41. Der Rotbart zu Kaiserslautern

41. Der Rotbart zu Kaiserslautern

Bei Kaiserslautern ist eine Felsenhöhle von unergründlicher Tiefe. Von dieser geht des Volkes allgemeine Sage, daß Kaiser Friedrich der Rotbart, da er aus seiner Gefangenschaft in der Türkei gekommen sei, in Kaiserslautern sich niedergelassen habe. Dort habe er das Schloß gebaut und dem Weidwerk, wie der Fischerei in dem schönen See, der noch der Kaiserwerder heißt, obgelegen. In einem Tiergarten nahe am Schloß hielt der Kaiser allerlei wunderbarliche und fremdländische Getiere, und im See fing er einstmals einen großen Karpfen, dem steckte er einen güldnen Ring von seinem Finger an eine Flosse: der Fisch blieb und bleibt hinfüro ungefangen bis auf des Kaisers Wiederkehr. Endlich kam der Kaiser hinweg, niemand wußte zu sagen wie, und es ging die Rede, er habe sich in das tiefe Loch verwünscht auf lange Zeit, da drunten besserer Zeit zu harren. Im Schlosse blieb lange noch des Kaisers Bette aufbewahrt, hängend an vier eisernen Ketten. War es abends wohl gebettet, so war es morgens verwälzt, so daß man deutlich sah, es habe jemand darin gelegen. Einst fing man im Kaiserwerder zwei Karpfen, die waren um die Hälse mit Ringen und einer güldenen Kette verbunden, zum Angedenken wurden sie in Stein ausgehauen an der Metzlerpforte.

Zu einer Zeit fand sich ein Mann, der wollte gern den Grund der großen tiefen Höhle ergründen, in welche der Kaiser sich verwünscht haben sollte, und ward an einem Seil hinabgelassen mit einem Faden, der oben an eine Schelle reichte. Und kam hinab und sah den Kaiser sitzen auf güldnem Sessel mit mächtig großem roten Barte, schaute sich um und erblickte einen großen weiten Plan, darauf standen viele Wappner. Der Kaiser nickte ihm zu und bedeutete ihn, nicht zu reden – und da grausete es dem Mann, und gab sein Zeichen an der Schelle, und ward also wieder heraufgezogen, wo er verkündete, was er geschaut. Um keinen Preis aber wollte er noch einmal hinunter.

Weit über das deutsche Land hin verbreitet ist die Sage vom verzauberten Kaiser im Bergesschoß. Im Thüringer Lande ist sie am lebendigsten um den Kyffhäuser, so auch im Untersberge bei Salzburg und anderorts, wo es aber auch oft Kaiser Karl der Große oder auch Karl V. ist, den die Sage hineinbannt und zu künftiger Wiederkehr aufbewahrt.

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419. Der Nonnengeist zu Gehofen

