522. Das gefährliche Pfand

522. Das gefährliche Pfand

Auf einem Edelhofe unter Blankenburg, etwa in Watzdorf, war Spinnstube, es wurden Pfänder ausgelöst. Was soll tun das Pfand, das ich hab‘ in meiner Hand? wurde gefragt, und ein vorwitziges Mädchen sagte: Auf die Burg gehen und eine Kachel von dem alten Öfchen holen! Der kecke Vorschlag ging durch, aber selbst den beherzten Burschen graute vor der Ausführung. Das Pfand gehörte einem Mädchen – Sophie Brandt soll sie geheißen haben –, und sie machte sich, um nicht furchtsam zu erscheinen, auf den Weg. Als sie in das einzig übriggebliebene halb verfallene Stübchen der Burg tritt und eben beschäftigt ist, eine Kachel aus dem verwitterten Ofen zu brechen, hört sie in der Nähe Tritte und leise Stimmen. Sie schlüpft erschrocken hinter den Ofen und verbirgt sich. Es waren mehrere Räuber, die vom Raube kamen und hier ihre Beute teilen wollten. Sie schürten mitten im Zimmer ein Feuer an, aßen und tranken, und nachdem sie die Beute geteilt, streckten sie sich sorglos auf den Fußboden, um zu schlafen. Als das vor Angst halbtote Mädchen merkte, daß sie fest schliefen, schlich sie sich hervor, schritt über den Räuber, der sich vor die Tür gelagert, weg und entfloh aus allen Kräften, immer die Räuber auf ihren Fersen wähnend. Leichenblaß tritt sie in die Spinnstube; kaum hört sie den allgemeinen Jubel, womit sie empfangen wird, mit zitternder Hand legt sie die Kachel auf den Tisch – und sinkt entseelt zu Boden.

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523. Die törichten Musikanten

523. Die törichten Musikanten

Mehrere Musikanten aus Klein-Gölitz, die in Blankenburg beim Tanze mit aufgespielt hatten, gingen auf dem Nachhausewege am alten Schlosse vorüber. Der Mond beleuchtete die gelben Mauern, und durch die verödeten Fenster neigten sich grüne Büsche. Der eine sagte: Wie wäre es, Kameraden, wenn wir den alten Grafen, die da oben umwandeln, ein Ständchen brächten; solche große Herren nehmen das gar gut auf, zumal wenn sie so selten Musik hören wie da droben! Den andern war es recht, und sie spielten einen gemütlichen Dreher. Die heitern Weisen hallten lustig in die Nacht hinein, und ihr Klang brach sich sanft widerhallend an den alten Mauern. Oben aus den Fensterhöhlen schienen verwitterte Gesichter freundlich zu nicken. Als die letzten Töne verklangen, trat ein graues Männchen – die Musikanten hatten es nicht kommen sehen – zu ihnen, schenkte jedem einen Buchenzweig und sagte: Bringt das eueren Kleinen mit, die schnabulieren gern Bucheckern! Unterwegs warfen alle den Zweig lachend weg und sagten: Wenn der wunderliche Mann uns wenigstens ein Zuckerbrötchen mitgegeben hätte, denn Bucheckern essen unsere Kleinen dieses Jahr nicht, da wir welsche Nüsse die Fülle haben, und in denen steckt doch ein ordentliches Bübchen (Kern). Nur der Baßspieler steckte das Zweiglein zum Andenken in seinen Baß. Des andern Morgens kamen seine Kinder fröhlich gehüpft und fragten: Vater, was habt Ihr uns denn für gelbe Nüßchen mitgebracht, die taugen doch nicht zum Essen, denn sie sind hart, daß man sich die Zähne dran ausbeißen könnte! Und als der Vater den Zweig betrachtete, siehe! da war er in pures Gold verwandelt, und so wurde er der reichste Mann im Dorfe. Die andern Musikanten durchsuchten nun jedes Gräschen am Wege, um ihr Zweiglein wiederzufinden, aber es blieb nicht nur verloren, sondern sie sollen noch obendrein von unsichtbaren Händen unbarmherzige Nasenstüber bekommen haben.

