Der Löwe

Als Kasperle noch in Torburg war, kam zum Jahrmarkt eine kleine Menagerie dahin, deren Glanzstück ein Löwe war. Mit dem Löwen war das eine sonderbare Sache. Meist lag er ganz still in einem dunklen Winkel und rührte sich nicht. Aber manchmal stand er auf und brüllte ganz fürchterlich. Er kam aber nie vor an das Gitter, sondern blieb immer im Hintergrund.

Wie der Löwe brüllte! Es hörte sich schrecklich an, und der Menageriebesitzer sagte immer: »Meine Frau kann es nicht hören, die verkriecht sich immer im Bett vor Angst, wenn er anfängt.« Wirklich war die Frau nie zu sehen, und ein alter Professor, der lauter wunderliche Einfälle hatte, sagte: »Der Löwe brüllt gar nicht wie ein Löwe, er brüllt wie ein Mensch.«

Das glaubte aber anfangs dem alten Professor niemand so recht. Alle sagten: »Der Löwe brüllt eben wie ein Löwe brüllt.« Es hatte nämlich noch nie jemand in Torburg einen Löwen brüllen hören. Darum hatten alle Angst, wenn der Löwe brüllte, am meisten fürchtete sich aber Kasperle. Das dachte immer, der Löwe wolle es fressen, gerade auf es, das kleine Kasperle, hätte er es abgesehen. Wenn nämlich Kasperle in die Menagerie hineinlief, ohne Eintritt zu zahlen, weil es meinte, es gehöre zum Jahrmarkt und hätte das nicht nötig, dann stand die Frau Menageriebesitzerin auf und sagte: »Ich geh jetzt ins Bett, der Löwe wird gleich brüllen, wenn er Kasperle sieht.«

Und richtig, kaum war sie fort, gleich fing der Löwe zu brüllen an.

Zu seltsam, und noch seltsamer war es, daß der Löwe nie zum Vorschein kam. Immer blieb er im Hintergrund. Er stand auf, reckte und dehnte sich, und Kasperle dachte: Jetzt wird er springen. Aber er sprang nicht. Der Löwe brüllte noch besser als Kasperle. Der brüllte, daß die Wände wackelten. Wenn das Gebrüll anhub, dann liefen alle Kinder, die noch Geld hatten, in die Menageriebude, um Kasperle und den Löwen zu sehen. Kasperle bebte vor Ärger, denn daß jemand besser brüllen konnte als es, das hatte es noch nie erlebt. Es sagte daher kühn: »Er soll nur kommen, ich geb’ ihm eins auf die Schnauze.«

Doch der Löwe kam nicht, und Kasperle ging nicht in den Käfig, so sehr ihm seine Kameraden auch zuredeten.

Das ging so fünf Tage lang. Kasperle und der Löwe waren das Tagesgespräch in Torburg. Die einen nannten Kasperle feige, die andern den Löwen. Es kränkte Kasperle tief, daß man es feige nannte, und es wäre schon in den Käfig gegangen, wenn der Löwe nur nicht so fürchterlich gebrüllt hätte.

Am sechsten Tage schlich sich Kasperle um die Bude herum. Die Frau saß vorn an der Kasse, obgleich kein Mensch kam, um sich die paar Tiere anzusehen. Es waren drei Affen, zwei große Papageien, ein lahmes Reh und ein Zebra, bei dem manchmal die Farbe ausging, weil es eigentlich ein angestrichener Maulesel war, dem man die schwarzen Striche aufgemalt hatte. Das wollte aber der Menageriebesitzer nicht zugeben.

Während Kasperle um das Budchen herumstrich, sagte die Frau zu ihrem Manne: »Es ist gar kein Geld mehr in der Kasse, Kasperle könnte auch mal wieder kommen und brüllen, damit ein paar Besucher hereinspazieren und Geld in die Kasse kommt, sonst müssen wir morgen hungern.«

Kasperle hatte inzwischen einen schmalen Spalt entdeckt. Da klaffte die Leinwand auseinander und Kasperle konnte ganz gut hindurchkriechen. Vielleicht gelangte es gerade beim Löwenkäfig in die Bude. Kasperle fürchtete sich mächtig, aber die Neugierde, das grimmige Tier einmal in der Nähe zu sehen, war stärker als die Angst. Es redete sich selbst Mut ein, und dann schlüpfte es durch den Spalt in die Bude. Es war dunkel darin und Kasperle stolperte gleich beim Eintritt über etwas, und fiel hin, und als es recht hinsah, war es der Löwe, über den es gefallen war. Kasperle wurde fast ohnmächtig vor Schreck, und beinahe hätte es losgebrüllt, aber da fiel ihm noch zu rechter Zeit ein, daß der Löwe vielleicht gerade schlief, und wenn er nun so unversehens aufgeweckt würde, fräße er Kasperle gewiß gleich auf. Sicher, das tat er. Kasperle stand also ganz leise auf, um den Löwen nicht zu wecken und hinwegzuschleichen. Dabei sah es aber, daß der Löwe die Augen ganz weit auf hatte. Er sah überhaupt nicht aus, als ob er schliefe, aber er rührte sich nicht. Es war doch ein seltsames Tier. Mit offenem Maul lag es da wie tot, ohne nur einen Schnaufer zu tun oder sich sonst irgendwie zu rühren.

Kasperle blieb stehen und betrachtete das Tier genauer. Da sah es, daß aus dem Bauch Stroh heraushing.

Hallo, der Löwe ist ausgestopft, dachte Kasperle. Es begann nun, sich den Löwen höchst unverzagt anzusehen. Er war wirklich ausgestopft, war nur ein Löwenfell mit einem Kopf daran. Aber er dehnte und reckte sich doch und brüllte so fürchterlich. Wie machte er das nur?

Kasperle stand da und sann und sann, bis ihm auf einmal einfiel, wie der Löwe sich bewegen könnte. Es kroch jemand in sein Fell. Ja, ganz sicher, so war es.

Kasperle dachte: Das muß ich einmal versuchen. Und eins, zwei drei riß es das Stroh aus dem Löwenbauch und kroch selbst hinein. Es schlüpfte mit Armen und Beinen in die vier Beine des Fells, und auf einmal stand ein Löwe im Käfig, reckte und dehnte sich ganz genau so, wie es Kasperle vorher fünf Tage lang gesehen hatte. Gerade wollte der kleine Schelm brüllen, als ihm etwas anderes einfiel, Es kroch rasch wieder aus dem Fell heraus, stopfte das Stroh wieder hinein und riß eilends aus.

Es war aber auch höchste Zeit. Leute kamen, die sich die Menagerie ansehen wollten, namentlich den Löwen, der wieder faul in seinem Winkel lag. Während die Besucher über die Affen lachten und warteten, bis der Löwe aufwachte, rannte Kasperle auf dem Jahrmarkt herum und rief mit schallender Stimme: »Kasperle geht nachher in den Löwenkäfig.«

Da rannte alles, was Beine hatte in die Menagerie, um das Schauspiel mitanzusehen. Die meisten sagten: »Donnerwetter, ist Kasperle mutig. Zu einem Löwen in den Käfig zu gehen, ist kein Spaß.«

Die Kinder jammerten, der Löwe würde ihr liebes Kasperle fressen, doch Kasperle erklärte kühn: »Der frißt mich nicht, ja, wenn ich ein Pfannkuchen wäre.« Über den Witz lachten zwar alle, aber unheimlich war ihnen die Geschichte doch. Am ängstlichsten war Marlenchen. Die bat ihren guten Freund himmelhoch, er solle nicht in den Käfig gehen, sie würde vor Angst krank werden. Das konnte Kasperle nicht verantworten. Es flüsterte Marlenchen etwas zu. Da ging dieses auf einmal ganz mutig in die Menagerie hinein. Und als das die anderen Kinder sahen, gingen sie mutig mit, sicher machte Kasperle irgendeinen Spaß. Es gingen so viele Menschen in die Menageriebude, daß das Geld nur so in die Kasse flog und der Besitzer der Menagerie Angst bekam, seine kleine Bude könnte umfallen. Zuletzt kam Kasperle mit einer ganzen Anzahl Kinder an. Die bezahlten alle ihren Zehner und wollten auch noch hinein. Da gab es ein großes Gedränge. Von den Erwachsenen konnten viele nicht einsehen, daß allemal da, wo ein Kasperle ist, die Kinder das Vorrecht haben. Sie schimpften, und die Kinder lachten und schubsten. Endlich gingen ein paar Einsichtige hinaus, und die Kinder bekamen Platz und sagten sehr zufrieden: »Nun kann es losgehen.« Kasperle trat an’s Gitter, und die Kinder schrien: »Es geht wirklich hinein!« Da brüllte der Löwe fürchterlich.

Kasperle erschrak ein bißchen, dachte aber gleich: Ein Fell kann doch nicht brüllen, es muß jemand drin stecken. Doch wer konnte das sein?

Etwas zitterte Kasperle doch, als es den Käfig betrat.

»Geh’ nicht hinein, es geschieht sonst ein Unglück!« schrie der Budenbesitzer. Aber da war Kasperle schon drin. Der Löwe brüllte noch lauter. Kasperle aber ging mutig weiter. Es sah nämlich, als es nahe genug bei dem Löwen war, einen Zipfel des Kleides von der Frau Budenbesitzerin aus dem Löwenbauch gucken. Da wußte es, wer in dem Fell steckte. Auf einmal schnappte die Stimme des Löwen über und man hörte nur noch ein ganz heiseres Krächzen. Das klang allerdings menschlich. Der Löwe war heiser geworden.

Aber jetzt, da er nicht mehr brüllen konnte, verloren die Kinder die große Angst, sie drängten näher an das Gitter heran und ermahnten Kasperle: »Hau feste drauf!« Kasperle wollte gerade der Aufforderung Folge leisten, als etwas geschah, das groß und klein einen tüchtigen Schrecken einjagte: Der Löwe stürzte sich auf Kasperle!

»Aber Frau Schulz!« schrie es ganz erschrocken.

Daß jemand einen Löwen Frau Schulz nennt, kam den Zuschauern doch merkwürdig vor. Sie lachten alle und fragten Kasperle: »Wie heißt der Löwe?«

Kasperle aber hatte gar keine Zeit zu antworten, es mußte sich ja mit dem Löwen herumbalgen, denn der war sehr wütend geworden. Er hatte es anscheinend sehr übelgenommen, daß Kasperle ihn Frau Schulz genannt hatte. Er zwickte und zwackte Kasperle ganz gründlich und die Kinder begannen schon zu schreien: »Er frißt Kasperle, er frißt Kasperle!«

Selbst die Erwachsenen, die den Schwindel schon gemerkt hatten, wurden unsicher. Wenn es doch ein richtiger Löwe wäre und nicht Frau Schulz, die Budenbesitzerin?

Da rief die kleine Grete, die dicht am Gitter stand:

»Er hat schon Frau Schulz aufgefressen, ihr Kleid guckt ihm noch zum Bauche raus.« Nun sahen auf einmal alle das Kleid unter dem Löwen hervorgucken, und die Erwachsenen riefen: »Frau Schulz, lassen Sie Kasperle los!«

Die Kinder lachten und die Frau merkte, daß sie erkannt war. Sie beutelte Kasperle noch einmal tüchtig und raunte ihm zu: »Du bist an allem schuld.« Dann schlüpfte sie aus dem Fell und ging vor an das Gitter. Kasperle heulte laut, und deshalb wurde Frau Schulz nicht sehr freundlich empfangen. Sie mußte bitten und betteln, mußte Kasperle um Verzeihung bitten, ehe ihr selbst der Betrug verziehen wurde. Sie erzählte nun die traurige Geschichte von dem Löwen Ali, in dessen Fell sie gesteckt hatte, und den sie einmal lebend besessen hatten. »Damals wäre Kasperle nicht in den Käfig gegangen«, sagte sie.

»Doch, Kasperle hat ja fest geglaubt, daß du ein Löwe bist!« riefen alle Kinder.

»Na, na!« meinten einige Erwachsene.

Kasperle ließ seine Nase tief hängen, und alle merkten, daß da etwas nicht stimmte. Frau Schulz lächelte ein bißchen. Sie zweifelte stark an Kasperles Mut. Sie erzählte weiter, wie Ali eines Tages ausgerissen sei und gerade ein Kind hätte anfallen wollen, ehe er von dem Vater des Kindes erschossen worden sei. Es war sehr rührend, als die Frau erzählte, daß sie durch den Verlust des Löwen in große Not geraten seien, weil niemand die Menagerie ohne den stattlichen Löwen ansehen wollte. Da sei sie auf den Gedanken gekommen, selbst den Löwen zu spielen. Viel geholfen hätte es freilich nicht, denn die Besucher hätten immer gesagt, es wäre ein komischer Löwe, der nie zum Vorschein käme. Hier in Torburg habe ihnen Kasperle durch sein Brüllen geholfen, aber trotzdem hätten sie heute früh kein Geld mehr gehabt. Das Futter für die Affen und anderen Tiere koste so viel.

So arm waren also die Leute. Kasperle, das dem Kasperlemann schon oft in der Not geholfen hatte, zeigte wieder einmal, was für ein butterweiches Herz es eigentlich besaß. Es griff in seine Hosentasche und holte zwei Zehner heraus. Die legte es Herrn Schulze in die Hand. »Für Affenfutter«, sagte es.

Es war das einzige Geld, das Kasperle besaß. Es war ihm für Zuckerstangen geschenkt worden, und alle sahen voll Bewunderung auf das gutherzige Kasperle.

Flugs fuhren da auch andere Hände in die Taschen. Von einem Kasperle wollten sich die anderen Zuschauer nicht beschämen lassen. Herr Schulz mußte beide Hände aufhalten, so viel Geldstücke bekam er.

Die Frau versprach, sie wolle nie mehr betrügen und keinen Löwen mehr spielen, und dann bedankten sich beide noch herzlich bei Kasperle, daß es ganz verlegen wurde. Und weil es gerade an den Schlitz in der Leinwand dachte, und daß es doch auch ein bißchen geschwindelt hatte, erzählte es flugs die ganze Geschichte.

»So arg mutig ist also Kasperle doch nicht gewesen«, sagte ein Herr und lachte herzlich.

»Aber gut, sehr gut«, sagte Frau Schulz. Sie wollte Kasperle einen Kuß geben, aber Kasperle sträubte sich mit Händen und Füßen dagegen und schrie: »Lieber gehe ich zu einem richtigen Löwen in den Käfig, ehe ich mir einen Kuß geben lasse.«

Ja, so war eben Kasperle.

Kasperle und der Herzog

Personen:

Der Herzog August Erasmus

Ein Diener

Kasperle

Der Leibarzt Dr. Lakritze

Spielt im Schloß des Herzogs.

Der Herzog: »Wo ist Kasperle?«

Diener: »Das ist im Garten.«

Der Herzog: »Was tut es da?«

Diener: »Es frißt Pflaumen.«

Der Herzog: »Pfui, wie unschicklich, fr–essen sagt man nicht.«

Diener: »Wenn einer so wie Kasperle schlingt.«

Der Herzog: »Überhaupt sind die Pflaumen noch nicht reif.«

Diener: »Das ist doch Kasperle gleich, es frißt eben.«

Der Herzog: »Das ist unschicklich.«

Diener: »Das sage ich ja auch.«

Der Herzog: »Ich meine fr–essen zu sagen.«

Diener: »Es tut es doch.«

Der Herzog: »Rufe Kasperle, es soll mir etwas vorkaspern, ich habe Langeweile.«

Diener (ruft): »Kasperle, Kasperle, höre auf mit Pflaumenfressen. Komm herein!«

Der Herzog: »Das ist doch unschicklich.«

Diener: »Das meine ich auch.«

Der Herzog (ärgerlich): »Fr–essen zu sagen.«

Diener (brummig): »Es tut es doch.« (Ab) (Kasperle kommt)

Kasperle: »Holdirallala, was soll ich denn?«

Der Herzog: »Was hast du eben getan?«

Kasperle: »Pflaumen gefressen.«

Der Herzog: »Das ist unschicklich.«

Kasperle: »Es gibt doch so viele.«

Der Herzog: »Ich meine, fr–essen zu sagen.«

Kasperle: »Ach, wenn es weiter nichts ist. Was soll ich denn tun?«

Der Herzog: »Mir etwas vorkaspern, ich habe so Langeweile.«

Kasperle: »Ein Kasperlesspäßlein.«

Der Herzog: »Ja, ein recht lustiges Kasperlesspäßlein.«

Kasperle (hebt ein Bein und stößt den Herzog vor den Magen): »Kiks, kiks, kiks.«

Der Herzog: »Oh, Kkkkkkkkk–kiks ist unschicklich.«

Kasperle: »Ich sollte doch ein Kasperlesspäßlein machen, das ist eins.«

Der Herzog: »Mach ein anderes, nicht kkkkkk–kiks.«

Kasperle: »Das ist unschicklich, ich weiß schon.« (Hebt die Hand und kitzelt den Herzog am Kinn): »Killekillekille.«

Der Herzog: »Kkkkkkk–kille ist unschicklich.«

Kasperle: »Es ist doch ein Kasperlesspäßchen.«

Der Herzog: »Mach ein anderes.«

Kasperle (kraut den Herzog am Kopf): »Krappelkrappel.«

Der Herzog: »Kkkkkkkkkkk–krappel krappel machen ist doch auch unschicklich.«

Kasperle: »Alles ist unschicklich, was soll ich denn für ein Späßlein machen? Halt, ich weiß, paß mal auf! Ich mache kuller kuller und rolle dir diese Pflaume zu.« (Der Herzog nimmt die Pflaume und ißt sie auf.)

Kasperle: »Hach, der Herzog hat nun auch eine unreife Pflaume gefressen.«

Der Herzog: »Das ist unschicklich, man sagt nicht fr–, au weh, ich kriege Bauchschmerzen. Schnell, schnell, der Doktor soll kommen.«

(Man hört den Doktor Lakritze draußen rufen): »Was ist denn geschehen, ich komme schon.«

Der Herzog: »Ich habe eine unreife Pflaume gefressen.«

Kasperle: »Jemine! Die Bauchschmerzen müssen arg schlimm sein, jetzt hat er auch gefressen gesagt.« (Ab)

Doktor Lakritze: »Das ist eine schlimme Geschichte. Unreife Pflaumen fressen ist un–«

Der Herzog: »Unschicklich.«

Doktor Lakritze: »Ungesund wollte ich sagen, sogar höchst ungesund.«

Der Herzog: »Kasperle ist dran schuld.«

Kasperle (schreit hinter dem Vorhang): »Ich habe doch nur ein kleines Späßchen gemacht, die Pflaume war ganz reif.«

Der Herzog: »Heißa! Ich bin nicht krank, ich bin gesund, ich habe keine Bauchschmerzen mehr. Kasperle komm wieder, mach wieder ein Späßchen!«

Kasperle (hinter dem Vorhang): »Danke schön, ich bin späßleinsmüde.«

Kasperle als Bäckerlehrling

Als Kasperle noch in Torburg lebte, bekam es eines schönen Tages Langeweile. Es klagte dem Kasperlemann, der gerade zu Hause war, sein Leid. Der meinte: »Kaspere nur, da vergeht deine Langeweile.«

Doch gerade dazu hatte Kasperle keine Lust. Es redete davon, es wollte jetzt etwas lernen, ein Handwerk ergreifen, ein ehrsamer Bürger werden und heiraten, am liebsten das Marlenchen. Das dachte es sich wunderschön.

»Aus einem Kasperle wird seiner Lebtag kein Handwerksmeister«, sagte der Kasperlemann. »Schuster, bleib bei deinen Leisten.«

»Schuster will ich gar nicht werden.« Kasperle rief es stolz und blähte sich dazu auf wie ein Fröschlein. Hach, es wußte schon, was es werden wollte.

Da sah es der Kasperlemann von oben bis unten an und sagte spöttisch: »Du willst wohl Zuckerbäcker werden, schaust gerade so aus.«

Wie kann einer einem nur das von der Nase ablesen. Gerade hatte nämlich Kasperle tatsächlich gedacht, ich werde Zuckerbäcker, da kann ich den ganzen Tag Küchlein essen. »Hach!« machte Kasperle und sperrte den Mund vor Erstaunen ganz weit auf.

»Potz Blitz!« rief der Kasperlemann, »da gehen ja zehn Pfannküchlein auf einmal hinein.«

Bei Nennung der zehn Pfannküchlein lief dem Kasperle das Wasser im Mund zusammen, und es hatte es auf einmal sehr eilig mit dem Zuckerbäckerwerden. Es schrie: »Du hast recht geraten, ich werde Zuckerbäcker, aber einer, der die schönsten Torten im ganzen Lande bäckt!«

»Ei, Kasperle, nimm den Mund nicht gar zu voll, du mußt ja erst lernen, und du hältst es nicht drei Tage als Lehrling aus.«

»Wetten, daß –« schrie Kasperle und streckte dem Kasperlemann die Hand hin.

»Jawohl«, sagte der, »wenn du drei Tage aushältst, bekommst du von mir zehn Pfannküchlein, sonst –«

»Bekommst du einen Nasenstüber!« schrie Kasperle frech.

Schwapp, da hatte Kasperle eine Ohrfeige weg, daß es gleich hintenüber fiel.

»Sonst«, redete der Kasperlemann ruhig weiter, »mußt du einen ganzen Nachmittag in meiner Bude kaspern.«

»Abgemacht, ich kriege zehn Pfannküchlein.«

»Erst drei Tage Lehrzeit aushalten«, spottete der Kasperlemann.

Die beiden stritten sich eine Weile hin und her, aber Kasperle hatte den größten Mund und schrie so, daß der Kasperlemann zuletzt still schwieg und sich seinen Teil dachte.

Erster Lehrtag

Am nächsten Morgen ließ sich Kasperle von Frau Liebetraut, seiner mütterlichen Freundin, eine weiße Schürze geben, band ein blaues Halstuch um, setzte eine alte Gartenmütze auf und meinte, nun sehe es aus wie ein Bäckerlehrjunge. Es sagten zwar alle, denen es sein Vorhaben mitteilte, Meister Hummel, der einzige Zuckerbäcker von Torburg, würde es gar nicht als Lehrling annehmen, ein Kasperle tauge nicht zum Zuckerbäcker. Aber Kasperle war mutig, es fand einen Ausweg. Es sagte, es würde sich Michel nennen; dann würde es niemand erkennen mit seiner weißen Schürze, dem blauen Halstuch und der alten Gartenmütze. Es war ganz unmöglich, daß jemand denken könnte, es sei Kasperle. Also gekleidet ging es zu Meister Hummel und sagte sich unterwegs ein Sprüchlein vor, das es dem Meister vortragen wollte: es sei ein armes Waisenbüble und wolle ein recht tüchtiger Zuckerbäcker werden.

Als es den Laden betrat, saß die Meisterin hinter dem Ladentisch. Sie rief gleich: »Na, Kasperle, willst du wieder Pfannküchlein holen?«

»Ja«, antwortete Kasperle verdutzt.

»Wieviel?«

»Zehn.« Doch während die Meisterin die Küchlein in eine Tüte zählte, fiel es Kasperle ein, daß es ja Michel wäre, und es schrie: »Ich bin nicht Kasperle!«

Die Meisterin lachte: »So, wer bist du denn, du siehst doch gerade wie Kasperle aus?«

»Ich heiße Michel und will Bäckerlehrjunge werden«, rief Kasperle und langte nach der Tüte mit den Pfannküchlein. Aber die Meisterin gab sie ihm nicht, die fragte erst vorsichtig, ob es auch Geld hätte. Da mußte Kasperle bekennen, daß es keinen Pfennig sein eigen nannte.

Inzwischen war der Meister in den Laden getreten, der sagte streng: »Kasperle, ohne Geld gibt es keine Küchlein.«

»Ich bin nicht Kasperle!« rief der kleine Strick, ärgerlich darüber, daß ihn auch der Meister gleich erkannte.

»Potztausend, wer bist du denn?« Der Meister lachte.

»Michel, der Lehrjunge.«

Nun mischte sich die Meisterin ein und erzählte, daß Kasperle bei ihnen Lehrjunge werden wollte.

