506. Haderholz und Falkenburg

506. Haderholz und Falkenburg

Hoch über Schmalkalden talaufwärts hinter dem Seligental führt rechts ein Bächlein, die Silge, eigentlich die Selige, denn das Bächlein gab dem Orte seinen Namen, einen waldigen Talgrund hinein, über dem einander gegenüber zwei felsengekrönte Bergköpfe ragen. Darauf standen in grauer Zeit zwei Ritterschlösser, das eine hieß die Falkenburg, und der Name des andern ist vergessen. Die beiden Ritter, die auf diesen Burgen saßen, haßten sich und bekämpften einander, besonders haderten sie um eine Waldstrecke, die der Falkenburg gegenüberlag, auf der Seite von des Falkenburgers Feind, und die der letztere als sein Eigentum in Anspruch nahm; die heißt bis heute noch das Haderholz, und die öde Burgstätte heißt der Haderholzkopf. Diese Ritter also haßten einander, sie hatten aber jeder ein erwachsenes Kind, der eine einen Sohn, der andere eine Tochter, und diese beiden liebten einander trotz der Väter Haß. Da sie aber nicht zueinander auf die Burgen kommen konnten und durften, weil die Väter nächst sich nichts mehr haßten als diese Liebe ihrer Kinder, so kamen sie heimlich im Silgegrund an einem traulichen Quellbrunnen zusammen, erbauten sich dort ein Hüttchen und pflegten alldort der süßen Minne, leider aber in solcher Weise, daß sich’s zuletzt seitens der Maid nicht mehr verhehlen ließ. Da mißhandelte der Vater sie so sehr, daß es ihr ungerade ging und sie starb. Da flüchtete ihr Geist in das Selige Tal zum Hüttchen der Liebe und erschien ihrem Geliebten, der schon mehrere Tage dort ihrer vergebens geharrt hatte. Da brach auch ihm der Kummer das Herz. Seitdem erscheint von Zeit zu Zeit das Ritterfräulein, und wäscht im klaren Bach kleine Kinderwäsche, und breitet sie zum Trocknen auf die Waldwiese unterm Haderholze aus.

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507. Die Ritter des Hermannsberges

507. Die Ritter des Hermannsberges

Nicht weit von Steinbach-Hallenberg, recht mitten im Waldgebirge, liegen zwei Berge, der kleine und der große Hermannsberg. Über letztern läuft ein steiler, haushoher Porphyrfelsenkamm, wie eine Riesen- oder Teufelsmauer, grau bemoost und mit alten Bäumen bewachsen. Da droben soll ein Schloß gestanden haben, bewohnt von einem Grafen, welcher Hermann hieß. Er führte gar ein übles Leben mit seinen Rittern und gewann dadurch einen großen Schatz, daß er zwölf Seelen opferte. Zur Strafe seiner Untaten ward er mit den Seinen in den Berg verflucht; zuzeiten hört man ein wildes, wüstes Toben dieser Ritter, sieht auch wohl den Grafen umgehen; so hat ihn mancher Förster und Kreiser auf sich zukommen sehen mit einem spinnewebenen Gesicht. Ein Führer geleitete einen Fremden über die Waldestrift, wo man von Steinbach-Hallenberg nach Mehlis geht, an einem Märzmorgen. Es hatte einen frischen Schnee gelegt. Da kam der Geist sichtbarlich und ging an den Wanderern vorüber; wie sie sich umsahen, weil sein Aussehen sie entsetzte, war er verschwunden, und im Schnee war, wo er gegangen, kein Fußtapfen zu erblicken.

