Kapitel 8

 

8

 

Hinten auf der Straße tauchten zwei schwache Lichter auf. Es waren die Scheinwerfer eines heranfahrenden Autos.

 

Jim stolperte, ging dann näher zu den Klippen und fand dort ein Versteck. Super trat dicht an seine Seite. Lattimer lag flach auf dem Boden hinter ihm. Der Wagen kam schnell näher. Jim hatte eine so rasche Fahrt auf dieser schlechten Straße für unmöglich gehalten. Als der kleine, offene Wagen vorbeisauste, sah er undeutlich eine dunkle Silhouette – eine Frau mit einem breitkrempigen Hut, die sich nach vorne neigte, damit ihr der Regen nicht ins Gesicht schlug.

 

Nach ein paar Sekunden fuhr das Auto durch eine der Öffnungen in der Umfassungsmauer und stand vor der Haustür still.

 

»Sie öffnet die Tür«, flüsterte Jim, als das Knarren eines Schlüssels durch den Wind zu ihnen herübergetragen wurde.

 

Super war ganz still. Erst als sie hörten, wie die Tür zugeworfen wurde, erhob sich Super.

 

»Nicht sprechen!« flüsterte er seinen Begleitern warnend zu und ging auf das Gebäude zu.

 

Der Wagen stand direkt vor der Haustür. Super wand sich wie eine Katze, ging vorsichtig heran und fühlte den Kühler an. Er war mit dem Resultat zufrieden. Dann ging er um das Haus herum auf die Rückseite. Kein Laut kam aus dem Innern des Hauses, kein Licht war sichtbar. Als er zur Tür zurückkam, sah er das geöffnete Vorhängeschloß lose herabhängen. Er beugte sich vor und horchte angestrengt. Aber er hörte nichts. Dann kehrte er wieder zu den beiden Männern zurück, die er an der Mauer zurückgelassen hatte.

 

»Es muß noch jemand anders kommen«, sagte er. »Sie bleibt hier nicht über Nacht … Sie hat irgend etwas Besonderes vor.«

 

Sie gingen zu den Felsen zurück, hinter denen sie sich versteckt hatten, und warteten auf das, was sich ereignen sollte. Eine Viertelstunde verging, eine halbe Stunde – dann hörten sie, wie sich die Tür öffnete und wieder schloß und wie das Vorhängeschloß wieder befestigt wurde.

 

»Sie bleibt nicht da.« Super war erstaunt. Man hörte aus dem Ton seiner Stimme, wie enttäuscht er war. »Zum Donnerwetter treten Sie in Deckung! Sie blendet ihre Scheinwerfer ganz hell auf!«

 

An dem kleinen Wagen, der bis dahin unsichtbar war, strahlten plötzlich für eine Sekunde zwei helle, weiße Lichtkegel auf, dann wurden sie sofort wieder abgeblendet. Der Wagen fuhr durch die Öffnung in der Umfassungsmauer heraus und wandte sich auf der Straße wieder ihnen zu. Sie hatten kaum genügend Zeit, sich zu verbergen, als die Scheinwerfer plötzlich wieder hell aufleuchteten. Wieder konnten sie den vorwärtsgebeugten Kopf und den Hut mit dem breiten Rand erkennen. Dann war das Auto an ihnen vorbei, und sie sahen nur noch den schwachen Schimmer des Schlußlichtes.

 

Super trat vor und war sehr mißgestimmt.

 

»Ich muß um Entschuldigung bitten«, sagte er. »Beide – sowohl Schlußfolgerung als auch Psychologie – sind eitle Dirnen, die einen im Stich lassen und verraten. Sie geht ins Haus und kommt wieder heraus, verschwindet – kein Mensch weiß, woher und wohin. Wenn wir ein wenig Glück hätten, wäre es möglich, sie einzuholen und ihrer Spur zu folgen, um festzustellen, wo sie sich wirklich aufhält.«

 

Sie mußten noch eine Strecke gehen, bevor sie Jims Wagen erreichten. Aber inzwischen hatte sich etwas Unangenehmes ereignet – einer der Reifen war undicht geworden, und man mußte das Rad wechseln. Sie beeilten sich, aber als sie fertig waren, konnten sie den Ford nicht mehr einholen.

 

In Groß-Pawsey setzten sie den Schutzmann des Ortes durch ihre Fragen in Erstaunen; aber er konnte ihnen keine Auskunft geben. Er hatte wohl zwei Wagen kommen sehen, aber bis zu diesem Augenblick war noch keiner wieder zurückgefahren.

 

»Ich lasse Sie hier, Lattimer – es ist möglich, daß man Sie hier verhaftet, aber ich brauche jemand auf Wachtposten.«

 

Sie fuhren im Sturm nach Horseham zurück. Die Donner rollten schwer, als Jim todmüde seinen Wagen vor Supers Büro zum Stehen brachte.

 

»Kommen Sie herein und trinken Sie Kaffee mit mir«, sagte Super, der sich während des ganzen Rückweges zur Stadt in Schweigen gehüllt hatte. »Ich glaube, daß ich besser denken kann, wenn ich nicht im Regen bin. Es tut mir sehr leid, daß ich Sie wegen dieser nichtssagenden Angelegenheit mitgenommen habe, Mr. Ferraby. Großfuß – hm – möglicherweise haben wir den Kerl verpaßt.«

 

Super saß durchnäßt in seinem Stuhl, und sein Gesicht nahm einen harten Ausdruck an.

 

»Ich bin wirklich nicht zufrieden. Sie kann nicht nach Pawsey gefahren sein – ich habe auf die Radspuren geachtet, als wir durchfuhren. Sie ist auch nicht durch Groß-Pawsey gefahren der aufmerksame Beamte hat keinen Ford zurückkommen sehen, und ich glaube ihm durchaus. Er ist ein braver Mann; ich hatte ihn bei mir in einem Fall, als ich noch in Scotland Yard beschäftigt war. Sie ist nicht nach Pawsey gekommen, darauf will ich schwören. Wir fuhren doch über das letzte Ende der Straße, als ich Sie halten ließ. Die Straße ist sehr hell erleuchtet, und es waren überhaupt keine Autospuren zu sehen. Es ist möglich, daß Lattimer mir Neuigkeiten berichtet – ich habe ihn gebeten, mich anzurufen.«

 

In diesem Augenblick kam der Sergeant vom Dienst herein.

 

»Es wünscht Sie jemand aus Groß-Pawsey zu sprechen, Herr Oberinspektor.«

 

Super stand von seinem Stuhl auf und begab sich zu dem altmodischen Wandtelefon im anstoßenden Wachraum.

 

»Lattimer ist hier, Super. Ich habe den Fordwagen aufgefunden.«

 

»Wo?«

 

»Oben auf der Höhe der Klippe – er muß von dem Weg, der unten an der Küste entlangführt, abgebogen sein. Der Platz heißt Seahill.«

 

»Waren die Lampen an oder aus?« fragte Super schnell.

 

»Aus – dann war da noch etwas Merkwürdiges – quer über die Rückwand stand mit Kreide das Wort ›Großfuß‹ geschrieben.«

 

»Großfuß? Wie? Sonst noch etwas? War niemand bei dem Wagen?«

 

»Nein!«

 

Supers Gedanken arbeiteten schnell.

 

»Wecken Sie den Sergeanten des Ortes und rufen Sie den Polizeichef in Pawsey an. Sie können auch noch den Höhenrand der Klippen absuchen und die Straße, die unterhalb vorbeiführt, ob Sie jemand finden. Ich werde schnell zurückkommen. Haben Sie das Haus weiter beobachtet? – Gut!«

 

Er hängte den Hörer wieder ein und wiederholte Jim den Hauptinhalt der Nachrichten des Beamten.

 

»Ich muß sofort wieder hin, um nachzusehen; aber ich muß es erst mit Scotland Yard ausmachen. Gehen Sie und sehen Sie zu, ob Sie Cardew finden können, und holen Sie von ihm die Schlüssel des Hauses. Kommen Sie so schnell wie möglich zurück.« Mr. Gardew hatte eine kleine Wohnung in der Nähe von Regent ’s Park, wo er sich aufhalten konnte, wenn er eine Nacht in der Stadt zubrachte.

 

Jim hatte Glück; denn die äußeren Türen solcher Wohnungen sind um Mitternacht verschlossen, und es ist nur möglich, hineinzukommen, wenn man alle zwölf Familien im Hause aufweckt. Aber zufällig kam er gerade in dem Augenblick an, als eine lustige Gesellschaft aus einem Tanzklub zurückkehrte. Er stieg die Treppe zum dritten Stockwerk hinauf, wo Mr. Cardews Wohnung war.

 

Der Anwalt hatte einen leichten Schlaf, und als Jim zum zweitenmal an die Tür klopfte, sah er, wie Licht in dem Gang gemacht wurde und sich die Tür so weit öffnete, wie es die vorgelegte Sicherheitskette gestattete.

 

»Um Himmels willen, Ferraby!« sagte Cardew, als er die Kette löste. »Treten Sie näher. Was in aller Welt bringt Sie um diese Stunde zu mir?«

 

In kurzen Worten erzählte ihm Jim von dem Abenteuer dieser Nacht.

 

»Sicherlich werden Sie mir unter diesen Umständen verzeihen, daß ich Minter von dem Drohbrief erzählte. Ich glaube, er hält die Sache für sehr wichtig.«

 

Mr. Cardew strich sich erregt durch das zerzauste Haar.

 

»Kam sie erst so spät in der Nacht?« fragte er vollständig verwirrt. »Aber sie ist doch aus Barley Stack schon kurz nach elf heute morgen abgefahren! Wo ist sie jetzt?«

 

»Das will Minter ja gerade entdecken«, sagte Jim. »Der Wagen wurde verlassen aufgefunden, und das Wort ›Großfuß‹ war quer auf die Rückwand des Wagens geschrieben. Super denkt, daß es eine Irreführung sein könnte. Die Lokalpolizei sucht in diesem Augenblick die Küste und die Klippen ab, um – geradeheraus gesagt – um ihre Leiche zu finden.«

 

Cardew konnte nur den Kopf schütteln.

 

»Das kann ich nicht glauben, es ist zu – zu entsetzlich. Ich habe Reserveschlüssel zu dem Hause, aber sie befinden sich in meinen Büroräumen im Temple. Warten Sie so lange, bis ich mich angezogen habe – haben Sie Ihren Wagen hier? Wenn nicht, so wäre es besser, wenn Sie eine Taxe besorgten.«

 

Schon nach wenigen Minuten hatte er sich angezogen, und als er wieder zu Jim trat, war er für eine lange Fahrt gerüstet.

 

»Natürlich muß ich mit Ihnen gehen«, sagte er ruhig. »Ich muß wissen, was mit Hanna passiert ist.«

 

Schnell fuhren sie zum Temple. Cardew ging durch das Tor und kam bald mit einem Schlüsselbund zurück.

 

»Sie sind an diesem Ring; ich habe sie nicht erst ausgesucht, das können wir später tun.«

 

Wenn Super erstaunt war, als er den verzweifelten Amateurdetektiv sah, so ließ er es sich doch nicht merken.

 

»Oben auf der Klippe oder unten ist nichts gefunden worden. Geben Sie mir die Schlüssel, Mr. Cardew.«

 

Der Anwalt suchte sie heraus und löste sie vom Ring.

 

»Gibt es noch andere Schlüssel außer diesen – ich meine, gibt es noch mehr Nachschlüssel?«

 

»Nein, es hat immer nur zwei Sätze gegeben. Einen gab ich stets den Leuten, die das Haus mieteten oder benutzen wollten, und der andere Satz wurde in meinem Büro aufbewahrt. Dieser Satz ist niemals benutzt worden.«

 

Kurz bevor sie sich auf den Weg nach Süden machten, nahm Super Jim beiseite.

 

»Ich werde einen Mann nach Hill Brow schicken, um Elson ausfindig zu machen. Er ging letzte Nacht um neun Uhr fort und ist noch nicht zurückgekommen. Er nahm seinen Rolls-Zweisitzer – sein Chauffeur war nicht bei ihm. Ich sage Ihnen das – vielleicht hören Sie mehr davon, wenn der Fall vor den Staatsanwalt kommt. Kennen Sie Cardews Gärtner?«

 

»Sie haben sich gestern nach ihm erkundigt?«

 

»Ja«, sagte Super und sprach nicht weiter davon.

 

Jim ergriff das Steuer, und wieder sauste der lange Wagen die Horseham Road hinunter, aber diesmal mit weniger Vorsicht, denn die Straße war leer. Horseham selbst lag öde und verlassen da. Der Sturm hatte sich endlich gelegt, die Sterne kamen zwischen den zerrissenen Wolken durch, und nach etwa einer Stunde hielt der Wagen vor dem kleinen Gebäude, das dem Dorfsergeanten als Wohnung diente und die wenigen Strolche einschloß, die die Gesetze von Groß-Pawsey überschritten.

 

Der Sergeant und zwei Detektive aus dem bedeutenderen Pawsey erwartete sie.

 

»Wir haben nichts gefunden«, berichtete der Sergeant. »Aber einer der Dorfleute sah eine Frau dem Seeweg zu und den Hügel hinuntergehen.«

 

»Wann war das?«

 

»Ungefähr vor zwei Stunden. Er sagte, daß sie aus der Richtung des Bahnhofs kam – von Pawsey Station, die mitten zwischen hier und der Stadt liegt. Der letzte Zug von London hält dort; aber ich habe den Stationsbeamten nicht finden können.«

 

»Sie ist überhaupt nicht von der Bahn gekommen«, sagte Super. »Das hat sie vielleicht vorgetäuscht. Benutzen Sie immer diese Haltestelle, Mr. Cardew?«

 

»Während des Krieges bin ich einmal dort gewesen. Gewöhnlich fahre ich bis zur Endstation, wenn ich die Bahn benütze, und fahre dann mit dem Omnibus hinaus.«

 

»Hatte Hanna Shaw die Gewohnheit, mit der Bahn zu kommen?«

 

Cardew schüttelte den Kopf.

 

Der herrenlose Wagen war nicht fortgebracht worden, wie ihnen der Sergeant erzählte, und sie fanden ihn in der Verfassung, wie sie der Polizist geschildert hatte. Es war leicht zu verstehen, warum sie ihn auf ihrem Weg nach Pawsey nicht bemerkt hatten. Der Wagen war auf einen kleinen Hügel hinauf und auf der anderen Seite den Abhang hinuntergefahren worden, so daß er von der Straße aus nicht sichtbar war.

 

Mit Hilfe seiner Lampe prüfte Super das Auto sorgfältig. Die mit Kreide auf die Rückseite geschriebene Inschrift schien den alten Polizeibeamten nicht zu interessieren, obwohl sich Mr. Cardew darüber aufregte.

 

»Es ist keine weiße Kreide – sie ist grün!« sagte der Anwalt. »Billardkreide!«

 

»Vielleicht werden wir sie in einem Billardsalon finden«, brummte Super. »Wir wollen das Queue suchen!«

 

Woraufhin Mr. Cardew erhaben schwieg.

 

Supers Hauptaugenmerk wandte sich dem Wageninnern zu. Auf dem Trittbrett stehend, ließ er das Licht seiner Lampe langsam über den Boden und die Sitze gleiten.

 

»Der Sitz ist verkratzt – auch das Leder zeigt neue Kratzer und ist ganz sauber. Kein Schmutz an der Fußbremse oder an der Kupplung. Hieraus kann man nichts schließen.«

 

Sie kamen zu Jims Wagen zurück.

 

»Waren Sie unten beim Haus, Sergeant?« fragte Super, und Lattimer bejahte.

 

»Es ist niemand dort. Der Platz ist bewacht, seit Sie ihn verließen – auch jetzt steht noch ein Mann Wache dort.«

 

Super stieg in den Wagen und ließ sich an Jims Seite nieder. Die Lokalbeamten der Polizei stellten sich auf die Trittbretter. So fuhr der Wagen den Hügel hinunter und bog in die Küstenstraße ein. Diesmal fuhr er direkt zum Haus, und alle stiegen aus.

 

»Wie schrecklich unheimlich!« sagte Cardew schaudernd. »Ich habe niemals bemerkt, wie einsam und verlassen mein Besitztum hier ist.«

 

Der Wagen wurde auf Supers Wink so zum Stehen gebracht, daß die großen Scheinwerfer auf die Tür fielen.

 

»Das Vorhängeschloß ist hier. Hanna ist nicht da.«

 

Auf Super machte diese Entdeckung keinen Eindruck.

 

»Ich habe auch nie erwartet, daß sie hier sei«, sagte er. »Aber sie war vorher hier. Sie kam aus einem ganz bestimmten Grund. Hatte sie noch etwas von ihren Sachen in dem Haus, Mr. Cardew?«

 

Der Anwalt schüttelte den Kopf.

 

»Nichts – es könnte höchstens sein, daß sie heute etwas gekauft und hergebracht hätte.«

 

»Heute hat sie nichts hierhergebracht«, erwiderte Super eindringlich. »Hatte sie irgend etwas in einem Bücherschrank oder in einer Kommode?«

 

»Soviel ich weiß, nicht.«

 

Super steckte den Schlüssel ins Loch und drehte um. Die Tür war außerdem noch einmal verschlossen, und als sie offen war, leuchtete Super mit seiner Taschenlampe in das düstere Innere.

 

Sie kamen in eine kleine Vorhalle. An der anderen Seite war eine zweite Tür, deren obere Hälfte aus Glasscheiben bestand und die sich öffnete, als Super dagegen drückte. Sie führte in einen Gang, der von der Vorder- bis zur Rückseite des Hauses lief.

 

»Bleiben Sie alle stehen«, sagte er warnend. »Ich werde das Haus untersuchen, und ich möchte dabei allein sein.«

 

Die beiden Räume, die zur rechten Hand des Ganges lagen, wurden zuerst durchsucht. Es waren einfach möblierte Schlafzimmer. Die Betten waren nicht überzogen, und er vermutete, daß die Wäsche in den Schränken war, die in den Räumen standen.

 

Er ging zur Eingangstür zurück und untersuchte den ersten Raum links. Es war ein Speisezimmer, und eine schnelle Besichtigung enthüllte keine besonderen Dinge. In einer Wand befand sich eine Öffnung, die von einem Rolladen geschlossen war. Augenscheinlich wurden hier die Speisen von der Küche ins Eßzimmer gereicht. Jetzt blieb nur noch die Küche zu untersuchen. Als er die Tür aufzumachen versuchte, stellte sich heraus, daß sie verschlossen war. Super ging zu seinen wartenden Begleitern zurück.

 

»Haben Sie den Schlüssel, Mr. Cardew?«

 

»Nein, es gibt wohl einen Küchenschlüssel, aber der wurde nie abgezogen. Steckt er nicht im Schloß?«

 

Super versuchte die Türklinke noch einmal; aber sie gab nicht nach, sie war fest verschlossen. Er bemerkte einen eigentümlichen Geruch und rief Jim zu sich.

 

»Riechen Sie etwas? Mir scheint, als ob hier etwas verbrannt worden ist.«

 

Ferraby nahm einen beißenden Geruch wahr, der ihm bekannt vorkam.

 

»Cordit!« sagte er plötzlich. »Hier ist eine Waffe abgeschossen worden – und zwar erst kürzlich.«

 

»Das dachte ich mir«, sagte Super kühl. »Diese Idee hatte ich gleich, als ich den Geruch von heißem Eisen erkannte. Die Tür ist von innen verschlossen.«

 

Er ging zum Speisezimmer zurück. Der Rolladen war befestigt. – Er fand ein kleines Schlüsselloch. Diesmal rief er Cardew zu sich.

 

»Ja«, sagte er, »er ist verschließbar. Aber ich habe keine Ahnung, wo der Schlüssel ist. Er war noch da, als meine Sekretärin Miss Leigh hier zu Besuch war. Und es ist mir niemals etwas davon gesagt worden, daß er verlorengegangen sei. Es ist ein Schnappschloß, und wenn man es zufällig geschlossen hatte, konnte man es nur mit dem Schlüssel öffnen. Ich hatte niemals einen zweiten Schlüssel. Können Sie nicht in die Küche kommen?«

 

»Nein – sie ist von innen verschlossen.«

 

»Dann werden wir wohl den Rolladen aufbrechen müssen«, meinte Cardew.

 

Er ging mit Lattimer zu dem kleinen Schuppen neben dem Haus und brachte ein paar rostige Werkzeuge.

 

Darunter befand sich auch ein kleiner Büchsenöffner, und Super, der den Haken des Instrumentes zwischen Rolladen und Rahmen ansetzte, arbeitete heftig an dem Schloß. Plötzlich sprang es krachend auf, und er schob den Laden nach oben. Jetzt konnte man den Geruch von Cordit deutlich wahrnehmen, selbst Cardew fiel er auf.

 

»Was ist das für ein Geruch?« fragte er, aber Super überhörte ihn, denn er lehnte sich durch die Öffnung und suchte den Raum mit seiner Lampe ab. Der weiße Lichtkreis bewegte sich langsam über den Fußboden zur Tür hin. Dann sah man einen Schuh, dessen Spitze nach der Decke zeigte … der Lichtschein glitt darüber hinweg … dann noch einen Schuh – dann kam der Saum eines schwarzen Kleides in den Lichtkegel. Eine Frau saß mit dem Rücken an die Tür gelehnt, ihr Kopf war auf die Brust gesunken, als ob sie betrunken sei. Super konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber er wußte, daß es Hanna Shaw war. Und er brauchte auch nicht die Blutlache auf dem Fußboden zu sehen, um zu wissen, daß sie tot war.

 

Kapitel 9

 

9

 

Super zog seinen Kopf langsam aus der Öffnung zurück.

 

»Es ist besser, daß alle hier in dem Raum bleiben. Sergeant, holen Sie einen Arzt. Mr. Ferraby, Sie können den Beamten hinfahren…, aber nein, es ist besser, daß Sie hier bleiben – es ist möglich, daß Sie vielleicht später mit dem Fall zu tun bekommen.«

 

Lattimer bot sich an, den Wagen zum Dorf zu fahren, und nachdem er sich leise mit Super verständigt hatte, fuhren sie schnell ab.

 

»Nicht, daß ein Arzt noch irgendwelchen Zweck hätte.«

 

»Was ist geschehen?« fragte Cardew zitternd. »Mein Gott – es ist doch nicht etwa Hanna?«

 

Super nickte.

 

»Ich fürchte, daß sie es ist, Mr. Cardew«, sagte er.

 

»Verletzt – oder tot?«

 

Wieder bejahte Super.

 

»Ja, Sie bleiben am besten hier im Raum. Folgen Sie mir, Mr. Ferraby. Nehmen Sie einen Stuhl und treten sie darauf.«

 

Mit unglaublicher Behendigkeit schlüpfte er durch die Öffnung in der Wand, und Jim folgte ihm.

 

»Machen Sie den Rolladen wieder zu. Ich werde die Lampe anstecken.«

 

Super hob den Glaszylinder einer kleinen Petroleumlampe ab, die auf dem Küchentisch stand, und steckte sie vorsichtig an. Er legte das Streichholz auf die Tischplatte.

 

Jim Ferraby schaute entsetzt auf die leblose Gestalt, die an der Tür lehnte.

 

»Ist es Selbstmord?« fragte er mit gedämpfter Stimme.

 

»Wenn es das ist, werden wir ja die Waffe finden«, erwiderte Super. »Sie ist tot, das ist eine Tatsache. Es tut mir leid, daß ich so kühl mit ihr umgegangen bin. Sie war in ihrer Art keine schlechte Frau.«

 

Er beugte sich nieder und schaute in das bleiche Gesicht.

 

»Es ist kein Selbstmord«, sagte er dann überzeugt. »Ich habe das auch nicht angenommen. Es ist ein Mord – aber wie? Die Tür ist auf der Innenseite geschlossen – sehen Sie den Schlüssel? Und der Rolladen zum Speisezimmer war auch geschlossen, der Schlüssel befindet sich an der Innenseite. Beachten Sie das.« Er sah nach dem schweren Rolladen, der das Fenster nach draußen schützte. Die starken Riegel waren von innen vorgeschoben.

 

Auf dem Tisch lag eine Damenhandtasche, die offensichtlich ausgeleert worden war; denn eine Menge von Kleinigkeiten, die eine Frau bei sich trägt, und ein Haufen Papiergeld waren auf dem Tisch verstreut.

 

»Fünfundzwanzig Pfund in englischem Geld und zweitausend Dollar«, sagte Super, nachdem er das Geld gezählt hatte. »Was bedeutet denn eigentlich der Ziegel?«

 

Ein roter, gebrannter Stein, der auf der Oberfläche sehr abgenützt war, lag auf dem Boden. Ein Gummisauger mit einer Schnur befand sich daran.

 

»Der ganze Fußboden ist mit roten Ziegeln belegt«, sagte Jim.

 

»Ja, das habe ich auch gemerkt.«

 

Super nahm die Lampe, beugte sich nieder und suchte den Fußboden ab. Unmittelbar unter der Mitte des Tisches war ein längliches Loch, in das der Ziegel genau hineinpaßte.

 

»Der Gummisauger hat dazu gedient, den Stein in die Höhe zu heben. Das haben wir, als Jungen auch schon gemacht«, sagte Super in Gedanken. »Heutzutage nennt man so etwas einen Vakuumheber. Auf diese Weise hat er oder sie den Stein gehoben.«

 

Er kniete nieder, stellte die Lampe neben sich auf den Fußboden und untersuchte die Öffnung genau.

