elk, »und sehen Sie zu, daß Sie weiterkommen.«

 

Kaum eine halbe Stunde, nachdem sein Untergebener gegangen war, kam ein amtlicher Brief für Inspektor Elk, und als er dessen Inhalt gelesen hatte, begann sein Antlitz zu leuchten und zu strahlen. Es war ein Brief des Oberintendanten der Polizei und lautete: »Das Polizeipräsidium beauftragt mich, Ihnen mitzuteilen, daß die Beförderung des Polizeischutzmannes J. J. Balder zum Rang eines wirklichen Sergeanten genehmigt wurde. Die Beförderung wird vom 1. Mai v. J. zurückdatiert.«

 

Elk faltete das Papier zusammen und empfand eine ehrliche Freude. Er läutete Sturm, um Balder hereinzurufen, da entsann er sich, daß er ihn schon nach Hause geschickt hatte. Elk war für diesen Abend frei, und in der Mitfreude seines Herzens beschloß er, ihm die Neuigkeit persönlich zu überbringen.

 

»Ich möchte gern seine ›liebe Frau‹ kennenlernen«, sagte Elk zu sich selber, »und auch seine sieben Kinder.«

 

Er schlug im amtlichen Register nach und fand, daß Balder 93, Leaford Road, Oxbridge wohnte. Das Polizeiauto fuhr Elk nach der Leafordstraße Nummer 93.

 

Es war ein nettes, kleines Haus, genauso, wie Elk sich das Haus vorgestellt hatte, in dem sein Assistent wohnen würde.

 

Auf sein Klopfen kam eine ältliche, zum Ausgehen gekleidete Frau heraus, und Elk war überrascht, zu sehen, daß sie Pflegerinnentracht trug.

 

»Ja, Herr Balder wohnt hier«, sagte sie, anscheinend verwirrt, einen Besucher zu sehen. »Das heißt: er hat zwei Zimmer hier, aber er bleibt sehr selten über Nacht hier. Er kommt gewöhnlich, um sich umzukleiden, und dann geht er meistens gleich wieder fort. Zu seinen Freunden, glaube ich.«

 

»Wohnt seine Frau hier?«

 

»Seine Frau?« fragte sie überrascht. »Ich habe gar nicht gewußt, daß er verheiratet ist.«

 

Elk hatte Balders Papiere mitgebracht, um einige Daten nachzutragen, die für seine spätere Pensionierung wichtig waren. Nun erst bemerkte er, daß unter der angegebenen auch eine zweite Adresse eingetragen stand. Doch war die Tinte so verwischt, daß er die Anschrift nun erst bemerkte.

 

»Ich scheine mich geirrt zu haben«, sagte Elk. »Da steht die Orchardstraße in Stepney als neue Adresse angegeben.« Aber die Pflegerin lächelte.

 

»O nein, er hat viele Jahre bei mir gewohnt«, sagte sie. »Er ist dann nach der Orchardstraße gezogen. Aber während des Krieges kam er wieder zu mir, weil die Luftangriffe dort im Osten von London ziemlich gefährlich waren. Trotzdem glaube ich, daß er noch immer ein Zimmer in Stepney hat.«

 

»Mhm«, sagte Elk nachdenklich. Er stand schon an der Tür, als ihn die Pflegerin nochmals zurückrief.

 

»Ich weiß nicht, ob ich mit Fremden über seine Geschäfte reden darf, aber wenn Sie dringend mit ihm zu sprechen haben, so glaube ich, daß Sie ihn in Slough finden werden. Ich bin Monatspflegerin«, sagte sie, »und habe sein Auto zweimal in die ›Sieben Giebel‹ in der Sloughstraße fahren sehen. Ich denke, er nuß dort einen Freund wohnen haben.«

 

»Wessen Auto?« fragte der immer mehr verdutzte Elk.

 

»Seins oder eins seiner Freunde«, sagte die Pflegerin. »Sagen Sie, sind Sie mit ihm gut befreundet?«

 

»O ja, sehr intim!« sagte Elk vorsichtig.

 

»Wollen Sie bitte hereinkommen?«

 

Er folgte ihr in das kleine, saubere, nette Wohnzimmer.

 

»Um ihnen die Wahrheit zu sagen, ich habe nämlich Herrn Balder gekündigt. Er hat immer so viele Beschwerden gehabt und ist so schwer zufriedenzustellen. Ich bin nicht mehr imstande, es zu leisten. Und er hat mir dabei nicht einmal viel gezahlt. Ich habe sehr wenig für die zwei Zimmer bekommen, und jetzt habe ich Aussicht, sie viel besser zu vermieten. Und dann ist er immer so merkwürdig mit seinen Briefen gewesen. Ich habe seinetwegen diesen Riesenbriefkasten draußen an der Tür befestigen lassen. Aber selbst der ist manchmal nicht groß genug, um sie alle zu fassen. Nein, was seine sonstige Beschäftigung ist, weiß ich nicht. Die Briefe, die hierherkommen, sind für die Chemischen Werke in Didcot bestimmt. Nein, Sie werden vielleicht glauben, daß ich eine sehr schwierige Person bin, weil er ja schließlich doch den ganzen Tag wegbleibt und sehr selten eine Nacht hier schläft.«

 

»O nein«, sagte er. »Sie sind, glaube ich, die allernetteste Person, die ich je getroffen habe! Und jetzt gehen Sie aus?«

 

Sie nickte. »Ich habe eine Nachtpflege und werde erst gegen elf Uhr vormittags zurückkommen. Sie haben es gut getroffen, daß ich noch zu Hause war.«

 

»Sagten Sie nicht: sein Auto? Was für ein Auto ist denn das?« fragte Elk.

 

»Es ist so ein großer schwarzer Wagen, aber die Marke kenne ich nicht. Ich glaube, es ist ein amerikanisches Fabrikat. Und er muß irgend etwas damit zu tun haben, denn ich habe einmal viele Kataloge von Autoreifen in seinem Schlafzimmer gefunden, und einige von den Reifen hatte er mit dem Bleistift angezeichnet, und so vermute ich, daß er auf irgendeine Weise daran interessiert ist.«

 

Elk stellte eine letzte Frage: »Und kommt er, wenn Sie fort sind, nachts nach Hause?«

 

»Ich glaube sehr selten«, antwortete die Frau. »Er hat seinen eigenen Schlüssel, und weil ich in der Nacht oft weg bin, weiß ich nie, wann er heimkommt.«

 

Elk stand schon mit einem Fuß auf dem Trittbrett seines Autos.

 

»Vielleicht kann ich Sie irgendwo absetzen, meine liebe Dame?« sagte er, und die ältliche Frau nahm dankbar an.

 

Elk fuhr in die Direktion zurück, öffnete die Schublade seines Pultes und nahm ein paar Berufswerkzeuge heraus. Nachdem er eine Anzahl dringender Befehle gegeben hatte, sprang er ins Auto und raste nach Harley Terrace.

 

Dick war von den Mitgliedern der Amerikanischen Gesandtschaft eingeladen worden und saß mit ihnen in einer Loge des Hilarity Theaters, als Elk leise hinter ihm die Tür öffnete, ihm auf die Schulter klopfte und ihm ein Zeichen gab, auf den Gang hinauszukommen, alles, ohne daß die übrige Gesellschaft etwas bemerkte.

 

»Ist irgend etwas los?« fragte Gordon.

 

»Ja, denken Sie nur, Balder hat seine Beförderung bekommen!« sagte Elk feierlich, und Dick starrte ihn fassungslos an. »Er ist jetzt wirklicher Sergeant«, fuhr Elk fort. »Und ich wüßte keinen besser passenden Rang für Balder. Wenn die Nachricht ihn und seine liebe Frau und seine sieben lieben Kinderchen erreichen wird, wird es neun glückliche Menschen mehr geben, glaube ich.«

 

Er pflegte niemals geistige Getränke zu sich zu nehmen, aber der ketzerische Gedanke daran war der erste, der Gordon durch den Kopf schoß. Und der zweite war die Erwägung, daß die Anstrengungen und Unannehmlichkeiten der letzten Wochen dem Armen den Sinn verwirrt hätten.

 

»Das freut mich für Balder«, sagte er behutsam, »und es freut mich auch um Ihretwillen, Elk. Denn ich weiß, Sie haben sich sehr bemüht, diesen armen Teufel in das richtige Licht zu setzen.«

 

Elk sah ihn über seine Brillengläser hinweg an.

 

»Jetzt denken Sie, daß ich einen Sonnenstich habe, da ich Sie sonst doch nicht aus Ihrem bequemen Theater herausrufen würde, um Ihnen Balders Beförderung zu verkünden. Aber versuchen Sie doch, Ihren Überrock zu holen und mit mir zu kommen. Ich möchte nämlich Balder die Nachricht überbringen.«

 

Neugierig ging Gordon in die Garderobe, holte seinen Mantel und traf den Detektiv im Vestibül.

 

»Wir gehen nach den ›Sieben Giebeln‹«, verfügte Elk. »Ein schönes Haus, ich habe es zwar noch nicht selbst gesehen, aber ich habe davon gehört. Es hat eine Garage und großartige Einrichtungen, Zentralheizung, Telefon und ein hochmodernes Badezimmer. Das alles ist nur eine logische Folgerung. Und jetzt werde ich Ihnen dazu noch etwas sagen: auch eine logische Folgerung! Es gibt Alarmdrähte auf dem Rasen, Alarmglocken an Türen und Fenstern, Fußfallen und Selbstschüsse.«

 

»Ja, von was, zum Teufel, sprechen Sie denn?« fragte Dick hilflos. Und Elk kicherte wie eine hysterische Jungfrau. Sie fuhren durch Oxbridge, als ein langes Auto in vollster Eile an ihnen vorbeischoß. Es war so mit lachenden Männern angefüllt, daß sie einander beinahe auf den Knien saßen.

 

»Das ist eine lustige Gesellschaft!« sagte Dick.

 

»Sehr!« antwortete Elk lakonisch.

 

Ein paar Sekunden später sauste ein zweites Auto vorbei, das ebenfalls mit viel größerer Geschwindigkeit fuhr als sie selber.

 

»Das sieht aber doch nach einem unserer Polizeiautos aus!« sagte Dick. Auch dieses war überfüllt.

 

»Ja, es sieht wirklich fast so aus!« stimmte Elk bei.

 

Als ihr Wagen in der enggekrümmten Straße von Collebrock langsamer fuhr, raste noch ein dritter Wagen an ihnen vorüber, und diesmal blieb kein Zweifel mehr. Den Mann, der neben dem Chauffeur saß, den kannte Dick. Es war der Detektivinspektor der Polizeidirektion.

 

»Was soll denn das nur heißen?« fragte Dick, und seine Neugier wuchs ins Unermeßliche.

 

»Wir alle fahren zu Balders Beförderung, um ein kleines Fest zu feiern«, sagte Elk.

