958. Ach Alm!

958. Ach Alm!

Nicht gar weit von Reutlingen stand auf dem kegelförmigen Achelberg die feste Burg Achel, später Achalm genannt, die jetzt in Trümmern liegt, gleich allen oder doch den meisten ihrer zahlreichen Nachbarburgen in der Schwäbischen Alb. Ihren Aufbau legt die Gelehrtensage ihrer Umgegend noch über die Zeit vor Christi Geburt hinaus, und die ältesten Erbauer und Besitzer sollen Großhofmeister im Frankenreiche gewesen sein. Mehrere Jahrhunderte später war ihr Herrengeschlecht noch schier riesenhafter Art und beherrschte rings den Gau, doch gab es damals der blutigen Fehden nur allzu viel, und eine derselben brach auch das älteste Schloß. Dann haben zu Kaiser Konrads Zeiten zwei Brüder gelebt, Egino und Rudolf, die erbauten aufs neue die stattliche Bergfeste, darüber kam der eine Bruder, Egino, zum Sterben. Da fragte Rudolf noch schnell seinen sterbenden Bruder: Wie nennen wir, Bruder, die neugebaute Burg? – Egino aber fühlte schon ganz tief im Herzen den herben Todespfeil und rief erbleichend: Ach, Allm – und wollte rufen: Ach, Allmächtiger! – da fesselte der schnelle Tod seine Zunge, und Rudolf nannte nun nach des Bruders letztem Seufzer die neue Burg Achalm und führte den Bau zu seiner Vollendung. Diese Sage soll aber erst später gemacht sein, und: Ach äll (alle) muß ich verlassen! soll der Ausruf des Sterbenden gelautet haben, daher der Burgname Achel.

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95. Lurlei

95. Lurlei

Wo das Stromtal des Rheins unterhalb Caub am engsten sich zusammendrängt, starren hoch und schroff zu beiden Seiten echoreiche Felsenwände von Schiefergestein schwarz und unheimlich hoch empor. Schneller schießt dort die Stromflut, lauter brausen die Wogen, prallen ab am Fels und bilden schäumende Wirbel. Nicht geheuer ist es in dieser Schlucht, über diesen Stromschnellen; die schöne Nixe des Rheins, die gefährliche Lurlei oder Lorelei, ist in den Felsen gebannt, doch erscheint sie oft den Schiffern, strählt mit goldenem Kamme ihr langes flachsenes Haar und singt dazu ein süß betörendes Lied; mancher, der davon sich locken ließ, der den Fels erklimmen wollte, fand seinen Tod in den Wellenwirbeln. Rheinab und -auf ist keine Sage so in aller Mund als die von der Lurlei, aber sie gleicht dem Echo der Uferfelsen, das sich mannigfach rollend bricht und wiederholt. Viele Dichter haben sie ausgeschmückt – bis fast zur Unkenntlichkeit.

Lurlei ist die Rhein-Undine. Wer sie sieht, wer ihr Lied hört, dem wird das Herz aus dem Busen gezogen. Hoch oben auf ihres Felsen höchster Spitze steht sie, im weißen Kleide, mit fliegendem Schleier, mit wehendem Haar, mit winkenden Armen. Keiner aber kommt ihr nahe, wenn auch einer den Felsgipfel erstiege, sie weicht vor ihm – sie schwebt zurück, sie lockt ihn durch ihre zaubervolle Schönheit – bis an des Abgrunds jähen Rand, er sieht nur sie, er glaubt sie vor sich auf festem Boden, schreitet vor und stürzt zerschmetternd in die Tiefe.

