40. Trifels

40. Trifels

Über dem Anweiler Tale bei Landau erhob sich eine stattliche Kaiserpfalz, Burg Trifels. Es geht die allgemeine Sage, daß König Richard Löwenherz von England darinnen gefangengehalten worden vom Kaiser Heinrich. Niemand wußte, wo er hingekommen, und war große Sehnsucht nach Richards Wiederkehr in seinem Reiche. Nun hatte Richard einen treuen Dienstmann, der war ein Minnesänger und verstand sich meisterlich auf die Kunst des Gesanges und der Töne. Der machte sich mit einer Schar redlicher Mannen auf, seinen König allüberall zu suchen. Reichen Schatz an Gold und Kleinodien, den das Volk geopfert, nahmen sie mit sich zum Lösegeld. Auch König Richard war ein Minnesänger, und Blondel, so hieß jener treue Dienstmann, kannte und konnte des Königs Lieder. Vor mancher Burg, darinnen er den König gefangen glaubte, hatte Blondel schon Weisen angestimmt, auf welche, wie er sicher voraussetzte, der König, wenn er ihn hörte, singend antworten mußte, aber es war still geblieben hinter den festen Mauern. Schon war er am Donaustrom auf- und abgezogen und hatte auch all um den Rhein gesucht und gesungen, da vernahm er, daß in der Nähe der Stadt Landau, allwo man dazumal des Heiligen Reiches Kleinodien aufbewahrte, die Kaiser Friedrich auf den Trifels selbst eine Zeitlang bringen und bewahren ließ, auf dreien Felsenzacken gar ein großes und stattliches Kaiserschloß stehe, und da Blondel der Meinung war, nur in einem solchen Schloß werde der römische Kaiser seinen König und Herrn gefangen halten, so wandte er sich dorthin mit den Seinen, umschlich spähend die Mauern und stimmte am Fuße der starken und hohen Türme, in deren Tiefen und Verliesen man gewöhnlich die Gefangenen schmachten ließ, jene Weisen an, die nur König Richard konnte. Und – o Freude – endlich, endlich drang aus dem Gemäuer des Turms auf Trifels antwortender Gesang in gleicher Weise – hoch schlug vor Freude Blondels Herz, sein Richard, sein König war gefunden und bald darauf auch aus seiner Haft befreit.

Vom Schlosse Dürrenstein am Donaustrome geht die gleiche Sage, alldort zeigt man noch ein Loch im Trümmerfelsen, darin Erzherzog Leopold von Österreich den heldenmütigen König soll gefangengehalten haben.

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396. Zaubersaal und Lutherfalle

396. Zaubersaal und Lutherfalle

Im Kloster Walkenried zeigt man noch einen alten wüsten Boden, den nannte man früher einen Saal. Herzog Christian Ludwig zu Braunschweig hatte nach der Reformation in Walkenried eine gute Klosterschule einrichten lassen, wie zu Pforte, zu Meißen, zu Schleusingen, zu Roßleben und andern Orten andere fromme Fürsten auch getan, und hatte alle Einkünfte des Stiftes Walkenried dazu bestimmt und gesagt, er begehre in seinen Schatz keinen Heller von dem Vermögen der geistlichen Stifter. In dem erwähnten Saale nun spielten einstens die Schüler und hatten ein Zeichen gelegt, wer unter ihnen darüber und am weitesten springen könne. Da war ein Knabe aus dem nahen Städtlein Ellrich dabei, der hieß Damms (wurde hernachmals Superintendent und berühmt), und der blieb auf einmal auf einem gewissen Platz, dahin er beim Springen gekommen, stehen wie gebannt und war nicht davon wegzubringen und wegzureißen. Auch der herzugerufene Rektor vermochte es nicht. Da gedachte der Rektor, es müsse hier ein geheimer Zauber walten, und gebot dem Schüler, umherzublicken, ob er nicht ein Zeichen oder eine Schrift erblicke. Das tut der Knabe, und da nimmt er über sich einen Kreis wahr und an der Ostwand eine griechische Schrift, nach Süden aber angemalte Charaktere, und beschreibt sie, und liest die Schrift, und da wird er wieder frei. Der Rektor machte Anzeige davon, und es soll dann gen Westen in der Mauer am Fenster in einer Blende ein Steintopf voll Brakteaten, jeder so groß als ein Ortstaler (1/3 Taler- oder ½ Guldengröße), gefunden worden sein. Später haben noch andere gesucht mit Zauberformeln und Wünschelruten, aber obschon die Wünschelrute geschlagen und es heller Tag gewesen, so wäre ein Schrecken über sie gekommen und gewesen, als wenn ein Wirbelwind zwischen ihnen hindurchbrause und sie bis zur Decke emporziehe. Andere sagen, jener Rektor habe den Schatz heimlich gehoben und solchen Thesaurum ad usum Delphini auf sich transferieret. Noch andere haben wissen wollen, der berühmte Benediktiner und Chymiker Basilius Valentinus, der auf dem Petersberge zu Erfurt lebte und sich im Besitz des Steines der Weisen befand, habe auch im Kloster Walkenried auf eine Zeit gelebt, und jener verborgene Schatz im Zaubersaal, den der Schulrektor gefunden, sei der Stein der Weisen gewesen, welches jedoch aus vielen Gründen billig in Zweifel zu ziehen und ganz ohne Beispiel sein dürfte.

