532. Die Jungfrau mit dem Bart

532. Die Jungfrau mit dem Bart

Auf der Brücke zu Saalfeld steht eine alte Kapelle mit einem St. Gehülfenbilde, von welchem mehr als eine Sage geht. Zwei Grafen von Arnstadt sollen diese Kapelle gegründet haben, und war zu ihr am dritten Pfingsttage und am Allerheiligentage gar ein großer Zulauf um Ablaß. Die Sage zu Saalfeld berichtet, daß eines Sorbenwendenfürsten Tochter, insgeheim der Lehre Christi zugetan, jede Werbung heidnischer Liebhaber beharrlich ausgeschlagen und in ein Kloster habe gehen wollen. Dieses kundgewordene Bekenntnis und dieser Vorsatz reizten ihres Vaters Zorn, besonders aber ihr Abfall von den Slawengötzen, und er schwur, so sie sich nicht seinen Befehlen füge, solle sie den Tod des Christengottes sterben, den sie im Herzen trage und bekenne. Da nun die edle Jungfrau standhaft blieb, so hielt der unnatürliche Vater sein grausames Wort und ließ sie mit den Armen an ein Kreuz nageln. Da sie nun, also freventlich dem Auge der Menge zur Schau gestellt, am Kreuze hing, flehte sie zum Heiland in ihrer tiefen Marter, er möge doch die Gnade an ihr erzeigen und ihrer Gestalt Unkenntlichkeit verleihen, und ihre Bitte fand Erhörung durch ein Wunder, es wuchs ihr ein starker Mannsbart, und ihre Gestalt wurde in eine männliche verwandelt. Ein edler Jüngling, der heimlich die Jungfrau geliebt hatte, kam herbei und versüßte ihr den Tod mit seinem Saitenspiel, dem zum Danke ließ sie einen ihrer goldnen Schuhe vom Fuße fallen. Das ist hernachmals in einem schönen Steinbilde an der Brückenkapelle dargestellt worden, welches noch heute wohl erhalten ist.

Andere sagen, es stelle jenes Bild die heilige Kümmernis dar, welche ihr eigner Vater mit sündlicher Liebe verfolgt, bis sie sich von Gott die Verunstaltung erfleht und erbetet, worauf der Vater sie kreuzigen ließ, damit sie den Tod des Erlösers sterbe, an den sie glaubte. Solches geschah, und sie ward eine heilige Märtyrerin, und weil ihres Vaters Begehren und Strenge ihr den tiefsten Kummer ursachte, so ist sie hernachmals St. Kümmernis genannt worden, steht aber nicht im römischen Heiligenkalender, und wurden viele Bilder und Kapellen ihr zu Ehren aufgerichtet. Einstmals war ein armer Spielmann dem Hungertode nahe, der hatte in seinem eigenen Kummer ein gar großes Vertrauen zu St. Kümmernis und kniete vor ihrem Bilde und flehte sie um Hülfe an; selbiges Bild war aber gar ein reiches und prächtiges und trug goldne Schuhe. Da nun der Spielmann gebetet und vor dem Bilde eine andächtigfromme Weise aufgespielt hatte, ließ das Bild den einen goldnen Schuh vom Fuße fallen, gerade vor den Spielmann hin. Der nahm dankbar die werte Gabe und ging, sie zu verkaufen; der Goldschmied aber, der den Schuh wohl kannte, weil er ihn nebst dem dazugehörigen gefertigt, zog den Spielmann vor Gericht und klagte ihn des Diebstahls an, worauf derselbe gerichtet und zum Tode verurteilt wurde. Auf seinem letzten Gange ward der Spielmann wieder an dem Bilde vorbeigeführt, da kniete er noch einmal nieder und flehte die heilige Kümmernis an, seine Unschuld zu bezeugen, und siehe, da warf sie ihm sichtlich auch ihren anderen Schuh zu – daraus nun seine Unschuld klar ward, und alles Volk pries die göttliche Hülfe, den Erlöser und seine Heilige, dadurch wurden der Bilder von ihr noch mehr, und zwar nun solche mit dem Spielmann und dem ausgezogenen Schuh. Eins ist in Wien, eins in Ettersdorf bei Erlangen usw.

