770. Muttergottesbild am Fels

770. Muttergottesbild am Fels

Wenn man unten von der Tanzwiese und dem Hof, der denselben Namen führt, zu den schroffen und steilen Felsklippen der Milseburg emporsteigt, wo seltene Blumen und Kräuter wachsen, so führt ein schmaler und steiniger Pfad zum Gipfel, welcher Pfad der Kirchweg heißt. Dem Wanderer zur Linken steht auf diesem Pfade, ganz nahe dem Weg, frank und frei auf einem Felsblock ein kleines, farbig angemaltes steinernes Muttergottesbild, den Heiland im Schoß und mit Perlen und Kränzen von frommen Händen geschmückt, aber allem Ungetüm der Witterung auf dieser rauhen Höhe ausgesetzt. Einst gedachten einige Gläubige, dieses Bild besser zu schützen, damit es nicht Schaden leide vom Sturm und Wetter, und wölbten nur wenige Schritte von der Stelle, wo das Bild stand, aber zur rechten Hand des Felsenpfades eine schützende Nische. In diese trugen sie mit Andacht das kleine Bildnis. Allein am andern Tage, als sie nachsahen, stand es wieder an seiner vorigen Stelle. Dies geschah dreimal nacheinander; dreimal wurde das Bild in die Nische getragen, dreimal kehrte es auf den vorigen Stand zurück. Da ließ man dasselbe ferner unangetastet. Das Bild ist noch gar nicht so alt; es ist an seinem Fuße die Jahrzahl 1664 nebst dem Namen GEORG STEPLING zu lesen. Mächtig schützt der Segen der göttlichen Jungfrau den Ort und die Waller zur Höhe. Obgleich an gewissen heiligen Tagen Tausende diese steilen und zerklüfteten Klippen und Schluchten besteigen und beklettern, noch von keinem hat man gehört, daß er einen gefährlichen Fall getan und an seinem Leibe zu Schaden gekommen sei. Und noch heute sitzt die gute Jesusmutter am Felsenwege zur Kapelle unter einem kleinen Schirmdache frei und offen da, und noch nie ist von ihrem Schmuck auch nur das mindeste entwendet worden.

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764. Das graue Männchen

764. Das graue Männchen

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts sind einmal unterschiedliche boineburgische Jäger an einem nassen Herbsttage auf dem Burgberge zusammengekommen und haben Schutz vor dem Regen in der Trümmer des alten Schlosses gesucht. Da fanden sie ein altes kleines graues Männlein mit schneeweißem Haar sinnend auf Moos und Steinen sitzen. Sie redeten es an, fragten es dies und das, allein das Männlein gab ihnen keine Antwort. Darüber wurden die Jäger böse und gaben dem Männlein einige Schläge, aber es verzog darob keine Miene, weder zum Lächeln, noch zum Schmerz, es blieb sein Antlitz still und kalt und sein Mund geschlossen. Da banden sie das Männlein mit Hundeleinen und führten es also gefesselt herab zu ihrem Herrn nach Reichensachsen, da sollte es, meinten sie, schon Rede und Antwort geben, allein es tat dies ebensowenig als droben. Es nickte nicht und schüttelte nicht, es öffnete nicht den Mund, es deutete auch keinen Wunsch an, rührte auch nicht an Trank und Speise, achtete keiner Freundlichkeit und keines Zürnens. Nun dachten die Herren, die Zeit werde es schon mürbe machen, sperrten es in ein wohlverwahrtes Gemach, ließen dieses zum Überfluß von außen bewachen, aber am andern Morgen – andere sagen, nach drei Tagen – da war das Männlein verschwunden, hatte aber zum Andenken ein Vergißmeinnicht auf den Tisch gesetzt, das jenem Veilchen täuschend ähnlich sah, welches ein gewisser Hofnarr zu Meißen unter den Hut des Hofmeisters legte, der über das erste gefundene Veilchen gedeckt war; als welche sonderbare Historie im Treppenhause des Meißner Schlosses in Stein gehauen zu erblicken ist.