Eine Sage von heitrerer Färbung als alle die andern, die, wenn sie sich auch sonst nicht gleichen, doch in der melancholischen Färbung und dem trüben Ausgang einander ähnlich sind, ist diese. Einst schiffte auch der Teufel auf dem Rhein und kam zwischen die Lurleifelsen; der Paß schien ihm zu enge, er wollte ihn weit haben und den gegenüberliegenden Felsenkoloß entweder von der Stelle rücken oder in solche Brocken brechen, daß sie den Strom ganz sperren und unschiffbar machen sollten; da stemmte er nun seinen Rücken an den Lurleifels und hob und schob und rüttelte am Berge gegenüber. Schon begann dieser zu wanken, da sang die Lurlei. Der Teufel hörte den Gesang, und es wurde ihm seltsam zumute. Er hielt inne mit seiner Arbeit und hielt es fast nicht länger aus. Gern hätte er sich selbst die Lurlei zum Liebchen erkoren und geholt, aber er hatte keine Macht über sie, wurde aber von Liebe so heiß, daß er dampfte. Als der Lurlei Lied schwieg, eilte der Teufel von dannen; er hatte schon gedacht, an den Fels gebannt bleiben zu müssen. Aber als er hinweg war, da zeigte sich, o Wunder, seine ganze Gestalt, den Schwanz nicht ausgenommen, in die Felswand schwarz eingebrannt, womit er sein Andenken bei der Lurlei verewigte. Nachher hat sich der Teufel sehr gehütet, der Sirene des Rheins wieder nahe zu kommen, und hat gefürchtet, wenn er von ihr abermals gefesselt werde, in seinen Geschäften große Unordnung und Unterbrechung zu erleiden.

Die Lurlei aber singt immer noch in stillen ruhigen Mondnächten, erscheint immer noch auf dem Felsengipfel, harrt immer noch auf Erlösung. Aber die Liebenden, die sich von ihr betören ließen, sind ausgestorben; die heutige Welt hat keine Zeit, ihren Fels zu besteigen oder im Nachen sich in Mondnächten diesem zu nahen. Der Räderumschwung des raschen Dampfschiffes braust ohne Aufenthalt vorüber, und durch sein Rauschen dringt keine Sang- und Sagenstimme mehr.

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959. Vom edlen Möringer

959. Vom edlen Möringer

Es geht ein altes Lied vom edlen Möringer, das war ein freisamer Rittersmann, der saß zu Möringen an der Donau und bat seine Frau um Urlaub, in Sankt Thomas‘ Land zu ziehen, und sie möge sieben Jahre seiner Rückkehr harren, Land und Gut indes verwalten und ihre Treue ihm bewahren. Und zu seinem Kämmerer sprach er: Hüte meiner Fraue sieben Jahre lang und wache über sie! – Da sprach der Kämmerer: Herr, lang ist der Frauen Haar, aber ihr Mut ist kurz, lang sind sieben Jahre, und kurz sind sieben Tage, und doch möcht‘ ich nicht sieben Tage Euer Frauen Hüter sein. – Da redete der Ritter mit einem jungen Herrn, des Name war von Neuffen, daß dieser der Frauen sorglich hüte, und der gelobte es ihm in Treue an. Da hub sich der edle Möringer getrost von dannen und zog in fernes Land und blieb allda sieben ganzer Jahre. Und wie das siebente Jahr ablief, lag er in einem Garten schlummernd, da träumte ihm, er höre eine Engelstimme, die rief ihm zu: Möringer, edler Möringer! Was säumest du allhie? Kommst du nicht bald zurück, so freit der junge von Neuffen dein Weib! – Von dieser Stimme erwachte erschreckend der Möringer, und erseufzete, und flehte zu Sankt Thomas, ihn zu retten aus so herber Schwere, und entschlief wieder in großem Kummer. Und wie er wieder erwachte, so blickte er erstaunt umher, denn die Landschaft kam ihm nicht mehr indisch, syrisch, persisch, portugiesisch oder spanisch vor, sondern ganz schwäbisch, und der teure Apostel hatte seinen treuen Jünger viel kürzer und mit viel mindern Umständen über Land und Meer in seine Heimat geführt als der Teufel den Herzog Heinrich den Löwen. Der edle Möringer befand sich im Pilgerkleide vor einer Mühle, die sein war und dicht unter seiner Burg klapperte, und trat zum Müller hin und fragte selbigen: Müller, was gibt es gutes Neues hiezulande? Ich bin ein Wallbruder und komme von fern her. – Gutes gibt’s und Schlimmes, wie man’s nimmt! erwiderte der Müller. Der Herr von Neuffen nimmt heint droben auf der Burg des edlen Möringers Frau oder Wittib zum Weibe, denn leider soll unser guter Herr in Sankt Thomas‘ Lande Todes verfahren sein. – Da ging der edle Möringer zu seiner Burg empor, heischte Almosen und Imbiß und Nachtlager um Gottes und Sankt Thomas‘ willen und um des alten Möringers Seele. – Als das die Burgfrau hörte, hieß sie den Alten einlassen und Speise geben und Herbergen, solange er wolle, denn sie war fröhlich in ihrem Herzen. Wie nun der Abend kam, sprach ein Dienstmann, daß des edeln Möringers Sitte gewesen sei, von einkehrenden Pilgrimen ein Lied zu begehren, und da rief gleich der Hochzeiter von Neuffen: Rufet uns den Pilger, er singe uns ein Liedlein, bevor wir zu Bette gehen. – Und da kam der Pilgrim und sang, wie er zwar langes Schweigen gelobt habe, nun aber brächten schöne Frauen ihn zum Singen, und er bitte den jungen Mann, ihn an der alten Braut zu rächen und mit seiner Lauten in den Sang einzustimmen. Er sei alt und graubärtig, sie wolle einen Jungen haben, er sei vor ein Herr gewesen, sei nun ein Knecht, und müsse ihm auf dieser Hochzeit eine alte Schüssel recht sein. – Dieser trübe Sang bewegte die Frau, und sie ließ dem Pilger nach der Sitte der Zeit einen goldenen Becher Weines darreichen, in diesen senkte er seinen Vermählungsring und sandte diesen in dem Becher der Frau zurück. Und da ging es, wie es bei Kaiser Karl des Großen Heimkunft ging und bei der Heinrichs des Löwen: die Frau erkannte den Ring und den Gemahl, und stürzte ihm reuig zu Füßen, und schwur, daß sie bis diesen Tag noch ihre Frauenehre unverbrochen bewahrt, und wäre dem nicht so, so sollte er sie einmauern lassen. Dem jungen Herrn von Neuffen war am übelsten zumute, er bot seinem Lehnsherrn das Haupt zur Sühne dar, der aber sprach: Nicht also, Herr von Neuffen, nehmt meine Tochter, und die alte Braut laßt mir, ich will ihr selbst die Haut wohl beren (schlagen). Und da waren alle Teile zufrieden.