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533. Das Nonnenkloster zu Saalfeld

533. Das Nonnenkloster zu Saalfeld

In unvordenklicher Zeit war das Haus der jetzigen Hofapotheke ein Nonnenkloster, es ist nach dem hohen Schwarm der urälteste, doch schon ganz byzantinische Bau der Stadt, und noch zeigt sich daran manch rätselhaftes Steingebilde. In selbigem Hause soll es vordessen greulich gespukt haben, es gingen darin, soviel der etwas beschränkte Raum erlaubte, sämtliche Nonnen, Priorinnen und Äbte um und wandelten durch die unterirdischen Gänge, von denen einer nach dem Peterskloster führte, auf dem jetzt das Schloß steht, ein anderer nach dem Barfüßerkloster, ein dritter unter der Saale hinweg nach Altensaalfeld, mit einem Stationspunkt unter der Gehülfenkapelle in einem Brückenpfeiler, ein vierter unter die Sorbenburg, ein fünfter unter das Schlößchen Kitzerstein, und wo sonst noch die Nonnen ihre Gänge hin hatten und ihre Besuche her empfingen. Wo jetzt das Laboratorium der Hofapotheke, da war ehedem das Refektorium, und in dem Gastzimmer war das Dormitorium der Nonnen. Unter dem Kohlengewölbe öffnete sich eine Falltüre zu einem Unterkeller, die soll hernachmals vermauert worden sein, darinnen setzten die Nonnen dasjenige im stillen bei, was die Welt nicht mit Augen sehen durfte. Aber von Zeit zu Zeit, hauptsächlich am Tage der unschuldigen Kindlein, ist dasjenige in blutiger und dräuender Gestalt erschienen und hat sich nicht durch aufgeschütteten Kalk, nicht durch die Falltüre und die Kellergewölbetüre bannen lassen. Auch ist im Kloster ein beständiger Hader und Unfriede – eifersuchtswegen – gewesen, und sagen die Leute, es wären dieserhalb außen am Hause Hund und Katze als ein Wahrzeichen angebracht worden – doch sind es die Gestalten eines Leuen und eines Bären. – Endlich ist an einem schönen Morgen das alte Kloster zugewesen und auch zugeblieben – kein Gesicht hat sich mehr darinnen erblicken lassen – und als man endlich öffnete, war das Innere so tot und öde, als habe seit Jahren niemand mehr drinnen gewohnt. Niemand kann sagen, wo die Nonnen hingekommen sind. Einige meinen, sie seien ihre gewohnten Gänge gegangen und nicht wiedergekommen: andere aber sagen, sie seien verwünscht, müßten ewiglich in diesen Räumen bleiben und so lange spuken, als nur ein Stein des uralten Klosterbaues auf dem andern stehe. Andere haben diesen Termin minder lang gestellt und sagen, sie haben bloß so lange spuken dürfen, als es Mönche zu Saalfeld gegeben, und diese Zeit sei schon längst vorüber, und wären die spukhaften Nönnlein nun alle erlöst. – Vor dem Hause lag oder liegt noch ein großer Stein, darauf sitzt in jeder Neumondnacht eine Schleiereule und schlägt mit den Flügeln und tut einen markdurchdringenden Eulenschrei, wie die Tut-Osel.