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524. Heilsberg

524. Heilsberg

Von der Einführung des Christentums in die Gegend von Blankenburg, Schwarzburg und Rudolstadt geht diese Sage. Winfried Bonifazius kam auf seinem Bekehrungszuge durch Thüringen über die steinige Hochebene, darauf jetzt Trappendorf liegt, durch öde Waldwildnisse. Da er nun mit seinen Gefährten in einem Talgrunde lagerte, so ließ er sein Pferd weiden, und da dessen Fuß wund war, scharrte es damit heftig, und da entsprang eine Quelle, von deren Wasser der Fuß des Rosses alsbald heil wurde, wie sich auch im Spring in Heiligenbrunn die göttliche Wunderkraft offenbart. Da drang gar bald der Ruf des heilenden Wassers zu den Bewohnern der Umgegend, sie strömten herbei, hörten Winfrieds Lehren, ließen sich aus der Heilsquelle taufen, und viele siedelten sich dort an. So ist das Dorf Heilsberg entstanden, darin nun Winfried eine Kirche gründete, deren Schutzpatron er hernachmals ward, auch nahm die Gemeinde des heiligen Mannes Bild in ihr Siegel auf, und am Turme der Kirche ward das Hufeisen jenes Rosses von dem geheilten Fuße befestigt.

Zur alten Bonifaziuskapelle in Heilsberg kam auf einem Zuge durch Thüringen König Ludwig, Karl des Großen Sohn, und vernahm die Geschichte der Gründung und Entstehung, betete allda und begabte das Kirchlein reichlich, ließ auch in einen großen Stein eine Inschrift graben zum ewigen Gedächtnis seiner Schenkung, die ist allda bis zum Jahre 1816 geblieben, dann aber nach Weimar gebracht worden, allwo sie in sicherer Obhut aufbewahrt wird. Diese alte Schrift ist eine steinerne Rätselnuß, an der sich die Gelehrten ihre Weisheitszähne ausbeißen können, so sie deren haben. Noch keiner, weder in der Zopf- und Perücken-, noch in der neuesten Waldschratbartzeit, hat diese Rätselschrift richtig und verständig gelöst und gelesen, und die Versuche solcher Lösung, welche in öffentlichen Druckschriften bekannt worden sind, sind bis jetzt auf der Kindheitstufe der Forschung stehengeblieben.

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515. Doktor Luther verwünscht das Singerberger Schloß