Einst hütete ein Hirte am großen Hermannsberg, da verlief sich der Brüller (Herdochse), und der junge Knecht ging in den Wald, ihn zu suchen. Da kam er zu einer Gesellschaft Herren, die vergnügten sich mit Kegelschieben, und da sie ihn sahen, winkten sie ihm, ihnen die Kegel aufzusetzen. Dies tat er, und als sie ihr Spiel beendigt hatten, gingen sie hinweg und sagten, er möge nur die Kegel mitnehmen. Er belud sich mit dem Spiel, kam wieder zur Herde, zu der sich indes der Ochse wiedergefunden hatte, trieb sie heim und wurde verwundert gefragt, wo er denn bleibe und gewesen sei, er sei schon drei Tage nicht nach Hause gekommen. Er aber beteuerte, kaum eine halbe Stunde von der Herde gegangen zu sein, die Herren hätten ihn genötigt, ihnen die Kegel aufzusetzen. Da fragte man weiter, ob er auch einen Lohn bekommen. O ja, sagte der Knecht, ich habe das ganze Spiel mitgebracht, draußen liegt’s unter der Treppe. – Nun wollte der alte Hirt selbst den Ranzen mit den Kegeln unter der Treppe hervorziehen, vermochte das aber nicht, hingegen der Junge, wie er angriff, brachte ihn gleich hervor, und da waren die Kegel von purem Golde. Zu einer andern Zeit, als der junge Knecht wieder im Walde hütete und herumschweifte, fand er die Gesellschaft wieder, setzte wieder auf, und da bekam er auch die Kugeln. So war er zweimal glücklich.

In einem Dorfe am Fuße des großen Hermannsberges saßen an einem Winterabend einige Männer und karteten, und die Magd saß auf der Ofenbank. Da es schon spät war, so war sie an ihrem Spinnrad eingenickt. Sie zu ermuntern, sprach ihr Herr: Magd, geh hinauf auf den Hermannsberg, hol uns eine Flasche Wein. Dies sagte er, weil die Sage geht, daß in den verschütteten Kellern des ehemaligen Schlosses viele Fuder steinalten Weines liegen. Die Magd, dumm und schlaftrunken, macht sich in der Tat auf, empfängt auch droben, sie hat nicht zu sagen gewußt wie, eine Flasche Wein in ihre Hand. Als sie herunter und wieder in die Stube kommt, fährt der Herr sie an: Wo bist du gewesen? Wo bleibst du so lange? – Ihr habt mir ja geheißen, verteidigt sie sich, daß ich auf den Hermannsberg gehen solle und Euch Wein holen, so hab‘ ich’s getan, und hier ist auch der Wein. – Verwundert hörten und sahen das die Männer, die Flasche war ganz grau und schimmlig. Doch brachen sie sie an und tranken mit gutem Mut den alten Felsenwein. Er war vom besten und brannte wie Feuer.

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508. Die Schlange am kalten Brunnen

508. Die Schlange am kalten Brunnen

Zwischen dem großen Hermannsberge und dem Ruppberg liegt ein anderer hoher Berg, der Donnershauk, auf den Karten Steinhauk bezeichnet. Wo dessen Fuß sich zum Junker, so heißt ein Wald- und Weideplatz, der früher den Junkern auf dem Ruppberg gehörte, hinabsenkt, entspringt ein frischer Quell, der kalte Brunnen. Dort hütete einst ein Bärenbacher Hirt; da kam zu ihm die Jungfrau des Ruppberges herabgewandelt, die sprach zu ihm: Dort bei dem kalten Brunnen liegt ein großer Stein und unter ihm ein großer Schatz, hebe beide, so werde ich aller Qual überhoben sein! Der Hirte ging hin, aber da lag auf dem Stein eine mächtige Schlange, sie bäumte sich zischend gegen den erschrockenen Hirten und zeigte ihm den aufgesperrten Nachen und die drohenden Zähne. Zaghaft entfloh der Hirte, doch später ist der Stein hinweggekommen, desgleichen auch der Schatz, und die Jungfrau erscheint keinem mehr. Aber der Brunnen quillt noch fort.