Dem Meister war an dem Tage gerade sein Lehrjunge davongelaufen, und er wollte lieber Kasperle nehmen als gar niemand haben. Er fing also an, mit Kasperle zu verhandeln, und bald waren sich die beiden einig. Kasperle sollte erst einmal für drei Tage zur Probe bei Meister Hummel bleiben. Hatten dann beide noch Lust, sollte Kasperle drei Jahre lernen. Kasperle konnte gleich bleiben, und weil die Meisterin das Mittagessen kochen wollte und der Meister in der Backstube zu tun hatte, mußte Kasperle in der Ladenstube bleiben und aufpassen, ob jemand in den Laden kam. Es war dies nicht klug von der Meisterin. Sie hätte wissen müssen, daß man Kasperle nicht mit den Küchlein allein läßt.

Kasperle fing auch gleich zu schmausen an. Es versuchte jeden Kuchen und wollte gerade mit dem Finger in eine Cremetorte rutschen, als eine Nachbarin den Laden betrat. Kasperle machte vor Schreck über den unerwarteten Besuch sein allerschlimmstes Teufelsgesicht, und die Frau, die dachte, es wäre ein Einbrecher, fing furchtbar zu schreien an.

Als die Meisterin das Geschrei hörte, kam sie eiligst angelaufen. Kasperle wäre es beinahe schlecht gegangen, denn die Meisterin war eine handfeste Frau, die schon mit einem Kasperle fertig wurde, aber der kleine Schelm erkannte die Gefahr rechtzeitig, er entwischte schnell und kletterte auf den großen Schrank, der hinter dem Ladentisch stand. Oben angelangt, schnitt er sein häßlichstes Räubergesicht, und die gute Nachbarin erschrak wieder so sehr, daß sie laut schreiend auf die Gasse stürzte und dort brüllte, beim Bäcker Hummel säße der Teufel auf dem Schrank.

Potz Wetter, den wollten alle sehen, und im Laden stauten sich die Menschen. Die Meisterin, die wohl sah, daß alle aus Neugier kamen, fragte jedes schelmisch: »Was wollen die Herrschaften, der Kuchen ist ganz frisch, wollen Sie Apfelkuchen, Streußelkuchen oder Pfannküchlein?«

Da schämten sich die Leute über ihre Neugier und es verlangten auch manche Kuchen, die gar keinen hatten kaufen wollen. Während die Meisterin die Küchlein hurtig einpackte, ein Paket nach dem andern, tat sie so, als sähe sie nichts von dem Kasperle. Sie drehte sich nicht einmal nach ihm um, und die Leute sagten zueinander: »Sie weiß es gar nicht, daß der Teufel in ihrem Laden sitzt.«

Das hörte die Meisterin, und weil sie eine Schelmin war, sagte sie heiter: »Mir tut er nichts, er wartet hier auf jemand, der über andere üble Nachrede führt. Wer das tut, mag sich schon in acht nehmen.«

Wutsch! huschten einige aus dem Laden, das waren also solche, die kein reines Gewissen hatten und die gern über ihre lieben Nächsten klatschten. Kasperle merkte die Schelmerei, und gerade wollte es anfangen, noch schlimmere Gesichter zu schneiden, als ein Büblein den Laden betrat. Auf der Gasse war ein großes Geschrei: beim Bäckermeister Hummel wäre der Teufel. Den wollte das Büblein sehen. Es fürchtete sich gar nicht und drängte sich keck vor. Es wollte den Teufel ganz genau sehen. Eine Frau warnte: »Nicht so vorwitzig, sonst nimmt er dich mit.«

Aber das Büblein brach in ein schallendes Gelächter aus. »Der holt mich nicht«, rief es, »das ist ja Kasperle!«

Als Kasperle dies hörte, erschrak es so, daß es das Gleichgewicht verlor und der Meisterin auf den Kopf fiel.

Na, ein Kasperle auf den Kopf zu bekommen, ist nicht gerade angenehm. Die dicke Meisterin wäre beinahe umgefallen. Sie schwankte ein wenig hin und her, blieb aber stehen und das Kasperle rutschte auf den Boden. Dort lag es, und weil ihm himmelangst wurde vor den vielen Menschen, die es neugierig betrachteten und davon redeten, ob es wirklich das berühmte Kasperle oder doch etwa ein Teufel sei, verdrehte Kasperle fürchterlich seine Augen. »Es stirbt, Kasperle stirbt!« schrie das Büblein klagend.

»Ich stirbse nicht«, versicherte Kasperle, dem das Büblein in seiner Angst leid tat, und machte gleich ein ganz freundliches Gesicht.

Da erkannten es alle. Sie lachten und riefen: »Ach, es ist wirklich Kasperle. Was will denn der Strick hier bei Ihnen im Laden, Frau Meisterin?«

Die Frau lachte. »Es will Zuckerbäcker werden«, erzählte sie.

Zuckerbäcker, das Kasperle! Lachen rauschte durch den Laden.

Am lautesten lachte das Büblein. Das lief flugs auf die Gasse und brüllte es dort laut hinaus: »Kasperle will Zuckerbäcker werden!«

Da kamen von allen Seiten die Buben und Mädels an und staunten in den Laden hinein, in dem Kasperle allen Leuten die wunderbare Geschichte erzählte, daß es, um seine Freundin Marlenchen heiraten zu können, ein Handwerk lernen wolle.

»Daraus wird doch nichts, du lernst nie aus!« riefen die Frauen.

»Drei Tage halt ich schon aus«, sagte Kasperle treuherzig, und erzählte in seiner Sorglosigkeit, was es mit dem alten Kasperlemann vereinbart hatte.

»Einen Lehrjungen, der nur drei Tage bei mir bleiben will, kann ich nicht brauchen!« rief der Meister.

Kasperle sah erst ganz verdattert drein, dann aber, als der Meister ernsthaft sagte, es solle machen, daß es fortkäme, fing es fürchterlich an zu weinen, denn es wollte doch seine Wette nicht verlieren. Man soll nicht denken, daß es dem Kasperle allein um die Pfannküchlein ging, es war ihm auch um die Ehre zu tun, es wollte nicht immer der Verlierer sein. Die Kinder draußen hörten Kasperle so bitter weinen, und erschrocken drängten sie in den Laden, denn sie dachten, Kasperle geschähe ein Leid. Auf einmal war der Laden überfüllt, die Kinder stießen, schubsten und pufften sich, denn alle wollten sie vorn stehen und Kasperle sehen. Die Erwachsenen hatten ihre liebe Not mit ihnen, und der Meister seinen besonderen Ärger. Die Kinder taten ja gerade, als täte er dem Kasperle was an. Er schalt, die Kinder sollten hinausgehen, sie hätten nichts im Laden zu suchen, kaufen würden sie doch nichts. Je mehr der Meister aber schalt, desto mitleidiger redeten die Kinder mit Kasperle, und um so mehr schrie der Schelm.

Es war ein Lärm zum Davonlaufen, und der Meister lief auch davon. Er sagte noch zu seiner Frau: »Mach’ was du willst.« Das sagte er immer, wenn er durch seine Heftigkeit etwas verpatzt hatte. Und seine Frau machte es richtig. Sie steckte erst mal Kasperle den letzten Teekuchen, den es noch im Laden gab, in den Mund, und bums war das Kasperle still. Dann sagte sie, der kleine Strick dürfe drei Tage als Lehrbube zur Probe bleiben, er müsse aber versprechen, recht artig zu sein.

»Ich versprech’s!« schrie Kasperle und turnte an einem Brotregal auf und ab. Dann stand das Kasperle mitten unter den Kindern und großen Leuten, und alle baten: »Kaspere ein bißchen!« Aber Kasperle gähnte und sagte, es wäre sehr müde.

»Dann geh in die Backstube und lege dich auf die Ofenbank, da ist es schön warm.« Die Meisterin machte selbst die Türe zur Backstube auf, und Kasperle spazierte ganz gehorsam hinein.

»Geht nach Hause«, sagte die Meisterin zu den Kindern.

Da – ein Stöhnen, Pusten und Ächzen, ein dumpfes Poltern, ein schwerer Fall, war aus der Backstube zu hören. Was war geschehen?

Kasperle hatte einen mit Mehl gefüllten Backtrog für ein warmes, weiches Bettchen gehalten, in das hatte es sich hineingelegt – und war im Mehl versunken. Bei dem Bemühen, wieder herauszukommen, war es mit dem ganzen Trog, der auf zwei Stühlen stand, umgefallen. Kasperle lag unter dem Trog und die Meisterin vergaß das Schelten und griff rasch zu, um den Kleinen zu befreien, denn sie hatte Angst, der kleine Schelm könnte ersticken.

Na, erstickt war das Kasperle noch nicht, es hustete, spuckte und jammerte aber ganz gewaltig, denn das Mehl war ihm in Mund und Nase gekommen und das ganze Kasperle sah aus wie mit Zucker bestreut. Na, das war eine Bescherung. Der Meister und die Gesellen hatten das Gepolter auch gehört. Sie kamen eilig angelaufen und sahen das Unheil, das Kasperle angerichtet hatte. – Der Meister konnte schon tüchtig schimpfen, aber der Altgeselle konnte es noch viel besser. Der wetterte so los, daß es dem Kasperle und allen Kindern himmelangst wurde. Kasperle vergaß sogar das Kaspern vor Schreck.

»Es muß Hiebe haben«, schrie der wütende Geselle.

»Ja, tüchtig«, fiel der zweite Geselle ein.

Der Meister holte aus einer Ecke einen Stock heraus und es wäre beinahe dem Kasperle ganz schlimm ergangen. Doch da war ein Büblein, das ein abgrundtiefes Mitleid mit dem Kasperle hatte, das stellte sich mutig vor den zornigen Meister hin und rief: »Tu dem Kasperle nichts, hau mich dafür!«

Das war weder dem Meister noch den Gesellen je vorgekommen, daß ein anderer des Kameraden Hiebe auf sich nehmen wollte, und der Meister ließ den Stock sinken, sah das Kasperle an und fragte: »Was nun?«

»Hau mich schon«, schluchzte Kasperle, »aber leg ein Brett unter.« Ja, Kasperle war mordsschlau. Da rasselte es auf einmal wie eine alte Wetterfahne, die sich im Winde dreht, der wütende Altgeselle fing an zu lachen, was er seit zehn Jahren nicht getan hatte, denn er war ein griesgrämiger Bursche. Wenn einer lacht, steckt das meist an. Zuerst lachten die Kinder, der Meister lachte und die Meisterin, der Zweitgeselle fiel ein, und alle Leute, die sich in die Backstube gedrängt hatten; zuletzt aber lachte Kasperle selbst, und es konnte es am besten. Es schüttelte sich wie eine Birke im Herbststurm und sperrte seinen Mund auf wie ein Briefkasten seine Bodenklappe, wenn der Briefträger zum Entleeren kommt. Da war von Durchwichsen keine Rede mehr, und das Büblein konnte beruhigt sein, Kasperle bekam an diesem Abend keine Hiebe mehr. Es durfte sogar ins Bett gehen, obgleich der Altgeselle sagte, eigentlich müßte der Lehrjunge auch in der Nacht helfen, denn damals hatten die Bäcker in der Nacht die Hauptarbeit. Aber Kasperle fiel vor Müdigkeit beinahe über seine eigene Nase. Die Meisterin hatte Mitleid mit ihm. Sie brachte Kasperle selbst in das Lehrjungenkämmerchen und dort durfte es sich ins Bett legen. »Schlaf gut, kleines Kasperle«, sagte die freundliche Frau und deckte den kleinen Schelm zu. – Heidi! schlief das Kasperle ein. Die Meisterin war noch nicht an der Türe, da schnarchte es schon, und die Frau dachte: Der kann es aber gut.

Zweiter Lehrtag

Kasperle wurde am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe recht unsanft geweckt. Der Altgeselle stand an seinem Bett und goß ihm ein Tröpflein kaltes Wasser auf seine große Nase. »Aufstehen!« schrie er dabei. »Du mußt Brötchen austragen.«

Kasperle wollte maulen, da kam es aber beim Altgesellen schlecht an. Der packte es am Kragen, hob es aus dem Bett, setzte es auf den Fußboden und drohte ihm, er würde es hinaustragen und unter die Pumpe setzen, wenn es sich nicht fix anziehen würde. Unter die Pumpe gesetzt zu werden, schien Kasperle nicht verlockend zu sein, es schlüpfte darum schnell in sein Höslein und hätte das Waschen vergessen, wenn der Altgeselle nicht ziemlich grob daran erinnert hätte. So kam denn Kasperle leidlich sauber in seine Höslein, und da sein Magen ordentlich knurrte, dachte es zuerst ans Frühstück, und weil Meister Hummel doch eigentlich ein Zuckerbäcker war, meinte es: Jetzt gibt es Kuchen.

Es gab aber weder Kuchen noch sonst etwas. Mit hungrigem Mäglein mußte Kasperle in die Morgenluft hinaus. Die Meisterin hatte ihm genau aufgeschrieben, wo es hingehen sollte, sie sagte: »Hier in der Paradiesgasse fängst du an und dann geht’s in der Reihenfolge weiter, wie es auf diesem Zettel steht.«

Nun, verstanden hatte Kasperle schon, aber lesen konnte es doch nicht. Zur Not brachte es ein paar gedruckte Wörter zusammen, alles andere hatte es schon längst wieder verlernt. Um das auf den Zettel Geschriebene herauszubuchstabieren, hätte es wohl ein Jahr gebraucht. Das sagte aber der kleine Dummkopf nicht. Er verließ sich auf sein gutes Glück und dachte, ich finde schon ein Büblein, das mir hilft. Aber auf der Gasse war so früh noch kein Büblein zu sehen, die lagen noch alle in den Betten und schliefen, und Kasperle mußte sich allein helfen. Das tat es auch, aber auf seine Art. Es lief einfach mit seinem Tragkorb von Haus zu Haus, und weil die Meisterin gesagt hatte, es solle nicht klingeln, um die Leute nicht aus dem Schlaf zu wecken, bumste es mit dem Fuß an die Haustüre. Und Kasperle konnte das Bumsen gut. Es dröhnte nur so durchs ganze Haus, und die Leute fuhren aus dem Schlaf empor, und einige guckten zum Fenster heraus und schimpften hinter Kasperle her. Das kümmerte sich gar nicht darum und lief weiter, legte vor jedes Haus so viele Tüten mit Brötchen als es Stockwerke hatte, mal große, mal kleine, gerade wie es kam, dann ging es ganz stolz in die Bäckerei zurück. Die Meisterin hatte zwar gesagt, es müßte durch die ganze Stadt laufen, und es dachte, ich muß es ihr sagen, daß das Gebäck dazu gar nicht gereicht hat.

Als es aber in den Laden trat, stand da ein Fremder, Der sprach mit der Meisterin und rief gleich, als Kasperle seine große Nase zur Türe hereinsteckte: »Da ist er, ja, der war es!«

Kasperle erkannte den alten Herrn wieder. Das war einer von denen, die so über sein Gebumse an den Türen geschimpft hatten.

»Was hast du denn für einen Unsinn gemacht, Kasperle?« fragte die Meisterin streng.

»Nichts«, erwiderte der kleine Schelm treuherzig, denn er meinte, das bißchen Bumsen könnte man doch nicht übelnehmen.

»So, nichts! Wer hat denn an die Haustür geklopft, wie ein Schmied auf den Amboß und wer hat denn bei uns drei falsche Tüten abgegeben, auf denen ganz andere Namen stehen? Ich will Mohnkringel und keine Brötchen.« Das ist schlimm, wenn einer Mohnkringel essen will und keine bekommt. Der alte Herr schalt denn auch wie eine Elster und ließ die Meisterin gar nicht zu Worte kommen.

Wie er noch mitten im Reden war, kam eine Frau in den Laden, die konnte das Schelten noch besser, denn die schalt gleich für drei Nachbarn mit. Zwei schickten die Brötchen wieder zurück – sie hätten gar keine bestellt – und der dritte hatte nur die Hälfte bekommen, die Frau selbst hatte nur Mohnkringel erhalten, und die konnte sie nicht vertragen.

»Wie dumm«, brummte der alte Herr.

Potz Blitz! nahm das die Frau übel. Sie zeterte los und der alte Herr blieb ihr auch keine Antwort schuldig, und während sich die beiden zankten, dachte Kasperle daran, auszureißen, denn es merkte nun, daß es an all dem Streiten schuld war.

Es kam aber nicht zur Türe hinaus. Durch diese drängten sich immer mehr Leute in den Laden, einige mit Tüten, andere ohne solche, aber alle schimpften sie. Die einen hatten falsches Gebäck bekommen, die anderen hatten gar nichts bestellt, am meisten aber beschwerten sie sich über das furchtbare Gebumse. Alle waren sie deshalb zu früh aufgestanden und waren schlechter Laune. Es kamen immer mehr Menschen und zuletzt kamen noch alle die, die weiter weg wohnten und überhaupt kein Gebäck mehr bekommen hatten.

Es war wieder einmal ein Höllenspektakel in der Bäckerei Hummel.

Der Meister hörte es natürlich in seiner Schlafstube, denn er hatte sich endlich zum Schlafen hingelegt. Er dachte: Was hat das verflixte Kasperle wohl wieder angerichtet? Er blieb aber vorläufig liegen, und das war ein Glück für Kasperle, denn der zornige Meister hätte gerade noch gefehlt. Es ging ihm ohnehin schlecht genug. Und der Meisterin ging es noch schlechter. Als es endlich herauskam, daß Kasperle überhaupt nicht lesen konnte, da sagten alle: »Wie kann man auch nur ein Kasperle als Lehrling einstellen, da können ja nur Dummheiten und Unsinn entstehen!« Das ging Kasperle über die Hutschnur. Das kränkte es in seiner Ehre. Es brüllte so laut es konnte, und es konnte sehr laut brüllen: »Ich bin nicht so dumm!«

»Halt den Schnabel!« befahl ein Mann und gab ihm einen Klapps auf den Mund. Der kannte aber das Kasperle schlecht, das ließ sich nicht so ohne weiteres auf den Mund schlagen. Es fing so fürchterlich an zu schreien, daß die Leute von der Gasse wieder in den Laden stürmten und fragten, was denn dem Kasperle geschehen sei. Die einen fragten, die anderen wollten erklären, Kasperle brüllte, die Meisterin weinte, und auf einmal tat sich die Türe auf und herein kam nun doch der Meister im buntgeblümten Schlafrock, den Stiefelknecht in der Hand und drohte, er würde alle weich wie Teig schlagen, wenn es nicht bald Ruhe gäbe.

Nun, zu einer Teigmasse wollte keines geschlagen werden, vor dem zornigen Meister hatten sie Angst, also rissen alle aus. Kasperle wollte auch ausreißen, wer es aber festhielt, war der alte Herr, der sich zuerst beklagt hatte. Der packte es am Kragen, hielt es hoch und sagte: »Das soll ein Bäckerlehrjunge sein, der kann ja nicht einmal lesen!«

»Doch«, schrie Kasperle beleidigt.

»Geschriebenes auch?«

Kasperle wurde verlegen. »Ich hab’s verlernt«, stammelte es.

»Ach je«, rief die Meisterin, »und ich hab ihm alles genau aufgeschrieben.« Da kam es denn heraus, daß das gute Kasperle den Zettel und die Aufschriften auf den Tüten gar nicht gelesen hatte, und die Meisterin sah ein, daß man ein Kasperle nicht so ohne weiteres Ausgänge machen lassen kann. Für das Gebumse aber bekam es von dem alten Herrn noch eine Ohrfeige. Damit war die Sache erledigt.

Der Meister knurrte und brummte noch ein bißchen, und der Altgeselle brummte noch viel mehr, aber die Meisterin wußte sie zu beruhigen. Es kamen noch viele Leute an diesem Vormittag zu Meister Hummel und beschwerten sich, am meisten aber über das Gebumse. Das hatte sie alle im Morgenschlaf gestört.

Ich muß Kasperle alles besser klarmachen, es hat es ja nicht böse gemeint, dachte die Meisterin. Aber was helfen die besten Absichten, wenn es sich um ein Kasperle handelt?

Der kleine Schelm saß inzwischen in der Backstube und stach kleine Kuchen mit einer Blechform aus. Wenn einer mißlang, aß er den Teig auf. Es mißlangen aber mit der Zeit so viele, daß der Altgeselle darauf aufmerksam wurde, und schließlich wurde Kasperle mit Schimpf und Schande aus der Backstube gejagt.

Zum Glück wurde bald zum Mittagessen gerufen, und Kasperle folgte dem Ruf sehr geschwind. Leider hatte es vergessen, sich die Hände zu waschen, denn mit Mehl- und Teigfingern kommt man nicht zu Tisch. Der Meister schickte Kasperle wieder hinaus, gerade als die Magd die verlockend duftende Bratwurst auftrug.

Als der kleine Wicht wieder kam, war die Bratwurst, die er so gerne aß, alle. Der Altgeselle steckte eben das letzte Stück in seinen Mund. Wupp! da war es drin, und Kasperle hatte das Nachsehen. Es wollte anfangen zu brüllen, aber da sagte der Meister: »Warte, ich hole den Stiefelknecht!«

Da war Kasperle wie auf den Mund geschlagen, denn mit diesem Herrn wollte es keine Bekanntschaft machen. Es schluckte traurig seinen Kartoffelbrei hinunter und fand das Lehrlingsleben gar nicht sehr erfreulich. Wenn nur erst die drei Tage herum wären, und es seine Wette gewonnen hätte.

Ebenso dachte die Meisterin. Sie hatte an diesem Tage gerade alle Hände voll zu tun und nun mußte sie noch auf Kasperle aufpassen. Beinahe hätte sie vergessen, der reichen Frau von Stipps die bestellten Butterhörnchen zu schicken. Sie wollte den Zweitgesellen schicken, aber der brummte, er hätte keine Zeit, Kasperle sollte gehen, wozu wäre es denn da.

Die Meisterin nahm sich also Kasperle vor, zeigte ihm das Haus, in dem die Frau von Stipps wohnte, ermahnte es, nicht zu bumsen, sondern fein vorsichtig zu klingeln, und dann ließ sie es gehen. Wenn es der Kleine nur richtig macht, dachte sie.

Nun, es ging, wie es eben einem Kasperle gehen kann.

Frau von Stipps stand am Fenster und war verdrießlich. Herr von Stipps lag nämlich im Bette und hatte Kopfschmerzen. Dann wollte er immer größte Ruhe im Hause haben, und gerade heute hatte sie ihr Kaffeekränzchen, und die Damen pflegten dabei viel zu schwatzen.

Wie Frau von Stipps so am Fenster stand und hinaussah, erblickte sie auf einmal Kasperle, das in einer weißen Schürze, mit einem weißverdeckten Korb am Arm daherkam, wie ein richtiger Bäckerjunge.

Aha, der bringt meine Butterhörnchen, dachte Frau von Stipps.

Aber jemine! Was machte denn der Junge?

Er schwenkte den Korb wie ein Uhrpendel hin und her und pardauz! lagen alle Butterhörnchen auf der Straße. Gerade in den Schmutz waren sie gefallen.

Jetzt wird der ungeschickte Junge zurückgehen und andere holen, dachte Frau von Stipps.

Aber Himmel, was tat der Bäckerjunge?

Frau von Stipps fiel beinahe in Ohnmacht, denn Kasperle, das unnütze Kasperle, wischte alle Butterhörnchen am – Hosenbödle ab und warf sie wieder in den Korb. Er bringt sie wirklich herauf!

Ja, Kasperle brachte sie schneller in die Wohnung, als Frau von Stipps geahnt hatte. Was wußte die, wie schnell ein Kasperle Treppen hinaufflitzen konnte. Eins, zwei, drei war es oben.

An der Tür war ein Klingelknopf, daran hing ein Zettel. Auf dem stand: »Bitte nicht klingeln, nur leise klopfen!«

Um den Zettel kümmerte sich Kasperle nicht. Es hätte ja auch nicht lesen können, was darauf stand. Bumsen sollte es nicht, also klingelte es, aber wie! Es drückte in einem fort auf den Knopf, daß die Klingel ununterbrochen läutete.

Drinnen hörten es alle, und als die Klingelei kein Ende nehmen wollte, sprang der gnädige Herr aus dem Bette, und es war gut, daß er schon seinen Schlafrock anhatte, sonst wäre er im Hemd an die Glastür gelaufen, so wütend war er. Kasperle machte gerade kein sehr kluges Gesicht und staunte sehr, als Herr von Stipps mit seiner Frau und dem Dienstmädchen angelaufen kam und rief: »Das ist der Junge, der heute früh so an die Tür gebumst hat!«

»Jawohl«, schrie seine Frau, »und der gerade drunten auf der Straße die Butterhörnchen an seinem Hosenbödle abgewischt hat!«

»Waaas hat er gemacht?« rief Herr von Stipps.