 

»Hier muß etwas verborgen gewesen sein, und sie ist hergekommen, um es zu holen. Ich wunderte mich vorher, warum sie nur so kurz hier blieb.«

 

»Aber wie ist sie denn nachher wieder zurückgekommen? Die Eingangstür haben wir doch von draußen verschlossen gefunden.«

 

Super schüttelte den Kopf.

 

»Ich muß jetzt über eine Menge Dinge nachdenken. Jedenfalls steht das fest: sie kam aus einem bestimmten Grund hierher!«

 

Er kniete wieder vor der stillen Gestalt nieder. Er hatte seine kalte Pfeife zwischen den Zähnen, und seine Stirn lag in noch tieferen Falten als gewöhnlich.

 

»Ich darf sie nicht bewegen, bevor der Arzt kommt«, sagte er und erhob sich wieder. »Sie ist aus kurzer Entfernung erschossen worden – er muß etwa hier gestanden haben – auf dieser Seite des Tisches … Ungefähr hier …« Er zeigte die Stelle. »Wahrscheinlich war es eine automatische Pistole, obgleich ich die Patronenhülse nirgends sehen kann. Sie stand rechts von der Tür. Sehen Sie die Spuren, die die Kugel in der Wand hinterlassen hat? Dann machte sie noch einen Schritt vorwärts und sank an der Tür nieder. Die Kugel ging mitten durch ihr Herz. Es kommt ja öfters vor, daß tote Leute noch einen oder zwei Schritte vorwärts gehen. Den linken Handschuh hat sie noch an, der rechte ist abgelegt. Sie beabsichtigte nicht zu bleiben. Bemerken Sie irgend etwas, Mr. Ferraby – irgend etwas Besonderes?«

 

Jim schüttelte hilflos den Kopf.

 

»Es sind so viele Dinge bemerkenswert, daß ich nichts unterscheiden kann«, sagte er.

 

Super rümpfte die Nase.

 

»Cardew würde es vor mir gesehen haben«, sagte er dann. »Sie hat keinen Hut auf und keinen Mantel an.«

 

Hanna Shaw war tatsächlich ohne Hut und Mantel.

 

»Betrachten Sie den Kleiderhaken an der Wand … bemerken Sie etwas auf dem Boden?«

 

»Wasser«, sagte Jim.

 

»Das ist von ihrem Regenmantel heruntergelaufen. Sie hängte ihn jedenfalls auf, als sie zuerst hierherkam. Wo hat sie ihren Mantel und ihren Hut gelassen?«

 

»Wahrscheinlich in einem der anderen Zimmer.«

 

»Sie sind nicht im Haus. Ich habe nicht alles genau durchsuchen können, aber dafür habe ich einen guten Blick. Solche Kleidungsstücke sind nicht im Haus.«

 

Super sprach in aufgeregtem Ton, und es war, als ob er einen persönlichen Triumph feiere.

 

»Hier ist der Arzt«, sagte er. »Er wird durch das Loch in der Wand klettern müssen – und wenn er korpulent ist, wird es ihm ungemütlich dabei werden.«

 

Der Arzt war aber ein junger Mann, für den es eine Kleinigkeit war, auf diesem Weg in die Küche zu gelangen.

 

Es bestand kein Zweifel, wie sein Urteil lauten würde.

 

»Nein, ich kann nicht genau sagen, wie lange sie tot ist. Aber sicher über eine Stunde. Ich habe nach einem Krankenwagen telefoniert. Sergeant Lattimer erzählte mir, was vorgefallen ist.«

 

Super sah auf seine Uhr, es war halb vier.

 

»Ich will warten, bis sie weggebracht worden ist, bevor ich etwas unternehme.«

 

Als einige Minuten später das Krankenauto ankam und die bedauernswerte Frau fortgeschafft wurde, zog Super die Riegel von den Läden zurück und öffnete das Fenster. Nur Jim und er blieben zurück. Mr. Cardew war in völlig erschöpftem Zustand mitgenommen worden, und auch Lattimer war mit dem Krankenwagen gefahren, um einen Bericht zu machen.

 

»Es ist noch hübsch dunkel, obwohl es gleich vier ist«, sagte Super und schaute aus dem Fenster. »Aber es regnet noch. Schönes englisches Sommerwetter. Sehen Sie sich einmal das an.«

 

Er legte ein längliches, gelbes Kuvert auf den Tisch. »Das habe ich unter ihr gefunden, als sie aufgehoben wurde.«

 

Jim prüfte den Umschlag.

 

»Leer«, sagte er und las dann die maschinengeschriebene Adresse. Der Atem verging ihm fast.

 

DR. JOHN W. MILLS

Laichenbeschauer von West-Sussex,

Hailsham, Sussex.

 

»Dann war es – Selbstmord?«

 

Super faltete das Kuvert, bevor er antwortete.

 

»Doktor Mills ist seit fünf Jahren nicht mehr im Amt. So lange ist er nämlich tot – ich erinnere mich deutlich an sein Begräbnis.«

 

»Aber wer schrieb denn das?«

 

»Sie wußten es sicher nicht«, sagte Super mit einem Anflug seiner alten Geheimnistuerei.

 

Jim beobachtete ihn, wie er die Küche durchsuchte, in Öfen spähte, Schränke öffnete, Schubladen aufzog, und die Tragödie begann ihm klarzuwerden. Es war alles so plötzlich und unerwartet gekommen, daß er die wahre Bedeutung nicht gleich erfassen konnte. Und sonderbar genug, sein erster Gedanke war, welche Wirkung wohl dieses gräßliche Ereignis auf Elfa Leigh haben mochte. Sie würde sicher ungeheuer erschrecken.

 

»Es ist wirklich ein wundervoller Mord«, sagte Super mit einem ekstatischen Seufzer, als er seine Pfeife anzündete. »Ich bin froh, daß ich den Kommissar gefragt habe. Er ist ein guter Kerl, und vielleicht überläßt er mir den Fall. Der Mann weiß, wann ein Ding in guten Händen ist. Er ist intelligent. Ich wundere mich, daß sie ihn in Scotland Yard behalten. Wenn er einen anderen mit der Sache betraute, würde er nicht für seine Aufgabe passen. Wenige sind tüchtig. Sie werden beauftragt, weil ihre Frauen Beziehungen zum Staatssekretär haben …«

 

Und er fuhr fort, anzügliche Reden zu führen.

 

»Aber es ist keine Waffe hier«, sagte er später. »Ich habe auch keine Patronenhülse auf dem Boden gefunden, und wir haben nur ein leeres Kuvert an den Leichenbeschauer in Händen … Hat Miss Shaw eine Schreibmaschine benutzt? Wissen Sie das vielleicht, Mr. Ferraby?«

 

»Ich glaube, ja. Cardew erzählte mir, daß sie eine alte Maschine besäße.«

 

»Die Adresse ist von jemand geschrieben, der wenig Übung im Tippen hat«, sagte Super und zog das Kuvert aus seiner Tasche. »Das Wort Leichenbeschauer ist falsch geschrieben. Ich muß diesen Umschlag nach Fingerabdrücken untersuchen lassen.« Er hatte das Geschoß, einen verbogenen Stahlzylinder, aus der Wand gezogen und legte es auf den Tisch. »Die Waffe war eine Schnellfeuerpistole mit zweiundvierziger Kaliber«, sagte er. »Dasselbe Kaliber wie jenes in dem Patronenrahmen, den wir auf dem Rasen fanden. Man kann keine Schlußfolgerungen daraus ziehen. Diese automatischen Pistolen werden jetzt nur noch in zwei Größen hergestellt, und es ist nicht wahrscheinlich, daß Miss Shaw eine besaß. Frauen fürchten sich gewöhnlich vor Schußwaffen ganz abgesehen davon hätte es Cardew gewußt.«

 

»Wo ist er hingegangen?« fragte Jim.

 

»Ins Grand Hotel nach Pawsey.« Super lachte in sich hinein. »Wenn dieser Theorienmensch Tatsachen gegenübersteht, ist er sofort erledigt. Und hier haben wir eine starke Tatsache – gewaltsamen Tod. In einem bequemen Lehnsessel zu sitzen und sich die Zeit mit dem Ausdenken von Theorien zu vertreiben, ist ja ganz schön; aber mit den gemeinen Widerwärtigkeiten des Lebens zusammenzustoßen und blutige Vorfälle aus nächster Nähe zu beobachten, dazu gehört doch noch etwas anderes …« Er hielt inne und beugte den Kopf lauschend vor. Durch das offene Fenster hörte man das ununterbrochene Rauschen der Brandung.

 

»Es macht sich jemand an der Tür zu scharfen«, sagte er. Er nahm die Lampe und ging leise auf den Gang.

 

Jim vernahm das Geräusch auch, und es wurde ihm unheimlich zumute. Er hörte, wie jemand mit den Händen an der Holztäfelung entlangtastete, und dann sah er, wie die Türklinke heruntergedrückt wurde.

 

Super schaute ihn an und winkte ihm. Jim Ferraby bewegte sich leise zur Tür, drehte den Schlüssel blitzschnell herum und öffnete mit einem Ruck.

 

Auf den Treppenstufen stand eine schlanke Gestalt, von Regen durchnäßt und gänzlich erschöpft. Sie schaute dem jungen Mann verständnislos ins Gesicht.

 

»Helfen Sie mir«, sagte sie leise, als sie vorwärtstaumelte und in seine Arme sank.

 

Es war Elfa Leigh.

 

»Bewegen Sie sich nicht – horchen Sie!«

 

Super stieß diese Worte leise hervor, und Jim stand regungslos da und hielt das bewußtlose Mädchen im Arm. Aus der Dunkelheit kam ganz fern der traurige Gesang:

 

»Zum Donnerwetter!« sagte Super, als er die Lampe niedersetzte und im Dunkeln verschwand.

 

Kapitel 7

 

7

 

Die Straßenlaternen brannten, und der letzte Schimmer des Tageslichts verschwand im Westen, als Ferrabys großer Wagen in schnellem Tempo die Hauptstraße einer Vorstadt entlangfuhr und vor der ländlichsten aller Polizeistationen Londons anhielt. Super saß in seinem kleinen Büro, war gerade dabei, eine große, schwerverdauliche Pastete zu verzehren und hatte eine dampfende Tasse Kakao vor sich stehen. Er schaute auf und deutete auf einen Stuhl.

 

»Nehmen Sie bitte Platz«, sagte er undeutlich. Dann goß er mit einem einzigen Zug den brühheißen Inhalt seiner Tasse hinunter und trocknete sich die Lippen mit einem Taschentuch ab, das schon bessere Tage gesehen hatte. Er nahm eine Zigarrenkiste aus der Schublade seines Schreibtisches und bot sie Jim an.

 

»Nein, ich danke, Mr. Minter«, sagte Ferraby schnell.

 

»Was ist denn mit Ihnen los?« fragte Super verletzt. »Ich wüßte niemand, der diese Zigarren nicht gern möchte.«

 

»Seien Sie mir nicht böse«, sagte Jim.

 

»Die Sitten des Landes geraten immer mehr in Verfall«, sagte Super traurig, als er mit einem Streichholz einen giftig aussehenden Glimmstengel anzündete. »Ich muß allerdings zugeben, daß diese Zigarren schon mehr Leute umgeworfen haben, als ich zählen kann.«

 

Er blies übelriechende Rauchwolken in die Luft, und die Zigarre schien ihm sehr gut zu schmecken.

 

»In Amerika können Sie diese Zigarre nicht unter zehn Cent das Stück kaufen – dort ist sie auch gewachsen.«

 

»Ich muß sehr um Entschuldigung bitten, wenn ich das nicht glaube.«

 

»Sie ist auch nur aus heimischem Tabak gemacht«, gestand Super. »Es ist eine Art vaterländischer Versuch, und wenn Sie erst einmal daran gewöhnt sind, finden Sie sie gar nicht so schlecht. Unser Abteilungsarzt bei der Polizei hat sogar gesagt, daß sie gesund sei. Nach seiner Meinung kann selbst kein Ziegenbock im Umkreis von einer Meile am Leben bleiben, wenn eine solche Zigarre geraucht wird. Auch behauptet er, daß er lebhaft an den Krieg erinnert wird, wenn er hierherkommt. Er hat nämlich eine Gasvergiftung in Frankreich hinter sich.«

 

Super hustete und schüttelte sich: Dann schaute er verzweifelt auf seine Zigarre und warf sie in den Kamin.

 

»Eine ist nicht so gut wie die andere«, sagte er und stopfte seine Pfeife. »Wir werden bald aufbrechen.« Er sah nach seiner Uhr. »Ich habe Lattimer schon vorausgesandt. Er ist ein ganz brauchbarer Mann. Aber wenn etwas herauskommen sollte, so war er nicht dabei.«

 

»Sie meinen, wenn es irgendwelche Unannehmlichkeiten gibt, weil Sie außerhalb Ihres Bezirks arbeiten?«

 

»Ich habe Lattimer gerne, obgleich ich es ihn niemals merken lasse«, sagte er. »Ein junger Mann wird gleich übermütig, wenn man ihn gut behandelt. Und er ist temperamentvoll, geradeso wie ich. Und dann ist er auch ein wenig faul.«

 

Als Super aufstand, um Hut und Mantel zu holen, glaubte Jim eine passende Gelegenheit gefunden zu haben, ihm die Geschichte von den Banknoten in Form eines großen lateinischen ›B‹ zu erzählen, die er heute von Elfa erfahren hatte. Super hörte gespannt zu.

 

»Elson war die Nacht dort?« fragte er. »Das ist doch ein prachtvolles Zusammentreffen, denn diese Frau hat Elson gern, wenn meine Beobachtungen und Schlußfolgerungen stimmen. Und obendrein scheint sie ihn in der Hand zu haben. Mir dämmert schon ein wenig davon, wie sehr wir auf dem Posten sein müssen, um alles zu verstehen, was wir heute nacht zu sehen bekommen werden – ich wünschte nur, Mr. Cardew wäre auch da.«

 

Als Jim eine Frage stellte, schüttelte er den Kopf.

 

»Nein, wir haben keinen Landstreicher aufgegriffen. Das ist gar nicht so merkwürdig, wie Sie vielleicht denken. Die Gegend ist unübersichtlich, ab und zu mit Bäumen bestanden, und was noch mehr ins Gewicht fällt, Cardews Grundstück liegt nur in kurzem Abstand von der südlichen Hauptstraße. Leere Marktwagen verkehren dort den ganzen Tag über, und es ist sehr leicht, auf einen solchen Wagen zu klettern und sich unter der regendichten Decke zu verbergen. Und da wir gerade über wasserdichte Decken sprechen …«

 

Er ging zum Fenster und schaute zum Himmel auf, kam wieder zurück und klopfte an ein Barometer, das auf seinem Tisch stand.

 

»Vermutlich wird es regnen – haben Sie einen Gummimantel bei sich?«

 

»Ja, er liegt im Wagen.«

 

»Sie werden ihn nötig haben«, meinte Super lakonisch.

 

Der Mond schien schwach durch dichtes Gewölk, als sie die Horseham Road entlangfuhren. Sie waren kaum zwölf Meilen unterwegs, als es am südlichen Horizont wetterleuchtete und kleine Staubwirbel sich im Lichtkegel der Autoscheinwerfer zeigten. Super saß zusammengekauert an Jims Seite und sprach lange Zeit kein Wort. Als sie an der äußeren Grenze von Horseham waren, begann es zu regnen. Jim hielt an, um das Verdeck hochzumachen. Man konnte das Rollen des Donners hören.

 

»Ein schönes Gewitter«, sagte Super. »Da ist nichts Spitzfindiges dabei – Gewitter sind Tatsachen, und die braucht man nicht psychologisch zu ergründen. Es ist gerade so, als ob man einen Mann auf frischer Tat ertappt.«

 

Der Wagen hatte Horseham hinter sich, und sie fuhren die Worthing Road entlang.

 

»Wenn eine Frau sich in den Kopf gesetzt hat, zu heiraten, dann ist sie gerade so vernünftig wie ein hungriger Wolf im Fleischerladen. Ich möchte nur wissen, was das ›B‹ zu bedeuten hatte.«

 

»Ich vermute, daß es mit Großfuß zusammenhängt«, meinte Jim.

 

Die Wolken vor ihnen wurden durch hellerleuchtete Blitze zerrissen, und Super wartete mit seiner Antwort, bis das Krachen und Rollen des Donners vorüber war.

 

»Mit Großfuß? Ja, das ist möglich. Warum glauben Sie eigentlich, daß ich mein Leben in dieser stürmischen Nacht riskiere, mitten in der Wut der Elemente? Meinen Sie etwa, ich will meine Neugierde wegen Hanna Shaw befriedigen? Nein, das ist es nicht, ich will« – er sprach langsam und betonte jedes Wort – »ein Geheimnis enthüllen, das ist der richtige Ausdruck.«

 

»Und was ist das für ein Geheimnis, wenn es nicht das merkwürdige Betragen Hanna Shaws ist?« fragte Jim etwas belustigt.

 

»Ich bin einem Geheimnis auf der Spur«, sagte Super und nickte feierlich. »Seit sechseinhalb Jahren. Es ist das Geheimnis einer Verabredung, die niemals eingehalten wird.«

 

Jim schaute ihn verwundert an.

 

»Das ist aber sehr sonderbar, Super.«

 

»Es ist nichts Sonderbares dabei«, sagte Minter selbstgefällig. »Das ist eine nackte Tatsache. Genau wie die Blitze dort und die Himmelsartillerie, wenn ich diesen schönen Ausdruck gebrauchen darf, den ich neulich in einem Buch gelesen habe. Sechseinhalb Jahre – das ist eine lange Zeit. Aber für einen alten Mann bedeutet es nur eine kurze Spanne. Wenn es auch lange dauert, schlägt es doch endlich ein. – Er bat mich, daß ich in sein Haus in Chellamore kommen möchte. Sein Name war Sir Joseph Brixton. Er war sogar ein Stadtrat der City. Jetzt ist er tot, und man nimmt allgemein an, daß er im Himmel ist. Aber damals bat er mich, zu ihm zu kommen, und als ich hinkam, war er nicht zu Hause. Wenigstens ließ er bestellen, daß er nicht zu Hause sei. Sein Diener brachte mir einen Brief, in dem er mir für die Mühe dankte, die ich mir gegeben hätte. Es lagen zwei Zehnpfundnoten bei, die ich zu wohltätigen Zwecken benutzte.« Super machte eine Pause. »Und diese Wohltätigkeit beginnt in meinem eigenen Haushalt.«

 

»Was in aller Welt hat denn das mit unserem wilden Abenteuer in der Nacht zu tun?« fragte Jim.

 

»Sehr viel – jetzt erst fange ich an, mich über unsere Fahrt heute abend zu freuen. – Ich hoffe, daß Lattimer einen Regenmantel hat.«

 

»Wissen Sie, warum Brixton nach Ihnen geschickt hatte?«

 

Super nickte im Dunkeln.

 

»Das weiß ich. Und ich weiß auch, warum er seine Verabredung nicht einhielt.«

 

»Aber Sie sagten doch …«, begann Jim.

 

»Ich weiß das Warum, aber das Wie ist mir ein Rätsel.«

 

Der Regen strömte nieder, und die Blitze zuckten unaufhörlich. Jim bog von der Poststraße in eine Nebenstraße ein, die nach dem Ort Groß-Pawsey führte.

 

Das alte Dörfchen lag in vollständiger Dunkelheit da, nur aus den Fenstern des Gasthauses drang Licht. Das Auto fuhr jetzt an breiten, grünen Rasenflächen und Gebüschen vorüber und wandte sich dann zu dem tieferliegenden Küstenweg.

 

Groß-Pawsey lag von Klein-Pawsey ungefähr zehn Kilometer entfernt – Klein-Pawsey wurde es noch auf den Karten des 19. Jahrhunderts genannt; aber es hat längst seine Vorsilbe verloren. Das kleine Fischerdorf hatte sich in ein elegantes Bad verwandelt. Der Name Pawsey war in riesengroßen Buchstaben aus elektrischen Lampen an den Klippen nach der See angebracht. Es besaß einen großen Wintergarten, eine Promenade und einen modernen Anlegeplatz für Dampfer. Kapellen spielten in seinen herrlich angelegten Gärten, bedeutende Schauspieler traten auf den Bühnen seiner Theater auf, und es gab Hotels von solcher Größe und Bedeutung dort, daß allein schon ihre Portiers große Herren waren.

 

Zwei Wege verbanden Pawsey mit dem kleinen Dorf gleichen Namens. Der eine führte parallel zu den Klippen durch die Dünen, der andere unten an der Küste entlang. Der erste war vollständig mit einer Schotterschicht überzogen und großartig beleuchtet, der zweite war verfallen und kaum noch ein Fahrweg zu nennen. Auf die Herstellung und Unterhaltung des höheren Weges hatten die Gemeinde und der Stadtrat Von Pawsey alles Geld ihrer Steuerzahler verschwendet, auf den anderen Weg dagegen nichts. Seit langer Zeit war diese Straße ein Streitobjekt zwischen dem Kriegsministerium, das dort ein großes Stück Küstenland besaß, und den Stadtvätern. Und so war sie in dem Zustand geblieben, in dem sie sich schon zu der Zeit unserer Vorväter befand. Hier und da brachten die Zeitungen einen heftigen Artikel mit einer Überschrift von riesengroßen Buchstaben: »Der Zustand der Küstenstraße ist ein Skandal.« Ausfallende Bemerkungen und Feststellungen wurden in großen Versammlungen gemacht, die das Kriegsministerium beschuldigten, daß es sich nicht an den Kosten der Straßenreparatur beteiligen wolle. Aber das Resultat all dieser Reden und der vielen Artikel war schließlich nur, daß alles beim alten blieb.

 

»Es ist wirklich eine verteufelt schlechte Straße«, sagte Super, als der Wagen mit vielen Stößen über den holprigen Weg fuhr. »Wir wollen in dem alten Steinbruch halten, wenn Sie nichts dagegen haben.«

 

»Kennen Sie den Platz?« fragte Jim überrascht.

 

»Amtliche Karte«, war die Erklärung. »Habe sie den ganzen Morgen studiert. Das Haus liegt fünfhundertfünfzig Meter vom Fuße des Hügels und vier Kilometer von Pawsey entfernt. Wir müßten eigentlich Lattimer an dieser Stelle finden. – Blenden Sie die Lichter ab, Ferraby.«

 

Lattimer stand im Schutz einer überhängenden Felsenpartie und war in einen vollständig nassen und glänzenden Regenmantel gehüllt. Sie wären an ihm vorbeigefahren, ohne ihn zu sehen, wenn er nicht aus seinem Versteck herausgetreten wäre.

 

»Es ist bisher niemand zu dem Haus gekommen«, berichtete er, als sie aus dem Wagen stiegen.

 

»Das ist aber sonderbar – Miss Shaw ist doch schon heute morgen hierhergefahren«, sagte Jim.

 

»Ich hätte mich sehr gewundert, wenn sie gekommen wäre«, warf Super ein. »Ich wußte, daß sie nicht hierherfuhr.«

 

Ferraby wurde stutzig.

 

»Das ist meine Schlußfolgerung«, sagte Super selbstzufrieden. »Logische Schlußfolgerung, auch möglich, daß etwas Psychologie dabei ist.«

 

»Aber woher wissen Sie denn, daß sie heute morgen nicht hierherkam?« fragte Jim hartnäckig.

 

»Weil Lattimer es mir vor einer Stunde durch das Telefon gesagt hat. Das ist ganz einfache Polizeilogik – man stellt eine Schildwache auf den Platz und läßt sie durch die Strippe reden. Und außerdem ist es auch ein logischer Schluß – ich schließe nämlich aus seiner Beamtenstellung, daß er mir die Wahrheit sagen wird. Wir wollen den Wagen hier rechts seitlich unterstellen, damit ihn niemand sehen kann, Mr. Ferraby. – Leuchten Sie einmal mit Ihrer Taschenlampe, Sergeant … Nun aber, bitte, alle Lichter aus.«

 

Unbarmherzig strömte der Regen nieder, obgleich das Gewitter vorübergezogen war. Bei dem Wetterleuchten draußen auf der See sahen sie den Weg, als sie die Straße entlanggingen. Manchmal half auch der Sergeant mit seiner Lampe.

 

Beach Cottage, das Haus Mr. Cardews, erhob sich zwischen der Straße und dem Meeresufer. Es war ein niedriges, viereckiges Steingebäude, von einer brusthohen Ziegelmauer umgeben. Auf jeder Seite des Hauses war für Durchfahrten eine Öffnung in der Umfassungsmauer.

 

»Sind Sie sicher, daß niemand im Hause ist?«

 

»Ich bin meiner Sache ganz sicher. Die Tür ist von außen mit einem Vorhängeschloß geschlossen.«

 

»Was ist das hinten für ein Gebäude – eine Garage?«

 

Jim konnte kein anderes Gebäude sehen, aber Super hatte Augen wie eine Katze.

 

»Nein, das ist ein Bootshaus. Es ist leer. Als Mr. Cardew das Haus bewohnte, hatte er dort ein langes Ruderboot, wie mir ein Bootsmann erzählte. Aber er hat es später verkauft.«

 

Super untersuchte die Tür und die Fenster, ohne etwas zu finden.

 

»Sicher konnte sie nicht hineinkommen«, sagte Jim. »Wahrscheinlich hat sie das Unwetter abgehalten.«

 

Super brummte etwas, als ob das Unwetter Hanna Shaws Plänen sehr zustatten käme.

 

»Ich behaupte nicht, daß sie bestimmt kommen wird. Es ist möglich, daß ich da nur eine Theorie aufgestellt habe. Es ist ja immer schlimm, wenn ich zuviel denke.«

 

Jim hatte noch nie ein so verlassenes Haus gesehen. Auf der einen Seite dehnte sich die Küste, auf der anderen, jenseits der Straße, stiegen die steilen Klippen empor, die man aber in der stockdunklen Nacht nur ahnen konnte.