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50. Siegenheim

50. Siegenheim

Nahe der Stadt Mannheim und an der Straße von da nach Heidelberg liegt das Dorf Seckenheim, früher Siegenheim, so genannt von einem großen Siege, den Pfalzgraf Friedrich I., Kurfürst, genannt der Sieghafte, im Jahr des Herrn 1462 in Siegenheims Gefild erfochten. Damals ward ein steinern Kreuz auf der Walstatt erhöhet, mit einer Gedenkschrift, welche Kurfürst Friedrichs Sieg gegen den Bischof Georg zu Metz, gegen den Markgrafen Karl von Baden und gegen Graf Ulrich von Württemberg erfocht, da gewann der junge mutige Sieger alle seine Gegner, den Markgrafen Karl von Baden, den Herzog Ulrich von Württemberg, den Bischof Georg von Metz und nicht minder als zweihundertundvierzig Grafen und Herren nebst noch einer großen Schar reisigen Volkes zu Gefangenen, ohne das Volk, welches erschlagen ward und die blutige Walstatt deckte. Da konnte man wohl vom Siege reden. Alle Gefangenen ließ der Pfalzgraf gen Heidelberg führen und mit den Fahnen, die er den Feinden abgenommen, die Heilige-Geistkirche daselbst ausschmücken. Die gefangenen Fürsten wurden indes standesgemäß behandelt und ehrlich gehalten, und des Abends rüstete man ihnen eine stattliche Mahlzeit, da gab es Wild und Fisch und Beiessen und Wein im Überfluß, und nichts mangelte, bis auf eines. Und der Kurfürst trat zu den Gefangenen und munterte sie auf, doch zuzulangen und wacker zu essen, es werde ihnen doch schmecken nach so heißem Tage. Aber sie aßen nicht, und einer sprach: Gnädigster Herr Kurfürst: es mangelt uns an Brot. – Ha so! gegenredete der Kurfürst, das tut mir leid, da ergehet es euch gerade wie meinen Untertanen, denen ihr und euer Volk alle Brotfrucht geraubt und verbrannt habt und nicht einmal der Früchte auf dem Felde verschont. Wo soll dann Brot herkommen?

Mit großen Summen mußten die Gefangenen sich lösen und dachten all ihr Lebetag an den Tag bei Siegenheim und an das Gastmahl zu Heidelberg.

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509. Die Ruppbergsjungfern

509. Die Ruppbergsjungfern

Auf dem Ruppberg, der die Gestalt eines Zuckerhutes hat und der spitzeste ist von allen Thüringer Waldbergen, hat vorzeiten ein Schloß gestanden, das hat Gebhard von Nordeck gebrochen und davon eine Kapelle in die Ehre Sankt Blasii erbaut, dort ist hernachmals das Dorf Blasienzelle entstanden. Im Grunde des Ruppbergschlosses liegt ein großer Schatz, der ist versetzt mit drei Erstgeburten, die müssen alle drei Johannes heißen und müssen dem Bösen geopfert werden, der den Schatz als schwarzer Hund bewacht. Manche haben die Schatzhebung versucht, sie ist aber allen mißraten. Vom Ruppberg wandelt nicht immer nur eine weiße Jungfrau, sondern es wandeln ihrer drei, erscheinen einzeln oder beisammen und niesen, um erlöst zu werden, dabei haben sie bisweilen einen Weich (eine Wäsche), den sie trocknen.

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510. Vom Reißigenstein

510. Vom Reißigenstein

Unterhalb Mehlis liegt ein bewaldeter Berg steil und schroff über der Straße, die von Benshausen abwärts, nach Blasienzelle auswärts führt. In Büchern nennen sie ihn den Reißigberg, von dem sagt ein alter Hennebergischer Geschichtschreiber: Denkwürdig ist auch ein Berg, der reißende Stein, ist eine ziemlich hohe Klippe, an welcher zur Nachtzeit nicht viel Ruhe ist, indem die Steine von oben herab in die gerade unten vorbeigehende Landstraße springen, wodurch viele Leute erschrecket worden; dem Vernehmen nach lassen sich allda viele Gespenste sehen. – Dem reißenden Stein gegenüber ist sonst ein Frauchen mit einem Schlüsselbund umgegangen, das erschien den Leuten in der Mittagsstunde und schrie wehklagend: Drei Viertel für ein Pfund! Drei Quärtchen für eine Kanne! Es war eine Handelsfrau, die ihre Kunden bei Lebzeiten also betrogen hatte, die mußte nun dort umgehen, wie die Biermesserin Frau Holle im Walzerholze bei Arnstadt. Doch hört und sieht man sie jetzt nicht mehr, vielleicht fand sie ihre endliche Erlösung.