Die gnädige Frau erzählte nun, was sie vom Fenster aus beobachtet hatte, und Kasperle machte das treuherzigste und unschuldigste Gesicht von der Welt dazu und versicherte, als Frau von Stipps einmal Atem holte: »Sie sind wieder ganz sauber geworden!«

»Am Hosenbödle?« riefen Mann, Frau und Magd wie aus einem Munde.

»Na ja, ich wisch doch alles am Hosenbödle ab.« –

Kasperle wunderte sich sehr, daß die Frau und die Magd so entsetzte Gesichter machten, der Herr dagegen machte ein Gesicht, als kitzelte ihn etwas an der Nase, er schien eher zu wissen, was ein Hosenboden für ein Kasperle bedeutet.

Die beiden Frauen aber starrten das Kasperle an, als wäre es aus einem Zirkus entsprungen. Kasperle wußte vor Verlegenheit gar nicht, wo es hinsehen sollte. Es fing darum an, Gesichter zu schneiden, und da geschah ein Wunder: der Herr von Stipps vergaß seine Kopfschmerzen und seine schlechte Laune und lachte auf einmal schallend los.

Gleich lachte Kasperle mit, und wo zwei lachen, konnte die Magd Berta nicht still sein, sie mußte auch lachen.

Das Lachen nahm aber die Frau übel. Sie sagte streng: »Du mußt mir frische Hörnchen holen.«

»Ja«, rief Kasperle bereitwillig, »aber du mußt mir Geld geben.«

Mit Du war Frau von Stipps noch nie von einem Bäckerjungen angeredet worden.

Sie fand dies unerhört und fragte ungehalten: »Was bist du denn für ein frecher Junge?«

»Ich bin Kasperle.«

»Was, wer bist du?« rief der Herr von Stipps verwundert.

»Kasperle«, antwortete dies noch einmal.

»Wie kann denn ein Kasperle Bäckerjunge sein, das stimmt doch nicht.« Die gnädige Frau war sehr empört.

Aber Kasperle schrie beleidigt: »Das stimmt doch, da, mach mir das einmal nach!« und schwipp-schwapp schlenkerte es mit Armen und Beinen und schoß einen Purzelbaum über Frau von Stipps hinweg.

Es war nun ein bißchen viel verlangt, daß diese einen Purzelbaum schießen sollte. Sie tat es auch nicht.

Herr von Stipps aber lachte, als wäre er selbst ein Kasperle.

Als Kasperle das sah, kasperte es wie toll im Flur herum, und dem gnädigen Herrn wackelte der Bauch vor Lachen. Frau von Stipps sah ihren Mann gern lachen, denn er war sonst oft recht griesgrämig, sie tat das beste was sie tun konnte, sie lachte mit. Kasperle kasperte, und die drei lachten so lange, bis der kleine Schelm rief: »Ich habe Hunger!«

»Iß die Butterhörnchen auf, dann kannst du frische holen«, sagte Herr von Stipps, der dachte, Kasperle würde die in den Schmutz gefallenen Hörnchen sicher nicht essen. Da kannte er aber Kasperle schlecht, das störte der Schmutz kein bißchen. Eins, zwei, drei, schluck, schluck, weg waren die Hörnchen, und die drei Zuschauer staunten den Kleinen fassungslos an. So essen konnten sie nicht.

Dann bekam Kasperle Geld und mußte andere Hörnchen holen. Es kam damit auch glücklich über die Straße, kasperte drüben dem Herrn von Stipps noch etwas vor, und sauste dann seelenvergnügt wieder in die Bäckerei zurück.

Es hatte sich vorgenommen, kein Wörtlein von seinen Erlebnissen zu verraten, doch kaum war es im Laden und die Meisterin fragte, wo er denn so lange geblieben sei, da erzählte es flink alles.

Die gute Meisterin dachte, Kasperle macht doch wirklich nichts wie Dummheiten, was fange ich nur mit ihm an. Sie sagte: »Weißt du was, Kasperle, du gehst jetzt ins Bett, du wirst doch müde sein.«

Das ließ sich Kasperle nicht zweimal sagen. Es rannte rasch in sein Kämmerlein, kroch in sein Bett und schlief im Handumdrehen ein.

Dritter Lehrtag

Als Kasperle am dritten Tag munter wurde, hörte es gerade den Altgesellen sagen: »Gieß ihm nur Wasser über den Kopf!«

Flugs war Kasperle aus dem Bett. Es hatte genug von dem gestrigen Güßlein. Es schlüpfte auch leidlich flink in seinen Kittel und vergaß diesmal auch das Waschen nicht.

So stand denn das Kasperle bald fix und fertig vor dem Gesellen und erfuhr, daß es wieder Gebäck austragen müßte, der Zweitgeselle würde aber mitgehen und ihm immer die richtigen Häuser zeigen und was es jeweils abzugeben hätte. Aber den Korb tragen und die Treppen steigen, das schicke sich nicht für einen Zweitgesellen, meinte der.

»Aber nicht bumsen«, ermahnte es die Meisterin im Laden.

»Nicht bumsen, sonst –« drohte ihm der Meister noch vor der Türe.

»Ich werde ihm was bumsen«, versicherte der Geselle.

So wohl ausgerüstet mit guten Ermahnungen trat Kasperle seinen Weg zum Brötchenaustragen an. Es dachte, daß es sehr langweilig werden würde, so mit dem brummigen Gesellen zu gehen, nicht ein Späßlein würde es machen können.

Als die beiden aber auf die Gasse kamen, da wimmelte es von Buben. Alle waren heute frühe aufgestanden, um dem Kasperle zu helfen. Weil doch das arme Kasperle nicht lesen konnte, mußte man ihm doch helfen.

Erst wollte der Geselle schimpfen über die unnützen Buben, aber dann besann er sich, da dies ja eine gute Gelegenheit für ihn war, nach Hause zu gehen, und er sagte den Buben Bescheid, überließ ihnen das Kasperle und den Tragkorb und trollte sich. Kaum hatte er ihnen den Rücken gekehrt, da riß das Kasperle seinen Mund auf und fing an zu prahlen, was es gestern alles angestellt hätte.

Sie standen dabei vor dem Haus, in dem der erste Kunde wohnte. Sie machten einen Höllenlärm, und auf einmal sagte eine Stimme von oben herab: »Kasperle, lüge nicht, sonst komme ich mit dem Stock hinunter.«

Himmel erschrak das Kasperle. Es sah hinauf und oben schaute der Mann, der gestern seine Mohnkringel nicht bekommen hatte, zum Fenster heraus. Kasperle senkte die Nase. Das war peinlich.

Der Mann ermahnte nun die Buben, nicht so laut zu sein, sonst würde das Kasperle noch für ihre Hilfe vom Meister Hiebe kriegen. Das wollten sie natürlich alle nicht. Sie versprachen also, recht leise zu sein. Was nun Buben so leise nennen!

Es wachte mancher an diesem Morgen durch den Lärm zu früh auf und dachte ärgerlich, wenn die Buben schon so früh einen Schulausflug machen, brauchen sie doch nicht so zu lärmen, das ist ja schrecklich.

Da war ja gestern der Kasper noch still dagegen. Nur wenige sahen den Schelm mitten unter den lachenden, lärmenden Buben, und fast niemand merkte es, daß der Schelm die Ursache von dem Geschrei und Gelächter auf der Straße bildete, denn er war an diesem Morgen ganz besonders ausgelassen und trieb es besonders toll, so daß die Buben aus dem Lachen gar nicht mehr herauskamen. Kasperle nannte dies jedoch »leise sein«, weil es selbst nicht schrie, sondern nur insgeheim die Jungen zu noch immer lauterem Geschrei veranlaßte.

Trotz allem Unsinn, den die Schar trieb, gaben die Buben die Backware doch richtig ab. Sie taten es ganz höflich und manierlich, und so gerne Kasperle an den Haustüren gebumst hätte, ließ es dies doch sein. So zog der Buben-Schwarm durch die ganze Stadt, und gerade, als das letzte Gebäck abgegeben werden sollte, vergaß es Kasperle ganz und gar, daß es nicht bumsen sollte, und bumste recht kräftig an die Türe des kleinen einstöckigen Häuschens. Die tat sich auf, und wer kam heraus? – Der Ortspolizist.

Das war ein Schreck. Ehe Kasperle an das Ausreißen denken konnte, hatte es der Polizist am Kragen gepackt und fragte streng: »Wer hat jetzt gebumst?«

»Ich nicht, mein Bein war es!« schrie Kasperle.

»So, na, da werden wir das Bein abschneiden!«

So ernst meinte es der Mann zwar nicht, aber Kasperle nahm es sehr ernst. Es brüllte fürchterlich: »Nicht abschneiden, nicht abschneiden!«

»Brülle doch nicht so«, sagte der Polizist erschrocken.

Das hätte er nicht sagen dürfen. Kasperle dachte: Wenn ich recht brülle, läßt er mich los. Und »huhuhuhuhuhu« brüllte das Kasperle.

»Sei still, sonst kommst du ins Gefängnis«, rief der Polizist, und tat, als wäre er furchtbar böse. Dabei mußte er heimlich über das verängstigte Kasperle lachen.

Der Polizist hatte aber nicht mit den Buben gerechnet. Kaum merkten sie, daß es ihrem Freund anscheinend an den Kragen gehen sollte, da dachten sie auch: Brüllen ist sicher das Beste, und brüllten wie die Löwen. Dem Polizisten wurde es himmelangst. So ein Geschrei vor seiner Türe am frühen Morgen war recht unangenehm, schon wegen der Nachbarn.

Die Buben merkten das wohl, und weil sie Kasperle freihaben wollten, brüllten sie immer lauter.

Schon öffneten sich da und dort die Fenster, verschlafene Gesichter schauten heraus, und ärgerlich fragten die Leute, was denn in aller Welt passiert wäre.

»Da, hau ab!« rief der Polizist wütend, denn alle Buben konnte er doch nicht am Kragen nehmen, also mußte er Kasperle loslassen.

Das ließ sich das Ausreißen nicht zweimal sagen, und die Drohung, es solle sich aber in Zukunft in acht nehmen, ließ der kleine leichtsinnige Strick zu einem Ohr hineingehen, zum andern aber gleich wieder hinaus.

»Kasperle ist frei!« jauchzten die Buben so laut, daß sich noch mehr Fenster öffneten und noch mehr Stimmen schalten.

Der Lärm paßte gar nicht zu dem schönen Morgen, und der Polizist war froh, als die Schar von dannen zog. Er nahm sich aber vor, dem Kasperle bei seinem Meister eins auszuwischen. Er wußte ja nicht, daß es dessen letzter Lehrtag war.

Lachend und vergnügt kamen die Buben und Kasperle wieder in der Paradiesgasse an. Sie hatten durchaus kein schlechtes Gewissen, und sie waren arg verwundert, daß der Mann, der gestern keine Mohnkringeln bekommen hatte, dort stand, und ihnen entgegenrief: »Haltet ihr so euer Versprechen?«

Du lieber Himmel, was hatten sie denn versprochen? Kasperle war am meisten verwundert, das sagte ganz treuherzig: »Aber du hast doch deine Mohnkringel noch nachträglich bekommen.«

Ja, es war nicht so ganz leicht, einem Kasperle das Lärmen und Lustigsein zu verbieten, weil ein Kasperle gar nicht merkt, wenn es laut ist. Und Buben sind darin genau wie Kasperles.

Im Bäckerladen hatte man von dem lauten Wortwechsel auf der Gasse gar nichts gemerkt. Und als Kasperle in die Backstube trat, meinte der Altgeselle, es könne sicher weiter da bleiben, denn wenn ihm seine Freunde vorerst immer helfen könnten, würde es mit der Zeit allein Bescheid wissen.

Aber Kasperle hatte doch keine Lust, länger Lehrjunge zu sein, es sehnte sich heim zu Meister Severin und nach Marlenchen, sogar nach dem Kasperlemann sehnte es sich, und wäre froh gewesen, wenn der Tag schon zu Ende gewesen wäre. Aber es war noch früh am Morgen, und ein langer Lehrtag lag noch vor Kasperle.

Die Meisterin dachte zwar auch, wenn der Tag nur vorbei wäre, aber sie war eine praktische Frau und meinte, es müsse jemand etwas Nützliches tun, wenn es auch ein Kasperle sei. Deshalb sagte sie: »Kasperle, geh auf den Hof und setze das Brennholz auf!«

Kasperle ging recht langsam davon, und als es vor dem Holzhaufen stand, der gerade in der Sonne lag, dachte es, schlafen wäre eigentlich jetzt besser, wenn man so früh aufgestanden ist. Also legte es sich neben dem Holzhaufen ins Gras und schlief im Augenblick selig ein.

Die Meisterin aber hatte im Haus wieder viel zu tun, einmal aber fiel ihr doch das Kasperle ein, und sie ging hinaus, um nach ihm zu sehen.

Wer lag da im Grase? – Kasperle mit der großen Nase.

Heidi! wie flink war da die Meisterin bei ihm.

Kasperle fühlte sich auf einmal unsanft emporgezogen und auf seine Beine gestellt.

»Faulpelz, du!« tönte es ihm ins Ohr.

Da riß es seine Augen auf und machte ein so blitzdummes Gesicht, daß die Meisterin herzhaft lachen mußte.

Das Lachen brachte Kasperle zu sich. »Ich habe Hunger«, schrie es kläglich.

»Ja, hast du denn noch kein Frühstück gegessen?« fragte die Meisterin.

»Nä!« Kasperle kam sich selbst sehr bemitleidenswert vor und heulte gleich. »Ich stirbse vor Hunger!« jammerte es.

Die Meisterin lachte, nahm aber das Kasperle mit in die Küche. Dort setzte sie es vor einen gefüllten Brötchenkorb, stellte ihm eine Tasse Milch vor und sagte: »Nun iß dich satt!«

Und Kasperle begann zu essen. Kuchen wäre ihm ja lieber gewesen, aber frische Brötchen mit Butter schmeckten auch gut.

Nach einer Weile kam der Altgeselle, er wollte auch frühstücken.

Er schaute auf den Tisch, sah das Kasperle an und fragte etwas drohend: »Wo sind denn meine Brötchen und meine Butter?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Kasperle unschuldig.

»Geh, ruf mal die Meisterin.«

Das tat Kasperle, aber das Mitkommen vergaß es, denn auf einmal war es ihm etwas bänglich zumute, weil es alles allein aufgegessen hatte. Es ging auf den Hof und begann seufzend Holz aufzuschichten.

In der Küche stellte es sich inzwischen heraus, daß der kleine Vielfraß alles aufgegessen hatte.

Der Altgeselle rief nach Kasperle, aber das tat, als wäre es schwerhörig geworden.

Da nahm der Geselle einen Stock, drohte: »Na warte!« und ging auf den Hof.

Kasperle aber war auf seiner Hut, es sah den Gesellen kommen und ahnte, daß der nichts Gutes im Schilde führe.

Als der Geselle ganz dicht vor ihm stand und schon dachte: Nun kann es mir nicht mehr entgehen, wutsch! schoß das Kasperle einen Purzelbaum über den Altgesellen hinweg und rannte auf die Straße.

Dort schrie es jämmerlich: »Er will mich schlagen!«

Sein Geschrei lockte viele Kinder und Erwachsene herbei, und die meisten nahmen Partei für das schreiende Kasperle. Die Kinder jedenfalls alle, und der Schelm merkte das wohl.

Er schrie so jämmerlich und sah so unglücklich dabei aus, daß selbst der Meister, der wieder einmal mit dem Stiefelknecht daherkam, Mitleid mit ihm hatte und rief: »Kasperle, komm rein, bis heute abend tut dir niemand mehr etwas.«

Da ging Kasperle getrost in das Haus, denn zu dem Wort des Meisters hatte es Vertrauen.

Es tat ihm auch wirklich niemand etwas, des Meisters Wort galt im Hause.

Nun stand das Kasperle wieder auf dem Hofe und schichtete Holz, bis zum Mittagessen gerufen wurde. Diesmal beeilte sich Kasperle sehr, aber als es in die Stube kam, nahm der Altgeselle gerade wieder das letzte Stück Fleisch aus der Schüssel. Aber Kasperle machte sich nichts daraus, es war noch plumpsatt von den vielen Brötchen. Es saß daher so still und sittsam bei Tisch, daß der Meister wieder dachte, es könnte vielleicht doch ein ganz guter Lehrjunge aus ihm werden.

Aber ein Kasperle bleibt ein Kasperle.

Gerade als der Geselle den letzten Bissen Fleisch in den Mund stecken wollte, schnitt ihm Kasperle ein Teufelsgesicht. Da erschrak der Geselle so sehr, daß er sich fürchterlich verschluckte und ihm alle auf den Rücken klopfen mußten, bis der Bissen wieder aus der unrechten Kehle zum Vorschein kam. Er wollte nun das Kasperle verhauen, aber die Meisterin hinderte ihn daran. Sie meinte, es sei töricht, über ein Teufelsgesicht von einem Kasperle so zu erschrecken, denn ein Kasperle schneide eben Gesichter, das wäre seine Natur.

»Nachher«, sagte der Geselle und machte ein Gesicht dazu, als wäre er selbst ein bitterböses Kasperle geworden.

Da wußte das Kasperle, daß es sich vor dem Gesellen in acht nehmen mußte.

Es ging bedrückt wieder hinaus zum Holzaufschichten. Das tat es eine Weile, bis es der Meister in die Backstube rief. Die Gesellen schliefen und der Meister wollte sich auch schlafen legen. Er hatte aber gerade einen besonders guten Hefekuchen eingerührt und wartete darauf, daß der Teig gehen sollte. Er sagte darum zu Kasperle: »Wenn der Teig geht, rufst du mich, hörst du?«

»Ja«, antwortete Kasperle gehorsam.

So ganz klar war ihm die Geschichte aber nicht. Wie konnte ein Teig gehen, er hatte doch keine Beine.

»Aber nicht einschlafen«, mahnte der Meister noch.

»Nein.« Kasperle riß seine Augen gleich so weit auf, als dächte es nie ans Einschlafen.

Beruhigt ging der Meister und legte sich hin. Er schlief auch gleich ein.

Auf einmal wachte er auf. Er hatte von seinem Kuchen geträumt. Erstaunt sah er auf die Uhr. Hatte Kasperle ihn wirklich zwei Stunden schlafen lassen, ohne ihn zu wecken? Der dicke Meister sprang eilfertig wie ein Gummiball in die Höhe und rannte in die Backstube.

Und da – lag Kasperle ganz gemütlich unter der Backmulde und ließ sich den Teig, der schon so arg gegangen war, daß er aus der Mulde überlief, in den Mund tropfen.

»Warum hast du mir denn nicht gesagt, daß der Teig geht?« fuhr der Meister das Kasperle wütend an.

»Der geht doch noch nicht, der tropft nur.« Kasperle sah so dumm und unschuldig drein, daß der Zorn des Meisters davonlief wie eine Maus.

Der Kuchen war noch zu retten; er wurde gleich gebacken. Die Gesellen kamen zum Vorschein, der Tag neigte sich zu Ende, und Kasperles Lehrzeit war damit auch zu Ende.

Der Meister gab ihm einen Lehrbrief. Darin stand, daß es drei Tage Lehrling gewesen wäre und nichts wie Dummheiten gemacht hätte.

Weil Kasperle nicht lesen konnte, war es sehr stolz auf das Zeugnis und nahm Abschied von den Bäckersleuten, als ginge es nach Afrika.

»Sei vorsichtig«, mahnte die Meisterin.

Da sah der Schelm auf dem Flur draußen zwei stehen, die unbemerkt auf ihn warten wollten, und hopplahopp sprang Kasperle zum Fenster hinaus.

Die beiden Gesellen hatten das Nachsehen.

Draußen auf der Gasse aber lärmten die Kinder.

»Hurra, Kasperle ist wieder da, Kasperle hat ausgelernt, es ist beinahe ein Bäckermeister!«

Und dann ging Kasperle zum Kasperlemann, der mußte die Pfannküchlein bezahlen. Es half ihm alles nichts.

Kasperle hatte die Wette gewonnen.

Kasperle als Helfer

Kasperle hatte einen Freund, der war Lehrling bei Herrn Klipperding. Herr Klipperding besaß in Torburg ein großes Geschäft, in dem es viele Dinge zu kaufen gab: Mehl, saure Gurken, Rosinen, Mandeln, Heringe, Kaffee, Käse, Petroleum und andere schöne Dinge. Die Leute sagten, Herr Klipperding wäre geizig. Das war er auch, sehr sogar. Sein Lehrjunge Fritz hatte keine guten Tage bei ihm, viel Arbeit und wenig zu essen gab es. Wenn Kasperle seinen Freund besuchen wollte, mußte es immer am Nachmittag kommen, wenn Herr Klipperding schlief, denn sonst wurde geschimpft.

Und Kasperle war nicht sehr fürs Schimpfen, es war mehr für Rosinen, Mandeln und andere gute Dinge, die es alle im Laden von Herrn Klipperding gab, und von denen Kasperle nie etwas bekam, denn der Ladenbesitzer paßte scharf auf, und Fritz war sehr ehrlich.

Kasperle konnte es gar nicht begreifen, wie einer die Schubladen voll all der guten Dinge besitzen und einem Kasperle nie etwas davon abgeben konnte. Das war entschieden geizig.

An diesen geizigen Herrn Klipperding dachte Kasperle gerade, als es an einem schönen Frühlingstage seinen Freund Fritz traf. Der blieb stehen, und Kasperle blieb auch stehen.

Beide sahen einander an und Fritz sah, daß Kasperle so vergnügt wie immer aussah; Kasperle aber sah, daß Fritz geweint hatte. Das tat ihm sehr leid, und es fragte nach des Freundes Kummer. Da erzählte ihm Fritz, sein Onkel sei gestorben, und er möchte gern um der Tante willen, die er sehr lieb hatte, zu dem Begräbnis fahren.

»Na, fahre doch«, sagte Kasperle.

»Herr Klipperding erlaubt es nicht.«

»Das ist unverschämt.«

»Aber Kasperle, er sagt, er wird allein nicht fertig.«

»Dann will ich ihm so lange helfen«, sagte Kasperle gutmütig.

Fritz sah Kasperle zweifelnd an; er dachte, daß es in der Handlung vielleicht nicht so recht am Platze sein würde, darum meinte er: »Das wird Herrn Klipperding wohl nicht recht sein.«

»Ich tue so, als ob ich du wäre.«

Fritz, der gut einen Kopf größer war als Kasperle, lachte: »Das geht doch nicht, du bist ja viel zu klein«, erwiderte er.

Kasperle seufzte. Aber es gab die Hoffnung noch nicht auf. »Vielleicht tut er es doch, komm, wir gehen zu ihm.«

»Aber du kannst doch nicht im Laden verkaufen!«

»Doch, das kann ich.«

Fritz zweifelte zwar sehr daran, auch daß sein Lehrherr einwilligen würde, Kasperle als Stellvertreter einzustellen. Er ging aber schließlich doch mit zu Herrn Klipperding. Der machte ganz runde Augen vor Erstaunen.

Ein Kasperle als Verkäufer in seinem Laden, das schien ihm doch sehr bedenklich.

Auf einmal fiel ihm ein, daß Kasperle ja bei Bäckermeister Hummel gewesen war und viele Leute in dessen Laden gegangen waren, nur um Kasperle zu sehen. Vielleicht würde es bei ihm auch so werden. Aufpassen, daß Kasperle nicht naschte, wollte er schon.

Er überlegte noch eine Weile, aber das Überlegen dauerte Kasperle zu lange. Es stellte sich vor die Türe und schnitt Grimassen. Gleich blieben ein paar Leute stehen und einige kamen auch in den Laden, und einer kaufte gleich ein halb Pfund Rosinen für Kasperle.

Das gefiel Herrn Klipperding ebenso gut wie Kasperle.

