502. Der Tannenbusch

502. Der Tannenbusch

Wenn man von Schwarza dem dunkeln Bergwasser der Schwarza entgegengeht, kommt man bald nach dem Dorfe Birnau. Daselbst lebte ein alter Förster, der hieß Jakob, den neckte oft, wenn er im Walde ging, mancherlei Spuk. So geschah es ihm auch zu einer Zeit, daß, wenn er auf den Anstand ging und ihm ein Hirsch in den Schuß kam, ihm, sowie er schießen wollte, ein Tannenbusch vor die Büchse trat, so daß er niemals schießen konnte, denn sowie er sich seitwärts bog, rückte der Busch nach, und wenn er dann ärgerlich das Rohr absetzte und an eine andere Stelle ging, so war zwar der Tannenbusch fort, aber auch der Hirsch. Das machte dem alten Förster viele Sorge, und er ging nach Dreißigacker, allwo ein Scharfrichter wohnte, den fragte er um Rat in dieser Sache. Der Scharfrichter besann sich gar nicht lange, sondern sagte: Wenn Euch der Tannenbusch wieder vor den Lauf tritt, so zieht Euren Hirschfänger und putzt ihn nur aus. Bald ging der alte Förster Jakob wieder auf den Anstand, und siehe, es währte nicht lange, so zeigte sich ein Hirsch, und auch der Tannenbusch stand vor der Mündung des Gewehrs. Flugs tat der Förster, wie der Scharfrichter ihm geraten hatte, zog den Hirschfänger und begann den Busch auszuputzen. Doch war es ein hartes Holz, kein Zweiglein fiel ab, aber in den Stahl des Seitengewehrs sprang manche Scharte, so daß Jakob bald abließ und nach Hause ging. Im Dorfe Birnau aber fand sich eine Frau tödlich krank, hatte viele Wunden an ihren Armen und Beinen, und kein Mensch wußte, wie sie dazu gekommen. Sie war die Hexe, die in Gestalt eines Tannenbusches den Förster geäfft, weil er sie zum öftern im Walde auf dem Holzdiebstahl angetroffen, ihr den Korb zertreten, sie geprügelt, in die Waldbuße geschrieben und ihr sonst allerlei Tort und Schimpf angetan hatte.

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503. Vom alten Schloß Hallenberg

503. Vom alten Schloß Hallenberg

Wer von Birnau immer weiter talaufwärts geht, überschreitet die Grenzmark der hessischen Herrschaft Schmalkalden und gelangt nach Steinbach-Hallenberg, wo hoch überm großen langgebauten Flecken malerisch die Trümmer des Schlosses Hallenberg horstet. In jener Gegend gibt es viele Sagen auf den Höhen der Berge wie in den Talgründen. Die Burg Hallenberg soll derselbe Baumeister erbaut haben, welcher Schloß Hennebcrg erbaute; sie war auch eine Hennebergische Burg. Im Gemäuer droben wird noch eine Höhlung gezeigt, in der ein Särglein gefunden wurde, darin eine Kindesleiche. Von Zeit zu Zeit läßt sich am Schloß eine weiße Jungfrau sehen, die wandelt in der Mittagsstunde den Berg herab bis an das alte Malzhaus, das mit einem Türmchen geziert ist, darin hangt noch ein Glöckchen, das früher auf der Hallenburg hing, von silberhellem Ton und Klang, daher es auch das Silberglöckchen genannt wird. Man sagt, daß einige Juden aus Schwarza das Glöckchen ganz mit Silber anzufüllen sich einst erboten hätten, wenn man für dieses Silber ihnen jenes überlassen wolle; man ist aber auf diesen angetragenen Tausch nicht eingegangen. Das Glöckchen trägt die Inschrift: Ave Maria gracia, MCCCCXX. Die Leute haben einen Aberglauben, daß abgefeiltes Metall davon gut sei gegen die Schwerenot und fallende Sucht, daher sieht man vielfache Spuren von Einfeilungen rund um den Rand herum. Die Feile wird von den Kranken auf Butterbrot eingenommen, es soll probatum sein.