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534. Die silberne Orgel

534. Die silberne Orgel

Zu Saalfeld war ein Barfüßerkloster, das hatte eine große und schöne Kirche, die war dem heiligen Andreas geweiht, und später wurde in die Kirche die Münzstätte verlegt, daher heißt sie, obschon die Münze längst ein eigenes Gebäude erhielt, immer noch die Münzkirche. In dieser Kirche und im ganzen ehemaligen Kloster ist es nicht geheuer, Mönche wandeln, Kohlen flimmern, Schätze glühen aus der Tiefe herauf. – Im Klostergebäude ist das frühere Lyzeum, jetzige Realgymnasium. Einst kam ein Lehrer in der Nacht die Straße herauf und sah die Kirche hell erleuchtet. Er trat hinein und erblickte eine Tafel voll brennender Kerzen und funkelndes Tischgeräte, daran saßen der Fürst und sein Hofstaat in vollem Glanze. Bergleute gruben in den Boden ein und warfen heftig Schutt aus, der flog bis dicht vor des Lehrers Füße, und es fiel ihm etwas auf und in die Schuhe. Hoho! Nur nicht zu hastig! rief der Lehrer halblaut einem Knappen zu. Da tat es einen Schlag wie ein Donner, die mächtige Türe flog zu, die Kerzen verlöschten, und der Lehrer fand sich in tiefer grauenvoller Finsternis allein. Vor Angst zitternd sank er in die Knie, sprach ein Gebet, erhob sich dann und suchte einen Ausweg, den er auch durch das Sakristeipförtchen fand, wo er auf den Schulsaal gelangte. Am Morgen sieht er einen Glanz am Boden, der kommt von seinen Schuhen, aller Schutt und Staub, der in der Nacht auf und in sie hineingefallen, war zu klarem lichten Golde geworden.

Lange ging und noch immer geht die Sage, daß in der alten Münzkirche eine silberne Orgel tief vergraben sei. Das hätten die Mönche des Barfüßerklosters getan, als die Reformation sie aus Saalfeld vertrieb und sie mit ihrem Klosterschatz nach Erfurt flüchteten, die Orgel aber wohl nicht fortbringen konten. Ein Saalfelder Herzog, Christian Ernst, wollte den Schatz heben, berief Bergknappen und Schätzebeschwörer und ließ in stiller Mitternachtstunde einschlagen. Bald kündete ein hohler metallener Klang, daß schon ein Kasten erreicht sei, kein Laut ward rege, alles lauschte mit verhaltenem Atem, die Bergknappen arbeiteten schweigend fort, da schrie auf einmal eine Stimme: Es brennt! Zugleich sah man Flammen lodern, und mit einem dumpfen Klang sank der Schatz zur Tiefe. Es war aber das Feuer kein Spuk der Geister, sondern es brannte in der Tat im Sparrwerk des Kirchendachs, und die Spur davon ist am Gebälk noch zu sehen. Niemand wußte, wie das Feuer ausgekommen, und ungehoben blieb bis heute der Schatz und die silberne Orgel.

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535. Gottes Finger

535. Gottes Finger

Nach der für den Kurfürsten Johann Friedrich den Großmütigen zu Sachsen so unglücklichen Schlacht bei Mühlberg mußte dieser Fürst als Gefangener seinem Überwinder Kaiser Karl V. folgen. Auf diesem Zuge kamen beide nach Saalfeld. Der Kaiser bezog das neuerbaute Gasthaus zur goldnen Gans in der Nähe des Rathauses, das jetzt zum goldenen Anker heißt, und der gefangene Kurfürst erhielt sein Losament in einem gewölbten Gemach nahe dem Hofe, vor welchem eine Leibwache spanischer Soldaten sich aufpflanzte. Das waren des neuen Gasthofs erste Gäste. Der edle Gefangene, Herr des Landes und doch in Gewalt des Feindes, trug mit der Würde, die seinen Charakter auszeichnete, sein Los, aber in diesem Kerkergewölbe fiel eine Angst gleich einer Bergeslast auf seine Seele. Er vermochte nicht das Bangen, das ihn drückte, zu bewältigen und bat die Wachen, sie möchten ihm vergönnen, nur einen Augenblick im Hofe frische Luft schöpfen zu dürfen. Der Kaiser ward um Erlaubnis befragt und gewährte. Und kaum war Johann Friedrich aus seinem Gefängnis getreten, so stürzte mit Donnergepolter das Gewölbe über jenem Gemach zusammen und hätte unfehlbar den Kurfürsten erschlagen, wenn er noch darunter geweilt. Dieses sichtliche Zeichen der allwachenden Vorsehung bewog Karl V., seinem erhabenen Gefangenen ein besseres Gemach anweisen zu lassen.

Fünf Jahre lang trug Johann Friedrich Last und Leiden der Gefangenschaft; als er endlich frei geworden, kam er wieder nach Saalfeld, wohnte, umjubelt von seinem treuanhänglichen Volke, wieder in der goldenen Gans und publizierte den getreuen Ständen in feierlicher Versammlung auf dem Rathaus seinen kaiserlichen Restitutionsbrief.