419. Der Nonnengeist zu Gehofen

Zu Gehofen, zwischen Querfurt und Heldrungen, lebte Frau Philippine Agnes von Eberstein, eine achtbare Edelfrau. Dieser erschien im Jahr 1683 ein Gespenst in Gestalt einer Nonne und flüsterte ihr zu, abends sechs Uhr solle sie auf den Hof gehen und allda einen großen Schatz heben, der sei ihr beschert und keiner andern. Dieser Geist war von kleiner Gestalt, weiß gekleidet, auf dem Schleier über der Stirne mit einem roten Kreuz gezeichnet, trug in der Hand einen Rosenkranz und hatte nach damals üblicher Tracht ein weißes Vorstecktüchlein vor dem Munde. Da der Gemahl der Frau von Eberstein schwer erkrankt daniederlag und dieselbe abgemattet war von Nachtwachen, auch merklich furchtsam und bange war, so gab sie dem Ansinnen des Nonnengeistes keine Folge, hatte aber deshalb viel von demselben zu leiden. Das Nonnengespenst griff die Edelfrau tätlich an, drückte und zwickte sie und verursachte ihr körperliche Schmerzen, unter beständigem Andringen, den Schatz zu heben. Der Geist war ebenso redselig als zudringlich. – Ich war eine des Geschlechtes von Trebra, flüsterte er der Frau von Eberstein erzählend zu, und wohnte hier auf dem Gut, das früher unserer Familie gehört hat. Im Dreißigjährigen Kriege vergrub ich den Schatz – hebe ihn – hebe ihn! – Nimm deinen Beichtiger dazu, deine Hausgenossen – es soll dir kein Leid widerfahren – ich schütze dich, ich führe den schwarzen Hund hinweg, der den Schatz bewacht – hebe ihn, und nie siehst du mich wieder. Wirf eine Schürze oder ein Fazinettlein darauf, wenn du den Schatz siehst! Hebe ihn – es sind auch drei Ringe dabei, die werden deinem Geschlecht stets Glück bringen. Hebst du den Schatz, so soll nach vier Jahren deine Tochter auch einen heben! – Und so ging es in einem fort; die Edelfrau litt schrecklich unter diesen fortwährenden Peinigungen. Sie sah den Geist, als sie einmal über den Hof ging, mit flehentlichen Gebärden nahe der Kapelle stehen und auf den Ort des Schatzes deuten – ja sie sah den Schatz offen und fühlte, wie der Geist, als sie sich zum Weggehen wandte, sie am Rocke festhielt. Da wurde die so sehr geängstigte Frau von Eberstein ganz schwermütig und gemütskrank, sah aber immer den Geist, und andere sahen ihn nicht, und niemand glaubte ihr, nur ihr kleines Töchterlein, das noch nicht reden konnte, deutete mit seinen Fingerchen nach der Stelle, wo der Geist stand. Dessen Quälereien trieben die Edelfrau fast zur Verzweiflung und währten schon in den vierten Monat. Bei einer Ausfahrt zu Schlitten stand der Geist an der Brücke – da feuerte die Frau zwei scharfgeladene Pistolen nach ihm ab, aber die Folge war nur um so größere körperliche Peinigung. Auf Mund und Wangen und auf die Brust schlug der Geist die Leidende, warf sie im Bette empor, hielt den Mund ihr zu, legte sich auf sie wie ein Alp. Endlich ließ er ab, mit einem Male, und die Edelfrau ließ in öffentlicher Kirchenversammlung dem Herrn für ihre Erlösung danken. Der Schatz blieb ungehoben.

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420. Der immerlebende Rabe

420. Der immerlebende Rabe

Zu Merseburg im Schloßhof wird ein Rabe lebend erhalten als immerwährender Sagenzeuge. Es lebte daselbst ein Bischof, Thilo von Trotha geheißen, ein heftiger und jähzorniger Herr, der hielt im Hause zum Vergnügen einen zahmen Raben. Der Rabe tat, was er nicht lassen konnte, er stahl wie ein Rabe, so stahl er auch einen kostbaren, hoch wertgehaltenen Ring seines Herrn, des Bischofs, und trug den Ring in sein Nest, das er auf einem hohen Turme des Merseburger Schlosses hatte. Der Bischof aber vermeinte nicht anders, als der Ring sei ihm gestohlen und sein, alter Kammerknecht sei der Dieb, und ließ diesen Diener peinlich befragen und ihm durch die Folter das Geständnis der Schuld entreißen, und ließ ihn zum Richtplatz führen. Mit zum Himmel erhobenen Händen beteuerte der Greis seine Unschuld – doch sein Haupt fiel unter dem Henkerschwerte. Da geschah es nach einer Zeit, daß ein Sturm des Raben Nest vom Turme warf, darin fand sich mancherlei güldenes und silbernes Kleinod und auch des Bischofs Ring, um den der fromme Kämmerling unschuldig war gerichtet worden. Das traf des strengen Bischofs hartes Herz wie ein Blitzstrahl, und er büßte hart und schwer seine ungetreue Tat an dem Kämmerling. Er tat sich seines Familienwappens ab und nahm ein neues an und setzte in das Schild einen Raben, der einen Ring im Schnabel trug, und oben aus der Krone hoben sich als Helmkleinod zwei Arme und Hände, deren Finger einen Ring faßten. Dieses Wappen ließ der Bischof Thilo von Trotha allenthalben anbringen, daß es ihn überall an seine Untat erinnere und zu steter Buße mahne, innen und außen am bischöflichen Palast, im Dome, an den Mauern, in den Zimmern, auf den Gängen. Und verordnete, daß im Schlosse fort und fort ein lebender Rabe solle gehalten werden, wie denn auch noch geschieht. Und immer noch ist das neue Wappen zu erblicken, am schönsten auf dem ehernen Kenotaph, das dem Bischof Thilo von Trotha im Dome zu Merseburg errichtet ward.