Ohnweit Steinbach-Hallenberg sind die Silberlöcher, durch diese fließt ein Wasser, und unter dem Wasser ist eine Höhle, daraus haben vordessen die Venetianer großes Gut getragen. Ein Köhler mußte ihnen immer seinen Harztiegel leihen, darin schmolzen sie das edle Erz. Endlich dachte der Köhler, du kannst ja auch einmal hinuntergehen und für dich etwas holen und auch schmelzen, und wollte in die Höhle hinein, aber da lag ein unbändig großer Hund drin, der bleckte ihm die Zähne, und hatte feurige Augen und machte ein Geknurr, als ob’s der leibhaftige Satan selbst wäre – da verging dem Köhler das Goldlangen.

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504. Ebersdorf und Ebersgrund

504. Ebersdorf und Ebersgrund

Von Steinbach-Hallenberg nach Stadt Schmalkalden zieht sich ein hügeliger Wiesengrund hin, darauf hat vorzeiten ein Dorf gestanden des Namens Ebersdorf. Das Dorf war reich, und seine Bewohner hatten Bergbau auf Gold, Silber und Kupfer. Da wurden sie ob des gewonnenen Reichtums übermütig, frevelten am Heiligen, gingen nicht mehr in die Kirche und führten ein gottloses und üppiges Leben. Nun diente in Ebersdorf eine fromme Magd, die war gebürtig aus Springstillen, einem Dorfe nahe bei Schmalkalden, die bat an einem Sonntag Urlaub von ihrer Herrschaft, daß sie nach Hause gehen dürfe und das heilige Abendmahl empfangen. Über diesen gottwohlgefälligen Vorsatz wurde sie gescholten und verhöhnt, doch durfte sie von dannen und ging weinend ihres Wegs. Als sie zurückkam, fand sie das Dorf nicht mehr, nur ragte da, wo es gestanden, in der Mitte ein Hügel, und aus diesem blinkte der Turmspitze goldnes Kreuz, wie ein Kreuz über einem großen Grabe. Das Dorf war versunken, doch hörte sie noch in der Tiefe die Hähne ängstlich krähen. Da wandte sich die Magd abermals zurück in ihren Heimatort und kündete, was sie gesehen; niemand aber glaubte ihr, doch gingen viele Springstiller mit und sahen das Wunder, welches sich begeben. Nun war auch das Kreuz vollends in die Tiefe gesunken, auch krähte kein Hahn mehr in und nach dem Dorfe, und über seiner Stätte lagerte tiefe, grauenvolle Stille. Nach einiger Zeit nahmen die Leute von Springstille Besitz von der Flurmarkung, und daher kommt es, daß noch heute viele Springstiller im Ebersgrunde Wiesen besitzen. Man sieht noch den Kirchhügel in des Talgrundes Mitte und erblickt in der Nähe alte Heckenlinien, die Abgrenzungen ehemaliger Gärten.

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505. Gadamars Gesicht

505. Gadamars Gesicht

Aus dem Ebersgrund gelangt man nach Asbach und in den Talkessel, darinnen die alte Stadt Schmalkalden liegt, berühmt ob der in ihr gehaltenen Fürstentage, mehrmaliger Anwesenheit Doktor Luthers, der beim Rentmeister Balthasar Wilhelm am Topfmarkt, jetzt Kaufmann Sanners Haus, wohnte und auch im selben Hause eine Predigt hielt, und durch jene berühmten von Melanchthon alldort verfaßten Artikel des christlichen Glaubens.