515. Doktor Luther verwünscht das Singerberger Schloß

Vom guten Singerberger Wein weiß die örtliche Sage seiner Gegend noch ein mehreres zu erzählen. Vorzeiten lebte droben ein Graf in großer Eingezogenheit, der in dem Ruf eines Schätze aufhäufenden Filzes stand. Ein junger Verwandter, welcher Lust hatte, den Alten möglichst bald zu beerben, verband sich mit einigen Schnapphahnen, die Burg zu überfallen, den Grafen zu töten und die Schätze zu teilen. Dieses führten sie aus und verbreiteten die Nachricht, der Graf sei gestorben. Der junge Ritter blieb im Besitz des Schlosses und führte mit seinen Raubgesellen ein zügelloses Leben, da haben sie den Reisenden aufgelauert und sie beraubt oder auf die Burg geschleppt und erst gegen hohes Lösegeld freigegeben. Einmal fingen sie eine vornehme Frau mit zwei Töchtern und Dienerschaft, um die entstand großer Streit, denn sie wollten dieselben nicht um Lösegeld ziehen lassen, sondern selbst besitzen. Wer den reichsten Fang tue, sollte die Schönste erhalten. So zogen die Ritter aus, nachdem sie die schönen Gefangenen der alten Schließerin auf die Seele gebunden hatten, daß die sie gut bewahre. Die erste Beute, die einem der Wegelagerer in die Hände fiel, waren einige Erfurter Mönche, und unter denen befand sich auch der Doktor Luther. Nur der letztere wurde als Geisel behalten und die andern entlassen mit dem Geheiß, Lösegeld für ihn zu senden. Ein Knappe sollte den Mönch bewachen, während der Schnapphahn weiter nach Beute strebte. Aber da ist der Knecht müde und schläfrig geworden und ist auf dem Rasen, darauf er saß, eingenickt, und Luther ist davongegangen. Da hat er über sich die stattliche Burg gesehen und gehofft, hier Schutz zu finden, da hat aber die gefangene Frau auf der Mauer gestanden und von der Zinne gerufen: Fliehe eilend! Hier wohnen Raub und Mord! Diesem Geheiß hat Luther willfahren wollen, ist aber einigen der Raub- und Rottgesellen in die Hand gelaufen und von diesen mit auf die Burg hinaufgeführt worden. Und da haben sie am Abend den gefangenen Mönch zu sich in ihr Zechgelag bringen lassen und von ihm verlangt, ihnen Liedlein zu singen und die Zeit zu vertreiben. Der Mönch stimmte scheinbar in ihren Ton ein, sang aber lateinische Formeln, die sie nicht verstanden, und deren geheime Kraft sie einschläferte. Als sie nun alle schliefen, auch die Knechte und die Schließerin, hat er die gefangenen Frauen mit deren Schätzen aus der Burg geführt und im Gehen eines seiner Lieder gesungen, und dann hat er die Burg verwünscht mit Mann und Maus, daß sie niemals wieder ein Menschenauge erblicken solle, als wer seines Liedes Melodie auf der Berghöhe ertönen lasse. Bald kam das Schloß in Vergessenheit, und es gingen viele, viele Jahre hin, und der Singerberggipfel blieb öde und einsam. Da hat einstmals ein Schäfer seine Herde hinaufgetrieben und von ohngefähr auf seiner Schalmei die Melodie jenes Liedes angestimmt, siehe, da ist das Schloß vor seinem Blick emporgestiegen mit offnen Toren und Hallen, und er hat sich hineingewagt, aber alles darin still und schlafend gefunden. Vom Wein, der da in Fässern und Krügen in Fülle vorhanden war, füllte er seine Kürbisflasche und verließ die Burg wieder, nach seiner Herde zu sehen. Da ist die Burg hinter ihm alsbald wieder hinweggeschwunden. Der Wein war köstlich und hatte die allerpreiswerteste Eigenschaft, er ward nicht alle, so viel auch der gute Schäfer davon trank. Aber die Burg fand er niemals wieder, sooft er sie auch suchte, denn er wußte den Zauber nicht, der sie ihm zeigen konnte, er dachte nicht wieder daran, auf dem Berggipfel die Melodie jenes Liedes zu blasen. Nach einiger Zeit war der Schäfer zu einem guten Freund gekommen, dem hat er sein Abenteuer mit dem Singerbergschloß erzählt und zu ihm gesprochen: Da koste nur einmal den Wein, wie aber der andere hat trinken wollen, hat er gesagt: Du Narr! Es ist ja nichts drin. – Und da ist es gerade gegangen wie mit den Bierkrügen der Knaben in Schwarza und wie mit dem Perchtenbier: als die Knaben ihr Geheimnis verplaudert, die Kürbisflasche war und blieb leer.