Es geht auch noch die Sage, daß einst auf einer Reise durch den Harz Doktor Martin Luther von Nordhausen, allwo er gepredigt, und vom Erzbischof von Mainz beredet, mit diesem in das Stift zu Walkenried gekommen, da habe der Mönche Arglist den Reformator, dessen Werk und Wirken ihnen gar sehr zuwider, heimlich aus der Welt schaffen wollen und ihn nach einer Falle geführt, die sie bereit hatten für Missetäter. Dies Werk hieß der Marienkuß, hatte den Anschein einer kleinen Kapelle, darinnen brannte vor einem dunkeln Madonnenbilde ein ewiges Licht, das Bild aber war eine eiserne Jungfrau, und trat einer in dieses Kapellchen, so wich der Boden, und er stürzte in eine grauenvolle Tiefe hinab. Schon nahete Lutherus sich dem verräterischen Ort, siehe, da lief sein Hündlein vor ihm her und hinein, tat einen Schrei und verschwand. Da deutete Lutherus mit der einen Hand nach der Falle und mit der andern nach oben und sprach mit ernster voller Stimme nur die zwei Worte: Gott wacht! – und ging, und die Mönche erbebten.

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397. Der letzte Graf von Klettenberg

397. Der letzte Graf von Klettenberg

Die Grafen von Hohenstein, Lohre und Klettenberg waren ein besitzungenreiches Geschlecht im Harzgebirge, zwei Städte, Ellrich und Bleicherode, gehörten ihnen und viele Ortschaften, Burgen, Gehöfte und Mühlen. Der letzte, vielleicht ein Enkel jenes Ernst, der dem Bauernhänsel zu Walkenried eine so treffende Antwort gab, war Graf Ernst VII. Dieser wackere Degen war in seinen jungen Jahren, zu alten kam er leider nicht, ein guter Zechbruder und tapferer Trinker. Einst war zu Ellrich auf des Grafen Kemnats daselbst eine schöne Zahl von Harzgrafen und Rittern versammelt; die Humpen kreisten fröhlich in der Runde, und in heiterer Weinlaune setzten die lustigen Kumpane eine güldne Kette zum Preise aus für den, der ihnen allen obsiegen und noch stehen werde, wenn sie alle unter den Tisch getrunken wären. Der Kampf ward hitzig und lange geführt; fort und fort wurde der kreisende Pokal geleert, bis endlich die Köpfe schwer wurden und die Helden sanken. Nur zwei hielten sich noch, zuletzt aber ergriff der eine die Goldkette, fast schon im Sinken, und hing sie dem Sieger lallend um. Dieser Sieger war Graf Ernst, der edle. Derselbige fühlte, da er im Trinksaale nichts mehr zu tun fand, ein Bedürfnis nach frischer Luft, denn es war nichts Kleines, als Sieger im Weinlanzenbrechen über so vielen tapfern Grafen und Rittern zu stehen, die alle unterlegen waren. Im Schmuck der glorreich errungenen güldenen Kette bestieg der Graf sein bereitstehendes Roß und trabte durch Ellrich, doch war ihm etwas schwül, und die frische Luft machte ihn im Sattel wanken und schwanken, wenn es nicht neben der frischen Luft etwas anderes war. Es war gerade Sonntag, und aus der offenstehenden St. Niklaskirche klang erbaulich Orgel und Gesang. Nun war Graf Ernst VII. von Hohenstein, Herr zu Lohre und Klettenberg, gar ein frommer Held, auch Administrator des Stiftes Walkenried, und da dünkete ihm, man müsse dem lieben Gott nicht ausweichen, lenkete sanft sein Rößlein nach der Kirche und vergaß nur eines, nämlich abzusteigen, er ritt ganz wohlgemut in seligem Taumel mitten durch die Gemeinde, stracklich auf den Altar zu, daß jedermänniglich erschrak und die Geistlichen sich kreuzigten und segneten. Aber siehe da, das Stampfen und Schlagen der Rosseshufe, das mit der ganzen Erscheinung die Andacht mächtig störte, nahm plötzlich ein Ende, denn durch ein Wunder des über den Frevel erzürnten Gottes entsanken plötzlich den Füßen des Pferdes alle vier Hufeisen zugleich, ja dasselbe soll selbst samt dem Reiter niedergesunken sein, mindestens auf die Kniee. Darauf trabte Graf Ernst ganz geräuschlos wieder aus der Kirche, die vier Hufeisen aber wurden zum Wahrzeichen an deren Türe genagelt, wo sie lange blieben, bis ein Brand die Kirche zerstörte, dann sind sie auf das Rathaus gekommen.