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757. Frau-Hollenbad und -teich

757. Frau-Hollenbad und -teich

Im Hessenlande liegt ein hoher Berg mit langem breiten Rücken, von dem der Sagen viele umgehen, der heißt der Meißner. Dieser Bergstock ist dem Schneekopf des Thüringerwaldes, dem schlesischen Zobten, der hohen Rhön und andern gar nah verwandt. Wie unterm Schneekopf das Mordfleck, so auf dem Meißner ein Schlachtrasen, wie dort die Teufelskreise, so hier die Teufelslöcher, und auch Frau Holle hat auf dem Meißner ihr Bad und ihren Teich. Alte Leute haben erzählt, daß sie zum öftern in der Mittagsstunde badend darinnen gesehen worden und dann verschwunden sei. Oft haben sie und ihr gespenstiger Anhang Reisende und Jäger oben die Kreuz und Quer in der Irre herumgeführt, aber Weibern, die sich vertrauensvoll in ihr Bad begeben, hat letzteres gute Wirkung getan, trotz Sankt Remaclus Fuß zu Spa oder Bocklet. Frau Holle hat da droben einen Kindleinsbrunnen; sie bringt die Kinder den Frauen in das Haus; nimmt aber auch welche mit. Sie hat auch einen ebenso schönen blumen- und früchtereichen Garten wie die Jungfer im Wallfahrtgarten und ist Spinnefrau, überwacht Flachs und Linnen. Fleißige Spinnerinnen belohnt, faüle bestraft sie; sie erscheint bald als spinnegraues Mütterlein in einem hohlen Baumstrunk sitzend, bald als schöne weiße Frau an oder auf ihrem Teiche; häufig gewahrt man sie nicht, obschon sie meist auf dem Meißner wohnt, wenn sie nicht gerade im Hörseelenberg zu tun hat und mit dem wütenden Heere ziehen muß – aber zum öftern hört man in der Tiefe ihres Teiches ein Glockengeläut und finsteres Rauschen, letzteres geradeso, wie man es vernimmt, wenn man droben am Hörseelenbergloche steht. Wer ein tiefsinnigschönes Abbild der Frau Hulda schauen will, wie die Alten sie dachten, der blicke den Holzschnitt an überm zehnten Gespräch oder Kapitel von Petrarchä Glücksbuch, da steht sie im tiefen kräuterreichen, vom Feuerstrahl des Himmels durchflammten Walde, haltend den mächtig hohen Rocken, der mit vollen Spindeln für die Fleißigen umsteckt ist, über sich den Mond und zwölf Sterne in Kreisen, welche die zwölf Nächte ihres Ziehens andeuten. Sie selbst ist alt und gebeugt und runzelvoll, und ihr langes Lockenhaar fliegt um ihr Haupt im Winde. Wenn sie nun zieht und findet, daß die Mägde neue Spinnrocken angelegt haben, so sagt sie:

So manches Haar,
So manches gute Jahr. –

Trifft sie aber nach Neujahr noch Flachs vom vorhergehenden Jahre auf den Rocken, dann spricht sie:

So manches Haar,
So manches böse Jahr –

und nimmt den Faulen die Decke und legt sie splitternackt in den Schnee oder auf kalte Steine, zerzaust ihnen ihr Gespinst und ist sehr ungnädig.

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758. Der Liebenbach

758. Der Liebenbach

Nicht gar weit vom Meißnerberge liegt die Stadt Spangenberg, die hat ihren Namen von einem Berg, auf welchem eine Menge kleiner runder Steine gefunden werden, die alle von Natur ein Zeichen wie eine Spange auf sich haben. Ihr Trinkwasser erhält sie von einem Berge gegenüber. Einst wohnten, bevor die Stadt dieses trefflichen Wassers sich erfreute, zwei Liebende zu Spangenberg, deren gehoffter Verbindung die Eltern beiderseits streng entgegen waren. Da sie aber gar nicht voneinander ließen, so gab man ihnen auf, sie sollten ganz allein jene gute Quelle nach der Stadt leiten, dann sollte ihre Hochzeit sein. Sie begannen nun, die Liebenden, die schwere Arbeit, sie gruben den Bach, sie müheten sich lange Zeit, sie wurden alt darüber, aber sie liebten sich treulich fort und fort, und endlich gelang das große und schwere Werk, da war es vollbracht, und sie hatten nicht weniger als vierzig Jahre gegraben, und da war ein Glückwünschen um sie her, und wurden mit Kränzen geschmückt, mit Hochzeitkränzen; und da blickten sie einander an, und weinten, und sanken einander in die Arme, und sanken tot zur Erde nieder. Darum heißt jener Bach, den sie mit treuen Händen gegraben, der Liebenbach.