Zu Schmalkalden lebte im Jahre 1526 ein frommer Mann des Namens Siegmund Gadamar und war dieses Jahres ein Bürgermeister, denn allda bestand seit langen Zeiten her die Einrichtung, daß zwei Bürgermeister und zwei Gemeindevormünder und nicht eine Heerschar von Stadt- und Gemeinderäten das städtische Regiment verwalteten, diese aber wurden jedes Jahr von der Gemeinde neu gewählt, nur daß meistenteils der zweite Gemeindevormund eines Jahres zum ersten im folgenden erwählt wurde. Dieser fromme Herr Gadamar hatte sich der neuen Lehre des Evangeliums zugewendet, wie auch frühzeitig Balthasar Wilhelm, Luthers nachmaliger Wirt, getan, und hatten beide mancherlei Anfechtungen darob. Ging eines Abends Herr Gadamar mit bekümmertem Gemüt schlafen, kam, er wußte nicht wo und wie, in eine Stube, darin ein trotziger Leue stand, fürchtete sich aber gar nicht, war ganz mutig, dann sah er eine Anzahl Fürsten im Kreise stehen, die wider den Löwen ratschlagten, etwan sieben, und an einem Tische saß ein alter Mann, der nahm sich keiner Sache an und tat, als schliefe er. Auf diese Fürsten ging der Löwe grimmig los, und sie hatten keine Waffen und zagten, einer aber nahm kecklich einen Stuhl und wehrte damit den Leuen ab. Der Löwe aber schlug seine Pranke durch den Stuhl, und blieb selbe drinnen stecken, da hatte der Fürst gleich einen hessischen Bock- oder Kampfdegen in der rechten Hand und stach damit auf den Löwen los, daß es puffte, doch hörte Gadamar es eben nur puffen und sah nicht, daß der Löwe verwundet ward, die andern aber zagten und gaben Rat, dem Löwen den Schweif abzuhauen, darinnen habe er seine größte Stärke, und da hieb einer aus ihrer Mitte dem Tiere den Schweif ab, ohne daß der Seher sah, woher jener das Schwert nahm. Darauf gingen sie alle aus der Stube und ratschlagten, und das Haus war ganz finster, der Löwe aber wirkte sich aus dem Stuhle los und legte sich vorn an der Türe auf die Bank und gewann wieder Stärke und wurde so grimmig, daß er schäumte, und rollte seine Augäpfel so sehr, daß man nur das Weiße sah, und ob solchen Ingrimmes sah er erst gar nicht, daß die Fürsten wieder in das Zimmer traten, wieder unbewehrt, und der Löwe wollte sie zerreißen. Da erhob sich am Tische der Mann, der zu schlummern geschienen hatte, und hob nur zwei Finger drohend gegen den Löwen, sprach aber kein Wort, und der Leu gehorchte ihm. Der Mann aber verwandelte seine Gestalt und war Jesus Christus, und ein Menschenbild sprach zu Gadamar: Dies Gesicht merke, und vergiß es nicht.

Hernach im Jahre 1537 ist zu Schmalkalden vorm Auertore über einem Weiher, die Totenlache genannt, von vielen ein Wolkengesicht am Himmel und auf Erden gesehen worden; eine Nebelgestalt stand da, hoch wie ein Turm, und auf dem Turm ward Lichtschimmer erblickt, und Kriegergeister schwebten um die hohen Zinnen. Drunten am Turm aber stand ein riesengroßer grauer Mann, der schöpfte Wasser, und da kam ein greulicher Drache hinter dem Turm hervor, der sperrte den Rachen auf gegen den Mann, als wolle er ihn verschlingen, der aber blieb unerschrocken und streckte ihm etwas entgegen, etwa wie einen Kelch oder ein Buch, da berstete der Drache und verschwand, und alles hüllte sich in Nebel ein.

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496. Zauberkünste in Heinrichs

496. Zauberkünste in Heinrichs

Unter Suhla liegt der Stadtflecken Heinrichs, über diesem Ort aber eine Steinburg mit verzauberten Schätzen, die nicht wohl zu heben sind. Ein Hirte pflückte droben eine weiße Lilie, und es ging ihm wie seinen Kameraden, daß er im Bergesschoß das Beste vergaß. Die zuschlagende Türe des Felsengewölbes schlug ihm die Ferse wund, daß er lange daran kurieren mußte.

Nach Heinrichs sind einmal drei Wildschützen gekommen, die waren ihrer Kunst so gewiß wie der Hänsel Winkelsee, der zu Frankfurt am Main den Neuner durch die Eschenheimer Torturmfahne schoß, und kehrten im Gasthaus zum goldnen Hirsch ein, schon des Namens wegen, um hinten im Hofe, wo der Keller, ein Glas gutes Bier zu trinken, welches allda zu haben. Da kam unter den Gästen, die da zechten, die Rede auf die Schießfertigkeit und wurde manch hübsches Jägerstücklein erzählt, denn dortherum wimmelt es von Jägern, und zumal von Schützen, und dazumal gab es auch noch etwas zu schießen, trotz der vielen heimlichen Schützen, wie diese drei welche waren, obschon jedermann es wußte, und auf Kugeln besprechen, stets und sicher treffen und dergleichen anziehende Gesprächsgegenstände, und da rühmte sich der und jener und ward gesagt, die Drei sollten doch auch ihre Kunst einmal sehen lassen, wenn sie Wildschützen sein wollten, obgleich sie keine sein wollten. Da brach einer ein Kleeblatt ab, und der zweite langte eine Leiter und legte sie an die Steinwand des Gebäudes, das den Hof des goldnen Hirsches hinten beim Keller abschließt, und der dritte ging aus dem Hause über die Straße bis an die gegenüberstehende Häuserreihe, behielt aber, da die Torfahrt offenstand und die Flur hoch gewölbt und auch nach dem Hofe offen war, das Kleeblatt im Auge und zählte neunzig Gänge. Darauf haben die Schützen nach dem Kleeblatt geschossen, jeder nur eine Kugel, und wie einer schoß, schwand ein Blatt des Kleeblattes, aber die drei Kugelspuren nebeneinander sind noch sichtbar bis auf diesen Tag. Dann sind die drei Wildschützen stillschweigend zum Ort hinausgegangen.