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960. Der Schuster zu Lauingen

960. Der Schuster zu Lauingen

Das Städtchen Lauingen zwischen Ulm und Donauwörth ist gar sagenreich. In den Hunnenzeiten geschah es, daß das Heidenheer und das Christenheer einander gegenüberlag, ohnweit dem Donaustrom und dem Schlosse Faimingen, und weil ihre gegenseitige Streitmacht sich die Waage hielt, so sollte ein Zweikampf zweier auserwählter Streiter den Sieg entscheiden. Da wählte der Kaiser seinen Reichsmarschall, das war ein Pappenheim, und wollte derselbe mutig zum Kampfe schreiten. Wie er sich nun gürtete und rüsten ließ, trat ein Unbekannter zu ihm heran und sprach: Laß ab zu sinnen, wie du dem Feind obsiegen wirst, nicht du sollt des Kaisers Kämpe sein, sondern ein geringer Mann, ein Schuster aus Henfail (so hieß Lauingen vordem). – Wer bist du, daß du solches mir ansagst? fragte staunend der Marschall. – Ich bin Georg, Christi Streiter! antwortete der fremde Mann, des zum Wahrzeichen nimm meinen Daumen. – Und gab dem Marschall den Daumen der Hand heraus, ohne daß die Hand blutete, und verschwand. Der Marschall sagte das Wunder dem Kaiser an, und der Kaiser sandte nach dem Schuster, und der Schuster kam und gewann den Sieg. Da sollte er sich drei Gnaden vom Kaiser erbitten, und da bat er um eine Wiese zum Gemeingut für die Stadt Lauingen, welche nicht viel kleiner mag gewesen sein als jene Wiese bei Bremen, um die der lahme Krüppel in einem Tage hinkte. Zum zweiten bat er für die Stadt Lauingen um das Ehrenrecht, mit rotem Wachs siegeln zu dürfen, das sonst nur die Reichsstädte genossen und ausübten; dann endlich bat er, daß die Marschälle von Pappenheim eine Mohrin sollten als Helmkleinod führen dürfen, welches sie noch bis auf den heutigen Tag tun. Für sich begehrte der fromme Schuster nichts. Sankt Georgs Daumen aber teilten die Pappenheimer, faßten jedes Glied in Gold und bewahrten eins zu Kaisheim, das andere zu Pappenheim heilig auf. Und die Stadt Lauingen nahm, ihrem tapfern Sohn zu Ehren, ebenfalls einen Mohrenkopf zu ihrem Wappen an.