Graf Ernst, welcher solchen gewaltigen Fehden, wie diese für ihn so siegreiche war, wohl häufig beiwohnen mochte, brachte sein Leben nur auf vierunddreißig Jahre, vier Monate und zweiundzwanzig Tage, doch war er zweimal vermählt. Er starb als ein frommer Christ und erhielt zu Walkenried seine Ruhestätte, und zwar in der jetzigen Klosterkirche, dem früheren Kapitelhause, und wurden sein gräfliches Wappen, wie seine Siegel und sein Degen mit ihm begraben, es ward ihm eine gar schöne Parentation gehalten und ein stattliches Denkmal errichtet, darauf er in seiner Rüstung in Lebensgröße knieend zu erblicken ist, über seine Brust weit herabhangend die bewußte güldne Kette mit wertem Kleinod. Sieht Ritter Götzens von Berlichingen Grabmal sehr ähnlich.

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398. Die Kelle

398. Die Kelle

Von der Kelle, einer viel besuchten Gipshöhle, die früher viel anders und schöner sich darstellte als jetzt, nachdem sie allmählich in sich zusammengebrochen, geht manche Sage. Der ursprüngliche Name ist Kehle, so viel als Schlund, und die Sage will, daß dieser schöne, aber auch schaurige Schlund alljährlich ein Menschenleben zum Opfer fordere. Um ihn zu versöhnen, zog in der früheren Zeit ein Priester aus Ellrich mit voller Prozession der Gemeinde, mit Kruzifix, Kirchenfahnen und Heiligenbildern nach der St. Johanniskapelle in der Nähe der Höhle und dann nach dieser selbst, senkte ein Kreuz in den eisigkalten Wasserspiegel und zog es wieder daraus hervor, und dann rief er:

Kommt und guckt in die Kelle,
So kommt ihr nicht in die Hölle.

Auch wohnt in der Kelle eine Nixe, und diese besonders hat es an der Art, Menschen in ihr Wasser zu locken, das kalt und giftig ist. Selbst ein Frosch, den einer hineinwirft, wird gleich starr und steif, was soll da erst ein Mensch tun, der kein Frosch ist!

An jenem Tage, der Lissabon durch ein entsetzliches Erdbeben zerstörte (1.Nov. 1755), ward im Kehlholze über der Kelle ein seltsames unterirdisches Getöse vernommen, und in Ellrich hörte man ein langanhaltendes Krachen, wie von fernem Donner, auch zeigten die Müller an, daß das Wasser urplötzlich mit ungewöhnlicher Gewalt auf die Mühlen geschossen sei. An demselben Tage ist gleicherweise der Salzunger See in heftige Bewegung geraten, das Wasser ist in die Tiefe hinab wie in einen Trichter gestrudelt und dann wieder mit Rauschen und Brausen hervorgebrochen, so daß es die Ufer überflutet hat. Das hat in den zwanziger Jahren noch ein alter glaubhafter Mann erzählt, der es selbst gesehen, dennoch haben es Neugescheite verlacht und für Fabel erklären wollen.