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516. Paulinas Zelle

516. Paulinas Zelle

Vom Singerberg herunter und vom Dorfe Singen an seinem östlichen Fuße führt ein stiller Weg in ein noch stilleres Tal. Darinnen birgt sich die schönste und erhabenste aller Klosterruinen Thüringens: Paulinzelle, von welcher manche Sagen umgehen. Paulina, eine Tochter des Grafen Moricho, Truchseß Kaiser Heinrich IV., lebte, nachdem ihre Eltern tot waren, einige Zeit zu Merseburg bei ihrem mütterlichen Oheim, dem Bischof Werner, und wollte einst den Grafen in der Längwitz, Sizzo geheißen, der sich auch einen Grafen von Käfernburg und Schwarzburg nannte, besuchen. Sie ritt nur mit einer Zofe und einem Diener und verirrte sich in den damals ungeheuern und ausgedehnten Forsten. Der Diener wurde zur Kundschaft ausgesandt und kam nicht wieder, so war denn Paulina mit der Zofe allein in dem wilden Walde. Sie trieben ihre Saumtiere so lange vorwärts, bis diese vor Ermattung nicht weiterkonnten. Schon glühte das Sonnenlicht nur noch an den höchsten Wipfeln, als sie auf einer Wiese, welche zwei Bäche (Bären- und Rotenbach) umflossen, eine unbewohnte Köhlerhütte trafen und darin etwas von Kohlenstaub geschwärztes Brot und ein dürftiges Strohlager fanden. In der Nacht träumte Paulina, sie bete hier an einem Altare. Sie erwachte, errichtete von einigen daliegenden Holzstücken einen Altar, stellte ihr kleines Kruzifix, das sie am Halse trug, darauf und betete inbrünstig. Indes trat ihre Begleiterin aus der Hütte und erzählte ihren Traum, der wunderbarlich mit dem Paulinas zusammentraf. Das hielt Pauline für einen Wink von oben und beschloß, hier eine Zelle zu bauen. Am Morgen reisten sie weiter und kamen an ein ärmliches Fischerdörflein, wo sie kaum etwas Brot und Fisch erhielten. Dieses Dorf, Fischerau, wurde später von den reichlich belohnten Bewohnern zu Ehren der Gräfin Gräfinau genannt. Paulina erwarb bald darauf vom Grafen Sizzo Ländereien in dieser Gegend und führte ihren Entschluß aus, dort eine Zelle zu erbauen, darin sie mit den in diese Waldeinsamkeit ihr gefolgten Frauen frommen Betrachtungen sich hingab. Später mehrte sich das Frauenkloster, der Bau der großen Kirche wurde begonnen, auch später ein Mönchskloster hier errichtet. Die Kirche ward gar prachtvoll erbaut und mit mancherlei steinernem Bildwerk geziert, so unter andern auch mit einem Lindwurm, denn als Paulina einst den Rinnegrund hinaufreiste, wurde sie von einem greulichen Lindwurm, welcher – für die ganze Umgegend ein Schrecken – unterhalb Leutnitz in einer Höhle hauste, angefallen. Sie aber schlug ein Kreuz und rief ihren Schutzheiligen an, wodurch das Untier besiegt wurde. Zum Andenken an dies Abenteuer ließ sie den Lindwurm in Stein hauen, dessen Bild noch jetzt an einem erhaltenen Säulenkapitäl am Haupteingang der Klosterkirche zu sehen ist.

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517. Paulina lohnt die Arbeiter wundersam

517. Paulina lohnt die Arbeiter wundersam

Während des Klosterbaues wohnte Paulina auf dem in der Nähe und nördlich von Paulinzelle gelegenen Kimberge in einem Hause, von dem sich noch jetzt Spuren finden. Von hier aus beaufsichtigte sie den Bau des Klosters, weil sie hier das ganze Tal und die Straße, auf der die Bausteine herbeigeschafft wurden, überblicken konnte. An jedem Abend kam sie mit einer Schürze voll Geld hernieder zu den Bauleuten, ermahnte sie zum Gebet und ließ jeden so viel Geld nehmen, als seine Hand faßte. Einst dachte ein Arbeitsmann durch einen tiefern Griff mehr als die andern zu ergreifen; aber beim Nachzählen fand er, daß er keinen Pfennig mehr oder weniger habe, als er verdiente. Diese Wundertat verschaffte Paulinen große Verehrung im Volke.