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961. Die Schlange als Gast

961. Die Schlange als Gast

Zu Lauingen haben ein paar arme alte Leute gelebt, denen ging es kümmerlich trotz allen Fleißes, und der Mann mußte selbst in den Wald gehen und allda sein Holz holen. Da er nun einstmals wieder in den Wald kam, hatte der Sturm einer starken Eiche einen mächtigen Ast abgebrochen, des freute sich der Mann und hob den Ast auf, ihn davonzuführen, da kam vom Baume her eine große Schlange auf ihn zu, und er stand ab von seinem Vorhaben und entfloh. Andern Tages aber ging er wieder hin, den Ast zu holen, in Hoffnung, die Schlange werde sich nun an einen andern Ort hinbegeben haben, allein er fand sie jetzt um den Ast geringelt, wie er diesen aufhob, und die Schlange steckte ihr kleines Köpfchen ihm ganz freundlich entgegen. Der Mann aber schauderte vor dem Wurm und ließ den Ast fahren, und hieb sich ein Bündel kleines Holz und trug dies nach Hause, betrübt, daß ihm der schöne Ast entging. Als er daheim das Reisigbündel abwarf, so begann er zu seiner Frau zu sprechen, der er von dem Ast und der Schlange schon oft erzählt hatte: Ich habe den Ast wieder nicht, denn die Schlange hatte ihn umringelt! Indem so tat die Frau einen lauten Schrei, und aus dem Reisigbündel glitt die Schlange heraus und schlüpfte in das Haus und schloß Freundschaft mit der Katze und spielte mit ihr. Da meinten die beiden Alten, es möge wohl etwan ein Mensch wegen einer Untat in die Schlange verzaubert sein, und duldeten sie und gaben ihr Nahrung. Und die Schlange war nicht so undankbar wie jene im Märchen, die ihren Wirten heimlich Gift in die Suppe spie, sondern sie brachte eitel Glück und Segen in das kleine Haus; die Arbeit lohnte sich und nährte besser, der Erlös an Waldbeeren, welche die Alte sammelte, wurde ergiebiger, und alles, was die beiden Leute begannen, das mißriet ihnen nicht, und so lebten sie mit der Schlange in stetem guten Frieden und wurden so alt wie Philemon und Baucis und starben auch miteinander nach ihrem beiderseitigen Wunsche zu gleicher Zeit. Und als sie gestorben waren, wurde die Schlange von keinem Auge mehr gesehen.

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962. Albertus Magnus zu Lauingen

962. Albertus Magnus zu Lauingen

Im Städtchen Lauingen ist der große Albertus geboren, der ein Bischof war und ein Zauberer, das letztere aber vor dem ersten. Er war ein Meister in allen geheimen Künsten und gebot über die Geister. Wandelnde Menschen brachte er durch Kunst hervor und redende Häupter. Mehr als eine schöne Mär geht von ihm in Liedern um, wie er zu Paris jene verbuhlte Königin gestraft und bekehrt, die ihre Liebhaber in den Turm von Nesle lockte und darin verderben ließ, damit keiner ihre Schande ansage, auch wie er die Minne der jungen Königstochter mit Listen gewann. Albertus Magnus konnte den Winter in den Sommer umzaubern, wie er durch sein Gastmahl zu Köln bewies, das er dem König Wilhelm am heiligen Dreikönigstag im Jahr 1248 gab. Damals – vor sechshundert Jahren – es ist schon lange her, gab es noch Tausendkünstler; heutzutage gibt es keine mehr.