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3. Sankt Gallus

3. Sankt Gallus

Schon in frühen Zeiten drang das Christentum in das rätische Gebirge. Ein britischer Königssohn, Ludius mit Namen, soll über Meer gekommen sein und diesem Lande zuerst das Evangelium gepredigt haben. Nach ihm heißt noch ein Gebirgspfad zwischen Graubünden und der Herrschaft Vaduz (Fürstentum Liechtenstein) der Ludiensteig. Nach ihm kamen die Apostel Rätiens und Helvetiens, Sankt Gallus und seine Gefährten Mangold und Siegbert, ersterer der Sohn eines Königs in Schottland, mit dem heiligen Columban an den Bodensee, zerstörten die Götzenbilder und brachen das Heidentum. Sie wohnten als fromme Einsiedler in Hütten, heilten Kranke und predigten das Evangelium. Ein alemannischer Herzog, Gunzo, wohnte in Überlingen, damals Iburinga genannt, dem war die Tochter schwer erkrankt; der heilige Gallus heilte sie, und dafür schenkte ihm und seinen Gefährten Gunzo ein großes Waldgebirge zum Eigentum, in welchem sie sich nun besser anbauten. Aus diesem ersten Anbaue ist die hernachmals so berühmte und herrliche Abtei Sankt Gallen geworden, welche einer Stadt und einem ganzen Lande den Namen gegeben. Aber St. Gallus blieb, als er noch im irdischen Leben wandelte, nicht beständig in seiner Einsiedelei, er stieg, als die Abtei St. Gallen schon begründet war, der Sitter entlang höher empor und erbaute sich an geeignetem Ort eine neue Zelle, das Hirtenvolk zu bekehren. Diese nannte das Volk des Abten Zelle, daraus ist der Name Appenzell entstanden. Das Hirtenvolk nahm auch willig das Christentum an, als aber später die mächtige Abtei dasselbe in seiner Freiheit bedrohte, erhob es sich zum Kampfe. Der Abt von St. Gallen suchte Hülfe bei Österreich, da saß aber droben auf der festen Burg Werdenberg ein edler Grafensohn, Rudolf von Werdenberg, der hielt zu den Hirten des Appenzeller Gebietes und führte sie zum Kampfe gegen St. Gallen. Am Stoß geschah eine heftige Schlacht, lange schwankte der Sieg, plötzlich kam über den Berg herüber eine großmächtige Schar Kriegsvolk den Hirten zu Hülfe – als die Feinde der Appenzeller diese erblickten, flohen sie eilend vom Schlachtfeld. Es waren aber die Hülfsvölker, die sich gezeigt und durch ihren Anblick von weitem den Feind hinweggeschreckt, keineswegs Kriegsmänner, sondern der Hirten Weiber und Töchter in männlicher Tracht gewesen. Seitdem blieb das Ländlein Appenzell mitten im St. Galler Lande ein eigenfreies und regierte sich selbst.

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39. Das Hündchen von Bretten

39. Das Hündchen von Bretten

Dir geschieht wie dem Hündchen von Bretten! sagen die Leute in der Rheinpfalz. Damit deuten sie auf ein Wahrzeichen des Städtleins Bretten hin und bezeichnen mit dem Spruch den Empfang des bekannten Teufelsdankes für gehaltene Treue. Zu Bretten war ein Mann, der hatte ein treues frommes Hündchen, das hatte er mit Fleiß abgerichtet zu allerlei Dienst und Kunststück, insonderheit brauchte er es zum Fleischholen. In einem Körbchen, darin eingewickelt das Geld lag und auf einem Zettel stand, was es bringen sollte, holte es beim Metzger Wurst und Fleisch, rührte davon nie einen Bissen an, so brachte es dem Metzger viele viele Kreuzer ins Haus. Da fügte sich’s, daß der Metzger einen Gesellen bekam, der war katholisch, der Mann aber, dem das Hündlein zugehörte, war evangelisch und sandte es auch am Freitag zum Metzger, daß es, wie gewohnt, sein Fleisch oder seine Wurst hole. Solches verdroß den Metzgergesellen, und er sagte: Warte, Ketzer, ich will dir den dir gehörigen Schlünker schicken, nahm das Hündlein, hackte ihm auf dem Bloch das geringelte Schwänzchen grausam ab und legt’s in den Korb. Das arme Tier faßte den Korb, lief blutend nach Hause, stellte den Korb vor seinen Herrn, legte sich hin, winselte, streckte alle Viere von sich und starb. Die ganze Stadt Bretten war entrüstet über solch ungetreue Tat, der Gesell wurde alsobald ausgewiesen und des Hündleins Bild ohne Schwanz in Stein gehauen und übers Stadttor gesetzt, darüber ein Kranz, den Lohn der Treue anzudeuten. Dieses ist das Wahrzeichen von Bretten, in welcher kleinen Stadt der große Philippus Melanchthon geboren wurde.

