Am nächsten Tag rief drüben der Professor Schnappel: »Kasperle komm!« Doch Kasperle dachte an die Base Mummeline und schüttelte den Kopf. Wenn aber einer jenseits der Mauer steht, kann er das Kopfschütteln nicht sehen. Der Professor rief also noch dreimal, und da Kasperle immer nur kopfschüttelte, ging der gelehrte Herr selbst ins Nachbarhaus, um nach Kasperle zu sehen. Er dachte schon, der sei krank geworden von dem gestrigen Schreck. Aber Kasperle saß vergnügt auf dem Rasen, ließ sich von der Sonne bescheinen und war mehr denn je aufgelegt zu einem dummen Streichlein. Als er den Professor kommen sah, schnitt er gleich ein Gesicht wie die Base Mummeline und fragte: »Ist se noch da?«
»O du lieber Himmel!« rief der Professor. »Jetzt dachte ich schon, die alte Kräuterfrau säße da. Bist du ein seltsames Ding! Komm mit, komm mit, ich muß dich studieren!«
»Gibt’s dabei was zu essen?« fragte Kasperle vorsichtig.
»Freilich, freilich! Dörte kann dir Küchlein backen oder sonst etwas holen, was du willst.«
Da war es Kasperle zufrieden, und ehe noch der Professor recht ausgesprochen hatte, purzelbaumte Kasperle schon über das Mäuerlein, diesmal ohne ein Unheil anzurichten. Es war niemand und nichts im Garten, auf das er fallen konnte, also fiel er etwas unsanft auf seine Nase. Es bedauerte ihn aber auch niemand darum, denn der Professor brauchte länger zu dem Weg als der kleine Schelm. Und als der gelehrte Herr kam, kauerte Kasperle gerade vor einem großen, runden Glase, in dem sich allerlei Schlänglein herumwanden.
Kasperle tippte mit dem Finger auf das Glas; das sollte eine Frage sein.
»Daran studiere ich,« brummelte der Professor. »Nun komm hinüber, Kasperle; ich habe heute meinen Arbeitstisch auf der andern Seite stehen. Heute ist nämlich mein lateinischer Tag, und drüben ist Rom.«
Da sperrte Kasperle den Mund himmelweit auf. Daß einer einen guten oder einen unguten Tag hatte, verstand er. Warum einer aber einen lateinischen Tag hatte, das ging nicht in seinen Kopf.
Der Professor dachte: Ich muß es ihm erklären, und er sprach bedächtlich davon, einen Tag bringe er immer in Rom zu, einen in Alexandrien, einen in Athen, einen gar in Paris. »Das war gestern, als du mir in die Tinte fielst. – Siehst du, da ist Rom, dort liegt Athen und –«
»Das ist fein!« schrie Kasperle und kugelte, rollte und purzelbaumte im Umsehen von Rom nach Athen. Weil es aber in Athen nichts zu essen gab, kam er geschwinde nach Rom zurück.
»Ein höchst merkwürdiges Ding! Ich muß es genau studieren.«
»O jegerle!« kreischte die Magd Dörte, die gerade in Rom das Frühstück auftrug, und dann rannte sie geschwinde davon.
»Sie fürchtet sich noch vor dir,« sagte der Professor. »Nun komm und iß!«
Fürchten tat sich die Magd Dörte gar nicht vor dem Kasperle. Das kannte sie gut von Protzendorf her. Dort hatte sie bei dem Bauer Strohkopf gedient, als das Kasperle mit seinem Freund Michele zur Gräfin Rosemarie reiste. Und als Kasperle dann von dem Grafen von Singerlingen heimlich nach dem Waldhaus zurückgebracht wurde, da hatte ihr der gute Graf viele Geldstücke geschenkt. Sie wußte wohl, Kasperle war es, der dem Grafen von ihr erzählt hatte. Seitdem hatte sie das Kasperle lieb und hätte ihm herzensgern einen rechten Gefallen getan. Nun aber war sie in großer Sorge um Kasperle.
Dörte saß am Küchenfenster und weinte, Kasperle schmauste, und der Professor studierte ihn. Der schrieb in ein dickes Buch: »Kasperle hat einen sehr großen Mund, in fünf, nein viereinhalb Minuten ißt er eine dicke Schnitte auf. Pudding – aber Kasperle!« schrie der Herr Professor entsetzt auf, »wo ist der Pudding hin?«
»Aufgegessen,« rief Kasperle so laut, just als könnte der Professor nichts mehr hören.