Einst hatte Albertus mit einem guten Gesellen Umgang, der schmeichelte ihm sehr und warb eifrig um des Magnus Freundschaft, und da ihm Albertus einen Dienst erwiesen, so verschwur er sich hoch und teuer, wann er zum Glück gelange, dem Meister das nie zu vergessen, schwur es bei dem Becher Wein, den er in der Hand hielt, denn sie tranken gerade miteinander – und da ereignete es sich gleich darauf, daß der dankerfüllte Freund zu großem Glück gelangte, das wuchs und wuchs ihm wunderbar zu Häupten, und wurde endlich gar ein König, und lebte als solcher schon drei Jahre herrlich und in Freuden, und scharrte sehr unköniglich viel Geld und Gut zusammen, und war geizig und karg über alle Maßen. Albertus aber war indes in tiefe Armut gefallen und nahete als Bettler dem Könige, dem er einst wohlgetan, und erinnerte ihn an dieses Einst und flehte, seine Not zu mildern. Der König aber rief: Ei seh Uns einer solchen frechen Lump und Strolch! Viel hätten Wir zu tun, sollten wir Uns jeden Vagabunden und Fechtbruders erinnern, da wollten Wir viel lieber nimmer König sein! – So sei’s gewesen! sprach Albertus, und da fiel dem Träumer – denn alle Herrlichkeit war nur ein Wonne- und Weintraum gewesen – der Pokal aus der Hand und zerklirrte, und jener fuhr erschrocken auf und staunte, und Albertus sprach: Fahr hin, Geselle! Deinen Sinn mir zu offenbaren, war ein Traum von drei Minuten lang genug, die doch drei Jahre dir gedünket! Deine Treu hat ihren Lohn dahin.

Hernachmals ist zu Lauingen auf einem Turme des berühmten Eingebornen Albertus Bildnis aufgestellt worden, und sein Andenken lebte dort nicht minder fort von Kind zu Kindeskind wie zu Köln und Regensburg und in seinen Schriften von den Tugenden der Tiere, Kräuter und Edelgesteine, von den Naturheimlichkeiten und der Frauen Rosengarten, denn er war ein weiser Meister über alle.

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963. Die Kümmernisbilder

963. Die Kümmernisbilder

Zu Lauingen geht auch die Sage von der frommen Jungfrau Kümmernis, die so vielfach in deutschen Landen begegnet, und deren Bilder zu Wien, zu Ettersdorf bei Erlangen, zu Saalfeld und an vielen andern Orten gefunden werden, vornehmlich auch zu Gmünd in Schwaben, wo aber Maria, oder nach andern die heilige Cäcilia, die Schuhspenderin gewesen sein soll. Zu Lauingen und dessen Umgegend ward nun geglaubt, wer nur ein Bild der Jungfrau Kümmernis bei sich trage und sich ihr verlobe, dem werde also aus seiner Not geholfen, wie sie dem armen Spielmann half, und zweimal wird noch immer alldort ihr gekreuzigt Bildnis in Kirchen gefunden. Am Wege von Dillingen nach Steinheim steht ein Kapellchen, Sankt Leonhard geweiht, das barg der Kümmernisbilder viele, die als Gelübde hier dankbar geopfert waren, das erfuhr ein Bischof zu Augsburg und verdroß ihn, denn es steht keine Kümmernis im römischen Heiligenkalender, und das deutsche Volk soll nichts Eignes haben, und befahl, die Bilder alle abzureißen und zu verbrennen. Als das die Bauern in der Gegend hörten, liefen sie eilend nach Sankt Leonhard und holten ihre Votivbilder wieder von der Wand, um sie dem Feuer zu entreißen und ihnen bessern Platz zu gönnen. Hernachmals ist aus der Kapelle gar ein Pulvermagazin gemacht worden, und da haben die Bauern gesagt: Seht ihr wohl! Sankt Leonhard kann sein Haus nicht schützen! Sankt Kümmernis hätte das nicht gelitten. – Selbst in der altberühmten Kirche zu San Marco zu Venedig ist ein Kümmernisbild zu erschauen.