 

»Die Gegend ist sehr reich an Höhlen«, sagte Lattimer. »Die meisten sind aber nicht zugänglich.«

 

Sie gingen langsam wieder zu der Stelle zurück, wo sie den Wagen versteckt hatten.

 

»Ich wundere mich, daß eine so lebhafte Nachfrage nach Cardews Sommerhaus besteht«, sagte Jim.

 

»Was meinen Sie damit?« fragte Super. »Das ist gerade ein Platz, an den ich mich gerne zurückziehen möchte, wenn ich einmal in Pension gehe. Ich wette, daß es bei Sonnenschein ein wunderbares Plätzchen ist. Und nachts braucht man doch nur zu schlafen.«

 

Er hüllte sich fröstelnd in seinen Mantel, und Jim bemerkte, wie er auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr sah.

 

»Es ist fast elf Uhr – wir wollen ihr bis zwölf Uhr Zeit geben. Wenn dann nichts passiert ist, muß ich Sie um Verzeihung bitten.«

 

»Was vermuten Sie hier zu finden?« fragte Jim. Er drückte jetzt in Worten aus, woran er schon den ganzen Abend gedacht hatte.

 

»Das ist sehr schwer zu sagen«, entgegnete Super. »Sehen Sie, wenn eine alte Jungfer in die Jahre kommt und mannstoll wird, und wenn sie schon damit droht, daß was passiert, wenn sie sich nicht verheiratet, dann habe ich alle Veranlassung, mich um die Sache zu kümmern. Es ist möglich, daß ich mehr erwartet habe, als wir hier finden, möglich –«

 

Plötzlich ergriff er Jims Arm und zog ihn zur Seite.

 

»Schnell hinter den Felsen«, stieß er hervor.

 

Kapitel 24

 

24

 

»Um Gottes willen, wer tat das?« fragte Ferraby entsetzt.

 

Super kniete neben der Gestalt nieder, sah mit einem freundlichen Lächeln zu Jim auf und schien merkwürdig gefühllos zu sein.

 

»Wer das getan hat?« Seine Stimme war ganz leise geworden, so daß Jim scharf hinhören mußte, um ihn zu verstehen. »Es war derselbe Mann, der Cardew chloroformierte, derselbe, der Hanna Shaw erschoß und derselbe, der den vergifteten Kuchen schickte – derselbe Wille, dieselbe Hand, dieselbe Ursache. Er ist furchtbar konsequent, ich kann den Mann nur bewundern, der so handelt. Und er denkt an alles. – Richten Sie sich um Gottes willen nicht auf, Ferraby! Ich knie hier auch nicht, weil ich anbete, sondern um sicher zu sein. Wenigstens einer von uns beiden muß lebendig zurückkommen – im Interesse der Gerechtigkeit.«

 

Ein eiskalter Schrecken fuhr Jim in die Glieder.

 

»Ist er hier – in den Büschen?« flüsterte Jim.

 

Super nickte.

 

»Der Mord wurde vor weniger als zehn Minuten ausgeführt. Können Sie sich auf das ›plok, plok, plok‹ entsinnen, das wir vorhin hörten? Sie dachten, daß jemand Bäume fällte. Aber das waren Schüsse aus einer Pistole mit Schalldämpfer.«

 

Während der ganzen Zeit suchten seine Augen die unmittelbare Nachbarschaft ab. Seine scharfen Ohren versuchten, das Geräusch von raschelnden Blättern oder brechenden Zweigen zu hören.

 

Jim fühlte, wie Super alles absuchte, und sah plötzlich, wie er seinen Blick auf einen Stechginsterbusch konzentrierte – einen goldgelben Farbfleck zur linken Hand. Heimlich wies er nach dem Gesträuch, durch das sie eben gekommen waren.

 

»Springen Sie zur Seite!« sagte er hastig, und als Jim Ferraby eiskalt vor Schrecken vorwärts taumelte und in Deckung sprang, warf sich Super mit dem Gesicht nach unten glatt auf den Boden.

 

Plok, plok, plok!

 

Etwas schwirrte nahe an Jims Kopf vorbei, er hörte das Brechen von Zweigen und das Rascheln von Blättern. Im nächsten Augenblick war Super hinter ihm ins Gebüsch gesprungen.

 

»Laufen Sie, was Sie können und richten Sie sich nicht auf!«

 

Sie flohen den Pfad entlang, wo sie sich mit einem anderen Gebüsch decken konnten, und von da aus weiter zu einem entfernteren Strauch.

 

»Wir können jetzt langsam gehen – er wird nicht hinter uns her kommen«, sagte Super. »Ich habe ihn selbst nicht gesehen und hätte ihn auch nicht bemerkt. Ich habe nur einen Vogel beobachtet, der sich in dem Stechginsterbusch niederlassen wollte und plötzlich wieder davonflog. Ich habe eine große Vorliebe für Vögel und habe sie immer beobachtet. Ich hatte zwanzig junge Küken in der Brutmaschine diesen Morgen – das ist zwar nicht Natur, aber man verdient Geld damit.«

 

Das letzte, was Jim Ferraby jetzt zu besprechen wünschte, war Supers Geflügelfarm..

 

»Wo mag er jetzt sein?« fragte er und schaute zurück.

 

»Der? Oh, der bringt sich in Sicherheit. Er wartete nicht, nachdem er gefeuert hatte. Ich müßte auch eine Pistole bei mir tragen, aber ich bin noch von der alten Schule. Ich werde dafür sorgen, daß Cardew von heute ab polizeilichen Schutz bekommt.«

 

»Glauben Sie, daß ihm Gefahr droht?«

 

»Sicher«, sagte Super kurz. »Ich wußte schon immer, daß er in Gefahr schwebte, seitdem er in der Öffentlichkeit begann, den Mord in Beach Cottage zu diskutieren. Seine Theorie stimmt nicht ganz, aber sie ist doch der Wirklichkeit so nahe, daß sie gefährlich werden kann.«

 

Sie erreichten den Abhang, und Super machte halt, um über die Spitzen der grünen Büsche hinwegzuschauen.

 

»Er ist fortgegangen«, sagte er. Später war er zehn Minuten lang an Elsons Telefon beschäftigt.

 

Als er seine verschiedenen Gespräche beendet hatte, kamen auch schon die einzelnen Polizeimannschaften an, teils zu Rade, teils in Autos. Die meisten kamen mit dem Krankenwagen vom Hospital. Einige von ihnen waren schwer bewaffnet, und mit diesen ging Super in das Gebüsch zurück an die Stelle, wo er Elson gefunden hatte. Er hatte den Toten mit dem Gesicht auf dem Boden liegen lassen, aber seine Taschen waren noch nicht ausgeräumt gewesen, wie das jetzt der Fall war.

 

»Wir unterbrachen ihn, als wir kamen, und er ging seitwärts in die Büsche, in der Hoffnung, seine Arbeit zu vollenden. Hat jemand Lattimer gesehen?«

 

»Er war nicht auf der Wache, als ich wegging«, sagte ein Polizeisergeant in Uniform. »Ich hinterließ aber Nachricht, daß er hierher kommen sollte.«

 

Super sagte nichts.

 

Er ging quer durch die Stechginsterbüsche, bog sie um und schaute darunter. Die abgeschossenen Patronenhülsen lagen ganz offen dort. Er sagte einem Beamten, der ihm folgte, daß er sie aufheben solle, und schenkte ihnen weiter keine Beachtung. Er schnüffelte und witterte überall umher wie ein guter Jagdhund.

 

»Ich habe eine sehr feine Nase«, sagte er zu Jim. »Riechen Sie nicht etwas?«

 

»Nein, außer dem Ginstergeruch kann ich nichts wahrnehmen.«

 

Ein Arzt untersuchte den Körper des Toten, als sie zurückkamen, und hatte bereits Anordnungen getroffen, daß er fortgeschafft werden sollte.

 

»Begleiten Sie mich auf einem kleinen Spaziergang«, sagte Super und ging zu den Ginstersträuchern zurück. »Er ist in dieser Richtung fortgegangen.« Er zeigte auf eine Stelle zwischen den Brombeersträuchern. »Sie müssen mir folgen, ich will Ihnen wie ein Bluthund die Spur zeigen.«

 

Jim fühlte sich krank. Die Sonne schien heiß, und er entsetzte sich vor dieser neuen Bluttat. Man hätte glauben können, daß Super von einer Tennispartie sprach, bei der er geschlagen worden war, so respektvoll sprach er von dem Mann, der ihn immer aufs neue in Erstaunen setzte.

 

»Ich glaube, Sie müssen auch unter Polizeischutz gestellt werden, Mr. Ferraby«, sagte er. »Außerdem bin ich davon überzeugt, daß ich es am meisten notwendig hätte. Andererseits habe ich aber eine Chance, Großfuß zu fassen, bevor die Ärzte Leigh operieren, wenn ich für meine Person den Schutz ablehne.«

 

»Hängt viel von der Operation ab?«

 

Super nickte.

 

»Wenn Leigh seinen Verstand zurückbekommt, wird die ganze geheimnisvolle Angelegenheit so einfach zu enträtseln sein, daß selbst der jüngste Polizeibeamte den Fall aufklären könnte. Aber wie es jetzt liegt, habe ich noch keinen Beweis, sondern nur Verdachtsmomente. Gerichtshöfe lieben aber keine Verdachtsmomente, sie brauchen zwei einwandfreie Zeugen, die den Mörder beobachteten, während er das Verbrechen beging, und womöglich noch eine Fotografie des Kerls bei der Tat. Und sie haben bis zu einem gewissen Grad auch recht. Kennen Sie eigentlich den Henker?« fragte er plötzlich, als er vorsichtig den Waldpfad entlangging.

 

»Ich habe noch nicht das Vergnügen gehabt, seine Bekanntschaft zu machen.«

 

»Er ist ein lieber Mensch«, sagte Super. »Er hat keine Kapricen. Ich kannte einen Henker, der die ausgesuchtesten Leckerbissen zum Frühstück haben mußte. Aber dieser neue Mann ist einer von den gewöhnlichen, die Bier und Käse bevorzugen. Er ist so bescheiden, wie, man sich nur einen Menschen wünschen kann. Für gewöhnlich ist er in seinem Barbierladen in Lancashire tätig. Er hat mich schon oft rasiert.«

 

Jim schauderte.

 

»Wenn Kriminalfälle nur auf Grund von Verdachtsmomenten vor die Richter gebracht würden«, sagte Super, indem er seine frühere Unterhaltung wieder aufnahm, »so könnte der Mann ruhig in seinem Barbierladen bleiben. Das Gewerbe bringt nicht viel ein, besonders an diesem Ort, wo viele Bergleute wohnen, die sich nur einmal in der Woche rasieren lassen. Er sagte mir auch, daß die neuen Selbstrasierer seinem Geschäft großen Abbruch getan haben. Ich würde gern eine lohnendere Nebenbeschäftigung für ihn finden.«

 

Jim wußte aus Erfahrung, daß Super viel reden mußte, wenn er intensiv nachdachte, aber der Gegenstand, über den er sich unterhielt, und das, worüber er nachdachte, waren zwei vollständig verschiedene Dinge.

 

»Es ist merkwürdig«, fuhr er fort, »daß alle Leute glauben, ein Mann müsse verrückt sein, wenn er einen einigermaßen schlau durchdachten Mord begeht. Man würde sich Großfuß vorstellen mit Stroh im Haar – hier bog er ab«, sagte er plötzlich und nahm die Zweige eines jungen Holzapfelbaums beiseite. Er kroch auf eine Lichtung hinaus, die mit Gras bestanden war und sah einen einfachen Drahtzaun vor sich. Er lehnte sich darüber und schaute auf den vertieften Weg, der an der Grenze der beiden Grundstücke entlanglief.

 

»Das ist Cardews Feld«, erklärte Super. »Es ist nicht so verwildert – ich möchte nur wissen, ob er noch am Leben ist«, sagte er ruhig.

 

»Sie denken doch nicht …« Jim beendete seinen Satz nicht.

 

»Das kann man niemals wissen«, entgegnete Super, stieg über den Zaun und ging vorsichtig den steilen Abhang zu der staubigen Straße hinunter. Hier stellte er genaue Nachforschungen an.

 

»Der Weg ist schmal genug, um darüber hinwegzuspringen. Wenn er aber auf dem Gras weiterging … Hallo!«

 

Ein Mann kam langsam die Straße entlang. Er hatte einen. Zigarrenstummel zwischen den Zähnen und den steifen Hut ins Genick gesetzt.

 

»Sehen Sie, Lattimer kommt jetzt auch zur Arbeit«, sagte Super scharf. »Man sollte nicht denken, daß die Fabrikglocke schon vor einer halben Stunde geläutet hat. Guten Tag, mein tüchtiger Sergeant«, sagte er, als der Beamte auf Hörweite herangekommen war. »Waren Sie auf einer Hochzeit?«

 

»Nein, aber ich hörte gerade, daß es hier neue Unannehmlichkeiten gibt.«

 

»Haben Sie es erst jetzt gehört?« fragte Super ironisch. »Deshalb sind Sie wohl auch in so scharfem Trab hergelaufen?«

 

»Ich glaubte, daß es nicht notwendig sei, sich so zu beeilen«, sagte der andere kühl. »Einer der Dienstboten im Hause erzählte mir, was sich zugetragen hat, und ich dachte, ich könnte hier herumkommen, um den Weg abzukürzen. Auch hoffte ich eine Spur zu finden. Es ist doch ganz klar, daß er an dieser Stelle aus dem Gebüsch gekommen ist.«

 

Super antwortete nicht – dann zeigte er auf die Straße.

 

»Hier ist sehr viel Staub – wenn Sie den aufsammeln wollen?« sagte er. »Gehen Sie zu Cardews Haus und sehen Sie, was sich dort ereignet hat. Bleiben Sie bei ihm, bis ich Sie ablöse. Er darf nicht aus den Augen gelassen und sein Haus muß während der Nacht bewacht werden. Haben Sie verstanden?«

 

»Jawohl. Soll ich Mr. Cardew sagen, daß er unter polizeilichem Schutz steht?«

 

»Sagen Sie ihm alles, was Sie für richtig halten. Wenn er bemerkt, daß Sie auf seinen Türstufen sitzen, dann wird er schon vermuten, was los ist. Dann noch eins, Sergeant: Wenn er zu diesem Gebüsch gehen will, um Spuren zu suchen, dann tun Sie ihm den Willen. Aber lassen Sie ihn nur dann hierhergehen, wenn noch viele andere Leute an der Stelle sind. Ich mache Sie für sein Leben verantwortlich. Wenn man ihn tot in seinem Zimmer auffindet, lasse ich keine Entschuldigung gelten.«

 

»Sehr wohl, Sir«, sagte Lattimer und ging den Weg zurück, den er gekommen war.

 

»Lattimer ist ein guter Kerl«, sagte Super, »aber er hat zu wenig Instinkt. Alle Tiere einschließlich der Detektivsergeanten haben Instinkt – wenn sie ihn doch bloß entwickeln würden!« »Sie trauen Lattimer sehr – täuschen Sie sich auch nicht in ihm?« fragte Jim ruhig.

 

»Ich traue niemand«, war die überraschende Antwort. »Es mag so scheinen, als ob ich ihm traue, aber das ist doch gerade meine. Schlauheit, daß immer alles so scheint. Wenn Sie ein guter Polizeibeamter sein wollen, dann dürfen Sie niemand trauen, auch nicht Ihrer eigenen Frau. Das ist auch der Grund, warum Polizeibeamte niemals verheiratet sein sollten. Früher oder später wird Lattimer einmal ein sehr guter Detektiv werden, wenn er nicht auf Abwege gerät. Jeder junge Detektiv hat Versuchungen durchzumachen. Er kommt viel in schlechte Gesellschaft.«

 

Sie gingen langsam nach Hill Brow zurück, und Super untersuchte das Arbeitszimmer des Toten. Mit Ausnahme eines Dampferbilletts, eines Kreditbriefes über eine außerordentlich hohe Summe und einer großen Menge englischen Geldes fand er nur wenig wichtige Dinge. Es waren fast gar keine Dokumente in den Schubladen von Elsons Schreibtisch, nur ein paar Kaufmannsrechnungen und eine Grundstücksurkunde über Hill Brow. Seine Sekretärin, eine blasse Frau in mittleren Jahren, erzählte Super, daß er wenig Korrespondenz gehabt habe.

 

»Ich glaube auch kaum, daß er richtig schreiben und ordentlich lesen konnte«, klagte sie. »Er hat mich übrigens in seinen Privatangelegenheiten nie ins Vertrauen gezogen.«

 

»Vielleicht hatte er überhaupt keine Privatangelegenheiten«, meinte Super.

 

Der große Aschenkasten vor dem Kamin war noch gefüllt und rechtfertigte Mr. Cardews Verdacht. Es war alles Asche von verbrannten Papieren. Die Überreste von zwei Büchern waren zu erkennen, aber was für Bücher es waren, konnte man nicht mehr feststellen.

 

»Er hatte natürlich irgendwelche Akten – ob er sie nun selbst geschrieben hat oder ob sie für ihn geschrieben wurden. Sicher ist nur, daß er sie verbrannt hat. Tatsächlich hatte er eine schnelle Flucht vorbereitet.«

 

Bevor Jim in die Stadt zurückkehrte, ging er noch hinauf, um den Anwalt zu begrüßen. Als er zu Mr. Cardew kam, schien es ihm, daß dieser viel weniger Vertrauen in seine eigene Sicherheit habe als vorher. Er saß blaß und nervös in seiner Bibliothek, schrak bei jedem Geräusch auf und war entsetzt über die Nachricht, die ihm Lattimer gebracht hatte.

 

»Ein Trauerspiel nach dem anderen«, sagte er mit hohler Stimme, als Jim näher trat. »Es ist ganz schrecklich, Ferraby. Wer hätte denken können, daß der arme Elson …« Er brach mitten im Satz ab. »Sie wissen doch, daß er gewarnt worden war. Sergeant Lattimer erzählte mir die Geschichte. Ein Stück Papier wurde vorigen Abend an seine Tür geheftet.«

 

Offenbar beunruhigte Cardew diese Warnung ebensosehr, wenn nicht mehr als die Mordtat selbst; denn er kam dauernd darauf zurück.

 

Seine Leidenschaft, Kriminalfälle aufzuklären, war augenblicklich auf dem Höhepunkt. Jim hatte noch nichts von dem Papier gehört, das an Elsons Tür angeklebt worden war, und er wunderte sich, warum der Oberinspektor ihm diese merkwürdige Tatsache nicht mitgeteilt hatte. Wahrscheinlich wäre die Sache bei Elsons Verhaftung herausgekommen. Er erwähnte diesen Umstand Cardew gegenüber, der ihn entsetzt anschaute.

 

»Elson sollte verhaftet werden? Warum?« fragte er keuchend. »Was hat er denn getan?«

 

»Er muß irgend etwas gestohlen haben, oder es befand sich gestohlenes Eigentum in seinem Besitz. Ich habe den Verhaftungsbefehl nicht gerade gern unterzeichnet. Es war das erstemal, daß ich meinen Namen unter ein solches Dokument setzte. Aber Super bestand so sehr darauf, daß ich es schließlich tat. Er wollte gerade die Verhaftung vornehmen, als er den Mord entdeckte.«

 

»Also Elson sollte verhaftet werden«, wiederholte Cardew ungläubig. »Das kann ich nicht verstehen. In meinem Verstand geht alles durcheinander. Ich hoffe, daß man mein Zeugnis bei der gerichtlichen Untersuchung des Mordes nicht braucht. Ich bin vollständig erledigt durch diesen neuen Schrecken.«

 

Und doch mußte er noch sehr stark von seiner Passion beherrscht werden, denn er fuhr fort:

 

»Möglicherweise waren Hanna und Elson wirklich verheiratet, und es wäre möglich, daß ein unbekannter Rivale die beiden tötete. Solche Fälle sind schon vorgekommen.« Er machte eine verzweifelte Bewegung mit seinen Händen. »Ich bin verrückt, daß ich mich mit all diesen Dingen abquäle. Leute wie der Oberinspektor Super eignen sich für solche Sachen viel besser, trotz all meiner Kenntnisse und meiner Studien. Allmählich fühle ich doch meine Unterlegenheit«, sagte er mit einem schwachen Lächeln.

 

Lattimer saß im Garten, als Jim aus dem Haus kam. Er hatte einen Stuhl in den Schatten eines Maulbeerbaums gestellt und schien halb eingeschlafen zu sein, denn er schrak zusammen, als Jim ihn anrief.

 

»Gott sei Dank, daß Sie nicht Super sind«, sagte er. »Es ist ein furchtbar einschläfernder Platz.«

 

Jim sah, daß er von seinem Sitz aus sowohl den vorderen Eingang von Barley Stack wie auch die Fenster von Mr. Cardews Arbeitszimmer überschauen konnte.

 

»Sind Sie auch wie Super der Ansicht, daß Mr. Cardew in Gefahr ist?«

 

Lattimer zuckte die Achseln.

 

»Wenn Super sagt, daß Ihm Gefahr droht, dann ist er eben in Gefahr.«

 

Jim glaubte, einen ironischen Unterton in der Antwort zu hören.

 

»Waren Sie mit Super zusammen, als er den Toten fand, Mr. Ferraby? Wie ist er getötet worden? Hat man ihn erschossen?«

 

»Ja«, sagte Jim ruhig. »Und es war ein glücklicher Umstand, daß wir nicht auch sein Los teilten.«

 

Lattimer schaute ihn mit großen Augen an.

 

»Wieso?« fragte er höflich. »Hat er oder sie oder wer es auch immer war auf Sie geschossen? Der Kerl muß aber Nerven wie Stahl haben. Ich dachte, Super wäre nur wieder mal schlechter Laune gewesen – aber das erklärt alles. Haben Sie denn nichts von dem Schützen gesehen?«

 

»Nein«, sagte Jim. Seiner Meinung nach war die Frage etwas überflüssig.

 

»Super hat ihn nicht gesehen – oder glauben Sie, daß er ihn doch gesehen hat? Super kann sehr scharf sehen, obgleich er immer vorgibt, daß es nicht so ist. Vor zwei Jahren behauptete er plötzlich, daß er stocktaub geworden sei, und die halbe Polizeidirektion ließ sich auch von ihm täuschen. Er hat auf Sie geschossen?« sagte er halb belustigt und schaute Jim dabei forschend an. »Also deshalb wird auch Mr. Cardew unter polizeilichen Schutz gestellt. Dieser Großfuß ist sicher ein ganzer Kerl.« Er unterdrückte mit Mühe ein Gähnen. »Ich habe vorige Nacht gewacht«, sagte er und nahm sein Taschentuch heraus.

 

Jim nahm einen schwachen Duft wahr. »Ich hätte nie geglaubt, daß sie so eitel wären, Sergeant«, sagte er gut gelaunt.

 

»Meinen Sie das Parfüm?« Lattimer roch an dem Batisttuch. »Meine Wirtin legt immer ein Riechkissen zwischen meine Taschentücher. Aber ich habe es ihr verboten und hoffe, sie wird es nicht wieder tun.« Dann überkam Jim ein kalter Schauer, als ihm plötzlich wieder zum Bewußtsein kam, wie Super im Gebüsch umhergeschnuppert hatte. Er mußte sich zusammennehmen. Er wollte Lattimer eben eine verfängliche Frage stellen, als der Beamte sie ihm unwillkürlich beantwortete.

 

»Super würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, wenn er den Duft riechen könnte. Er hat eine Spürnase wie ein Jagdhund. Dieser Mann hat übernatürliche Gaben.« Er gähnte wieder. »Ich würde heute abend gern früh zu Bett gehen.«

 

Es war spät, als Jim Ferraby nach Whitehall zurückkehrte, aber sein Vorgesetzter war noch im Büro und sandte nach ihm, als er ihn kommen hörte.

 

»Es scheint, daß Sie in letzter Zeit in eine Mordaffäre verwickelt sind«, sagte der alte Sir Richard. »Worum dreht es sich denn eigentlich?«

 

Jim erzählte ihm alles, was er wußte, aber es war nicht viel.

 

»Super ist mit der Aufklärung der Sache betraut«, sagte der Vorgesetzte nachdenklich. »Man könnte keinen besseren Mann für diesen Zweck finden. Tut er nicht sehr geheimnisvoll?«

 

»Ja, sein Verhalten ist sehr seltsam.«

 

Sir Richard mußte lachen.

 

»Dann können Sie sicher sein, daß er bald den Schuldigen festnehmen wird«, sagte er. »Wenn Super offen und frei über einen Fall spricht, dann ist die Lage meist hoffnungslos.«

 

Jim beendete seine Arbeit. Er war durch Supers Besuch etwas in Rückstand gekommen und beeilte sich, Elfa aufzusuchen. Sie war noch im Krankenhaus, als er nach Cubitt Street kam. Zwischen den Ärzten hatte eine Beratung stattgefunden, bei der bestimmte Entscheidungen gefallen waren, und man mußte ihre Einwilligung haben. Sie sah abgespannt und müde aus, als er sie an der Ecke von Cubitt Street traf.