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536. Das bescherte Glück

536. Das bescherte Glück

Dicht bei Saalfeld liegt das Stift Graba, dort träumte einem jungen Menschen, es sei ihm ein großer Schatz beschieden, er solle nur zur gehörigen Zeit nachgraben an einer Stelle, die der Traum ihm ganz genau bezeichnete, dort werde er einen Topf gefüllt mit Golde finden. Am Morgen darauf begegnete er einem seiner Bekannten und erzählte ihm den wunderlichen Traum. Dieser lachte darüber und redete ihm die Sache aus, ging aber in der folgenden Nacht in aller Stille hin, grub und fand wirklich den bezeichneten Topf. Leider aber war der Topf statt mit dem erwarteten Golde mit gelben Ameisen angefüllt bis zum Rande. Ärgerlich über die Täuschung, und um sich für die gehabte Anstrengung und Nachtwache zu rächen, nahm dieser gute Freund den Fund und schüttete seinem Freunde, der den Anlaß zu sotaner herber Täuschung mit seiner Traumerzählung gegeben, die kleinen gelben Ameisen in das Bette. Vergebens aber lauschte er auf den Schrei, wenn dieser von den Bissen der Ameisen erwachen werde; der Freund schlief wie ein Toter. Als dem Träumer der anbrechende Morgen die Augen aufschloß, sah er sich in lauter Golde liegen – denn ihm war einmal das Glück beschert und nicht dem andern.

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537. Das Mäuselein

537. Das Mäuselein

Nicht weit von Saalfeld liegt ein Ort mit einem Rittersitz, Unterwirrbach, da wurde ein Knecht gar häufig und sehr von der Alptrude gedrückt und konnte gar keinen Frieden haben, und schlug auch kein Mittel an, denn das unfehlbare, das Verstopfen des Schlüsselloches, welches jener Gute in der Ruhl anwandte, kannte und erfuhr er nicht. Da schälte einer Zeit das Gesinde spät abends in der Stube Obst, und da kam einer Magd der Schlaf an, und sie legte sich auf die Bank, ein wenig zu ruhen. Wie sie nun eine Weile dortgelegen hatte und einige hinsahen, ob sie schlief oder ob sie nicht bald wieder aufwachen werde, siehe, da kroch dem schlafenden Mensch ein rotes Mäuselein zum Maule heraus, daß sich alle entsetzten und einander anstießen und sich’s zeigten. Das Mäuselein lief am Getäfel hinauf an das Fensterbrett, dort klaffte ein Fenster, und husch war es hinaus. Eine Zofe, die bei dem Gesinde saß und Äpfel schälen und auch essen half, war neugierig und wollte die Schlafende wecken, die andern aber sagten ihr, sie solle das nicht tun, es sei vielleicht nicht gut; sie ließ sich aber nicht abhalten und ging doch hin und rüttelte die Schlafende, sie lag aber starr, wie recht eigentlich entseelt, obschon sie sich noch nach einer andern Stelle hin bewegen ließ. Bald hernach kam das rote Mäuselein wieder durchs Fenster hereingehüpft und wollte wieder einkriechen, wie jenes kleine fingerlange Tierchen in das Weibsbild, welches Schnitter bei Vilforde im Niederland fanden, und welches eine Mahr war, aber es fand nicht mehr an der Stelle, wo es ausgekrochen, den Mund der Magd, lief ängstlich hin und her, und endlich verschwand es. Die Magd aber erwachte nimmer zum Leben, sie war jetzt und blieb tot – vergebens bereute die Zofe ihren Vorwitz. Es war aber dieselbige Magd eine Trude gewesen, die den Knecht im Schlafe gedrückt hatte, denn seit sie tot war, blieb er von allem Alp- und Trudendrücken frei.