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421. Des Bischofs Katze

421. Des Bischofs Katze

Es saß zu Merseburg ein Bischof des Namens Michael, der hielt eine Katze, mit der er sehr vertraut war; es war dieselbige aber keine gewöhnliche Katze, sondern ein Spiritus familiaris. Einstmals reiste Bischof Michael von Merseburg nach Leipzig, da kam er an einen Hügel, und auf diesem sah er einen ganzen Schwarm Katzen, was ihn baß verwunderte. Er ritt näher zu dieser Katzenvolksversammlung hin und rief: He, ihr Katzen! Seid ihr denn alle beisammen? – Da antwortete ihm eine der Katzen: Es fehlt keine, außer des Bischofs Michael von Merseburg Katze. – Wie der Bischof in seinen Palast zurückkehrte, sprach er zu seiner Katze: Höre du, da ich gen Leipzig ritt, sah ich auf einem Hügel am Weg einen ganzen Katzenkonvent und vernahm, daß du allein noch fehltest! Warum bist du nicht auch dabei gewesen? – Auf diese Rede pfauchte die Katze ganz abscheulich den Bischof an, tat einen Satz hinauf zum Fenster, fuhr hinaus durch die Luft und kam niemals wieder. Hernachmals ist in dasselbige Fenster ein Glasgemälde gekommen, darstellend den Bischof Michael und seine Katze, und jener Hügel ist der Katzenberg genannt worden.

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422. Der Thüringer und Sachsen Herkunft und Streiten