 

In Langley wendete sich die Windsorstraße nach links, und Elk gab, sich hinauslehnend, dem Chauffeur eine neue Richtung an. Von den Polizeiautos war keine Spur mehr zu sehen. Anscheinend waren sie auf dem Weg nach Slough. Ein einzelner Landschutzmann stand am Kreuzweg und beobachtete sie, vom eintönigen Dienst ermüdet, mit ziemlich mattem Interesse.

 

»Wir bleiben hier stehen«, sagte Elk, und das Auto bog von der Straße ab in eine grüne Seitenallee ein. Elk stieg aus.

 

»Gehen Sie ein bißchen die Straße hinauf, ich habe mit Herrn Gordon zu sprechen«, sagte er zum Chauffeur. Und dann erzählte er, und Dick Gordon lauschte in Verwunderung und Unglauben.

 

»Nun«, sagte Elk, »brauchen wir nur noch fünf Minuten zu gehen, soweit ich mich erinnern kann. Es ist ziemlich lange her, daß ich bei den Windsorrennen war.«

 

Sie fanden den Eingang zu den »Sieben Giebeln« zwischen zwei hohen Buschhecken. Ein breiter, mit Kies bestreuter Pfad lief zwischen dem dicken Gürtel von Tannen hin, hinter dem das Haus versteckt lag. Es war ein großes Gebäude, mit Holzverschalungen an den Wänden und hohen, ineinander verschlungenen Kaminen.

 

»Na, ist das ein Haus?« murmelte Elk bewundernd.

 

Aus den breiten Fenstern drang Licht, aber die cremefarbenen Vorhänge waren herabgelassen. Elk hatte ein paar dicke Galoschen über seine Schuhe gezogen und reichte Dick ein zweites Paar. Dann begann er, mit einer elektrischen Taschenlampe in der Hand, den Gartenweg entlangzugehen, der parallel mit dem Gelände lief. Plötzlich blieb er stehen.

 

»Steigen Sie darüber!« flüsterte er.

 

Und Dick bemerkte den schwarzen Draht, der über den Weg hinlief, und nahm vorsichtig das Hindernis. Nach ein paar weiteren Schritten blieb Elk wieder stehen und ließ sein Licht auf einen zweiten Draht fallen, der selbst in dem starken Licht der Taschenlampe kaum zu sehen war. Elk tat keinen Tritt, ehe er nicht den Weg auf das genaueste untersucht hatte. Es bedurfte einer halben Stunde, ehe sie die wenigen Meter, die sie vom Fenster trennten, zurückgelegt hatten.

 

Die Nacht war lau, und einer der Fensterflügel stand offen.

 

Elk kroch heran und untersuchte mit seinen feinfühligen Fingerspitzen den Sims nach einer Alarmglocke. Er entdeckte sie, durchschnitt die Fäden und zog sachte den Vorhang ein wenig zur Seite.

 

Er blickte in ein großes, getäfeltes, luxuriös eingerichtetes Zimmer. Der offene, große Seitenkamin war von Blumen umgeben, und an dem kleinen Tischchen davor saßen zwei Männer. Der erste war Balder.

 

Unverkennbar war es Balder, und er sah merkwürdig gut aus. Seine rote Nase war nicht mehr rot. Seine unrasierten Wangen waren nicht mehr stachelig. Er trug einen Frack, und zwischen den Zähnen hielt dieser Balder, dem Elk manche Sonntagszigarette geschenkt hatte, eine lange, kostbare Zigarettenspitze. Dick sah dies alles über Elks Schulter hinweg mit an und hörte des Detektivs raschen, zornigen Atem gehen. Dann erst bemerkte Dick den zweiten Anwesenden. Es war Herr Maitland. Maitland saß, das Gesicht in den Händen, da, und Balder blickte ihn mit einem unheimlich zynischen Lächeln an. Es war unmöglich zu vernehmen, was sie sprachen, aber anscheinend wurden Maitland Vorwürfe gemacht.

 

Nach einer Weile richtete sich der alte Mann auf und begann zu reden. Sie hörten das Gemurmel seiner aufgeregten rauhen Stimme, aber wiederum war kein Wort zu verstehen. Dann sahen sie, wie Maitland die Faust ballte und sie drohend gegen den lächelnden Mann erhob, der ihn mit vollkommener Seelenruhe und kühlstem Interesse betrachtete. Nach dieser drohenden Gebärde sprang der alte Mann auf und stürzte aus dem Zimmer.

 

Eine Minute später kam er aus dem Haus. Aber nicht durch den Haupteingang, wie die beiden erwartet hatten, sondern über einen kleinen Gartenweg auf der anderen Seite der Hecke, denn sie sahen den Schimmer seiner Scheinwerfer, als das Auto vorbeifuhr.

 

Nun allein im Zimmer, läutete Balder.

 

Der Eintretende fesselte sofort Dicks Aufmerksamkeit im höchsten Grade. Er trug die übliche Livree der Lakaien, dunkle Hose und gestreifte Weste. Aber es war aus der Art, mit der er sich bewegte, leicht zu entnehmen, daß er durchaus kein gewöhnlicher Lakai war. Ein großer, schwerfällig gebauter Mann, dessen Bewegungen langsam und merkwürdig nachdenklich wirkten. Balder gab einen Befehl, und der Lakai nickte, nahm die Tasse auf und ging mit denselben langsamen feierlichen Schritten hinaus, mit denen er eingetreten war.

 

Es durchzuckte Dick, und er flüsterte ein einziges Wort in das Ohr des Detektivs: »Blind!«

 

Elk nickte.

 

Die Tür öffnete sich nochmals, und diesmal kamen drei Lakaien herein, die einen schwer wirkenden, mit einem weißen Tuch bedeckten Tisch hereintrugen.

 

Gordon dachte zuerst, daß Balders Mahlzeit serviert werden sollte. Aber bald begriff er die Wahrheit. Oberhalb des Kamins hing an einem einzigen Draht eine große elektrische Lampe. Einer der Lakaien stieg auf einen Stuhl, schraubte die Lampe aus und steckte einen Kontakt an, der mit dem Tisch durch einen Draht verbunden war.

 

»Lauter Blinde!« sagte Elk flüsternd.

 

Die Diener gingen hinaus, und Balder verschloß hinter ihnen die Tür. Er wendete ihnen noch den Rücken zu, als Elk seinen Fuß auf den Ziegelvorsprung stellte und, die Vorhänge zur Seite reißend, ins Zimmer sprang. Bei diesem Geräusch fuhr Balder herum.

 

»Schönen guten Abend, Balder!« sagte Elk süß. »Ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihnen zu sagen, daß Sie endlich in Anerkennung Ihrer großen Verdienste zum Sergeanten befördert worden sind. Es ist der Dank für die Dienste, die Sie dem Staat durch Vergiftung des Frosches Mills, Befreiung des Frosches Hagn und In-die-Luft-Sprengung meines Büros geleistet haben.«

 

Immer noch sprach der Mann kein Wort und stand da, ohne sich zu regen; denn der langläufige Browning in Elks Hand zielte unentwegt auf den untersten Knopf seiner eleganten, weißen Pikeeweste.

 

»Und nun«, sagte Elk, und es klang wie Jubel und Triumphgesang, »werden Sie einen ganz kleinen, hübschen Spaziergang mit mir machen. Denn ich bedarf Ihrer, Nummer Sieben.«

 

»Glauben Sie nicht, sich geirrt zu haben?« näselte Balder, so ganz unähnlich seiner gewohnten Stimme, daß selbst Elk einen Moment lang zögerte. .

 

»Nein, ich habe mich nicht geirrt. Außer, wenn mich einer gefragt hat, wieviel Frauen Heinrich VIII. gehabt und wann er sie geheiratet hat.«

 

Elk sprang auf ihn zu und hielt die Mündung seiner Pistole auf das Zwerchfell seines Gefangenen gepreßt. »So, jetzt wollen Sie die Güte haben, Ihre Hände auszustrecken, und belieben sich umzudrehen«, sagte er.

 

Balder gehorchte. Elk zog Handschellen aus der Tasche und ließ sie über Balders Gelenken einschnappen. Er schnallte ihm auch die Arme fest zusammen.

 

»Das ist sehr unbequem«, sagte Balder. »Pflegen Sie immer solche Irrtümer zu begehen, Herr Inspektor? – Mein Name ist Collet-Banson.«

 

»Ihr Name ist Hans Dreck!« sagte Elk. »Aber ich will gern anhören, was Sie mir sonst etwa zu sagen haben. Sie können sich niedersetzen.«

 

Dick sah, wie es in den Augen des Mannes aufblitzte. Und auch Elk bemerkte es.

 

»Ich möchte Ihnen raten, Balder, jetzt nicht etwa Ihre Hoffnung auf irgendeinen Affenstreich zu setzen, der mir von Ihren Dienern gespielt werden könnte. Fünfzig Polizeibeamte, von denen Sie die meisten persönlich kennen, umstellen nämlich das Haus.«

 

»Ich sage Ihnen, daß Sie einen Irrtum begangen haben, Herr . Inspektor, der Sie teuer zu stehen kommen wird«, sagte der Gefangene zornig. »Wenn ein Engländer nicht einmal in seinem eigenen Salon sitzen darf, um« – er blickte nach dem Tisch – »ein Radiokonzert aus Den Haag anzuhören, ohne daß die Polizei einschreitet, so ist es höchste Zeit, daß diese Tyrannei ihr Ende findet.«

 

Er ging zornig hin und her und stieß dabei den einen der stählernen Feuerböcke um, die zu beiden Seiten des offenen Kamins standen. Und der Feuerbock fiel um. Es schien dies nichts anderes als die nervöse Handlung eines Mannes, der nicht mehr wußte, was er in seinem Zorn tat. Sogar Elk sah darin nichts, was seine Befürchtung hätte erregen können.

 

»Ich weiß nicht, für wen Sie mich halten!« fuhr er fort. »Nun, alles was ich sagen kann, ist …« Und plötzlich schwang sich der Gefesselte seitwärts auf die Kaminplatte.

 

Aber Elk war schneller. Er faßte ihn beim Kragen, riß ihn von der Falltür zurück und schleuderte ihn ins Zimmer hinein.

 

Elk warf sich über ihn, aber in seiner Verzweiflung wurde Balders Kraft übermenschlich gesteigert.

 

Sein Schrei nach Hilfe wurde gehört. Es wurde an der Tür gerüttelt, und ein zorniges Stimmengewirr erhob sich draußen. Dann vernahm man die rasche Aufeinanderfolge vieler scharfer Explosionen, denn die Armee von Detektiven rannte draußen über den Rasen, ohne der Alarmschüsse zu achten.

 

Es gab nur einen kurzen Kampf.

 

Sechs blinde Diener wurden im Polizeiwagen weggebracht, und im letzten Auto thronten Dick und Elk und zwischen ihnen der aktive Polizeisergeant Balder – der Nummer Sieben, die rechte Hand des furchtbaren Frosches, gewesen war.

 

Kapitel 26

 

26

 

Ella Bennett war im Begriff, das Mittagessen zu bereiten, als ihr Vater heimkehrte. Im Wohnzimmer stellte er seine schwere Kamera ab, und die Handtasche trug er wie gewöhnlich in sein Schlafzimmer. Ella hatte längst aufgehört, sich darüber zu wundern, daß ihr Vater sein Gepäck unweigerlich in seinem Zimmer verschloß. Als er wiederkam, sah er sehr müde und alt aus. Tiefe Ringe lagen unter seinen Augen, und die Blässe seines Gesichtes trat mehr als gewöhnlich hervor.