Einigen Bauern in Heinrichs war das Vieh bezaubert, daß sie keine Butter mehr gewinnen konnten, da gingen sie zu einer alten Hexe und fragten diese um Rat, was sie dagegen tun sollten. Da unterwies das Hexenweib die Bauern, sie sollten in aller Teufel Namen zu einem Töpfer gehen, dort in gleichem Namen einen Topf bestellen, den solle der Töpfer auch in aller Teufel Namen fertig machen, und dann sollten sie den Topf ebenso auf einem vierspännigen Wagen abholen und dafür zahlen, was gefordert werde, ohne zu handeln. In diesen Topf sollte dann alle Milch nach und nach ein- und auch wieder ausgegossen werden. Diesen ganzen Hexen- und Teufelsrat befolgten die Bauern zu Heinrichs, wo das Hexenwesen, wie im ganzen Henneberger Land, in so voller Blüte stand, daß eine Herzogin zu Sachsen, deren Gemahl ein Landesteil dieser gefürsteten Grafschaft bei einer Erbverteilung zufiel, erklärte, sie gehe nicht in den Bereich der schwarzen Henne, und auch wirklich nicht hineinkam, denn sie starb, bevor ihr Gemahl Besitz nahm. Es wurde aber, bevor der Topf noch gebraucht ward, durch das auffallende Abholen desselben beim Töpfer, wo fünfzehn Groschen für den Topf bezahlt wurden, auf vierspännigem Wagen die Sache ruchbar, kam vor das Konsistorium und wurde der Teufelei ein Ende mit Schrecken gemacht. Die Bäuerlein mußten im Armsünderhemd Kirchenbuße tun und mehr Strafgeld zahlen, als alle Butter eines ganzen Jahres in Heinrichs wert war, den Topf zerschlug der Scharfrichter auf dem Schindersrasen, und an demselben angenehmen Ort wurde die Hexe verbrannt. Ein Glück für die Bäuerlein, daß der Topf noch nicht gebraucht war, sie hätten sonst mitbrennen müssen ohne Gnade.

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497. Die Harchelsbeerhecke

497. Die Harchelsbeerhecke

Von Heinrichs im Talgrunde der Hasel abwärts wird ein Dorf erreicht, des Name ist Dillstedt, da ist ein Platz, den nennen die Leute nur die Malscht, das ist Malstätte, darüberhin gingen sonst immer die Brautleute, wenn sie mit ihren Gästen in das Wirtshaus zum Tanze zogen, wie die Suhlaer an ihrem roten Stein vorbei zum fröhlichen Mann. Am Wege stand eine Harchels- (Stachel)beerhecke, und da einstmals auch ein Brautpaar mit aufspielender Musik dort vorbeizog, da sang ein Vögelein mit lauter Stimme aus der Hecke:

Heut werrschtde nauf g’klunge
un übbers Jaar nauf g’sunge!

Und wie das Jahr herum war, da ging mit Trauerliedergesang ein Leichenzug über die Malscht, und das war das junge Paar, sie waren beiderseits an einer schwinden Krankheit gestorben; seitdem geht kein Brautzug mehr über die Malscht, und sollte einer, um in das Wirtshaus zu gelangen, den größten Umweg nehmen.