422. Der Thüringer und Sachsen Herkunft und Streiten

Alte Sagen gingen, ein Volksstamm sei von fernher, aus dem Ostland, auf zwölf Schiffen in die Gegend gekommen, darin heute Lübeck liegt. Dies Volk habe sich Petreoli, Kieselinge, genannt und die Thyrigeten, die in selber Gegend seßhaft waren, vertrieben. Deren Männer haben sich töricht zum Streite gestellt, und deshalb seien sie Törlinge genannt worden, sie selbst aber nannten das streitbare Volk, das sie von seinen Wohnsitzen wegtrieb, Saxen. Da habe ein Saxenjüngling um güldne Hals- und Armringe, die er trug nach der Sitte der Urzeitvölker, eine Handvoll Erde von einem Törling gekauft, und der habe aus Gutheit ihm den ganzen Schoß mit seiner Erde gefüllt und des klugen Handels sich erfreut – jener aber die Erde zu seinem Volk getragen, und da sei sie fein gerieben und damit ein großes Gebiet umsäet worden. Und so besetzten und besaßen die Saxen das Land der Törlinge, und bebauten es, und trieben jene Ureinwohner über den Harz hinüber, und setzten sich fest an der Unstrut bis zur Saale und bis zur Elbe und bis zur Werra, wo sie das heutige Eichsfeld umfließt, und die Döringer wichen zurück weiter westwärts und besaßen immer noch ein schönes und reiches Land, das durch acht Worte, die mit W stabten, sonderlich genannt und bekannt ward. Diese acht Worte und Wohllaute waren: Wiesen und Weiden, Wässer und Wälder, Waid und Wein, Wolle und Weizen. Insonderheit war die güldne Aue, darinnen heute die Städte und Orte Frankenhausen und Sangerhausen, Heldrungen und Gehofen, auch Allstedt und Wallhausen und Tilleda, die alten Kaiserpfalzen, und mancher andere namhafte Ort liegen, gar ein gesegneter Strich Landes, den einst ein Graf Botho von Stolberg, welcher aus Jerusalem heimkehrte, viel höher pries als ganz Palästina. Darum bauten die alten Duringer im Unstruttals eine Grenzfeste gegen die Ostmark, daß sie geschieden seien gegen Saxen und Sorben, und nannten sie Schidinge, das ist Scheidungen, darauf saßen ihre Führer und herrschten allda gleich Königen. Ein solcher Herrscher war Merovig, aus fränkischem Königsstamme, der Sohn von des Frankenkönigs Chlodio Gemahel, die ihn, am Meere badend, von einem Meerwunder empfangen. Der erbaute im Lande Duringen manchen festen Ort und in der Nähe von Erfurt sich selbst auch einen Herrschersitz, die Merwigsburg, heute noch Möbisburg geheißen, wo man den Ort der alten Burgfeste noch zeigt. Unter Merovig kam der Hunnenkönig Attila in das Land Duringen, die Geißel Gottes, und wütete darin. Man sagt, daß er zu Isenach Hof und Hochzeit gehalten und bei Tonndorf gefischt und geweidwerkt, wo noch eine Stelle der Königsstuhl heißt. Merovig hatte einen Sohn, der hieß Childerich, der nutzte nicht viel und wurde auch nicht König, sondern die Thüringer hatten sich einen andern Gebieter erwählt, der hieß Basinus. Zu diesem Basinus kam Childerich und entlockte ihm sein Weib. Basinus hinterließ, da er starb, drei Söhne, die hießen Balderich, Berthar und Irmenfried, die teilten das weite Reich, und Irmenfried ward Thüringen als Erbe zuteil. Er erkor sich zur Gemahlin die Schwester oder Schwestertochter des Ostgotenkönigs Theoderichs, Amalbergs, die ebenso schön als stolz war. Sie deckte einstmals ihres Gemahls Tisch nur halb, weil er nur ein halbes Reich habe, und reizte ihn an, seiner Brüder Tod herbeizuführen. Dann gab sie im Bunde mit einem treulosen Rat, der Iring hieß, ihrem Gemahl falsche und verkehrte Anschläge ein, welche zur Folge hatten, daß Theoderich, sein eigner Schwager, ein Frankenheer gen Thüringen und gegen Irmenfried führte. Das hörten die Taxen gern und verbanden sich mit den Franken gegen die Thüringer. Da sind harte Streite geschehen und ward aus der güldnen Aue eine blutige, und die Unstrut stemmte sich von Leibern der Erschlagenen, über welche die Franken gleichwie über eine Brücke gingen, und Irmenfried entfloh mit den Seinen nach Burg Scheidungen, dem festen Wohnsitz, und Theoderich mit Franken und Saxen folgte ihm nach, und den letzteren verhieß Theoderich, wenn Scheidungen gewonnen werde, so solle alles Land jenseit der Unstrut das ihre sein und ewiglich bleiben. Und da griffen die Saxen furchtbar an, und die Franken verwunderten sich über deren starke Leiber und Gemüter, über ihr langes Haar, ihre groben Gewände, großen Schilde, mächtig starken Spieße und langen Messer, die sie an den Seiten trugen und Sax nannten. Und sie hatten auch ein Banner oder Feldzeichen, darin war ein Löwe, ein Aar und ein Drache. Der in Scheidungen bedrängte König Irmenfried sandte heimlich einen Vertrauten in das Lager zu seinem Schwager, der flehte um Gnade für Amalbergs und ihre Kinder, und Theoderichs Räte murrten über die Saxen und das ihnen gegebene Versprechen, und so ward heimlich Friede geschlossen in dem Sinne, daß die Gegner sich vereint der in das Land gerufenen Sachsen entledigen wollten. Da geschah es, daß ein Sachse einen Falken fing, der einem Thüringer gehörte; um diesen Falken wiederzuerlangen, offenbarte der Thüringer der Sachsen heimlichen Anschlag; den trug der Sachse schnell in das Lager, und da berieten die Fürsten und Hauptleute, was zu tun sei. Einige rieten zum schleunigen Abzug in aller Stille, aber ein greiser Führer, Herr Hagk (andere sagen Hadegast), ergriff das Banner, widerriet den Abzug, riet zum Angriff, und zwar zu plötzlichem, zur Überrumpelung im Schlafe. Solcher Anschlag ward ausgeführt, mit Not entkam der König mit den Seinen im Schlachtgetümmel, die Unstrut wurde abermals ein Blutstrom, und die Sachsen waren nun Herren des Landes und teilten sich in dasselbe und nannten den Siegestag Communio, das ist Teilnehmung, weil jeder sein Teil nahm. Da hat der alte Sachsenführer Hagk die Sachsenburg erbaut und zuerst bewohnt. Es wird auch noch bis heute die zwiefache Ruine der Sachsenburg (Ober- und Unterburg) die Hakenburg vom Volke genannt und geht die Sage, daß auf ihr Karl der Große der Sachsen urältestes Landesrecht, den Sachsenspiegel, ihnen gegeben habe. Viele andere Burgbaue sind damals entstanden, aber das alte Königreich Thüringen ging unter.