 

»Sie werden die Operation nicht vor Ende nächster Woche vornehmen«, erzählte sie ihm. »Mr. Cardew hat mir eine sehr eilige Botschaft geschickt und mich gefragt, ob ich nicht zu ihm nach Barley Stack kommen wolle, Er hat wichtige und dringende Arbeiten, und er sagt, daß er sein Haus nicht verlassen darf.«

 

»Sie werden nicht zu Cardew gehen«, sagte Jim entschieden. »Er steht selbst unter Polizeischutz, und ich kann es nicht dulden, daß Sie sich dort einer neuen Gefahr aussetzen.«

 

Er brauchte ihr nicht die Geschichte von Elsons Tod zu erzählen, sie hatte schon alles in der Abendzeitung gelesen. Aber die Sorge um die Gesundheit ihres Vaters war so groß und sie war dadurch so in Anspruch genommen, daß sie sich wenig um andere Dinge kümmerte.

 

»Ich kannte ihn kaum«, sagte sie. »Aber das würde mich nicht von Barley Stack abhalten. Ich bin nur so schrecklich müde, Jim.«

 

»Cardew kann warten«, sagte er fest.

 

Aber offensichtlich konnte Mr. Cardew nicht warten. Als sie in das Wohnzimmer kamen, läutete das Telefon, und es war der Anwalt, der anrief. Sowie Jim es bemerkte, nahm er Elfa den Hörer aus der Hand.

 

»Hier ist Ferraby«, sagte er. »Ich komme eben mit Miss Leigh ins Zimmer. Sie ist viel zu angegriffen, um heute abend noch nach Barley Stack zu kommen.«

 

»Überreden Sie sie doch, daß sie herkommt«, bat Cardew dringend. »Begleiten Sie sie doch, wenn Sie wollen. Ich würde mich auch sicherer fühlen, wenn jemand hier im Hause ist.«

 

»Aber hat denn die Angelegenheit nicht Zeit?«

 

»Nein, nein, es ist Gefahr im Verzug!«

 

Jim nahm deutlich die Unruhe und Aufregung in der Stimme des Anwalts wahr.

 

»Es ist absolut notwendig, daß ich jetzt meine Angelegenheit in Ordnung bringe.«

 

»Aber Sie glauben doch nicht, daß Ihnen wirklich Gefahr droht?«

 

»Doch, ich bin ganz sicher. Ich möchte schnell alles ordnen, damit die junge Dame das Haus wieder verlassen kann, bevor weitere Beunruhigungen kommen. Super hat mir verboten, das Grundstück zu verlassen. Können Sie denn nicht mit Miss Leigh herkommen?« Er drängte so sehr, daß Jim die Öffnung des Hörers mit der Hand zuhielt und Elfa die Sachlage erklärte.

 

»Ist es wirklich so dringend?« fragte sie erstaunt. »Ich hätte nicht gedacht, daß Mr. Cardew so ängstlich sein könnte.«

 

Sie zögerte.

 

»Vielleicht wäre es doch besser, wenn ich ginge. Wollen Sie mich begleiten?«

 

Die Aussicht, eine Nacht mit ihr unter dem gleichen Dach zubringen zu können und eine lange Fahrt mit ihr durch die Abendkühle zu machen, hatte Jims Ansicht vollständig geändert. Aber trotzdem durften seine egoistischen Gründe nicht den Ausschlag geben, und er versuchte sie zu überreden, nicht fortzugehen. Er war aber nur halb bei der Sache, wie sie sofort mit dem feinen Instinkt der Frau erkannte.

 

»Sagen Sie ihm bitte, daß ich kommen werde. Die Luftveränderung wird mir guttun, und es wird vielleicht auch gut für Mr. Cardew sein.«

 

Jim übermittelte die Botschaft und legte dann den Hörer auf.

 

»Ich glaube, daß ich mich wegen der bevorstehenden Operation so mutlos fühle. Bitte gehen Sie schon zum Wagen, ich werde inzwischen meine Sachen packen und zu Ihnen hinunterkommen.« Sie hatte noch nicht zu Abend gegessen, aber sie wollte nicht warten.

 

»Mr. Cardew ißt immer sehr spät zu Abend, und er wird sicher auf uns warten.«

 

Ihre Vermutungen waren gerechtfertigt. Als sie ankamen, fanden sie Cardew in der Bibliothek. Er ging nervös auf und ab und hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt. Als Elfa ihn sah, erschrak sie über die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, seitdem sie ihn zum letztenmal gesehen hatte. In der Aufregung, in der er sich jetzt befand, schien er zehn Jahre älter geworden zu sein. Und er war sich dessen auch bewußt.

 

»Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie gekommen sind«, sagte er und drückte ihr dankbar die Hand. »Ich habe mit dem Abendessen auf Sie gewartet und hoffe, daß Sie noch nicht gespeist haben. Ich werde mich wohler fühlen, wenn ich etwas gegessen habe. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich heute überhaupt schon etwas zu mir genommen habe.«

 

Für gewöhnlich trank er keinen Wein, aber bei dieser Gelegenheit stand eine Flasche mit goldenem Hals auf Eis. Cardew wurde durch den Genuß des Weins wieder frischer und bekam seine Haltung wieder.

 

»Es ist teilweise der traurige Unglücksfall, der Elson zugestoßen ist, teils auch die Erkenntnis, daß ich unter polizeilichem Schutz stehe, wie es der Oberinspektor ausdrückt, was meine Nerven so sehr aufregt, und doch« – er machte eine Pause mit dem Weinglas in der Hand – »diese höllische Leidenschaft, Verbrechen aufzuspüren, ist so stark in mir geworden, daß ich mich selbst immer wieder dabei ertappe, Theorien aufzustellen und Schlußfolgerungen zu ziehen, wie Minter es nennt.«

 

Später erklärte er, warum er Elfa hatte kommen lassen.

 

»Ich bilde mir eigentlich nicht ein, daß überhaupt Gefahr für mich besteht; aber als alter Anwalt muß ich mir sagen, daß ich auf jede Eventualität gefaßt sein muß. Heute nachmittag überkam mich plötzlich die Erkenntnis, daß ich kein Testament gemacht habe und noch nichts tat, um meine Papiere in Ordnung zu bringen. – Ich bin tatsächlich, wenn mir etwas zustoßen sollte, ebenso unvorbereitet wie irgendein unvorsichtiger Laie, dessen ungeordnete Nachlassenschaft die Zeit unserer Gerichte sehr in Anspruch nimmt. Mein letzter Wille ist schon aufgesetzt. Wenn Miss Leigh zwei Abschriften anfertigt, würde ich Sie bitten, Mr. Ferraby, sie durchzusehen und meine Unterschrift als Zeuge zu beglaubigen. Einer meiner Dienstboten kann dann als zweiter Zeuge mitunterzeichnen.« Als Elfa sprechen wollte, lächelte er. »Unglücklicherweise können Sie selbst nicht Zeugin sein, denn ich habe mir erlaubt, Ihnen ein großes Legat auszusetzen.«

 

Er brachte sie durch eine Handbewegung zum Schweigen, als sie ihm danken wollte.

 

»Ich bin ein alter Mann. Ich habe mich in meinem Leben noch nie so einsam gefühlt wie an diesem Abend. Ich habe keine Verwandten mehr, höchstens ein paar Freunde, und nur wenige Menschen, gegen die ich Dankbarkeit empfinde.« Er lächelte. »Ich habe dem Oberinspektor Minter wenigstens ehrenhalber ein Legat ausgesetzt – ich habe ihm nämlich meine kriminologische Bibliothek vermacht.« Er lachte zum erstenmal. »Ich habe ihm auch eine Geldsumme vermacht, die ihn in den Stand setzt, entweder ein Haus zu kaufen, in dem er die Bibliothek aufstellen kann, oder ein Motorrad, das seine Zeitgenossen und Mitmenschen nicht mehr so erschreckt, wenn er damit auf den Straßen umhersaust.«

 

Nach dem Abendessen zog er sich mit Elfa in die Bibliothek zurück, und Jim, der sich selbst überlassen war, ging in den Garten, um eine Zigarre zu rauchen. Er war kaum zwei Schritte weit gegangen, als der unvermeidliche Wachtposten erschien. Es war nicht Sergeant Lattimer, wie Jim wahrnahm, sondern ein Detektiv, den er schon früher einmal in Supers Büro getroffen hatte. Sie sprachen über das Wetter, über die schöne Nacht, über die Aussichten, die die Zweijährigen in dem nächsten Derby haben würden – sie sprachen tatsächlich über alles, aber sie erwähnten nicht, warum der Beamte hier wachte. Während sie auf und ab gingen, wurden die Rolladen von Cardews Arbeitszimmer hochgezogen, und Jim konnte auf der einen Seite des Schreibtisches den Anwalt, auf der anderen Elfa sehen. Sie schrieb schnell nach seinem Diktat.

 

»Ist das nicht ein wenig, gefährlich?« fragte Jim nervös. »Die Leute sind doch vom Garten aus deutlich zu sehen.«

 

»Vielleicht geben Sie ihnen den Rat, die Rolladen herunterzulassen«, sagte der Beamte.

 

Da Jim den Anwalt nicht selbst unterbrechen wollte, sandte er eine Nachricht durch einen der Diener hinein, und zu seiner Genugtuung stellte er fest, daß man seinem Rat folgte.

 

»Ich wundere mich, warum Mr. Cardew nicht schon selbst daran dachte«, sagte der Beamte. »Soviel ich weiß, beschäftigt er sich mit Dingen, die sonst nur die Polizei angehen.«

 

In diesem Augenblick hörte man von den Feldern her den ersten sanft schmelzenden Laut eines Nachtigallenschlages. Dann herrschte wieder tiefes Schweigen.

 

»Vielleicht gehen Sie jetzt hinein«, sagte der Mann höflich zu Jim. »Meine Ablösung kommt. Super würde es wahrscheinlich nicht gerne sehen, wenn er mich im Gespräch mit Ihnen fände.«

 

Jim ging verwundert in das Haus. Er begab sich in sein Schlafzimmer und packte seinen Koffer aus, den er aus dem Klub geholt hatte. Nachdem er der Ablösung Zeit gelassen hatte, zu kommen und zu gehen, ging er wieder in den Garten und war erstaunt, denselben Beamten noch auf Posten zu finden. Noch erstaunter war er, daß die Rolladen wieder hochgezogen waren, so daß Cardew und seine Sekretärin deutlich sichtbar waren.

 

»Super dachte, es sei wichtig und notwendig, den Raum überschauen zu können. Er sagte, daß sich hinter geschlossenen Läden etwas ereignen könnte.«

 

»War Mr. Minter hier?«

 

»Nur für eine Minute, Sir«, sagte der andere. Er war nicht abgeneigt, die Unterhaltung mit ihm fortzusetzen. Er nahm eine Zigarre, die Jim ihm anbot, und beklagte sich dann über die Ungerechtigkeit des neuen Pensionssystems für Polizeibeamte. Um Viertel nach zwölf kam Elfa aus dem Arbeitszimmer und bat Jim in die Bibliothek.

 

»Ich glaube, wir haben jetzt alles fertiggemacht. Es war eine entsetzliche Arbeit«, sagte sie mit leiser Stimme. »Jim, er hat mir eine ungeheure Summe vermacht. Das hätte er nicht tun sollen, aber er lehnt es ab, das Testament zu ändern.«

 

Cardew hatte nach seinem verschlafenen Diener geläutet. Dann wurde das Testament von allen unterzeichnet, auch von Jim und dem Diener.

 

»Ich möchte Sie bitten, dies aufzubewahren«, wandte sich der Anwalt an Jim. »Verwahren Sie es wenigstens bis morgen früh, bis ich es an einen sicheren Ort bringen kann. Es war eine wirklich erfolgreiche Arbeit heute abend, und ich bin sehr froh, daß sie beendet ist.« Er war ruhiger und hatte sich wieder erholt.

 

»Es wäre nun besser, Miss Leigh«, sagte er, »wenn Sie zu Bett gingen. Das Dienstmädchen wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Sie haben den Raum schon bewohnt, als Sie das letztemal hier waren.«

 

Sie war froh, daß sie gehen konnte, schloß mit einem Gefühl der Erleichterung die Tür ab und begann sich auszuziehen. Zehn Minuten später fiel sie schon in einen tiefen und traumlosen Schlaf.

 

Von den Feldern her sah Lattimer, wie ihr Licht ausgemacht wurde, und kam näher an das Haus heran.

 

Kapitel 25

 

25

 

Tap, tap, tap! Elfa hörte den Ton im Schlaf und wurde munter. Tap, tap, tap!

 

Sie glaubte, daß der Rolladen vom Wind gegen das Fenster geschlagen würde. Sie war halb im Schlaf, halb im Wachen, und ihr Bewußtsein verlor sich wieder in Schlaf und Traum, als es aufs neue tönte:

 

Tap, tap, tap!

 

Jetzt wurde sie ganz wach und stützte sich auf den Ellbogen. Es war ihr ganz klar, daß der Ton vom Fenster herkam, und die regelmäßigen Abstände, in denen das Geräusch kam, ließen keinen Zweifel darüber, daß es irgendwie absichtlich hervorgerufen sein mußte. Die Nacht war still und lautlos, und kein Luftzug regte sich. Sie ging zum Fenster und zog die schweren Vorhänge zurück. Das untere Fenster stand weit offen, wie sie es am Abend vor dem Schlafengehen verlassen hatte. Sie konnte keine Schnur und keinen Gurt herunterhängen sehen, von dem das Geräusch herkommen konnte. Die Welt draußen lag in tiefer Finsternis.

 

Als sie zum Fenster hinausschaute, hörte sie, wie der Kies knirschte. Ihr Herz schlug wild vor Aufregung, aber dann erinnerte sie sich daran, daß das Haus bewacht wurde.

 

»Sind Sie es, Miss Leigh?« fragte eine leise Stimme.

 

»Ja«, antwortete sie ebenso. »Haben Sie ans Fenster geklopft?« »Nein«, war die verwunderte Antwort. »Haben Sie jemand klopfen hören? Da müssen Sie wohl geträumt haben.«

 

Sie legte sich wieder nieder, aber sie konnte nicht mehr schlafen. Gleich darauf hörte sie es wieder: Tap, tap, tap!

 

Sie stand auf, zog die Vorhänge ganz leise beiseite und horchte in das tiefe Schweigen hinaus. Dann wandte sie sich vorsichtig zum Fenster und lehnte sich hinaus. Sie strengte ihre Augen an, um die Finsternis zu durchdringen.

 

Sie konnte niemand sehen, nur hinten, nach den Bäumen zu, entdeckte sie das dunkle Glühen eines feurigen Punktes. Sie vermutete, daß der Polizeibeamte eine Zigarette rauchte. Wer mochte wohl ans Fenster geklopft haben? Sie lehnte sich etwas weiter hinaus, und dann fiel von oben etwas über ihren Kopf und legte sich um ihren Hals.

 

Noch ehe sie sich von ihrem Schrecken erholen konnte, zog sich die Schlinge um ihren Hals fester zu. Sie langte mit der Hand hinauf, ergriff die Schnur, die sie zu erwürgen drohte, und zerrte wild daran. Aber mit ungeheurer Kraft riß es sie nach oben. Krampfhaft faßte sie mit der anderen Hand nach dem Fensterbrett und klammerte sich an einem Blumenkasten an. Er fiel mit Gepolter zu Boden. Irgendwo aus dem Garten blitzte ein heller Lichtstrahl auf und beleuchtete sie. In diesem Augenblick lockerte sich die seidene Schnur. Elfa taumelte in das Zimmer zurück und fiel halb bewußtlos neben ihrem Bett nieder. Die Schlinge lag noch um ihren Hals.

 

Der Wachtposten vom Garten kam herbeigelaufen, sprang hoch, erfaßte die obere Kante des Fenstersimses, schwang sich in das Zimmer und drehte das elektrische Licht an.

 

Sie schaute in das Gesicht eines Mannes in mittleren Jahren, den sie nicht kannte. Er nahm die Schlinge von ihrem Hals und legte sie auf ihr Bett. Dann ging er wieder zum Fenster und stieß einen schrillen Pfiff mit seiner Trillerpfeife aus.

 

Jim hörte es und war im Nu aus seinem Zimmer. Aus der Richtung des Schalles konnte er hören, daß er aus Elfas Zimmer kommen mußte. Als er die Tür öffnete, sah er, wie der Detektiv, mit dem er am Abend vorher gesprochen hatte, ihr Gesicht mit einem Schwamm wusch.

 

»Kümmern Sie sich um die Dame«, sagte der Beamte kurz, gab ihm den Schwamm, verließ schnell den Raum und lief die Treppe in die Höhe, die unmittelbar gegenüber der Tür mündete. Jim hörte das Geräusch, wie er mit seinen schweren Schuhen in dem Raum, der über dem Zimmer lag, umherging. Dann wurde er vom Garten aus angerufen.

 

»Ist etwas nicht in Ordnung?«

 

Es war Super.

 

Elfa hatte das Bewußtsein wiedererlangt. Jim ging zum Fenster und erzählte mit ein paar Worten,, was er von der seidenen Schnur am Boden und den roten Flecken am Halse Elfas vermutete.

 

»Kommen Sie schnell herunter und lassen Sie mich ins Haus!«

 

Jim eilte die Treppe hinunter, als Mr. Cardew mit einem Revolver in der einen und einer Taschenlampe in der andern Hand aus seinem Zimmer trat.

 

Ferraby hielt nicht an, um ihm eine Erklärung zu geben, sondern schob die Riegel der Haustür zurück und ließ Super ein. Als sie das Zimmer Elfas wieder erreichten, saß sie auf der Bettkante. Sie hatte ihren Morgenrock um die Schultern gelegt. Ihr Hals schmerzte, sie hatte Schwindelgefühle und starke Kopfschmerzen und zitterte an allen Gliedern. Aber sie konnte wenigstens erzählen, was ihr zugestoßen war.

 

Als sie eben zu Ende war, kam der Detektiv, der nach oben gegangen war, zurück. Er hatte eine Bambusstange in der Hand.

 

»Oben ist ein Bodenraum«, sagte er, »von dem aus eine Falltür auf das Dach führt. Das ist alles, was ich gefunden habe. Der Kerl muß damit an das Fenster geklopft haben.«

 

Super kümmerte sich überhaupt nicht um die Bambusstange.

 

»Er klopft an das Fenster, sie schaut hinaus, und er wirft ihr eine Schlinge um den Hals«, flüsterte er. »Und oben ist eine Falltür, damit er entkommen kann. Ich sage Ihnen, dieser Kerl vergißt nichts! Also schnell aufs Dach, hinter ihm her! Haben Sie eine Pistole? Wenn Sie ihn sehen, schießen Sie … Brechen Sie sich aber nicht das Genick, das ist die Sache nicht wert. Ich fürchte, er wird schon entwischt sein, bevor Sie ihre Untersuchung anfangen können.«

 

Cardew war an der Tür und verlangte Einlaß. Mit einem verärgerten und müden Ausdruck ging Super hinaus und erzählte ihm von dem Vorfall.

 

»Der Raum hier oben ist eine Dachkammer und wird nie gebraucht«, erklärte er überflüssigerweise.

 

Super öffnete ihm widerwillig die Tür und erlaubte ihm, näher zu treten.

 

»Kennen Sie das?« fragte er, nahm die rotseidene Schnur auf und zeigte sie ihm. Sie war etwa drei Meter lang, und das Ende war sorgfältig zu einer Schlinge gebunden.

 

Mr. Cardew schüttelte den Kopf.

 

»Ich habe sie niemals vorher gesehen«, sagte er. »Es ist wohl eine altmodische Klingelschnur. Wir haben nur elektrische Glocken im Haus. Sie ist sehr alt …«

 

»Das vermute ich«, unterbrach ihn Super. »Sie können die Art in jedem Laden kaufen. Fühlen Sie sich besser, meine liebe Miss Leigh?«

 

Sie nickte und machte den tapferen Versuch zu lächeln.

 

»Wir werden das Zimmer verlassen, dann können Sie sich anziehen. Ich glaube, es ist besser, wenn Sie nach unten kommen. Es ist drei Uhr, und früh aufstehen schadet niemals etwas.«

 

In dem Augenblick kam der Detektiv zurück, um die Ergebnislosigkeit seiner Nachforschungen auf dem Dach zu melden.

 

»Wo ist Lattimer?«

 

»Er ist auf der anderen Seite des Hauses.«

 

Super sagte nichts weiter. Als sich das Mädchen angekleidet hatte und herunterkam, ging er hinaus auf den Rasen. Plötzlich hörte Jim ein Nachtigallenflöten wie am vorigen Abend.

 

»Ich kann das Schlagen einer Nachtigall täuschend nachahmen«, gab Super bescheiden zu. »Ich habe direkt eine Gabe, Vogelstimmen zu imitieren, aber Nachtigallen sind meine Spezialität … Nachtigallen und Hühner.«

 

Und zu Jims Erstaunen ließ er das Gegacker einer brütenden Henne hören. Bei einer anderen Gelegenheit hätte Jim laut lachen müssen.

 

»Sind Sie das, Lattimer?« rief Super, als der Sergeant zu ihm eilte.

 

Lattimer trat ins Licht.

 

»Jawohl, Sir.«

 

Seine Kleider waren staubig, seine Hose war an dem einen Knie zerrissen, und es fehlte ein Stück Stoff. Jim sah, daß seine Hände mit Schmutz und Ruß bedeckt waren.

 

»Was ist Ihnen zugestoßen, Lattimer?«

 

»Ich fiel herunter … ich war in solcher Eile«, sagte er kaltblütig.

 

»Haben Sie jemand oder etwas gesehen?« fragte Super.

 

»Nein, ich hörte nur Geräusche im Haus, aber ich wußte, daß Sie irgendwo hier in der Gegend waren. So dachte ich, es wäre besser, draußen zu warten für den Fall, daß jemand versuchen sollte, im Dunkeln durch das Gehölz zu entkommen.«

 

Jim erwartete, daß der Oberinspektor sein Verhör mit Lattimer fortsetzen würde, aber zu seinem Erstaunen geschah das nicht. Super gab ihm einen Befehl und ging dann wieder in das Arbeitszimmer, wo Elfa einen Spirituskocher ansteckte.

 

Der junge Mann war sehr unzufrieden und machte sich selbst auf die Suche. Er ging aus dem Haus, nahm eine der beiden Laternen vom Tisch in der Eingangshalle und besichtigte dann das Haus von außen. Er war noch nicht weit gegangen, als er eine merkwürdige Entdeckung machte. An der Hinterseite lehnte eine lange Leiter, und als er mit seiner Lampe nach oben leuchtete, sah er, daß sie bis zum Dach reichte. Auf der Seite der Leiter hing etwas herunter. Er stieg zwei Sprossen in die Höhe und sah, daß es ein Stück Tuch von unregelmäßiger Form war. Es war an einem vorstehenden Nagel an der Seite hängengeblieben. Er hatte gesehen, daß Lattimer einen dunkelgrauen Anzug mit einem leichten Karomuster trug, das im künstlichen Licht besser zur Geltung kam als am Tag, und dieses Stück Stoff war nicht nur vom selben Muster, sondern entsprach auch in Größe und Form genau dem Loch, das Lattimers Hose am Knie zeigte! Er steckte es in seine Tasche, ging nach dem Haus zurück, rief Super heraus und erzählte ihm, was er gefunden hatte. Der Oberinspektor hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen, und ging mit ihm zu der Seite, wo die Leiter stand.

 

»Das ist sicher sehr seltsam«, meinte er schließlich. »Aber es ist möglich, daß Lattimer die Leiter gesehen hat und hinaufstieg, um festzustellen, welche Bewandtnis es damit habe.«

 

»Das hat er aber doch nicht gesagt.«

 

»Nein, das hat er nicht gesagt, das gebe ich wohl zu. Ich werde mich um die Sache kümmern, Mr. Ferraby, und ich möchte Sie bitten, nichts hierüber zu den anderen zu sagen. Es ist sicher auffallend und sehr verdächtig, aber ich glaube doch, daß meine Vermutung richtig ist. Es war doch seine Pflicht, die Leiter und alles, was damit zusammenhing, zu untersuchen.«

 

»Aber er kam doch gar nicht aus der Richtung, wo die Leiter stand, sondern von der Pflanzung her«, sagte Jim hartnäckig.

 

Super rieb sein Kinn.

 

»Das ist gewiß verwunderlich«, gab er wieder zu und wiederholte seine Warnung. »Ich komme womöglich noch um das Vergnügen, den Fall aufzuklären«, fuhr er fort. »Es treten Zwischenfälle ein, mit denen ich nicht rechnete, und ich verstehe auch nicht, warum sie sich ereignen. Wenn ein Mann erst auf die abschüssige Bahn gerät, wird es immer schlimmer mit ihm. In einer halben Stunde wird der Morgen dämmern, dann ist die Gefahr für diese Nacht wohl vorüber.«

 

Er ging in die Bibliothek, ließ sich von Elfa Kaffee einschenken und setzte sich in einen niedrigen Sessel.

 

»Ich werde Ihnen etwas erzählen, was Sie sehr freuen wird«, sagte er zu ihr.

 

»Erzählen Sie es doch bitte schnell«, bat sie überrascht. »Was wollen Sie mir denn mitteilen?«

 

»Die Operation Ihres Vaters war ein großer Erfolg.«

 

Sie sprang auf die Füße, wurde rot vor Freude, dann wieder blaß.

 

»Die Operation ist schon vorüber – aber sie sollte doch erst nächste Woche vorgenommen werden?«

 

»Sie fand gestern abend statt«, sagte Super. »Ich habe mit den Ärzten abgemacht, daß Sie nichts erfahren sollten, bis alles vorüber sei. Aber ich dachte, Sie hätten es erraten, als mir die Oberschwester erzählte, daß Sie einen Brief für ihn zurückgelassen haben, den er lesen sollte, sobald er dazu imstande sei.«

 

»Aber ich habe keinen Brief zurückgelassen«, sagte sie schnell, »und ich hatte auch keine Ahnung, daß die Operation schon gestern abend sein sollte.«

 

Supers Augen wurden klein.