 

»Ist es dir gut ergangen, Vater?« fragte sie. Es war immer dieselbe Frage, und John Bennett gab immer dasselbe Nicken zur Antwort.

 

»Heute morgen habe ich eine Strecke voller Federwild gefunden und einige wirklich gute Aufnahmen gemacht. Rund um Horsham sind meine Möglichkeiten viel zu begrenzt.«

 

Er setzte sich in seinen alten Lehnstuhl neben dem Kamin und stopfte langsam seine Pfeife.

 

Ella ging hin und her, deckte den Tisch und sprach erst, während sie dem Vater vorlegte, von der Angelegenheit, die sie bedrückte: »Es ist heute morgen ein Brief von Ray gekommen«, sagte sie. Es war seit langen Tagen zum erstenmal, daß sie den Namen des Bruders erwähnte.

 

»Ja?« sagte Bennett, ohne von seinem Teller aufzusehen.

 

»Er möchte gern wissen, ob du seinen Brief bekommen hast, Vater?«

 

»Jawohl, das habe ich«, sägte John Bennett. »Aber ich habe darauf nichts zu erwidern. Wenn Ray mich zu sehen wünscht, so weiß er, wo ich zu finden bin.«

 

Er sprach mit überraschender Ruhe. Sie hatte sich vor dem Auftritt gefürchtet, der sich bei der Nennung von Rays Namen ereignen würde.

 

Sie sah ihn an und überlegte von neuem, ob sie es wagen durfte, ihn ins Vertrauen zu ziehen.

 

»Vater, ich wollte dir sagen, daß ich neulich mit Herrn Maitland zusammengekommen bin«, sagte sie.

 

»Du erzähltest mir doch damals davon, als du ihn im Büro besuchtest.«

 

»Nein, Vater. Erinnerst du dich an den Morgen, an dem Hauptmann Gordon so früh herausgekommen ist? An den Morgen, als ich in den Wald ging? Damals ging ich aus, um Herrn Maitland zu treffen.«

 

Bennett legte Messer und Gabel nieder und starrte sie an.

 

»Ich hatte keine Ahnung, daß ich ihn sehen sollte«, fuhr sie fort. »Aber ich wurde des Nachts von jemandem aufgeweckt, der Steinchen an mein Fenster warf. Ich glaubte, es wäre Ray, der so spät gekommen war. Er hat es früher oft getan. Manchmal hat er sich verspätet, und dann pflegte er mich auf diese Weise aufzuwecken. Es dämmerte schon, als ich hinaussah, und zu meiner namenlosen Verwunderung sah ich Herrn Maitland unten stehen. Er bat mich auf seine sonderbare, rasche Art, herunterzukommen, und da ich glaubte, daß er vielleicht um Rays willen käme, zog ich mich an und lief in den Garten. Ich war aber so verwirrt, daß ich nicht gewagt habe, dich aufzuwecken. Ich lief die Straße hinauf, dorthin, wo sein Auto stand. Es war das merkwürdigste Zusammentreffen, das du dir denken kannst. Denn eigentlich hat er gar nichts gesagt.«

 

»Nichts? «

 

»Ja, doch. Er fragte mich, ob ich seine Freundin sein wollte. Wenn es jemand anderes als Herr Maitland gewesen wäre, so hätte ich mich geängstigt, aber er kam so rührend, so alt, so flehend zu mir, er sagte fortwährend: ›Froilein, ich werd‘ Sie was sagn!‹ Aber sooft er zu sprechen begann, sah er erschrocken um sich. Er bat mich, in sein Auto zu steigen. Natürlich lehnte ich ab, bis ich entdeckte, daß der Chauffeur eine Frau war. Eine sehr alte Frau, seine Schwester.. Es war ein höchst merkwürdiges Erlebnis. Ich glaube, sie muß beinahe siebzig Jahre alt sein. Und sie trug den Rock eines Chauffeurs. Etwas Lächerlicheres konnte man sich gar nicht vorstellen. Ich fuhr mit ihm zum Wald und fragte ihn: ›Kommen Sie wegen Ray?‹ Aber er war gar nicht wegen Ray gekommen. Er sprach so unzusammenhängend, so sonderbar, daß ich wirklich nervös wurde. Und als er dann erst angefangen hatte, sich ein wenig zu fassen und ein paar zusammenhängende Bemerkungen zu machen, kamt ihr im Auto heran. Er war sehr erschrocken und bebte am ganzen Körper. Er bat mich, fortzugehen und fiel beinahe auf die Knie, um mich zu bitten, daß ich ja nichts darüber sagen sollte, daß ich ihn je gesehen hätte.«

 

»Was?« sagte John Bennett und stieß seinen Stuhl zurück. »Und du hast gar nichts erfahren?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Ich konnte die Hälfte von dem, was er sagte, nicht verstehen. Er sprach halblaut, und ich habe dir ja gesagt, wie rauh seine Stimme ist.«

 

Bennett saß einen Augenblick mit niedergeschlagenen Augen da, während er über das Gehörte nachdachte.

 

»Wenn er das nächste Mal kommen, sollte, so wäre es besser, du ließest mich mit ihm sprechen«, sagte er.

 

»Das glaube ich nicht, Papa«, sagte sie ruhig. »Ich habe das Gefühl, daß er mich um Hilfe bitten wollte.«

 

»Ein Millionär, der dich um Hilfe bittet, Ella? Das klingt doch wohl verwunderlich!«

 

»Es ist auch verwunderlich«, sagte sie, »er schien mir nicht halb so schrecklich wie das erstemal. Es ist etwas Tragisches um ihn, etwas sehr Trauriges. Und heute nacht wird er wiederkommen, ich habe es ihm versprochen, mit ihm zu reden. Erlaubst du es?« Der Vater überlegte.

 

»Ja, du kannst mit ihm sprechen. Aber du darfst nicht aus dem Garten hinausgehen. Ich verspreche dir, daß ich mich nicht zeigen werde, aber ich werde in der Nähe bleiben. Und du glaubst nicht, daß es sich um Ray handelt?«

 

»Das glaube ich nicht, Papa. Maitland ist Ray und was mit ihm geschehen soll, ganz gleichgültig. Ich möchte nur gern wissen, ob ich überhaupt jemandem davon erzählen soll?«

 

»Hauptmann Gordon?« riet Vater trocken, und das Mädchen errötete. »Magst du den jungen Mann gern leiden, Ella?«

 

»Ja«, sagte sie nach einer Pause. »Ich habe ihn sehr gern.«

 

»Aber hoffentlich nicht zu gern, Liebling«, sagte John Bennett, und ihre Augen trafen sich.

 

»Warum nicht?« Es kostete sie Überwindung, zu fragen.

 

»Weil es nicht wünschenswert ist«, antwortete Bennett. »Ich möchte nicht, daß du Kummer haben sollst. Und ich sage dir dies, weil ich weiß, daß ich die Ursache sein werde, falls du Kummer haben solltest!«

 

Ella wurde blaß und sagte: »Und was wünschst du, daß ich tun soll?«

 

Er erhob sich langsam, ging auf sie zu und legte den Arm um sie.

 

»Was immer du auch tun willst, Ella, ich muß für meine Sünden leiden. Vielleicht wird er es nie erfahren. Aber ich habe aufgehört, an Wunder zu glauben.«

 

»Was meinst du, Vater?« fragte sie angstvoll.

 

»Vielleicht. . .« Er überlegte eine Weile. »Vielleicht erreiche ich doch etwas durch den Film, den ich gestern aufgenommen habe. Ich habe das zwar nun schon oft gesagt und von vielen Dingen geglaubt, die ich unternommen habe. Der Mann, der die Bilder kauft, er hat ein Geschäft in der Wardourstraße, sagte mir, daß die Qualität meiner Filme sich bei jeder neuen Aufnahme bessere. Ich nahm eine Entenmutter in ihrem Nest auf, gerade als die Jungen auskrochen. Ich weiß noch nicht, wie die Bilder sich beim Entwickeln ausnehmen werden, denn ich war vielleicht ein bißchen zu weit vom Nest entfernt. . .«

 

Ella setzte das Gespräch von vorhin nicht weiter fort.

 

Am Nachmittag sah sie einen fremden Mann auf der Straße dem Haustor gegenüberstehen, der sich Maytree Haus ansah. Er war ein gut angezogener Herr, den sie wegen seiner runden Brillengläser für einen Amerikaner hielt. Und als er sie ansprach, ließ ihr auch sein neuenglischer Akzent keinen Zweifel darüber.

 

»Irre ich mich, wenn ich Sie für Fräulein Bennett halte?« fragte er. Und als sie nickte, stellte er sich vor. »Mein Name ist Broad. Ich habe mich gerade in der Gegend hier ein wenig umgesehen, und es kam mir in Erinnerung, daß Sie irgendwo in der Nachbarschaft wohnen. Ihr Bruder hat mir das gesagt.«

 

»Sind Sie ein Freund von Ray?« fragte Ella.

 

»Das wohl nicht«, sagte Broad mit einem Lächeln. »Ich bin, was man eine Klubbekanntschaft nennt.«

 

Er machte keinen Versuch, näherzukommen. Und anscheinend erwartete er auch nicht, infolge seiner Bekanntschaft mit Ray, ins Haus eingeladen zu werden. Im Gegenteil, nach einer Bemerkung über das Wetter, aus deren Tiefsinn hervorging, daß er sich die englischen Bräuche schon völlig zu eigen gemacht hatte, entfernte er sich nach der Waldstraße hin. Es war dies ein Lieblingsstandplatz der Autoausflügler, und es überraschte Ella nicht allzusehr, als sie Broad einige Augenblicke später im Auto vorbeifahren sah.

 

Herr Broad lüftete den Hut, während er vorüberfuhr, und grüßte jemanden, den sie nicht sah. Ihre Neugierde wurde aufgestachelt, sie öffnete die Tür und trat auf die Straße hinaus. Auf einem Baumstumpf saß ein Mann, der die Zeitung las und aus einer großen Pfeife rauchte.

 

Eine Stunde später, als sie wieder hinaustrat, war er immer noch da. Aber diesmal war er aufgestanden.

 

Es war ein großer Mann, der wie ein Soldat aussah und der den Kopf zur Seite drehte, als sie in seine Richtung blickte. Aus irgendeinem Grund schien Maytree Haus unter Beobachtung zu stehen.

 

Zuerst hatte Ella Angst, aber dann bekam sie fast Lust, ins Dorf hinabzugehen, um Elk zu telefonieren und eine Erklärung zu verlangen. Sie ging zeitig zu Bett und stellte den Wecker auf drei Uhr.