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411. Stammschloß Anhalt

411. Stammschloß Anhalt

Nicht gar weit vom Schlosse Falkenstein, nur eine halbe Meile, liegen auf dem großen Hausberg die geringen Reste einer Burg, welche einem noch blühenden Fürstenhause, den Gebietern dieser ganzen Harzgegend, den Namen verlieh; das ist Anhalt, in undenklich früher Zeit auf einem Jaspisfelsen ohne Holz erbaut, daher On-Holt genannt. Darauf ist ein sehr tiefer Felsenbrunnen, der war lange verschüttet, ist aber in neuer Zeit wieder bis zum Grunde aufgeräumt worden, und in dem Brunnen ist ein Schatz verborgen, der liegt in einem Kessel, es hat ihn aber noch niemand zu heben vermocht. Einst machte eine Gesellschaft den Versuch und ließ einen Bergmann in den Brunnen hinab. Dieser vollbrachte alles nötige Zauberwerk glücklich, und siehe, der Kessel rückte auch wirklich herauf, ganz voll alter Taler und Goldgülden, so nahe an die Hand des Bergmanns heran, daß dieser nur zugreifen durfte. Sowie er aber die Hand danach ausstreckte, um einzusacken, so zog sich der Kessel zurück wie eine spröde Schöne, dann kam er wieder nahe und äffte den Bergmann so fort und fort, bis dieser des Gaukelspieles überdrüssig war und einen Fluch tat. Plauz, fiel der Kessel in die Tiefe, und der Bergmann hörte das Gold und das Silber noch lange klingeln und rollen und an die Felswände des Brunnens anschlagen. In der Nähe liegt auch eine Wiese, die Pfannenwiese genannt, die hat ihren Namen von einer in ihr verborgenen Braupfanne voll Gold und Silber, wie denn der Sagen von verborgenen und verzauberten Bergschätzen auf und am Harzwalde so viele sind, daß ihre Zahl in das Unendliche geht.

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412. Doktor Faust auf Anhalt

412. Doktor Faust auf Anhalt

Zum Grafen von Anhalt kam zur Winterszeit der weitberufene Doktor Faustus, und da er die Frau Gräfin in gesegneten Umständen sah, so fragte er sie, ob sie nicht irgendein Gelüste oder Verlangen habe nach etwas Besonderem, wie bei Frauen in Hoffnung nicht selten, so wolle er es ihr gern vermöge seiner Zauberkunst verschaffen. Solches freundliche Erbieten nahm die Frau Gräfin gütig auf und erwiderte, es würde ihr wohl ein großes Verlangen befriedigt werden, wenn sie statt des trocknen Konfekts und der trocknen Nüsse frischen Obstes, als Weintrauben, Kirschen und Pfirsiche, teilhaft werden könnte, die werde aber jetzt im rauhen Winter weder er noch ein anderer Zauberer herbeizuschaffen vermögen. Da nahm Doktor Faustus drei silberne Schüsseln, setzte sie vor das Fenster des Tafelzimmers, murmelte eine Zauberformel und brachte dann alsbald die erste Schüssel voll frisches Obst, Äpfel, Birnen und Pfirsiche, die zweite voll Kirschen, Aprikosen und Pflaumen, die dritte voll blauer und grüner Trauben herein und hieß sie ohne Zagen davon essen, was die Gräfin auch mit großem Wohlbehagen tat.