Dies dachte, das gehe so weiter, und aß schnell die Rosinen auf. Es ging natürlich nicht so weiter, aber Herr Klipperding war für den Anfang ganz zufrieden. Er sagte daher sehr freundlich zu Kasperle: »Also Fritz kann morgen reisen, wenn du mir hilfst. Morgen abend kommt ja Fritz wieder zurück.«

Fritz bedankte sich sehr, und Kasperle versprach, am anderen Tage zu helfen.

Da geschah ein Wunder. Herr Klipperding griff in eine Schublade und schenkte jedem der beiden Freunde drei gedörrte Birnen.

Drei gedörrte Birnen waren Kasperle aber zu wenig. Es gab seine drei Birnen Fritz und sagte sehr gnädig: »Iß du sie, ich mag keine mehr.«

Hei, dachte Herr Klipperding, Kasperle ist gar nicht so naschhaft, wie ich gedacht habe. Ich brauche also nicht so genau auf ihn aufzupassen. Daß sich Kasperle gerade vornahm, morgen tüchtig zu essen, ahnte er allerdings nicht.

Fritz durfte noch an dem Abend fahren, denn Kasperle versprach, am nächsten Morgen pünktlich zu kommen.

Es hielt auch Wort, obgleich es ihm an dem Morgen besonders gut im Bett gefiel, stand es doch schon vor dem Laden, als Herr Klipperding die Ladentüre aufschloß.

Der lobte es sehr über sein pünktliches Kommen. Höchst einträchtig gingen beide in den Laden hinein, und Herr Klipperding sagte: »Da steht dein Frühstück, trink eine Tasse Kaffee.« Er selbst wollte erst ein Plakat für das Ladenfenster schreiben und darauf aufmerksam machen, daß Kasperle heute bei ihm verkaufe, damit recht viele Leute in den Laden kommen sollten.

Kasperle sah sich indessen nach dem Frühstück um. Eine Kanne voll Kaffee stand da, sonst nichts. Kasperle trank also den Kaffee aus, dann ging es zu Herrn Klipperding und bat: »Gib mir etwas zu essen, ich habe Hunger.«

»Schon?« fragte der Ladenbesitzer, »du hast doch noch nichts getan.«

»Ich werde aber etwas tun«, erwiderte der kleine Strick, »ich werde mich vor den Laden stellen und sagen, Herr Klipperding ist geizig, der gibt mir nichts zu essen.«

Da sah Herr Klipperding ein, daß mit einem Kasperle nicht so leicht fertig zu werden war. Daß er geizig sei, wollte er sich nicht nachsagen lassen. Er gab also Kasperle ein großes Stück Brot, und als Kasperle rief: »Wurst muß darauf!«, gab er ihm auch Wurst.

Kasperle war damit zufrieden. Als es beim besten Schmausen war, kam der erste Kunde.

»Na, dir geht es gut hier«, sagte der zu Kasperle.

Das gefiel Herrn Klipperding wohl, und noch besser gefiel es ihm, daß der Mann hinzufügte: »Bei Herrn Klipperding gefällt es dir gewiß.«

»Das weiß ich noch nicht, das mußt du heute abend fragen, Zuckerle hat er mir noch nicht gegeben.«

Das fand nun Herr Klipperding frech, und es ärgerte ihn, daß der Herr darauf antwortete: »Die wirst du schon noch bekommen.«

Nach diesen Worten ging er hinaus, und die beiden, die zurückblieben, sahen ihm enttäuscht nach. Sie hatten beide erwartet, er würde Kasperle Süßigkeiten kaufen. Daran dachte aber sonst niemand. Kasperle konnte auch, so oft jemand kam, den Wunsch aussprechen, es möchte dies und das haben, niemand kaufte es ihm.

Das verdroß es, und seine Gedanken waren nicht mehr bei der Arbeit. Es füllte Salz statt Zucker in die Tüte und Petroleum statt Himbeersaft in Flaschen, wickelte einen Rollmops zur Butter und Käse zur Seife. Es tat noch mehr solche Dinge.

Weil aber die Frau, die den Himbeersaft verlangte, an der Flasche roch und die Frau mit dem Rollmops ihr Töpfchen leer fand, wurde alles gleich festgestellt, und eine große Empörung entstand im Laden. Alle schalten auf das Kasperle, und Herr Klipperding sagte, er würde es nachher verhauen. Das wollten wieder ein paar mitleidige Frauen nicht. Und ein besonders mitleidiger Mann kaufte eine Tüte Backpflaumen für Kasperle und sagte, die würde es zur Belohnung bekommen, wenn es verspräche, ihnen allen am Nachmittag etwas vorzukaspern, dann würden sie alle wiederkommen.

Das versprach Kasperle, und die Sache war damit abgetan. Kasperle bekam seine Backpflaumen und die Leute beruhigten sich. Die Frau mit dem Himbeersaft bekam eine andere Flasche, nur die Frau, die Zucker hatte haben wollen, hatte nicht in ihrer Tüte nachgesehen. Sie ging nach Hause, schüttete das Salz in den Pudding, den sie kochen wollte und den dann niemand nachher essen konnte. Sie hatte viel Ärger dadurch und beschloß, Kasperle am Nachmittag dafür zu bestrafen.

Kasperle war unterdessen guter Dinge. Herr Klipperding hatte das Hauen aufgegeben und sprach ganz freundlich mit Kasperle von dem versprochenen Spiel am Nachmittag. Kasperle, dem es schon ein bißchen langweilig im Laden war, weil der Kundenbesuch nachließ, erklärte plötzlich, es müßte zum Kasperlemann gehen und ihn für heute nachmittag bestellen, denn ohne ihn könnte es nicht so gut spielen.

Das war Herrn Klipperding ganz recht. Er war nämlich froh, Kasperle für eine Weile loszuwerden.

Kasperle nahm also seine Backpflaumen und ging auf die Straße. Dabei fiel ihm ein Streichlein ein, das es Herrn Klipperding spielen könnte. Jedesmal, wenn es einen Buben traf, spuckte es ihm einen Pflaumenkern entgegen und rief: »Backpflaumen und Backbirnen gibt es heute bei Herrn Klipperding umsonst.« Einige Buben ließen sich nun das Wort zu einem Ohr herein-, zum andern wieder hinausgehen. Sie dachten, Kasperle ist ein Spaßvogel. Andere wieder glaubten es und machten sich auf die Beine und liefen vor Herrn Klipperdings Laden.

Dort versammelte sich eine ganze Schar Buben, und einer, der sehr mutig war, ging zuerst hinein und verlangte kühn Backpflaumen.

»Wieviel willst du denn?« fragte Herr Klipperding freundlich. »Ein Pfund.« Der Bub dachte, wenn man etwas umsonst kriegt, ist es besser, wenn man mehr verlangt. Und er bekam sein Pfund. Als er es in Händen hatte, lief er so schnell aus dem Laden, daß Herr Klipperding gar nichts mehr vom Bezahlen sagen konnte, doch die Mutter des Buben war eine gute Kundin von ihm, die auch manchmal etwas aufschreiben ließ.

Als Klaus Schäfer, so hieß der Junge, aus dem Laden kam, umringten ihn gleich seine Kameraden und fragten, ob das mit den Backpflaumen stimme, wie es Kasperle gesagt hatte. Er wies ihnen stolz die Tüte und alle staunten, denn gleich ein Pfund geschenkt zu bekommen, kam ihnen märchenhaft vor.

Und fünf Paar Bubenbeine liefen gleich darauf auch in den Laden hinein. Herr Klipperding sah die fünf Buben mißtrauisch an: »Was wollt ihr?«

»Backpflaumen.«

»Alle?«

»Ja, und jeder ein Pfund!« rief der Dreisteste.

»Habt ihr denn Geld?«

»Nä, das brauchen wir doch nicht.«

»So, wer sagt denn das?«

»Kasperle!« ertönte es im Chor.

Und nun kam die ganze Geschichte heraus, und Herr Klipperding jagte die Buben alle zum Laden hinaus. Die klagten Klaus Schäfer an und sagten, er hätte sie betrogen. Weil aber Klaus ein gutmütiger Bube war, teilte er seine Pflaumen mit den Kameraden, und als sie gerade miteinander schmausten, kamen noch mehr angerannt, denen Kasperle auch die Kerne entgegengespuckt hatte, die riefen gleich: »Ho, die essen schon.«

Und flink hinein gingen sie in den Laden und ebenso flink kamen sie wieder heraus. Denn im Laden stand Herr Klipperding und verteilte unverlangt und kostenlos Backpfeifen statt Backpflaumen, und die gefielen den Buben gar nicht.

Es gab ein großes Geschrei, und währenddem kam Kasperle und machte das unschuldigste Gesicht von der Welt, als ihm alle ihre Vorwürfe entgegenschrien.

»Du Lügenpeter!« rief ihm Herr Klipperding zu.

»Ich habe nicht gelugen«, antwortete Kasperle entrüstet.

»Doch, du hast gelogen.«

»Ich lugte nicht.« Kasperle war beleidigt.

Da sagte ein Nachbar, der belustigt zuhörte: »Erzähle mal, wie es war.« Und Kasperle erzählte mit einem so verschmitzten Schelmengesicht, daß alle lachten. Gelogen hatte es wirklich nicht, nur ein Späßlein gemacht. Als es aber von den drei Backbirnen erzählte, wurde Herr Klipperding sehr verlegen, denn alle lachten über das große Geschenk, und Kasperle, das das wohl merkte, nahm sich vor, die Geschichte am Nachmittag noch einmal zu erzählen. Da rief Herr Klipperding: »Kasperle komm nur rein zum Mittagessen.«

»Gibt’s Schweinebraten und Pudding?« fragte Kasperle.

»Nein, Kartoffelsuppe.«

»Hach, davon kriege ich Magenschmerzen!« schrie Kasperle.

»Dann paß auf den Laden auf«, sagte Herr Klipperding. »Setz dich vor die Türe auf die Bank und ziehe hier an dieser Klingel, wenn jemand kommt.«

Sprach’s und schloß die Ladentüre hinter sich zu. Nun war Kasperle ausgesperrt und konnte nicht zu all den guten Dingen gelangen, die es im Laden gab. Der Nachbar aber war ein mitleidiger Mann, der lud Kasperle zu sich zum Essen ein. Er versprach ihm auch einen großen Eierkuchen, und Kasperle aß sich pumpelsatt und vergaß darüber die Klingel, bis sein Gastgeber, der den Laden von seinem Fenster aus beobachten konnte, mahnte: »Drüben stehen Leute, du mußt hinübergehen und Herrn Klipperding rufen.«

Das tat denn Kasperle auch, und ohne zu fragen, was die Leute, die ihn lachend begrüßten, eigentlich wollten, riß es an der Klingel.

Herr Klipperding kam, schloß die Türe auf, und Kasperle schrie: »Die wollen alle etwas kaufen.«

»Nur herein, meine Herrschaften«, sagte Herr Klipperding erfreut.

»Wir wollen gar nichts kaufen, wir wollen nur Kasperle sehen.«

Das war eine Enttäuschung für Herrn Klipperding, der erst noch sein Mittagsschläfchen halten wollte und deshalb ein wenig unwirsch antwortete, sie sollten später wiederkommen, jetzt würde Kasperle noch nicht spielen. Dann sah er sich nach Kasperle um. Ja! wo war das?

Im Laden stand es in der Nähe der Dattelkiste.

Halt, das gibt es nicht, dachte Herr Klipperding, ging in den Laden und schloß die Türe zu. Da konnte niemand mehr hereinsehen. Kasperle erschrak und ging geschwind von der Dattelkiste weg. Herr Klipperding gebot ihm nun, mit einer Leiter auf ein hohes Regal zu steigen und sich dort oben hinzusetzen. Kasperle dachte, es solle dort oben kaspern und stieg ganz gehorsam hinauf. Als es aber oben war, nahm sein Herr die Leiter weg und meinte lachend: »So, nun kannst du nichts mehr anstellen im Laden. Nun bleibst du oben sitzen, bis ich meinen Mittagsschlaf gehalten habe.«

Kasperle sah ihn nachdenklich an. Aber Herr Klipperding konnte nicht in Kasperles Augen lesen. In denen stand nämlich: Bist du aber dumm, zu denken, ich könnte von hier oben nicht ohne Leiter runterklettern.

Herr Klipperding ging also in die Wohnung, seinen Mittagsschlaf zu halten, und kaum war er fort, stieg Kasperle von seinem hohen Sitz herab und steckte sich die Taschen voll feiner, schmackhafter Dinge. Dann stieg es wieder auf seinen Sitz hinauf. Das Regal schwankte bedenklich, aber das störte Kasperle nicht weiter. Das saß oben und dachte sich ein feines Späßlein, während es schmauste. Auf einmal rutschte es wieder vom Regal herab, suchte sich einen Bindfaden, kletterte an der Ladentüre hoch und band den Faden vorsichtig an die Klingel, dann stieg es wieder auf seinen Sitz auf dem Regal zurück. Dabei zog es an der Klingel und hörte gleich darauf Herrn Klipperding kommen. Kasperle war gerade oben angelangt, als dieser in den Laden kam und sich erstaunt umsah.

»Wer hat denn geklingelt?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Kasperle und zog dabei aus Versehen an dem Bindfaden. Wieder klingelte es, und doch war niemand zu sehen. Herr Klipperding staunte. Er war etwas kurzsichtig und konnte deshalb den Faden nicht sehen. Wieder klingelte es, die Klingel hüpfte nur so. »Ich glaube, es ist ein Gespenst«, sagte das unnütze Kasperle. Und als es nochmals klingelte, rief Herr Klipperding erschrocken seine Frau herbei: »Pauline, komm mal her, hier spukt’s.«

Frau Pauline kam angewatschelt, und da sie nicht kurzsichtig war, sagte sie: »Ach wo, der Kasper ist’s.« Und ritsch-ratsch schnitt sie den Faden durch. Nun hatte es ausgeklingelt. Herr Klipperding war sehr wütend und drohte: »Na warte, wenn du herunterkommst, dann gibt es was.«

Das ist nie eine angenehme Aussicht. Kasperle überlegte, was es tun sollte. Da kam eine Frau in den Laden und Kasperle dachte, es wäre vielleicht doch gut, jetzt auszureißen, während Herr Klipperding die Kundin bediente. Es begann also vom Regal herunterzuklettern. Da rief Frau Pauline: »Kasper, du fällst!« Das Regal wackelte hin und her, und bums, krach, fiel es um und das ganze Regal lag mitten im Laden.

Die Kundin fragte: »Geht die Kasperle-Vorstellung schon an?«

»Eine nette Vorstellung«, knurrte Herr Klipperding wütend. Er überblickte das Durcheinander auf dem Boden. Da kollerten Erbsen herum, da lag Stärke und Grieß, und mitten drin lag Kasperle stumm und steif und verdrehte seine Augen.

Herr Klipperding erschrak. War Kasperle etwas geschehen? Er rief ängstlich: »Kasperle, steh auf!«

»Ich stirbse«, antwortete Kasperle.

»Man muß den Doktor holen!« rief Frau Pauline.

»Nä, den Doktor brauch ich nicht, Malzzucker genügt mir.«

Diesmal half aber Kasperle seine Frechheit nichts. Es bekam keinen Malzzucker, sondern Herr Klipperding drohte mit dem Stock. Also stand Kasperle auf und begann die Erbsen aufzulesen. Es stöhnte dabei, als wäre es schwerkrank, und Herr Klipperding drohte: »Wenn es nicht schneller geht, mußt du es heute abend nachholen.« Gerade zehn Erbsen hatte Kasperle eingesammelt, und einige Hundert lagen noch auf dem Boden verstreut, als der Kasperlemann kam und zu Herrn Klipperding sagte, es wäre nun Zeit, mit dem Kasperlespiel anzufangen, denn sonst würden die Leute ungeduldig.

Ungeduldig sollte aber niemand vor seinem Laden werden. Herr Klipperding sagte also zu Kasperle, jetzt solle es anfangen zu spielen, heute abend könne es dann die Erbsen fertig auflesen. »Das werden wir sehen«, brummte Kasperle.

Als Kasperle vor den Laden trat, wurde es von alt und jung mit großem Jubel empfangen, und es fing gleich an, die Geschichte von den geschenkten drei Backbirnen zu erzählen. Alle lachten natürlich. Das ärgerte Herrn Klipperding schwer.

Da kam eine Frau mit einem großen Teller voll Pudding.

»Soll der für mich sein?« fragte Kasperle erfreut.

»Ja, allein für dich.«

»Hach, wie fein!«

Kasperle nahm den Teller, sagte auch »Danke schön!« und schlang gleich ein großes Stück hinunter.

Jemine schnitt das Kasperle ein Gesicht! Es würgte und würgte, warf plötzlich den ganzen Pudding der Frau an den Kopf, fiel der Länge nach hin und erklärte wieder einmal: »Ich stirbse, ich bin vergiftet.«

Gab das eine Aufregung. Alle Zuschauer umdrängten die Frau und fragten, was sie denn mit Kasperle gemacht hätte. Als sie erzählte, es sei nur Salz gewesen, das ihr Kasperle statt Zucker verkauft hätte, gab es ein allgemeines Gelächter.

Kasperle nahm das Lachen arg übel. Es schrie immer mehr und jammerte, es könne nicht mehr kaspern. Es sei aus damit. Das wollten sich die Leute aber nicht gefallen lassen, und es entstand eine große Streiterei. Die einen gaben der Frau mit dem Pudding die Schuld, die andern schalten auf Kasperle. Wer weiß, was noch daraus geworden wäre, wenn nicht der Nachbar gefragt hätte, was es denn essen müßte, um wieder kaspern zu können.

Hei, wie da Kasperles Augen glitzerten! Es fing an, alle guten Dinge aufzuzählen, die Herr Klipperding in seinem Laden hatte, nannte zum Schluß noch allerlei Kuchensorten, vor allem Pfannküchlein und Windbeutel.

»Kasperle, das ist zuviel«, sagte der Nachbar, »eins von den vielen Dingen ist genug.«

»Ist nicht zuviel!« schrie Kasperle unwirsch.

»Etwas darfst du dir wünschen, aber nur eins, mehr nicht.«

Kasperle sah wohl, daß es dem Nachbar ernst war. Also verlangte es Malzzucker. Den aß es so schrecklich gern.

Herr Klipperding gönnte Kasperle gern die besten Sachen aus seinem Laden, wenn sie andere für den Kleinen kauften und bezahlten. Er gab darum dem Nachbar für gutes Geld den Malzzucker, und Kasperle konnte schmausen. Das tat es auch mit Behagen. Aber selbst die größte Tüte Malzzucker ist schnell leer, wenn einer so schlingt wie Kasperle. Auf einmal war Kasperle fertig und schrie: »Mehr!«

Es gab aber nicht mehr, und Kasperle entschloß sich endlich zu spielen. Erst schnitt es allerlei Gesichter, dann spielte es ein Stück mit einem Gespenst, und dann noch eins mit der Prinzessin Gundolfine, bei dem es abwechselnd als Kasperle und als Prinzessin auftrat. Die Zuschauer kamen aus dem Lachen nicht mehr heraus, und es strömten immer mehr herbei.

Herr Klipperding stand mit seiner Frau Pauline vor der Ladentüre und ärgerte sich, daß von all den Zuschauern keiner in seinen Laden kam und einkaufte. Er sagte ein paarmal zu seiner Frau: »Nachher muß Kasperle noch die Erbsen auflesen, das wird ihm nicht geschenkt.«

Kasperle hatte das gehört, und da es gar keine Lust hatte, Erbsen aufzulesen, überlegte es, wie es sich davor drücken könnte.

Es schrie plötzlich: »Platz da, jetzt schießt das Gespenst einen Purzelbaum!« Alle wichen zur Seite, und heidi hopsassa purzelbaumte Kasperle über die Straße, und auf einmal war es verschwunden.

Die Zuschauer warteten noch lange, aber Kasperle kam nicht wieder. Die Kinder suchten es vergeblich, es lag längst in seinem Bett und ruhte sich von der Arbeit aus.

Herr Klipperding mußte seine Erbsen selbst auflesen. Da wurde er wütend auf Fritz, aber der kam auch nicht wieder. Seine Tante, die nach dem Tod des Onkels ganz allein stand, nahm ihn zu sich.

Seitdem konnte Herr Klipperding Kasperle nicht mehr leiden, doch das machte sich nichts daraus.

Der Neckfriede

In Torburg lebte ein Mann, dessen Hauptvergnügen darin bestand, alle Leute zu necken. Er war ein richtiger Neckfriede. Dabei konnte er gar nicht leiden, wenn ihn jemand neckte. Fuchsteufelswild konnte er dann werden.

Manchmal war der Neckfriede in seinen Späßen sehr grob, und so kam es, daß ihn die Leute nicht leiden konnten.

Vor Torburg lag in einem Waldgrunde eine Mühle mit einer Wirtschaft. Dorthin wanderten die Torburger an schönen Frühlings- und Sommertagen, um in der Wirtschaft Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen. Nirgends bekam man so schöne Waffeln wie in der sogenannten Schwalbenmühle.

Kasperle aß diese Waffeln sehr gern und ging daher nachmittags oft in die Mühle. Dort fand es immer gute Freunde, die ihm ein paar Waffeln schenkten, und meist kam es von einem solchen Spaziergang plumpsatt wieder heim. Denn auch die Müllerin gab ihm gern Waffeln, ohne Bezahlung dafür zu verlangen.

An einem schönen Sommertag ging Kasperle wieder in die Mühle. Es war recht hungrig und freute sich auf die schönen Waffeln.

Wie es aber so kommt, in der Mühle waren gerade keine seiner guten Freunde anwesend, und niemand forderte es zum Waffelessen auf.

Wie es so zwischen den Tischen herumstrich, rief ihm jemand vom Mittelgang aus zu: »Na, Kasperle, willst du keine Waffeln essen?«

Es war Neckfriede, der gerufen hatte. Der saß am breiten Mittelgang und hatte einen großen Teller frischer Waffeln vor sich. Kasperle vergaß Neckfriedes ungute Eigenschaft und ging an dessen Tisch in der Erwartung einige Waffeln zu bekommen, denn es war arg hungrig.

Wer ihm aber keine gab, war Neckfriede. Der aß seine Waffeln alle allein auf und gab Kasperle kein Häppchen.

Das verdroß Kasperle arg. Als es so eine Waffel nach der andern in Neckfriedes großem Munde verschwinden sah, wurde es ihm ganz wind und weh zumute.

Neckfriede aber tat ganz harmlos.

Er fragte freundlich: »Ißt du gerne Waffeln, Kasperle? Sie schmecken heute sehr gut.«

Kasperle konnte es kaum noch aushalten vor Hunger, und an den Nachbartischen fingen die Leute an zu lachen über das hungrige Kasperle. Das ärgerte Kasperle noch mehr.

Da rief jemand von einem andern Tisch herüber: »Kasperle, hier gibt es Waffeln.«

Ei, wie schnell lief Kasperle dorthin, woher der Ruf kam. Alle, die das sahen, lachten. Und das Lachen ärgerte Kasperle so, daß ihm selbst die guten Waffeln, die es diesmal wirklich bekam, gar nicht schmeckten.

Es war und blieb verdrießlich, und mißmutig schlenderte es, nachdem es gegessen hatte, durch den Garten.

Es kam dabei wieder an dem Tisch des Neckfriede vorbei. Der lachte und rief: »Na, Kasperle, willst noch mehr so gute Waffeln haben wie vorhin?«

Kasperle wollte schon die Zunge herausstrecken, als neben ihm ein Junge sagte: »Ärgere dich doch nicht, ich helfe dir.«

Der Junge, der Emil hieß, zog Kasperle mit fort in den Wald hinein.

Dort trafen sie noch zwei Buben, mit denen beratschlagten sie, wie sie dem Neckfriede einen Streich spielen könnten. Mit den drei Buben hatte Kasperle vor einigen Tagen auch ähnliche Streiche verübt, und sie hatten schon auf Kasperles Mithilfe gewartet, um dem Neckfriede eins auszuwischen.

Als die vier lange und gründlich beraten hatten, liefen sie alle zur Mühle zurück. Die drei Buben rannten dort von Tisch zu Tisch und verkündeten, Kasperle würde jetzt im Mittelgang kaspern.

Kasperle hatte sich unterdessen hinter dem Neckfriede einen Tisch herangerückt, so leise, daß dieser dicke Herr, der gerade den zweiten Teller voll Waffeln vor sich stehen hatte, gar nichts davon merkte.

Er goß sich eine Tasse Kaffee ein, nahm eine Waffel und begann zu schmausen.