 

Sie erwachte, noch bevor die Glocke Alarm geläutet hatte, zog sich rasch an und ging hinunter, um ein wenig Kaffee zu kochen. Als sie an der Tür ihres Vaters vorbeiging, rief er sie an: »Ich bin auf, falls du mich brauchen solltest, Ella.«

 

»Vielen Dank, Papa«, sagte sie herzlich. Sie war froh darüber, ihn in ihrer Nähe zu wissen.

 

Das erste Licht zeigte sich am Himmel, als Herrn Maitlands Silhouette sich gegen die Dämmerung abhob. Ella vernahm das leise Knacken des Türschlosses, als er die Gartentür öffnete.

 

Diesmal hatte er seinen Wagen eine kleine Strecke vom Haus entfernt warten lassen. Er schien sehr nervös und vermochte im Augenblick kein Wort hervorzubringen. Sein schwerer, abgetragener Überrock war bis zum Hals zugeknöpft, und eine große Kappe bedeckte seinen kahlen Kopf.

 

»Sin Sie es, Froilein?« fragte er in rauhem Flüsterton.

 

»Ja, Herr Maitland.«

 

»Wolln Sie nich mit mir spazierengehn? Ich muß Sie etwas sagn, etwas sehr Wichtiges.«

 

»Wir wollen im Garten spazierengehen«, sagte sie leise.

 

Er hielt sie zurück.

 

»Wenn man uns aber sehn wird, was? Schöne Geschichte für mich! Grad nur ein Stückchen die Straße rauf, Froilein«, bat er.

 

»Es wird uns niemand hören«, tröstete Ella sanft. »Wir können ja auf den Rasenplatz gehen, es stehen einige Stühle dort.«

 

»Schläft allens? Alle Dienstmädchens?«

 

»Wir haben keine Mädchen«, lächelte sie.

 

Er schüttelte den Kopf. »Schad is nich drum. Ich kann sie nich ausstehn. Sechs Kerle in Uniform hab ich bei mir zu Haus, machn mir immer eine Mordsbange.«

 

Sie führte ihn über den Rasenplatz, legte ein Kissen in seinen Sessel und wartete.

 

Der Anfang auch der vorigen Unterredung hatte ziemlich aussichtsreich geschienen, aber nach einer Weile hatte Herr Maitland sich in Abgründe des Gesprächs verirrt, so daß Ella nicht mehr zu folgen vermochte.

 

»Sie sin ein liebes Mächen«, sagte Maitland heiser. »Hab mir’s schon gedacht, wie ich Sie ’s erste Mal gesehn hab. Sie wer’n einem armen alten Mann nichts antun, was Froilein?«

 

»Aber gewiß nicht, Herr Maitland.«

 

»Das hab ich mir gedacht. Ich hab es auch Mathilda gesagt. Und sie sagt auch, es is allens in Ordnung mit Ihnen. – War’n Sie schon im Armenhaus, Froilein?«

 

»Im Armenhaus?« fragte sie und lächelte wider Willen. »Nein, Herr Maitland, ich bin nie im Armenhaus gewesen.«

 

Erschrocken abwinkend, sah er sich um und starrte unter seinen weißen buschigen Brauen auf ein Gesträuch hin, das einen Lauscher hätte verbergen können.

 

»Sin Sie schon im Loch gewesen? Ach ja, ich meine Gefängnis, Froilein? Natürlich kann’n Mächen wie Sie so ’ne Sache nich wissen.«

 

Wieder sah er sich um.

 

»Alle großen Leute hab ich dort getroffen. Möcht wetten, daß ich der einzigste bin, der noch den großen Saul Morris gesehn hat, den schwersten Kerl von uns alle. – Denken Sie, Sie sin ich, allens kommt auf das an. Denken Sie, Sie sin ich, Froilein – ach, es is schrecklich, Froilein!«

 

»Ich fürchte, daß ich Sie nicht verstehen kann, Herr Maitland«, flüsterte sie leise. Sie sah ihn nochmals gequält die Gegend mit den Blicken durchforschen, und dann beugte er sich nahe zu ihr.

 

»Er is hinter Sie her!« Er umklammerte ihren Arm. »Sie wer’n doch für mich ’n Wörtchen bei ihm einlegen, nich wahr? Sagn Sie ihm, daß ich Sie gewarnt hab, er wird es schon wieder gut für mich machn, nich?«

 

Er sprach flehentlich, und sie begann zu verstehen, daß mit dem »Er« des Alten Dick gemeint war. Er nahm ihre Hände und tätschelte sie, und obgleich sie sein Gesicht nicht sah, wußte sie, daß er weinte.

 

»Ich werde sicher alles für Sie tun, was nur in meiner Macht steht! Aber Sie sind zu erregt, lieber, lieber Herr Maitland. Sollten Sie nicht mit einem Arzt sprechen?«

 

»Ne, ne, nur keine Doktors nich, Froilein! Aber ich sage Sie«, sprach er langsam und ausdrucksvoll, »sie wer’n mich kriegn. Und Mathilda! Aber ich habe mein ganzes Geld jemand hinterlassen, einer gewissen Person, und das is der ganze Witz dabei, Froilein«, kicherte er irrsinnig. »Und dann wird man ihn erwischn.«

 

Er schlug sich, von stillem Lachen geschüttelt, auf die Knie. Ella begann zu glauben, daß er wahnsinnig geworden war.

 

»Aber ich hab ’nen riesigen Plan, haja! Ich hab nie ’nen größeren gehabt, Froilein. Können Sie auf der Maschine schreibn?«

 

»Ich kann es wohl, aber nicht sehr gut.«

 

Seine Stimme wurde beinahe unhörbar.

 

»Kommen Sie mit, kommen Sie in mein Büro! Werdn mich doch nicht bloß für einen Spaßvogel halten? Was? Siebenundachtzig bin ich gewor’n, Froilein! Kommen Sie zu mir herauf, und Sie wer’n lachen.« Plötzlich kam das Schluchzen wieder über ihn.

 

»Mich wer’n sie kriegn, ich weiß! Aber ich hab Mathilda nichts gesagt. Weil, dann würde sie schrein. So stehts, Froilein. Der alte Johnson is nich mehr da. Besuchn Sie mich nur! Habn Sie nie einen Brief gekriegt, was?« fragte er plötzlich.

 

»Von Ihnen? Nein, Herr Maitland!« sagte sie überrascht.

 

»Geschriebn is er worn«, sagte er. »Aber vielleicht nich aufgegeben. Weiß nich!« Er fuhr auf und wich zurück, als eine Gestalt sich vor dem Haus zeigte. »Wer is das?« fragte er. Und sie fühlte, wie seine Hand sich zitternd auf ihren Arm legte.

 

»Das ist mein Vater, Herr Maitland«, sagte sie. »Ich glaube, er ist meines Ausbleibens wegen ein bißchen besorgt.«

 

»Ach so, Ihr Vater?« Er schien eher erleichtert als beunruhigt.

 

»Sagn Sie ihm das nich, daß ich im Arbeitshaus war, Froilein!«

 

John Bennett stand unentschlossen still, ob er näher kommen sollte oder ob Ella nicht dadurch in Verlegenheit geraten würde.

 

Maitland entschied die Situation, indem er hinüberhumpelte.

 

»Guten Morgen, Herr«, sagte er. »Hab gerade gequasselt mit Ihren Mächen. Hoffentlich macht es Sie nichts, Herr Bennett, was?«

 

»Aber gewiß nicht«, sagte Herr Bennett. »Wollen Sie nicht ins Haus kommen, Herr Maitland?«

 

»Ne, ne«, sagte Maitland ängstlich. »Mathilda wartet.« Er streckte nicht die Hand aus, noch lüftete er seinen Hut. Seine Manieren waren tatsächlich unter aller Kritik. Er nickte dem Mädchen kurz zu, dann sagte er: »Wiedersehn, Herr!«

 

In diesem Augenblick trat Bennett aus dem Schatten des Hauses.

 

»Leben Sie wohl, Herr Maitland«, grüßte er.

 

Maitland erwiderte nichts mehr. Seine Augen waren weit und entsetzt aufgerissen, sein Antlitz totenbleich.

 

»Sie? Sie?« krächzte er. »O mein Gott!« Er schien zu schwanken. Ella wollte ihm zu Hilfe kommen. Er faßte sich aber und rannte mit einer Beweglichkeit, die bei seinem hohen Alter überraschen mußte, den Weg hinunter, riß die Gartentür auf und stürzte die Straße hinab.

 

In der großen Stille hörten sie sein trockenes Schluchzen.

 

»Vater«, flüsterte das Mädchen angstvoll, »hat er dich denn gekannt?«

 

»Das wäre verwunderlich«, sagte John Bennett. »Du gehst jetzt zu Bett, Liebling.«

 

»Und wohin willst du, Vater?« fragte sie überrascht.

 

»Ich habe mit ihm zu sprechen.«

 

Sie ging nicht zu Bett. Sie stand an der Tür und wartete fünf Minuten – zehn Minuten – fünfzehn Minuten. Dann hörte sie das Rattern eines Autos, und die Limousine flog kotspritzend am Gartentor vorbei. Endlich kam auch John Bennett. »Du bist nicht zu Bett gegangen?« bemerkte er barsch.

 

»Vater, hast du ihn gesprochen?« fragte sie angstvoll.

 

»Möchtest du mir vielleicht schwarzen Kaffee machen?«

 

»Vater, warum hatte er solche Angst vor dir?«

 

»Liebling, du fragst zuviel. Er kannte mich von früher her, das ist alles.«

 

»Wenn er nur nie mehr wiederkäme«, seufzte Ella tief und angstvoll.

 

»Der kommt nicht wieder«, sagte John Bennett aus Horsham.

 

Kapitel 27

 

27

 

Dick Gordon beendete seine Unterredung mit Ezra Maitland und kehrte in die Polizeidirektion zurück, um Elk zu sprechen.

 

»Im großen ganzen halte ich Pentonville für das sicherste Gefängnis und habe Balder dorthin bringen lassen. Ich verlangte sogar vom Polizeichef, daß man ihn in die Zelle der Verurteilten stecken soll, aber das scheint bei ihnen nicht gute Sitte. Immerhin ist Pentonville der sicherste Fleck, den ich kenne, und wenn die Frösche nicht Steine zu fressen vermögen, so wird er doch wohl drinbleiben müssen. Also, was hatte Maitland Ihnen zu sagen, Herr Hauptmann?«

 

»Maitlands Geschichte ist, soweit man von ihm etwas herausbekommen kann, die, daß er Balder auf dessen Aufforderung besucht hat. ›Was könn Sie machn, wenn die Polizei nach einem schickt?‹ fragte er mich, und das ist nicht leicht zu beantworten.«

 

»Darüber herrscht doch wohl kein Zweifel«, sagte Elk, »daß er Balder nicht in dessen Eigenschaft als Polizeimann in Slough besucht hat. Noch viel weniger Zweifel besteht darüber, daß der Mann mit dem Frosch im Bündnis ist.«

 

»Maitland ist ein so energischer und trotzdem so ängstlicher alter Herr. Ich glaube, daß er direkt in die Erde sinken wollte, als ich Balders Arretierung erwähnte. Er fiel fast in Ohnmacht.«

 

»Dieser Spur müßte man folgen«, sagte Elk gedankenvoll. »Ich habe nach Johnson geschickt. Er müßte eigentlich schon hier sein. Er ist ein sehr wichtiger Zeuge, und man sollte die beiden nach Möglichkeit gleich konfrontieren.«

 

Der Philosoph kam nach einer halben Stunde an.