Als nun die Zeit kam, daß Doktor Faustus von Anhalt Abschied nehmen wollte, so ersuchte er den Grafen und die Gräfin, ihn auf einem Spaziergang zu begleiten, er wolle ihnen etwas Neues zeigen. Dieses geschah im Geleite des gräflichen Gefolges, und als man vor das Burgtor trat, sah man auf einer Höhe, der Rombühl genannt, ein neuerbautes Schloß sich erheben, auf dessen breiten Wallgräben Wassergeflügel schwamm; das Schloß hatte fünf Türme, und als die Gesellschaft näherkam, fand sie zwei Tore und den Zwinger belebt von einer Menagerie seltener Tiere, die darin umhergingen und sprangen, ohne sich zu beschädigen, Affen, Meerkatzen, Bären, Gemsen, Strauße und sonstige Tiere. In einem Saale harrte ein auserlesenes Frühmahl, bei welchem Doktor Fausts Famulus, Christoph Wagner, den Diener machte, und in welchem eine unsichtbare Musik sich hören ließ. Speisen und Weine waren solcher Art, daß sie alle mit Wohlgefallen sättigten. Als die Gesellschaft aus diesem schönen Schlosse nach länger als einer Stunde Aufenthalt wieder aufbrach und sich dem Schlosse Anhalt wieder näherte, nicht ohne rückwärts nach dem neuen Schloß zu blicken, da hörten und sahen sie, wie dieses unter Schüssen und Krachen wie von Büchsen und Kartaunen in Flammen aufging, Faustus und Wagner waren verschwunden, und alle fühlten einen Löwenappetit, und es kam ihnen allen der Hunger in den Leib, und mußten noch einmal frühstücken, denn, was sie gegessen, war eitel Blendwerk gewesen.

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413. Das ist des Manns Feld

413. Das ist des Manns Feld

Da Kaiser Heinrich auf seiner Pfalz Wallhausen in der güldnen Aue Hoflager hielt, wollte er einem seiner Mannen eine Gnade erzeigen, und so erbat sich dieser ein Stück Feldes, angrenzend an die güldne Aue, so groß, als er mit einem Scheffel Gerste werde umsäen können. Dieses Ansuchen gewährte ihm der Kaiser, und der Mittelsmann säete nun nichts weniger als dicht, sondern lang und weit und umfing den Bodenraum einer ganzen Grafschaft. Das verdroß des Kaisers Ritter und Dienstmannen, und murrten gegen ihn, daß jener Kämpe mit ziemlicher Unbescheidenheit zu Werke gegangen, der Kaiser aber lachte und sprach: Wort ist Wort. Was der Mann umsäet hat, das ist des Manns Feld. Von da ab wurde und blieb der neuen Grafschaft der Name Mansfeld, und in das Wappen, das die Grafen annahmen, wurden Gerstenkörner gestellt, welche die Heraldiker hernach Wecken nannten, weil sie den Ursprung vergessen hatten und die Körner undeutlich ausgedrückt fanden, wie sie aus den ursprünglichen Pfauenschweifwedeln durch den Hut überm Wappen der alten Grafen von Henneberg ein paar unbedeutende Rohrkolben gemacht und andere solche Schnitzer mehr auf gar vielen alten Geschlechterwappen.– Des Hauses Mansfeld Ahnherren haben die alten Historiker, die so zuverlässig sind wie die alten Heraldiker, weit über die Zeit der Kaiser Heinriche hinaufgerückt, sie glänzten nach ihnen schon unter den Rittern der Tafelrunde.

