743. Bonifaziusfels und Lutherbuche

743. Bonifaziusfels und Lutherbuche

Dicht beim Schlosse Altenstein ragt der Bonifaziusfels empor. Es ist unzweifelhaft mehr als Sage, daß der Thüringer Apostel an dieser Stätte und von diesem Felsen dem Volke die Christuslehre gepredigt, daß er in der Nähe Kapellen gründete; mehr als eine Wüstung und manche geschichtliche Wahrnehmung gibt davon Kunde. Vor mehr als hundert Jahren stand noch an dem Fels eine hohe runde Mauer ohne Dach, der Überrest einer Kapelle, welche schon damals aus Überlieferung allgemein der Bonifaziusturm genannt wurde und auf alten Abrissen des Schlosses Altenstein und seiner Umgebung also ausdrücklich benamt steht.

Über diese Höhe, am Bonifaziusfels vorbei, zog im Frühling 1521 Doktor Luther, als er von Worms kam und in seinem Heimatorte Möhra gerastet und gepredigt hatte, um nach Wittenberg zurückzukehren; da wurde er eine halbe Stunde weiter hinauf im Walde ohnweit den Trümmern einer Wallfahrtkapelle aufgehoben und auf Wartburg geführt, und zwar zunächst einer starken Buche über einer Quelle, aus welcher Luther trank. Man zeigt in des Glasbach Nähe noch einen Stein am Wege mit dem Abdruck eines Mannesfußes und nennt ihn den Luthersfuß. Die Aufhebung Luthers geschah durch den Hauptmann Hans von Berlepsch, Amtmann auf Wartburg, und Burkhard von Wenkheim, Schenk-Landrentmeister und Amtmann zu Gotha, welche der Kurfürst von Sachsen heimlich dazu beauftragt hatte. Burkhard Hund von Wenkheim hatte hier auf Altenstein sein Stammschloß und väterliches Erbe, von seinem Geschlecht geht eine ähnliche Sage wie jene von den neun, und den zwölf, und den sieben Knäblein auf einmal, und vom Ursprung der Welfen. Da soll die Frau von Wenkheim, die eine mit Drillingen gesegnete Bettlerin heftig ob ihres Kindersegens schalt, von dieser verflucht worden sein und dreizehn Knäblein auf einmal geboren haben. Die Magd, die zwölf der Knäblein in das Wasser tragen sollte, sagte zu dem ihr begegnenden Herrn auf seine fragende Anrede, sie trage Hunde, worauf er die Knäblein in heimliche Erziehung gab, die Mutter in ein Kloster verstieß und den Söhnen zu ihrem Familiennamen den Namen Hund beilegte. So entstand das nun ausgestorbene Geschlecht der Hund von Wenkheim, dessen Name in jener Gegend durch manche fromme Stiftung noch im Segen fortlebt.

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744. Die Ringelsteine

744. Die Ringelsteine

Tief im Walde hinterm Altenstein nach Wilhelmsthal zu lagen vordessen zwei Burgen, genannt Alt- und Neuringelstein, von denen sieht man nur noch ihre Stätten, aber Sagen hört man viele von ihnen, wie überhaupt dieser ganze Gau überreich an Sagen ist. Raubritter hausten dort, nächst der sogenannten Weinstraße, die heute noch diesen Namen führt und der alte Weg war, der vom Thüringer Walde niederwärts nach Franken und Buchonien sich lenkte. Einst hatten die Raubritter von Ringelstein eine Braut aus Salzungen entführt; sie schlugen den Pferden die Hufeisen verkehrt auf, damit ihre Spur verborgen bliebe, und kamen durch eine Höhle in ihre Burg, die gar kein Tor hatte; der Maid gefiel es nicht in der Burg der Räuber, sie sprang von der Burg herab über einen Brunnengraben und entkam glücklich, der Bach fließt heute noch und heißt der Brautborn.