 

»Herr Elk wird Ihnen etwas sagen, was in ein paar Tagen allgemein bekannt sein dürfte«, sagte Dick. »Elks eigener Beamter ist als Frosch verhaftet worden.«

 

Johnson ließ sich erklären, wer Balder war, und Dick berichtete ihm von des alten Maitlands Besuch in Slough. Johnson schüttelte den Kopf.

 

»Ich habe nie davon gehört, daß Maitland einen Freund dieses Namens hat«, sagte er. »Balder? Nein, habe ich nie gehört!«

 

»Er nannte sich auch Collet-Banson«, sagte Dick.

 

»Ja, den kenne ich sehr gut! Der pflegte Maitland oft im Büro zu besuchen und gewöhnlich sehr spät des Abends. Maitland arbeitet dreimal in der Woche im Büro die Nacht durch, wenn alle Beamten gegangen sind, wie ich leider an meinem eigenen Leib erfahren habe«, sagte Johnson. »Ja, ja, es war ein großer hübscher Mensch, von so ungefähr vierzig Jahren.«

 

»Stimmt«, sagte Dick. »Er hat ein Haus in der Nähe von Windsor.«

 

»Ja, obwohl ich selbst nie dort war, weiß ich das, weil ich Briefe an ihn aufgegeben habe.«

 

»Was für Geschäfte hatte Collet-Banson mit Maitland?«

 

»Das konnte ich nie herausbekommen. Ich hielt ihn immer für einen Agenten, der Grundbesitz zum Verkauf anbot, denn das waren die einzigen Leute, die zu Maitland zugelassen wurden. Ich erinnere mich auch, daß das Kind eine Woche lang bei ihm war.«

 

»Mhm, das Kind aus Maitlands Haus?« fragte Elk.

 

Herr Johnson nickte zustimmend.

 

»Sie wissen nicht, was für eine Beziehung zwischen dem Kind und den beiden Männern besteht?«

 

»Nein, ausgenommen, daß ich ganz sicher bin, daß der kleine Junge wirklich bei Herrn Collet-Banson war, weil ich auf Maitlands Anordnung Spielzeug hinüberschicken mußte. Es war an dem Tag, an dem Herr Maitland sein Testament machte, ungefähr vor anderthalb Jahren. Ich erinnere mich aus einem besonderen Grund so genau an diesen Tag. Ich hatte nämlich erwartet, daß Herr Maitland mich auffordern würde, das Testament mit zu unterzeichnen, und fühlte mich als alter, treuer Angestellter recht gekränkt, als er zwei Beamte aus dem Büro zur Unterzeichnung herbeiholen ließ. Solche kleinen Kränkungen haben auf mich den stärksten Eindruck ausgeübt«, fügte er hinzu.

 

»War das Testament zugunsten des Kindes verfaßt worden?«

 

Johnson schüttelte den Kopf. Immer zu Elk gewendet, denn Dick schwieg während dieser Unterredung, sagte er: »Er hat die Sache nie mit mir besprochen. Er wollte nicht einmal einen Advokaten zu Rate ziehen. Er sagte mir, daß er die äußere Form des Testaments einem Buch entnommen habe.«

 

Dick erhob sich. »Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre interessanten Aufschlüsse, Herr Johnson«, sagte er, den Philosophen zur Tür begleitend.

 

Am nächsten Morgen hatte Dick eine Unterredung mit dem Gefangenen von Pentonville und fand ihn in recht widerspenstiger Stimmung.

 

»Ich weiß nichts von Babies und von Spielzeug, und wenn Johnson sagt, daß er es geschickt hat, dann lügt er in seinen Hals«, sagte Balder trotzig. »Ich verweigere jede Aussage über Maitland und meine Verbindung mit ihm. Ich bin das Opfer einer polizeilichen Verfolgung geworden und wünsche meine Freilassung. Ich fordere Sie auf, einen Beweis zu erbringen, daß ich auch nur eine einzige strafbare Handlung in meinem Leben begangen habe, ausgenommen, daß es vielleicht in Ihren Augen ein Verbrechen ist, ein Leben wie ein Gentleman zu führen.«

 

»Haben Sie aber nicht doch vielleicht eine Nachricht für Ihre liebe Frau und Ihre sieben Kinder zu bestellen?« fragte Dick sarkastisch.

 

Die drohenden Züge des Gefangenen glätteten sich für einen Augenblick.

 

»Nein, für die wird Elk schon sorgen«, sagte er.

 

Eine Stunde vor der Zeit, zu der der Gerichtshof sonst zusammenzutreten pflegte, wurde in Bowstreet die Anklage gegen Balder erhoben. Der Arrestbefehl wurde erteilt und Balder im Auto unter Bewachung nach Pentonville weiterbefördert.

 

In der dritten Nacht nach Balders Einlieferung in das Gefängnis von Pentonville kam Romantik in das Leben des zweiten Hauptaufsehers. Er war verhältnismäßig jung, alleinstehend, von recht angenehmem Äußeren und wohnte bei seiner verwitweten Mutter in Shepherd’s Bush. Es war seine Gewohnheit, nach seiner Arbeit einen Autobus zu benützen, um sein Heim zu erreichen, und er war gerade im Begriff bei seiner Straße auszusteigen, als eine Dame vor ihm ausstieg, strauchelte und zu Boden fiel. Er war sofort bei ihr, um sie aufzuheben. Sie war jung, elegant und erstaunlich hübsch. Er führte sie behutsam auf den Gehsteig.

 

»Es ist nichts geschehen«, sagte sie lächelnd, aber mit schmerzlich verzogenem Gesicht. »Es war sehr dumm von mir, mit dem Bus zu fahren! Ich habe mein altes Dienstmädchen besucht, das erkrankt ist. Wollen Sie mir bitte ein Auto rufen?«

 

Ein vorbeifahrendes Auto wurde herangewinkt, und das blasse Fräulein sah sich hilflos um.

 

»Wenn ich nur jemandem begegne, den ich kenne. Ich fahre so ungern allein nach Hause! Ich habe Angst davor, ohnmächtig zu werden.«

 

»Wenn Sie gegen meine Begleitung nichts einzuwenden haben«, sagte der Hauptaufseher mit all dem warmfühlenden Ernst, den der Anblick einer hilflosen Frau in der Brust des empfindsamen Mannes weckt, »will ich Sie gern nach Hause begleiten.« Ein langer Blick voller Rührung und Dankbarkeit traf ihn aus ihren Augen. Sie nahm seine Begleitung an und murmelte nur ihr Bedauern über die ihm verursachte Mühe.

 

Sie bewohnte eine wundervolle Wohnung. Der Hauptaufseher dachte, er hätte nie vorher eine so anmutige und schöne Dame in so passender Umgebung kennengelernt, und damit hatte er auch recht. Er hätte gern nach der Verletzung an ihrem Knöchel gesehen, aber sie fühlte sich viel, viel wohler, und gerade kam auch ihre Zofe herein.

 

Und ob er nicht ein bißchen Whisky mit Soda haben wollte? Und ob er nicht, bitte, rauchen möchte? Sie wies ihm den Platz, wo er Zigaretten finden konnte, und dann sprach der Hauptaufseher eine Stunde lang von sich selbst und hatte so einen äußerst unterhaltsamen Abend.

 

»Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, Herr Bron«, sagte sie beim Abschied, »weil Sie so viel Zeit an mich vergeudet haben.«

 

»Wenn das die Zeit vergeuden heißt, so hat es keinen Sinn für mich, mit ihr zu sparen.«

 

»Das ist ein schönes Kompliment!« sagte sie lächelnd. »Also, dann will ich Ihnen auch erlauben, morgen zu mir zu kommen, um sich nach meinem armen Fuß zu erkundigen.«

 

Er notierte sich sorgfältig die Adresse des alleinstehenden Häuschens in Bloomsbury Square, und als er am nächsten Abend klingelte, war er nicht mehr in Uniform.

 

Um zehn Uhr ging er in Ekstase fort, ein Mann, der den Kopf hochhielt, mit sich selber sprach und goldene Träume träumt. Denn »der Duft ihrer Reize«, wie er ihr schrieb, »hatte sein Innerstes durchdrungen.«

 

Zehn Minuten, nachdem er gegangen war, kam die Dame heraus, schloß das Haustor sorgfältig hinter sich ab und trat auf die Straße.

 

Der Müßiggänger, der auf dem gegenüberliegenden Gehsteig auf und ab schlenderte, warf seine Zigarre weg.

 

»Guten Abend, Fräulein Bassano«, grüßte er.

 

Sie nahm eine abweisende Haltung an. »Ich fürchte, daß Sie sich irren«, sagte sie steif.

 

»Nicht im geringsten! Sie sind Fräulein Bassano, und meine einzige Entschuldigung dafür, daß ich mir erlaube, Sie anzusprechen, ist, daß ich Ihr Nachbar bin.«

 

Nun erst sah sie ihn näher an. »Ach, Herr Broad!« sagte sie etwas freundlicher. »Ich habe eben eine Freundin besucht, die schwer erkrankt ist.«

 

»Ja, das hat man mir berichtet. Ihre Freundin hat eine recht hübsche Wohnung«, sagte er und begann neben ihr herzugehen. »Ich selbst wollte sie vor ein paar Tagen mieten. Die möblierten Wohnungen sind recht schwer zu finden. Stimmt, vor einer Woche war ich hier. An dem Tag, an dem Sie Ihren beklagenswerten Unfall in Shepherd’s Bush hatten.«

 

»Ich verstehe Sie nicht!« sagte Lola.

 

»Die Wahrheit ist«, sagte Herr Broad im Ton der Entschuldigung, »daß auch ich versucht habe, mit Herrn Bron bekannt zu werden. Während der letzten zwei Monate habe ich mich mit dem sorgfältigen Studium des Gefängnispersonals in Pentonville beschäftigt und besitze eine Liste der leicht zugänglichen Jungen, die zusammenzustellen mich einen Haufen Geld gekostet hat, ich vermute, daß Sie noch nicht das Stadium erreicht haben, wo Sie ihn hätten überreden können, über seine interessanten Gefangenen zu sprechen. Dazu spricht Herr Bron allzugern von seinen seelischen Vorgängen. Ich habe es letzthin mit ihm versucht«, fuhr Broad fort, »er besucht einen Tanzklub in Hammersmith, und ich wurde mit ihm durch ein Mädchen, das er hofiert, bekannt. Sie sind, nebenbei bemerkt, nicht die einzige Liebe seines jungen Lebens.«

 

Lola lachte leise. »Was für ein kluger Mann Sie sind, Herr Broad«, sagte sie. »Nein, ich interessiere mich gar nicht so sehr wie Sie für Gefangene. Übrigens, wem gilt denn Ihr besonderes Interesse?«

 

»Aber, aber! Nummer Sieben, der im Gefängnis von Pentonville sitzt«, sagte Broad lächelnd. »Ich habe so eine Ahnung, daß er auch Ihr Freund ist.«

 

»Nummer Sieben?« Lolas Erstaunen würde einen weniger abgehärteten Mann als Joshua Broad überzeugt haben müssen. »Ich glaube, das hat etwas mit den Fröschen zu tun?« sagte sie.