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399. Maria im Elende

399. Maria im Elende

Tief im Harzgebirge führte ein Fuhrmann zur Winterszeit eine Last Weines, und an unwegsamer sumpfiger Stelle blieb sein Wagen stecken, ja es drohten Schiff und Geschirr im Schnee und Morast gar zu versinken. Da rief er, in tiefer Waldeinsamkeit sich von aller menschlichen Hülfe verlassen sehend, Gott und die heilige Jungfrau an, ihn aus diesem Elende zu retten, und siehe, es erschien ihm die Königin der Himmel und rettete ihn. Da sie ihn nun fragte, welche Fracht er geladen habe, und er antwortete: Wein!, so wünschte sie den Wein zu kosten. Dazu war der Fuhrmann gleich willig und bereit, allein er klagte, daß er keinen Becher habe. Da rührte Maria an einen Dornenstrauch, und alsbald sproßten Rosen aus dem Strauche, welche Maria brach und zu einem Becher formte, den sie dem Fuhrmann gab. Dieser ließ Wein in den Rosenbecher fließen, und siehe, der zarte Pokal hielt den Wein, wie aber der Fuhrmann nun den Wein seiner Retterin reichen wollte, so war sie verschwunden, und sein Blick suchte sie vergebens ringsumher. Leicht zogen jetzt die Pferde die Last des Wagens, bis sie an ein einsames Kirchlein kamen, das schon zu des Bonifazius Zeiten in diesen tiefen Waldeinöden erbaut sein sollte. Der Fuhrmann erkannte darin, daß seine Pferde am Kirchlein anhielten, den Wink des Himmels, hier zu danken, er trat hinein und erstaunte, als er in dem darin aufgestellten Marienbilde ganz das holdselige Frauenbild wiedererkannte, das ihm helfend und rettend erschienen war. Dankend kniete er nieder und stellte das wundersame Gefäß, den Blumenkelch, auf den Altar und erzählte allen Menschen, die er traf, das hohe Wunder. Da strömten aus Nähe und Ferne bald die Gläubigen herbei, die Wunderkraft der hülfreichen Maria im Elende anzurufen; es begründete sich, wie dort zu Grimmenthal im Henneberger Lande, ein Wallfahrtort und ein Hospital; es mußten neue und viele Türen in die Mauerwände der Kirche gebrochen werden, und die Wände bedeckten sich mit Krücken der Lahmen und Brüchigen, die geheilt von dannen gingen. Ein Nonnenkloster entstand, eine neue herrliche Kirche ward erbaut und die Rosenkirche genannt, weil ein Kreuz von vierundsiebenzig steinernen Rosen ihr Gesimse zierte. Auch ein Haus für sechs Kanoniker ward erbaut, und große Schätze wurden gesammelt, welche noch dort vergraben liegen sollen, nachdem schon längst der Glanz und aller fromme Wunderglaube dahin ist. Als die Zeit der Verwüstung gekommen war und das hülfreiche Marienbild beseitigt wurde, hat es sich erhoben und ist nach Heiligenstadt gewandelt, wo es noch bis heute der Verehrung gläubiger Christen sich erfreut.