Noch immer geht die Sage, daß sich auf Altringelstein eine schöne Jungfrau mit einem Schlüsselbund zeige, die auf Erlösung harrt. Sie hat ein Tuch übern Waldboden gebreitet, darauf sie Flachsknotten klengt. Da die Ritter der Weinstraße so nahe wohnten, so bestand auch die Mehrzahl ihres Raubgutes aus Wein, und sie haben, so viel sie tranken, denselben doch nicht alle trinken können: daher liegt er noch in den unterirdischen Höhlenwölbungen aufgeschichtet, die Dauben der Fässer sind längst verfault, und die eisernen Reife hat der Rost zernagt, aber der Weinstein hat das edle Naß mit einer Kristallhaut rings umkleidet. Einst, wann die zweite große Sündflut über der Menschen sündiges Geschlecht hereingebrochen sein wird und der Herr kommen wird zu den Schrecken des Jüngsten Gerichts, zu richten die Lebendigen und die Toten, da werden diese Höhlen sich auftun und die Fässer sich öffnen, und der Herr in seiner Herrlichkeit wird sein großes Versöhnungsmahl halten und die Frommen und Gerechten mit diesem Wein tränken zum Zeichen des ewigen Lebens.

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745. Berggeister um Altenstein

745. Berggeister um Altenstein

Unterm Schloß Altenstein liegt Glücksbrunn, ein vormaliger Hüttenort. Lebhafter Bergbau wurde vormals von den hier und in Steinbach zahlreich wohnenden Bergleuten betrieben, jetzt wird nur noch wenig Ausbeute gewonnen. In den Schachten und Stollen gab es auch Berggeister und manchen versetzten Hort. Venetianer sind gar häufig gekommen und haben viel hinweggetragen. Am Löge, oberhalb Steinbach, hat ein goldner Hirsch sich oftmals sehen lassen. Einst ging ein junger Bergknappe aus Steinbach nach seinem Schacht auf der Windleite. Wie er nahe zur Winde kam, sah er ein ganzes Heer kleiner Bergmännerchen an der Winde stehen, die waren gar tätig und eifrig mit Aufwinden und mit Gesteinpochen. Wie er nun mit offnem Munde näherschritt, ganz verwundert über die verwunderliche kleine Knappschaft, hui! da purzelten sie kopfüber allzumal in den Schacht, und es tat einen Kracher, als ob der ganze Schacht in sich zusammenbreche. Da grauste es dem jungen Bergmann mächtiglich, ging hin zum Schacht, schnallte sein Hinterleder ab und schmiß es samt dem Grubenlicht in die Teufe hinab und sagte: Mit euch fahre ich nicht an! Und ging hinüber in die Ruhl und wurde ein Messerschmied, und als er dies gute Gewerk gelernt hatte, kam er wieder nach Steinbach, tat sich allda als Messermacher nieder und brachte so das Handwerk dorthin als erster Meister. Und da haben die Steinbacher es ihm nachgemacht und sind aus Bergleuten Messermacher geworden, und wohnen jetzt über anderthalbhundert Meister allda und kein einziger Bergmann mehr.

Einst arbeitete ein Häuer aus Glücksbrunn im Reginaschacht, da hörte er ein Rauschen und meinte, es fahre etwa ein Steiger an, und sähe eine Menschengestalt, anzuschauen wie ein Bergamtsoberer mit schwarzem Hut, grünem Oberkleid mit Manschetten, schwarzen Beinkleidern und Schuhen, weißen Strümpfen, in der Hand ein hellbrennend Grubenlicht, schönen Antlitzes und von glänzenden Augen, so groß, daß er am Ort, das über fünf Schuh hoch war, an den First anstieß. Der bestürzte Häuer schwieg und arbeitete angestrengt weiter immer rascher und heftiger. Da wandte sich die Gestalt gegen Morgen und fuhr in der Strecke von dannen. Hätte der furchtsame Häuer nur den Bergmannsgruß Glück auf! gesprochen, so hätte sich ihm ohne Zweifel der reiche Stollen des Glückes erschlossen und aufgetan. So aber sah er nie wieder diese Bergerscheinung. Andern erschien der Berggeist im Grubenkittel, Kniebügel an den Beinen, einen schwarzen Schiefhut auf dem Kopf, mit großen glänzenden Augen und auch einem Grubenlicht in der Hand, auf sie zukommend, auch diese wichen furchterfüllt dem Geiste aus und fuhren wieder aus dem Schachte. Des Geistes Grubenlicht erhellte fast die Hälfte des aufwärtsgehenden Schachtes.