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955. Die Untergänger

955. Die Untergänger

Untergänger heißen in Schwaben die falschen Feldmesser und Feldrichter, welche die Flur- und Triftgrenzen und die Einzelgrundstücke unrichtig und zu andrer Schaden vermessen. Grenz- und Marksteine versetzen, Furchen von des Nachbars Acker ab und zu dem ihren pflügen, und alle diese Leute, von denen auch im übrigen Deutschland allgemein die Sage geht, daß sie nach dem Tode umgehen, schweben oder geisten müssen, und zwar zumeist als Feuermänner und große Heerwische. Davon hat es auch in Schwaben vordessen viel gegeben; es war nicht gut, ihnen zu begegnen oder auf sie zu stoßen. Sie schlugen mit ihren feurigen Rutenstäben und Pickeln, umschlangen mit glühenden Meßketten, und wenn sie niemand hatten, an dem sie ihre Wut auslassen konnten, so plätzten sie aufeinander selbst los, daß die Funken weit umherspritzten, und schimpften einander kurz und lang. Solcher Männer, die nach dem Sprüchwort Himmel und Erde betrogen mit ihrer Falschmesserei, gab es bei Tübingen eine ganze Gesellschaft, da sind ihrer fünf; andre sah man bei Betzingen laufen; in der Rothenburger Markung schwebten ihrer sieben; bei Bühl im Neckartale geistet auch einer umher, und so an vielen andern Orten und Enden.

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947. Spottnamen in Schwaben

947. Spottnamen in Schwaben

Daß Schwaben sein gut Teil mitträgt an der Spott- und Neckebürde, welche im Norden und Süden wie inmitten des lieben deutschen Vaterlandes heimisch ist, das ist schon vielen bekannt. Es wäre fürwahr großes Unrecht, nachdem der Spottnamen und Schildbürger im Norden, der Herren von Schilda, der vogtländischen Siebenstädte und Weltmitte, des schlesischen Ehrentitels, der Ummerstädter, Wasunger, Dittisser und Karlstadter Streiche, auch der Löllenfelder und Galgendenkler gedacht worden, der Schwabenstreiche und Spottnamen nicht auch mit Züchten zu gedenken.