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400. Jungfrau Ilse

400. Jungfrau Ilse

Hoch oben am felsreichen Brocken entspringt ein Bergbach, der mit starkem Fall zu Tale rinnt, das ist die Ilse. Unten im Tale, nicht weit von dem ehemaligen Klosterort Ilsenburg, ragt senkrecht ein mit einem eisernen Kreuz geschmückter steiler Fels empor, das ist der Ilsenstein. In diesem Steine wohnt des Flüßchens Nixe, die Jungfrau Ilse; bisweilen tritt sie in Mondscheinnächten oder am frühen Morgen aus dem Stein hervor, in der klaren Flut zu baden. Wer da das Glück hat, sie zu sehen – selten nur ist dies einem vergönnt –, den macht sie reich. Sie soll eines Harzkönigs Tochter gewesen sein und von einer bösen Hexe aus Neid in den Stein verwünscht, bis Zeit und Stunde kommen, sie zu erlösen. Nur ein völlig reiner und tugendhafter Jüngling und so schön wie die Jungfrau Ilse vermag dies; er darf noch nie geliebt haben, und Ilse muß die erste Maid sein, der sein Herz in Neigung sich zuwendet. Einst wandelte ein Köhler am frühen Morgen durch das waldige Tal abwärts; er sah die Jungfrau Ilse und grüßte sie. Sie winkte ihn zu sich, und er folgte ihr bis an den Fels, in dem er eine Türe erblickte, die er früher nie gesehen. An dieser Pforte nahm sie ihm seinen Ranzen ab und ging hinein. Bald kam die Jungfrau Ilse wieder heraus und übergab ihm den Ranzen, sagte ihm aber, er solle ihn ja nicht eher öffnen, bis er seine Wohnung erreicht habe. Erst war der Ranzen leicht, er wurde aber mit jedem Schritt schwerer, und die Neugier des Köhlers, was wohl darinnen sei, wuchs gleich der Schwere mit jedem Schritt. Sie werde ihm wohl einen Schabernack gespielt und Steinklumpen hineingetan haben, dachte er. Auf der Ilsenbrücke hielt er an, öffnete den Ranzen, fand ihn aber nur voll Eicheln und Tannenzapfen. Was soll ich an dem Zeuge tragen? sagte er und schüttelte es in die Ilse hinab, da hörte er ein Klingeln drunten auf den Steinen, es blinkte und blitzte wie helles Gold herauf und verschwand. Geschwind schloß er den Ranzen, einige Eicheln rasselten noch darin. Als er heimkam, waren sie Goldstücke, und der Rest reichte dennoch hin, ihn reich zu machen.

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401. Der Brunnengeist auf Regenstein

401. Der Brunnengeist auf Regenstein

Eine uralte Felsenburg am Niederharz ist der Regenstein oder Reinstein, zu den Zeiten Kaiser Heinrich des Finklers entstanden, ganz in Felsen gehauen. Es saßen Grafen darauf, die führten ein Hirschgeweih in ihrem Wappen. Einer derselben, Friedrich genannt, blieb erbenlos mit seiner Ehefrau, und beide trauerten darüber sehr, daß ihr Geschlecht mit ihnen erlöschen solle. Nun war auf dem Regenstein ein tiefer Felsenbrunnen, dahinein war des Ahnherrn Geist gebannt, der erteilte bisweilen Rat und sagte zukünftige Ereignisse voraus. Deshalb lag Graf Friedrichs Hausfrau ihren Gemahl an, doch den Geist zu befragen, ob es nicht möglich, daß ihr Geschlecht sich forterbe. Und da nun in der Mitternachtstunde eines Marientages Graf Friedrich sich dem Brunnen nahte, so erschien ihm seines Ahnherrn Geist und sprach: Was ihr hoffet, wird euch erfüllt. – Da fragte der Graf den Geist, ob für ihn keine Ruhe und Erlösung zu hoffen. – Wann der Reinstein zur Trümmer wird, dann werde ich Ruhe finden! antwortete der Geist und verschwand. Das war ein Wort, welches wenig Hoffnung gab, denn daß die Burg, das Felsenhaus, je eine Trümmer werden könne, schien undenkbar. – Noch in demselben Jahre schenkte Graf Friedrichs Gemahlin ihm einen Erben, einen frischen Knaben, der den Namen Konrad empfing. Und im darauffolgenden Jahre ward ein zweiter Knabe geboren, der ward Helmold genannt. Bei dessen Geburt ließ der Geist des Ahnherrn im Brunnen sich sehen und sprach aus: Dieses Kind wird meine Erlösung bewirken, wie er meinen Namen führt. Da offenbarte sich, daß der Geist im Brunnen jener des wilden Ahnherrn Helmold von Regenstein sei. Helmolds, des Letztgeborenen, Erziehung wurde vernachlässigt, er entfloh, wurde ein Räuberhauptmann, verlangte nach seiner Eltern Tode sein Erbteil von seinem Bruder Konrad, und da dieser es weigerte, so eroberte Helmold mit seiner Schar die Burg, zwang seinem Bruder sein Erbteil ab, versöhnte sich jedoch mit ihm, verleitete ihn aber zugleich selbst zur Wegelagerei, und dieses hatte zur Folge, daß der Herzog von Braunschweig die Burg belagerte, einnahm und das Raubnest so weit zerstörte, als es nicht ganz und gar aus Felsen bestand. Da ist des Ahnherrn Geist zum letzten Male aus dem Brunnen des Regenstein gestiegen und zu seiner ewigen Ruhe gelangt.