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511. Die Glocke vom Gottesfeld

511. Die Glocke vom Gottesfeld

Wer vom Schneekopfgipfel dem Rennstieg südostwärts folgt, dann durch endlose Waldungen auf einsamen Gebirgspfaden ganz südlich sich schlägt, kann zum hohen Adlersberg gelangen, auf dem sich eine weite Wiesenmatte breitet, die heißt das Gottesfeld. Dort droben lag eine Stadt, die hieß aber nicht Gottesfeld, denn ihre Bewohner waren so gottlos und lasterhaft, daß die strafende Hand Gottes sie ganz von der Erde hinwegtilgte. Sie versank mit allen ihren Bewohnern, und die Stätte, wo der Herr Gericht gehalten, ward Gottesgerichtsfeld genannt, woraus hernachmals Gottesfeld wurde. Nach langen Jahren hütete droben am Adlersberg ein Hirte aus Schleusingen seine Herde, der sah ein wildes Schwein an einer Stelle wühlen und wühlen, und wie er hinzukam, so stand das Ohr einer Glocke zutage. Der Hirte warf gleich seinen Lappen (Halstuch) auf den Fund, damit derselbe nicht wieder versinke, und eilte nach Leuten, jenen emporzuheben. Die Glocke wurde nach Schleusingen gefahren und auf den Turm gebracht, aber da sie nun zum erstenmal geläutet wurde, gab sie einen ganz entsetzlichen schauerlichen Ton von sich, und beim dritten Schlage zersprang sie. Da sie nun neu gegossen ward, so klang ihr Ton nichtsdestoweniger unharmonisch, und es war, als ob sie riefe: Sau aus, Sau aus! – und dann zersprang sie abermals, und als sie zum dritten Male umgegossen war, war ihr Schall um nichts gebessert, und sie zersprang wiederum und ward hernach nur zum Sturmläuten gebraucht.

In dieser Gegend steht auch der Schlüsselheinzestein, ein senkrechter Porphyrfelsen, um diesen läßt sich ein gespenstiger Reiter sehen, der einst mitsamt seinem Roß die Felswand hinabstürzte, wobei Roß und Mann tot blieben.

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512. Raubschloß Hermannstein und andere

512. Raubschloß Hermannstein und andere

Wer vom Schneekopf nordostwärts den Schritt in die Talgründe lenkt, den führen tiefeinsame Pfade herab zu den Quellen der Ilm in den alten Längwitzgau und zu einem Felsriesen, dem Hermannstein, welcher aber vom Volksmund Hammerstein genannt wird. Er trug eine Burg oder doch eine Warte, und soll erstere eine über der Straße aus Sachsen durch Thüringen nach Franken gar günstig gelegene Raubburg gewesen sein. Ein Bischof von Mainz habe sie von Erfurt aus zerstört. Es ist dort nicht geheuer, und die Holzleute sind oft schon durch ein gräßliches Getöse dort geschreckt worden. Ritter Hermanns Geist reitet mitternachts auf schwarzem Roß um den Felsenberg; Kräutersammler, die in der Johannisnacht auszogen, um mit dem frühesten an Ort und Stelle zu sein, haben ihn gesehen.

Um Ilmenau herum soll es außer dem Hermannstein noch mehrere Raubschlösser gegeben haben, so eins auf der Sturmheide, welches Kaiser Rudolf 1290 brechen ließ. Die Ilmenauer besorgten dies mit höchstseiner Erlaubnis außerordentlich gern selbst und fingen neunundzwanzig Räuber, denen samt und sonders in Erfurt die Köpfe abgeschlagen wurden. Ein zweites Schloß stand, wie die Sage geht, zunächst an Ilmenau, nach dem Eichicht zu, das ist mit Mann und Maus in einer für das Schloß nicht schönen Nacht versunken, und an seine Stelle ist der große Teich getreten.

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513. Die Zwerge der Kammerlöcher