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75. Die Wisperstimme

75. Die Wisperstimme

Ohnweit Lorch am Rhein liegt eine Mühle im Wispertale und am Wisperbach, darinnen lebten der Müller, seine Frau und einige Kinder ganz gut und glücklich. Das Haus lag dicht am Berg, auf dem die alten Schlösser Kammerberg und Rheinberg stehen. Einer Zeit geschah es, daß die Müllerin eine Stimme hörte, als wispere ihr jemand in das Ohr, und sähe doch niemand – und dann wisperte es von neuem: Gehe hinauf auf Kammerberg, hebe den Schatz im Turm – er ist dir bestimmt – der Schlüssel steckt am schwarzen Kasten. – Die Frau, dadurch beunruhigt, erzählte ihrem Manne, was sie immer um sich flüstern und wispern hörte, der aber sagte: Passen! Träumerei! Hirngespinste – kehre dich nicht an solche Dinge – unser Schatz ist der weiße Mehlkasten! – Aber die Frau hörte die Wisperstimme fort und fort und hatte keine Ruhe mehr und hatte auch Lust zum Schatz, wenn der ihr doch einmal beschert sei – und eines Morgens, da der Müller weit oben im Tale am Wehr in der Wisper zu bauen hatte und nicht so bald nach Hause zu kommen gedachte, ging die Frau mit ihrem jüngsten Kinde, einem Säugling, in aller Stille hinauf auf den Kammerberg. Der Müller aber vollendete sein Geschäft früher und kam nach Hause, es war gerade Mittag und Essenszeit, aber die Müllerin fehlte. Wie er nun nach der Mutter fragte, so sagte ihm sein ältester Knabe, daß seine Mutter mit dem Jüngsten auf dem Arm schon vor ein paar Stunden den Berg hinaufgegangen sei. Eilend rann der Müller hinauf, und als er in die Trümmer eintrat, hörte er die Stimme seines wimmernden Kindes, die aus der Öffnung eines halbverfallenen Turmgewölbes drang, stieg hinab und fand darin sein Weib leblos am Boden liegen. Eilend zieht er Frau und Kind aus dem Gemäuer und trägt und schleppt beide hinab in sein Haus. Dann ist nach langer Ohnmacht die Müllerin zu sich gekommen und hat erzählt, die Wisperstimme habe ihr Tag und Nacht keine Ruhe gelassen, sie habe hinausgemußt, und die Stimme habe ihr auf dem Wege noch zugewispert, sie solle ganz ohne Furcht und Bangen sein, es werde ihr nichts geschehen, nur reden solle sie um keinen Preis. Sie stieg in das Turmgewölbe hinab – da stand der Kasten, da stak der Schlüssel, sie öffnete – da lag das blanke Gold – sie durfte nur nehmen – da hört sie plötzlich ihren ältern Knaben hinter sich rufen: Mutter! Mutter! und antwortet unwillig: Was gibt’s?, und da tut es einen entsetzlichen Krach, als berste der Turm und stürze das Gemäuer auf sie und ihr Kind nieder, und eine Stimme ruft aus: Weh! weh! Warum redest du? Nun bin ich wieder unerlöst auf aber hundert Jahre! – und da ist es der Müllerin schwarz vor den Augen geworden. – Und als sie das alles ihrem Mann erzählt gehabt, ist sie in eine tiefe, schwere Krankheit verfallen, und nach drei Tagen ist sie eine Leiche gewesen. So hat es der Wispermüller selbst erzählt im Jahr des Herrn achtzehnhundertundvierzehn.