 

»Das stimmt!« antwortete Broad. »Fräulein Bassano, ich möchte Ihnen ein Anerbieten machen!«

 

»Machen Sie mir das Anerbieten, ein Auto holen zu wollen, ich bin sehr müde«, sagte sie.

 

Und als sie beide im Wagen saßen, fragte Lola: »Also, was ist es mit dem Anerbieten?«

 

»Ich biete Ihnen so viel an, wie Sie brauchen, um England zu verlassen und ein paar Jahre außer Landes zu leben, bis der alte Frosch verspielt hat. Und er wird verspielen. Ich habe Sie seit längerer Zeit beobachtet und bitte Sie, es nicht als Frechheit aufzufassen, wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie gern habe. Es ist etwas äußerst Anziehendes an Ihnen, nein, lassen Sie mich ausreden, ich bin nicht im Begriff, Ihnen den Hof zu machen. Ich habe Sie in irgendeiner Art von Mitleid lieb. Sie brauchen darüber nicht beleidigt zu sein, aber ich möchte nicht, daß Sie zu Schaden kommen.«

 

Er war sehr ernst. Sie erkannte seine Aufrichtigkeit, und die sarkastische Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, blieb unausgesprochen.

 

»Sind Sie wirklich so gänzlich desinteressiert?« fragte sie.

 

»Soweit es Sie selbst betrifft, völlig!« antwortete er. »Aber Lola, ich warne Sie. Es wird ein furchtbares Erdbeben stattfinden, und höchstwahrscheinlich werden Sie von den herumfliegenden Stücken getroffen werden.«

 

Sie antwortete nicht sofort, denn was er gesagt hatte, verstärkte bloß ihre eigene Unruhe.

 

»Vermutlich wissen Sie, daß ich verheiratet bin?«

 

»Ich ahnte es«, sagte er. »Nehmen Sie Ihren Mann mit. Und was wollen Sie mit dem kleinen Jungen machen?«

 

Es war merkwürdig, daß sie nicht einmal den Versuch machte, die Rolle, die sie spielte, zu verleugnen. Sie wunderte sich später selbst darüber. Aber Joshua Broad hatte so eine zwingende Überlegenheit, daß es ihr gar nicht einfiel, ihn täuschen zu wollen.

 

»Sie meinen Ray? Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich wünschte, daß er nicht dabei wäre. Ich habe ihn auf dem Gewissen. Lachen Sie?«

 

»Darüber, daß Sie ein Gewissen haben, nein. Ich dachte nur daran, was er wohl für Sie gefühlt haben mag? Und was bedeutet der Bart, den er sich wachsen ließ?«

 

»Darüber weiß ich nichts. Ich weiß nur, daß wir – aber warum erzähle ich Ihnen das alles? Wer sind Sie, Herr Broad?«

 

Er kicherte. »Eines Tages werden Sie es erfahren. Ich verspreche Ihnen, wenn Sie ein wenig mit sich reden lassen, so werden Sie es als erste erfahren. Behandeln Sie den Jungen gut, Lola.«

 

Sie verwehrte ihm nicht, daß er ihren Taufnamen gebrauchte, es nahm sie eher für den geheimnisvollen Mann ein.

 

»Und schreiben Sie an Herrn Bron, den Vizehauptaufseher im Gefängnis von Pentonville, und teilen Sie ihm mit, daß Sie aus der Stadt abberufen wurden und ihn in den nächsten zehn Jahren nicht sehen können.«

 

Sie gab keine Antwort. Er verließ sie an der Tür ihrer Wohnung und nahm ihre schmale Hand in die seine.

 

»Falls Sie Geld brauchen, um zu verreisen, werde ich Ihnen einen Blankoscheck schicken. Glauben Sie mir, es gibt keinen anderen Menschen auf der ganzen Erde, dem ich einen Blankoscheck geben würde.«

 

Lola nickte und hatte ungewohnte Tränen in ihren Augen.

 

Sie war nahe daran, unter ihrer Last zusammenzubrechen, und das wußte niemand besser als der Mann mit dem Raubvogelgesicht, der ihr nachsah, wie sie in ihre Wohnung eintrat.

 

Kapitel 28

 

28

 

Das Haus des Prinzen von Caux, das in Ezra Maitlands Besitz übergegangen war, war mit einem Aufwand erbaut, bei dem die Kosten keine Rolle gespielt hatten. Obwohl er als einer der schönsten Paläste Londons bekannt war, hatten doch nur wenige Fremde Gelegenheit gefunden, seine inneren Räume zu besichtigen.

 

In dem fürstlichen Salon mit seinen Säulen aus Lapislazuli, seinem aus Onyx und Silber geformten Kamin und den mit niederländischen Gobelins tapezierten Wänden, saß Ezra Maitland, in seinem großen Louis-XV.-Sessel zusammengesunken, ein Glas Bier vor sich, eine schwärzliche Tonpfeife zwischen den Zähnen. Auf dem kostbaren Perserteppich waren die Spuren seiner kotigen Stiefel zu sehen, und sein Hut verdeckte halb eine goldene Venus von Marrionet, die auf einem Sockel neben ihm stand.

 

Die Hände über seinem Bauch gefaltet, saß er wie eine Statue da und starrte unter seinen buschigen, weißen Augenbrauen auf den Fußboden hin. Die Vorhänge waren zugezogen, um das Tageslicht nicht einzulassen, und eine Stehlampe erleuchtete das Düster des Saales.

 

Herr Maitland zog mit Anstrengung das Glas Bier heran, das schon abgestanden war, und leerte dessen Inhalt. Nachdem er es wieder hingestellt hatte, sank er in seine frühere, starre Stellung zurück.

 

Es klopfte leise an die Tür, und ein Lakai in Puderperücke kam herein. »Drei Herren wünschen Sie zu sprechen, Herr Maitland. Hauptmann Gordon, Herr Elk und Herr Johnson!«

 

Der alte Mann fuhr auf. »Johnson?« fragte er. »Was will der?«

 

»Sie warten im kleinen Salon.«

 

»Lassen Sie sie rein««, brummte der Alte.

 

Die Gegenwart der beiden Polizeibeamten schien ihm gleichgültig. Es war Johnson, an den er das Wort richtete.

 

»Was wollen Sie da?« fragte er heftig. »Was soll das heißn, daß Sie bis daher kommen?«

 

»Die Anregung zu diesem Besuch kam von mir«, sagte Dick.

 

»So? Von Sie, so, so«, sagte der Alte, und seine Haltung war, mit der Niedergeschlagenheit von vorhin verglichen, merkwürdig kühn. Elks Augen fielen auf den leeren Bierkrug, und er hätte gern gewußt, wie oft dieser gefüllt worden war, seit Maitland nach Hause gekommen war. Denn im Ton des alten Mannes lag so viel Brutalität, seine Augen blitzten so trotzig, daß man auf mehr als bloße Aufregung schließen konnte.

 

»Ich werd auf keine Fragn nich antworten«, sagte er laut. »Ich werd nich die Wahrheit sagn un nich eine Lüge.«

 

»Herr Maitland«, sagte Johnson zögernd, »diese Herren möchten gern etwas über das Kind erfahren.«

 

Der alte Mann schloß die Augen.

 

»Ich werd nich die Wahrheit sagn und ich werd keine Lügen sagn«, wiederholte er monoton.

 

»Herr Maitland«, bat der gutmütige Elk, »ändern Sie Ihren Entschluß und sagen Sie uns, warum Sie in jenem elenden Quartier in der Eldorstraße gewohnt haben?«

 

»Keine Wahrheit nich und keine Lügen nich«, murmelte der Alte. »Einsperren könnt ihr mich, aber erzähln werd ich euch schon gar nichts. Sperrt mich ein, ich bin Ezra Maitland, ich bin‘ Millionär. Ich könnt euch aufkaufn. Ich könnt alle anderen auch aufkaufn, der alte Ezra Maitland bin ich. Im Strafhaus bin ich gewesn und im Loch bin ich gewesn, jaha!«

 

Dick und sein Gefährte tauschten einen Blick, und Elk schüttelte unmerklich den Kopf, um die Nutzlosigkeit einer weiteren Fragestellung anzudeuten. Nichtsdestoweniger machte Dick noch einen Versuch: »Warum sind Sie neulich des nachts nach Horsham gefahren?« fragte er. Er hätte sich aber gern im gleichen Augenblick die Zunge abgebissen, da er seinen Fehler merkte. Denn nun war der Alte ganz wach.

 

»Ich bin nicht in Horsham gewesn!« brüllte er. »Ich weiß nich, wovon man da quasselt! Ich werd euch nichts sagen! Überhaupt nichts! Schmeißn Sie die raus, Johnson!«

 

Als sie wieder auf der Straße standen, sagte Johnson: »Ich habe nie gewußt, daß er trinkt. Er war abstinent, solange ich ihn gekannt habe.«

 

Der Philosoph ging sehr niedergedrückt noch ein Stückchen Wegs mit ihnen. Wie er Elk mitteilte, mußte er morgen aus seiner Wohnung in Fitzroy Square ausziehen, um im Süden Londons zwei billige Zimmer zu bewohnen.

 

Gordon machte Elk ein Zeichen, Johnson zu verabschieden, und als dieser sie verließ, sagte er: »Wir müssen heute noch zwei von unseren Leuten in Maitlands Haus bringen. Aber was für Entschuldigungen können wir um Gottes willen erfinden, wenn wir sie hinkommandieren?«

 

»Ich weiß nicht«, gestand Elk und kratzte verzweifelt sein Kinn. »Bevor wir ihn verhaften, müssen wir ja erst eine Vollmacht haben. Wir können leicht eine Hausdurchsuchung durchsetzen, aber darüber hinaus können wir kaum gehen, falls er nicht selber um Schutz bittet.«

 

»Dann müssen Sie ihn verhaften!« antwortete Dick heftig.

 

»Ja, aber unter welcher Anklage?«

 

»Beschuldigen Sie ihn, mit Balder in Verbindung zu stehen. Bringen Sie ihn, wenn nötig, auf das Polizeikommissariat, aber es muß sofort geschehen.«

 

Elk geriet außer sich. »Es ist keine Kleinigkeit, einen ›Millionär‹ zu arretieren, müssen Sie wissen. In Amerika ist das vermutlich sehr einfach. Wie man mir gesagt hat, kann man dort den Präsidenten selbst festnehmen, wenn man ihn mit einem Fläschchen in der Tasche überrascht. Aber bei uns sieht es doch ein bißchen anders aus.«

 

Dick mußte feststellen, daß Elk im Recht gewesen war, als er versuchte, die nötigen Vollmachten zu erhalten.