»Aufgegessen?« Der Professor sah verdutzt den Teller an, Kasperle aber dachte: Das bißchen Pudding hat sich kaum gelohnt.
»Hm, ich wollte dich doch studieren!« Der Professor nahm ein Döschen Schokolade und sagte: »Nun sollst du mir mal dies essen; ich werde aufzeichnen, wie du Schokolade ißt.«
»Also!« Der gelehrte Herr nahm seinen Gänsekiel und begann zu schreiben. Kasperle nahm von der Schokolade und –
»Jemine, Kasperle! Wo ist denn nun wieder die Schokolade hin?«
»Aufgegessen.« Kasperle dachte wieder: »Es hat sich kaum gelohnt,« und der Professor sah noch verwunderter als vorher die kleine Schachtel an. »Hm, hm!« brummelte er, und dann gebot er: »Kasperle, iß alles auf!«
Ach ja, was war da noch viel zu essen! Ein Stückchen Käse, eine Scheibe Wurst, zwei Schnittchen. Eins, zwei, drei, hatte Kasperle alles hinabgeschluckt. Der Professor aber schrieb befriedigt in sein Buch: »Kasperle gehört unstreitig zur Familie der Vielfraße. Er ist aber doch anscheinend nicht dumm.«
Während der gelehrte Herr noch über diesen Satz nachdachte, war Kasperle vom Stuhl gerutscht, war aus Rom hinausgelaufen und kam nach Athen und von da an das Küchenfenster. Im richtigen Athen mochte das in Wirklichkeit nicht so schnell gehen, aber Kasperle flitzte sehr eilig auf des Herrn Professors Landkarte herum.
Am Küchenfenster saß Dörte und weinte. Es war ein rechtschaffenes, handfestes Heulen. Das weckte ein Echo. Kasperle war immer bereit, mitzulachen und mitzuweinen, und weil Dörte nun eben weinte, brüllte er gleich jämmerlich los.
Dörte fiel beinahe vom Stuhl vor Schreck, und der Herr Professor kam sehr flink aus Rom angelaufen, kam auch an das Küchenfenster, und gerade da sagte Dörte: »Kasperle, aber Kasperle, warum schreist du so? Kennst du mich denn nicht mehr?«
»Was ist das für ein Geflenne?« Der Professor war ärgerlich. Er nahm Kasperle und sagte: »Ich will dich doch studieren! Mit Dörte brauchst du nicht zu reden.«
Kasperle ließ sich auch wieder nach Rom führen. Er schaute sich nur noch einmal um, und da sah er Dörte allerlei Zeichen machen. Sie legte die Hand auf den Mund, deutete dann wieder in die Küche hinein und Kasperle dachte: Hach, ich soll was Gutes zu essen bekommen!
Da war er denn sehr vergnügt und saß ganz brav und still neben dem Professor. Der sagte: »Kasperle, erzähle mir etwas!«
Na, erzählen konnte Kasperle schon! Weil er aber die Geschichten gern in der Mitte anfing, sagte er: »Weil ich ihre Haube aufhatte, dachten sie, ich sei die Prinzessin. Brrr, nä, die möcht‘ ich nicht sein! Magst du sie sein?«
»Nein,« rief der Professor etwas erstaunt. »Aber sage einmal, wer ist denn die Prinzessin?«
»Na, eben ein Teufele ist sie!«
»Aber Kasperle!«
»Veit hat’s gesagt, sie sei ’n Drachen, sie sei greulich, sie sei schlimmer als ’ne Eule, sie sei –«
»Höchst seltsam!« brummelte der Professor.
»Nä, eklig ist sie!« schnatterte Kasperle. Und weil er einmal bei der Prinzessin war, kam er auch auf den Herzog August Erasmus. Und dabei schimpfte das Kasperle wirklich wie eine Elster, wenn ihr die Nachbarin das Essen vor der Nase wegschnappt.
»Aber Kasperle!« Der Professor kopfschüttelte immer mehr und sagte plötzlich streng: »Aber das ist ja frech! Der Herzog August Erasmus ist ein sehr vornehmer Herr, und nächstens werde ich ihn besuchen.«
»Hach!« Kasperle saß auf einmal unter dem Tisch. Er stöhnte schauerlich, und der Professor konnte locken, soviel er wollte, Kasperle kam nicht zum Vorschein. Dumpf fragte er von unten herauf: »Besucht er dich auch?«
»Bewahre,« rief der Professor, »er ist doch ein Herzog!«
»Ich kann ihn doch nicht leiden,« trotzte Kasperle auf.