513. Die Zwerge der Kammerlöcher

Nicht weit von Ilmenau liegt ein Dorf, Angelrode, und in dessen Nähe ist eine vielfach zerklüftete Bergwand mit mancherlei Schluchten und Höhlen, Felsenkammern gleich, welche man die Kammerlöcher nennt. In diesen Kammerlöchern hausten einst Zwerge in großer Anzahl. Sie wühlten von der Wache, so heißt der Teil des Berges oberhalb des Dorfes Angelrode, weil im Dreißigjährigen Kriege ein schwedisches Wachtpikett dort gestanden, bis zum Kümmel, dem vorspringenden Bergstock, an welchem das Angelroder Wirtshaus mit seinem vortrefflichen Felsenkeller gelegen, einen Stollen und gelangten durch diesen in den Wirtskeller, dem sie an Wein und Lebensmitteln merklichen Abbruch taten. Diese Zwerge hausten im Schoß der tiefen Felsenkammern lustiglich und taten sich gütlich an des Wirtes Wein und Bier und sonstigen Vorräten. Außerdem übten sie noch manchen Schabernack und manche Neckerei gegen die Bewohner der umliegenden Dörfer. Der Wirt wußte lange nicht, wer seine Diebe seien, warf Verdacht auf sein Gesinde und seine Hausgenossen, kränkte diese und hatte viel Verdruß. Endlich geriet er auf den Einfall, Asche in den Keller zu streuen, um vielleicht an den Fußtapfen die unsichtbaren Beizapfer zu erkennen. Und als er eines Abends dies getan und des andern Morgens nachsah, fand er zahllose kleine Spuren von Gänsefüßen ähnlichen Füßchen, die aus einer Felsspalte im tiefsten Hintergrund des Kellers gekommen waren und in diese sich verloren. Der Wirt holte sich Rat bei einem weisen Mann, welcher lautete, man solle, wenn man die Nähe der stets unsichtbaren Zwerge vermute, mit Taxuszweigen nach ihnen schlagen; jeder Zwerg, der getroffen werde, würde dann augenblicklich sichtbar. Auch sei den Zwergen die Form des Kreuzes verhaßt, und wenn man am goldenen Sonntag Eibenbüsche kreuzweise über ihre Wege lege, so beschritten sie letztere nimmermehr wieder. Der Wirt befolgte den Rat, teilte ihn weiter mit, und am nächsten Trinitatissonntag stieg das halbe Dorf Angelrode hinauf in die Kammerlöcher, brach dort Eibenzweige ab und steckte sie kreuzweis an die Ställe, in denen die Zwerge das Vieh behext, und in die Keller, aus denen die Zwerge allerlei geholt. Ob auch einige der Zwerge von den Eibenruten getroffen und sichtbar wurden, weiß man nicht, der Rat des weisen Mannes blieb aber doch in Ehren, denn wenn kein Zwerg sichtbar wurde, so war es eben ein Beweis, daß keiner getroffen worden war. Das neckische Zwergvölkchen aber wanderte nun aus. In einer Nacht hörte man vom Kirchenholz herab durch das Dorf und die jenseitigen unfruchtbaren Felsanhöhen hinauf nach Rippersrode zu ein anhaltendes Trippeln und Trappeln, als ziehe ein Heer von vielen tausend kleinen Leutchen vorüber, und ward ein leises Weinen und Schluchzen dabei vernommen. Nimmermehr kamen sie wieder. Von der Zeit an wurde es Brauch zu Angelrode, daß alljährlich am Trinitatissonntage alt und jung hinauf auf den Weißenberg und in die Kammerlöcher ging, dort Taxuszweige brach und sie kreuzweis in die Küchen, Keller, Stuben und Ställe steckte. Und obschon der Aberglaube, daß damit den Zwergen und Hexereien gewehrt werde, verschwunden ist, so ist doch der Brauch geblieben, und namentlich säumt des Dorfes fröhliche Jugend nicht, am genannten Tage Eibenzweige von des Berges wundersamen Felsenkammern herabzuholen. Auch geht die Sage, daß zuzeiten in dem schaurigschönen Felslabyrinth der Kammerlöcher oder Felsenkammern über Angelrode sich ein schneeweißer Hirsch mit goldnem Geweih blicken lasse, jedoch nur von Sonntagskindern und auch nur von unbefleckten. Einem solchen ist Macht gegeben, den Hirsch zu fangen und ihn in die Tiefe der größten Felsschlucht zu führen, dort schlägt der Hirsch mit dem Goldgeweih an das Gestein, das Geweih fällt ab, dem Glücklichen zum Lohne, und zugleich öffnet sich ein Gang in das Berginnere, darinnen sich nun eine Kammer nach der andern zeigt, alle voll Gold und Silber, Perlen und Edelsteine. Da mag der Erwählte dann getrost zufassen und davontragen, so viel er kann. Dem Hirsch aber wächst in Jahresfrist ein neues Geweih, aber nicht alle Jahre findet sich ein auserwähltes Glücks- und Sonntagskind, das reinen Herzens und makellosen Wandels, ja kaum alle hundert Jahre einmal.

