958. Ach Alm!

958. Ach Alm!

Nicht gar weit von Reutlingen stand auf dem kegelförmigen Achelberg die feste Burg Achel, später Achalm genannt, die jetzt in Trümmern liegt, gleich allen oder doch den meisten ihrer zahlreichen Nachbarburgen in der Schwäbischen Alb. Ihren Aufbau legt die Gelehrtensage ihrer Umgegend noch über die Zeit vor Christi Geburt hinaus, und die ältesten Erbauer und Besitzer sollen Großhofmeister im Frankenreiche gewesen sein. Mehrere Jahrhunderte später war ihr Herrengeschlecht noch schier riesenhafter Art und beherrschte rings den Gau, doch gab es damals der blutigen Fehden nur allzu viel, und eine derselben brach auch das älteste Schloß. Dann haben zu Kaiser Konrads Zeiten zwei Brüder gelebt, Egino und Rudolf, die erbauten aufs neue die stattliche Bergfeste, darüber kam der eine Bruder, Egino, zum Sterben. Da fragte Rudolf noch schnell seinen sterbenden Bruder: Wie nennen wir, Bruder, die neugebaute Burg? – Egino aber fühlte schon ganz tief im Herzen den herben Todespfeil und rief erbleichend: Ach, Allm – und wollte rufen: Ach, Allmächtiger! – da fesselte der schnelle Tod seine Zunge, und Rudolf nannte nun nach des Bruders letztem Seufzer die neue Burg Achalm und führte den Bau zu seiner Vollendung. Diese Sage soll aber erst später gemacht sein, und: Ach äll (alle) muß ich verlassen! soll der Ausruf des Sterbenden gelautet haben, daher der Burgname Achel.

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95. Lurlei

95. Lurlei

Wo das Stromtal des Rheins unterhalb Caub am engsten sich zusammendrängt, starren hoch und schroff zu beiden Seiten echoreiche Felsenwände von Schiefergestein schwarz und unheimlich hoch empor. Schneller schießt dort die Stromflut, lauter brausen die Wogen, prallen ab am Fels und bilden schäumende Wirbel. Nicht geheuer ist es in dieser Schlucht, über diesen Stromschnellen; die schöne Nixe des Rheins, die gefährliche Lurlei oder Lorelei, ist in den Felsen gebannt, doch erscheint sie oft den Schiffern, strählt mit goldenem Kamme ihr langes flachsenes Haar und singt dazu ein süß betörendes Lied; mancher, der davon sich locken ließ, der den Fels erklimmen wollte, fand seinen Tod in den Wellenwirbeln. Rheinab und -auf ist keine Sage so in aller Mund als die von der Lurlei, aber sie gleicht dem Echo der Uferfelsen, das sich mannigfach rollend bricht und wiederholt. Viele Dichter haben sie ausgeschmückt – bis fast zur Unkenntlichkeit.

Lurlei ist die Rhein-Undine. Wer sie sieht, wer ihr Lied hört, dem wird das Herz aus dem Busen gezogen. Hoch oben auf ihres Felsen höchster Spitze steht sie, im weißen Kleide, mit fliegendem Schleier, mit wehendem Haar, mit winkenden Armen. Keiner aber kommt ihr nahe, wenn auch einer den Felsgipfel erstiege, sie weicht vor ihm – sie schwebt zurück, sie lockt ihn durch ihre zaubervolle Schönheit – bis an des Abgrunds jähen Rand, er sieht nur sie, er glaubt sie vor sich auf festem Boden, schreitet vor und stürzt zerschmetternd in die Tiefe.

Eine Sage von heitrerer Färbung als alle die andern, die, wenn sie sich auch sonst nicht gleichen, doch in der melancholischen Färbung und dem trüben Ausgang einander ähnlich sind, ist diese. Einst schiffte auch der Teufel auf dem Rhein und kam zwischen die Lurleifelsen; der Paß schien ihm zu enge, er wollte ihn weit haben und den gegenüberliegenden Felsenkoloß entweder von der Stelle rücken oder in solche Brocken brechen, daß sie den Strom ganz sperren und unschiffbar machen sollten; da stemmte er nun seinen Rücken an den Lurleifels und hob und schob und rüttelte am Berge gegenüber. Schon begann dieser zu wanken, da sang die Lurlei. Der Teufel hörte den Gesang, und es wurde ihm seltsam zumute. Er hielt inne mit seiner Arbeit und hielt es fast nicht länger aus. Gern hätte er sich selbst die Lurlei zum Liebchen erkoren und geholt, aber er hatte keine Macht über sie, wurde aber von Liebe so heiß, daß er dampfte. Als der Lurlei Lied schwieg, eilte der Teufel von dannen; er hatte schon gedacht, an den Fels gebannt bleiben zu müssen. Aber als er hinweg war, da zeigte sich, o Wunder, seine ganze Gestalt, den Schwanz nicht ausgenommen, in die Felswand schwarz eingebrannt, womit er sein Andenken bei der Lurlei verewigte. Nachher hat sich der Teufel sehr gehütet, der Sirene des Rheins wieder nahe zu kommen, und hat gefürchtet, wenn er von ihr abermals gefesselt werde, in seinen Geschäften große Unordnung und Unterbrechung zu erleiden.