 

»Sie haben keinen Brief …«

 

Er langte nach dem Telefonhörer und wählte eine Nummer.

 

»Sie ist zu Bett? Wecken Sie die Dame auf und sagen Sie ihr, daß Polizeioberinspektor Minter sie jetzt sprechen muß.«

 

Er wartete mit dem Hörer am Ohr und schaute ins Leere. Elfa sah, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte.

 

»Sind Sie es, Miss Mud? Würden Sie so freundlich sein, den Brief, den Miss Leigh für ihren Vater hinterließ, zu öffnen und mir den Inhalt vorzulesen … Nein, das ist alles in Ordnung, ich habe ihre Erlaubnis dazu eben bekommen.«

 

Er wartete. Elfa sah, wie er nickte.

 

»Ach … Danke Ihnen«, sagte er endlich. »Ja, bewahren Sie den Brief für mich auf.«

 

Dann legte er den Hörer wieder auf.

 

»Was stand denn in dem Brief?« fragte Elfa.

 

»Es hat sich jemand einen Spaß erlaubt, denke ich. In dem Brief stand:›Herzliche Grüße. In aller Liebe Deine Elfa.‹ Das ist alles.«

 

Super sprach aber nicht die Wahrheit. Der Brief bestand nur aus einer Zeile, die so lautete:

 

»Ihre Tochter wurde in der vorigen Nacht erdrosselt.«

 

Dieser Kerl denkt an alles, dachte Super voll Bewunderung.

 

Kapitel 26

 

26

 

Mr. Cardew hatte einen Entschluß gefaßt. Er wollte sein Haus abschließen, seine Diener entlassen und entweder eine Wohnung in der Stadt mieten oder den Rest des Sommers auswärts zubringen.

 

»Das scheint mir eine sehr gute Idee zu sein; Sie können nicht schnell genug gehen«, meinte Super, als er es ihm erzählte. »Ich glaube, es wäre das beste, wenn Sie schon heute abend das Haus verließen.«

 

»Ich glaube nicht, daß ich schon heute abend fort kann, ich habe noch zu packen …«

 

»Ich werde Ihnen mehrere Leute zur Verfügung stellen, die Ihnen helfen können«, entgegnete Super.

 

»Ich will diese Nacht noch hier bleiben«, entschied sich der Anwalt, nachdem er eine Weile überlegt hatte. »Vielleicht speisen Sie heute mit mir zu Abend?«

 

»Das kann ich leider nicht, ich erwarte einen meiner Freunde.«

 

»Bringen Sie ihn doch mit.«

 

Super zögerte.

 

»Ich glaube, das ist nichts für Sie. Der Mann ist nicht gerade sehr vornehm, aber ich bewundere ihn doch. Er streitet sich nicht mit mir herum, er ist auch nicht schlau, und wenn jemand sich nicht mit mir herumzankt und nicht schlau ist, dann ist er nach meinem Herzen.«

 

»Super, ich habe Sie noch nicht um Ihre Ansicht über all diese schrecklichen Dinge gebeten, die sich hier in unserer nächsten Nachbarschaft ereignet und Menschen betroffen haben, die wir gut kennen. Ich möchte Sie heute abend fragen. Bringen Sie doch Ihren Freund auf alle Fälle mit. Mr. Ferraby hat auch versprochen, zu erscheinen.«

 

»Kommt die junge Dame auch?« fragte Super.

 

»Nein, sie wird den Abend mit ihrem Vater verbringen. Wir haben einen Raum für sie in dem Krankenhaus besorgt, so daß sie gleich bei ihm sein kann.«

 

Super nickte.

 

»Sie fragen mich, ob ich mir irgendwelche definitiven Ansichten gebildet habe? Ich habe es getan, und ich habe es auch nicht getan. Ich habe meine bestimmten Ansichten, aber ich habe noch keine Beweise dafür. Und ich kann keine Beweise bekommen, ohne die Beweggründe zu kennen. Denn es ist doch ganz klar, daß dieser Großfuß nicht im Lande herumgeht und die Leute tötet, bloß weil er sie morden will. Das existiert nur in Schauergeschichten und auch nur in den allerschlechtesten. Er versucht auch nicht, junge Mädchen zu erdrosseln, damit der Schreck ihrem Vater wieder den Verstand rauben soll, nur weil er gerne mordet. Wenn man erst anfängt zu lügen, ist man auch gezwungen, das Netz immer weiter zu weben.«

 

»Sie meinen betrügen«, verbesserte ihn Cardew mit einem schwachen Lächeln.

 

»Das ist dasselbe«, sagte Super ungeduldig. »Lügen ist Betrügen, und Betrügen ist Lügen. Das ist ja gerade das, was dem armen Kerl, dem Großfuß, passierte. Er fing an zu betrügen und mußte weiter betrügen. Und jedesmal, wenn es schien, daß jemand sein Geheimnis erraten könnte, zog er seine kleine Pistole heraus, und es war zu Ende mit dem Jemand. Es gibt keine Mörder aus Sport, wie ich sie bezeichnen möchte, ausgenommen die wahnsinnigen. Ein Mann begeht einen Mord aus demselben Grund, wie ein Junge seinen Hals wäscht, weil es eben keinen anderen Weg gibt, der Gesellschaft anzugehören. Und hinter all diesen Verbrechen steht ein Wunsch. Ein schönes Heim, Autos, Soupers mit Champagner und Tänzerinnen und allem, was das Leben begehrenswert macht. Ich kenne einen Mann, der seine Frau vergiftete, weil sie ihn zu Hause nicht rauchen lassen wollte – das ist eine Tatsache. Sehen Sie sich den Fall Armstrong an und lesen Sie den Beweis. Und ich kenne einen anderen Mann, der seinen Bruder umbrachte, weil er Geld brauchte, um wetten zu können. Mord ist das einzige Verbrechen, das die Leute niemals aus sich selbst heraus begehen. Hier fängt man sie. Es ist leicht, einen Mord zu verbergen, aber es ist schwer, die kleinen Verbrechen wegzuräumen, die zu dem Mord führen. Ferraby kommt?«

 

»Ja«, nickte Cardew.

 

»Das ist schön.«

 

»Ich wollte Sie noch etwas fragen, Oberinspektor«, sagte Cardew plötzlich. »Mein Gärtner sagt, daß Sie die Spuren einer Leiter so tief im Gras gefunden haben, daß man sie nicht übersehen konnte.«

 

»Es stand eine Leiter auf der Rückseite des Hauses«, sagte Super vorsichtig. »Ich brachte sie vor Tagesanbruch weg, weil ich niemand damit erschrecken wollte. Ich weiß nicht, woher sie kam, da keine Ihrer Leitern so groß ist. Ich werde Nachforschungen darüber anstellen. Und wegen meines Freundes, Mr. Cardew – er ist wie ich, er wird kein Messer vom andern unterscheiden können, und er wird die Speisen verschütten und die Gläser umkippen. Auch ist er nicht gesprächig.«

 

»Sie tun Ihr Bestes, um mich davon abzuhalten, ihn einzuladen«, lachte der Anwalt. »Aber Sie können ihn mitbringen, ich werde mich freuen, ihn zu sehen.«

 

»Er heißt Wells«, sagte Super abwesend. Er schien auf weitere Fragen gefaßt zu sein, aber Mr. Cardew war offenbar nicht neugierig.

 

Plötzlich schlug sich Minter mit einem ärgerlichen Ausruf auf den Schenkel.

 

»Daß ich das vergessen konnte! Ich lud doch meinen Sergeanten Lattimer auch ein, ihn kennenzulernen!«

 

»Bringen Sie Lattimer auch mit«, sagte der andere freundlich. »Lattimer wird wenigstens wissen, wie man mit Messer und Gabel umgeht. Es kam mir immer so vor, als ob er eine gute Erziehung genossen hat … vielleicht eine zu gute …«, fügte er zögernd hinzu.

 

»Meinetwegen«, brummte Super. »Aber er ist nicht zu gut für die Polizei, Mr. Cardew. Er wird einer der kommenden Männer sein. Er versteht etwas von Anthropologie, und das hat mich sehr verwundert. – Wieviel Zehen hat eigentlich ein Pferd? Lattimer weiß es. Er kann Ihnen auch sagen, welcher Unterschied zwischen den Spuren von Revolverschüssen und vorzeitigen Dynamitexplosionen besteht.«

 

»Oberinspektor, Sie haben mich zum besten! Das kann ich Ihnen nicht gestatten«, sagte Cardew gut gelaunt.

 

Er bestand darauf, am Nachmittag in die Stadt zu gehen, und erklärte sich nur widerwillig damit einverstanden, daß Super ihm einen Polizisten als Begleitung mitgab, der vor dem kleinen Büro in King’s Bench Walk Posten stand, während Mr. Cardew ohne Unterstützung seiner Sekretärin seine Geschäfte besorgte.

 

Er hatte viele Briefe zu schreiben, fand aber doch auch Zeit, nach dem Krankenhaus zu telefonieren und sich dort zu erkundigen. Elfa kam an den Apparat.

 

»Wie fühlen Sie sich?«

 

»Furchtbar müde«, sagte sie. »Ich hatte mich eben hingelegt, als ich hörte, daß Sie anriefen. Sind Sie in der Stadt, Mr. Cardew?«

 

»Ja, ich bin für eine Stunde in meinem Büro, gehe aber abends wieder nach Barley Stack zurück. Morgen werde ich mein Haus zuschließen und für einen oder zwei Monate in London sein. Das bedeutet, fürchte ich, daß unsere Zusammenarbeit nun beendet ist, und ich habe mir erlaubt, Ihnen einen Scheck statt einer Kündigung zu senden. Sie erinnern sich an den nächtlichen Einbruch, der in diesem Büro gemacht wurde? Mir kommt es so vor, als ob das schon ein Jahr her sei.«

 

»Es war aber erst letzte Woche«, sagte das Mädchen.

 

»Ich habe meine ganzen Papiere durchgesehen und weiß nun, was gestohlen wurde und warum es entwendet wurde. Selbst Super wird die Wichtigkeit meiner Entdeckung nicht anzweifeln.«

 

»Aus welchem Grund wurde denn der Einbruch verübt?« fragte sie neugierig. Aber er antwortete ihr nicht auf diese Frage. Als sie in ihren kleinen Raum zurückging, dachte sie bei sich, daß Mr. Cardew zu argwöhnisch sei, ihr seine Entdeckung mitzuteilen, weil er fürchtete, daß sie mit Super darüber sprechen könnte.

 

Cardew trat wieder auf die Straße, warf seine Briefe in einen Kasten, winkte dem Beamten, der ihn begleitete, und stieg wieder in das Auto ein. Er sah nicht, daß Lattimer ihn beobachtete. Aber der Sergeant hatte sowohl seine Ankunft wie seine Abfahrt gesehen und folgte ihm jetzt auch nach Barley Stack. Er saß in einem kleinen Wagen und fuhr so dicht hinter Mr. Cardew her, daß dieser ihn hätte sehen müssen, wenn er sich nur einmal umgedreht hätte.

 

Lattimer hielt nicht vor dem Haus, sondern fuhr etwas weiter und verbarg sein Auto in einem Kornfeld. Erst dann stieg er aus, kam zur Straße zurück und nahm Cardews Spur wieder auf.

 

Er ging sorglos über den Rasen, und der Polizeibeamte, der den Anwalt zur Stadt begleitet hatte, rief ihm vergnügt einen Gruß zu.

 

»Super hat nach Ihnen gefragt, Sergeant.«

 

»Ich war immer in der Nähe«, sagte der andere. »Sie können jetzt gehen.«

 

Er holte sich einen Stuhl und setzte sich in den Schatten eines Maulbeerbaumes. Mr. Cardew sah ihn von dem Fenster seines Arbeitszimmers aus sitzen und schickte ihm eine Kiste Zigarren hinaus. Sergeant Lattimer lächelte und winkte dankend zum Fenster hinauf. Er schien sich über etwas sehr zu freuen.

 

Kapitel 27

 

27

 

»Darf ich Ihnen Mr. Wells vorstellen?« sagte Super großartig.

 

Der kleine Mann; der ungemütlich auf der Ecke eines Stuhles in Supers Büro saß, erhob sich ehrfürchtig und streckte seine große Hand aus. Er war ein bescheidener, ruhiger Mann mit rotem Haar, das schon grau wurde. Er hatte einen geraden Scheitel, und eine große Locke hing über seine Stirn. An seiner langen, silbernen Uhrkette trug er zwei Medaillen. Jim kam es vor, als ob der neue Kragen Mr. Wells sehr unbequem sei.

 

»Wer ist das?« fragte Jim, als er Super einige Minuten allein sprechen konnte.

 

»Er soll ein Hinweis und ein Symbol sein«, sagte Super. »Er ist eine Karte in meinem Spiel. Sein Auftreten bedeutet Unannehmlichkeiten. Möglicherweise muß ich auch drei Monate lang mit meinen Vorgesetzten darüber Briefe wechseln. Aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und habe ihn zu mir gebeten.«

 

»Ist er ein Detektiv?« Aber als er sich an das Aussehen des Mannes erinnerte, erschien ihm das unmöglich.

 

»Nein, er ist kein Detektiv, er ist mein Freund. Ich habe Cardew schon erzählt, was er ist …«

 

»Nehmen Sie ihn mit zum Essen?« fragte Jim erstaunt.

 

»Gewiß. Ich werde Ihnen auch sagen, warum. Ich wußte es noch nicht, als ich ihn hierherbat. Aber jetzt habe ich es: Cardew wird uns eine neue Theorie vortragen. Nebenbei bemerkt, Sie werden übermorgen ebenfalls zugegen sein müssen bei der neuen Leichenschau. – Ich habe allerhand Achtung vor Cardews Theorien. Aber ich wollte ihm zur selben Zeit zeigen, wo er Fehler macht. Dieser Mann, so möchte ich mich fast ausdrücken, ist das fehlende Glied.«

 

Jim mußte mit dieser etwas merkwürdigen Erklärung zufrieden sein. Er war nicht gerade sehr gerne aus der Stadt gekommen. Höchstens der Gedanke, daß er Cardew durch seine Anwesenheit über die unangenehme Lage hinweghelfen konnte, hatte ihn bestimmt, noch eine Nacht unter diesem schrecklichen Dach zuzubringen. Er hatte vorher nicht einmal gewußt, daß Super ebenfalls zum Essen geladen war. Die Aussicht Mr. Wells, diesem etwas gewöhnlichen und vierschrötigen Mann gegenüberzusitzen, war nicht sehr verlockend.

 

»Es ist Cardews Abschiedsessen. Morgen, wenn er noch am Leben ist …«

 

»Erwarten Sie, daß sich heute abend etwas Besonderes ereignet?«

 

Super nickte.

 

»Wenn er morgen noch lebt, will er zur Stadt gehen, und dann will er nach auswärts. Die Operation an Mr. Leigh war ein voller Erfolg.«

 

Er gab in seiner seltsamen Art der Unterhaltung plötzlich eine ganz andere Wendung. »Er erkannte seine Tochter diesen Nachmittag wieder, und das ist gut. Aber er ist noch zu schwach, um eine zusammenhängende Aussage zu machen. Das ärgert mich sehr. Lattimer wird auch zugegen sein.«

 

»Bei dem Essen?«

 

Super nickte feierlich.

 

»Lattimer wird Ihnen Freude machen – er kann mit beiden Händen essen, und man hat noch nie gehört, daß er eine Fingerschale mit einem Weinglas verwechselte, Er hat die Manieren eines vornehmen Herrn, und außerdem ist er ein tüchtiger Psychologe. Wir werden einen vergnügten Abend haben, und wenn er und Mr. Cardew sich über Lombroso unterhalten werden – Sie wissen schon, diesen bekannten Theoretiker …«

 

Jim kam vor den anderen an, und der Anwalt bat ihn, für den Abend keine besondere Toilette zu machen.

 

»Ich habe Super gebeten zu kommen, und er bringt seinen Sergeanten Lattimer und einen Freund mit … Haben Sie eigentlich diesen Freund schon einmal getroffen?«

 

Jim lächelte.

 

»Ich hoffe, daß Sie nicht zu entsetzt über ihn sind; er sieht reichlich sonderbar aus.«

 

»Er muß schon sehr sonderbar sein, wenn er ein Freund Supers ist«, meinte Cardew trocken. »Ferraby, ich werde diesen Ort verlassen müssen; jetzt aber sehe ich erst, wie schwer es mir fällt und wie sehr ich Barley Stack liebe. Ich bin früher einmal hier sehr glücklich gewesen«, fügte er mit müder, leiser Stimme hinzu.

 

»Sie werden doch wiederkommen?«

 

Cardew schüttelte den Kopf.

 

»Ich werde das Grundstück verkaufen. Ich habe bereits an einen Agenten geschrieben und ihn gebeten, die Sache in die Wege zu leiten. Höchstwahrscheinlich werde ich meinen Wohnsitz in der Schweiz nehmen und, soviel in meinen Kräften steht, zu der Literatur über Kriminologie beitragen. Ich werde mir sicher die Verachtung des Oberinspektors Minter zuziehen« – seine Lippen zuckten verächtlich – »aber das muß ich eben in Kauf nehmen.«

 

»Sie glauben doch nicht etwa, daß Ihnen Gefahr droht, Mr. Cardew?«

 

Zu Jims größtem Erstaunen nickte er.

 

»Jawohl. Ich glaube, daß ich mich in den beiden nächsten Jahren in größter Gefahr befinde. Ich habe mich entschlossen, ins Ausland zu gehen. Auch der Oberinspektor billigt meine Absicht.«

 

Er schaute aus dem Fenster und sah Lattimer auf seinem Beobachtungsposten.

 

»Ich kann diesen polizeilichen Schutz nicht ertragen. Dabei würde ich auf die Dauer verrückt werden. Nun erzählen Sie mir noch etwas über den merkwürdigen Freund.«

 

Jim beschrieb ihn mit großer Genauigkeit und ließ durchblicken, daß er von dem Mann nicht entzückt war.

 

»Er wird kaum zu einer fröhlichen Stimmung heute abend beitragen«, sagte Cardew. »Aber ich mußte ihn doch schließlich einladen. Super hatte ihn für den Abend zu sich gebeten, und unseren alten Freund wollte ich doch auf alle Fälle bei meinem Abschiedsessen dabei haben. Ich wünschte«, sagte er mit einem Seufzer, »daß ich es unter glücklicheren Umständen abhalten und daß auch Miss Leigh hier sein könnte. Aber das Verbrechen, das gestern abend geplant war, war das Äußerste … Ich würde eine solche Aufregung wie diese nicht mehr ertragen.«

 

*

 

Es war zehn Minuten nach der festgesetzten Zeit, als Super mit dem rothaarigen Mann erschien, der hinter ihm auf dem Motorrad gesessen hatte. Es gab nichts Drolligeres, als den Anblick des komischen Oberinspektors Und seines kleinen, etwas korpulenten Gastes, der ihn um die Taille gefaßt hatte.

 

»Darf ich Ihnen meinen Freund, Mr. Wells, vorstellen?«

 

Cardew reichte ihm die Hand.

 

»Bitte, Lattimer, begrüßen Sie Mr. Wells.«

 

Der Sergeant trat vor und ging zu den beiden.

 

»Nun wollen wir aber mit dem Essen beginnen. Die Suppe steht schon auf dem Tisch.«

 

Sie folgten dem Anwalt ins Speisezimmer. Cardew wies jedem seinen Platz an, und sie setzten sich nieder. Die Suppe war zwar noch nicht serviert, aber das Mädchen schöpfte sie eben auf der Anrichte nebenan in die Teller und teilte sie aus. Der rothaarige Mann schaute vorwurfsvoll auf Super, und dieser hob seinen großen Suppenlöffel.

 

»Der da«, sagte er mit einem heiseren Flüstern. Dann sprach er mit seiner natürlichen Stimme weiter: »Bevor wir dieses Abschiedsessen beginnen – ich bin erstaunt, daß niemand gefragt hat, wer mein Freund ist.«

 

»Ich gestehe, daß ich sehr neugierig bin«, sagte Mr. Cardew.

 

»Erheben Sie sich, Mr. Wells, Reichen Sie dem Anwalt Mr. Cardew die Hand. Mr. Cardew, reichen Sie bitte Mr. Topper Wells Ihre Rechte – dem Henker von England!«

 

Cardew zuckte zurück, auf seinem Gesicht zeigten sich Abscheu und Entsetzen. Sogar Jim starrte erschrocken auf den mittelgroßen, kräftigen Mann.

 

»Reichen Sie ihm die Hand, Lattimer, möglicherweise haben Sie ihn schon getroffen und werden noch öfter mit ihm zu tun haben.«

 

Super schaute den Sergeanten fest an.

 

»Und rühren Sie die Suppe nicht an, Lattimer – und auch keiner von Ihnen, weil – weil –«

 

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Cardew.

 

»Weil sie vergiftet ist!«

 

Cardew rückte seinen Stuhl vom Tisch, und Jim sah auf seinem Gesicht wieder den Ausdruck von Überraschung und Mißtrauen, den er schon vorher bemerkt hatte.

 

»Vergiftet?«

 

»Ja, vergiftet.« Und dann fuhr er fort. »Also reichen Sie Mr. Wells, dem Henker, die Hand …«

 

Bevor er die Absicht Cardews erraten konnte, war dieser mit wenigen Sätzen aus der Tür, schlug sie hinter sich zu und schloß sie ab.

 

»Schnell durchs Fenster«, sagte Super. »Schlagen Sie es mit dem Stuhl ein. Ich wette, daß er die Fensterläden geschlossen hat.«

 

Lattimer schlug mit einem schweren Stuhl gegen das Fenster und den Laden. Das Glas splitterte, und der Rolladen gab nach. In der nächsten Sekunde war der Sergeant draußen.

 

»Gehen Sie schnell herum auf die Rückseite«, rief ihm Super nach. »Ich hätte noch viel mehr Leute hierhaben müssen!«

 

Jim lief aufgeregt umher. Er war außer sich Cardew sollte der Mörder sein? Das war einfach unmöglich!

 

Sie eilten in den Wirtschaftshof. Super riß eine Tür auf, die nicht verschlossen war. Jenseits sah er einen Pfad, der sich zu einer Seitenstraße hinunterzog. Es war der Eingang der Lieferanten für die Küche.

 

Einen Augenblick sahen sie den Kopf Cardews, der sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit fortbewegte. Er ragte über die Grenzhecke vor und kam dann außer Sicht.

 

»Er fährt auf einem Motorrad«, sagte Super. »Es ist dasselbe, das er bei seiner Flucht benützte, nachdem er Hanna Shaw umgebracht hatte. Nur so war es ihm möglich, zu entkommen, ohne Pawsey zu berühren. Er ist über den Feldweg gefahren und hat sein Motorrad über die beiden Zauntritte gehoben, die im Weg waren. Schnell Ihr Auto, Ferraby!«

 

Super lief zur Bibliothek zurück, aber er hatte kaum den Hörer abgenommen, als er schon wußte, daß die Drähte durchschnitten waren.

 

»Der Kerl denkt an alles!« sagte er zu sich. »Er muß doch den Draht schon vor dem Abendessen durchgeschnitten haben. Er glaubte ganz sicher, uns alle in den ewigen Schlaf versenken zu können.«

 

Als er zur Toreinfahrt zurückkam, stieg Lattimer gerade in den Wagen.

 

»Halten Sie nicht mehr an«, schrie Super und schwang sich auf das Trittbrett.

 

An der Wegkreuzung trafen sie eine Polizeipatrouille, aber sie hatte keinen Motorradfahrer gesehen.

 

»So hat er uns also irregeführt und ist wieder zurückgefahren«, sagte Super und schaute besorgt nach dem Himmel. »In einer halben Stunde wird es stockdunkel sein.«

 

Der Flüchtling konnte auf drei verschiedenen Wegen entkommen. Der erste führte direkt durch Isleworth, der zweite durch Kingston zum Richmond Park, und der dritte war einer der vielen Feldwege der Nachbarschaft. Super fuhr schnell zur Polizeiwache zurück, um die nötigen Anordnungen zu treffen.

 

»Cardew hat ein Privatflugzeug für heute abend bestellt, um damit von Croydon nach Paris zu fliegen«, sagte er. »Vermutlich ahnt er, daß wir diesen Plan durchkreuzen werden, also läßt er ihn fallen, Er hat nur noch die eine Hoffnung, nach London zu entkommen, und das wird ihm auch gelingen. Ich sage Ihnen, dieser Mann kann sehr schnell denken und hat einen großen Weitblick.«

 

Er verließ die Polizeiwache und schaute düster auf den Wagen.

 

»Sicher wird er nach London kommen, aber er wird nicht in seine Wohnung und auch nicht in sein Büro gehen. Er muß also sonst irgendwo einen Schlupfwinkel haben. Er ist leicht zu erkennen« – er sprach halb zu sich selbst – »und wird deshalb nicht versuchen, mit der Eisenbahn oder im Auto zu fliehen. Und ich bin überzeugt, daß er nicht in einem Flugzeug fortkommen kann.«

 

Als sie die Stadt erreichten, verdoppelte Super zuerst die Wachtposten am Krankenhaus. Dann ging er zu Cardews Stadtwohnung. Der Anwalt war nicht dort, wie er erfuhr. Auch in seinem Büro hatte man ihn nicht gesehen. Als er wieder zu Jim auf die Straße trat, nahm er dessen Einladung an, schnell etwas mit ihm zu essen.