»Komm jetzt hervor!« gebot der Professor streng.
Da kroch Kasperle endlich unter dem Tisch hervor. Und weil er dachte, es wäre gut, den Professor etwas zu unterhalten, fragte er: »Wollen wir mal Purzelbaum schießen?«
Nein, das wollte der Herr Professor ganz und gar nicht. Er wollte, daß Kasperle ungeheuer artig am Tisch sitze, um ihm etwas von den alten Römern erzählen zu können.
»Wo wohnen sie denn?« fragte Kasperle.
Und da der Professor vor Staunen über diese dumme Frage nicht gleich den Mund zubekam, rief Kasperle vergnügt: »Hach, ich weiß, du bist einer!«
Dies fand der Professor wieder ausnehmend gescheit von Kasperle, und just wollte er etwas antworten, als Dörte kam und den Herrn Bürgermeister meldete. Der komme in einer sehr wichtigen Angelegenheit.
»Geh nach Paris, Kasperle!« rief der Professor. – »Führe den Herrn hier nach Rom!« Der Professor sah auf einmal so steif und feierlich aus, daß Kasperle ordentlich Respekt vor ihm bekam. Er entwitschte darum eilig, aber er ging nicht nach dem Gartenwinkel Paris, sondern dachte an Dörtes merkwürdiges Winken und lief flugs in die Küche. Hops, pardauz! da war er drin, und Dörte ließ gleich einen Teller fallen.
»Kasperle, o Kasperle!« schrie sie, und gleich kamen ihr wieder die Tränen.
Kasperle guckte Dörte an, und Kasperle guckte die Scherben an. Ganz kläglich murmelte er: »’s war doch ’n alter!«
»Ach, mein Kasperle, um den Teller weine ich doch nicht! Um dich weine ich, weil du nun in Spiritus kommst.«
»Nä,« schrie Kasperle, »da will ich nicht rein!«
»Ach, du lieber Himmel, der Herr Professor setzt doch alles in Spiritus, was er studiert! Die Schlangen, die Frösche, sogar ’n jungen Fuchs hat er reingesetzt,« rief Dörte.
»Ich will nicht in Spiritus,« rief Kasperle, der gar nicht wußte, was Spiritus war. »Das – das ist mir zu langweilig.«
»Ach je, du dummes Kasperle! Wenn du im Spiritus sitzt, bist du doch tot!«
»Hach!« Kasperle fiel lang hin und schrie: »Mein Bäuchle tut weh, mein Bäuchle! Ich will nicht tot sein, ich will nicht in Spiritus sitzen.«
»Is auch nicht scheene,« sagte Dörte. »Aber, Kasperle, steh auf! Sag mal, kennst du mich denn nicht mehr?«
Erst schrie Kasperle: »Nä!« aber dann besann er sich und fiel Dörte heftig um den Hals. Die streichelte ihn lind und sagte: »Du gutes, liebes Zuckerkasperle du! Du sollst nicht in Spiritus sitzen. Komm, ich gebe dir noch einen Kuchen, und dann läufst du flink zu deinen Leuten und kommst nicht wieder. Der Herr Professor ist jetzt ganz unten im Garten.«
Sie holte zu Kasperles Freude den Kuchen und wollte Kasperle hinauslassen. Doch den plagte die Neugier. Er bettelte: »Zeig‘ mir mal, wie sie alle in Spiritus sitzen!«
»Kasperle, das geht nicht gut aus,« rief Dörte.
Aber Kasperle, der Luftikus, bettelte und flehte, und da führte ihn Dörte wirklich in des Professors Studierstube. Dort standen in hohen Gläsern auf einem Brett allerlei Tiere. Sie sahen ganz lebendig aus. Freilich, sie bewegten sich nicht, aber Kasperle tippte doch neugierig an die Gläser. Es kam ihm höchst seltsam vor, daß Dörte sagte, der Professor wollte ihn auch in ein solches Glas stecken.