 

Erst nachmittags um vier wurden ihm diese durch einen Beamten des widerstrebenden Gerichts ausgefolgt, und von Polizeibeamten begleitet, kehrten sie in Maitlands Palais zurück.

 

Der Lakai, der sie einließ, sagte ihnen, daß Herr Maitland sich zur Ruhe begeben habe und daß er es nicht wagen würde, ihn zu stören.

 

»Wo liegt sein Zimmer?« fragte Dick. »Ich bin Hilfsdirektor der Staatsanwaltschaft und muß ihn sprechen!«

 

»Im zweiten Stock.« Der Diener wies sie an den Lift, der sie ins zweite Stockwerk beförderte. Gegenüber dem Liftgitter, das Dick öffnete, lag eine große Doppeltür, die schwer poliert und kunstvoll vergoldet war.

 

»Sieht wie der Eingang in ein Theater aus!« murmelte Elk.

 

Dick klopfte. Keine Antwort.

 

Aber dann warf sich der junge Mann zu Elks Überraschung mit seiner ganzen Kraft gegen die Tür. Man hörte das Holz splittern und die Tür brach ein.

 

Dick blieb wie angewurzelt am Eingang stehen. Ezra Maitland lag auf seinem Bett, seine Beine fielen schlaff zur Seite herab. Ihm zu Füßen kauerte die niedergesunkene Gestalt der alten Frau, die er Mathilda genannt hatte.

 

Sie waren beide tot, und scharf riechender Qualm hing noch in blauer Wolke unter der Decke.

 

Kapitel 29

 

29

 

Dick stürzte an das Bett, und ein Blick auf die stillen Gestalten sagte ihm alles.

 

»Erschossen!« murmelte er und sah zu der Rauchwolke an der Decke auf. »Es kann auch schon vor einer Viertelstunde geschehen sein. Dieses Zeug hängt oft stundenlang in der Luft.«

 

»Halten Sie jeden Bediensteten im Hause fest!« befahl Elk halblaut seinen Leuten.

 

Sie traten durch einen Gang in ein kleines Schlafzimmer, das augenscheinlich von Maitlands Schwester bewohnt worden war.

 

»Der Schuß wurde hier vom Eingang aus abgefeuert«, sagte Dick. »Vermutlich hat man mit einem Schalldämpfer gearbeitet.« Er suchte auf dem Boden nach und fand zwei ausgeworfene Hülsen einer schwerkalibrigen, automatischen Pistole. »Das habe ich befürchtet. Wenn ich nur unsere Leute im Haus gehabt hätte!«

 

»Ja, haben Sie denn erwartet, daß man ihn umbringen wird?« fragte Elk erstaunt.

 

Dick nickte. Er untersuchte das Fenster im Zimmer der Frau. Es war offen, und unter ihm lief eine schwindelnd schmale Brüstung hin. Von ihr aus konnte man in ein anderes Zimmer desselben Stockwerks gelangen, und der Mörder hatte auch gar keinen Versuch gemacht, die Tatsache zu verbergen, daß er sich dieses Weges bedient hatte.

 

Es waren auf dem Fußboden feuchte Spuren zu sehen, und sie führten in das Gastzimmer, dessen Tür sich auf den Treppenflur öffnete, einer Anzahl von schmalen Stufen gegenüber, die zu den Dienerzimmern im Oberstock führten.

 

Elk kniete nieder und prüfte sorgfältig die Spuren auf dem Boden. Der dritte Stock bestand ausschließlich aus Dienerzimmern, und sie konnten die Spuren geradeaus bis zu Nummer Eins verfolgen. Elk drückte die Klinke nieder, aber die Tür war verschlossen.

 

Dick trat einen Schritt zurück, hob den Fuß und trat sie ein. Das Zimmer war leer. Ein Bodenfenster öffnete sich auf das geneigte Dach, und ohne einen Augenblick zu zögern, schwangen Elk und Dick sich hinaus, um dem schmalen Gang zu folgen.

 

Als sie eine Strecke auf allen vieren gekrochen waren, wurde der Weg durch ein eisernes Geländer geschützt, und sie vermochten sich aufzurichten. Augenscheinlich war dies einer der Fluchtwege des Palais bei Feuergefahr.

 

Sie liefen atemlos über die Dächer hin, bis sie zu einer kurzen eisernen Treppe kamen, die auf das flache Dach eines vierten Hauses und zu einem Feuerausgang führte. Jetzt stand die eiserne Tür offen, und sie rannten die Treppe hinunter, bis sie in einen Hof gelangten, der an drei Seiten von hohen Feuermauern und an der vierten von der Hinterseite eines Hauses umgeben war.

 

Das Haus schien nicht bewohnt, denn an allen Fenstern waren die Jalousien herabgelassen. In der dritten Mauer stand ein Tor weit offen. Und als die beiden Verfolger es durchlaufen hatten, befanden sie sich in einem Stallgebäude.

 

Ein Mann war gerade damit beschäftigt, ein Auto zu waschen. Und sie eilten auf ihn zu.

 

»Ja, Herr!« sagte«der Mann und wischte sich mit dem Handrücken die schweißtriefende Stirn, »ich habe vor fünf Minuten einen Mann herauskommen sehen, der es sehr eilig gehabt hat. Einen Diener oder einen Lakaien, ich habe ihn aber nicht erkannt.«

 

»Hat er einen Hut getragen?«

 

Der Mann dachte nach. »Ich glaube ja, Herr«, sagte er. »Er ist dort hinausgelaufen.«

 

Er wies ihnen die Richtung, und Gordon und Elk eilten weiter und bogen in die Berkeley Straße ab.

 

Als sie verschwunden waren, wendete sich der Wagenwäscher nach der versperrten Tür seiner Garage und pfiff leise.

 

Langsam öffnete sich die Tür, und Joshua Broad kam hervor.

 

»Danke Ihnen schön!« sagte er, und eine neue knisternde Banknote glitt in die Hand des Mannes.

 

Broad war längst verschwunden, als Gordon und Elk von ihrer vergeblichen Suche zurückgekehrt waren.

 

Nach Dicks Meinung konnte kein Zweifel herrschen, wer der Mörder gewesen war, denn es fehlte einer der Lakaien. Sechs Diener waren brave Leute von untadeligem Charakter. Der siebente aber war zur selben Zeit wie Herr Maitland ins Haus gekommen, und obgleich er die Livree des Lakaien trug, so schien es doch, als habe er vorher nicht die geringste Erfahrung in den zu verrichtenden Pflichten gesammelt. Er war ein unbeliebter Mann, der sich abseits der anderen Dienerschaft hielt und keine Sekunde länger im Dienerzimmer blieb, als es nötig war.

 

»Offenbar ein Frosch!« sagte Elk und war außer sich vor Freude, zu hören, daß eine Fotografie des Mannes existierte, die ihren Ursprung in einem weitschweifigen und harmlosen Witz, dessen Objekt die Köchin war, hatte. Der Spaß hatte darin bestanden, daß man im Arbeitskorb der Köchin eine Fotografie des häßlichen Mannes auffinden sollte, zu welchem Zwecke der jüngste Lakai eine Momentaufnahme gemacht hatte.

 

»Kennen Sie ihn?« fragte Dick, indem er das Bild betrachtete. Elk nickte. »Er ist schon durch meine Hände gegangen, und ich glaube nicht, daß es mir schwerfallen wird, mich seiner zu erinnern, obgleich mir für den Moment sein Name entfallen ist.«

 

Die Nachforschungen im Statistikbüro offenbarten bald die Identität des Flüchtlings, und es erschien eine Vergrößerung des Bildes, der Name des Dieners, die Namen, die er früher getragen hatte, und die allgemeinen Charakteristika in allen Abendblättern.

 

Einer der Diener gab an, den Schuß gehört zu haben. Aber er war der Meinung gewesen, es sei nur eine Tür zugeschlagen worden, ein verzeihlicher Irrtum, denn Herr Maitland besaß die Gewohnheit, alle Türen schmetternd zuzuschlagen.

 

»Maitland war ein ganz richtiggehender Frosch«, berichtete Elk, nachdem er den Leichnam in die Totenhalle hatte überführen lassen. »Auf dem linken Handgelenk ist er wunderschön dekoriert; der Frosch sitzt ordnungsgemäß ein bißchen schief. Nebenbei gesagt, ist das einer der Punkte, den Sie mir nie geklärt haben, Hauptmann Gordon. Warum es schick ist, auf dem linken Handgelenk tätowiert zu sein, das kann ich noch verstehen, aber warum der Frosch nicht gerade tätowiert wird, das wird mir nie klarwerden.«

 

Der vermißte Lakai hatte am Nachmittag ein Telegramm erhalten. Man entsann sich dessen erst, nachdem Elk in die Polizeidirektion zurückgekehrt war.

 

Ein Telefonanruf beim Bezirkspostamt brachte eine Kopie der Drahtnachricht. Sie lautete sehr einfach: »Schlußmachen und verschwinden!« Das waren die drei Worte ihres Inhalts.

 

Die Botschaft trug keine Unterschrift. Sie war um zwei Uhr beim Hauptpostamt aufgegeben worden, und der Mörder hatte keine Zeit verloren, seine Instruktionen auszuführen.

 

Maitlands Büro war in Händen der Polizei, und eine systematische Untersuchung der Dokumente und Bücher war im Gange. Um sieben Uhr abends begab sich Elk nach Fitzroy Square, und Johnson öffnete ihm mit erstaunter Miene die Tür. Elk sah den Gang mit Möbeln und Packkisten angefüllt und erinnerte sich, daß Johnson ihn am frühen Morgen von seinem bevorstehenden Umzug unterrichtet hatte.

 

»Sie haben schon gepackt?«

 

Johnson nickte. »Ich gehe sehr ungern von hier fort«, sagte er. »Aber es ist hier leider viel zu teuer für mich. Es scheint, als ob ich nie eine andere Stellung bekommen soll, und ich möchte dieser Möglichkeit vernünftig ins Gesicht sehen. Wenn ich in Balham wohne, kann ich recht bequem leben, und ich habe nicht viel kostspielige Liebhabereien.«

 

»Und wenn Sie sie haben, so können Sie ihnen jetzt nach Belieben frönen«, sagte Elk. »Wir haben das Testament des Alten gefunden. Er hat ihnen alles vermacht.«

 

Johnson riß Mund und Augen auf. »Machen Sie einen Witz?« fragte er.