 

»Ja. Cardew tötete Hanna Shaw. Sie hatte ihn in der Hand und wollte ihn heiraten. Er haßte sie mehr als Gift, denn sie besaß einen Brief von ihm, den er vor Jahren einmal schrieb, und sie drohte ihm damit, das Papier der Polizei auszuliefern, bis er schließlich einwilligte, sie zu heiraten.

 

Sie heiratete ihn an dem Tag, als sie ermordet wurde, und zwar auf dem Standesamt in Newbury unter dem Decknamen Lynes. Daß er sie unter falschem Namen heiratete, machte ihr nichts aus, wenn sie ihn nur bekam. Aber sie war fest entschlossen, daß er sie als seine Frau gesetzlich anerkennen sollte. Deshalb telegrafierte sie an Miss Leigh, zu dem Haus zu kommen, damit sie eine Zeugin hatte. Er bekam den Brief von ihr – um diesen Preis hatte er sie geheiratet –, und kaum hatte er das Schreiben in der Hand, da erschoß er sie.

 

Er hatte alles so abgekartet, daß er sie nach der Trauung in dem Haus traf – daß Cardew Sie einlud, mit ihm ins Theater zu gehen, war nur ein Bluff. Es war ja leicht für ihn, Sie in die Irre zu führen, da ihm bekannt war, daß Sie sich für den Abend verabredet hatten – nur wußte er nicht, was Sie vorhatten.

 

Er ist schon früher immer Motorrad gefahren, und in einem der Räume des Hauses stand auch eine Maschine. Ich entdeckte Schrammen von den Handgriffen an der Lenkstange, als ich die Räume genau untersuchte. Er hatte mit Hanna verabredet, sie spät abends zu treffen. Sie fuhren beide zusammen nach dem Haus, aber aus irgendeinem Grund überredete er sie, ihn auf dem Rücksitz des Wagens fahren zu lassen. Er duckte sich so tief, daß ihn niemand sehen konnte. Er hat an alles gedacht, sage ich Ihnen. Auch den Hut und den Mantel, den sie trug, hatte er in seinen Plan einbezogen, und als er sie erschossen hatte, zog er ihren Hut und Mantel an; denn sie hatte ihm gesagt, daß Elfa kommen würde, und er fürchtete, sie auf dem Wege zu treffen.«

 

»Aber warum hat er das getan – warum in aller Welt? Er war doch ein reicher Mann?«

 

»Reich – durchaus nicht«, sagte Super. »Er hatte Geld … ja, aber wie kam er dazu? Ich werde Ihnen einmal die ganze Geschichte erzählen. Und obgleich ich manches nur vermuten kann, wird Mr. Leigh mir wahrscheinlich nicht widersprechen.

 

Mr. Leigh war Beamter des Schatzamtes. Er kam in den letzten Tagen des Krieges aus Amerika und brachte unter seiner persönlichen Obhut vier große Kisten voll Goldgeld mit, die die Nummern 1, 2, 3 und 4 trugen. Sie erinnern sich doch, daß er immer so viel über drei und vier sprach. Das Schiff wurde während eines Sturmes an der Südküste von England torpediert. Aber ein Zerstörer kam ihm zu Hilfe. Es war nur Zeit, zwei der Kisten an Bord zu bringen, bevor das Schiff sank. Der Funkapparat an Bord des Zerstörers war vernichtet. Er kam durch den irischen Kanal und näherte sich der irischen Küste. Der Sturm dauerte drei Tage lang. Das Schiff konnte weder einen Hafen finden, noch sich mit der Küste in Verbindung setzen, bis es in die Bucht von Pawsey kam. Und das war sein Verderben, denn es wurde von einer Seemine erwischt und zerstört.

 

Zu jener Zeit«, fuhr Super fort, »war Cardew vollständig erledigt, ja noch mehr als das. Er hatte viel Geld, das ihm seine Klienten anvertraut hatten, in leichtsinnigen Spekulationen verloren. Einer seiner Kunden machte ihm schon Schwierigkeiten. Es war Brixton, ein Stadtrat der City von London. Er schrieb sogar schon nach Scotland Yard, daß er der Polizei eine wichtige Mitteilung zu machen hätte. Ich wurde zu ihm geschickt, um ihn zu vernehmen, hatte aber schon eine Ahnung, worüber er sich beschweren wollte, und wußte auch durch andere Gerüchte, daß Cardew böse in der Klemme saß. Anstatt daß mir Brixton nun die Geschichte erzählte, erhielt ich eine Mitteilung von ihm, daß er mir nichts mehr mitzuteilen habe. Das hatte seinen guten Grund. Er war nämlich inzwischen ausgezahlt worden. Und wieso er ausgezahlt worden war, will ich Ihnen gleich sagen.«

 

Super trank ein großes Glas Bier aus.

 

»Cardew war in der Nacht des Schiffbruchs in seinem Haus an der See. Er hatte den Entschluß gefaßt, auf das Meer zu fahren und sich zu ertränken. Aber bevor er die Küste verließ, schrieb er einen langen Brief an den Leichenbeschauer; denn er war ja Anwalt und in mancher Hinsicht immer präzis. In dem Brief legte er ein volles Geständnis ab und nannte auch die Summe, die er seinen Klienten gestohlen hatte. Er hörte die Explosion, sein Ruderboot war an der Küste, und einige Minuten lang hat er wohl ein menschliches Mitgefühl gehabt. Er fuhr aufs Meer hinaus und fand zwei Männer, die sich an einem Holzfloß anklammerten. Sie werden eines Tages von Mr. Leigh noch hören, daß die Kisten 3 und 4 an Holzplanken befestigt waren, als sie auf das Hauptdeck des Zerstörers gebracht wurden. Cardew nahm sie auf und brachte sie zur Küste. Einer von beiden war Leigh, der nahezu tot war, der andere war Elson, ein Viehhändler, der sich als Deckarbeiter eingeschifft hatte, um der Polizei zu entgehen. Elson wußte von dem Geld und erzählte Cardew davon. Sie brachten die Kisten an Land, und Leigh kam allmählich wieder zu sich. Elson wußte, daß das Geld in Leighs Obhut war. Die einzige Hoffnung, sich in den Besitz des Geldes zu setzen, bestand also darin, ihn zu erledigen. Er zog unseren Freund Cardew ins Vertrauen, vielleicht auch nicht, aber, jedenfalls ist es sicher, daß er John Leigh mit einer Axt über den Kopf schlug und ihn ins Meer warf. Wie der mit dem Leben davonkam, kann ich Ihnen jetzt im Moment noch nicht sagen. Zwölf Monate lang fehlte jegliche Spur von ihm, aber es ist sehr wahrscheinlich, daß er an der Küste von Pawsey aufgefischt wurde, wo damals ein Marinehospital war. Offenbar hat er dort ein ganzes Jahr gelegen. Ich habe ein Aktenstück der Admiralität eingesehen, das von einem unbekannten Mann handelt, der wegen einer tiefen Kopfwunde behandelt wurde. In dem Akt wird er als geisteskrank bezeichnet. Er wurde in ein Erholungsheim entlassen. Ich weiß nicht, ob Cardew dabei seine Hand im Spiel hatte … Es ist leicht möglich. Die beiden brachten die beiden Kisten in sein. Haus, und Hanna erfuhr auch davon. Sie wohnte zu jener Zeit dort und sorgte für Cardew. Sie öffneten die Kisten, nahmen das Geld heraus und verbrannten das Holz. Sie mußten mit Hanna teilen, und wahrscheinlich hat sie damals zum erstenmal von der schrecklichen Lage gehört, in der sich Cardew befand. Ich vermute nun, daß er den Brief kurz vor der Explosion schrieb und unterzeichnete. Sie las ihn, während er hinauseilte, nahm ihn an sich und verbarg ihn. Er hatte ihn offensichtlich lange Zeit vollständig vergessen.«

 

»Aber das vermuten sie doch alles nur?«

 

»Ich weiß … der Briefumschlag, der an den Leichenbeschauer adressiert war, hat mir sehr viel Aufschluß gegeben. Ich habe schon viel mit Selbstmorden zu tun gehabt. Cardew hatte ein Haus in Barley Stack, das mit Hypotheken überlastet war. Er zahlte alle diese Hypotheken ab, befriedigte die Ansprüche seiner Gläubiger und zog sich dann aus seinem Geschäft zurück, da er ja Geld genug hatte. Es wäre ihm vielleicht auch geglückt, ein ruhiges Leben zu führen, wenn nicht Hanna der Ehrgeiz gepackt hätte, die Stelle der Frau einzunehmen, seiner verstorbenen Frau, von der sie so sehr begünstigt worden war. Sie ließ Cardew keine Minute Ruhe. Einmal markierte sie den Anfangsbuchstaben des untergegangenen Schiffes auf dem Rasen vor seinem Fenster, um ihn daran zu erinnern, welche Macht sie über ihn habe.«

 

»Haben Sie das alles schon lange gewußt?«

 

»Sie können wetten, daß ich sehr viel davon wußte. Ich war sehr gespannt darauf, was Elson zustoßen würde, wenn es einmal in seinem dicken Schädel dämmerte, daß Cardew Hanna getötet hatte. Ich hatte ihm schon seit Monaten Lattimer auf den Hals gehetzt. Er borgte Geld von ihm, um ihm klarzumachen, daß er in seiner Gewalt sei. Ich hoffte, daß er ihm eines Abends in der Trunkenheit die ganze Geschichte erzählen würde. Lattimer hatte ein leichtsinniges Huhn zu spielen, und ich muß schon sagen, er hat es erschreckend gut gespielt. Er hat nur nach meinen Instruktionen gehandelt. Nur ein einziges Mal tat er das nicht, als er mir zur Stadt folgte, weil er in seinem Übereifer dachte, daß Cardew mir auflauerte.«

 

»So hat auch Cardew Miss Leigh erdrosseln wollen?«

 

»Ja, Lattimer war auf dem Dach, ich hatte ihn dorthin beordert. Wir stellten die Leiter an, sobald die Dunkelheit hereinbrach. Er hörte das Klopfen am Fenster, aber er konnte nicht erkennen, was vor sich ging, bis sich die Falltür mit einem Krachen öffnete. Lattimer wartete, daß jemand herauskommen würde. Und als das nicht geschah, vermutete er, daß der Mann, der an alles dachte, einen Fensterladen aufmachte, und kletterte so schnell wie möglich die Leiter hinunter.«

 

Jim war verstört durch alle diese Neuigkeiten.

 

»Was meinten Sie damit, als Sie Cardew an jenem Morgen fragten, ob seine Hände zerkratzt wären?«

 

»Warum fand man ihn chloroformiert?« fragte Super mit einem unheimlichen Grinsen, das seine Befriedigung ausdrückte. »Er versuchte wieder einen ganz gewöhnlichen Trick. Er las einen Mann am Themseufer auf und sandte ihn mit einem vergifteten Kuchen zu dem Botenbüro. Durch einen glücklichen Zufall spürten Sie den Vagabunden auf, und wir konnten ihn verhaften. Dann ging ich zu Cardew und erzählte ihm eine erfundene Geschichte, daß er den Kerl verhören solle. Dazu brauchte ich Sie als Vorspann. Ich bin sehr traurig darüber, Mr. Ferraby. Cardew fiel sofort auf die Sache herein, bis ich so beiläufig erwähnte, daß der Mann derselbe Strolch sei, den er am Themseufer aufgegriffen hatte. In diesem Augenblick wußte er, daß es Sullivan war, von dem ich sprach. Und Sullivan hätte ihn sicher an der Stimme wiedererkannt. Deshalb habe ich ihn ja auch gebeten, zur Polizeistation zu kommen und Sullivan zu verhören. Es blieb ihm nur der eine Ausweg, eine Geschichte zu erfinden, daß man ihn überfallen und chloroformiert hätte. Er hatte eine Menge Gifte und Medizinen in seinem Haus. Mit Chloroform feuchtete er ein Tuch an, warf die Flasche aus dem Fenster, legte sich aufs Bett und wäre beinahe um die Ecke gegangen. Er hat ein schwaches Herz, und sein Leben hing an einem seidenen Faden. Als ich seine Finger untersuchte, roch ich an ihnen, und daran erkannte ich, daß er die Chloroformflasche selbst entleert hatte. Ich habe eine feine Nase. An dem Tag, als er in dem Gebüsch dort oben nach uns schoß, konnte ich das Chloroform noch riechen. Viele Leute werden Ihnen erzählen, daß der Chloroformgeruch in einer halben Minute verschwindet. Senden Sie die Leute nur zu Patrick Minter, er wird Ihnen etwas ganz anderes erzählen.

 

Mr. Ferraby, ich werde nie wieder etwas gegen Amateurdetektive sagen. Cardew lernte alle diese Dinge sehr schnell. Ich habe eine große Hochachtung vor Anthropologie, und Psychologie gehört zu den Wissenschaften, die ich an erster Stelle studieren möchte.

 

Den Raubüberfall auf sein Büro, bei dem alle Papiere Hanna Shaws verbrannt wurden, muß er selbst ausgeführt haben, weil er nicht die Rolladen herunterließ und das Licht nicht andrehte. Er konnte seinen Weg im Dunkeln finden! Ich entdeckte doch eine monatealte Rechnung, die in einem der Rolladen festgeklemmt war.«

 

Er stellte sein Glas mit einem Seufzer auf den Tisch und schlug sich an die Stirn.

 

»Nun habe ich doch den Henker allein gelassen und habe ihm nicht einmal gesagt, wo er bleiben kann!«

 

»Warum in aller Welt haben Sie den noch in die Geschichte hineingebracht?« fragte Jim Ferraby, der immer noch nicht fassen konnte, was Super ihm erzählt hatte.

 

»Das war mein letzter Trumpf. Wir versuchten, Elson so zu erschrecken, daß er redete. Lattimer klebte eine Warnung an seine Tür. Aber wir ließen uns niemals träumen, was das Ergebnis sein würde. Ich dachte, Elson würde jetzt auspacken, aber er tat es nicht. Als er Leigh hatte singen hören, ging er ans Telefon und erzählte dummerweise Cardew die ganze Geschichte. Ich weiß es, weil ich seine und Cardews Leitung überwachen ließ. Und da fing das ganze Unglück an. Cardew ging noch in der Nacht zu meinem Haus und stellte die Falle auf, um mich zu töten. Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, Ferraby: Ich habe Cardew unterschätzt. Ich dachte, ich hätte seine Nerven so heruntergebracht, daß er die ganze Geschichte verraten würde. Aber der Kerl war zu klug!«

 

Er schüttelte den Kopf.

 

»Dieser Großfuß …«

 

»Großfuß?«

 

»Sicher, er ist Großfuß. Ich habe seine großen Schuhe, deren Abdruck wie der eines nackten Fußes aussieht, in meinem Zimmer unter dem Bett stehen; er hat sie von einem Mann gekauft, der mit Theaterrequisiten handelt und in der Catherine Street wohnt. Er vergaß nichts und war auf alles vorbereitet. Er hatte diesen Trick mit den großen Füßen längst ausgedacht, um die Spuren in dem Sand an der Küste zu machen, und hat alle schlauen Polizeibeamten an der Nase herumgeführt. Nur einen Fehler machte er – er vergaß sie nämlich unter dem Sitz im Wagen, und da fand ich sie. Die Geschichte mit dem Warnungsbrief an Hanna Shaw war seine Erfindung. Sie hat nie einen Brief von Großfuß erhalten – Cardew hatte nur seine Vorbereitungen getroffen, um sein Alibi sicherzustellen.«

 

Jim Ferraby lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte mit offenem Mund bewundernd auf Super.

 

»Sie sind ein Genie«, sagte er dann atemlos.

 

»Das ist nur Schlußfolgerung und Theorie«, erwiderte Super bescheiden. »Und gerade kommt mir ein Gedanke! Es gibt für ihn noch einen anderen Weg aus London!«

 

*

 

Um halb zwei Uhr morgens lag die große Wasserstraße Londons ruhig und verlassen da. Fern im Norden spiegelten sich die Bogenlampen der vielen Docks am Himmel wider. Ein großes, seetüchtiges Motorboot kam ruhig mit der fallenden Flut den Fluß herunter. Seine grünen und roten Lichter glänzten auf dem Wasser. Es bewegte sich nur langsam vorwärts.

 

Als es in die Höhe von Gravesend kam, fuhr es ein wenig schneller und bog nach links aus, um einem dort ankernden Dampfer auszuweichen. Es war fast an dem großen Schiff vorbei, als sich aus dem düsteren Schatten des Dampfers ein kleines, schnelles Fahrzeug löste und auf die Breitseite des Motorbootes zuhielt.

 

»Hallo, wer ist dort?« rief eine heisere Stimme aus der Finsternis.

 

»Motorboot Cecily – Eigentümer Graf von Freslac, mit der Bestimmung nach Brügge«, kam die Antwort zurück.

 

Die Boote kamen näher und näher zusammen, bis das kleine Schiff längsseits mit dem Motorboot lag. Plötzlich erkannte der Eigentümer des Motorbootes die Gefahr, und die Maschine begann zu rasen. Aber das kleine Boot hatte schon an seiner Seite festgemacht, und Super war der erste, der an Bord sprang.

 

»Ich habe wirklich Glück, Cardew, ich dachte nicht, daß ich Sie auf den ersten Hieb fangen würde!«

 

»Auch Ihre Theorien und Schlußfolgerungen sind bisweilen richtig«, sagte Cardew höflich, als sich die Handschellen um seine Gelenke schlossen.

 

Kapitel 3

 

3

 

An einem schönen Frühlingstag mit einem dunkelblauen Himmel ist der Temple ein wunderbar träumerischer Platz, an dem man gerne ausruht. Die malerischen Partien in den Gärten, die grünen Blätter der Bäume, die ihre Äste über altersgraue Steinplatten recken, schimmern im goldgrünen Licht der Sonne, und die Springbrunnen plätschern melodisch. Die Fassaden des Gebäudes, die in den nebligen Tagen des Februar so drohend erscheinen, sehen hell und freundlich aus. Die Anwälte in ihren grauen Perücken und ihren langen schwarzen Gewändern verlangsamen ihre Schritte, wenn sie diese wunderbaren Gärten durchwandern, die ihre Büros umgeben.

 

Jim Ferraby, der gemächlich von Fleet Street zu seinen Räumen nach King’s Bench Walk ging, machte an einem Springbrunnen halt, um den Hut eines kleinen Mädchens zu retten, der vom Wind hineingetrieben worden war. Als er weiterging, pfiff er eine leise Melodie. Seine Hände steckten tief in den Taschen, und Zufriedenheit lag auf seinem Gesicht. Er war ein junger Mann Anfang der Dreißig.

 

Er erreichte den Flur, hielt aber vor den Steinstufen der Treppe an und schaute frohgestimmt auf den silberhellen Fluß, den er von hier aus sehen konnte. Langsam ging, er die dunkle Treppe hinauf und machte vor einer schweren, dunkelbraunen Tür halt. Er holte einen großen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn in das Schlüsselloch.

 

Als er ihn umdrehte, hörte er, daß sich die gegenüberliegende Tür öffnete. Er wandte sich um, und ein Lächeln huschte über das Gesicht des Mädchens, das in der Türöffnung stand.

 

»Guten Morgen, Miss Leigh«, sagte er vergnügt.

 

Sie nickte.

 

»Guten Morgen, Mr. Ferraby.«

 

Elfas Stimme war sanft und merkwürdig melodisch. Diese Stimme hatte zuerst Jims Aufmerksamkeit auf die Sekretärin des alten Cardew gelenkt. Elfa hatte ein schönes Gesicht, wie es wohl Künstler malen können, wie es aber in Wirklichkeit selten zu sehen ist, und eine anmutig, schlanke Gestalt. Die tiefen, grauen Augen, die wie die einer Orientalin etwas schräg standen, schauten ihn vergnügt an. Aber alles das war nichts im Vergleich zu dem wunderbaren Zauber ihrer Stimme.

 

Ihre Bekanntschaft dauerte schon über ein Jahr. Sie hatte auf diesem staubigen Treppenabsatz begonnen und war mit einer gewissen Steifheit und Förmlichkeit die ganze Zeit über fortgesetzt worden. Es lag eigentlich gar kein Grund vor, weshalb der alte Mr. Cardew überhaupt ein Büro in King’s Bench Walk unterhielt; denn er übte seinen Beruf nicht mehr aus.

 

Er zählte achtundfünfzig Jahre, und dieses Alter erscheint einer, jungen Dame von zwanzig als außerordentlich hoch. Früher hatte die Firma Cardew & Cardew eine ungewöhnlich vornehme und reiche Kundschaft in London. Die Rechtsanwälte waren Agenten beim Verkauf großer Landgüter, sie verwalteten Vermögen und waren die juristischen Vertreter mächtiger Verbände. Aber während des Krieges war der letzte Cardew all der Verantwortlichkeit müde geworden und hatte seine Klienten einem jüngeren und, wie er sagte, tatkräftigeren Anwalt übertragen. Er hätte auch der Überlieferung folgen und sich einen Partner nehmen können, dann wäre der Name der alten Firma, die über hundertfünfzig Jahre in Ehren bestand, nicht untergegangen. Aber er zog es vor, sich ganz aus der Praxis zurückzuziehen, und sein großes, düsteres Büro in King’s Bench Walk war ausschließlich der Führung seiner eigenen Geschäfte gewidmet; denn Mr. Gordon Cardew hatte Vermögen.

 

»Ich vermute, Sie sind mit Erfolg vor Gericht aufgetreten, und der arme Mann ist ins Gefängnis gewandert?«

 

Die beiden standen einander nun in den offenen Türen gegenüber, und ihre Stimmen hallten in dem leeren Treppenhaus wider.

 

»Nein, ich habe keinen Erfolg gehabt«, sagte Jim ruhig, »und ›der arme Mann‹ sitzt aller Wahrscheinlichkeit nach in irgendeinem Wirtshaus, trinkt ein Glas Bier und schimpft auf das Gesetz.«

 

Sie sah ihn etwas verwirrt an.

 

»Oh – das tut mir sehr leid … Ich will damit nicht sagen, daß ich traurig bin, daß der Mann in Freiheit ist – ich wollte nur sagen, es tut mir leid, daß Sie keinen Erfolg hatten. Mr. Cardew sagte mir, daß der Mann sicher überführt würde. Hat denn die Gegenseite neues Tatsachenmaterial beigebracht?«

 

Sie sprach ganz sachlich von der Gegenseite, wie das unter Anwälten so üblich ist.

 

»Nein, sie hat weiter nichts vorbringen können. Sullivan ist freigekommen, weil ich als Staatsanwalt gegen ihn auftrat. Das klingt merkwürdig, Miss Leigh, aber ich habe die Gesinnung eines Verbrechers. Während der ganzen Zeit, die ich gegen ihn sprach, dachte ich für ihn. Es war der erste Fall, in dem ich jemals als Staatsanwalt vor dem Gericht erschien, und es wird wahrscheinlich auch der letzte gewesen sein. Der Richter sagte in seiner Begründung, daß meine Anklagerede die einzig mögliche Verteidigung sei, die der Gefangene hätte vorbringen können. Sullivan hätte eigentlich auf ein Jahr ins Gefängnis wandern müssen, statt dessen läuft er nun im Land herum und stiehlt Enten.«

 

»Enten? Ich dachte, es war ein Einbruch?« Sie war erstaunt.

 

»Ich habe dafür plädiert, daß die Strafverfolgung ausgesetzt wird. Ich bin ein ruinierter Mann, Miss Leigh, ich habe den Verstand eines Erzverbrechers, verbunden mit dem hohen moralischen Gewissen eines frommen Bußpredigers. Von jetzt ab werde ich wieder ein namenloser Beamter bei der Staatsanwaltschaft sein.«

 

Sie lachte leise bei dieser feierlichen Erklärung. In diesem Augenblick hörten sie einen festen Schritt auf der Treppe, und als Jim hinunterschaute, sah er den tadellosen Zylinder von Mr. Cardew. Ein ernstes, vornehm geschnittenes Gesicht und freundliche Augen unter buschigen Brauen zeichneten Mr. Gordon Cardew aus. Er war von einer peinlichen Eleganz in seiner Kleidung und äußerst korrekt in seiner Sprechweise.

 

Ein sorgfältig zusammengerollter Regenschirm hing über seinem Arm. Als er die Treppe heraufkam, war sein Gesicht von Sorgen umwölkt.

 

»Hallo, Ferraby«, sagte er, als er den jungen Mann sah, »wie ich höre, ist Ihr Mann freigekommen?«

 

»Böse Nachrichten verbreiten sich schnell«, sagte Jim düster. »Mein Vorgesetzter ist wütend darüber!«

 

»Das glaube ich wohl.« Ein feines Lächeln huschte über Cardews Gesicht. »Ich traf eben Jebbings, den Geheimrat aus dem Finanzministerium. Er sagte … Ach, es ist ja gleich, was er sagte …, ich will keinen Streit zwischen Beamten verursachen. Guten Morgen, Miss Leigh! Liegt etwas Dringendes vor? Nein? Mr. Ferraby, darf ich Sie bitten, näher zu treten?«

 

Jim folgte dem Anwalt in das vornehm eingerichtete Büro. Cardew schloß die Tür hinter ihm, öffnete eine Zigarrenkiste und reichte sie seinem jungen Kollegen.

 

»Zur Überführung von Verbrechern haben Sie wenig Talent«, sagte er mit einem etwas spöttischen Lächeln. »Und aus gesellschaftlichen und finanziellen Gründen brauchen Sie ja keinen Beruf auszuüben. Ich würde mir an Ihrer Stelle keine Sorgen über den Mißerfolg machen. Ich interessiere mich natürlich für den Fall, weil Mr. Stephen Elson mein Nachbar ist – ein etwas hochfahrender Amerikaner, dem es an Manieren fehlt. Aber im Grunde genommen hat er ein gutes Herz, wie man mir sagt. Er wird natürlich ärgerlich sein.«

 

Jim schüttelte hilflos den Kopf.