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514. Vom Singerberge

514. Vom Singerberge

Zwischen Ilmenau und Stadtilm, die beide am Ilmfluß liegen, erhebt sich ein einzelner Hochgipfel, das ist der Singerberg. Er ist einer der vielen Sagenberge des Thüringerlandes, und die Sagen von ihm sind teils den übrigen verwandt, teils eigentümlich. Er soll den Namen tragen vom Gesang und Getöne, das zuzeiten in seinem Innern vernommen wird, gleich wie im Hörseelenberge. Auch in ihm soll ein Mann verzaubert sitzen, und ein Schloß ist in seinen tiefen Schoß hinab verwünscht. Bisweilen gelingt es wohl einem, die Öffnung zu finden, die hinein- und hinunterführt. Ein Schäfer fand eine gelbe Blume und pflückte sie, dem erschien eine Prinzessin und leitete ihn in das Innere, wo an einer Tafel viele eisgraue Ritter schlafend saßen, denen allen die Bärte durch den Tisch gewachsen waren. Und da ist es ihm ergangen wie den Hirten und Schäfern im Kyffhäuser, Fragen nach dem Flug der Vögel, hier schwarzen und weißen, Wiederentschlummern, Gewölbe voll Waffen, Rossen und Schätzen, und der Lohn – eine Tasche voll Sand, den aber der Schäfer einmal nicht wegwarf, sondern davon reich ward. Auch die Sagen von der zauberhaften Bergentrückung wiederholen sich am Singerberge. Ein Fuhrmann fand im Berge Nachtquartier mit Schiff und Geschirr, da er in Meinung, in einen großen Gasthof am Wege zu fahren, in den Berg hineinfuhr. Herrlicher Stall, glänzende Bewirtung; am andern Morgen spannte er wohlgemut ein, wendet sich noch einmal, in das Haus zu gehen und die Zeche zu bezahlen – weg ist das Haus, weg die Stallung – weg sind die Wirtsleute und ihr Gesinde. Grausen ergreift den Fuhrmann – er fährt von dannen, kehrt im nächsten Wirtshaus ein, sieht da den Kalender, nimmt ihn von der Wand, liest die Jahrzahl und staunt. Sieben Jahre, sieben Monate und sieben Tage war er im Singerberge gewesen. – Ein Hirte blieb gar hundert Jahre darin. Häufig erscheint am Berge die weiße Jungfrau, die nicht fehlen darf, wo ein Schloß stand; sie äfft oft Jäger und Holzleute, wie auch die Reisenden. Auch wird, das ist die allgemeine Sage, für den Singerberg in allen katholischen Kirchen Erfurts jährlich einmal gebetet, wie für den Sperrhügel und für den Schneekopf selbst im nichtkatholischen Arnstadt, daß er nicht berste und von ihm aus das ebene Land überflutet werde. Dieweil er aber der Singerberg heißt und ist und die Singer und Sänger das Wasser erst nicht lieben, so ist sein Schoß angefüllt mit vielen hunderttausend Fässern Weines, den die Ritter des Schlosses darin aufgehäuft und seltsamerweise nicht selbst getrunken haben. Etwas von diesem Wein entrinnt alljährlich dem Bergesschoße, das mischt sich in seine Quellen, darum sind sie so erquicklich und labend – wenn aber nicht mehr für den Berg und überhaupt nicht mehr gebetet wird, dann sollen alle Fässer bersten und soll die Weinflut aus dem Berge strömen, und alles Land mit allem Vieh und Menschenkindern werden dann darin untergehen als in einer zweiten Sündflut; das wäre viel schlimm und des Guten zu viel auf einmal, darum sollen die Menschen den lieben Gott und das Beten nicht ganz und gar vergessen.

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