Schon das schöne Volksbüchlein von den sieben Schwaben wird zur Quelle, aus der sich ein heiterer und frischer Zug tun läßt. Fast jeder der sieben Helden hatte seinen bezüglichen Beinamen; da war Jockele der Seehas, vom Bodensee bürtig, allwo der berühmte Seewein wächst, und wie selber Wein gar grimmig ist und den Leuten die Därme durchbeißt, also sollen auch die Seehasen gar groß und grimmig sein und die Leute vom See mächtig tapfere Helden. Der Marke, Nestelschwab genannt, trug seinen Namen von der Eigenheit vieler Schwaben, statt der Knöpfe seine Hosen mit Nesteln versehen zu haben, daher er viel an selben zu halten hatte. Spiegelschwaben wird es wohl alleweil auch noch geben und Knöpfelsschwaben desgleichen. Was nun den Veitle, Gelbfießler genannt, betrifft, so ist das eine nur allzusehr bekannte Sache, daß er aus Bopfingen war und den Bopfingern nachgesagt wird, sie hätten einmal bei einer Eierlieferung als Abgabe aus eitel Gutmeinen recht viel liefern wollen und hätten die Eier mit den Füßen tüchtig festgestampft, da seien ihnen die Füße gelb worden. Können sich aber trösten, denn derselbe Schwank wird auch den Derendinger Bauern nacherzählt, und gibt deren Dinger noch mehr. Die Jaxtheimer hätten auch zu derselben Ehre kommen können als die Heiße-Eierleger, weil einmal eine Frau alldort eine Hexe war, welche weißes Zauberbrot aß und nun Eier in Menge legte. Ein Knecht naschte von selbem Weißbrot, und nun ging bei dem das Gegacker auch los, und legte und legte einen ganzen Spreukorb voll, bis der Herr dazukam, dem verriet der Knecht das Geheimnis; da aß der Herr auch und wurde auch zum Gückelhuhn und legte Eier, was das Zeug hielt. Als diese Hexenkunst herumkam, wollte kein Mensch mehr Jaxtheimer Eier haben und kaufen, meinten alle, die die Eier legten, könnten sie auch selber essen. Eine verwandte Sage von solcher Eierlegung, aber durch eine Kröte, gibt es von einer Hexenbuhle auf einem Dorfe bei Köln am Rhein. – Die Jesinger führen den Unnamen Räpplesfresser, weil sie einmal sich haben einen gefallenen Rappen schmecken lassen, doch war es nur ein ganz kleiner. – Die Hornberger stellten einst ein großes Lustschießen an und sorgten für alles, Glückshafen, Scheiben, Essen, Trinken, Musik und Böller, doch fehlte, als es angehen sollte, nur eins – das Pulver, daher sagt man von einem Ding, das mit großer Wirtschaft angefangen wird, wo alles hofft und spannt und die Mäuler recht voll genommen werden und aus der ganzen Geschichte hernach doch nur Dreck wird: es geht aus wie ’s Hornberger Schießen. – Den Ulmern begegnete die Geschichte mit dem Spatzen und dem Strohhalm, die andern Ortseinwohnern auch aufgemutzt wird, sie aber, die Ulmer, müssen den Namen Spatzen geduldig tragen. – Schlimmer sind die Rottweilerer dran, deren Bürgermeister einen Kürbis, den sie fanden und für das Ei eines seltnen Vogels hielten, ausbrüten mußte. Aber selbes Ei faulte, und man warf es über die Mauer, da platzte es, und vom Schall erschreckt, fuhr ein Has aus einem Busch, und sie dachten, es wäre ein junges Eselsfüllen, von wegen der langen Ohren. Seitdem werden sie Esel geheißen, als welches gar wildgarstig. – Und tragen die Neuffener denselben Namen noch mit dem Zusatz Fresser, müssen sich mit den Schlesiern trösten. – Die Seebronner über Rothenburg a. N. heißen Sensenschmecker, weil einmal einer von ihnen heimlich einem andern den Hanf abgemäht. Diese Untat zu entdecken, ließ der Schultheiß – neumodisch heißt’s Bürgermeister, ob auch in Schwaben, steht dahin, ist ein Schwabenstreich extra muros, wenn sich die Bauern Bürger nennen, als wäre Bauer ein Schimpf- und nicht ein Ehrenname – alle Sensen aufs Gemeindehaus kommen, um durch den Geruch zu schmecken, wessen Sense den Hanf abgeschlagen. Klingt lächerlich, war aber doch nicht ohne, und der Schulz war nicht dumm, denn der Hanf hat einen von jedem andern Kraut unterschiedenen Geruch. – Die Hirschauer in der Nähe von Tübingen heißen Kröpfte. Fragt einer, warum, so folgt die Antwort: weil sie die Waden unterm Kinn und, nach dem Spottwort, alle ihre Glieder beisammen haben – sie sind schier alle kröpfet. Einst ging ein Fremder durch Hirschau, den spotteten die Kinder aus, weil er des Kropfs ermangelte, ging ihm wie dem Fremden in Gellerts Fabel vom Lande der Hinkenden und Stammelnden. Doch fand sich eine kluge Mutter, die zog ihren kröpfigen Jungen herein, gab ihm eine Dachtel und sagte: Unnützer Bub! Was mußt du den armen Herrn ausspotten, weil er keinen Kropf hat? Danke du Gott, daß du alle deine Glieder beisammen hast! – Die Kiebinger und Munderkinger heißen Mondfanger und Stangenstrecker; haben den Mond fangen wollen im Neckar, wie er gerade drinlag, und im Schweinstall, wie er hineinschien, und mit einer Stange vom Himmel langen wie einen Apfel vom Baume. – Die Aalener aber, das sind erst Kluge, die wissen, wo Barchel Most holt, und wo der Has im Pfeffer liegt. Einstmals hatten sie Streit mit einem Kaiser, der zog gegen sie heran mit Heeresmacht; da ward ihnen bange, mochten gern erkunden, wie stark das Heer sei, das heranrückte, und ob sie’s wohl mit ihm aufnehmen könnten. Sie wählten ihren Allerklügsten, wie ja bei Wahlen allemal geschieht und gar nicht anders sein kann, deshalb hat’s auch so mächtig viel Doktor G’scheitle gegeben dazumal – nicht zu Aalen. Nun schritt der Kundschafter herzhaft auf das Lager zu, sah das große Heer, konnt’s aber nicht zählen, ging gerad auf die Generalität los und sprach treuherzig: Grüesch Gott, ihr Herre! – Was suchst du hier? wurde gefragt. Mit Verlaub, sprach er, suchen tun i gar nix, brauchens sie nit ze fierchte, ich bin halt nur der Kundschafter von Aalen und will mi mit Verlaub e bissel umschaun im Lager drin. – Da lachte alles, selbst der Kaiser, und machte Frieden mit Aalen. Darauf wurde der Kundschafter an der Uhr angebracht, nämlich sein Bildnuß, und das mußte Gesichter schneiden, sah aus, wie das caput zu Jena.