 

»Bei mir muß doch irgendwo eine Schraube los sein«, erklärte er verzweifelt. »Wenn ich in meinem Büro sitze, sind meine Sympathien stets auf sehen des Gesetzes und der Ordnung, und ich freue mich über jeden Verbrecher, der durch meine Beweisführung gehängt wird. Aber wenn ich vor Gericht auftrete, arbeitet mein Verstand mit doppelter Anstrengung, um Entschuldigungsgründe für den Verbrecher zu finden – Entschuldigungsgründe, die ich selbst für mich vorbringen würde, wenn ich in der Lage des Angeklagten wäre.«

 

Mr. Cardew sah ihn mißbilligend an.

 

»Wenn aber ein Staatsanwalt vor Gericht sich erhebt und die Unfehlbarkeit des Fingerabdrucksystems bezweifelt –«

 

»Habe ich das getan?« fragte Jim und errötete schuldbewußt. »Großer Gott, ich scheine die Sache vollständig verfahren zu haben!«

 

»Das ist auch meine Ansicht. Trinken Sie so früh am Morgen Portwein?« Als Jim ablehnte, öffnete Cardew eine Schranktür, nahm daraus eine dunkle, staubige Flasche, stellte vorsichtig ein Glas auf den Tisch und füllte es mit einem prachtvoll rubinroten Wein.

 

»Ich habe noch ein anderes Interesse an Sullivan«, fuhr Cardew fort. »Wie Sie vielleicht wissen, beschäftige ich mich mit Anthropologie. Ich schmeichle mir, daß ein ausgezeichneter Detektiv an mir verlorengegangen ist. Wenn man die Männer sieht, die in hervorragenden Stellen im Polizeipräsidium sitzen, möchte man das ganze System reorganisieren, damit einmal Leute von reicher Erfahrung und Bildung ihr Talent zeigen könnten. In meinem Bezirk ist zum Beispiel ein Beamter, der einfach …«

 

Die Worte fehlten ihm. Er zuckte nur die Schultern. Jim, der den Oberinspektor Minter kannte, unterdrückte ein Lächeln. Es war allgemein bekannt, daß Super die gebildeten und theoretisch arbeitenden Amateurdetektive vom Grund seiner Seele aus verachtete. Seine Einstellung war ungefähr die eines guten Handwerkers einem Künstler gegenüber. Bei einer Gelegenheit, bei der es sich um Anthropologie handelte, war er sogar sehr ausfallend geworden. Mr. Cardew nannte sein Benehmen tölpelhaft und bäurisch.

 

»Herr, Sie sind kindisch!« hatte Super ihn damals angefahren, als er leise andeutete, daß eine gebrochene Stimme und große, harte Augen eine bestimmte verbrecherische Anlage verrieten.

 

Jim wunderte sich und war neugierig, aus welchem Grund Cardew ihn plötzlich und unerwartet in sein Privatbüro einlud. Es war sein erster Besuch hier, obgleich er den Anwalt bereits seit fünf Jahren kannte. Daß der Aufforderung etwas Besonderes zugrunde liegen mußte, war ganz klar, das ging schon aus dem Benehmen Cardews hervor. Er war nervös und schien offenbar Sorgen zu haben. Mit unentschlossenen Schritten ging er in dem Raum auf und ab und machte ab und zu halt, um ein Schriftstück auf dem Pult geradezurücken oder einen Stuhl anders zu stellen.

 

»Während ich zur Stadt fuhr, habe ich dauernd an Sie gedacht«, begann er plötzlich. »Ich habe mir überlegt, ob ich Sie um Rat fragen soll – Sie kennen meine Haushälterin Hanna Shaw?«

 

Jim erinnerte sich sehr gut an die böse dreinschauende Frau, die nur wenig sprach und sich nicht die mindeste Mühe gab, ihre Feindschaft gegen Super zu verheimlichen, wenn ihn jemand erwähnte.

 

»Sie mögen sie nicht?« fragte er. »Sie hat sich nicht nett gegen Sie benommen, als Sie das letztemal zu mir kamen. Mein Chauffeur, der gerne klatscht, erzählte mir, daß sie Sie angefahren hat. Zweifellos ist sie bissig und mürrisch und eine unangenehme Person; aber ich bin sonst sehr zufrieden mit ihr. Überdies ist sie sozusagen das Vermächtnis meiner verstorbenen Frau. Sie hat sie aus einem Waisenhaus zu sich genommen, als sie noch ein Kind war, und Hanna ist in meinem Haus großgezogen worden. Ich möchte sie fast mit einem Terrier vergleichen, der mit Ausnahme seines Herrn alle Leute beißt.«

 

Er zog seine Brieftasche heraus, öffnete sie und entnahm ihr einige Papiere, die er auf dem Tisch ausbreitete.

 

»Ich ziehe Sie ins Vertrauen«, sagte er. Er schaute noch einmal nach der geschlossenen Tür. »Bitte, lesen Sie dies.«

 

Es war ein gewöhnliches Blatt ohne Adresse, Datum oder irgendwelche Oberschrift. Nur drei handgeschriebene Zeilen standen darauf:

 

»Ich habe Sie zweimal gewarnt.

Dies ist das letztemal.

Sie haben mich zur Verzweiflung gebracht.«

 

Das Schriftstück war mit ›Großfuß‹ unterzeichnet.

 

»Großfuß? Wer ist das?« fragte Jim, als er es noch einmal durchlas. »Ihre Haushälterin ist demnach bedroht worden? Hat sie Ihnen das gezeigt?«

 

»Nein, es kam auf sonderbare Art in meinen Besitz. Am Ersten jeden Monats bringt mir Hanna die Haushaltsrechnung und legt sie auf das Pult in meinem Arbeitszimmer. Ich schreibe dann die Schecks für die verschiedenen Kaufleute aus. Sie hat die Angewohnheit, die Rechnungen vorher in ihrer Handtasche mit sich herumzutragen und sie erst im letzten Augenblick zusammenzusuchen. – Dieses Schreiben habe ich in einer zusammengefalteten Rechnung des Kolonialwarenhändlers gefunden. Sie muß es in der Eile mit den anderen Papieren aus ihrer Tasche genommen haben, ohne zu merken, daß sie mir einen Privatbrief gab.«

 

»Haben Sie mit ihr gesprochen?«

 

Mr. Cardew zog die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf.

 

»Nein«, sagte er zögernd. »Das tat ich nicht. Ich habe ihr aber unter der Hand zu verstehen gegeben, daß sie mich ins Vertrauen ziehen soll, wenn sie jemals in Sorge oder Unannehmlichkeiten kommt. Aber Hanna hat – ich kann keinen anderen Ausdruck dafür finden –, sie hat mich angeknurrt. Es war geradezu unverschämt.« Er seufzte schwer. »Ich kann neue Gesichter nicht leiden, und es würde mir leid tun, wenn ich Hanna verlieren müßte. Wenn sie sich anders betragen hätte, wüßte sie natürlich von meiner Entdeckung. Und um vollständig offen zu sein, ich fürchte mich, ihr zu sagen, daß ich einen ihrer Briefe habe. Wir hatten eine ziemlich ernste Auseinandersetzung wegen eines dummen Scherzes, den sie machte. Der nächste Streit wird uns vollständig trennen. Was denken Sie von dem Brief?«

 

»Es scheint irgendein Erpressungsversuch zu sein«, vermutete Jim. »Er ist mit der linken Hand geschrieben, um die Schrift unkenntlich zu machen. Meiner Meinung nach müßten Sie Hanna Shaw doch um eine Erklärung bitten.«

 

»Sie fragen?« entgegnete Mr. Cardew aufgebracht. »Um alles in der Welt – das geht nicht! Ich kann nur meine Augen offenhalten und bei der ersten Gelegenheit, wenn sie in besserer Stimmung ist – und wenigstens zweimal im Jahr ist das der Fall –, diese Sache mit ihr besprechen …«

 

»Warum vertrauen Sie sich nicht der Polizei an?«

 

Mr. Cardew wurde steif und zugeknöpft.

 

»Minter?« fragte er eisig. »Diesem unhöflichen, unfähigen Beamten? Ist das wirklich Ihr Ernst? Nein, wenn es irgendwelche Detektivarbeit gibt, so glaube ich, daß ich allein imstande bin, die Sache aufzuklären. Aber es gibt außer diesem Brief noch ein anderes Geheimnis.«

 

Er schaute wieder nach der Tür, hinter der seine harmlose Sekretärin arbeitete, und sprach leiser.

 

»Wie Sie wissen, habe ich ein kleines Haus an der Küste von Pawsey Bay. Es war früher eine alte Wachstation, und ich habe es während des Krieges für eine geringe Summe gekauft. Früher habe ich schöne Stunden dort zugebracht, aber jetzt gehe ich selten hin. Gewöhnlich überlasse ich das Haus meinen Angestellten zur Benutzung. Miss Leigh ist im letzten Jahr öfter zum Ferienaufenthalt dort gewesen und hat mit verschiedenen Freundinnen in der Villa logiert. Nun kam heute morgen ganz unerwartet Hanna zu mir und fragte, ob sie von Sonnabend bis Montag in dem Haus wohnen könne. Seit Jahren ist sie nicht mehr dort gewesen. Sie haßt den Platz, sie hat es mir noch vor einer Woche gesagt. Ich bin nun neugierig, ob diese plötzliche Reise an die Küste irgend etwas mit dem Brief zu tun hat.«

 

»Lassen Sie sie doch von Detektiven beobachten«, rief Jim.

 

»Das habe ich mir auch schon überlegt«, erwiderte Cardew nachdenklich. »Aber ich möchte es nicht gerne tun. Bedenken Sie doch, daß sie über zwanzig Jahre in meinen Diensten ist. Natürlich gab ich ihr die Erlaubnis, obgleich ich etwas besorgt bin, was daraus entstehen wird. Gewöhnlich bringt Hanna ihre freie Zeit damit zu, in einem alten Fordwagen im Lande herumzufahren – sie geht also nicht zur Küste, weil sie eine Luftveränderung braucht. Ich gebe ihr ein gutes Gehalt, und sie könnte bequem in einem anständigen Hotel wohnen. Ich wüßte nicht, warum sie nach Pawsey gehen sollte, wenn sie nicht diesen geheimnisvollen Menschen treffen will, der sich den Namen ›Großfuß‹ beilegt. Wissen Sie, manchmal denke ich, sie ist etwas …« Er zeigte mit seinem Finger an die Stirn.

 

Jim wunderte sich immer mehr, warum ihn der Anwalt zu Rate zog; aber er sollte es jetzt erfahren.

 

»Am Freitag habe ich eine kleine Gesellschaft in Barley Stack, und ich möchte Sie bitten, auch zu kommen und Hanna scharf zu beobachten. Vier Augen sehen mehr als zwei. Es ist möglich, daß Sie etwas bemerken, was mir entgeht.«

 

Jim dachte verzweifelt über Entschuldigungsgründe nach. Aber Mr. Cardew kam ihm zuvor.

 

»Würden Sie etwas dagegen haben, Miss Leigh bei mir zu begegnen? Sie ist meine Sekretärin – sie arbeitet einen neuen Zettelkatalog für eine Bibliothek aus, die ich neulich kaufte. Es sind sogar sämtliche Werke von Mantegazza darunter …«

 

»Ich würde mich sehr freuen«, sagte James Ferraby herzlich.

 

Kapitel 4

 

4

 

»Kennen Sie Mr. Elson?«

 

Jim Ferraby kannte Mr. Stephen Elson gut und hatte eine begründete Abneigung gegen ihn. Er war, wenn auch ohne sein Zutun, der Hauptzeuge bei der Anklage gegen Lukas Markus Sullivan und hatte den Freispruch dieses Diebes und Landstreichers als eine persönliche Beleidigung empfunden. Jim hatte aus vielen Gründen ein Vorurteil gegen Elson – nicht zuletzt, weil er Elfa Leigh in herausfordernder Weise den Hof machte. Von seinem Standpunkt aus war dieses Benehmen unverschämt, und er hoffte, daß auch Elfa so dachte. Nicht, daß sie in seinem Leben irgend etwas Besonderes bedeutete – sie war für ihn nur die hübsche junge Dame auf der anderen Seite der Treppe. Sie hatte eine schöne, weiche Stimme und graue Augen, sie hatte ein reizendes Wesen, war wohlerzogen und ungewöhnlich gutaussehend – aber er bewunderte sie nur platonisch aus der Ferne.

 

Elfa war eine Dame und stand gesellschaftlich jedem von Cardews Gästen gleich. Jim Ferraby haßte die plumpe Vertraulichkeit Elsons. Es hatte ihn aufs unangenehmste berührt, daß er überhaupt eingeladen war. Selbst wenn Mr. Cardew kein so guter Detektiv gewesen wäre, hätte er die Antipathie Jims gegen Elson bemerken müssen. Bei der ersten Gelegenheit nahm er den jungen Mann beiseite.

 

»Ich vergaß, Ihnen zu sagen, daß Sie Elson treffen würden. Es ist mir sehr unangenehm, aber Hanna war dafür, ihn einzuladen. Wenn er zu mir gekommen ist, war jedesmal Hanna die Veranlassung. Sie sagte, daß er das ganze letzte Jahr nicht eingeladen wurde, und ich dachte, daß dies eine gute Gelegenheit sei. Wenn ich allein mit ihm sein müßte, könnte ich es nicht aushalten.«

 

Jim lachte. »Mir macht es nichts aus, obgleich er sich nach der Gerichtssitzung unglaublich unhöflich gegen mich benommen hat. Was war er eigentlich früher? Weshalb hat er sich in England niedergelassen?«

 

Cardew schüttelte den Kopf.

 

»Das ist eine der Fragen, die ich eines Tages klären werde. Ich weiß nur, daß er sehr reich ist.« Er schaute auf die andere Seite des Salons, wo der breitschultrige Amerikaner sich heiter mit Elfa unterhielt. »Die verstehen sich gut miteinander«, sagte er gereizt. »Vermutlich, weil sie Landsleute sind.«

 

»Miss Leigh ist Amerikanerin?« fragte Jim erstaunt.

 

»Ja. Ich dachte, Sie wüßten das. Ihr Vater, der unglücklicherweise im Krieg ums Leben kam, war ein hoher Beamter des amerikanischen Schatzamtes. Ich glaube, daß er die meiste Zeit seines Lebens in den Vereinigten Staaten zubrachte, wo auch Miss Leigh erzogen wurde. Ich habe ihren Vater niemals kennengelernt, sie wurde mir durch den amerikanischen Botschafter empfohlen.«

 

Jim beobachtete sie, während Cardew sprach. Er sah, daß ihre Hautfarbe gut zu ihrem schwarzen Kleid paßte und daß ihre seltene Schönheit durch dieses einfache Kleid noch gehoben wurde.

 

»Ich hätte nie gedacht, daß sie Amerikanerin ist«, war alles, was er sagen konnte.

 

»Ich vermutete, Sie seien von der jüngeren englischen Generation«, sagte Mr. Elson gerade zu ihr. »Es ist doch sonderbar, daß ich nicht wußte, daß Sie ein guter Yankee sind.«

 

»Ich bin aus Vermont«, sagte Elfa. Aber sie war keineswegs erfreut, einen Landsmann in ihm zu begrüßen.

 

Er hätte ein rotes, tiefgefurchtes Gesicht, grobe Züge und eine knollige Nase. Es schwebte stets ein Geruch von Whisky und fadem Zigarrenrauch um ihn.

 

»Und ich stamme aus dem Mittleren Westen«, sagte er höflich. »Kennen Sie St. Paul? Es ist eine hübsche Stadt mittlerer Größe. Sagen Sie mir, Miss Leigh, was tut eigentlich dieser Herr hier?« Er zeigte mit dem Kopf zu Jim hinüber, und seine Stimme war so laut, daß der junge Mann die Frage nicht überhören konnte. Er hätte viel darum gegeben, wenn er auch ihre Erwiderung gehört hätte.

 

»Mr. Ferraby gilt als einer unserer tüchtigsten Beamten bei der Staatsanwaltschaft«, sagte sie ruhig.

 

»Wie – tüchtig?« fragte er hochnäsig. Dann änderte er plötzlich seinen Ton. »Sie sagen, von der Staatsanwaltschaft? Ich kenne dieses Amt nicht.«

 

Sie erklärte ihm die Funktionen dieser Behörde kurz.

 

»Ach so«, erwiderte Elson. »Er mag ja außerhalb des Gerichtshofes ein tüchtiger Staatsanwalt sein; aber wenn er vor den Richtern erscheint, ist er gänzlich unfähig – das kann ich Ihnen versichern.«

 

»Sind Sie ein alter Freund von Mr. Cardew?« fragte Elfa, die bemüht war, das Gespräch in liebenswürdigere Bahnen zu lenken.

 

Elson strich sich über das nicht allzu gut rasierte Kinn.

 

»Er ist doch mein Nachbar – ein vorzüglicher Anwalt, nicht wahr?« Er beobachtete sie unter halbgeschlossenen Augenlidern.

 

»Mr. Cardew übt seine Praxis nicht mehr aus«, sagte sie. Er lachte laut.

 

»Detektivgeschichten sind doch seine starke Seite?« kicherte er.

 

»Ich habe bisher noch nie einen erwachsenen Mann gesehen, der sich mit solchen Dingen abgibt.«

 

Seine bewundernden Blicke wichen nicht von ihrem Gesicht.

 

In ihrer unangenehmen Lage schaute sie zu Jim hinüber, der ihren Kummer längst erkannt hatte. Er faßte ihren Blick als einen Hilferuf auf und ging quer durch den Saal, um sie aus Elsons Gesellschaft zu befreien.

 

Miss Leigh und Ferraby fiel es auf, daß Mr. Cardew in schlechter Stimmung war. Er schien ganz zu vergessen, weshalb er Jim eingeladen hatte, denn er hatte Hanna noch nicht ein einziges Mal erwähnt. Von Zeit zu Zeit sah er auf seine Uhr und schaute ängstlich, fast furchtsam nach der Tür, und als schließlich die Hausdame steifer, düsterer und unzugänglicher als je erschien und unvermittelt sagte, daß das Essen aufgetragen sei, nahm der Anwalt seine Brille ab und sprach mit fast bittender Stimme:

 

»Wollen Sie, bitte, mit dem Essen noch ein paar Minuten warten. Ich habe noch einen guten Bekannten eingeladen, Hanna den Oberinspektor.«

 

Sie hielt an sich und sagte nichts.

 

»Ich traf ihn heute, und er war sehr nett«, beeilte sich Mr. Cardew entschuldigend hinzuzufügen. »Und ich sehe nicht ein, warum wir schlechte Freunde sein sollten. Ich weiß auch gar nicht, warum ich Ihnen dies sage …«

 

Dann murmelte er noch allerhand Unverständliches. Es war ein komischer Anblick, wie der Hausherr von Barley Stack unter dem Pantoffel seiner Haushälterin stand. Jim war das nichts Neues, denn er hatte schon bei seinen früheren Besuchen diese Erfahrung gemacht. Aber Elfa konnte nur verwundert staunen, als die Frau den Raum mit steifen Schritten verließ und ihre schlechte Laune in jeder Weise zum Ausdruck brachte.

 

Cardew war es sehr peinlich.

 

»Ich fürchte, Hanna schätzt unseren Freund nicht; das ist mir sehr unangenehm.«

 

Er schaute auf Ferraby, als ob der ihn unterstützen sollte.

 

»Es gibt nur wenige Hausdamen, die es gerne sehen, wenn man ihre Pläne durchkreuzt«, sagte Jim vermittelnd.

 

Nach fünf weiteren ungemütlichen Minuten erschien Hanna wieder in der Tür.

 

»Wie lange sollen wir noch warten, Mr. Cardew?« fragte sie unwirsch.

 

»Wir gehen jetzt zu Tisch, Hanna«, sagte Cardew, nachdem er schnell auf seine Uhr gesehen hatte. »Ich nehme nicht an, daß unser Freund noch kommt.«

 

Elfa saß neben Ferraby an dem runden Tisch. An ihrer anderen Seite stand der leere Stuhl, der für Oberinspektor Minter bestimmt war.

 

»Der arme Mr. Cardew«, sagte sie leise.

 

Jim grinste, aber ein Blick auf das Gesicht Hanna Shaws, die ihm direkt gegenübersaß, ließ sein Lächeln verschwinden. Sie schaute das Mädchen mit einem so bösen Blick an, daß ihm der Atem stockte. Als die Suppenteller abgetragen wurden, kam der verspätete Gast.

 

Super kleidete sich niemals elegant. Jim hatte den Eindruck, daß ihm die schlechtsitzenden Anzüge von einem längst verstorbenen Verwandten vererbt oder daß sie möglicherweise von einem Kellner erworben waren, der sie im Restaurant nicht mehr tragen konnte.

 

»Es tut mir sehr leid, meine Damen und Herren«, entschuldigte er sich und sah sich in der Gesellschaft um. »Ich esse sonst niemals auswärts, und gerade, als ich mich zu Bett legen wollte, erinnerte ich mich an Ihre liebenswürdige Einladung. Guten Abend, Miss Shaw!«

 

Hanna hob langsam ihren Blick und sah ihn voll an.

 

»Guten Abend, Oberinspektor!« sagte sie eisig.

 

»Wir haben schönes Wetter; so warm war es noch nie in dieser Jahreszeit. Ich könnte mich wenigstens nicht darauf besinnen.«

 

Elfa sah den gestrengen Super zum erstenmal und fühlte unwillkürlich eine Zuneigung zu diesem alten Mann in seinem abgetragenen Frack. Sein Hemd war altmodisch, und zwei Rostflecke auf dem Einsatz machten es unansehnlich. Die Krawatte hatte sich verschoben. Aber seine Haltung war die eines Aristokraten.

 

»Er ist prachtvoll … Ist das der Oberinspektor?« fragte sie, als Supers Aufmerksamkeit durch ein Gespräch mit seinem Gastgeber abgelenkt wurde.

 

»Ja, er ist der König aller Detektive in Europa. Hören Sie mal zu, jetzt hat er Cardew wieder zum besten.«

 

»Ich gehe höchst selten unter Menschen«, bemerkte Super. »Mir scheint, daß ich zu wenig gesellschaftlich veranlagt bin, als daß man mich einlädt. Ich kann nicht ein Messer vom anderen unterscheiden, und meistens nehme ich das falsche Bierglas. Das ist es ja gerade, wo es bei uns Polizeibeamten fehlt – keine Manieren. Ich sagte noch heute nachmittag zu meinem Sergeanten: ›Wir haben nicht genügend vornehme Amateure bei uns – was wir brauchen, sind Leute, die einen Frack tragen können, ohne daß es aussieht, als ob sie auf einen Maskenball gingen.‹«

 

Mr. Cardew schaute argwöhnisch auf seinen Gast.

 

»Die Polizei hat ihre festumschriebenen Aufgaben«, sagte er etwas steif. »Der einzige Punkt, in dem wir nicht übereinstimmen, mein lieber Oberinspektor, ist, daß gewisse Fälle feinere Untersuchungsformen oder mehr Verstand und eine weitgehendere Anwendung der Psychologie erfordern.«

 

»Das ist sicherlich nötig«, sagte Elson, stützte die Ellenbogen auf den Tisch, lehnte sich vor und nickte stark mit dem Kopf. »Das ist es, was den Leuten fehlt …« Plötzlich hielt er inne, denn er hatte einen Blick von Hanna aufgefangen, und Jim Ferraby, der es beobachtete, sah, wie sie ihn warnte.

 

»Psychologie ist sicher sehr wertvoll«, stimmte Super bei. »Das ist ja gerade das, was wir brauchen. Jeder junge Beamte müßte darin unterrichtet werden. Nächst Anthropologie ist Psychologie das Wichtigste. Aber ich muß sagen, daß auch gute Beobachtungsgabe nicht zu verachten ist. Ich bin etwas kurzsichtig beim Lesen, aber ich kann eine Million Meilen weit sehen. Lassen Sie die Jalousien nie herunterziehen, Mr. Cardew?«

 

Die großen Bogenfenster des Speisesaals waren unten nur mit durchsichtigen Gardinen bedeckt. Die große Rasenfläche draußen lag im Dämmerlicht, und die Ahornbäume am Ende des Gartens zeichneten sich in schwarzen Umrissen von dem tiefblauen Himmel ab. Die Rhododendronsträucher erschienen wie dunkle Flecken.

 

»Nein«, sagte Cardew erstaunt. »Warum sollte ich sie auch schließen – wir werden nicht beobachtet –, die Landstraße liegt etwa einen halben Kilometer entfernt.«

 

»Ich wundere mich nur«, entschuldigte sich Super. »Ich verstehe nicht viel von vornehmen Villen. Ich lebe in einem kleinen Häuschen und ziehe immer die Jalousien herunter, wenn ich esse. Das macht meine Mahlzeiten gemütlich. Wie viele Gärtner mögen Sie wohl hier haben?« fragte er.

 

»Vier oder fünf«, sagte Cardew. »Ich weiß es nicht genau.«

 

Das machte Eindruck auf Super. »Da müssen Sie aber allerhand Räume haben, wo die Leute schlafen können.«

 

»Sie schlafen nicht hier. Mein Hauptgärtner hat ein Haus für sich in der Nähe der Straße. Um nun aber auf die Polizei zurückzukommen …«

 

Aber Super schien keine Neigung zu haben, weiter über die Zustände bei der Polizei zu sprechen. Er wollte vielmehr seine Kenntnisse über Cardews Angestellte vervollständigen.