Überm Berg drüben hinterm reißenden Stein ist der Höselberg, in den ist ein Amtmann verwünscht, der muß als Feuermann dort spuken.

Im Jahre 1561, borst eine Kluft am Klingesberge und wich das Erdreich, also daß es zehn besamte Acker fünf Ellen hoch bedeckte, vier Acker Wiesen verwüstete. Bäume niederriß und der Berg in der Nacht sechzehn Schuh weit fortrückte. Das ward für ein gar schlimmes Anzeichen gehalten.

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502. Der Tannenbusch

502. Der Tannenbusch

Wenn man von Schwarza dem dunkeln Bergwasser der Schwarza entgegengeht, kommt man bald nach dem Dorfe Birnau. Daselbst lebte ein alter Förster, der hieß Jakob, den neckte oft, wenn er im Walde ging, mancherlei Spuk. So geschah es ihm auch zu einer Zeit, daß, wenn er auf den Anstand ging und ihm ein Hirsch in den Schuß kam, ihm, sowie er schießen wollte, ein Tannenbusch vor die Büchse trat, so daß er niemals schießen konnte, denn sowie er sich seitwärts bog, rückte der Busch nach, und wenn er dann ärgerlich das Rohr absetzte und an eine andere Stelle ging, so war zwar der Tannenbusch fort, aber auch der Hirsch. Das machte dem alten Förster viele Sorge, und er ging nach Dreißigacker, allwo ein Scharfrichter wohnte, den fragte er um Rat in dieser Sache. Der Scharfrichter besann sich gar nicht lange, sondern sagte: Wenn Euch der Tannenbusch wieder vor den Lauf tritt, so zieht Euren Hirschfänger und putzt ihn nur aus. Bald ging der alte Förster Jakob wieder auf den Anstand, und siehe, es währte nicht lange, so zeigte sich ein Hirsch, und auch der Tannenbusch stand vor der Mündung des Gewehrs. Flugs tat der Förster, wie der Scharfrichter ihm geraten hatte, zog den Hirschfänger und begann den Busch auszuputzen. Doch war es ein hartes Holz, kein Zweiglein fiel ab, aber in den Stahl des Seitengewehrs sprang manche Scharte, so daß Jakob bald abließ und nach Hause ging. Im Dorfe Birnau aber fand sich eine Frau tödlich krank, hatte viele Wunden an ihren Armen und Beinen, und kein Mensch wußte, wie sie dazu gekommen. Sie war die Hexe, die in Gestalt eines Tannenbusches den Förster geäfft, weil er sie zum öftern im Walde auf dem Holzdiebstahl angetroffen, ihr den Korb zertreten, sie geprügelt, in die Waldbuße geschrieben und ihr sonst allerlei Tort und Schimpf angetan hatte.

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503. Vom alten Schloß Hallenberg

503. Vom alten Schloß Hallenberg

Wer von Birnau immer weiter talaufwärts geht, überschreitet die Grenzmark der hessischen Herrschaft Schmalkalden und gelangt nach Steinbach-Hallenberg, wo hoch überm großen langgebauten Flecken malerisch die Trümmer des Schlosses Hallenberg horstet. In jener Gegend gibt es viele Sagen auf den Höhen der Berge wie in den Talgründen. Die Burg Hallenberg soll derselbe Baumeister erbaut haben, welcher Schloß Hennebcrg erbaute; sie war auch eine Hennebergische Burg. Im Gemäuer droben wird noch eine Höhlung gezeigt, in der ein Särglein gefunden wurde, darin eine Kindesleiche. Von Zeit zu Zeit läßt sich am Schloß eine weiße Jungfrau sehen, die wandelt in der Mittagsstunde den Berg herab bis an das alte Malzhaus, das mit einem Türmchen geziert ist, darin hangt noch ein Glöckchen, das früher auf der Hallenburg hing, von silberhellem Ton und Klang, daher es auch das Silberglöckchen genannt wird. Man sagt, daß einige Juden aus Schwarza das Glöckchen ganz mit Silber anzufüllen sich einst erboten hätten, wenn man für dieses Silber ihnen jenes überlassen wolle; man ist aber auf diesen angetragenen Tausch nicht eingegangen. Das Glöckchen trägt die Inschrift: Ave Maria gracia, MCCCCXX. Die Leute haben einen Aberglauben, daß abgefeiltes Metall davon gut sei gegen die Schwerenot und fallende Sucht, daher sieht man vielfache Spuren von Einfeilungen rund um den Rand herum. Die Feile wird von den Kranken auf Butterbrot eingenommen, es soll probatum sein.