Hernachmals haben gar viele über den Aalen-Lalenstreich gelacht, selbst Napoleon mit seiner Garde, als er durch den Ort kam und auf dem Markt eine Parade abnahm; dann aber haben die Aaleren das Kundschafterbild, das so lange paradiert, doch in aller Stille abgenommen.

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948. Gansloser Streiche

948. Gansloser Streiche

Liegt ein Dorf in Schwaben, im Gebirg zwischen Owen und Geislingen, heißt Ganslosen und ist nah verwandt mit Dittis im Rhöngebirg; eins von denen, welchem vornehmlich alle Schwabenstreiche aufgebürdet werden. Auch die Gansloser haben, wie die Dittisser, Geschichten von ihrem Kirchenbau. Als die Kirche vollendet war, brachte man eine Sonnenuhr am Turme an, die mußte derselbige Maler malen, der den Rottweilerern die Flucht aus Ägypten auf ihre Fahne gemalt, und alles mit Wasserfarben, bis auf den Esel, den hatte er mit Ölfarben gemalt; da nun die Fahne in Regen kam, floß alles ab, und nur der Grauschimmel blieb zu Spott und Hohn als der Rottweilerer Schimpfwahrzeichen. Da sich nun die Gansloser beim Gemäld ihrer Sonnenuhr ähnlicher Tückerei vom Maler versahen, wurden sie eins, ein Dachel über selbige machen zu lassen, so konnte der Regen die Farben hübsch nicht abflüten, und die Sonne konnte sie auch nicht ausziehen oder bleichen. Die Geschicht mit dem Brunnenausmessen, wo einer am andern sich anhängt und zuletzt der Schultes, an dem sie alle hängen, losläßt, um nur einmal in die Hände zu spucken, um sich dann fester halten zu können, ist den Ganslosern auch aufgehalst worden. Wie die Wasunger ihre aparte Arie haben, so haben auch die Gansloser eine, und zwar auf einen Storch, der sich, wie in Agyptenland, alldort göttlicher Verehrung erfreute, jedoch später durch vier Mann, die einen fünften trugen, damit er die Saat nicht vertrete, aus der Saat gejagt wurde. Sie feiern ihm vergnüglich ein eignes Storchenfest – wird der Gründonnerstag sein, der in Thüringen und Franken häufig geradezu der Storch heißt – und singen folgendermaßen ihre Aria:

Heut feiern wir
Das hohe Tier,
Das uns auf unsern Wiesen gaht –
’s hat ein schwarzweißes Wammes an
Und einen Schnabel wie a Gans
Halleluja!

Da nun aber die Gansloser doch von ihren Landsleuten gar zu arg aufgezogen, gehänselt und gedränselt wurden mit ihren Streichen und mancherlei Unnamen, so ward ihnen der Name ihres Dorfes leidig und wollten ihn samt der Erinnerung ganz los sein, nannten daher und kamen darum ein, dies fürder tun zu dürfen, ihren Ort Audorf. Wenn nun die Nachbarn kommen, so fragen sie spöttisch: Ist Ganslosen au e Dorf (auch ein Dorf oder euer Dorf)? – und jene haben damit nichts gewonnen als den Ruhm eines neuen Schwabenstreiches.

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