Auf einmal sah er, wie einer der vorbeigehenden Gäste nach dem andern vor seinem Tisch stehen blieb und lachte.

»Bitte, gehen Sie doch weiter!« sagte er zu einem Herrn, der so lachte, daß er ordentlich wackelte.

Der antwortete aber: »Ich kann stehenbleiben, wo ich will.«

Der Neckfriede wurde ganz wild vor Ärger, denn immer mehr Menschen kamen vorbei, die stehenblieben und lachten.

Er ahnte nicht, daß Kasperle auf dem Tisch hinter ihm seine Gesichter schnitt, denn wenn jemand etwas sagen wollte, legte Kasperle gleich den Finger auf den Mund. Kasperle selbst sprach kein Wort, sondern trieb stumm sein Possenspiel.

Endlich wurde Herrn Neckfriede das Lachen zu viel. Er stand auf und wollte davongehen.

Dabei drehte er sich halb um, und in dem Augenblick streckte Kasperle sein Bein vor.

Das war verkehrt, denn Kasperles Bein und Neckfriedes Nase stießen zusammen. Das war nur für die Nase unangenehm, und da es Herrn Neckfriedes Nase war, fing der heftig zu schelten an. Er wollte Kasperle am Kragen packen, Kasperle aber wollte ausreißen, dabei kam der Tisch ins Wanken, fiel um und am Boden lagen Kaffeekannen, Tassen und Waffeln.

Statt ihn zu bemitleiden, lachten die Leute den Neckfriede aus, und er, der so oft über andere Leute gelacht hatte, ging heute selbst beschämt nach Hause.

Er neckte seitdem Kasperle nie wieder.

Eine Schulgeschichte

Kasperle ging in Torburg nicht in die Schule. Die Lehrer sagten, das gehe nicht, die andern Kinder würden dann nur über Kasperle lachen und dabei das Lernen vergessen.

Das war schon wahr, aber leid tat es den Torburger Kindern, daß Kasperle nicht mit ihnen zusammen in der Schule sein konnte. Es wäre zu lustig gewesen. Aber Kasperle, der kleine Faulpelz meinte, auf dem Schulhof könnte man genug Unsinn machen. Es war darum oft auf dem Schulhof zu finden.

Es gab in Torburg außer zwei Privatschulen noch eine allgemeine Schule, in die Buben und Mädchen gemeinsam hineingingen, und auf deren Schulhof sich Kasperle ganz besonders gern aufhielt.

Einmal, als Kasperle wieder vor Schulbeginn auf dem Hofe herumkasperte, sagten ein paar Buben zu ihm: »Komm doch heute mit in die Schule!«

»Ich darf doch nicht.«

Da erzählten ihm seine Freunde, daß heute ein neuer Lehrer da wäre, der nicht aus Torburg stammte, sondern von auswärts gekommen wäre.

»Der kennt dich nicht, geh doch mit«, baten die Kinder.

»Ich habe kein Frühstück mit«, wandte Kasperle ein, für das die Frühstückspause die Hauptsache war.

Aber alle Buben waren bereit, ihr Frühstück mit Kasperle zu teilen, und so spazierte der kleine Schelm mit den übrigen Schulkindern sehr vergnügt in die Schule hinein.

Da an diesem Tag gerade ein Schüler fehlte, setzte sich Kasperle breit und behaglich an dessen Platz, als ginge es schon seit Jahren in die Schule. Nur eins störte den kleinen Schelm, daß er so weit vorne saß, und er wollte gerade über die Bänke klettern, um sich weiter hinten einen Platz zu suchen, als der Lehrer das Schulzimmer betrat.

»Holla, was soll denn das?« rief er gleich, packte Kasperle beim Bein und hielt es fest. Dabei guckte er Kasperle in das Gesicht und dachte, so ein närrisches Bubengesicht habe ich meiner Lebtage noch nicht gesehen. Er fragte: »Wie heißt du denn?«

»Kasperle«, lautete die Antwort.

»Also Kaspar, Kosenamen gibt es in der Schule nicht«, sagte der neue Lehrer ziemlich streng.

»Ich heiße aber Kasperle.« Es wollte sich von seinem Namen nichts nehmen lassen, denn es war stolz darauf, Kasperle zu heißen.

»Meinetwegen heißt du Kasperle. Sage mir einmal ein Gedicht her.«

Kasperle kannte schon einige Verse, aber die Auswahl war klein. Da dachte es, ich mache einen Witz, dann lacht der Lehrer. Es begann:

»Ich bin so glücklich und so froh

wie einst der König Salomo,

der auf seinem Throne saß

und ’nen Korb voll Äpfel fraß.«

Patsch! da hatte Kasperle eine auf dem Mund, und der Lehrer sagte streng: »Solchen Unsinn will ich nie wieder hören, merk dir das!«

Kasperle schnitt ein Dummkopfgesicht, und der Lehrer dachte: Der ist sehr dumm, ich will mal sehen, wie weit seine Dummheit geht. Er fragte also: »Wieviel ist neun und elf?«

Kasperle machte ein noch dümmeres Gesicht, denn das wußte es wirklich nicht. Es sah sich hilfesuchend in der Klasse um, und die Buben und Mädels jauchzten alle vor Lachen, als sie in das dumme Kasperlegesicht sahen. Selbst dem Lehrer kam es etwas lächerlich vor, aber er fragte doch ernsthaft: »Wenn du neun Äpfel hast und bekommst noch elf dazu, wieviel hast du dann?«

»Genug!« schrie Kasperle so vergnügt, daß der Lehrer ein wenig lächelte. Das sah Kasperle, und es merkte gleich, daß dies sein Vorteil war, und es rief geschwind: »Mit Pfannküchlein rechnen geht leichter.«

Der Lehrer war verdutzt über Kasperles Antwort.

»Also meinetwegen, Kaspar«, begann er.

»Kasperle!« schrien alle Kinder.

»Ich nenne ihn Kaspar, und dabei bleibt es!« rief der Lehrer so streng, daß alle schwiegen. Selbst Kasperle hielt erschrocken seinen Mund.

»Also Kaspar, du hast sechs Zehner, der Pfannkuchen kostet einen Zehner« –

»Er kostet nur einen Fünfer«, unterbrach ihn der kleine Schelm.

»Also gut, einen Fünfer, wieviel Pfannkuchen bekommst du dann für sechs Zehner?«

»Eine ganze Tüte voll!« schrie Kasperle vergnügt.

Der Lehrer sah das Kasperle an. Einen solchen Schüler hatte er noch nie gehabt. »Komm mal her zu mir«, gebot er.

»Du kriegst Hiebe«, tuschelte ein Nachbar so laut, daß es der Lehrer hörte. Der wollte gerade erklären, daß es keine Hiebe geben würde, als das Kasperle ein fürchterliches Gebrüll erhob.

Wenn Kasperle heulte, steckte es die andern an. Erst fingen die kleinen Mädchen zu weinen an, dann die Buben. Da sagte der Lehrer noch zur rechten Zeit: »Kaspar bekommt keine Hiebe.«

Gleich wurden alle wieder still und Kasperle lachte so laut und herzlich, daß alle mitlachten, selbst der Lehrer mußte lachen.

»Also komm her«, gebot er noch einmal.

Da ging Kasperle aufrecht und stramm wie ein rechtes Schulbüblein nach vorn, und der Lehrer dachte: Dumm sieht er eigentlich nicht aus.

Er schrieb nun eine eins an die Tafel und machte darunter zwei Punkte und sagte: »Das hier sind zwei Pfannkuchen.«

»Nä, das sind keine!« schrie Kasperle entrüstet.

»Stelle dir also vor, es seien Pfannkuchen.« Der Lehrer schrieb ärgerlich eine Zwei hin, machte wieder zwei Punkte darunter und fragte: »Wenn du nun für zwei Zehner Pfannkuchen kaufst, wieviel bringst du dann nach Hause?«

»Drei.«

»Wieso denn drei?« sagte der Lehrer streng. »Zähle doch einmal.«

Aber Kasperle ließ sich nicht beirren, es rief freudig: »Einen hab ich doch aufgegessen.« Nahm sein Fingerlein, leckte und wischte den einen Punkt aus. Die Kinder jauchzten laut und der Lehrer sah ein, daß er so nicht zum Ziele kam. »Kaspar muß nachher dableiben«, erklärte er streng.

Nun warteten alle darauf, daß Kasperle wieder heulen würde, aber das heulte nicht, ihm erschien das Dableiben als eine große Ehre. Es ging strahlend vor Freude auf seinen Platz zurück.

Das ärgerte den Lehrer.

»Kaspar«, mahnte er ärgerlich, »das Nachsitzen ist eine große Schande.«

Da senkte Kasperle seine große Nase, bis sie mit der Spitze im Tintenfaß landete.

Das gab wieder ein Geschrei. Kasperle aber lachte dazu, als wäre es wer weiß wie lustig, mit der Nase im Tintenfaß zu stecken.

Der Lehrer, der sonst ein ernsthafter Mann war, wußte nicht, wie ihm geschah, als er in das lachende Kasperlegesicht mit der schwarzen Nase sah. Er mußte ebenfalls laut und herzhaft lachen und sagte: »Geh hinaus und wasche dich!«

»Wir wollen ihm helfen, allein bringt’s Kasperle nicht fertig, das ist zu ungeschickt!« riefen ein paar Mädels.

Von den Buben erklärten einige, Pumpen wäre Bubenarbeit, das verstünden die Mädels nicht.

Das wollten sich aber die Mädels nicht gefallen lassen, und der Lehrer merkte, am liebsten wäre die ganze Klasse mit hinausgelaufen und hätte Kasperle gewaschen. Wenn das alle Tage so mit dem Kasper geht, dann kann es gut werden, dachte er, da lernen doch die Kinder nichts dabei.

Er hieß also zwei Mädels, die sich zuerst gemeldet hatten, mit Kasperle hinausgehen, um es zu waschen, aber ungesehen von ihm schlüpften noch zwei Buben, die neben der Türe saßen, mit hinaus. Der Lehrer fuhr nun fort, Rechenaufgaben zu geben, und die Kinder antworteten besser als er geglaubt hatte.

Auf einmal ertönte draußen lautes Geschrei. Ehe der Lehrer noch nachsehen konnte, was geschehen war, kamen schon die Kinder zurück. In ihrer Mitte führten sie das plitschnasse Kasperle.

»Kasperle ist unter die Pumpe gefallen, gerade wie die Buben so toll gepumpt haben, dabei ist es ganz naß geworden«, klagten die Mädels.

»Ja, ganz naß.« Kasperle schüttelte sich wie ein nasser Hund, und der ganze Katheder wurde von Wassertropfen übersprüht.

»Halt, Kaspar, was fällt dir ein?« rief der Lehrer, der auch etwas abbekommen hatte. Aber Kasperle hielt so schnell nicht ein. Der Lehrer mußte ihm erst mit dem Stock drohen. Da freilich hörte Kasperle geschwind auf. Als es nun still stand, riefen einige Kinder: »Eine schwarze Nase hat es aber immer noch.«

Es war wahr. Kasperles Nase war noch schwarz.

Gleich erboten sich wieder ein paar Kinder, Kasperles Nase zu waschen, aber diesmal rief der Lehrer: »Daraus wird nichts, Kaspar mag sich seine Nase zu Hause waschen.«

»Morgen früh«, antwortete Kasperle bereitwillig.

»Nein, du Schmutzfink, gleich wenn du nach Hause kommst.«

Kasperle schwieg still. Es dachte: So oft waschen ist doch überflüssig. Da gebot ihm der Lehrer: »Setze dich da in die Sonne, damit du trocken wirst.«

Das behagte Kasperle sehr, es ließ sich gerne die Sonne auf den Rücken scheinen und war auch froh, etwas weiter weg von dem Lehrer mit seinem Stock zu sitzen.

Der ließ nun alle Kinder der Reihe nach zu sich kommen, und alle mußten ihren Namen schreiben, damit der Lehrer sie kennenlernte.

Kasperle hoffte, nicht daranzukommen. Aber es kam doch daran.

Auf einmal tönte sein Name durch die Klasse.

Kasperle erschrak. Es hatte seinen Namen so lange nicht geschrieben, daß es ihn überhaupt nicht mehr schreiben konnte. Es stand an der Tafel und leckte an der Kreide. Da bekam es zur schwarzen Nase einen weißen Mund, und die Kinder lachten wieder darüber.

»Nun schreibe doch endlich«, mahnte der Lehrer.

Da schrieb Kasperle seufzend das einzige Wort, das es schreiben konnte, an die Tafel, und der Lehrer las erstaunt: Uhu.

»Was soll das heißen, ist das dein Name?« fragte der Lehrer.

»Nä!« Kasperle lachte vergnügt, aber der Lehrer lachte diesmal nicht mit, der fragte streng: »Warum schreibst du Uhu, soll das ein Witz sein?«

So streng sprach selten jemand mit dem kleinen Wicht. Er senkte tief seine schwarze Nase, er schämte sich sehr, daß er nicht einmal seinen Namen schreiben konnte. So dumm war er. Das war schon traurig.

»Nun sage einmal, wie heißt du denn eigentlich?« ertönte neben ihm des Lehrers Stimme. Sie klang jetzt ganz mild und mitleidig.

»Nur Kasperle«, stotterte der Kleine verlegen.

»Warum nur Kasperle?«

»Weil es ein Kasperle ist«, tönte es im Chor, und auf einmal wollten alle Kinder erzählen, alle wollten über ihren guten Freund berichten. Der Lehrer sah ein, daß er zuhören mußte, und was er erfuhr, war sehr erstaunlich. Ein putzlebendiges Kasperle saß da mit einer schwarzen Nase vor ihm. Er konnte es gar nicht glauben.

Da rief die kleine Resi: »Es soll mal kaspern, dann merkt man’s«.

Der Lehrer sagte nicht nein, und Kasperle begann sein Spiel. Es verrenkte seine Glieder, schlug Purzelbäume, schnitt Gesichter, redete mal laut, mal leise, mal hoch, mal tief, lauter erschrecklichen Kasperleunsinn zusammen. Der Lehrer lachte, als hätte er sich flugs in eine Lachtaube verwandelt. Er war froh, daß Kasperle erklärte, es wolle nicht mehr in die Schule kommen. »Nur manchmal auf Besuch, wenn ich nicht schreiben brauche«, sagte es.

Damit war der Lehrer einverstanden, und fortan waren er und Kasperle die allerbesten Freunde.

Die neue Heimat, neue Freunde und Feinde

Nun war Kasperle in Torburg, in der Stadt. Am Morgen holte ihn Frau Liebetraut aus dem Gärtnerhaus ab, und sie sagte, als sie das Tor durchschritten: »Kasperle, nun schneide aber keine Gesichter! Hier in der Stadt mußt du recht wie ein artiges Büble sein. In unserem Hause kannst du dann herumkaspern.«

O jegerl, so etwas ist schwer für ein Kasperle!

Er ging aber ganz brav an der schönen Frau Liebetraut Hand durch das Tor. Da saß gleich rechts eine dicke Pfefferkuchen- und Apfelfrau, die rief freundlich: »Na, will der Bube nicht ’ne Zuckerstange?«

Kasperle grinste die Frau an, riß den Mund himmelweit auf, und die Frau starrte ganz verdutzt den fremden Jungen an. »Meine Güte,« rief sie, »in den Mund hinein gehen ja alle meine Zuckerstangen, so groß ist der!«

Kasperle legte den Kopf schief und schielte die Frau schelmisch an. Die konnte nicht anders, sie mußte lachen, und sie nahm eine grasgrüne Zuckerstange und gab sie Kasperle. »Die paßt zu deinem sonderbaren Kittel,« sagte sie.

Da hatte der kleine Schelm die erste Freundin in Torburg gefunden. Und weil er dachte, es geht so weiter, lachte er laut, als ein Mann in ziemlicher Eile daherrannte und beinahe über ihn fiel. Doch der nahm das übel, Potz Wetter, konnte der schelten!

Frau Liebetraut zog das Kasperle rasch mit sich fort. »Das ist der Bürgermeister,« sagte sie erschrocken, »den darfst du doch nicht auslachen!«

Das Schelten klang den beiden noch ein Weilchen nach, und alle Leute drehten sich um, und da – ja, Kasperle drehte sich auch um, und er sah den Bürgermeister breit und gewichtig mit raschen Schritten hinter sich herkommen.

»O Kasperle!« sagte Frau Liebetraut. »Das darfst du nicht.«

Kasperle hatte nun flink ein Gesicht wie die Prinzessin Gundolfine gemacht. War das denn so schlimm?

Himmel, nein, waren die Stadtleute komisch! Der Bürgermeister geriet so in Wut, daß er erst gar nichts und dann sehr viel sagte; er rief sogar nach dem Stadtwächter, aber da wutschte Frau Liebetraut just mit dem Kasperle in ein altmodisches Haus an der Kirche.

Nun hatte Kasperle auf seinem ersten Gang durch Torburg zur Freundin auch einen Feind gewonnen. Er vergaß aber alle beide, als ihm im Haus Meister Friedolin, Mutter Annettchen, Herr Severin und die beiden Kinder Leni und Lotti entgegenliefen. Alle aus dem Waldhaus waren da, sogar Line, die Magd, war mitgekommen und die lieben alten Sachen waren auch da. Aber die Tannen rauschten nicht vor der Tür, und statt Vogelgesang erdröhnte ein schwerer Schlag von draußen; die Turmuhr war es. Von diesem ernsten, gewaltigen Ton erschrak das kleine Kasperle sehr, und er seufzte tief: »Im Waldhaus gefiel’s mir besser!«

»Mir auch, weiß der Himmel!« Meister Friedolin seufzte. Mutter Annettchen aber tröstete: »Wir haben doch einen Garten.«

Heissa, einen Garten! Kasperle dachte gleich an den Park, der Burg Himmelhoch groß und weit umgab, an das Bächlein darinnen, das Wäldchen und an die weiten Wiesenflächen, und er lief so rasch Meister Severin nach, wie er sonst Pudding aß. Der tat das Türle zum Garten auf, Kasperle rannte hinein, rannte hindurch, stieß mit der Nase an eine Mauer und schrie: »Wo ist der Garten?«

»Na, da wo du bist! Du bist ja schon durchgelaufen!«

Jemine, war das ein Garten! Ein Baum stand drin und drei Büsche; in einer Ecke war eine kleine Laube, in der Mitte ein Blumenbeet, um das ein Pfad lief, und das war alles.

»Das ist doch kein Garten!« schrie Kasperle entrüstet. »Das ist ’n Loch!«

»Sei froh, daß du den Garten hast!« meinte Meister Severin. »Viele Leute in der Stadt haben überhaupt keinen Garten, oft haben sie nur einen Blumentopf am Fenster stehen, mehr nicht.«

Nur einen Blumentopf! Kasperle seufzte tief. Die Stadtleute taten ihm arg leid. Er sah sich darum das Gärtchen noch einmal an und dachte: Vielleicht gefällt es mir doch; vielleicht kann ich auch ’n Purzelbaum schießen. Er rannte also erst dreimal um das Beet herum, rannte in das Haus hinein, und schwätzte dort mal eine Weile; er erzählte, was er alles erlebt hatte, und dann rannte er wieder zurück in den Garten. Dort wollte er erst einmal das Purzelbaumen versuchen. Es konnte das niemand so gut wie Kasperle. Er sagte also eins, zwei drei – und dann schoß er los.

»Zum Teufel! Was ist das?« schrie da jemand.

Kasperle sah sich ganz entsetzt um. Im Eifer war er gleich über die Mauer gepurzelbaumt und saß mitten auf einem Tisch in einem großen Tintensee: An dem Tisch saß ein alter Herr, der hielt die Feder steil in die Höhe und starrte das Kasperle höchst verwundert an.

Der alte Herr war ein sehr großer Gelehrter, der gerade in einem uralten Buch allerlei alten Zauberspuk gelesen hatte. Nun dachte er, das Kasperle sei so ein Zauberding, ein Alräunchen oder so etwas. Er fragte zitternd: »Habe ich dich gerufen?«

»Nä!« Kasperle machte einen Hopser, da war er vom Tisch herab, und weil ihm die ganze Sache höchst ungemütlich war, wollte er just über die Mauer zurück. Doch da erwischte ihn der alte Herr, der endlich etwas zu sich gekommen war, beim Jackenzipfel und fragte streng: »Wer bist du?«

»Kasperle!«

»Unsinn! Du bist ein ganz frecher Bube. Kasperles gibt’s nur auf Jahrmärkten. Gleich sagst du, wo du herkommst!«

»Von da drüben.« Kasperle deutete mit der Hand nach der Mauer hin.

»Bist du übergeklettert?«

»Nä, ich wollte nur mal ’n Purzelbaum schießen, und weil der Garten zu klein ist, flog ich gleich über die Mauer.«

»Aber du lügst ja!« rief der alte Herr entrüstet. »So was, das kann man nicht.«

»Doch, man kann’s!« Und weil der alte Herr Kasperle ein bißchen freiließ, purzelbaumte der schwipp, schwapp! über die Mauer zurück. Weg war er! Sonderbar, höchst sonderbar! Der alte Herr schüttelte eine Weile den Kopf, und gerade wie er zu einem Entschluß gekommen war, sagte drüben Frau Liebetraut: »Aber Kasperle, dein Hosenbödle ist ja ganz voll Tinte!«

Da erzählte Kasperle bedrückt das sonderbare Erlebnis, und Mutter Annettchen sagte gerade: »Na, das kann ja gut werden!« als bimelimbim, bimelimbim! die Hausglocke ertönte.

Kasperle rannte neugierig zur Haustür, nachzuschauen, wer es sein könnte. Die Türe tat sich auf, und zweifach ertönte der Ruf: »Da ist er!«

Der Herr Professor Schnappel stand auf der Schwelle; er starrte das Kasperle an, und das Kasperle starrte ihn ziemlich ängstlich an.

Endlich nahm der gelehrte Herr seinen langen Stock, zeigte damit auf Kasperle und fragte: »Wer ist das?«

»Ein Kasperle,« sagte Frau Liebetraut rasch.

»Unsinn! Kasperles gibt es nur auf Jahrmärkten, und da sind sie von Holz und –«

»Ich bin nicht von Holz,« schrie Kasperle entrüstet. »Und ich bin auch nicht vom Jahrmarkt; ich bin das einzige lebendige Kasperle.«

Da kam Meister Severin, der den Lärm gehört hatte. Er verneigte sich gar höflich vor dem alten Herrn, dessen Namen er wohl kannte, und dann erzählte er Kasperles Geschichte.

Darob erstaunte der Herr Professor Schnappel so, daß er sich seine Brille auf die alleräußerste Nasenspitze setzte, um das Kasperle ganz genau zu sehen.

Kasperle fand das Angestauntwerden etwas unbequem. Er schielte den Professor von der Seite an und fragte ein bissel sehr unnütz: »Ja, da staunste wohl?«

»Hm ja, höchst merkwürdig! Ich muß es studieren.« Der gelehrte Herr sah Kasperle unverwandt an und fragte: »Willst du mich jeden Tag besuchen? Ich will dich studieren.«

Dem Kasperle wurde himmelangst. Er dachte an den Herzog August Erasmus; vielleicht war der Professor auch so böse.

»Nä,« schrie er plötzlich und brach in ein so lautes Jammergebrüll aus, daß es nun dem Professor himmelangst wurde. »Es stirbt, dies sonderbare Ding stirbt!«

Darüber mußte Kasperle nun wieder lachen. Und so entsetzlich er vorher geschrien hatte, so herzhaft lachte er nun. Hin und her wackelte das Kasperle vor Lachen, und da knurrte und knarrte es auf einmal, als ob jemand eine alte verrostete Türe auf und zu mache: der Professor Schnappel lachte. Und weil bei ihm das Lachen eingerostet war, klang es so seltsam.

Kasperle fand das ungemein spaßig. Er hielt sich mit beiden Händen sein Bäuchlein fest, lachte und lachte, und der Professor hielt sich seinen Kopf fest; er meinte nämlich, der könnte ihm vor Lachen herabfallen.

Herr Severin lachte auch, die schöne Frau Liebetraut lachte, und zuletzt tönte auf den Kirchplatz hinaus ein so herzliches, frohes Lachen aus dem Hause, daß draußen die Leute stehen blieben und sagten: »Der neue Musikmeister muß aber ein lustiger Mann sein!«

Professor Schnappel mußte sich schließlich zur Erholung auf die Treppe setzen, so sehr hatte er gelacht. Und flugs setzte sich Kasperle ganz zutraulich neben ihn.