Ohnweit Steinbach-Hallenberg sind die Silberlöcher, durch diese fließt ein Wasser, und unter dem Wasser ist eine Höhle, daraus haben vordessen die Venetianer großes Gut getragen. Ein Köhler mußte ihnen immer seinen Harztiegel leihen, darin schmolzen sie das edle Erz. Endlich dachte der Köhler, du kannst ja auch einmal hinuntergehen und für dich etwas holen und auch schmelzen, und wollte in die Höhle hinein, aber da lag ein unbändig großer Hund drin, der bleckte ihm die Zähne, und hatte feurige Augen und machte ein Geknurr, als ob’s der leibhaftige Satan selbst wäre – da verging dem Köhler das Goldlangen.

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504. Ebersdorf und Ebersgrund

504. Ebersdorf und Ebersgrund

Von Steinbach-Hallenberg nach Stadt Schmalkalden zieht sich ein hügeliger Wiesengrund hin, darauf hat vorzeiten ein Dorf gestanden des Namens Ebersdorf. Das Dorf war reich, und seine Bewohner hatten Bergbau auf Gold, Silber und Kupfer. Da wurden sie ob des gewonnenen Reichtums übermütig, frevelten am Heiligen, gingen nicht mehr in die Kirche und führten ein gottloses und üppiges Leben. Nun diente in Ebersdorf eine fromme Magd, die war gebürtig aus Springstillen, einem Dorfe nahe bei Schmalkalden, die bat an einem Sonntag Urlaub von ihrer Herrschaft, daß sie nach Hause gehen dürfe und das heilige Abendmahl empfangen. Über diesen gottwohlgefälligen Vorsatz wurde sie gescholten und verhöhnt, doch durfte sie von dannen und ging weinend ihres Wegs. Als sie zurückkam, fand sie das Dorf nicht mehr, nur ragte da, wo es gestanden, in der Mitte ein Hügel, und aus diesem blinkte der Turmspitze goldnes Kreuz, wie ein Kreuz über einem großen Grabe. Das Dorf war versunken, doch hörte sie noch in der Tiefe die Hähne ängstlich krähen. Da wandte sich die Magd abermals zurück in ihren Heimatort und kündete, was sie gesehen; niemand aber glaubte ihr, doch gingen viele Springstiller mit und sahen das Wunder, welches sich begeben. Nun war auch das Kreuz vollends in die Tiefe gesunken, auch krähte kein Hahn mehr in und nach dem Dorfe, und über seiner Stätte lagerte tiefe, grauenvolle Stille. Nach einiger Zeit nahmen die Leute von Springstille Besitz von der Flurmarkung, und daher kommt es, daß noch heute viele Springstiller im Ebersgrunde Wiesen besitzen. Man sieht noch den Kirchhügel in des Talgrundes Mitte und erblickt in der Nähe alte Heckenlinien, die Abgrenzungen ehemaliger Gärten.

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505. Gadamars Gesicht

505. Gadamars Gesicht

Aus dem Ebersgrund gelangt man nach Asbach und in den Talkessel, darinnen die alte Stadt Schmalkalden liegt, berühmt ob der in ihr gehaltenen Fürstentage, mehrmaliger Anwesenheit Doktor Luthers, der beim Rentmeister Balthasar Wilhelm am Topfmarkt, jetzt Kaufmann Sanners Haus, wohnte und auch im selben Hause eine Predigt hielt, und durch jene berühmten von Melanchthon alldort verfaßten Artikel des christlichen Glaubens.