Die Lurlei aber singt immer noch in stillen ruhigen Mondnächten, erscheint immer noch auf dem Felsengipfel, harrt immer noch auf Erlösung. Aber die Liebenden, die sich von ihr betören ließen, sind ausgestorben; die heutige Welt hat keine Zeit, ihren Fels zu besteigen oder im Nachen sich in Mondnächten diesem zu nahen. Der Räderumschwung des raschen Dampfschiffes braust ohne Aufenthalt vorüber, und durch sein Rauschen dringt keine Sang- und Sagenstimme mehr.

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959. Vom edlen Möringer

959. Vom edlen Möringer

Es geht ein altes Lied vom edlen Möringer, das war ein freisamer Rittersmann, der saß zu Möringen an der Donau und bat seine Frau um Urlaub, in Sankt Thomas‘ Land zu ziehen, und sie möge sieben Jahre seiner Rückkehr harren, Land und Gut indes verwalten und ihre Treue ihm bewahren. Und zu seinem Kämmerer sprach er: Hüte meiner Fraue sieben Jahre lang und wache über sie! – Da sprach der Kämmerer: Herr, lang ist der Frauen Haar, aber ihr Mut ist kurz, lang sind sieben Jahre, und kurz sind sieben Tage, und doch möcht‘ ich nicht sieben Tage Euer Frauen Hüter sein. – Da redete der Ritter mit einem jungen Herrn, des Name war von Neuffen, daß dieser der Frauen sorglich hüte, und der gelobte es ihm in Treue an. Da hub sich der edle Möringer getrost von dannen und zog in fernes Land und blieb allda sieben ganzer Jahre. Und wie das siebente Jahr ablief, lag er in einem Garten schlummernd, da träumte ihm, er höre eine Engelstimme, die rief ihm zu: Möringer, edler Möringer! Was säumest du allhie? Kommst du nicht bald zurück, so freit der junge von Neuffen dein Weib! – Von dieser Stimme erwachte erschreckend der Möringer, und erseufzete, und flehte zu Sankt Thomas, ihn zu retten aus so herber Schwere, und entschlief wieder in großem Kummer. Und wie er wieder erwachte, so blickte er erstaunt umher, denn die Landschaft kam ihm nicht mehr indisch, syrisch, persisch, portugiesisch oder spanisch vor, sondern ganz schwäbisch, und der teure Apostel hatte seinen treuen Jünger viel kürzer und mit viel mindern Umständen über Land und Meer in seine Heimat geführt als der Teufel den Herzog Heinrich den Löwen. Der edle Möringer befand sich im Pilgerkleide vor einer Mühle, die sein war und dicht unter seiner Burg klapperte, und trat zum Müller hin und fragte selbigen: Müller, was gibt es gutes Neues hiezulande? Ich bin ein Wallbruder und komme von fern her. – Gutes gibt’s und Schlimmes, wie man’s nimmt! erwiderte der Müller. Der Herr von Neuffen nimmt heint droben auf der Burg des edlen Möringers Frau oder Wittib zum Weibe, denn leider soll unser guter Herr in Sankt Thomas‘ Lande Todes verfahren sein. – Da ging der edle Möringer zu seiner Burg empor, heischte Almosen und Imbiß und Nachtlager um Gottes und Sankt Thomas‘ willen und um des alten Möringers Seele. – Als das die Burgfrau hörte, hieß sie den Alten einlassen und Speise geben und Herbergen, solange er wolle, denn sie war fröhlich in ihrem Herzen. Wie nun der Abend kam, sprach ein Dienstmann, daß des edeln Möringers Sitte gewesen sei, von einkehrenden Pilgrimen ein Lied zu begehren, und da rief gleich der Hochzeiter von Neuffen: Rufet uns den Pilger, er singe uns ein Liedlein, bevor wir zu Bette gehen. – Und da kam der Pilgrim und sang, wie er zwar langes Schweigen gelobt habe, nun aber brächten schöne Frauen ihn zum Singen, und er bitte den jungen Mann, ihn an der alten Braut zu rächen und mit seiner Lauten in den Sang einzustimmen. Er sei alt und graubärtig, sie wolle einen Jungen haben, er sei vor ein Herr gewesen, sei nun ein Knecht, und müsse ihm auf dieser Hochzeit eine alte Schüssel recht sein. – Dieser trübe Sang bewegte die Frau, und sie ließ dem Pilger nach der Sitte der Zeit einen goldenen Becher Weines darreichen, in diesen senkte er seinen Vermählungsring und sandte diesen in dem Becher der Frau zurück. Und da ging es, wie es bei Kaiser Karl des Großen Heimkunft ging und bei der Heinrichs des Löwen: die Frau erkannte den Ring und den Gemahl, und stürzte ihm reuig zu Füßen, und schwur, daß sie bis diesen Tag noch ihre Frauenehre unverbrochen bewahrt, und wäre dem nicht so, so sollte er sie einmauern lassen. Dem jungen Herrn von Neuffen war am übelsten zumute, er bot seinem Lehnsherrn das Haupt zur Sühne dar, der aber sprach: Nicht also, Herr von Neuffen, nehmt meine Tochter, und die alte Braut laßt mir, ich will ihr selbst die Haut wohl beren (schlagen). Und da waren alle Teile zufrieden.