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746. Der Wallfahrtgarten

746. Der Wallfahrtgarten

Droben überm Luthersbrunnen unter dem Gerberstein hat vorzeiten, wie die Sage geht, ein Nonnenkloster gestanden, und da sind immer viele Wallfahrer hingezogen, und es ziehen noch heutiges Tages welche dahin, obgleich das Kloster längst zerstört ist. Die Nonnen aber haben vor der Zerstörung noch einen großen Schatz allda vergraben, und eine von ihnen hat sich zu dem Schatz verwünscht, seiner zu hüten. Viele Leute haben sie wandeln sehen, denn der Weg nach Ruhl geht dort vorbei, schloß-schleierweiß, doch hat sie keinem Menchen etwas getan. Die aber dort nach Schätzen gegraben haben, haben nichts gefunden. Vor hundert Jahren in einem Vorfrühling, da es noch keine Blätter und Blumen gab, sind Leute dorthinauf ins Reisig gegangen, die hatten ihr kleines Kind von fünf bis sechs Jahren bei sich und setzten das Kind zu ihren Körben und gingen in den Wald, ihrer Arbeit zu warten. Wie sie aber wieder hin nach den Körben kamen, da ging es wie bei der Frau auf Burg Epprechtstein, das Kind war fort, und vergebens riefen und suchten es die Leute im ganzen Walde. Doch wie sie es eine ziemliche Weile gesucht hatten, da kam das Kind gelaufen und war voller Freude, und hatte rote Beeren und Blumen und Kirschen, und sagte, wie sie fort gewesen wären und es so allein gewesen und sie so lange ausgeblieben, da hätte es sich gefürchtet und hätte geweint, und wäre auf einmal eine weiße Jungfer gekommen, die hätte ihm gesagt, es solle nicht weinen, sie kämen wieder, und es solle mit ihr gehen in ihren Garten, da gäbe es Beeren und reife Kirschen und Blumen. Und da hätte es davon nehmen dürfen, so viel es gewollt, und es sollte nur alle Tage zu ihr heraufkommen. Und nachher hätte die weiße Jungfer gesagt, nun solle es gehen, seine Mutter riefe ihm – und da sei es wiedergekommen, aber seine Leute sollten nur einmal mitkommen in den hellig schönen Garten. Und ob das alles den Leuten ganz unglaublich dünkte, so folgten sie doch dem Kinde und kamen auch wirklich an den Garten, sahen darin die Blumen und Blüten, die Beeren und Kirschen und auch die weiße Jungfer. Und die weiße Jungfer winkte ihnen, hereinzukommen in den Garten, aber sie fürchteten sich und enteilten samt dem Kinde. Aber alle Tage ankerte das Kind nach dem Garten und nach der weißen Jungfrau und wollte hin zu ihr, und weil es nicht fortgelassen ward, so weinte es beständig und härmte sich und wurde krank bis zum Sterben. Da saß seine Mutter an des Kindes Bettchen und weinte zu Gott im Himmel hinein, daß sie das Kindchen verlieren sollte, und betete. Da hob sich mit einem Male das Kind im Bettchen in die Höhe und streckte die Händchen aus und lachte mit dem ganzen Gesichtchen und rief: Siehst du, Mutter – die weiße Jungfer – wie sie mir rote Beeren (Erdbeeren) bringt und Johannisbeeren? Und da starb’s. – Niemals hat jemand auf der Wallfahrt und dortherum den Garten der weißen Jungfrau wiedergefunden.