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538. Der Fluch der Witwe

538. Der Fluch der Witwe

Zwischen Saalfeld und Gräfenthal liegt Reichmannsdorf, allwo in frühern Zeiten des Bergsegens und Bergbaues kein Ende war, darum heißt noch immer ein Berg in der Nähe der Goldberg und ein anderer der Venusberg, darinnen eine Grube liegt, die den Namen führt Zufällig Glück, und mag wohl der, der in den Venusberg baute, zufällig Glück gehabt haben. Der Ort hatte früher auch einen andern Namen, da aber der ergiebige Bau alle Einwohner zu reichen Mannen machte, so bekam er den Namen Reichmannsdorf. Schon im Jahre 1335 stritten und verglichen sich die Grafen von Orlamünde und die von Schwarzburg über den Ertrag der Gold- und Silberbergwerke, die im Umfang von fast zwei Meilen um den Ort abgeteuft wurden, und deren Anzahl zweihundertundzwanzig überstieg. Die Einwohner wurden, wie die Sage erzählt, so übermütig, weil sie so viel gewachsenes Gold und Silber gewannen, daß sie mit goldnen Kegeln spielten und mit goldnen Kugeln danach schoben. Der Ort genoß die Rechte einer Bergstadt und ward im Scherz die Vorstadt von Saalfeld genannt.

Zu einer Zeit geschah es, daß in einem der Reichmannsdorfer Schachte eine so große Stufe gediegenen Goldes gefunden wurde, daß sie viertausend Gulden geschätzt wurde. Das Mineral hatte im Bruch die Form eines Sessels bekommen, und da gerade zu jener Zeit ein Sachsenherzog kam, das reiche Gewerk zu beschauen, so legte man die Stufe auf ein mit Stricken befestigtes Brett, und darauf fuhr nun, von einem Knappen begleitet, der Herzog in den Schacht. Er kehrte befriedigt zurück und lohnte seinem jungen Geleitsmann mit einer Handvoll Dukaten. Der junge Gesell ließ bald darauf das Geld sehen und tat sich gütlich beim Kirmsentanz, und da kam er in den Verdacht, daß er Erze gestohlen habe, ward auch sofort auf heimliche Anklage eingezogen und mußte auf der Folter den Diebstahl eingestehen, den er doch nicht begangen hatte. Nach der Art jener Zeit, Diebe nicht jahrelang in Gewahrsam und liebevoller Verpflegung zu halten, vielmehr kurzen Prozeß mit ihnen zu machen, wurde der unschuldige Knappe auf den Richtplatz geführt, um dort an den Galgen gehenkt zu werden. Vergebens flehte seine arme alte Mutter für sein Leben, vergebens beschwur sie und er selbst seine Unschuld, und daß jenes Gold ein Geschenk des gütigen Herzogs gewesen. Der Arme mußte henken. Da erfaßte Verzweiflung die alte Mutter, sie taumelte vom Richtplatz, sie wankte auf die reichste Grube zu, in welche der Sohn mit dem Herzog gefahren war, sie umwandelte diese dreimal und sprach in der Hölle Namen schreckliche Zauberflüche aus. Dann ergriff sie ein Gefäß voll Mohnsamen, das sie mit sich führte, und schrie: Verflucht sei dieses Bergwerk um meines unschuldigen Sohnes willen! So viele Körnlein Mohnes hier niederrieseln in die Tiefe, so viele Jahre lang finde man kein Körnlein Goldes wieder! Und als sie so gerufen hatte, stürzte sie sich, den Zauber zu vollenden und den unterirdischen Geistern für die Erfüllung ihres Fluches ein lebendes Opfer darzubringen, in den tiefen Schacht. Wie sie unten zerschellte, durchdröhnte ein unterirdischer Wetterschlag das ganze Gebirge, der Hauptschacht stürzte zusammen, wilde Wasser ersäuften ihn, und der bei weitem größte Teil des Reichmannsdorfer Bergsegens hatte ein Ende, und mit ihm verschwand auch die Prachtliebe und der Glanz der Ortsbewohner. – Auf ähnliche Weise ist auch zu Schleiz im Vogtlande ein reicher Schacht von einer alten Hexe verflucht worden.