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498. Das verwünschte Dorf

498. Das verwünschte Dorf

In der Flurmarkung von Dillstedt fliegt eine Wüstung, die heißt Germelshausen, da hat ein Dorf gestanden, steht auch noch, aber keiner sieht es, auch ist nicht gut, es zu sehen. Vor hundert Jahren ohngefähr kam der Feldscherer von Dietzhausen, zwischen Dillstedt und Heinrichs, durch den einsamen Grund zwischen Nora und Marisfeld, den der Görzbach durchfließt, und so kam er in ein Dorf hinein und sah da die Leute in die Kirche gehen und wunderte sich der altvaterischen Tracht, und als er nach Nor kam, wo man sich neumodisch trägt, fragte er, was denn das für ein Dorf sei, es konnte ihm aber niemand Bescheid geben, und die Leute sagten, da, wo er es beschrieb, am Görzbach, liege kein Dorf.

Zu derselben Zeit, es war Michaelis und in Dillstedt Kirmse, ging der Schuhmacher von Wichtshausen, zwischen Dillstedt und Dietzhausen, ein einfacher und schlichter Mann, nach Marisfeld zu, der kam zum erstenmal in jene Gegend und gelangte nahe an ein Dorf, darin krähten die Hähne und bellten die Hunde, und vor ihm her nahebei ging eine Frau, die eilte nach dem Dorfe. Der Mann rief sie an, um sich nach dem Wege zu befragen, aber sie hörte ihn nicht und schritt nach dem Dorfe auf einem ganz verraseten Fußpfad, des Mannes Weg aber führte ihn seitwärts vorbei und an einem ganz übergraseten Teich vorüber, und er wunderte sich, daß die Leute diesen Teich so ganz vernachlässigten. Als er sein Geschäft zu Marisfeld vollbracht und wieder heimwärtsging, war der Teich und das Dorf verschwunden.

Ein Nachbar, dem der Schuhmacher das erzählte, sagte ihm, er solle froh sein, daß er der Frau nicht nachgefolgt sei, da wäre er wohl nicht wieder heimgekommen. Er habe das verwünschte Dorf Germelshausen gesehen, und es sei dortherum gar nicht geheuer.

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4. Die St. Galler Mönche erbeten Wein

4. Die St. Galler Mönche erbeten Wein

Die St. Galler Mönche erbeten Wein

In der stattlichen Abtei St. Gallen war große Sorge um den lieben Wein. Es war eben ein durstiges Jahr gewesen und lange Jahre nichts Erkleckliches nachgewachsen; nur noch zween Ohmfässer lagerten voll in dem großen Abteikeller, die reichten voraussichtlich nicht mehr weit, und dann wäre den frommen Vätern eine weinlose, schier schreckliche Zeit gekommen. Da wendete Gott das Herz eines frommen und heiligen Mannes, des Bischof Adalrich in der alten Stadt Augsburg, daß er den nicht weniger frommen Vätern zu St. Gallen ein ganzes Stückfaß voll Wein in ihre Abtei verehrte. Da kam aber die Nachricht nach St. Gallen, das Faß sei unterwegs im Rhein ertrunken, der Fuhrmann habe auf der steilen Brücke über den Fluß in der Nähe des Bodensees die Pferde allzuhart angetrieben, da sei die Achse gebrochen und das Faß hinab in den Strudel gestürzt. Das war ein Schrecken! Ohne Säumen berief der Abt den Konvent, und bald wallte eine lange Prozession mit Kreuz und Kirchenfahnen und Heiligenbildern von St. Gallen herab, sang und betete und kniete am Strudel, und die Küper des Klosters suchten mit Stricken das Faß zu fahen, das glücklicherweise noch unversehrt war und im Strudel tanzte. Wäre der Strudel nicht gewesen, so wäre das Stückfaß längst in den Bodensee geflossen, und ward allda ersichtlich, wozu manchmal ein Strudel gut ist. Nach mancher Mühe gelang es unter Gebet und Fürbitte der lieben Gottesheiligen, das Stückfaß an den Strand zu ziehen, und nun wurde es bekränzt und im Triumphe nach der Abtei geführt, allwo ein Dankfest mit einem Te Deum laudamus und vielen Trankopfern gefeiert ward.

Solches ist wahr und wahrhaftig geschehen, aber »das Märlein gar schnurrig« vom Abt von St. Gallen und dem Kaiser mit den drei Fragen hat sich mitnichten alldort begeben, sondern mit einem Abt von Kentelbury in Altengland, und ward nur durch Dichtermund auf deutschen Boden verpflanzt.