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747. Die Männer im Flußberg

747. Die Männer im Flußberg

Hoch über Liebenstein im Gebirge erhebt sich ein Bergkopf mit zerklüfteten Flußspatfelsen, der Flußberg genannt; dort hat es gespukt und die Wanderer geneckt seit undenklichen Zeiten. Von unsichtbaren Händen wurden dort Ohrfeigen ausgeteilt; das Weinen eines kleinen Kindes ward dort vernommen, wer ihm aber nachging, fand es nie, sondern verirrte sich im Waldesdickicht. Auch das wütige Heer hat dahinten im Flußberg seinen Sitz; das kommt über den Gerberstein und den Hirschpalz dahergezogen und läßt sich im Flußberg nieder, und wen es erwischt, der ist verloren. Wenn man es durch die Luft kommen hört, muß man sich nur gleich auf den Bauch und auf das Gesicht der Länge lang auf den Erdboden legen und ein Vaterunser beten, da zieht es vorüber und kann einem nichts anhaben, weil es immer in der Luft bleiben muß, solange es sich nicht in ein Bergloch niedertut wie hier im Flußberg oder im Hörseelenbergsloch oder sonstwo. In den Flußberg geht das Loch ganz tief hinunter, und in dasselbe sind, gleichwie in der Berghöhle im Zobten, auch drei Männer gebannt, welche aber nicht lesen im liber obedientiae und auch nicht lateinisch sprechen. Der eine das ist ein Wirt und Metzger aus Steinbach bei Liebenstein, der hat den Leuten immer das Fleisch zu knapp gewogen und das Bier zu knapp gemessen, und wie er gestorben war, hat er alsfort wandern müssen und hat im Keller und in der Fleischkammer immer herumgepoltert und gerufen: Drei Kartel für e Kann! Drei Viertel für e Pfoind! – so lange, bis ein Jesuiter geholt wurde, der diesen Geist bannte, in einen Sack steckte und in den Flußberg trug. Der zweite das war ein Müller drunten in den Sauerbrunns-Grumbach bei Liebenstein, der hat die Leute beim Mahlen betrogen und gemetzt, daß ihnen die Augen übergingen, und hat auch Grenzsteine verrückt. Nachher hat er auch wandern müssen und hat in der Mühle herumgepoltert und ist als feuriger Mann auf seinen Ackern und Wiesen herumgeschwebt, wo er die Grenzsteine verrückt hat. Da hat ihn auch ein Jesuiter bannen und hinter in das Flußloch tragen müssen. Nachher war noch einer in Schweina, der hat die Grenzsteine so geschickt verrückt, daß seine Acker alle Jahre größer geworden sind; darauf hat er gar arg gespukt, daß sich die Leute, wenn es kaum anfing dunkel zu werden, nicht mehr auf den Weg von Schweina nach Steinbach trauten, denn dort lagen seine Acker, und da wanderte er. Selbiger Mann ist ebenfalls durch einen Pöpelsträger hinauf in den Flußberg getragen worden. Und da sitzen nun die Drei, und zu ihrer Unterhaltung haben ihnen die Jesuiter ein eisernes Kartenspiel gegeben, und weil sie im Leben allzeit gern gekartet, karten sie nun auch fort und fort Solo und betrügen einander und werden uneins und wamsen sich eine Weile und machen einen Lärm und Spektakel wie das wütige Heer. Wer um Mitternacht am Flußloch vorübergeht, der kann sie drunten gellen, schreien und zanken hören, das geht durcheinander: Drei Kartel für e Kann! Drei Viertel für e Pfoind! Trumpf aus! Drei Metze für e Maß! Trumpf aus! – und so immer fort, und prügeln sich, daß der ganze Flußstein wackelt.

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748. Wer weiß, ob’s wahr ist?