 

»Ich dachte, Sie würden Gärtner oder Leute halten, die in der Nacht die Blumen begießen oder Maulwurfsfallen aufstellen.«

 

Gordon Cardew schien unangenehm berührt zu sein.

 

»Meine Gärtner gehen um sieben Uhr nach Hause. Ich würde ihnen nicht erlauben, sich hier herumzutreiben. Was haben Sie, Oberinspektor?«

 

Super war aufgestanden und ging zur Tür. Plötzlich hörte man das Knipsen des elektrischen Schalters, und das Licht ging aus.

 

»Gehen Sie alle möglichst schnell vom Tisch weg zu den Wänden!« befahl er mit rauher Stimme. »Deshalb habe ich das Licht ausgemacht – draußen ist jemand im Schatten der Sträucher, und er hat eine Pistole.«

 

Kapitel 5

 

5

 

Super ging leise durch die Haupttür in den Garten. Der Speisesaal lag an der Seite des Hauses, und Minter eilte mit unglaublicher Schnelligkeit zu den Büschen. Auf dem Rasen war niemand, kein Laut ertönte, nur das leise Rauschen der Blätter im Nachtwind war zu hören.

 

Er hielt sich in der Nähe der Sträucher und suchte den ganzen Platz ab.

 

Hinter den Blumenbeeten standen die Ahornbäume, die die südliche Grenze des Grundstücks bezeichneten. Rechter Hand war ein kleiner Tannenwald. Die einzige Möglichkeit war, daß sich der Eindringling dorthin zurückgezogen hatte.

 

Super ging von Baum zu Baum vorwärts. Unter seinen Füßen war eine dichte Nadeldecke, die seine Schritte unhörbar machte. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und lauschte. Aber es war nicht das geringste Geräusch vernehmbar.

 

Als er halbwegs durch das Gehölz gegangen war, hörte er gerade vor sich in kaum fünfzig Metern Entfernung Gesang …

 

Einen Augenblick fühlte sich Super von dem melancholischen spanischen Lied ergriffen. Es war etwas Trauriges, etwas so verzweifelt Hoffnungsloses in den Worten des jahrhundertealten Klagegesanges, daß er stehenblieb.

 

Plötzlich eilte er dann nach der Richtung, aus der die Stimme kam. In dem Gehölz war es dunkel, und die Bäume standen so nahe beieinander, daß es fast unmöglich schien, weiter als ein paar Meter zu sehen. Er kam wieder ins Freie, ohne jemand erblickt zu haben.

 

Das Gehölz trennte den Park von Barley Stack von einer kleinen Farm. Nichts bewegte sich in den Wiesen, und Super kehrte um.

 

»Komm heraus, du Strolch!« rief er; aber es ertönte nur das Echo seiner Stimme.

 

Er hörte ein Rascheln, als ob jemand durch das Unterholz ginge. Er vermutete, daß es Jim sei, bevor er die weiße Hemdbrust aus dem Dunkel aufleuchten sah.

 

»Wer ist es?« fragte Ferraby.

 

»Irgendein Landstreicher«, erwiderte Super. »Es ist recht unvorsichtig von Ihnen, ohne eine Schußwaffe hier herauszukommen.«

 

»Ich habe niemand gesehen.«

 

»Man kann auch niemand sehen«, erwiderte Super höflich. »Wir wollen zurückgehen. Es wäre am besten, wenn ich mein Motorrad nehmen und die Straßen abpatrouillieren würde.«

 

Er ging wieder einige Schritte in die Felder hinein, aber da er nichts hörte und sah, kehrte er um. Auf dem Rasen fanden sie die erschrockene Gesellschaft versammelt.

 

»Haben Sie jemand gesehen?« fragte Mr. Cardew ängstlich. »Es ist ganz außergewöhnlich … Sie haben die Damen erschreckt … Ich muß gestehen, daß ich niemand gesehen habe.«

 

»Vielleicht hat sich Minter alles nur eingebildet«, sagte Elson. »Man kann wohl einen Mann sehen, aber es ist doch ganz unmöglich, bei der schlechten Beleuchtung eine Schußwaffe zu erkennen.«

 

»Ich habe sie aber gesehen«, sagte Super und schaute starr nach dem Walde hin. »Ich sah gerade, wie der Lauf aufblitzte. Es muß eine Pistole gewesen sein. Hat jemand von Ihnen eine Taschenlampe?«

 

Mr. Cardew ging ins Haus und kam mit einer Lampe zurück.

 

»Hier stand er«, sagte Super und leuchtete das Gras ab. »Man kann keine Spuren entdecken, der Boden ist zu hart. Nichts …« Plötzlich bückte er sich, nahm einen langen, dunklen Gegenstand auf und pfiff vor sich hin.

 

»Was haben Sie?« fragte Cardew.

 

»Einen Patronenrahmen von einer Zweiundvierziger-Repetierpistole, ganz voll Patronen«, sagte Super. »Vom Marinedepartment der Vereinigten Staaten – ist ihm aus der Schußwaffe gefallen.«

 

Mr. Cardew erschrak. Jim glaubte wahrzunehmen, daß sein Gesicht blasser geworden war. Möglicherweise, dachte er, ist es das erste Mal, daß Mr. Cardew den nackten Tatsachen eines beabsichtigten Verbrechens Auge in Auge gegenübersteht. Stephen Elson schaute mit offenem Mund auf den Patronenrahmen.

 

»Und er hat die ganze Zeit mit einer Pistole dort gesessen?« Er zitterte. »Haben Sie ihn denn genau gesehen?«

 

Super wandte sich zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.

 

»Machen Sie sich keine Gedanken darüber«, sagte er freundlich, fast teilnehmend. »Wenn ich ihn gesehen hätte, hätte ich ihn auch gefangen. Ich möchte einmal Ihr Telefon benützen, Mr. Cardew.«

 

Sein Gastgeber führte ihn zum Arbeitszimmer.

 

»Sind Sie dort, Lattimer? Lassen Sie alle Reservemannschaften ausrücken, halten Sie jeden an, der sich nicht ausweisen kann, besonders Landstreicher. Wenn Sie meinen Befehl ausgeführt haben, kommen Sie nach Barley Stack, und bringen Sie eine Schußwaffe und Handlampen mit!«

 

»Was ist passiert, Super?«

 

»Ich muß einen Kragenknopf verloren haben«, sagte er ruhig und hängte den Hörer ein.

 

Er schaute in das ängstliche Gesicht Cardews, und seine Blicke wanderten von dem Anwalt zu den vollen Bücherschränken.

 

»Da muß eine Menge drinstehen, das einem helfen kann, einen verrückten Landstreicher festzunehmen«, sagte er. »Und ich muß mich auf meine gewöhnlichen Hilfsmittel verlassen, und es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß wir ihn nie kriegen.«

 

Er zwinkerte wie gewöhnlich mit den Augen. Cardew sah die Flecken auf seinem Hemd und nahm den Geruch wahr, den die Mottenkugeln dem Frack gegeben hatten. Dadurch erhielt er sein Selbstvertrauen und seine Haltung wieder.

 

»Das ist einer von den Fällen, in denen die physischen Eigenschaften der Polizei bewundernswert sind, aber alles in allem ist nichts besonders Schwieriges darin, einen bewaffneten Landstreicher zu entdecken.«

 

»Nichts Besonderes«, sagte Super und schüttelte traurig den Kopf. Er überschaute die vollen Bücherregale wieder und seufzte. »Der Kerl war hinter Elson her«, sagte er dann.

 

Cardew schaute erstaunt auf.

 

»Elson erwartete ihn auch«, sagte Super mit einem abwesenden Blick. »Warum hätte er sonst eine Waffe bei sich?«

 

»Was? Elson hat eine Pistole bei sich? Woher wissen Sie das?«

 

»Ich fühlte es an seiner hinteren Tasche, als ich nahe an ihn herantrat. Ist das nicht eine feine Beobachtung? Ich klopfte ihm auf die Schulter und lehnte mich mit meiner Hüfte an seine Tasche. Von der ganzen Polizeitruppe habe ich die Hüfte mit dem feinsten Gefühl. Was bedeutet das eigentlich in der Anthropologie?«

 

Aber Mr. Cardew ging nicht darauf ein.

 

»Warum folgten Sie dem Oberinspektor, Mr. Ferraby? War das nicht leichtsinnig von Ihnen?«

 

Jim und die junge Dame waren allein auf dem Rasenplatz. Hanna war mit dem Amerikaner verschwunden. Obgleich Jim sich Vorwürfe machte, in der hereinbrechenden Dunkelheit mit Elfa draußen zu bleiben, wurden seine Bedenken doch von dem Reiz der Nacht und der geheimnisvollen Einsamkeit überstimmt.

 

»Es war für mich kein größeres Wagnis als für Super«, sagte er. »Außerdem gebe ich gern zu, daß ich dachte, er habe sich durch einen Schatten täuschen lassen. Ich hatte vergessen, daß der alte Teufel Augen hat, mit denen er durch eine Wand sehen kann. – Mögen Sie diesen Elson eigentlich leiden?« fragte er plötzlich.

 

»Elson? Nein – weshalb fragen Sie?«

 

»Nun, er ist Amerikaner, und ich dachte, das sei natürlich, wenn sich Landsleute treffen«, sagte er etwas linkisch.

 

»Wenn ich eine Engländerin wäre und einen englischen Taugenichts in New York träfe – würde ich ihn dann gern haben, weil er ein Engländer ist?« fragte sie lächelnd.

 

»Einen Taugenichts? Ich wußte nicht, daß er das ist«, begann er.

 

»Sie wissen nicht, wie unhöflich Sie jetzt zu mir sind«, sagte sie. »Ja, Mr. Elson ist ein Taugenichts, ich kann kein anderes Wort für ihn finden, obwohl es nicht hübsch klingt.«

 

»Ich wußte nicht, daß Sie Amerikanerin sind«, murmelte er, als sie langsam auf dem kurzgeschnittenen Rasen auf und ab gingen.

 

»Ich habe mir nie träumen lassen, daß Sie überhaupt bemerkten, daß ich jemand sei«, entgegnete sie kurz. »Höchstens eine von den Stenotypistinnen in King’s Bench Walk. Wollen Sie einen Flirt mit mir beginnen?«

 

Jim errötete bei der überraschenden Offenherzigkeit Elfas.

 

»Nein, das will ich nicht«, sagte er und atmete schnell.

 

»Dann will ich Ihren Arm nehmen. Ich fürchtete mich ein wenig«, gestand sie ihm dann. »Es war wirklich unheimlich. Das Licht ging aus, und man hatte das unangenehme Gefühl, daß man von draußen beobachtet wurde.«

 

Ihr Arm lag auf dem seinen. Jim Ferraby hielt etwas verlegen den Ellenbogen in steifer Haltung, und sie lächelte, als sie merkte, wie er den Anstand wahren wollte.

 

»Sie können ruhig Ihren Arm sinken lassen – so ist es gut, ich werde mich nicht anklammern. Ich finde nur eine gewisse Stütze und habe Vertrauen, wenn ich einen männlichen Arm fühle. Es kann der Arm irgendeines Mannes sein, mit Ausnahme von Mr. Elson.«

 

»Ich verstehe.« Er wollte eisig zu ihr sein, aber ihr weiches Lachen ließ seinen Trotz verschwinden.

 

»Ich liebe das Landleben nicht«, plauderte sie. »Mein armer Vater hatte es so gern. Er war gewöhnt, im Freien zu schlafen, selbst bei stürmischem Wetter.«

 

»Ihr Vater ist während des Krieges gestorben?«

 

»Ja.« Ihre Stimme war kaum hörbar. »Er starb im Krieg.«

 

Wieder gingen sie schweigend auf und ab, und ihr Arm ruhte mit größerem Zutrauen in dem seinen. Ihre Fingerspitzen berührten wie zufällig den Rücken seiner Hand.

 

»Wie lange werden Sie hierbleiben?« fragte er.

 

»Bis morgen nachmittag – ich muß einen Zettelkatalog anfertigen. Aber Mr. Cardew wird mich nicht hierbehalten, wenn seine Haushälterin fortgegangen ist. Sie macht einen Wochenendausflug.«

 

»Was denken Sie eigentlich von ihr?« fragte er.

 

»Sie mag ganz nett sein, wenn man sie näher kennenlernt«, erwiderte sie vorsichtig. Supers lange Gestalt zeigte sich in der Türöffnung.

 

»Kommen Sie herein, bevor die Gespenster Sie fassen, Mr. Ferraby. Es hat sich etwas Ungewöhnliches ereignet – mein Sergeant war tatsächlich auf dem Posten. Im allgemeinen denkt er, daß alle Zeit, die er nicht schläft, für ihn verloren ist. Mr. Cardew fragte nach Ihnen, Miss Leigh.«

 

Sie ging ins Haus. Ferraby wollte ihr folgen, aber Super hielt ihn zurück.

 

»Gehen Sie ein wenig mit mir auf und ab, Mr. Ferraby, und geben Sie mir Nachhilfestunden in Psychologie und Anthropologie.«

 

Es war merkwürdig, wie gut Super alle diese Dinge kannte, wenn er nicht in der Gesellschaft Cardews oder seines Sergeanten war.

 

»Elson muß heute abend wieder nach Hause gehen, und ich vermute, daß dieser Mensch mit der Pistole ihm auflauern will. Die ganze Sache ist sehr kompliziert und geheimnisvoll. Ein Amerikaner versucht einen anderen Amerikaner niederzuknallen.«

 

»Denken Sie, daß der Fremde auf dem Rasen ein Amerikaner war?«

 

»Er hatte eine amerikanische Pistole – deshalb ist er ein Amerikaner. Ich fange jetzt selbst an, Schlußfolgerungen zu ziehen. Ich vermute auch, daß er ein Sänger ist.«

 

»Warum?« fragte Jim verwundert.

 

»Weil ich ihn singen hörte!« antwortete Super. »Haben Sie jemals Karten gespielt, Mr. Ferraby? Wenn Sie es tun, will ich Ihnen einen guten Rat geben. Ein kleiner Blick in die Karten des Nachbarn ist wertvoller als alle Berechnungen. Schlußfolgerungen zu ziehen ist eine feine Sache, aber gut beobachten und hören ist besser. – Wissen Sie, ob etwas gegen Elson vorliegt?«

 

»Sie meinen bei der Staatsanwaltschaft? Nein, ich entsinne mich nicht, daß ich etwas gehört oder gelesen hätte. Und ich bearbeite ja gerade die Abteilung für Ausländer.«

 

»Nennen Sie einen Amerikaner niemals einen Ausländer, sonst wird er sehr aufgebracht. Ebenso wie sich die Engländer aufregen, wenn sie die Hafentaxe von New York bezahlen müssen. Als einen Fremden darf man nur einen Peruaner, einen Slowaken, einen Mongolen oder einen Italiener bezeichnen. Ich war während des Krieges in Washington, bis unser Polizeipräsidium entdeckte, daß ich tüchtig war. Dann haben sie mich nach Hause abberufen – sie können nämlich tüchtige Leute nicht leiden.«

 

Jim überlegte sich, ob er Super ins Vertrauen ziehen sollte. Er wußte allerdings nicht, ob das seinem Gastgeber recht war. Aber er entschied sich dafür.

 

»Super, glauben Sie, daß der Mann in dem Garten es auf Elson abgesehen hatte? Sollte das nicht ein Irrtum sein?«

 

»Das scheint mir unwahrscheinlich«, entgegnete Super, »aber ich lasse mich gern überzeugen.«

 

Ferraby erzählte ihm kurz von dem Brief, den Gordon Cardew ihm gestern gezeigt hatte. Der Oberinspektor hörte ihm ohne Unterbrechung aufmerksam zu.

 

»›Großfuß‹? Das klingt so wie die verrückten Wildwestnamen der Indianer. Aber was hat denn Hanna gemacht? Das ist allerdings eine sehr wichtige Neuigkeit, Mr. Ferraby, die die Lage ein wenig ändert.«

 

Cardew rief sie vom Haus aus.

 

»Kommen Sie doch herein, daß wir zu Ende essen können!«

 

»Warten Sie noch einen Augenblick«, sagte Super zu Jim und hielt ihn mit seiner sehnigen Hand am Ärmel fest. »Gedulden Sie sich bitte noch so lange, bis ich die logischen und psychologischen Zusammenhänge erkannt habe. Also sie geht zum Wochenende fort, sagen Sie … Ich kenne das Haus an der Küste von Pawsey. Cardew hat mich einmal dorthin mitgenommen, bevor wir diesen Streit über Kriminalistik hatten. Ein vollkommen einsamer Platz, wo sich die Hasen und Füchse gute Nacht sagen, meilenweit von jeder Ortschaft entfernt, ganz nahe an der Küste. Große Felsenpartien mit Hunderten von Schmugglerhöhlen … Das Haus steht an der alten Poststraße, die unterhalb der Klippe entlangführt. Aber die Straße wird nicht benützt, seitdem der neue Weg oben über die abfallenden Küstenfelsen angelegt worden ist. Es ist ziemlich gefährlich dort. Ein Teil der Felswand fiel damals ein, als ich dorthin ging, und der alte Cardew hatte einen Prozeß mit dem Gemeinderat von Pawsey, weil die Leute die Schuttmassen nicht von der Straße entfernten. Er ist bewandert in den einschlägigen Bestimmungen.«

 

»Kommen Sie doch endlich herein.«

 

Cardew ging zu ihnen hinaus, und sie wandten sich dem Haus zu.

 

»Lassen Sie sich nicht merken, daß Sie etwas wissen«, murmelte Jim, und Super gab mit einem Kopfnicken seine Zustimmung zu erkennen.

 

Mr. Cardew hatte sein Gleichgewicht vollständig wiedererlangt und war auffallend lustig, als sie ihre Plätze bei Tisch wieder einnahmen. Er hatte schon eine Erklärung herausgefunden.

 

»Ich habe in meinem Carillon nachgesehen, und merkwürdigerweise habe ich dort einen Parallelfall entdeckt. Es findet sich ein Kapitel bei ihm, in dem er sagt, daß eine gewisse Art von Verbrechern durch eine finstere Macht unwiderstehlich gezwungen wird, aus dem Dunkel oder dem Verborgenen zu schießen…«

 

Super ließ sich gerade eine geröstete Wachtel auf Toast gut schmecken und wunderte sich, warum dieser kluge Anwalt nicht den mörderischen Anschlag mit dem Drohbrief an Hanna Shaw in Zusammenhang brachte.

 

*

 

Es war schon halb zwei Uhr nachts, als Jim an die Tür von Mr. Cardews Arbeitszimmer klopfte, um ihm gute Nacht zu wünschen. Bei dem Licht einer Tischlampe las der Anwalt in einem großen umfangreichen Band.

 

»Kommen Sie bitte herein, Ferraby. Ist der Oberinspektor schon fort?«

 

»Er hat sich eben verabschiedet.«

 

Cardew schloß das Buch mit einem Seufzer.

 

»Ein sehr praktischer Mann, aber ich bezweifle doch, daß er seine Arbeit wirklich ernst nimmt. Die Nachforschungen der Polizeibeamten arten mehr und mehr in mechanische Routine aus. Sie stellen Wachen auf den Straßen aus, benachrichtigen die Posten auf dem Land, und am Ende werden ein paar vollständig unschuldige Bürger verhaftet. Sie tun nichts, sie leisten keine wertvolle Arbeit. Sie stellen alles so dumm an, daß man sie entschieden tadeln muß. Ihre ganze Sorge um die Sicherheit ist doch nur eine große Spielerei. Je mehr ich die alten Methoden studiere, die die Polizei anwendet, desto mehr tut es mir leid, daß das Schicksal mich nicht einen aufregenderen Weg gehen ließ als den Pfad, der sich durch die Prozesse des Kanzleigerichts schlängelt.– Sagen Sie mir offen, was denken Sie von Hanna? Ist Ihnen nichts Verdächtiges in ihrer Haltung aufgefallen?«

 

»Sie scheint sich die Sache doch weniger zu Herzen zu nehmen, als ich für möglich hielt«, sagte Jim ruhig. Bei diesen Worten machte Mr. Cardew ein betroffenes Gesicht.

 

»Das ist doch seltsam … Ich habe niemals daran gedacht, den Brief damit in Verbindung zu bringen – ich muß geschlafen haben!«

 

Er war blaß geworden.

 

»Ich habe mich sehr gewundert«, sagte Ferraby.

 

Auch Super war die Sache merkwürdig vorgekommen, und er hatte seine Verwunderung Ferraby gegenüber ausgesprochen, bevor er gegangen war. Es bedurfte aller Überredungskünste Jims, den Oberinspektor davon abzuhalten, Cardew darüber zu befragen. Jim sagte nichts, obgleich er wußte, daß Super unweigerlich früher oder später diese Angelegenheit mit dem Besitzer von Barley Stack besprechen würde.

 

»Ich habe nicht einmal im Traum daran gedacht, den Mann im Garten mit Hanna Shaw in Verbindung zu bringen«, sagte der Anwalt nachdenklich. »Es ist doch sehr erstaunlich. Ich wünschte nur, ich hätte es Minter erzählt.«

 

»Rufen Sie ihn doch an und erzählen Sie es ihm«, riet Jim, der gerne sein Gewissen erleichtern wollte.

 

Mr. Cardew zögerte, nahm den Hörer vom Telefon und legte ihn dann wieder auf.

 

»Ich muß mir die Sache erst noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Wenn ich es ihm jetzt mitteilte, würde er zurückkommen und eine fürchterliche Szene mit Hanna aufführen. Gerade herausgesagt – ich habe von Hanna genug … Es ist einfach schrecklich. Ich komme mir ganz verächtlich vor. Dabei bin ich ein Anwalt, von dem man doch annimmt, daß er keine Gefühle hat. Nein, lassen wir es bis morgen oder später. Ich will den Oberinspektor bitten, zum Abendessen zu kommen, dann wird Hanna fort sein.«

 

Während Jim sich auskleidete, überlegte er, daß es besser sei, die Sache aufzuschieben, bis Hanna auf ihre seltsame Wochenendfahrt gegangen war. Sicher hatte das allerhand Vorteile. Es tat ihm schon leid, daß er morgen in aller Frühe aufbrechen mußte und bei dieser Aussprache nicht zugegen sein konnte.

 

Langsam begann er zur Ruhe zu gehen. Eine entfernte Kirchenuhr schlug zwei, als er endlich das Licht ausmachte. Entweder waren die Aufregungen an diesem Abend oder vielleicht auch die paar Minuten Ruhe, die er auf seinem Weg von der Stadt hierher gehabt hatte, daran schuld, daß er nicht schlafen konnte. Er hatte sich eigentlich noch nie so wach in seinem Leben gefühlt. Eine halbe Stunde lang lag er, und seine Gedanken wanderten durch das ganze Haus, von Elfa Leigh zu Cardew, von Cardew zu Hanna und dann wieder zurück zu Elfa. Schließlich erhob er sich mit einem Seufzer und ging zu dem kleinen Tisch, auf dem das Rauchzeug stand. Er steckte seine Pfeife an und trat ans Fenster.

 

Der Mond war in seiner letzten Phase. Nur noch, eine dünne bleiche Sichel leuchtete am klaren Himmel. Von seinem Sitz am Fenster konnte Jim ein hellerleuchtetes Fenster in dem Flügel sehen, der im rechten Winkel zu seinem eigenen Zimmer lag. Ob es das Zimmer Elfas war? Oder Cardews? Oder Hannas? Jedenfalls war der Bewohner des Raumes sehr geschäftig. Er sah undeutlich eine Gestalt hin und her gehen, der Schatten hob sich von den Gardinen ab. Als sich seine Augen an das Licht und die Vorhänge gewöhnt hatten, erkannte er Hanna. Sie war vollständig angekleidet und eifrig damit beschäftigt, einen Koffer zu packen, den sie auf ihr Bett gelegt hatte. Die leichte Nachtbrise wehte den Vorhang sekundenlang beiseite, so daß er in den Raum sehen konnte. Neben der Bettstelle standen noch zwei offene Koffer. Sie hatte ihre ganze Garderobe aus dem Schrank genommen.

 

Jim Ferraby zog die Stirne kraus. Das bedeutete etwas anderes als einen Wochenendausflug. Sie packte wie jemand, der sich für eine lange Reise vorbereitet. Eine ganze Stunde lang sah er ihr zu. Dann war sie fertig, und ihr Licht ging aus. Der Morgen dämmerte schon grau herauf. Jim fühlte sich plötzlich müde und hätte gerne geschlafen.

 

Als er sich eben ins Bett gelegt hatte, hörte er Töne, die ihn in Erstaunen setzten, und er mußte sich erst überzeugen, ob er nicht träume. Draußen sang jemand. Die Stimme kam aus dem kleinen Gehölz.

 

Der Sänger! Der Mann, der gestern abend auf dem Rasen war! Im nächsten Augenblick schlüpfte er in seinen Mantel und stieg die dunklen Stufen zur Halle hinunter. Es dauerte einige Zeit, bevor er die Tür öffnen konnte. Aber schließlich gelang es ihm. Draußen war die ganze Luft von würzigen Düften erfüllt. Es war frisch und kalt, und das Gras unter seinen Füßen war feucht vom Tau.

 

Er stand bewegungslos und lauschte. Dann sah er eine stämmige Gestalt, die sich im Schatten des Gehölzes bewegte, und ging auf sie zu. Als er näher kam, hörte ihn der andere und wandte sich um.

 

»Ruhig…ruhig…stören Sie meinen Singvogel nicht!« hörte Jim eine leise Stimme. »Ich brauche ihn, um anthropologische Studien zu machen.«

 

Es war Super.