Zu Schmalkalden lebte im Jahre 1526 ein frommer Mann des Namens Siegmund Gadamar und war dieses Jahres ein Bürgermeister, denn allda bestand seit langen Zeiten her die Einrichtung, daß zwei Bürgermeister und zwei Gemeindevormünder und nicht eine Heerschar von Stadt- und Gemeinderäten das städtische Regiment verwalteten, diese aber wurden jedes Jahr von der Gemeinde neu gewählt, nur daß meistenteils der zweite Gemeindevormund eines Jahres zum ersten im folgenden erwählt wurde. Dieser fromme Herr Gadamar hatte sich der neuen Lehre des Evangeliums zugewendet, wie auch frühzeitig Balthasar Wilhelm, Luthers nachmaliger Wirt, getan, und hatten beide mancherlei Anfechtungen darob. Ging eines Abends Herr Gadamar mit bekümmertem Gemüt schlafen, kam, er wußte nicht wo und wie, in eine Stube, darin ein trotziger Leue stand, fürchtete sich aber gar nicht, war ganz mutig, dann sah er eine Anzahl Fürsten im Kreise stehen, die wider den Löwen ratschlagten, etwan sieben, und an einem Tische saß ein alter Mann, der nahm sich keiner Sache an und tat, als schliefe er. Auf diese Fürsten ging der Löwe grimmig los, und sie hatten keine Waffen und zagten, einer aber nahm kecklich einen Stuhl und wehrte damit den Leuen ab. Der Löwe aber schlug seine Pranke durch den Stuhl, und blieb selbe drinnen stecken, da hatte der Fürst gleich einen hessischen Bock- oder Kampfdegen in der rechten Hand und stach damit auf den Löwen los, daß es puffte, doch hörte Gadamar es eben nur puffen und sah nicht, daß der Löwe verwundet ward, die andern aber zagten und gaben Rat, dem Löwen den Schweif abzuhauen, darinnen habe er seine größte Stärke, und da hieb einer aus ihrer Mitte dem Tiere den Schweif ab, ohne daß der Seher sah, woher jener das Schwert nahm. Darauf gingen sie alle aus der Stube und ratschlagten, und das Haus war ganz finster, der Löwe aber wirkte sich aus dem Stuhle los und legte sich vorn an der Türe auf die Bank und gewann wieder Stärke und wurde so grimmig, daß er schäumte, und rollte seine Augäpfel so sehr, daß man nur das Weiße sah, und ob solchen Ingrimmes sah er erst gar nicht, daß die Fürsten wieder in das Zimmer traten, wieder unbewehrt, und der Löwe wollte sie zerreißen. Da erhob sich am Tische der Mann, der zu schlummern geschienen hatte, und hob nur zwei Finger drohend gegen den Löwen, sprach aber kein Wort, und der Leu gehorchte ihm. Der Mann aber verwandelte seine Gestalt und war Jesus Christus, und ein Menschenbild sprach zu Gadamar: Dies Gesicht merke, und vergiß es nicht.

Hernach im Jahre 1537 ist zu Schmalkalden vorm Auertore über einem Weiher, die Totenlache genannt, von vielen ein Wolkengesicht am Himmel und auf Erden gesehen worden; eine Nebelgestalt stand da, hoch wie ein Turm, und auf dem Turm ward Lichtschimmer erblickt, und Kriegergeister schwebten um die hohen Zinnen. Drunten am Turm aber stand ein riesengroßer grauer Mann, der schöpfte Wasser, und da kam ein greulicher Drache hinter dem Turm hervor, der sperrte den Rachen auf gegen den Mann, als wolle er ihn verschlingen, der aber blieb unerschrocken und streckte ihm etwas entgegen, etwa wie einen Kelch oder ein Buch, da berstete der Drache und verschwand, und alles hüllte sich in Nebel ein.

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