748. Wer weiß, ob’s wahr ist?

Zwischen Liebenstein und Salzungen liegt ein Dörflein, das heißt Ettmarshausen, früher hat es Ottmarshausen geheißen, dort war ein Garten, der wurde ummauert, und als die Mauer samt der Eingangstür fertig war, so schrieb der Maurermeister in den einen Türpfeiler die Jahrzahl und seines Namens Anfangsbuchstaben also ein:

A. D. 1548. M. A. L.
C. F.

Weil aber nicht derselbige Meister, sondern der Gesell die ganze Arbeit gemacht und vollbracht hatte, so grub der Geselle in den andern Pfeiler die Worte ein:

Wer weiss ob's wahr ist?

Darauf ist in der ganzen Gegend das Sprüchwort entstanden, wenn einer sich eines Dinges rühmt, das nicht er vollbracht hat, sondern ein anderer: Wer weiß, ob’s wahr ist, stand an der Ettmarshäuser Gartentüre – oder man sagte ihm wohl auch ins Gesicht: Du – denk an die Ettmarshäuser Gartentüre. Und dieses Sprüchwort lebt noch, obschon Garten und Tür, Mauer und Schrift längst nicht mehr vorhanden.

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738. Stein auf dem Herzen

738. Stein auf dem Herzen

Im Rosagrunde liegen zwei Dörfer, Eckards und Frittelshausen, nicht gar weit voneinander, da soll vorzeiten in jedem ein Graf gewohnt haben, und das sollen Brüder gewesen sein. Beide sollen um der Jagd willen uneins geworden sein, und der Eckardser Graf soll den Frittelshäuser entleibt haben. Diese schwere Sünde zu büßen, sei der Eckardser zu Fuße nach Rom gepilgert, und da habe der Pabst ihm auferlegt, an der Stelle des Mordes ein Kloster zu begründen, von Eckards bis zu jener Stelle den ersten Stein zum Kloster auf seinem Herzen zu tragen und dann in dasselbe als Mönch einzutreten, damit er seiner Sünde los werde. Dieses habe er auch also alles vollbracht und das Kloster Sünderhaus genannt. Das war das später Sinnershausen genannte Wilhelmiterkloster, längst zerstört und jetzt eine herrschaftliche Besitzung. Noch steht alldort in einer Mauerblende, obschon arg verstümmelt, das hohe Steinbild eines Mannes von edler Gestalt, ritterlich, nicht mönchisch, mit gelocktem abwallenden Haupthaar, in der einfachen Gewandung des dreizehnten Jahrhunderts, auf der Brust, mehr nach der linken Seite zu, einen großen eckigen Stein, und geht die Rede von Kind zu Kind, das sei des Klosters Gründer. Nie aber hat das Kloster Sündershaus geheißen, dies ist spätere Namensverstümmelung; das Kloster hieß nach ältester urkundlicher Schreibart Syndeloshusen, darum, daß der büßende und bereuende Brudermörder seiner Sünde los geworden und mit dem Himmel versöhnt war.