»Besuchst du mich nun jeden Tag?« fragte da der Professor.

»Hm!« Kasperles Lachgesicht wurde flink ernsthaft. »Haste ’ne Base, die Gundolfine heißt?«

Der Professor schüttelte erstaunt den Kopf. »Ich wohne allein,« sagte er, »ich habe nur ein Mädchen, das heißt Dörte und wird bald heiraten.«

»Ist sie böse?« fragte Kasperle ängstlich.

»Bewahre! Sehr nett und freundlich.«

»Bäckt se Kuchen?«

»Kuchen?« Der Professor sah höchst erstaunt drein. »Du ißt wohl gern Kuchen?«

»Ja, und Puddings.«

»Seltsam, höchst seltsam! Ich muß dich studieren.« Der Professor sah Kasperle wieder sehr erstaunt an, und dem schien das Studieren nicht sehr behaglich zu sein. Er fragte zögernd: »Wie machst du denn das?«

»Hm – ich sehe dich immer an!«

»Du sperrst mich nicht in einen Turm oder in ein finsteres Kellerloch?«

»Bewahre!« rief der Professor erschrocken. »So etwas werde ich doch nicht tun!«

Da war Kasperle zufrieden. Er gab seinem neuen Freund die Hand und versprach, ihn sehr oft zu besuchen. Der Professor bemerkte noch, es sei eine Tür in der Gartenmauer, vielleicht habe Herr Severin einen Schlüssel dazu, da könnte Kasperle immer durch den Garten kommen.

Den Waldhausleuten war es recht. Wenn das Kasperle im Nebengarten, der groß und weit war, spielen konnte, würde es nicht auf die Straße laufen. Sie gingen alle miteinander in den Garten, und dort suchten der Professor und Herr Severin nach der Türe. Die war nicht leicht zu finden, da Efeu die Mauer dicht überzog.

Warum also warten, bis man ein Türlein fand, wenn man auf Kasperleart so flink hinüber kam? Eins, zwei, drei –

»Alle guten Geister – was ist das?« rief Professor Schnappel. »Was ist das? Wo ist Kasperle hin und was schreit so?«

Ja, was schrie da drüben nur so?

»Kasperle ist’s,« rief Meister Severin. Er stieg flink über die Mauer, denn drüben ertönte ein ganz klägliches Hilfegeschrei. Kasperle mußte etwas geschehen sein.

»Au, au, au!« brüllte es.

Da kletterte auch der Professor über die Mauer – und was sah er drüben? Eine alte Frau hielt Kasperle fest und wichste ihn mit einem Stock durch.

»Loslassen!« Ritsch, zerrten Meister Severin und der Professor Kasperle weg, und alle beide schalten: »Was fällt Ihnen denn ein! Warum hauen Sie Kasperle so?«

O weh, es war die Base Mummeline aus Waldrast! Nun erkannte sie Herr Severin, und der Professor erkannte sie auch. Der Schullehrer in Waldrast, der vor dreizehn Jahren das Kasperle gar liebevoll aufgenommen hatte, sandte dem Professor immer seltene Pflanzen, Käfer, Steine – was er fand. Und die Base Mummeline brachte sie.

Die war an dem Vormittag gekommen, hatte von der Magd erfahren, der Herr Professor sei im Garten, und gerade war sie hineingekommen, da sauste pardauz! das Kasperle über die Mauer.

»Den nehme ich mit,« schrie die Base. »Unser Herzog will ihn haben und die Prinzessin Gundolfine –«

»Hach!« Da lag Kasperle. Er streckte Arme und Beine aus und behauptete: »Ich bin tot.«

»I wo, dich will ich gleich lebendig machen!« Die Base Mummeline schwang ihren Stock, und witsch! war das Kasperle auf und davon; drüben im kleinen Gärtlein war er und schrie laut: »Ich geh nicht mehr rüber. Das Studieren gefällt mir nicht; ich lasse mich nicht studieren.«

Das Ende vom Liede war böse: Der Professor warf die Base Mummeline zum Hause hinaus. Da ging die zu ihren Klatschfreunden und Tratschmuhmen, dem Kaufmann Schoflich und der Grünwarenhändlerin Hippauf, und erzählte denen, was für ein schreckliches Ding der neue Musikmeister in seinem Hause hätte. Und ganz gewiß würde der Herzog August Erasmus Krieg beginnen, – na, und dann könnten sie in Torburg was erleben!

Das gab ein Geschrei! Herr Schoflich und Frau Hippauf erzählten das flink weiter, und als Kasperle, nun schon wieder ganz vergnügt, zum erstenmal im Stadthaus seine Suppe aß, redeten sie draußen laut über das Kasperle. Der aber dachte nur an die gute Frau mit den Zuckerstengeln und an den Herrn Professor, der ihn zum nächsten Tage eingeladen hatte. Als Meister Severin etwas bedenklich sagte: »Ach, Kasperle, wie wird es dir in der Stadt ergehen!« rief der Schelm: »Gut; mir gefällt’s hier.«

Kasperle gewinnt noch mehr Freunde

Am nächsten Tag rief drüben der Professor Schnappel: »Kasperle komm!« Doch Kasperle dachte an die Base Mummeline und schüttelte den Kopf. Wenn aber einer jenseits der Mauer steht, kann er das Kopfschütteln nicht sehen. Der Professor rief also noch dreimal, und da Kasperle immer nur kopfschüttelte, ging der gelehrte Herr selbst ins Nachbarhaus, um nach Kasperle zu sehen. Er dachte schon, der sei krank geworden von dem gestrigen Schreck. Aber Kasperle saß vergnügt auf dem Rasen, ließ sich von der Sonne bescheinen und war mehr denn je aufgelegt zu einem dummen Streichlein. Als er den Professor kommen sah, schnitt er gleich ein Gesicht wie die Base Mummeline und fragte: »Ist se noch da?«

»O du lieber Himmel!« rief der Professor. »Jetzt dachte ich schon, die alte Kräuterfrau säße da. Bist du ein seltsames Ding! Komm mit, komm mit, ich muß dich studieren!«

»Gibt’s dabei was zu essen?« fragte Kasperle vorsichtig.

»Freilich, freilich! Dörte kann dir Küchlein backen oder sonst etwas holen, was du willst.«

Da war es Kasperle zufrieden, und ehe noch der Professor recht ausgesprochen hatte, purzelbaumte Kasperle schon über das Mäuerlein, diesmal ohne ein Unheil anzurichten. Es war niemand und nichts im Garten, auf das er fallen konnte, also fiel er etwas unsanft auf seine Nase. Es bedauerte ihn aber auch niemand darum, denn der Professor brauchte länger zu dem Weg als der kleine Schelm. Und als der gelehrte Herr kam, kauerte Kasperle gerade vor einem großen, runden Glase, in dem sich allerlei Schlänglein herumwanden.

Kasperle tippte mit dem Finger auf das Glas; das sollte eine Frage sein.

»Daran studiere ich,« brummelte der Professor. »Nun komm hinüber, Kasperle; ich habe heute meinen Arbeitstisch auf der andern Seite stehen. Heute ist nämlich mein lateinischer Tag, und drüben ist Rom.«

Da sperrte Kasperle den Mund himmelweit auf. Daß einer einen guten oder einen unguten Tag hatte, verstand er. Warum einer aber einen lateinischen Tag hatte, das ging nicht in seinen Kopf.

Der Professor dachte: Ich muß es ihm erklären, und er sprach bedächtlich davon, einen Tag bringe er immer in Rom zu, einen in Alexandrien, einen in Athen, einen gar in Paris. »Das war gestern, als du mir in die Tinte fielst. – Siehst du, da ist Rom, dort liegt Athen und –«

»Das ist fein!« schrie Kasperle und kugelte, rollte und purzelbaumte im Umsehen von Rom nach Athen. Weil es aber in Athen nichts zu essen gab, kam er geschwinde nach Rom zurück.

»Ein höchst merkwürdiges Ding! Ich muß es genau studieren.«

»O jegerle!« kreischte die Magd Dörte, die gerade in Rom das Frühstück auftrug, und dann rannte sie geschwinde davon.

»Sie fürchtet sich noch vor dir,« sagte der Professor. »Nun komm und iß!«

Fürchten tat sich die Magd Dörte gar nicht vor dem Kasperle. Das kannte sie gut von Protzendorf her. Dort hatte sie bei dem Bauer Strohkopf gedient, als das Kasperle mit seinem Freund Michele zur Gräfin Rosemarie reiste. Und als Kasperle dann von dem Grafen von Singerlingen heimlich nach dem Waldhaus zurückgebracht wurde, da hatte ihr der gute Graf viele Geldstücke geschenkt. Sie wußte wohl, Kasperle war es, der dem Grafen von ihr erzählt hatte. Seitdem hatte sie das Kasperle lieb und hätte ihm herzensgern einen rechten Gefallen getan. Nun aber war sie in großer Sorge um Kasperle.

Dörte saß am Küchenfenster und weinte, Kasperle schmauste, und der Professor studierte ihn. Der schrieb in ein dickes Buch: »Kasperle hat einen sehr großen Mund, in fünf, nein viereinhalb Minuten ißt er eine dicke Schnitte auf. Pudding – aber Kasperle!« schrie der Herr Professor entsetzt auf, »wo ist der Pudding hin?«

»Aufgegessen,« rief Kasperle so laut, just als könnte der Professor nichts mehr hören.

»Aufgegessen?« Der Professor sah verdutzt den Teller an, Kasperle aber dachte: Das bißchen Pudding hat sich kaum gelohnt.

»Hm, ich wollte dich doch studieren!« Der Professor nahm ein Döschen Schokolade und sagte: »Nun sollst du mir mal dies essen; ich werde aufzeichnen, wie du Schokolade ißt.«

»Also!« Der gelehrte Herr nahm seinen Gänsekiel und begann zu schreiben. Kasperle nahm von der Schokolade und –

»Jemine, Kasperle! Wo ist denn nun wieder die Schokolade hin?«

»Aufgegessen.« Kasperle dachte wieder: »Es hat sich kaum gelohnt,« und der Professor sah noch verwunderter als vorher die kleine Schachtel an. »Hm, hm!« brummelte er, und dann gebot er: »Kasperle, iß alles auf!«

Ach ja, was war da noch viel zu essen! Ein Stückchen Käse, eine Scheibe Wurst, zwei Schnittchen. Eins, zwei, drei, hatte Kasperle alles hinabgeschluckt. Der Professor aber schrieb befriedigt in sein Buch: »Kasperle gehört unstreitig zur Familie der Vielfraße. Er ist aber doch anscheinend nicht dumm.«

Während der gelehrte Herr noch über diesen Satz nachdachte, war Kasperle vom Stuhl gerutscht, war aus Rom hinausgelaufen und kam nach Athen und von da an das Küchenfenster. Im richtigen Athen mochte das in Wirklichkeit nicht so schnell gehen, aber Kasperle flitzte sehr eilig auf des Herrn Professors Landkarte herum.

Am Küchenfenster saß Dörte und weinte. Es war ein rechtschaffenes, handfestes Heulen. Das weckte ein Echo. Kasperle war immer bereit, mitzulachen und mitzuweinen, und weil Dörte nun eben weinte, brüllte er gleich jämmerlich los.

Dörte fiel beinahe vom Stuhl vor Schreck, und der Herr Professor kam sehr flink aus Rom angelaufen, kam auch an das Küchenfenster, und gerade da sagte Dörte: »Kasperle, aber Kasperle, warum schreist du so? Kennst du mich denn nicht mehr?«

»Was ist das für ein Geflenne?« Der Professor war ärgerlich. Er nahm Kasperle und sagte: »Ich will dich doch studieren! Mit Dörte brauchst du nicht zu reden.«

Kasperle ließ sich auch wieder nach Rom führen. Er schaute sich nur noch einmal um, und da sah er Dörte allerlei Zeichen machen. Sie legte die Hand auf den Mund, deutete dann wieder in die Küche hinein und Kasperle dachte: Hach, ich soll was Gutes zu essen bekommen!

Da war er denn sehr vergnügt und saß ganz brav und still neben dem Professor. Der sagte: »Kasperle, erzähle mir etwas!«

Na, erzählen konnte Kasperle schon! Weil er aber die Geschichten gern in der Mitte anfing, sagte er: »Weil ich ihre Haube aufhatte, dachten sie, ich sei die Prinzessin. Brrr, nä, die möcht‘ ich nicht sein! Magst du sie sein?«

»Nein,« rief der Professor etwas erstaunt. »Aber sage einmal, wer ist denn die Prinzessin?«

»Na, eben ein Teufele ist sie!«

»Aber Kasperle!«

»Veit hat’s gesagt, sie sei ’n Drachen, sie sei greulich, sie sei schlimmer als ’ne Eule, sie sei –«

»Höchst seltsam!« brummelte der Professor.

»Nä, eklig ist sie!« schnatterte Kasperle. Und weil er einmal bei der Prinzessin war, kam er auch auf den Herzog August Erasmus. Und dabei schimpfte das Kasperle wirklich wie eine Elster, wenn ihr die Nachbarin das Essen vor der Nase wegschnappt.

»Aber Kasperle!« Der Professor kopfschüttelte immer mehr und sagte plötzlich streng: »Aber das ist ja frech! Der Herzog August Erasmus ist ein sehr vornehmer Herr, und nächstens werde ich ihn besuchen.«

»Hach!« Kasperle saß auf einmal unter dem Tisch. Er stöhnte schauerlich, und der Professor konnte locken, soviel er wollte, Kasperle kam nicht zum Vorschein. Dumpf fragte er von unten herauf: »Besucht er dich auch?«

»Bewahre,« rief der Professor, »er ist doch ein Herzog!«

»Ich kann ihn doch nicht leiden,« trotzte Kasperle auf.

»Komm jetzt hervor!« gebot der Professor streng.

Da kroch Kasperle endlich unter dem Tisch hervor. Und weil er dachte, es wäre gut, den Professor etwas zu unterhalten, fragte er: »Wollen wir mal Purzelbaum schießen?«

Nein, das wollte der Herr Professor ganz und gar nicht. Er wollte, daß Kasperle ungeheuer artig am Tisch sitze, um ihm etwas von den alten Römern erzählen zu können.

»Wo wohnen sie denn?« fragte Kasperle.

Und da der Professor vor Staunen über diese dumme Frage nicht gleich den Mund zubekam, rief Kasperle vergnügt: »Hach, ich weiß, du bist einer!«

Dies fand der Professor wieder ausnehmend gescheit von Kasperle, und just wollte er etwas antworten, als Dörte kam und den Herrn Bürgermeister meldete. Der komme in einer sehr wichtigen Angelegenheit.

»Geh nach Paris, Kasperle!« rief der Professor. – »Führe den Herrn hier nach Rom!« Der Professor sah auf einmal so steif und feierlich aus, daß Kasperle ordentlich Respekt vor ihm bekam. Er entwitschte darum eilig, aber er ging nicht nach dem Gartenwinkel Paris, sondern dachte an Dörtes merkwürdiges Winken und lief flugs in die Küche. Hops, pardauz! da war er drin, und Dörte ließ gleich einen Teller fallen.

»Kasperle, o Kasperle!« schrie sie, und gleich kamen ihr wieder die Tränen.

Kasperle guckte Dörte an, und Kasperle guckte die Scherben an. Ganz kläglich murmelte er: »’s war doch ’n alter!«

»Ach, mein Kasperle, um den Teller weine ich doch nicht! Um dich weine ich, weil du nun in Spiritus kommst.«

»Nä,« schrie Kasperle, »da will ich nicht rein!«

»Ach, du lieber Himmel, der Herr Professor setzt doch alles in Spiritus, was er studiert! Die Schlangen, die Frösche, sogar ’n jungen Fuchs hat er reingesetzt,« rief Dörte.

»Ich will nicht in Spiritus,« rief Kasperle, der gar nicht wußte, was Spiritus war. »Das – das ist mir zu langweilig.«

»Ach je, du dummes Kasperle! Wenn du im Spiritus sitzt, bist du doch tot!«

»Hach!« Kasperle fiel lang hin und schrie: »Mein Bäuchle tut weh, mein Bäuchle! Ich will nicht tot sein, ich will nicht in Spiritus sitzen.«

»Is auch nicht scheene,« sagte Dörte. »Aber, Kasperle, steh auf! Sag mal, kennst du mich denn nicht mehr?«

Erst schrie Kasperle: »Nä!« aber dann besann er sich und fiel Dörte heftig um den Hals. Die streichelte ihn lind und sagte: »Du gutes, liebes Zuckerkasperle du! Du sollst nicht in Spiritus sitzen. Komm, ich gebe dir noch einen Kuchen, und dann läufst du flink zu deinen Leuten und kommst nicht wieder. Der Herr Professor ist jetzt ganz unten im Garten.«

Sie holte zu Kasperles Freude den Kuchen und wollte Kasperle hinauslassen. Doch den plagte die Neugier. Er bettelte: »Zeig‘ mir mal, wie sie alle in Spiritus sitzen!«

»Kasperle, das geht nicht gut aus,« rief Dörte.

Aber Kasperle, der Luftikus, bettelte und flehte, und da führte ihn Dörte wirklich in des Professors Studierstube. Dort standen in hohen Gläsern auf einem Brett allerlei Tiere. Sie sahen ganz lebendig aus. Freilich, sie bewegten sich nicht, aber Kasperle tippte doch neugierig an die Gläser. Es kam ihm höchst seltsam vor, daß Dörte sagte, der Professor wollte ihn auch in ein solches Glas stecken.

»Brrr!« Kasperle schüttelte sich, und da rief Dörte: »O Kasperle, sie kommen! Flink, flink, springe zum Fenster hinaus!«

Das Zimmer hatte Fenster nach dem Garten und nach dem Kirchplatz. Kasperle sah nach dem Garten hinaus und sah dort den Professor und den Bürgermeister daherkommen. O je, über den Flur zu laufen war es freilich zu spät! Aber zum Fenster hinaus ging es, das war für Kasperle nur ein Sprünglein. »Das zweite Haus rechts,« rief Dörte noch, da waren die beiden Herren schon auf dem Flur, und Kasperle hopste. Er drehte sich dabei rundum, und als er draußen auf den Beinen stand, wußte er nicht mehr, was rechts und links war. Er lief eilig nach links, lief in die zweite Haustüre hinein und brüllte da aus Leibeskräften: »Er will mich in Spiritus setzen, er will mich in Spiritus setzen!«

»Bewahr‘ mich, was ist das für ein Getrompete!« sagte eine gute, freundliche Stimme, und aus einer Türe heraus kam eine große, hübsche Frau. Die schaute das Kasperle höchst verwundert an, schüttelte immerzu den Kopf, daß die seidenen Bänder ihrer großen Haube hin und her flatterten. »Was bist du für ein Irrwisch?« fragte sie.

»Ich bin Kasperle und – und – er will mich in Spiritus setzen.«

»Kasperle – ein Kasper bist du? – Aber warum sollst du denn in Spiritus gesetzt werden? Da sitzt es sich doch nicht gut drin!« Die Dame lachte ein wenig, und da rief aus der Ferne eine feine, dünne Stimme: »Muhme Agathe, warum lachst du denn?«

»Komm mal mit!« sagte die Frau und packte das Kasperle am Wämslein. Aber Kasperle hatte keine Mitgehlust. Wer weiß, in was ihn die fremde Frau setzen wollte! Er schrie und zappelte, aber da tönte wieder die zarte Stimme: »Muhme, wer schreit denn so?«

»Sei doch still, du kleiner Irrwisch! Ich tue dir ja nichts! Ich zeige dich nur dem Christli.«

Doch Kasperle zappelte und zappelte. Los kam er freilich nicht, aber auf einmal tat die Dame am Ende des Ganges eine Tür auf und setzte das Kasperle mitten in ein helles, sonniges Zimmer hinein.

»Ein Kasperle!« Ein feines Stimmchen jauchzte es.

Kasperle hörte auf mit Schreien und schaute dahin, woher die Stimme kam. Da lag in einem großen vergoldeten Bett ein blasser Knabe, der mochte so alt sein wie einst Michele, als Kasperle ihn kennenlernte.

»Da, Christli, da hast du den Schreihals,« sagte die Frau. »Was es für ein Ding ist, weiß ich wirklich nicht.«

»Ein Kasperle bin ich,« schrie Kasperle erbost. »Aber ich will nicht in Spiritus sitzen.«

»Nein, nein, da setz‘ dich man nicht rein! Das ist unangenehm.« Die Frau lachte, es klang herzlich und gut und steckte an.

Auf einmal grinste auch das Kasperle über das ganze Gesicht, und weil ihm der kleine Junge seine Hand entgegenstreckte, ging er ganz zutraulich auf den zu und gab ihm die Hand, Patsch! Es klatschte ordentlich, und der blasse Bube rief: »Er ist ganz lebendig, ein ganz lebendiges Kasperle!«

»Na ja, den haben sie zu einem Kasper abgerichtet,« erklärte die Muhme.

»Nä,« schrie Kasperle, »ich bin nicht gerichtet und – in Spiritus lasse ich mich nicht setzen.«

»Bewahr‘ mich der Himmel! Wer will denn so was tun?« Die fremde Dame sah das Kasperle höchst erstaunt an. Da schnitt der ein bitterböses Gesicht, zeigte irgendwo mit der Hand hin und brummte: »Der.«

Christli sah ganz erschrocken drein. »Hu, er ist böse,« klagte er.

Doch da lachte ihn Kasperle schon wieder an, und Christli mußte mitlachen, ob er wollte oder nicht. Die Muhme Agathe fiel auch ein, und ein paar Minuten tönte das Lachen hell durch das Zimmer. Dann sagte die Muhme: »Nun erzähl mal: Wer bist du eigentlich?«

»Kasperle!« Der kleine Schelm dachte: Wenn ich es immer sage, dann muß sie es doch glauben. Aber die Muhme schüttelte den Kopf: »So etwas gibt es ja gar nicht.«

»Doch, Muhme, der Vater hat erzählt, daß bei dem Herzog August Erasmus ein richtiges lebendiges Kasperle sei, und Marlenchen –«

»Marlenchen,« schrie Kasperle, »wo ist sie?«

»Auf Lindeneck; es ist meine Freundin.«

Da war nun freilich Kasperle an den rechten Ort gekommen. Hops! saß er auf dem Rande des vergoldeten Bettes und erzählte Christli, woher er gekommen sei, und wie er das Marlenchen kennengelernt habe.

Christli hörte ihm mit strahlenden Augen zu, dann wieder kamen Tränen, und schließlich lachte er herzhaft.

Der Muhme Agathe ging es nicht anders. Die wischte sich mit dem seidenen Haubenband über die Augen, dann lachte sie wieder, daß sie mit dem Stuhl wackelte, und darüber verging die Zeit. Niemand hörte draußen jemand gehen, niemand hörte die Türe sich öffnen, Christli sah seinen Vater erst, als der schon mitten im Zimmer stand.

Ein ernster Herr war es, der da das Kasperle erstaunt anblickte. Und merkwürdig, ein bißchen sah er aus wie der Herzog August Erasmus, aber wie dieser, wenn er gut gelaunt war.

Kasperle kriegte keinen kleinen Schreck, als der Herr zu reden anfing und auch seine Stimme wie die des Herzogs klang. Er schielte ängstlich nach der Türe, da sagte auch noch Christli: »Vater, das ist das Kasperle, das beim Oheim August Erasmus gewesen ist.«

Jemine, wohin war Kasperle geraten! Er saß plötzlich nicht mehr auf dem Bett, sondern unter dem Bett, und ein bitterliches Schluchzen ertönte von dort her.

Aber da sagte der ernsthafte Herr: »Sei still! Das kann Christli nicht vertragen. Komm einmal zum Vorschein; ich weiß alles von dir.«

Kasperle schwieg zwar, aber mit dem Vorkommen nahm er sich noch Zeit. Doch da ergriff ihn Christlis Vater, zog ihn hervor, nahm ihn auf den Schoß und erzählte nun, er sei ein Stiefbruder des Herzogs. Aber der Herzog sei nicht gut zu seinen Verwandten gewesen, darum sei er in ein anderes Land gezogen. Er war ein Fürst ohne Land und ohne Schloß, und schuld an allem war – die Prinzessin Gundolfine.