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759. Otto der Schütz

759. Otto der Schütz

Als die mutige Thüringerin Sophia ihrem Kinde von Brabant trotz Heinrichs des Erlauchten Widerstreben ein schönes Erbland mit ihres Anhanges Hülfe erstritten hatte und das Haus Hessen fest begründet war, hatte Heinrich, zubenamt der Eiserne, Landgraf von Hessen, der ein Enkel war Heinrichs I., des Kindes von Brabant, zwei Söhne und drei Töchter: Heinrich, Otto, Adelheid, Elisabeth, Judith. Der Vater erwog weislich, daß nichts mehr ein Land schädigt als Zersplitterung unter viele Erben, bestimmte daher seinem Erstgebornen das Land, und Otto sollte Mönch werden. Derselbe hatte aber dazu keine Neigung, nahm sein Gewaffen und seinen Harnisch, einen Knappen und zwei gute Rosse, entritt seines Vaters Hofe heimlich, kam als Bogenschütze zum Herzog Adolf von Cleve und bot ihm seine Dienste an, die er auch gern erhielt, denn er war ein trefflicher Schütz. Da geschahe es, daß unterweilen Ottos Schwestern sich alle drei verheirateten, Adelheid an König Kasimir III. von Polen, Elisabeth an den Herzog Otto zu Sachsen-Lauenburg, Judith an Otto den reichen oder freigebigen Herzog zu Braunschweig, und daß sein Bruder Heinrich starb. Da hoffte nun niemand mehr darauf, das Hessenland zu schlucken und zu erben, als der Braunschweiger, dieweil der alte Landgraf, nachdem sein zweiter Sohn spurlos verschollen war, keinen Erben mehr hatte. Es war aber der Braunschweiger nicht geliebt von den Hessen, und der alte Landgraf hatte auch noch nicht Lust, diesem Eidam die Freude seines Sterbens zu machen, und lebte dem alten wahren Sprüchwort getreu: Hofftod stirbt nicht.

Indessen liebte Otto der Schütz die Tochter seines Herrn, Prinzessin Elisabeth, und wurde von ihr wiedergeliebt, hatten es gar heimlich miteinander und mußten es auch, denn sie selbst wußte nicht einmal etwas von seiner hohen Abkunft, bis ein fahrender Ritter aus Hessenland, Heinrich von Homberg, einmal unversehens am Hofe zu Cleve einsprach und seinen angeborenen jungen Herrn unter der Dienerschaft des Herzogs erblickte. Gleich erkannte er ihn und erwies ihm große Ehrerbietung, und so ward sein Geheimnis entdeckt, und durfte nun auch seine Liebe nicht länger verheimlichen. Da willigte der Herzog mit Freuden in die Verbindung, und der alte Landgraf pries Gott, daß er ihm den Sohn wiederschenkte, und der Herzog von Braunschweig erbte diesmal nichts und später auch nichts, denn obschon auch Otto der Schütz noch vor dem Vater heimging und Erben mangelten, so fiel doch das Land nun an des Vaters Bruderssohn, Hermann, den Gelehrten, von dem alle Landgrafen zu Hessen und auch der große hochberühmte Philipp der Hochherzige abstammen.

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760. Der böse Wunsch

760. Der böse Wunsch

Einstmals reiste Landgraf Philipp, wie er gern tat, ohne sonderliches Gefolge durch sein Land, trug dabei auch schlechte Kleider und offenbarte seinen Stand keinem, der ihn nicht kannte. Da begegnete er einer Bauersfrau, die trug ein Gebund Garn, und er fragte sie, wohin sie denn wolle. Da fing das Weib an, jämmerlich zu klagen und zu lamenten; sie wolle und müsse das Garn verkaufen, obschon sie es selber an zehn Enden entraten müsse, um nur die hohe Schatzung und Steuer zu entrichten, die der Landgraf habe ausschreiben lassen, und es sei eine schlimme Zeit und ein schmählicher Druck. Darauf fragte Philippus das Weib, wie hoch denn die Steuer sich belaufe, die sie zu entrichten habe, und sie antwortete: Einen Ortsgulden. – Da griff der Landgraf in seinen Säckel und gab ihr einen ganzen Ortstaler; darüber ward das arme Weiblein vor Freude rot wie ein Brand, sie sah aber nicht, daß auf dem Taler Philippi Bildnis geprägt stand im vollen Stahlharnisch und auf der Rückseite sein Helm mit der Zier und der schöne Spruch: Was Gott beschert, bleibt ungewehrt – und rief: Lohn’s Gott! lohn’s Gott, edler Junker! Daß doch dieses Euer Geld dem Landgrafen, in dessen Schatz ich’s liefern muß, auf der Seele brenne wie das höllische Feuer. – Da wandte sich der Landgraf lachend um und sprach zu seinen Begleitern: Hörtet ihr’s wohl? Das ist ein wunderlicher Handel, wann einer wie alleweile ich für sein eigenes Geld sich solchen bösen Wunsch einkauft! – Nun – was Gott beschert, bleibt ungewehrt! –