»Brrr!« Kasperle schüttelte sich, und da rief Dörte: »O Kasperle, sie kommen! Flink, flink, springe zum Fenster hinaus!«
Das Zimmer hatte Fenster nach dem Garten und nach dem Kirchplatz. Kasperle sah nach dem Garten hinaus und sah dort den Professor und den Bürgermeister daherkommen. O je, über den Flur zu laufen war es freilich zu spät! Aber zum Fenster hinaus ging es, das war für Kasperle nur ein Sprünglein. »Das zweite Haus rechts,« rief Dörte noch, da waren die beiden Herren schon auf dem Flur, und Kasperle hopste. Er drehte sich dabei rundum, und als er draußen auf den Beinen stand, wußte er nicht mehr, was rechts und links war. Er lief eilig nach links, lief in die zweite Haustüre hinein und brüllte da aus Leibeskräften: »Er will mich in Spiritus setzen, er will mich in Spiritus setzen!«
»Bewahr‘ mich, was ist das für ein Getrompete!« sagte eine gute, freundliche Stimme, und aus einer Türe heraus kam eine große, hübsche Frau. Die schaute das Kasperle höchst verwundert an, schüttelte immerzu den Kopf, daß die seidenen Bänder ihrer großen Haube hin und her flatterten. »Was bist du für ein Irrwisch?« fragte sie.
»Ich bin Kasperle und – und – er will mich in Spiritus setzen.«
»Kasperle – ein Kasper bist du? – Aber warum sollst du denn in Spiritus gesetzt werden? Da sitzt es sich doch nicht gut drin!« Die Dame lachte ein wenig, und da rief aus der Ferne eine feine, dünne Stimme: »Muhme Agathe, warum lachst du denn?«
»Komm mal mit!« sagte die Frau und packte das Kasperle am Wämslein. Aber Kasperle hatte keine Mitgehlust. Wer weiß, in was ihn die fremde Frau setzen wollte! Er schrie und zappelte, aber da tönte wieder die zarte Stimme: »Muhme, wer schreit denn so?«
»Sei doch still, du kleiner Irrwisch! Ich tue dir ja nichts! Ich zeige dich nur dem Christli.«
Doch Kasperle zappelte und zappelte. Los kam er freilich nicht, aber auf einmal tat die Dame am Ende des Ganges eine Tür auf und setzte das Kasperle mitten in ein helles, sonniges Zimmer hinein.
»Ein Kasperle!« Ein feines Stimmchen jauchzte es.
Kasperle hörte auf mit Schreien und schaute dahin, woher die Stimme kam. Da lag in einem großen vergoldeten Bett ein blasser Knabe, der mochte so alt sein wie einst Michele, als Kasperle ihn kennenlernte.
»Da, Christli, da hast du den Schreihals,« sagte die Frau. »Was es für ein Ding ist, weiß ich wirklich nicht.«
»Ein Kasperle bin ich,« schrie Kasperle erbost. »Aber ich will nicht in Spiritus sitzen.«
»Nein, nein, da setz‘ dich man nicht rein! Das ist unangenehm.« Die Frau lachte, es klang herzlich und gut und steckte an.
Auf einmal grinste auch das Kasperle über das ganze Gesicht, und weil ihm der kleine Junge seine Hand entgegenstreckte, ging er ganz zutraulich auf den zu und gab ihm die Hand, Patsch! Es klatschte ordentlich, und der blasse Bube rief: »Er ist ganz lebendig, ein ganz lebendiges Kasperle!«
»Na ja, den haben sie zu einem Kasper abgerichtet,« erklärte die Muhme.
»Nä,« schrie Kasperle, »ich bin nicht gerichtet und – in Spiritus lasse ich mich nicht setzen.«
»Bewahr‘ mich der Himmel! Wer will denn so was tun?« Die fremde Dame sah das Kasperle höchst erstaunt an. Da schnitt der ein bitterböses Gesicht, zeigte irgendwo mit der Hand hin und brummte: »Der.«
Christli sah ganz erschrocken drein. »Hu, er ist böse,« klagte er.
Doch da lachte ihn Kasperle schon wieder an, und Christli mußte mitlachen, ob er wollte oder nicht. Die Muhme Agathe fiel auch ein, und ein paar Minuten tönte das Lachen hell durch das Zimmer. Dann sagte die Muhme: »Nun erzähl mal: Wer bist du eigentlich?«
»Kasperle!« Der kleine Schelm dachte: Wenn ich es immer sage, dann muß sie es doch glauben. Aber die Muhme schüttelte den Kopf: »So etwas gibt es ja gar nicht.«
»Doch, Muhme, der Vater hat erzählt, daß bei dem Herzog August Erasmus ein richtiges lebendiges Kasperle sei, und Marlenchen –«
»Marlenchen,« schrie Kasperle, »wo ist sie?«
»Auf Lindeneck; es ist meine Freundin.«
Da war nun freilich Kasperle an den rechten Ort gekommen. Hops! saß er auf dem Rande des vergoldeten Bettes und erzählte Christli, woher er gekommen sei, und wie er das Marlenchen kennengelernt habe.