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73. Not Gottes

73. Not Gottes

Zu Rüdesheim am Rhein bewohnte das mannliche Geschlecht der Brömser von Rüdesheim ihre uralte graue Feste, deren Aufbau in die Römerzeit fällt, und weiter stromabwärts an der Waldberger Höhe ist das Kloster gelegen, welches den wunderbarlichen Namen Not Gottes trägt. Ein Brömser von Rüdesheim zog nach Palästina, tat allda viele mannliche Taten, bezwang viele Sarazenen und kämpfte mit einem Drachen, den er auch erlegte, aber bei dieser Gelegenheit oder bald darauf fiel er in die Hände der Ungläubigen, die ihm schwere Ketten zu tragen auferlegten. Da gelobte er in seinem Kerker, seine Tochter, die er als ein junges Kind verlassen, dem Himmel zu weihen, wenn sie am Leben bleibe und er in die Heimat rückkehre. Und siehe, des Ritters Ketten fielen von ihm ab, der Himmel nahm das dargebotene Opfer an, der Ritter entkam und eilte der Heimat zu. Freudvoll empfing ihn seine schön erblühte Tochter, und er offenbarte ihr sein Gelübde. Da wurde die Tochter bleich wie der Tod – sie war in Minne einem jungen Ritter zugetan, dessen Hand zugesprochen zu erhalten sie von ihrem Vater zuversichtlich gehofft. Aber es halfen nicht Flehen, nicht Tränen, der Vater glaubte dem Himmel vor allem schuldig zu sein, sein ritterliches Wort zu halten. Da enteilte die Tochter laut wehklagend der Brömserburg, erklimmte den nächsten Felsen und stürzte sich in den Strom hinab. – Groß war des Vaters Schmerz, und da er nun sein Gelübde nicht halten konnte, und um des teuern Kindes Schatten zu söhnen, tat er ein abermaliges Gelübde, er wollte ein Kloster erbauen. Es ging aber ein Mond nach dem andern hin, und mochte wohl so kommen, daß der alte Brömser durch alten Rüdesheimer seinen Schmerz hinwegbannte und darob sein Gedächtnis etwas schwach ward – da hatte er einmal ein nächtliches Gesicht: der Drache, den er in Palästina erlegt, war wieder bei ihm, und lebendig, und fauchte ihn mit weitaufgesperrtem Rachen an und drohte ihn zu verschlingen mit Haut und Haar – da sah er die Gestalt seiner Tochter, die winkte den Drachen hinweg und blickte gar wehmutvoll auf den Brömser und verschwand.

Am Morgen aber kam des Brömsers Ackerknecht und sagte an, wie er in aller Frühe mit dem Pflug und den Stieren zu Acker gezogen sei, habe er eine klagende Stimme vernommen, die immerfort gerufen: Not Gottes! Not Gottes! Und die Stiere hätten nicht anziehen wollen, sondern immer am Boden gescharrt. Sogleich begab sich Ritter Brömser selbst hinaus auf das Ackerfeld, und da vernahm er dieselbe wehklagende Stimme: Not Gottes! Not Gottes!, die ganz in der Nähe von der Stelle drang, wo die Ochsen standen und scharrten, und zwar kam die Stimme aus einem hohlen Baume. Der Ritter rief und suchte, aber er entdeckte nichts, da ließ er den Baum spalten, und da entdeckte sich innen am Boden des hohlen Stammes eine Monstranz mit dem heiligen Leib und ein hölzernes Bild des Schmerzensmannes. Als diese Kleinode dem Baum entnommen waren, schwieg die Stimme, und die Stiere waren ruhig. Ein Jude hatte beide heiligen Stücke aus einer nahen Kirche entwendet und allda verborgen. Das erinnerte nun den Brömser stark an die Erfüllung seines Gelübdes; er gründete ein Kloster, ließ an des hohlen Baumes Stelle den Altar aufrichten und stellte das Christusbild darauf, und geschahen zu dem Kloster, das Zur Not Gottes genannt ward, und zu dem Bilde viele Wallfahrten rheinab und -auf, daß öfters an einem Tage sechzehntausend andächtige Waller da waren, und das Bild tat vordem große Wunder.