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414. Schloß Mansfeld

414. Schloß Mansfeld

Die Sage geht, daß auf der Stätte, darauf Schloß Mansfeld sich erhob, jener Lindwurm hauste, und zwar in einem ungeheuerlichen Lindenwalde, den der Ritter St. Georg erlegte. Der Berg heißt noch bis heute der Lindberg, und St. Georg wurde als der Grafschaft Mansfeld Schutzpatron gar eifrig verehrt und sein Bild, den Lindwurm erlegend, zu Roß und zu Fuß auf die mansfeldischen Münzen geprägt, nicht minder war ihm die Kirche des Städtleins Mansfeld geweiht. Ja die Einwohnerschaft ehrte diesen Heiligen so hoch, daß sie ihn für einen Grafen und Herrn von Mansfeld hielt und überall sein Bildnis, selbst in Fensterscheiben und an Öfen, wie an Gebäuden, Säulen und Brücken, anbringen ließ. Das Schloß war groß, stattlich und fest, jedes neue Jahrhundert erweiterte es und schmückte es aus und brachte auch mancherlei Bildwerk an. So zeigt man noch als Wahrzeichen einen Mönchs- und einen Nonnenkopf und erzählt als Sage, daß ein klösterliches Liebespaar auf dem Schloß gefangengehalten worden; da erhenkte sich das arme Nönnlein in ihrer dunkeln Kammer, und der Mönch stürzte sich vom Schlosse, worauf die Geister beider in liebender Unzertrennlichkeit dem Geschäft des Spukens oblagen. Auch heitere Trinkbilder zierten manchen Eingang, denn die edlen Grafen waren mannliche Zecher und taten’s dem Grafen Klettenberg zum mindesten gleich. Einst besuchte Doktor Luther die hohen Herren, von ihnen eingeladen, da schwemmte ihm schon der Wein die Treppe herab entgegen, und droben die Trinker wankten und schwankten. Da rief Luther ihnen prophetisch zu: Ei, ihr Herren, dünget ja gut und schön! Da wird brav Gras danach wachsen! Und dem geschahe also. Gras wächst seit lange auf Treppen und Gängen und in den Höfen des Schlosses Mansfeld, hohes Gras, und die Grafen sind längst ausgestorben, der goldene Saal ihres Schlosses ist eine Trümmer.

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415. Stein und Schlacht am Welfesholz

415. Stein und Schlacht am Welfesholz

Ohnweit dem Städtchen Hettstedt liegt das Welfesholz, da liegt nahe dem Holze ein Stein in der Feldmark zwischen Helmsdorf und Gerbstädt, nur wenige Schritte von dem Schleifwege, welcher von Zabenstedt nach dem Welfesholze führt; derselbe Stein ist gar hoch berühmt.

Der Ahnherr der Grafen von Mansfeld, Graf Hoyer, war Kaiser Heinrichs V. Feldmarschall und führte dessen Heer gegen die Sachsen, die unter Graf Wiprecht von Groitsch stritten. Graf Hoyer war, wie der große Römer Julius Cäsar, aus seiner Mutter Leib geschnitten, und da die Schlacht am Welfesholze beginnen sollte, so ritt der Graf zu jenem Stein und sprach stolz und freudig:

Ich Grave Hoyer ungeborn,
Han noch keine Schlacht verlorn.
So wahr ich greif‘ in diesen Stein,
Auch diese Schlacht muß meine sein! –

und da griff er mit eiserner Hand in den Stein wie in einen Weizenteig und begann die Schlacht. Aber des Grafen Zuversicht und Stolz brach sein furchtbarer Gegner, Graf Wiprecht von Groitsch, der im persönlichen Kampfe nach der tapfersten Gegenwehr den Helden fällte und erschlug. Die Sachsen siegten, und des Kaisers Heer wich vom Kampfplatz, soviel dessen nicht erschlagen ward. Ein Weidenstock rief in dieser mörderlichen Schlacht: Jodute! Jodute!, den uralten Hülferuf. Das half zum Siege. Die Sachsen errichteten darauf eine Siegessäule, die sie Jodute nannten und ihr viele Ehrfurcht erwiesen; später wurde eine Kapelle an den Ort gebaut, und aus dem Jodute schufen die Mönche mit klugem Sinne ein Signum Adjutorii, das Volk aber in seinem unklugen Sinne machte einen neuen Heiligen des Namens Jodute daraus. Der Stein am Welfesholz steht noch auf dem Acker, fast eine Elle dick und breit, und die Spur des Griffes von der Heldenfaust ist tief in denselben eingedrückt. Er gleicht einem weißen Kiesel und wird beim Gewitter weich. Wenn einer mit einem Stock daranschlägt, soll er erklingen, als ob er hohl wäre.

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