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492. Teufelsbad und Teufelskreise

492. Teufelsbad und Teufelskreise

Vom Sperrhügel läuft der Rennweg fort und fort über den Gebirgsgrat des Thüringer Waldes einerseits nach dem Inselberg, anderseits nach dem Beerberg in der Nähe des Schneekopfgipfels hin, den drei höchsten Punkten des Waldgebirgs. Wie auf dem Hochgipfel des Harzes, dem Brocken, so hat auch auf dem Schneekopf der Teufel seinen Aufenthalt, Spiel-, Turn- und Tummelplatz. Wenn es ihm in einer seiner gottverfluchten Spielhöllen in den Bädern drunten zu heiß geworden, geht er der Abkühlung halber in das Teufelsbad auf dem Schneekopf, und wenn es ihm einmal nicht mehr in den Kreisen der menschlichen Gesellschaft gefällt, fährt er hier herauf in die Teufelskreise, da ist ihm sehr wohl, da neckt und foppt er die Reisenden, und wo er nicht ausreicht, tut’s trotz ihm der dicke Kreiser auf der Schmücke, der Schmücke Schmuck und Zier, die nur ein halbes Stündchen hoch unterm Schneekopfgipfel liegt. Auf der Schmücke ist eine Fohlenweide, da hatte ein reicher Filz auch ein sehr schönes Fohlen dabei, aber wenn Unglück sein Spiel haben soll – gerade als er hinaufkam, nach dem Fohlen zu sehen, hatte sich’s verlaufen, war nirgend zu finden. Da brannte der Rhein und der Main, der Mann war außer sich – rannte selbst mit fort, das Fohlen im Walde zu suchen – und murmelte immer vor sich hin: Wo es nur der Teufel hat? Wo es nur der Teufel hat? – und da kam er unvermerkt an das Teufelsbad – und siehe – da drinnen hatte es der Teufel – es guckte gerade nur noch mit dem Hinterviertel heraus und schien tot. Der unglückliche Fohlenbesitzer schlug die Hände überm Kopf zusammen, rief, schrie – niemand hörte ihn, niemand kam zu Hülfe, er allein vermochte nicht das Pferd aus dem Wasser zu ziehen, dennoch wagte er sich auf der schwankenden Moosdecke bis an das arme Rößlein und dachte: Verfluchtiger Teufel, den schönen Schweif sollst du doch nicht haben, den kann der Kreiser zu Schneiseschlingen mir abkaufen und damit die Kramtsvögel fangen, die er seinen Freunden – verspricht, aber alle selber ißt. – Zog sein scharfes Taschenmesser, schnitt rups und kahl den Schweif dicht am Bürzel ab und trabte wieder zur Schmücke hinunter. In der Türe stand Herr Joel und rief ihm freudig entgegen: Es ist da! Es ist da! – Was ist da? fragte der Geizkragen. – Das Fohlen! – Wo? Wo? – Na, es wird etwa im Speisesaal sein oder auf dem Oberboden! – Was zum Kuckuck habt Ihr denn da in der Hand? Ihr seid wohl unversehens Pascha von einem Roßschweif geworden? – Der Fohlenbesitzer hörte auf kein Wort weiter, er rannte in den Stall – da stand sein Fohlen – aber o Schrecken – der Schweif war ihm abgeschnitten rups und rattenkahl, den hielt der Filz in der Hand, und der Bürzel blutete noch. So hatte ihn der Teufel geäfft, den Schaden hatte er, und für den Spott brauchte er droben auf der Schmücke nicht zu sorgen. Der Kreiser kaufte die Pferdehaare nicht und schickte andern auch keine Kramtsvögel.

Einem Bergmann aus Goldlauter begegnete einst in einer Mondnacht da droben ein großer stattlicher Reitersmann in einem roten Mantel, der fragte ihn um den Weg nach dem Teufelsbad, und der Bergmann ging mit und zeigte den Weg. An Ort und Stelle stieg der Reiter ab, gab dem Bergmann sein Pferd zu halten und senkte sich mir nichts dir nichts in das Teufelsbad hinein. Der Bergmann schauderte, und das Roß schnaubte Feuer und stand nur auf drei Beinen, weil es deren nicht mehrere hatte. Nach einer Weile stieg der Reiter wieder aus dem Bad und auf sein Roß, ließ sich wieder auf den Weg bringen und ritt nach dem Finsterberg zu, übers Mordfleck hinüber, nachdem er dem Führer zugerufen: Fülle Laub in deinen Kober! – Das tat denn auch der Bergmann und schlug den steilen Weg nach Goldlauter hinunter ein – da dünkte ihm, der Kober sei doch gar zu schwer und das doch eigentlich ein schlechter – nein – gar kein Lohn für einen Weg zu weisen und ein dreibeiniges Pferd zu halten. Laub in den Kober – lausig und power – murrte der Bergmann und schmiß das Laub wieder aus dem Kober heraus. Als ihm am andern Morgen seine Frau Essen in den Kober tun wollte, hingen an dessen Wänden noch unterschiedliche Goldblättlein – das war für die armen Bauern ein gefundenes Essen – es machte sie reich. Aber wenn der Bergmann erst das andere Laub nicht weggeworfen hätte, zum Grafen von Henneberg hätte er gehen und fragen können: Wie teuer dein Land?