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525. Die Totenschauerin

525. Die Totenschauerin

Auf dem Schlosse zu Rudolstadt lebte einst eine Prinzessin, die hat eine gar traurige Begabung gehabt. Wenn in dem fürstlichen Hause ein Sterbefall eintrat, so sahe sie statt der wirklichen Leiche auf dem Paradebette jedesmal die nächstfolgende. Und obschon dieses zweite Gesicht die Prinzessin gar traurig machte, weil ihr Herz stets den Schmerz um zwei Glieder der Familie empfand, so konnte sie doch nicht unterlassen, jedesmal in den Sarg zu blicken, doch behielt sie, was sie schaute, stets als tiefes Geheimnis in ihrer Brust verschlossen, aber ihr Leben ging dabei trübe und traurig hin. Zu einer Zeit aber setzte sie ihren letzten Willen auf, ordnete ihr Begräbnis an und entschlummerte bald darauf sanft – sie hatte sich selbst im letzten Sarge erblickt – und nahm diese dunkle Gabe mit in das Grab.

In der gewölbten Torhalle des Rudolstädter Schlosses ist eine eiserne fest verschlossene Türe, durch diese tritt, ohne daß eine Angel sich regt, zu gewissen Zeiten zur Mitternachtstunde eine weiße Gestalt mit marmorbleichem Antlitz, schreitet die Stufen herab, wandelt über den Schloßhof und verschwindet dann wieder. Diese Erscheinung soll der Geist jener totenschauenden Prinzessin sein und jedesmal dann erblickt werden, wenn dem fürstlichen Hause ein Trauerfall bevorsteht.

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526. Das Frühmahl

526. Das Frühmahl

Auf dem Schlosse zu Rudolstadt herrschte die verwitwete Katharina von Schwarzburg, eine geborene Fürstgräfin von Henneberg, als der niederländische Krieg durch die Lande wütete. Sie hatte für das Land ihrer unmündigen Söhne einen kaiserlichen Schutzbrief erwirkt, denn es nahten ihm des blutgierigen Herzogs Alba räuberische Scharen. Der Herzog kam in Rudolstadt an und lud sich auf ein Frühstück bei der Gräfin auf dem Schlosse ein, und diese Einladung konnte nicht abgelehnt werden. Während der Herzog mit seinen Begleitern und Gefolge sich’s wohlschmecken ließ, taten die spanischen Soldaten nach ihrer Gewohnheit, trieben den Bauern das Vieh weg, plünderten und erpreßten Geld. Klage auf Klage traf ein, und die Gräfin hieß ihren ganzen männlichen Hofstaat und alle Schloßdienerschaft sich bis an die Zähne bewaffnen, dann trat sie in den Speisesaal zum Herzog Alba und schilderte ihm die Ungebühr seiner Soldateska, indem sie ihm des Kaisers Freibrief zeigte. Alba aber sagte: Krieg ist Krieg! – Da sprach die Gräfin: Schreibt einen Brief, Herr Herzog, an Euer Volk, daß sie meinen Untertanen alles wiedergeben, was sie raubten, und auf der Stelle ihrer Zügellosigkeit Einhalt tun. – Wie, Frau Gräfin? fragte unmutig der Herzog und zeigte keine Neigung, der Aufforderung Folge zu leisten, da rief die Gräfin ganz entrüstet: Ihr wollt nicht? Nun, bei Gott, Fürstenblut für Ochsenblut! – Ein Handwink der mutvollen und entschlossenen Frau, und durch alle Türen drängte sich, Mann an Mann, eine Schar Geharnischter mit bloßen Schwertern und spitzen, scharfen Partisanen. Der Herzog wurde blaß und flüsterte mit dem Herzog von Braunschweig, der mit ihm war. Dann schrieb er die Ordre. Der Herzog von Braunschweig lachte und lobte, äußerlich im Scherz, innerlich im Ernst, die herrliche deutsche Frau, die nun gar demütig dankte und die Bewaffneten entließ. Alba schwieg und ging und mag lange an das Rudolstädter Frühmahl gedacht haben. Diese wackere Gräfin ruht in der Kirche zu Rudolstadt, und über ihrer Gruft ist ein schönes metallenes Denkmal mit nachrühmender Schrift zu lesen. Sie war eine große Beschützerin verfolgter protestantischer Geistlichen, so namentlich des Kaspar Aquila und Justus Jonas.