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739. Die Wasunger Streiche

739. Die Wasunger Streiche

Der deutsche Süden hat seine Wunderklugen wie der deutsche Norden; warum sollte das innere Deutschland leer ausgehen? Wer hätte nicht von Schwabenstreichen gehört oder von des Nordlands und Nordstrands witzreichen Leuten? So muß auch das Städtlein Wasungen im Meininger Lande, gleich Ummerstadt und gleich Schnett in demselben Lande, sich solche Streiche nachrühmen lassen und muß sich mit dem bekannten schlimmen Trost trösten: andern geht’s nicht besser, denn es hat Genossen in Schilda und Schöppenstedt, Polkwitz und Borsheim, Tettera und Wesenberg, Hirschau und Amweiler, Trifels und Weilheim, Stockach und Karlstadt, Ahlen und Beutelsbach, Bopfingen und Reutlingen, Düren und Mühlheim, Ganslosen und Kasendorf, Venlo und Mecheln, Hotstrupp und Gabel, Romöe und Büsum, Kisdorf und Bishorst und an hundert andern. Das ist auch keine neue Sache und Geschichte, daß die Welt der Wasunger und anderer Lalenburger Streiche rühmt, schon vor mehr denn hundert Jahren ward also geschrieben: »Im übrigen ist niemandem leicht im Hennebergischen unbewußt, daß allerhand possierliche Schwänke und Histörichen von denen zu Wasungen erzählt werden, welche eine ziemliche Verwandtschaft mit denen in Meißen berühmten Schildbürger Geschichten haben.« Hohe Regierung machte es damals und noch früher gerade auch nicht besser, wie eben zu allen Zeiten und allenthalben ihre Lalenstreiche unter den Aktentischen hervorschlupfen – sie gestattete ausdrücklich und gnädiglich schon im Jahre 1578, daß zur Winterszeit der Wasunger Ziegenhirt mit den Ziegen den Schloßberg und die Hunnenburg betreiben möge – wahrscheinlich sollten die Ziegen Schneeblumen und Eiszapfen fressen. Die zu Wasungen litten nicht, daß ein fremder Dieb an ihren Galgen gehenkt werde, sie gaben ihm den Staupbesen und ein Stück Geld mit der Weisung, er solle hingehen und sich henken lassen, wo er wolle; machten es also sänftiglicher wie die Erfurter, die einem zuvor den Kopf abschlugen und erst dann ihn hingehen ließen, wohin er wollte. Und darüber braucht keiner zu lachen, selbiger Streich der Wasunger war klug und ist in neuer Zeit im lieben deutschen Vaterlande mit manchem Strolch, vornehmem und gemeinem, ihnen nachgetan worden. Auch Eselseier haben sie ausbrüten wollen, als welche ein Fuhrmann ihnen verkauft, es waren aber sotane Eier Quarkkäse – auch darin hatten und haben sie im lieben Deutschland viele Genossen, nur mit dem Unterschied, daß häufig die Esel selbst über dem Quark brüten und nichts Gescheites zutage fördern, daran auch nur ein vernünftiger Mensch seine Freude haben könnte; mit der Katze ging es ihnen schier wie den Gabelern, und von der tragbaren Ehrenpforte, von der Salzsaat, von der durch kluges Abschneiden eines Stiefelpaares bewirkten Verschaffung eines Paares Pantoffeln darf man nicht viel Redens machen, so wenig wie von denen letztbekannten Streichen des Jahres 1848, wo auch zu Wasungen die Werra brannte und die Milchtöpfchen überliefen, so daß aus den süßen eitel Sauertöpfe wurden.

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740. Stein vom Himmel

740. Stein vom Himmel

In Frauenbreitungen, zwischen Wasungen und Salzungen gelegen, liegt ein großer schwarzer Stein, der fiel einmal vom Himmel herab ins Feld, und niemand konnte ihn wegbringen, so schwer war er. Da aber der Stein vom Himmel gefallen war, so wollten die zu Frauenbreitungen ihn gern in ihre Kirche haben. Und da hatten sie einen Gefangenen, der ein großes Verbrechen begangen, der war seines Zeichens ein Leinweber und zugleich ein starker Hans, was sonst die Leinweber nicht sind. Der vermaß sich, wenn man ihn sündelos machen wolle, so wolle er den Stein, wie der Eckardser Graf den seinen, vom Felde herein ins Ort und in die Kirche tragen, wenn auch nicht auf der Brust und auf dem Herzen, sondern in seiner Schürze. Das ward dem starken Leineweber zugelassen, und er trug richtig den Stein in einem Gange bis nach Frauenbreitungen herein. Aber da er auf den Markt kam, riß die Schürze mitten entzwei, der Stein glitt heraus und fiel an die Stelle, wo er noch liegt, niemand brachte ihn weiter. Dem Leinweber fiel der Schreck in die Kniekehle. Zum Andenken trägt seitdem das ganze Handwerk kurze Schürzen. Der Stein liegt noch und heißt der Glittstein.

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