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493. Der Jägerstein

493. Der Jägerstein

Nicht weit von den Teufelskreisen steht im Schneekopfwalde einsam unter den Bäumen ein Denkstein. Ein Förster zu Gräfenrode, dessen Revier sich bis auf diese Höhen herauf erstreckte, fand hier seinen Tod. Er hatte einen Jägerburschen, welcher sein Vetter war und wirklich Caspar hieß – mit dem er in großem Unfrieden lebte und ihn den Herrn mit Strenge fühlen ließ. Da sich nun droben im Schneekopfreviere zum öftern ein sehr großer feister jagdgerechter Hirsch von vielen Enden, aber über sechzehn, hatte erblicken lassen, so gab der Förster dem Caspar den Auftrag, selben Hirsch zu schießen. Aber wer den Hirsch nicht schoß, war der Caspar, dieweil er ihn, und wenn er ihn auch ganz nahe vor dem Lauf hatte, stets fehlte, und wenn er nun nach Hause kam, so mußte er Hohn und Spottreden über sein Ungeschick in Menge vernehmen, und in Gesellschaft, wenn die Weidgenossen der Umgegend droben auf der Schmücke oder im Auerhahn oder zu Oberhof beim Trunke zusammensaßen, da sagte jener Förster oft spöttisch in Caspars Gegenwart: Ja, mein Vetter, der Caspar, was der für einen Treffer hat, das ist unglaublich – es glaubt’s niemand! Der trifft im Finstern, daß man gar nicht sieht, was er geschossen hat! – und dergleichen Stichelreden mehr. – Das wurmte nun den Caspar gehörig, und da er an einem alten Weidgesellen einen Freund hatte, den solches auch wurmte, so sagte ihm der kurz und gut: Caspar, die Geschichte mit dem Hirsch da droben ist nicht richtig, das kennen wir, den wirst du mit einer Bleikugel in Ewigkeit nicht treffen, das hat was anders auf sich. Geh einmal morgen in der Früh hinauf nach Gehlberg in die Glashütte und laß dir eine gläserne Kugel machen, das ist gleich geschehen, und die lade nur stillschweigend in die Büchse und gehe abends wieder hinauf auf den Anstand. Diesen Rat befolgte der Caspar, stand droben, lauerte, da krachte es in den Büschen, und da kam der Kapitalhirsch und äsete sich, und Caspar nahm ihn fest aufs Korn und drückte los und sah die Kugel wie einen blitzenden Feuerpfeil nach dem Hirsch fahren und diesen zusammenbrechen. Freudig über seinen endlichen Glücksschuß eilte er hin; er brauchte dem Hirsch den Genickfang nicht zu geben, er war verendet – aber – es war ja gar kein Hirsch, es war Herr Johann Valentin Grahner, sein Prinzipal, der sich mit bösen Weidmannsstücklein stets in den Hirsch verwandelt hatte. Der Schreck war groß, aber geschehen war geschehen. Caspar zeigte die Sache an, Herr Grahner wurde ehrlich begraben, und der Schuldiener zu Gräfenrode schnitt sich eine frische Feder und schrieb in das Kirchenbuch: A. 1690. den 16. Sept. ist der Fürstl. Sächs. Forst-Knecht, Herr Joh. Valentin Grahner, abends nach 4 Uhr von seinem Vetter Caspar, der ein Jäger-Bursch war, im Walde am Schneekopf, in Verblendung einer Hirschgestalt, an den Schlaf durch den Kopf geschossen worden, da Knall und Fall eins gewesen ist.

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