Kaum hatte der Fürst Helmrich den Namen genannt, da zog Kasperle so ein Gesicht, wie es die Prinzessin machte, und Christli jauchzte vor Freude. Sein Vater sah ihn froh an. Der Bube war krank gewesen, viele, viele Wochen lang, und darüber hatte er fast etwas das Lachen verlernt gehabt. Aber heute sah er so fröhlich drein, daß der Fürst selbst das Kasperle bat: »Komm bald wieder!«

»Komm, ich führe dich heim, denn sonst rennst du wieder in ein anderes Haus und findest nicht heim,« sagte Frau Agathe. Die war keine Prinzessin, sondern nur eine Gräfin; sie war aber trotzdem des Herzogs Base. Ihr gab Kasperle willig die Hand, nachdem er das Baldwiederkommen versprochen hatte.

Der Kirchplatz lag im Sonnenlicht, als die Gräfin Agathe mit dem Kasperle aus dem Hause kam. Drüben die zweite Türe tat sich auch gerade auf, und der Professor begleitete seinen Besucher, den Bürgermeister, hinaus.

»Schlupf unter meinen Schal!« sagte die Gräfin, denn Kasperle stöhnte gleich: »Hach, er steckt mich in Spiritus!«

Die große stattliche Dame trug einen weiten blauen Seidenschal über dem gebauschten Kleid, und Kasperle ließ sich gern einhüllen. So kam er am Haus an der Kirche an, und Frau Liebetraut kam selbst, die Türe zu öffnen. »Ei,« rief die Gräfin Agathe, »man meint schier, die Waldsonne scheint!«

Da lächelte die schöne Frau Liebetraut holdselig, und die Gräfin nahm ihre Hand und ließ sich in das Haus führen, ließ sich die beiden kleinen Mädel zeigen und sah sich in Meister Friedolins Kasperlestube und Mutter Annettchens blanker Küche um. Herr Severin kam, und als die Gräfin schied, redete sie vom Wiederkommen und von einem Kaffeebesuch.

So hatten die Waldleute auch Freunde in Torburg gefunden. Kasperle war arg stolz, daß er ihnen dazu verholfen hatte. Und er hatte auch einen Freund gefunden, denn am Nachmittag kam der Fürst selbst und erbat sich das Kasperle zur Gesellschaft für den kranken Christli. »Der wird vor lauter Lachen noch gesund,« sagte er.

Kasperle will nicht in Spiritus sitzen

Der Professor wartete auf das Kasperle, er wollte es studieren. Die Base Mummeline ging noch durch die Straßen und dachte: Vielleicht erwische ich das Kasperle, dann stecke ich es in meinen Karren und nehme es mit. Die Torburger Buben aber strichen um Meister Severins Haus herum und warteten auch auf Kasperle. Doch das lief nur manchmal flink und eilig, von jemand geleitet, hinüber in des Fürsten Haus. Husch! war es über den Platz gelaufen, und husch! war es im Haus verschwunden. Und meist war es zu einer Zeit, da kein Bubenbein über den Platz rannte.

Es war sehr schnell eine dicke Freundschaft zwischen dem blassen Christli und Kasperle entstanden. In dem Zimmer nach dem Garten hinaus verlebten beide frohe Stunden, und das Lachen bekam Christli gut. Er konnte bald aufstehen, ja, nach ein paar Tagen durfte er sogar in den Garten gehen.

Der war auch nicht viel größer als Herrn Severins Garten. Kasperle schaute auf ein Mäuerlein und fragte: »Wo geht’s da hin?«

»Das ist dem Professor Schnappel sein Garten,« antwortete Christli.

»Hach!« Kasperle riß die Augen weit auf. So nahe war ihm der?

»Ja,« sagte Christli, »der Professor hat einen sehr großen Garten. Wenn du durch den Garten gehen könntest, brauchtest du gar nicht über den Kirchplatz zu laufen.«

»Ich spring über die Mauer,« rief Kasperle.

»Das kannst du nicht, die ist zu hoch.«

Der Zweifel an seiner Kunstfertigkeit, einen Purzelbaum über eine Mauer hinweg zu schlagen, kränkte Kasperle ein wenig. Und der kleine Luftikus vergaß, daß er drüben schon einmal in die Tinte gefallen war. Also drehte er sich um, und hopps! flog er wie ein Gummiball über die Mauer.

Drüben landete er in Indien. Das war ein von Blumenbeeten eingefaßter Grasplatz. Der Professor saß da gerade und las, als er auf einmal etwas durch die Luft fliegen und in sein Feuerlilienbeet fallen sah.

»Kasperle,« rief er erstaunt, »endlich kommst du; da kann ich dich gleich studieren.«

»Nä,« schrie Kasperle, »ich will nicht in Spiritus sitzen.«

Aber da hatte ihn der Professor schon am Hosenzipfel erwischt. »Du bleibst,« rief er, »ich muß dich studieren. So einen seltenen Fang habe ich noch nie getan.«

»Nä!« schrie Kasperle wieder. Aber der Professor kümmerte sich nicht weiter um das Geschrei, er hörte auch nicht auf das angstvolle Rufen Christlis jenseits der Mauer. Er nahm Kasperle und trug ihn in sein Haus, trug ihn in sein Studierzimmer. Dort setzte er ihn etwas unsanft auf den Boden und sagte: »Jetzt bleibst du hier!«

Ach, was wußte der gute Professor Schnappel davon, wie flink ein Kasperle durch ein offenstehendes Fenster purzelbaumen kann! Eins, zwei, drei – an der Nase des Professors vorbei, und draußen mitten auf dem Kirchplatz in einer Bubenschar landete Kasperle.

Innen in seinem Zimmer stand der Professor, rieb sich die Nase und sagte dreimal: »Merkwürdig, höchst merkwürdig!«

Auf dem Kirchplatz aber standen vier Buben und schauten nicht minder verdutzt das heulende Kasperle an. Wo war das auf einmal hergekommen? Und war es wirklich das lebendige Kasperle, das alle Torburger Buben und Mädel doch so himmelgern sehen wollten? Endlich tippte ein großer Junge Kasperle an und fragte: »Bist du wirklich Kasperle?«

Der nickte, und flugs schnitt er ein Räubergesicht, denn er fürchtete sich ein wenig vor den fremden Buben. Die wichen erst zurück, dann kamen sie wieder und jauchzten laut: »Kasperle, es ist Kasperle! Wo kommst du denn her?«

»Da.« Kasperle deutete auf des Professors Haus, und eben öffnete sich an diesem eine Türe, und der Professor trat heraus.

»Hach!« kreischte Kasperle, »er will mich in Spiritus setzen, er macht mich tot.«

»Wir retten dich!« Den Buben kam die Sache ungeheuer wichtig vor. Schwipp, schwapp! packten sie das Kasperle, ein stämmiger kleiner Blondkopf schrie: »Zu mir!« und fort ging die wilde Jagd.

»Halt, halt!« rief der Professor. Aber er konnte gut halt rufen: ehe er noch drei Schritte getan hatte, sausten die Buben mit Kasperle in ein Gäßlein hinein, dann links um die Ecke herum, und auf einmal stand Kasperle in einer Schmiede. Das Feuer glühte, und ein mächtiger Mann schlug gerade auf den Amboß: Bums!

Bums! Da lag auch Kasperle vor Schreck auf dem Boden. Er schnappte erst dreimal nach Luft, dann heulte er, heulte, wie eben ein Kasperle heult.

So etwas hatten die Torburger Buben noch nie gehört, und sie konnten das Heulen wahrlich gut. Auch der große Schmied sah höchst verdutzt drein. »Was habt ihr denn da für ein wunderfitziges Ding?« fragte er erstaunt.

»Kasperle ist’s, und er sagt, der Professor Schnappel wolle ihn in Spiritus setzen.«

»I nä!« Meister Christoph, der Schmied, schüttelte den Kopf. »Was so’nem Professor auch alles einfällt! – Du da, du Kasper, höre jetztmal auf zu heulen! So ’n Gelärme lieb‘ ich nicht; bei mir muß es fein leise zugehen.«

Der Schmied hatte eine Stimme, die dröhnte wie ein Kanonenschuß, und Kasperle ließ vor Schreck das Heulen sein, schielte den gewaltigen Mann hilflos an und rief kläglich: »Er will mich doch in Spiritus setzen!«

»Hm, hm, das wär‘ nicht angenehm! Hab‘ aber keine Angst, ich schütze dich.« Meister Christoph war herzensgut, und das Kasperle, das da so kläglich am Boden saß, tat ihm, er wußte selbst nicht warum, herzhaft leid. Er legte also seinen Schmiedehammer weg, kam näher, hob das Kasperle empor, setzte sich auf einen Hocker und nahm den kleinen Schelm auf seinen Schoß. »Nu erzähl‘ mal! Wo kommste denn her?«

Ja, erzählen! Kasperle erzählte schon gern seine Abenteuer, aber bis einer aus seinem Geschwätze klug wurde, das dauerte schon ein Weilchen. Es war gut, daß die Torburger Buben schon wußten, wer eigentlich Kasperle war. Sie redeten dazwischen, Kasperle schwätzte, schnitt Gesichter, sah aus wie die Base Mummeline und die Prinzessin Gundolfine, und Meister Christoph lachte, daß er bald mitsamt dem Kasperle von seinem Hocker gefallen wäre. Die Buben kreischten vor Vergnügen, und je mehr sie lachten, desto flinker erzählte Kasperle. Jeder Bergbach hätte ihn um dies rasche Schwätzen beneiden können. Aber plötzlich fiel ihm wieder der Professor ein, und er schrie: »Ich will nicht in Spiritus sitzen!«

»Ist recht, mein Kasperle, sollste auch nicht.« Der Schmied streichelte mit seiner großen Hand das Kasperle ganz zart und lind und sagte: »Ich bring‘ dich heim.«

»Erst muß ich wieder zu Christli.«

»Zu dem hochmütigen kleinen Prinzen?« Meister Christoph schüttelte den Kopf, und die Buben riefen alle: »Der spielt sich auf, der ist nicht nett!«

Ei, man durfte dem Kasperle seinen Freund nicht schelten! Gleich machte er ein bitterböses Gesicht und brüllte wie ein kleiner Wolf: »Das ist er doch.« Und flugs erzählte er von Christli, wie lieb und gut der sei, und wie nett er mit ihm, dem Kasperle sei.

Die Buben wurden alle eifersüchtig, und sie schrien alle: »Wir bringen dich hin.« Und dann erzählten sie, Christli sei einmal acht Tage in die Schule gekommen, kein Wort habe er aber mit den andern gesprochen, also sei er hochmütig.

»Nä!« Kasperle schüttelte den Kopf, ja, das ganze Kasperle schüttelte sich vor Nachdenken, und dann – plumps! da lag er wieder einmal unten, und Meister Christoph rief ganz erschrocken: »Biste entzwei?«

»Nä!« Kasperle lachte. Er rieb sich ein bissel seine Nase und sagte plötzlich: »Er hat sich nicht getraut.«

»Der Prinz Christli? Zu reden meinste?« Der Schmied sah ganz nachdenklich aus. Dann wuschelte er einem Buben über den Kopf und schrie ihn an: »Geh, Maxel, wasch dich, erst! Nachher geht ihr alle mit bis an des Fürsten Haus, nur du nicht, Hansjörg, du hast ’n Loch in den Hosen.«

Hansjörg verzog sein Gesicht jämmerlich. Er schluchzte: »Ich hab’s doch schon drei Tage!«

Aber Meister Christoph entschied: »Loch ist Loch, damit geht man nicht zum Prinzen.«

»Der schaut nicht hin.« Kasperle sah den Schmied so bittend an, daß der bloß auf dem Händewaschen bestand und sagte, er wolle nicht mehr auf Löcher schauen. Und das war gut: Friedel hatte ein Loch im Jackenärmel, und Fritze hielt sich gleich beide Hände vor das Hosenbödle. Mit einem Löchlein war es dort nämlich nicht abgetan.

Kasperle sah nicht darauf. Der marschierte ganz stolz an des Schmieds Hand über den Kirchplatz. Dort stand ein Diener vor des Fürsten Hause und hielt Umschau. »Na, endlich kommt Kasperle!« rief er. »Unser junger Prinz ist schon halbtot vor Angst. – Holla, was soll denn das?«

Hinter Kasperle wollten nämlich Maxel und Hansjörg ins Haus laufen, und den andern sah man die große Lust an, dies auch zu tun.

Dem alten Johann paßte das aber ganz und gar nicht. Er ging nämlich nicht immer in einem Dienerrock, sondern putzte auch die Schuhe, scheuerte die Böden und hatte keine Lust, über den weißen Fliesenboden acht Bubenbeine laufen zu lassen.

»Die wollen mit,« schrie Kasperle vergnügt.

»Gibt’s nicht!« brummte der Diener.

»Wer will mit?« Da stand auf einmal die Gräfin mitten im Flur, schaute lieb und freundlich auf die Bubenschar und ließ sich von Kasperle erzählen, wie die ihn gerettet und beschirmt hatten. Die gute Gräfin lachte herzhaft, sagte aber doch, heute dürften die Buben noch nicht zu Christli. Den hätten sie wieder ins Bett legen müssen, so sehr habe er sich über Kasperles Verschwinden gegrämt. Doch wenn er gesund sei, könne er solche kleine Freunde wohl gebrauchen, sie wolle ihn einstweilen grüßen. »Da geh nur rasch mal zu ihm, Kasperle! Doch lange darfst du nicht bleiben, und deine neuen Freunde können so lange auf dich warten.«

Das taten die arg gern. Meister Christoph ermahnte sie noch: »Paßt aber gut auf!« Dann kehrte er zur Schmiede zurück. Die Buben aber setzten sich stolz auf die Stufen, die zum Haus hinauf führten. Sie kamen sich ungeheuer wichtig vor als Kasperlewächter.

Innen erzählte Kasperle unterdessen eifrig dem blassen Christli seine Abenteuer. Und beinahe hätten sie sich gestritten. Christli sagte nämlich, er glaube nicht, daß der Professor Kasperle in Spiritus setzen würde. Doch Kasperle nickte sehr ängstlich mit dem Kopf und rief: »Er setzt mich doch rein!« Und er beschrieb, wie ihn der Professor in sein Arbeitszimmer getragen hatte, und schließlich flehte Christli: »Kasperle, sei vorsichtig.«

Das versprach Kasperle, versprach das Wiederkommen für morgen und nahm nicht nur allein Grüße, sondern auch ein paar Zuckerstücke für die neuen Freunde draußen mit. Dann nahm er Abschied von Christli, als ginge er auf eine Weltreise.

Kasperle wurde draußen von seinen Freunden mit lautem Jubel empfangen. »Ich führe dich,« riefen sie alle vier zugleich.

Ein paar Minuten zerrten und rissen sie an Kasperle herum, bis der sagte: »Zwei können mich am Jäckle anfassen, dann geht’s.«

Oh, war Kasperle gescheit! Fritzle und Hansjörg kriegten je eine kleine dicke Kasperlehand, Maxel packte Kasperle an den Höslein, Friedel nahm das Jäcklein wie einen Zügel, und dann trabten sie alle vier los, erst langsam und feierlich, damit auch jeder sehen konnte, wer da kam.

Es sah es aber niemand, denn der Platz war wie leergefegt. An Professor Schnappels Haus gab es ein heftiges Rennen und Schreien, und weil sie alle so im Schuß waren, rannten sie an Meister Severins Hause vorbei und rannten natürlich den einzigen Menschen an, der gerade um diese Zeit über den Kirchplatz ging. Das war ausgerechnet der Herr Bürgermeister. Puff! erhielt der einen Stoß vor den Bauch. Er drehte sich gleich rundum, und dann sah er nur noch die letzten Bubenbeine in Meister Severins Haus hineinlaufen. »Das war wieder dies vermaledeite Kasperle; immer stößt er mich,« brummte er. »Muß der Schlingel gerade hierherkommen! Nichts wie Ärger werde ich von ihm haben. Und die Prinzessin Gundolfine –« Weiter sagte der dicke Bürgermeister nichts. Das andere dachte er sich; was er sich aber dachte, erfuhr an diesem Tage kein Mensch, selbst seine liebe Frau nicht. Dabei hatte ihm diese sein allerbestes Lieblingsessen, Klöße mit Kraut, gekocht.

Im Hausflur verabschiedete sich inzwischen Kasperle von seinen neuen Freunden. Die versprachen ihm, ihn morgen nach der Schule abzuholen, und dann wollten sie zusammen wieder Meister Christoph besuchen. Wann die Schule aus war, wußten sie nicht genau. An diesem Tage hatten sie früher frei bekommen, weil ein Lehrer erkrankt war.

»Vielleicht ist morgen wieder einer krank,« sagte Hansjörg hoffnungsvoll.

Dann trennten sie sich, denn im Hause wurde Kasperle gerufen. Frau Liebetraut hatte das Geschwätz vernommen, und sie rief etwas ängstlich Kasperles Namen.

Da kam der eilig gerannt, erzählte vergnügt seine Erlebnisse und sagte zuletzt: »Hoffentlich ist morgen ’n Lehrer krank!«

»Aber Kasperle, das war bös!«

Kasperle sah Frau Liebetraut ganz erschrocken an. Böse wollte er doch nicht sein! Kleinlaut brummelte er: »Na, ’s Bäuchle könnt‘ ihm doch ein bißchen weh tun!«

»Wenn es nur dir nicht weh tut, heute! Es gibt nämlich dein Lieblingsessen, Griesbrei mit Blaubeeren.«

Da schmauste Kasperle genau so wie der Herr Bürgermeister von Torburg an diesem Tag sein bestes Lieblingsessen. Doch er saß nicht stumm und feierlich am Tisch wie dieser, er schwätzte, und es war ein Wunder, daß der Himmel blau blieb, daß Kasperle nicht alles Blaue herunterschwätzte.

Des Herzogs Geburtstag

Die Prinzessin Gundolfine war eine Langschläferin. Es paßte ihr gar nicht, daß der Herzog an diesem Tage so früh aufstehen wollte. Nur auf die Überraschung mit Kasperle freute sie sich. Der Herzog hatte nämlich vor einigen Wochen, als die Prinzessin Maria den Fürsten von Wolkenstein geheiratet hatte, zu ihr gesagt: »Wenn du mir das Kasperle wieder verschaffst, dann heirate ich dich.«

Seitdem hatte die Prinzessin nur immer daran gedacht, wie sie wohl Kasperle herbeischaffen könnte. Nun endlich, dachte sie, ist es gelungen! Und wenn ich erst Herzogin bin, dann wird das Kasperle wie ein Papagei in einen großen Käfig gesteckt, meinetwegen von Gold, aber ein Käfig muß es sein.

Der Herzog stand auf, und die Prinzessin stand auf, und Kasperle saß im Wagen, den man in einen Schuppen gefahren hatte, und seufzte. Aber schließlich, wenn man ein Kasperle ist, kann man sich auch in einem Wagenschuppen umschauen. Da das Tor geschlossen blieb, kletterte Kasperle aus dem Wagen heraus; er erblickte eine Leiter, entdeckte eine offene Fensterluke und sah von da aus in die Wipfel einer großen Linde. In deren Zweigen sangen die Vögel ihr frohes Morgenlied, und sie waren sehr verwundert, als auf einmal ein Kasperle den Lindenstamm hinabrutschte.

Kasperle hatte gesehen, daß die alte Linde im Burggraben stand. In dem wucherte Gestrüpp durcheinander, und niemand kam jemals dahin. Aber von dem Burggraben aus konnte man gut am Blitzableiter in die Höhe klettern. Kasperle schaute sich um, alles war still, noch ein bißchen dämmerig. Ob er es wagen sollte?

Auf einmal fiel ihm etwas ein. Er kletterte schnell die Linde wieder empor und kehrte in den Wagenschuppen zurück. Dort schob er erst einen großen Riegel vor das Tor; nun konnte niemand den Wagen herausholen und wegfahren. Dann nahm Kasperle das graue Tuch der Gräfin, und wenn nun jemand hingesehen hätte, dann hätte er ein graues Gespenstlein erblickt, das an einem Blitzableiter emporkroch.

Freilich, Kasperle merkte bald, die Zimmer der Prinzessin erreichte er nicht; er sah aber über sich ein Fenster offen stehen, und die Neugier hineinzuschauen plagte ihn arg.

Auf seiner Kletterfahrt kam er auf einmal an einem Mauerloch vorbei. Himmel, erschrak Kasperle!

Im ersten Augenblick dachte er: Da sitzt die Prinzessin Gundolfine. Es war aber nicht die Prinzessin, was ihn da anglotzte, sondern eine große Schleiereule. Die war nicht minder erschrocken als das Kasperle, und ein paar Minuten starrten beide sich ängstlich an.

Doch die Eule war eine brave Person, die schon Kinder hatte und nicht an Dummheiten dachte wie das Kasperle; aber was ihr nun passierte, das ärgerte sie gewaltig. Kasperle warf unversehens einen Zipfel des grauen Tuches über sie, und wutsch! hatte er die arme, gute Eule gepackt. Die dachte: Er dreht mir den Hals um.

So schlimm war aber das Kasperle doch nicht; er schleppte nur die Eule die Mauer mit hinauf und ließ sie oben in das offene Fenster hineinfallen. Plumps! sank die gute Eule in einen großen, feierlich geschmückten Saal hinein. Kasperle aber glitschte blitzschnell an der Mauer entlang in den Burggraben hinunter. Er war ein bißchen enttäuscht. Was die Eule oben machte, wußte er nicht, er hörte auch keinen Schreckensruf, nichts. Unten überlegte er sich, ob er im Graben weiterlaufen sollte. Aber da hörte er Stimmen, und voller Angst rutschte er die Linde hinauf und hastete im Schuppen die Leiter hinab, schob den Riegel zurück und lag glücklich im Wagen, als draußen Schritte näher kamen.

Zwei herzogliche Kutscher traten in den Schuppen. Der eine nahm die Leiter und brummte dabei: »Wer hat die nun gerade an das Fenster gestellt?«

»Weißte was,« rief ihm der andere zu, »wir kriegen Hochzeit im Schloß! Der Herzog heiratet die Prinzessin Gundolfine.«

»Na, die möchte ich nicht geschenkt haben!« brummte der erste. »Und überhaupt, wenn, ich in deiner Haut stecken würde, dann schämte ich mich arg. Hast das arme Kasperle gefangen, schäme dich nur!«

»Ach was,« rief der zweite, »so ’n Irrwisch! Um den ist’s nicht schade.«

Oho, dachte Kasperle, warte nur! Und gleich schaute er sich heimlich um, ob er dem bösen Kutscher nicht irgend etwas an den Kopf schmeißen könnte. Doch zum Glück fiel ihm noch ein, daß er sich dann verraten würde.

»Hilf mir mal die Leiter tragen!« rief der erste Kutscher. Er packte die Leiter und ging voran, der zweite folgte. Da nahm Kasperle ganz flink eine Latte, die neben dem Wagen lehnte, und steckte sie dem zweiten, der nur vorwärts, nicht aber um sich schaute, zwischen die Beine, und pardauz! da lag er.

»Was machst du denn?« rief sein Gefährte.

»Ich bin über etwas gefallen, irgend etwas ist mir zwischen die Beine gefahren,« stöhnte der Kutscher. »Uff, da eine dumme Latte war es!«

»Deine Ungeschicklichkeit war es,« brummte der andere und sah sich ganz böse nach ihm um.

»Ich kann nichts dafür! Au weh, au!« Der Kutscher stöhnte, sein Gefährte brummte, und endlich verließen beide den Schuppen. Sie schlossen ab, und Kasperle war wieder allein. Der hatte aber keine Lust mehr zu neuen Taten, der kicherte in sein Tuch hinein. Der Herzog kriegte die Prinzessin Gundolfine zur Frau, – oje, wie mochte es ihm da ergehen! Ein ganz, ganz klein wenig tat dem Kasperle sogar der Herzog leid. Wie ungut die war, wußte der Herzog gewiß gar nicht. Schade nur, daß er, Kasperle, zur Verlobung nicht ein bißchen im Schloß herumgeistern konnte! Er wickelte sich in sein Tuch und dachte über allerlei nach, und dabei schlief er ein.