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761. Nidda

761. Nidda

Zu des Kaiser Friedrich des Rotbart Gezeiten war im Hessenlande ein Raubgraf, der tat in der Gegend vielen Schaden; er hieß Berthold und saß auf einer Bergfeste, die hieß die Altenburg. Da er nun beim Kaiser verklagt ward, so wurde er in seiner Feste belagert und hart bedrängt. Endlich erbot sich die Gräfin, des Räubers Gemahl, zur Übergabe, begehrte aber freien Abzug mit so viel von ihren besten Sachen, als ihr Esel und sie selbst würden tragen können; das ward ihr zugesagt unter dem Beding, daß nicht etwa der Graf auf dem Esel reite, als welcher zu den Besten nicht gehöre. Die Gräfin sagte das zu, daß ihr Gemahl Berthold nicht auf dem Esel sitzen sollte, setzte aber ihre drei Söhnlein auf des Esels Rücken und nahm ihren Gemahl auf ihren eignen, und so zogen sie ab, hatten wohl auch noch einiges vom besten in ihren Taschen. Weit kamen sie nicht von der Altenburg, die nun von des Kaisers Söldnern zerstört wurde, und es gelobte die Gräfin, nachdem sie ihren Gemahl absitzen lassen, sich da anzubauen, allwo der Esel stehenbleibe. Und da blieb der Esel bald darauf nicht nur stehen, sondern sogar stecken, und die Gräfin regte ihn zum Fortgehen an und rief: Nit da, nit da! – aber der Esel stand so steif wie jene Eselin Bileams, welche redete, und sie mußten allda bleiben und bei einem Feuer die Nacht zubringen. Darauf haben sie sich dort angebaut und ein Schloß begründet, welches den Namen Nidda empfing, oder gar drei Schlösser, für jedes der Söhnlein eines. In den Kellern der zerstörten Altenburg ruhen noch große Schätze, und es sind dort viele Hufeisen gefunden worden, welche Graf Berthold, wenn er auf Raub ausritt, den Pferden verkehrt aufschlagen ließ.

In dieser Sage erscheint am frühesten die liebevolle Rettung des Mannes durch das listreiche, aber auch starke und treue deutsche Weib, die sich dann später einfach bei der Rettung des Ritters von Staupitz und vielfach bei den Weibern von Weinsberg wiederholte.

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762. Der Graf von Ziegenhain

762. Der Graf von Ziegenhain

Die hessische Stadt Ziegenhain hatte vorzeiten eigne Grafen, welche jedoch ausgestorben sind. Sie stammten von Ludwig dem Eisernen, Landgrafen zu Thüringen, ab. Der letzte dieser Grafen hieß Johann, zubenamt der Starke. Und in Wahrheit war er ein starker Hans, und der edle Jochem von Schapelow, der vier Eimer Weines auf einmal aus des Brandenburger Kurfürsten Keller trug, wäre vielleicht gegen diesen Ziegenhainer nicht aufgekommen. Eines schönen Tages geruhte Graf Hans von Ziegenhain zu Frankenberg, auch einem oberhessischen Städtlein, mit seiner Frau Mutter spazierenzugehen, und kamen durch eine etwas enge Gasse, mitten in selbiger stand ein Fuder Wein auf einem Wagen, das versperrte die Gasse so auf beiden Seiten, daß man ohne sich an Wand oder Wagen zu beschmutzen nicht wohl vorbei konnte, und zogen die Frau Gräfin darüber schon ein schiefes Maul. Da griff Graf Hans herzhaft an und hob und schob mit einem Ruck vorn und einem Ruck hinten das ganze Fuder samt dem Wagen zur Seite, daß die Wände der Häuser krachten und die Leute darin dachten, es wäre ein Erdbeben. Das war der gnädigen Frau Mutter wieder nicht recht, und hub an zu schelten: Ist das nun not und nötig, seine Leibeskraft so übermäßig anzustrengen und selbige also liederlich zu vergeuden? – Darauf sagte Graf Hans von Ziegenhain bescheidentlich: Die Frau Mutter ereifere sich doch ja nicht und sei nicht ungnädig! Ich habe es gut gemeint, indem derselben habe Platz machen wollen zum Vorbeigehen. Da ich es nun damit nicht getroffen, so will ich meinen Fehler gleich wiedergutmachen! – sprach’s und rückete alsbald, ohne erst Antwort abzuwarten, mit zwei Rucken das Fuder samt dem Wagen wieder so, wie es zuvor gestanden, und mußte nun die gestrenge Frau Landgräfin umwenden und sich eine andere Gasse zum Durchspazieren suchen.