 

»Ich war noch nie in meinem Leben so ernst. Der Alte hat Ihnen alles, bis auf den letzten Penny, vermacht. Hier ist eine Testamentsabschrift. Ich dachte mir, daß Sie sie gern sehen würden.« Er öffnete seine Brieftasche, zog ein Papier heraus, und Johnson las:

 

»Ich, Ezra Maitland, wohnhaft in Eldorstraße Nummer 193, Grafschaft Middlesex, erkläre dies als meinen Letzten Willen und verfüge formell, daß alle anderen Testamente und Kodizille zugunsten dieses hier für ungültig erklärt werden. Ich vermache meinen ganzen beweglichen und unbeweglichen Besitz, alle Ländereien, Häuser, Urkunden, Anteile an Aktiengesellschaften jeglicher Art, alle Anwartschaften, allen Schmuck, Autos, Wagen, also meine ganze gesamte Habe ausschließlich Philipp Johnson, Fitzroy Square Nummer 431, Beamter in London. Ich erkläre, daß er der einzige ehrliche Mensch ist, den ich je in meinem langen, kummervollen Leben angetroffen habe, und ich weise ihn an, sich mit der unermüdlichen Sorgfalt der Vernichtung der Organisation zu widmen, die als jene der Frösche bekannt ist und die vierundzwanzig Jahre lang große Summen von mir erpreßt hat.«

 

Es war in einer Johnson vertrauten Handschrift unterzeichnet und von zwei Zeugen gegengezeichnet, deren Namen er kannte. Johnson setzte sich nieder und schwieg eine lange Zeit hindurch. »Ich habe in den Abendblättern von seiner Ermordung gelesen«, sagte er nach einer Weile. »Ich bin auch zum Haus hingegangen, aber die Polizisten haben mich an Sie gewiesen, und ich wußte, daß Sie viel zu sehr beschäftigt waren, als daß ich Sie hätte stören dürfen. Wie ist er getötet worden?«

 

»Erschossen!« sagte Elk.

 

»Haben Sie den Mann gefangen?«

 

»Wir werden ihn wohl morgen früh haben«, sagte Elk mit Überzeugung. »Jetzt, da Balder sitzt, gibt es ja niemanden, der die Frösche warnt, wenn wir ihnen nachstellen.«

 

»Es ist wirklich schrecklich«, sagte Johnson nach einer Pause. »Aber das hier«, und er sah das Papier an, »hat mir den Rest gegeben. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Hätte er es doch nicht getan«, seufzte Johnson mit Ausdruck. »Ich hasse so große Verantwortung. Mein Temperament ist nicht danach angetan, daß ich so große Geschäfte zu führen vermöchte. Nein, ich wollte wirklich, er hätte es nicht getan.«

 

»Nun, wie hat er es aufgenommen?« fragte Dick, als Elk zurückkehrte.

 

»Er ist absolut kopfscheu geworden«, sagte Elk. »Armer Teufel! Er hat mir geradezu leid getan, und ich hätte in meinem Leben nicht geglaubt, daß mir einer leid tun könnte, der zu so einem Haufen Geld gekommen ist. Er war gerade im Begriff, in die billigere Wohnung umzuziehen, als ich ankam. Er wird wohl nicht in das Palais des Prinzen von Caux übersiedeln. Aber die Veränderung in Johnsons Lebensführung mag wohl auch eine solche für Ray Bennett zur Folge haben, haben Sie das bedacht, Herr Hauptmann?«

 

»Ja, ich habe an diese Möglichkeit schon gedacht«, sagte Dick kurz.

 

Am Nachmittag hatte Dick eine Unterredung mit dem Chef der Staatsanwaltschaft, die auf Balder Bezug hatte. Der Chef stimmte seinen eigenen Befürchtungen bei.

 

»Ich sehe keine Möglichkeit, wie wir ein auf Mord lautendes Urteil erzielen sollen«, sagte er. »Obgleich es so klar war, wie das Tageslicht ist, daß er Mills vergiftet hat und für das Bombenattentat verantwortlich ist. Aber man kann jemanden nicht auf bloßen Verdacht hin hängen. Sogar dann nicht, wenn der Verdacht nicht den geringsten Zweifel übrig läßt. Wie meinen Sie wohl, hat er Mills umgebracht?«

 

»Mills war erkältet«, sagte Dick. »Er hat schon den ganzen Weg im Auto gehustet und Balder gebeten, das Fenster zu schließen. Balder hat das Fenster geschlossen und dem Mann eine Blausäuretablette zugesteckt, indem er vorgab, daß es ein Mittel gegen Erkältung wäre. Es war durchaus natürlich für Mills, die Pastille zu nehmen. Ich bin ganz sicher, daß es sich so abgespielt hat. Wir haben Balders Haus in Slough durchsucht und ein Duplikat des Schlüsselbundes gefunden, darunter auch einen Schlüssel zu Elks Safe. Balder kam zeitig am Morgen her und legte die Bombe, da er wohl wußte, daß Elk die Taschen nochmals öffnen würde.«

 

»Und dann hat er Hagn zur Flucht verholfen«, meinte der Staatsanwalt.

 

»Und das war noch viel einfacher«, erklärte Dick. »Ich vermute, daß der Inspektor, den man um halb drei Uhr hinausgehen gesehen hat, Hagn war. Als Balder in die Zelle eingelassen wurde, hatte er unter seinen Kleidern die Inspektoruniform getragen und hatte die nötigen Handschellen und Nachschlüssel mit. Er ist ja nicht untersucht worden. Und dafür bin ich ebenso verantwortlich wie Elk. Die Hauptgefahr, in der wir schweben, bestand in Balders Intimität mit uns und der Möglichkeit, dem Frosch sofort jede Bewegung, die wir machten, mitzuteilen.

 

Sein Name ist Kramer. Er ist gebürtiger Litauer. Er wurde aus Deutschland im Alter von achtzehn Jahren revolutionärer Umtriebe wegen ausgewiesen, zwei Jahre später kam er nach England, wo er eine Stellung bei der Polizei zu erhalten wußte. Wann er mit den Fröschen in Kontakt kam, weiß ich nicht. Aber es ist durch Beweise erhärtet worden, daß der Mann in verschiedene ungesetzliche Operationen verwickelt war. Ich fürchte, daß es ungeheuer schwer halten wird, ihn des Mordes zu überführen, bevor wir nicht den Frosch selbst gefangen haben.«

 

»Und wagen Sie wirklich zu hoffen, daß Sie den Frosch fangen werden, Hauptmann Gordon?«

 

Dick Gordon verbeugte sich und lächelte.

 

Über den Mord an Maitland und seiner Schwester liefen keine neuen Nachrichten ein, und Dick benützte die kurze Ruhepause mit Enthusiasmus.

 

Ella Bennett war gerade im Gemüsegarten mit der prosaischen Aufgabe des Kartoffelausgrabens beschäftigt, als Dicks Auto vor dem Gartentor hielt. Ella streifte ihre ledernen Handschuhe ab, während sie ihm entgegenlief.

 

»Das ist ja eine herrliche Überraschung!« sagte sie und wurde rot als ihr ihre eigene Freude bewußt wurde. »Es muß jetzt eine schreckliche Zeit für Sie sein. Ich habe heute morgen die Zeitungen gelesen. Ist es nicht entsetzlich? Der arme Herr Maitland! Er ist zweimal hier gewesen und war jedesmal völlig verzweifelt.«

 

»Wissen Sie, daß er Herrn Johnson sein ganzes Vermögen vermacht hat?«

 

»Aber das ist doch herrlich!« jubelte Ella.

 

»Mögen Sie Herrn Johnson so gut leiden?« sagte er.

 

»Ja, er ist ein netter Mensch«, nickte sie.. »Ich kenne ihn ja nicht allzu gut, aber er war immer sehr lieb zu Ray und hat ihm viel Unannehmlichkeiten erspart. Ob er wohl jetzt, da ihm das Bankhaus gehört, Ray bewegen wird, zu den Vereinigten Maitlands zurückzukehren?«

 

»Ich möchte wissen, ob er Sie dazu bewegen wird . . .« Er stockte.

 

»Wozu?« fragte sie erstaunt.

 

»Johnson hat Sie sehr gern. Er hat diese Tatsache nie verheimlicht. Und jetzt ist er ein sehr reicher Mann. Nicht, daß ich glaube, daß es für Sie einen Unterschied ausmachen würde!« fügte er hastig hinzu. Und dann sagte er leise: »Ich bin nicht reich, aber. . .«

 

Die zarten Finger, die er mit seiner Hand umschloß, preßten die seinen in kurzem Druck, dann aber ließen sie plötzlich los.

 

»Ich weiß nicht«, sagte sie und wendete sich ab, »Vater hat gesagt. ..« Sie zögerte. »Ich weiß nicht, ob Vater damit einverstanden wäre. Er glaubt, daß in unserer gesellschaftlichen Stellung ein so riesiger Unterschied liegt.«

 

»Unsinn!« sagte Dick ungezogen.

 

»Und dann ist da noch etwas.« Es kostete sie Anstrengung zu sagen, was es war. »Ich weiß nicht, was Vater für einen Beruf hat, aber es muß eine Arbeit sein, über die er nie sprechen will. Etwas, das er selbst als entehrend ansieht.«

 

Die letzten Worte sprach sie so leise, daß er sie kaum hörte.

 

»Nun, und vorausgesetzt, daß ich das Schlimmste über Ihren Vater wissen würde?«

 

Sie trat zurück und sah ihn mit gerunzelten Brauen an.

 

»O Gott, was ist es, Dick?«

 

Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht weiß ich gar nichts, es ist nur eine wilde Vermutung. Aber Sie dürfen nichts darüber sagen, daß ich etwas weiß oder in irgendeiner Weise Verdacht geschöpft habe. Wollen Sie mir, bitte, diesen Gefallen tun?«

 

»Und wenn Sie alles wüßten, würde sich dann irgend etwas verändern?« fragte sie mit schwacher Stimme.

 

»Nicht das geringste.«

 

Er schlang seinen Arm um ihre zuckenden Schultern und legte seine Hand unter ihr Kinn.

 

»Mein Liebling«, murmelte er, und der jugendliche Staatsanwalt vergaß, daß es den Mord auf der Welt gab.

 

John Bennett freute sich, Dick zu sehen, weil er ihm gern eine Neuigkeit mitteilen wollte, die für ihn einen Triumph bedeutete. Er zeigte Dick Zeitungsausschnitte, die den Titel »Wundervolle Naturstudien«, »Bemerkenswerte Filmaufnahmen eines Amateurs!« trugen. Auch hatte er einen Scheck erhalten, dessen Höhe ihm den Atem verschlug.

 

»Sie wissen gar nicht, was das für mich bedeutet, Gordon«, sagte er. »Pardon, Hauptmann Gordon. Ich vergesse immer, daß Sie einen militärischen Titel haben. Wenn mein Junge nur seine Besinnung erlangt und nach Hause zurückkehrt, so soll es ihm ganz so gut gehen, wie er es sich immer gewünscht hat. Er ist in einem Alter, in dem die meisten Jungen Narren sind.«

 

Es erleichterte Dick, den alten Mann so sprechen zu hören.

 

»Wenn es so fortgeht, werde ich heute in einem Jahr ein Künstler sein, der nur dem eigenen Vergnügen lebt«, sagte John Bennett, den die Freude um zehn Jahre verjüngt hatte.

 

Er hatte einen Besuch in Dorking zu machen. Anscheinend wurden die Briefe, die sich auf seine mysteriösen Ausflüge bezogen, für ihn nach jener Stadt adressiert. Dick bot ihm an, ihn im Auto hinüberzufahren, aber Bennett wollte davon nichts wissen. Dick verließ Horsham mit viel leichterem Herzen, als er in die kleine Stadt gekommen war.