Im Schloß wurde es inzwischen immer lebendiger. Die Prinzessin Gundolfine hatte zu dem hohen Festtag ihr allerschönstes Kleid angezogen; sie kam sich selbst ungeheuer schön vor, als sie so vor dem Spiegel stand. »Ruf den Haushofmeister!« befahl sie einer Kammerfrau. »Flink, flink, er soll mir jetzt Kasperle bringen!«

»Er ist nicht da,« sagte die Kammerfrau.

»Wo, was ist nicht da? Am Ende Kasperle? Ist’s gar ausgerissen!« schrie die Prinzessin zornig.

»Nein, der Haushofmeister ist nicht da, und Kasperle habe er gut aufgehoben.«

»Ich will ihn aber haben!«

Da liefen zwei Kammerfrauen weg, zwei Diener liefen weg, und von Zeit zu Zeit meldete jemand: »Wir finden ihn nicht.«

»Potz Wetter, ein Haushofmeister ist doch keine Stecknadel!« Die Prinzessin war schon ganz grüngelb vor Ärger geworden.

»Der Herr Herzog läßt sagen, die Prinzessin möchte gleich kommen; er geht in den Festsaal,« rief draußen jemand.

»Der Haushofmeister läßt sagen, er habe Kasperle schon im Festsaal aufgestellt,« rief eine Kammerfrau.

»So ein Dummkopf! Ich will Kasperle haben.«

»Der Haushofmeister kann nicht kommen, und der Herzog geht in den Festsaal,« meldete ein Diener.

»So ein Schafskopf!«

»Die Prinzessin hat den Herzog Schafskopf genannt,« so tuschelte eine Hofdame der andern zu. »Unerhört!«

Die Prinzessin stampfte mit dem Fuße auf. »Stille, ich will Kasperle!«

»Der sitzt im Festsaal, und der Herzog hat gesagt, wenn die Prinzessin nicht gleich komme, gehe er allein.«

Ja, da mußte die Prinzessin Gundolfine schon gehen. Sie versuchte ein freundliches Gesicht zu machen, aber als sie in des Herzogs Zimmer trat, flüsterte ein vorwitziger junger Graf seinem Nachbar zu: »Sie sieht aus wie eine Essigpfanne.«

Brrr, dachte auch der Herzog, heute sieht meine liebe Base einmal wieder wüst aus! Gut, daß ich sie nicht heiraten muß!

»Ich habe eine große Überraschung für dich, August Erasmus,« flüsterte die Prinzessin dem Herzog zu, »du wirst staunen.«

Der Herzog lächelte sauersüß. Die Überraschungen seiner Base waren immer etwas sonderbar. Sie strickte ihm Schlafmützen, die ihm bis über die Nase fielen, und verlangte dabei auch noch, er solle die Mützen tragen. Einmal hatte sie ihm Pantoffeln gestrickt, da hatten ihm die Füße wehe getan, so eng waren sie, und einmal hatte sie ihm eigenhändig einen Kuchen gebacken und aus Versehen einen halben Quirl und einen Teelöffel mit hineingebacken. Da war er beinahe erstickt.

»Du freust dich wohl sehr?« flüsterte die Prinzessin.

»Nein,« brummte der Herzog. Er tat dies aber leise, und niemand hörte es.

Bumbum, trara, bumbum, trara! Die Musik fing an zu spielen, und der Herzog sagte feierlich: »Wir wollen in den Festsaal gehen. Dort mögen mir alle Glück wünschen!«

»Und dort ist meine Überraschung,« rief die Prinzessin. Sie klatschte in die Hände wie ein Kind, und der dicke Oberstallmeister sagte halblaut: »Sie wird immer verdrehter.«

Weil die Prinzessin aber scharfe Ohren hatte, hörte sie das wohl, und sie dachte: Na, warte du, wenn ich erst Herzogin bin, dann wirst du verbannt.

Am Saaleingang stand der Haushofmeister und machte die Türen weit auf. Er guckte in die Luft, als wäre er stocktaub, als die Prinzessin im Vorbeigehen zischte: »Wo ist Kasperle?«

Im Saal stand des Herzogs Thron unter einem roten Baldachin, und daneben stand ein tiefer Lehnsessel für die Prinzessin. Der Herzog nahm Platz, und die Prinzessin wollte es auch tun, aber sie prallte mit einem Schrei zurück, denn ganz in der Ecke ihres Sessels saß eine Eule, die funkelte sie böse an. »Eine Eule, eine Eule!« kreischte die Prinzessin.

Alle starrten verdutzt auf die Prinzessin. War die verdreht geworden?

Der gute Oberstallmeister wollte leise etwas sagen, aber leider lief ihm seine Stimme davon, und er schrie in den Saal hinein: »Sie ist selbst ’ne Eule!«

»Nein, wie komisch: eine Eule!« quiekte ein junges Hoffräulein. Da ging ein Hofjunker auf den Stuhl zu, hob die Eule auf und trug sie mitten durch den Saal. Und weil er ein Flausenmacher war, rief er: »Platz da, das ist gewiß eine verzauberte Prinzessin!«

»Und die Prinzessin ’ne verzauberte Eule.« Der Oberstallmeister hielt sich zwar selbst den Mund zu, aber das böse Wort war schon heraus.

Die Eule flatterte draußen ängstlich am Fenster herum. Die Hoffräuleins kicherten, die Junker platzten bald auseinander vor Lachen, die Prinzessin sah wütend drein, und der Herzog ärgerte sich.

Da kam der Haushofmeister durch den Saal, trug den verhüllten Christli und rief laut: »Dies hat die Prinzessin gestern für unseren Herrn Herzog zur Geburtstagsüberraschung – geraubt.«

»Geraubt?« rief der Herzog, während die Prinzessin dem Haushofmeister einen bitterbösen Blick zuwarf. Sie lächelte aber sehr süß und sagte: »Es ist Kasperle.« Dabei zog sie die Decke weg, die über Christli hing.

»Nein,« rief da eine warme, gute Stimme, »es ist Prinz Christli, des Herzogs Neffe, der geraubt worden ist, seines Bruders einziges Kind.«

»Christli!« rief der Herzog, der das Prinzlein wohl erkannte.

»Nein, es ist Kasperle,« kreischte die Prinzessin. »Er macht nur ein Gesicht wie Prinz Christli.«

Aber alle im Saal riefen plötzlich: »Prinz Christli!« Denn daß Christli mit seinen langen, blonden Locken und seiner weißen, zarten Haut nicht das etwas struppige, braune Kasperle war, das sah doch jeder.

»Christli,« stammelte der Herzog, »wie kommst du hierher? Du – willst mir wohl – gratulieren?«

»Nein,« sagte Christli ganz trotzig und steif, »man hat mich gestohlen.«

Und da stand auf einmal hoch und schlank die Gräfin Agathe neben dem Prinzlein, und sie erzählte laut, was gestern geschehen war.

Die Prinzessin Gundolfine kreischte: »Ich falle in Ohnmacht!« Es kümmerte sich aber niemand um sie.

Der Herzog sah ganz käseweis aus. Seines einzigen Bruders Kind hatte man geraubt! Und wenn es nach der Prinzessin gegangen wäre, dann hätte Christli die ganze Nacht in einem feuchten Kellerloch gesessen. Er sah den zarten, blassen Christli an, und als die Gräfin geendet hatte, streckte er die Hand aus und sagte: »Mein armer Junge, komm, gib mir die Hand! Ich bin dein Oheim.« – »Guter Oheim« wollte der Herzog eigentlich sagen, ihm fiel aber ein, daß er bisher gar nicht gut zu seinem Bruder und zu Christli gewesen war.

Und da geschah etwas, das dem Herzog noch nie passiert war: Seine Hand wurde nicht ergriffen. Christli schmiegte sich an die Gräfin an und bat: »Wir wollen heimfahren. Ich will nicht hier bleiben, der Herzog ist böse.«

Die Gräfin nickte, und dann sagte sie wieder ganz laut: »Dem Christli und seinem Vater ist ein Unrecht geschehen; wer aber ein Unrecht wieder gutmachen will, der muß abbitten. Solange die Base Gundolfine am Hofe weilt, ist eine Versöhnung nicht möglich.«

»Dann wird es nie sein,« rief die Prinzessin Gundolfine, »denn der Herzog heiratet mich.«

»Nein, nein,« rief der Herzog, »das tu‘ ich nicht!« Und beinahe wäre er vom Thron gepurzelt vor Schreck. »Sie ist verbannt, ich verbanne die Prinzessin Gundolfine auf ewig, auf ewig,« rief er. »Sie darf nie, nie wieder nach Burg Himmelhoch kommen.«

»Hurra!« Der alte, dicke Oberstallmeister konnte nicht anders, als vor Freude hurra rufen. Und auf einmal riefen alle mit: »Hurra, hurra, die Prinzessin muß fort! Hurra, sie ist verbannt!«

Jemine, dachte der Herzog, das wußte ich noch gar nicht, daß sie so unbeliebt ist! Er stippte mit seinem goldenen Stock auf den Boden auf und rief: »Man bringe sie gleich weg!«

»Ich falle in Ohnmacht,« rief die Prinzessin nun wieder, und bums! da lag sie starr und steif.

Aber das war doch sonderbar, niemand glaubte an die Ohnmacht. Ein junger Hofjunker zog sogar flink eine Blume aus einem der Riesengeburtstagssträuße und kitzelte damit die Prinzessin an der Nase. »Hazzi, hazzi!« Sie nieste mächtig, und der Herzog sagte: »Also sie ist nicht ohnmächtig und kann atmen. Damit basta! Man spanne ihren Reisewagen an! Du siehst, Christli –«

Da waren die Gräfin und Christli verschwunden; ganz still waren beide aus dem Saal gegangen, und der Haushofmeister hatte gesagt: »Veit, laß flink den Wagen anspannen, auch die Reisewagen der Prinzessin!«

Veit war sehr froh, daß die böse Prinzessin das Schloß verlassen mußte. Er lief darum hinab, und Kasperle, der eben eingeschlafen war, erwachte von einem lauten Gerumpel. Er wickelte sich ganz fest in die Decke, denn er bekam plötzlich eine schreckliche Angst. Aber da hörte er eine ihm wohlbekannte Stimme sagen: »Na, endlich ist die böse Prinzessin Gundolfine verbannt!«

»Ja,« sagte jemand anders, »man sah gleich, daß es heute nicht gut ausgehen würde, als die Eule auf der Prinzessin ihrem Stuhle saß.«

»Horch mal! Was war denn das?« rief ein dritter.

»Es war, als ob jemand gelacht hätte,« meinte Veit.

»Ich weiß nicht, es ist heute nicht richtig im Wagenschuppen,« sagte ein anderer. »Vorhin hat schon die Leiter ganz falsch gestanden, und dann ist der Jakob über eine Latte gefallen, – ganz komisch war es.«

Kasperle stopfte sich die Decke in den Mund, um nicht herauszuplatzen. Die Prinzessin Gundolfine verbannt, die Eule hatte auf dem Stuhl gesessen, – fein war das!

»So,« sagte jemand, »nun ist der Wagen sauber. – He, Fritz, wo bist du denn? Wir wollen erst den Wagen der Prinzessin hinausfahren, damit sie nur schnell fortkommt.«

Veit lief hinaus, der andere folgte ihm, und ein paar Minuten war es leer im Schuppen. Ein paar Minuten genügen aber einem Kasperle schon, wenn er ein Streichlein verüben will. Hopps, heraus! Er sah am Boden einen kleinen Eimer stehen und dachte: Es ist der Wassereimer, nahm ihn und goß ihn flugs in den Wagen aus, gerade über den Sitz.

Da polterte es auch schon wieder draußen, Fritz und sein Kollege kamen, und Fritz sagte: »Erst müssen wir rasch den Wagen der Gräfin herausfahren, der Haushofmeister sagt, sie habe Eile.« Und dann ging es holter, polter; rissel-rassel wurde der Wagen hinausgefahren. Meister Severin kam und sagte, man müsse die Räder ein wenig schmieren.

Fritz lief in den Schuppen, er kam mit einem Eimer zurück, und Kasperle hörte ihn sagen: »Na, das ist doch kurios! Heute früh war der Eimer noch voll Wagenschmiere, und nun ist er beinahe leer.«

Kasperle erschrak. Himmel, da hatte er gar der Prinzessin statt Wasser Wagenschmiere in den Wagen gegossen! Na, das konnte ja gut werden!

Aber Herr Severin ahnte etwas. Er rief: »Schnell, schnell, wir müssen fort! Mögen die Räder etwas quietschen!«

Die Gräfin und Christli kamen, und heidi! fort ging es, über die Brücke hinweg, die Landstraße entlang. Auf einmal zupfte jemand Christli, und unter dem Sitz hervor blickte Kasperle den Freund vergnügt an.

»O Kasperle! Du?« Da gab es eine freudige Begrüßung, gab ein Hin und Her von lustigen Reden, und auf einmal sagte Kasperle: »Jetzt sitzt sie in der Wagenschmiere.«

»Wer denn, Kasperle?«

»Die Prinzessin,« sagte Kasperle und erzählte, wie er statt Wasser einen Eimer Wagenschmiere in den Wagen der Prinzessin gegossen hatte.

»O Kasperle!«

Da drehte sich Herr Severin auf dem Bock um und fragte: »Und die Eule, Kasperle?«

»Auf den Stuhl hab‘ ich se nicht gesetzt,« murmelte Kasperle, »nur –«

». . . hineingelassen. O du schlimmes, schlimmes Kasperle!«

Leider war das Kasperle gar nicht sehr betrübt, sondern purzelvergnügt. Es hatte Christli wieder, und der sah auch glückselig drein. Es wurde eine lustige Fahrt heimwärts nach Torburg.

Inzwischen saß die Prinzessin Gundolfine wirklich in der Wagenschmiere, saß darin in ihrem allerschönsten Festtagskleid und erhob solch ein Zetergeschrei, daß selbst der Herzog August Erasmus angelaufen kam. Der wurde arg böse, schalt gar nicht geburtstäglich und befahl schließlich, Fritz und Jakob, die beide den Schuppen zu beaufsichtigen hatten, müßten eingesperrt werden. Eine ganz strenge Untersuchung sollte stattfinden.

Da sah der alte Haushofmeister erst nach der Uhr und dachte: Nun sind sie schon der Grenze nahe, und dann sagte er: »Mit Verlaub, ich glaube, das mit der Wagenschmiere war Kasperle.«

»Ha, ich hab’s gleich gesagt, es war doch nicht Prinz Christli, sondern Kasperle! Er hat nur so ein Gesicht gemacht,« kreischte die Prinzessin.

»Nein, ich glaube, Kasperle hat im Wagen gesteckt,« sagte der alte Haushofmeister. »Ich habe zuletzt, als der Wagen schon abfuhr, lachen hören.«

»Ich auch,« rief Veit.

»Ich auch.« Und nun erzählte Fritz, was alles für sonderbare Dinge in dem Schuppen vor sich gegangen waren.

»Das war Kasperle,« rief der Herzog. »Man soll eiligst reitende Boten hinterherschicken! Vielleicht fangen sie ihn noch.«

»Und ich bleibe da,« rief die Prinzessin.

»Nein, du fährst!« Diesmal machte der Herzog ein sehr böses Gesicht. Er tippte die Prinzessin an, die sank in die Wagenschmiere zurück und schrie: »Ich kann nicht, ich klebe, ich klebe!«

Der Herzog seufzte tief; nun wurde er die Prinzessin doch nicht los. Aber da winkte der Haushofmeister, der Kutscher fuhr an, und soviel die Prinzessin auch schrie und zappelte, sie klebte und konnte nicht aus dem Wagen springen. Der rollte und rollte durch das Land, bis Burg Himmelhoch weit, weit hinter der Prinzessin lag.

Des Herzogs Landjäger aber ritten bis an die Landesgrenze, ohne Kasperle zu finden. Der fuhr gerade in Torburg ein, fuhr dem Herrn Bürgermeister vor der Nase vorbei, und der ärgerte sich so, daß er Bauchweh bekam und sich ins Bett legte. Er ahnte nicht, daß sich der Herzog August Erasmus auch ins Bett legte vor Ärger über Kasperle. Der Unterschied war aber der: der Herzog ärgerte sich, weil Kasperle nicht da war, und der Bürgermeister, weil Kasperle wieder da war.

Den Herzog ärgerte aber noch etwas anderes, nein, das tat eigentlich weh. Es ging ihm wie Kasperle, er dachte, ihm täte sein Bauch weh, und dabei zwickte und zwackte es doch an seinem Herzen herum. Christli hatte ihm die Hand nicht gegeben, die Gräfin Agathe hatte ihm nicht Lebewohl gesagt, und in Torburg saß sein einziger Bruder und zürnte ihm. Er muß zu mir kommen, ich bin älter und bin Herzog, das hatte August Erasmus schon oft gedacht; aber heute redete immer so ein freches kleines Herzstimmlein dazwischen: »Du hast Unrecht, du, du, du! Sieh einmal, wie böse du bist; nicht einmal Kasperle will bei dir bleiben!«

Dies Gerede war dem Herzog sehr unbequem.

»Dumm, dumm, dumm!« brummte er, drehte sich rechts und drehte sich links, schlief aber nicht ein. Er hatte nicht einmal zuviel Geburtstagskuchen gegessen, die Prinzessin war er auch los, aber er schlief nicht, – zu seltsam war es.

Desto besser schlief Kasperle. Wie ein Säcklein schlief der, und am nächsten Morgen ging es wieder in den Garten. Diesmal ging auch die Gräfin Agathe mit, und es wurde wieder sehr gemütlich.

Weniger gemütlich war es dem Bürgermeister zumute. Zu dem waren der Fürst und Meister Severin gekommen und hatten ihm gesagt, er trage mit Schuld, sie wollten ihn beim Fürsten von Wolkenstein verklagen. Da bettelte und bat der Bürgermeister, der Fürst möge ihm verzeihen, er versprach auch, nie mehr dem Kasperle nachzustellen. Schließlich taten es der Fürst und Meister Severin auch, und als die Gräfin mit den drei guten Kameraden auf dem Heimweg den Bürgermeister traf, da grüßte der das Kasperle noch einmal ganz besonders, und die alte Obstfrau am Tore rief: »Nee, mit Kasperle ist das kurios! Der wird wie ’n vornehmer Herr behandelt. Nächstens wird er noch hochmütig und kennt unsereins nicht mehr.«

Na, da irrte sich die gute Frau aber gewaltig. Kasperle kannte sie ganz genau, und er schleckte auch ihre Zuckerstangen noch immer so gern. Ja, an diesem Tag machten die Kinder sogar alle drei einen großen Einkauf bei ihr, denn sie hatten noch immer ihr Jahrmarktsgeld. Davon kauften sie sich allerlei gute Dinge, und Kasperle sagte: »Morgen kommen wir wieder.«

Als Kasperle aber am nächsten Morgen noch im Bett lag, da rumpelte und trappelte es über den Kirchplatz. Neugierig steckte Kasperle seine Nase zum Fenster hinaus. »Hach!« Da lag Kasperle, und gleich darauf durchhallte ein schauerliches Geheul das Haus, und selbst Meister Friedolin, der nicht mehr sehr gerne Treppen stieg, lief hinauf, um zu sehen, was denn mit Kasperle geschehen war.

Der lag am Boden, strampelte mit Armen und Beinen, schrie und heulte, und als Meister Severin ihn nur anfaßte, brüllte er gleich los: »Ich gehe nicht mit, ich gehe nicht mit!«

»Aber Kasperle, was fehlt dir denn?« Sie trösteten alle an dem kleinen Schelm herum, selbst Frau Liebetrauts kleine Mädelchen waren gekommen, um ihr Kasperle zu trösten. Doch der brüllte weiter.

Endlich, endlich verstand Herr Severin, der Herzog sei gekommen. »Aber doch nicht zu dir! Zu seinem Bruder, du dummes Kasperle!«

So war es auch. Der Herzog August Erasmus war wirklich gekommen, um seinen Bruder um Verzeihung zu bitten. Er wollte auch das Kasperle sehen.

Jawohl, wo war Kasperle? Verschwunden war er, spurlos verschwunden. Alle sagten: »Vorhin war er noch da,« aber niemand sah Kasperle. »Er ist ausgerissen,« meinte Frau Liebetraut erschrocken.

»Vielleicht ist er im Garten bei Meister Helmer,« sagte Herr Severin.

Hierhin und dahin wurde geschickt, der Bürgermeister ließ die ganze Stadt absuchen, ließ Kasperle sogar ausklingeln – es blieb verschwunden. Von nebenan suchte Dörte mit. Sie hatte ganz verweinte Augen und sagte ein paarmal: »Mein Herr Professor hat doch gar kein Herz; der studiert den ganzen Tag, und wenn ich rufe: ‚Kasperle ist weg,‘ sagt er allemal: ‚Der wird schon wiederkommen!‘«

Die ganze Stadt geriet in Aufregung. Jeder suchte, jeder fragte: »Ist Kasperle gefunden?«

Niemand fand ihn. Schließlich sagte der Herzog: »Gewiß hat ihn die Base Gundolfine gefangen. Ich muß abreisen und überall nachforschen lassen.«

Und dann nahm er einen sehr herzlichen Abschied von seinem Bruder, sie waren nun beide wieder versöhnt miteinander. Auch von der Gräfin und Christli und dem feinen Marlenchen nahm er Abschied. Die beiden weinten um die Wette, der Herzog wußte aber ganz gut, daß die Tränen nicht ihm, sondern dem verlorenen Kasperle galten. Er versprach ihnen darum auch: »Ich lasse es gleich sagen, wenn ich Kasperle gefunden habe.«

»Ach!« Marlenchen seufzte schwer, und als der Herzog fragte: »Warum?« antwortete sie traurig: »Das arme Kasperle wird sicher wieder in den Turm oder in ein Kellerloch gesteckt.«

»Nein,« sagte der Herzog ärgerlich, »das tue ich nie mehr. Wenn Kasperle wieder da ist, sagt ihm viele Grüße, und – ich habe ihn sehr lieb.«

Dann fuhr der Herzog ab, und in Torburg suchten sie weiter nach Kasperle. Kein Winkel blieb undurchsucht, und Christli und Marlenchen saßen weinend im Garten beisammen. Der Fürst und Meister Severin waren gerade zurückgekommen und sagten: »Kasperle ist wirklich verschwunden!«

Und just da, pardauz! schoß das Kasperle purzelvergnügt über die Mauer.

»Kasperle, wo kommst du her? Kasperle, wo hast du gesteckt?«

»Bei mir war er,« sagte von drüben der Professor. »Kasperle hat den ganzen Tag – gelesen.«

»Nä, geschlafen,« rief Kasperle, »und geträumt.«

»Was hast du denn geträumt?« fragte Frau Liebetraut, die mit der Gräfin auch im Garten war.

»Von ’ner Insel. Da gefällt’s mir.«

»Aber Kasperle, du hast doch immer in dem alten Buch gelesen!« rief der Professor.

»Nä, geträumt.«

Kasperle reckte und streckte sich, und Marlenchen sagte ängstlich: »Kasperle reißt doch noch einmal aus.«

»Ich bleib hier,« rief Kasperle vergnügt.

»Aber der Herzog, mein Bruder, hat dich eingeladen.« Der Fürst lachte.

»Ich geh‘ nicht hin,« – Kasperle schnitt gleich ein Teufelsräubergesicht – »ich bleib hier.«

»Ist recht,« sagte der Professor, »und wenn sie dich wieder einmal fangen wollen, dann setze ich dich wieder in meine Bücherstube wie heute.«

»Ja, Kasperle bleibt hier!« Marlenchen und Christli schmiegten sich an den kleinen Freund an, und draußen auf dem Kirchplatz brüllten auf einmal viele, viele Stimmen: »Kasperle ist wieder da, hurra, hurra!« Dörte hatte es ihnen gesagt, und Hansjörg schrie so, daß ihm sämtliche Hosennähtle platzten: »Hurra, unser Kasperle ist wieder da!«

Kasperles frühere und spätere Erlebnisse und Abenteuer erzählt Josephine Siebe in den folgenden, ebenfalls im Herold-Verlag Levy & Müller in Stuttgart erschienenen Bänden: »Kasperle auf Reisen«, »Kasperle auf Burg Himmelhoch«, »Kasperles Schweizerreise«, »Kasperle im Kasper-Land«, »Kasperle ist wieder da!«, »Kasperles Spiele und Streiche«.