Christli hörte ihm mit strahlenden Augen zu, dann wieder kamen Tränen, und schließlich lachte er herzhaft.
Der Muhme Agathe ging es nicht anders. Die wischte sich mit dem seidenen Haubenband über die Augen, dann lachte sie wieder, daß sie mit dem Stuhl wackelte, und darüber verging die Zeit. Niemand hörte draußen jemand gehen, niemand hörte die Türe sich öffnen, Christli sah seinen Vater erst, als der schon mitten im Zimmer stand.
Ein ernster Herr war es, der da das Kasperle erstaunt anblickte. Und merkwürdig, ein bißchen sah er aus wie der Herzog August Erasmus, aber wie dieser, wenn er gut gelaunt war.
Kasperle kriegte keinen kleinen Schreck, als der Herr zu reden anfing und auch seine Stimme wie die des Herzogs klang. Er schielte ängstlich nach der Türe, da sagte auch noch Christli: »Vater, das ist das Kasperle, das beim Oheim August Erasmus gewesen ist.«
Jemine, wohin war Kasperle geraten! Er saß plötzlich nicht mehr auf dem Bett, sondern unter dem Bett, und ein bitterliches Schluchzen ertönte von dort her.
Aber da sagte der ernsthafte Herr: »Sei still! Das kann Christli nicht vertragen. Komm einmal zum Vorschein; ich weiß alles von dir.«
Kasperle schwieg zwar, aber mit dem Vorkommen nahm er sich noch Zeit. Doch da ergriff ihn Christlis Vater, zog ihn hervor, nahm ihn auf den Schoß und erzählte nun, er sei ein Stiefbruder des Herzogs. Aber der Herzog sei nicht gut zu seinen Verwandten gewesen, darum sei er in ein anderes Land gezogen. Er war ein Fürst ohne Land und ohne Schloß, und schuld an allem war – die Prinzessin Gundolfine.
Kaum hatte der Fürst Helmrich den Namen genannt, da zog Kasperle so ein Gesicht, wie es die Prinzessin machte, und Christli jauchzte vor Freude. Sein Vater sah ihn froh an. Der Bube war krank gewesen, viele, viele Wochen lang, und darüber hatte er fast etwas das Lachen verlernt gehabt. Aber heute sah er so fröhlich drein, daß der Fürst selbst das Kasperle bat: »Komm bald wieder!«
»Komm, ich führe dich heim, denn sonst rennst du wieder in ein anderes Haus und findest nicht heim,« sagte Frau Agathe. Die war keine Prinzessin, sondern nur eine Gräfin; sie war aber trotzdem des Herzogs Base. Ihr gab Kasperle willig die Hand, nachdem er das Baldwiederkommen versprochen hatte.
Der Kirchplatz lag im Sonnenlicht, als die Gräfin Agathe mit dem Kasperle aus dem Hause kam. Drüben die zweite Türe tat sich auch gerade auf, und der Professor begleitete seinen Besucher, den Bürgermeister, hinaus.
»Schlupf unter meinen Schal!« sagte die Gräfin, denn Kasperle stöhnte gleich: »Hach, er steckt mich in Spiritus!«
Die große stattliche Dame trug einen weiten blauen Seidenschal über dem gebauschten Kleid, und Kasperle ließ sich gern einhüllen. So kam er am Haus an der Kirche an, und Frau Liebetraut kam selbst, die Türe zu öffnen. »Ei,« rief die Gräfin Agathe, »man meint schier, die Waldsonne scheint!«
Da lächelte die schöne Frau Liebetraut holdselig, und die Gräfin nahm ihre Hand und ließ sich in das Haus führen, ließ sich die beiden kleinen Mädel zeigen und sah sich in Meister Friedolins Kasperlestube und Mutter Annettchens blanker Küche um. Herr Severin kam, und als die Gräfin schied, redete sie vom Wiederkommen und von einem Kaffeebesuch.
So hatten die Waldleute auch Freunde in Torburg gefunden. Kasperle war arg stolz, daß er ihnen dazu verholfen hatte. Und er hatte auch einen Freund gefunden, denn am Nachmittag kam der Fürst selbst und erbat sich das Kasperle zur Gesellschaft für den kranken Christli. »Der wird vor lauter Lachen noch gesund,« sagte er.