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527. Die Hangeeiche

527. Die Hangeeiche

Überm Saalstrom drüben zwischen Rudolstadt und Saalfeld ist ein Bergzug, dessen höchster Gipfel der Kulm heißt, von dem auch manche Sage geht, da war einst ein schöner Eichenwald, und in demselben stand eine besonders große uralte Eiche. Es geschah zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, daß eine Abteilung Kriegsvolk im Dorfe Reichenbach am Fuß des Waldberges im Quartier lag, sich dort gütlich tat und dann weiterzog. Am Tag darauf sollte das heilige Abendmahl im Gotteshause den Frommen dargereicht und dem Herrn für den Abzug der Soldateska gedankt werden, siehe, da fehlte der goldene Altarkelch, den in uralter Zeit ein frommer Mann der Kirche geschenkt hatte, und alle Anzeichen ließen vermuten, daß der Kelch von den Soldaten gestohlen worden sei. Da erbot sich der alte Schultheiß, ein bejahrter Mann, den Kriegern zu folgen und von dem Hauptmann den geraubten Kirchenpokal zurückzufordern, wie sehr er dabei auch sein Leben der Gefahr aussetzte. Er ereilte den Soldatenhaufen auf der mittlern Heide, und unter jenem mächtigen Eichbaum hingestreckt fand er den Hauptmann und brachte seine Klage vor. Mit strengem Blick hörte der Hauptmann die Beschuldigung, daß einer seiner Leute den Kelch geraubt, und befahl sofort, wenn der Schuldige unter ihnen sei, solle er den Becher herausgeben. Keine Hand rührte, kein Schuldiger meldete sich. Nun wohlan! rief jetzt der Hauptmann dem Schulzen zu, suche euren Kelch! Bei welchem du ihn findest, der soll auf der Stelle an dieser Eiche henken, findest du ihn aber nicht, so henkst du, dafür, daß du meine Leute solcher Tat geziehen!

Erschreckt bis zum Tode begann der Schultheiß sein Suchen und fand nichts. Schon glaubte er sein Leben dem Tode verfallen, da blinkt etwas hell aus dem Schatten eines Busches, da liegt ein schlafender Soldat, den Kopf auf dem Tornister ruhen lassend, und aus dem Tornister blinkt der Altarkelch. Gefunden! ruft laut der Schulze und zieht den Kelch hervor. Verwünschungen der Kameraden und Fußtritte wecken den Schlafenden, der ganz betäubt die Klage hört, und da tritt auch schon der Profoß heran mit dem Strick, und nach kurzer Frist bedeutete der Hauptmann ihn, den Dieb zu henken. Endlich hat dieser begriffen, um was es sich handelt, und beteuert laut seine Unschuld, und da alles nichts hilft und er zur Eiche hingedrängt wird, ruft er verzweiflungsvoll: So möge niemals, so wahr ich unschuldig sterbe, ein Eichbaum in diesem Walde grünen und aufkommen! So starb er, und starb unschuldig. Der ihn aufhenkte, war der Dieb, der rasch und heimlich, als er des Hauptmanns Schwur hörte, den Kelch aus seinem Tornister nahm und in den des schlafenden Kameraden steckte. Kaum war nun der Kamerad gehenkt und der Schulze mit dem glücklich gefundenen und zurückerhaltenen Gottestischbecher nach Reichenbach zurückgeeilt, so erwachte die Natter des Gewissens in dem Henker, und er zitterte, wo er eines Eichbaums ansichtig wurde. Nirgend Rast und nirgend Ruhe findend, verließ er seine Fahne, ging zur Eiche zurück, schnitt den armen Kameraden ab, begrub ihn unter tausend bittern Reuetränen und knüpfte sich selbst an einen Ast der Eiche auf. Andere sagen, er habe sein Verbrechen dem Hauptmann eingestanden und dieser ihn alsbald am selben Baum sein Recht widerfahren lassen.

Auf der Heide aber starben bis auf die Hangeeiche alle Eichbäume ab, das machte die Verwünschung des unschuldig Gemordeten, und der Wald trägt keine mehr, selbst die Hangeeiche dorrte endlich ab oder ward vom Sturme gefällt.

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