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763. Das Fräulein von Boineburg

763. Das Fräulein von Boineburg

Viele Sagen gehen im Volksmunde von der Boineburg in Hessen und ihren Bewohnerinnen. Es waren der Schwestern drei, und da träumte der jüngsten, daß es in Gottes Rat beschlossen, eine von ihnen werde vom Wetter erschlagen werden. Als sie nun morgens ihren Schwestern diesen Traum erzählt hatte und mittags ein schweres Gewitter aufstieg, so sprach die älteste: Mir ist sicher der Tod bestimmt, ließ sich einen Stuhl hinaustragen und saß harrend im Wetter – aber sie blieb unversehrt. Am zweiten Tage, da wieder ein Gewitter drohend aufzog, tat die zweite Schwester das gleiche, allein ihr widerfuhr wie der ältesten. Nun sprach die dritte: Ich bin es, die Gott rufen wird! und machte sich in gleicher Weise bereit, beichtete und stiftete zu ihrem Gedächtnis eine Spende, setzte sich auf den Stuhl, und alsbald fuhr ein Blitz herab und tötete sie.

Andere erzählen ganz anders. Eine tausendjährige Eiche stand im Hofe der Boineburg. Unter ihr lag an einem heißen Sommertage die einzige Tochter des Ritters und war eingeschlummert. Ein rasches Wetter zog heran, und vom Donner und strömenden Regen erwacht das Fräulein, fährt auf und eilt nach dem Hause. Indem so fährt ein Wetterstrahl in die Eiche und wirft auch das Fräulein leblos zu Boden. Aber es gelingt, die bloß Ohnmächtige wieder in das Leben zurückzurufen, und der erfreute Vater stiftet dankbar eine Armenspende. An jedem Gründonnerstage mußte der Kaplan vor dem zerspaltenen Baum eine Gedächtnisrede halten, und Korn und Fleisch ward an die Armen von vierundzwanzig Dörfern ausgeteilt. Das Fräulein nahm den Nonnenschleier. Die Spende besteht noch immer, obschon die Burg längst in Trümmern liegt; die Rede hält der Pfarrer zu Datterode.

Einst lag am Gründonnerstag noch hoher Schnee, und der vierspännige Wagen mit den Liebesgaben konnte den steilen Burgweg nicht hinan; der Wagenführer wollte daher umlenken. Da erschien aber plötzlich auf dem Wagen eine weiße Jungfrau mit schönem, aber ernstem und drohendem Antlitz und bedeutete dem Fuhrmann, hinaufzufahren. Der wendete erschrocken sich wieder zum Weg, und siehe, mit Leichtigkeit zogen die Rosse jetzt den schweren Wagen, und droben verschwand die Jungfrau lächelnden Blickes. Alles Volk, das den Wagen umwimmelte, hatte sie gesehen.

Als das Hessenland in ein Königreich Westfalen umgewandelt war, wollte die französische Behörde nichts von dieser altherkömmlichen Spende wissen, sondern sie mit andern Einkünften unter dem üblichen lügenhaften Vorwand der Ersparnis selbst schlucken – ein nicht bloß bei Franzosen geübter schlechter Finanzkniff –, und wirklich unterblieb im Jahre 1808 Spende und Rede. Aber da ist dem Könige von Westfalen ein schreckliches Gesicht erschienen, und seine Finanzer haben die Spende wieder herausrücken und das Vermächtnis auf Schloß Boineburg erfüllen müssen.

Noch ruhen im Bergesschoße der Boineburg viele Schätze, und die Jungfrau hütet dieselben; auch sie breitet ein weißes Tuch mit Knotten aus und macht einzelne glücklich. Es soll im Dreißigjährigen Kriege aus Eschwege, Sandra und andern Nachbarstädten viel Geld und Gut hinauf auf die Burg geflüchtet worden sein.

Die Jungfrau der Boineburg erscheint auch als weiße Reiterin. Sie reitet auf des Berges Hochebene hin bis zu einer Stelle, wo eine weiße Lilie mit purpurnem Kelche blüht, die sie dann bricht, und eilend zurückreitet. Begegnet ihr einer, der reinen Herzens und Wandels ist, und ruft sie an: Gib mir die Blume! – der kann großes Glück erlangen, noch aber soll das keinem widerfahren sein, weil die Menschen nicht mehr reinen Herzens und Wandels sind.

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