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395. Vom Kloster Walkenried

395. Vom Kloster Walkenried

Es war eine junge Gräfin von Lohre, Alheidis, Herrn Ludwigs von Lohre Tochter, die tat geradeso wie jene Kunigunde von Kynast, sie ließ ihre Freier dreimal um die Burgmauer reiten, das brachte manchem den Tod, ihr aber nicht. Es fand sich einer, der das Abenteuer mannlich bestand, das war Herr Volkmar, Graf von Klettenberg, und als sie nun diesen geheiratet hatte, da bereute sie ihre Frevel und Sünden und ward eins mit ihm, ein Kloster zu gründen. Beide reiseten nach Köln am Rhein und nach Trier und besuchten die Gräber der heiligen Märtyrer und nahmen aus dem Kloster Kampen siebenzehn Mönche mit aus ihr Gut Walkenried. Dort ward im Jahre 1127 ein herrliches Klosterstift nach der Ordensregel St. Benedikts begründet, dann aber in ein Zisterziensermönchskloster umgewandelt. Zweitausend Arbeiter hatten rastlos den Bau gefördert, doch soll er dreißig Jahre lang gedauert haben. Die Grafen von Herzberg und Lauterberg steuerten auch zum Klosterbau, sie ließen eine Million Steine anfahren. Gar eifrig erwies sich insbesondere die Gründerin Alheidis, sie opferte selbst ihren Schmuck dem Klosterbau und legte Segen und Fluch auf ihn, nämlich Fluch für den, welcher den Bau schädigen und das Kloster berauben würde. Der Fluch für solchen unfrommen Räuber lautete hautschauerig: Verflucht seien alle seine Werke! Verflucht sein Ausgang und sein Eingang! Verflucht sei sein Leben und verflucht sein Sterben! Sein Tod sei wie eines Hundes Tod! Wer ihn begräbt, der werde vertilgt! Verflucht sei die Erde, darin er jenen begräbt, und so der Räuber nicht Buße tut, so bleibe er bei dem Teufel und seinen Engeln in dem ewigen Feuer!

Wo so christlich gebetet wurde und nebenbei die allerhöchste verschwenderischeste Pracht zum Aufbau und Ausschmuck des Stifts verwendet wurde, daß man den von Kreuzgängen umgebenen Garten das Paradies nannte, da mußte der Teufel auch dabei sein. Selbiger hat sich im Kloster viel und mancherlei zu schaffen gemacht, absonderlich aber seine Tücke im Bauernkriege gezeigt, wo er seine größte Lust und Freude daran gehabt, das überaus herrliche Gotteshaus und wundervolle Klostergebäude fast gänzlich aus purer Lust am Frevel zerstören zu sehen, so daß daraus Behausungen der Vögel und Füchse wurden. Die Bauern exerzierten damals mit Waffen gewaltiglich, und alle Welt sollte ihr lieber Bruder sein. Da war bei sotaner Walkenrieder Bauernwehr ein kecker Schafhirte aus Bartefelde, hieß Hans Arnold, der war Hauptmann und stolzierte prunkhaft mit Gückelhahnfedern auf dem Schlapphut vor den beiden Grafen von Lohre und Klettenberg her, die in die allerliebste Bauernbrüderschaft gezwungen waren. Drehete sich der Held auf einem Beine um, schwang seinen Spieß und rief: Siehst du, Bruder Ernst, wie ich Krieg führen und exerzieren kann? Was kannst du denn, hehehe? Graf Ernst von Klettenberg antwortete trocken: Bis zufrieden, Hänsel! Das Bier gäret wohl, es ist aber noch nicht im rechten Fasse, dahinein es kommen wird! – Das war ein böses Wort, das nahmen die Herren Bauern sehr übel und hätte dem Grafen fast Prügel getragen. Er hatte aber doch recht gehabt, denn als das Blättlein sich wendete, so kam schon das Bier in das rechte Faß zusamt der Hefe und ward der Spieß garstig umgedreht, nämlich manchem kecken Bäuerlein im Leibe.

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