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960. Der Schuster zu Lauingen

960. Der Schuster zu Lauingen

Das Städtchen Lauingen zwischen Ulm und Donauwörth ist gar sagenreich. In den Hunnenzeiten geschah es, daß das Heidenheer und das Christenheer einander gegenüberlag, ohnweit dem Donaustrom und dem Schlosse Faimingen, und weil ihre gegenseitige Streitmacht sich die Waage hielt, so sollte ein Zweikampf zweier auserwählter Streiter den Sieg entscheiden. Da wählte der Kaiser seinen Reichsmarschall, das war ein Pappenheim, und wollte derselbe mutig zum Kampfe schreiten. Wie er sich nun gürtete und rüsten ließ, trat ein Unbekannter zu ihm heran und sprach: Laß ab zu sinnen, wie du dem Feind obsiegen wirst, nicht du sollt des Kaisers Kämpe sein, sondern ein geringer Mann, ein Schuster aus Henfail (so hieß Lauingen vordem). – Wer bist du, daß du solches mir ansagst? fragte staunend der Marschall. – Ich bin Georg, Christi Streiter! antwortete der fremde Mann, des zum Wahrzeichen nimm meinen Daumen. – Und gab dem Marschall den Daumen der Hand heraus, ohne daß die Hand blutete, und verschwand. Der Marschall sagte das Wunder dem Kaiser an, und der Kaiser sandte nach dem Schuster, und der Schuster kam und gewann den Sieg. Da sollte er sich drei Gnaden vom Kaiser erbitten, und da bat er um eine Wiese zum Gemeingut für die Stadt Lauingen, welche nicht viel kleiner mag gewesen sein als jene Wiese bei Bremen, um die der lahme Krüppel in einem Tage hinkte. Zum zweiten bat er für die Stadt Lauingen um das Ehrenrecht, mit rotem Wachs siegeln zu dürfen, das sonst nur die Reichsstädte genossen und ausübten; dann endlich bat er, daß die Marschälle von Pappenheim eine Mohrin sollten als Helmkleinod führen dürfen, welches sie noch bis auf den heutigen Tag tun. Für sich begehrte der fromme Schuster nichts. Sankt Georgs Daumen aber teilten die Pappenheimer, faßten jedes Glied in Gold und bewahrten eins zu Kaisheim, das andere zu Pappenheim heilig auf. Und die Stadt Lauingen nahm, ihrem tapfern Sohn zu Ehren, ebenfalls einen Mohrenkopf zu ihrem Wappen an.

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961. Die Schlange als Gast

961. Die Schlange als Gast

Zu Lauingen haben ein paar arme alte Leute gelebt, denen ging es kümmerlich trotz allen Fleißes, und der Mann mußte selbst in den Wald gehen und allda sein Holz holen. Da er nun einstmals wieder in den Wald kam, hatte der Sturm einer starken Eiche einen mächtigen Ast abgebrochen, des freute sich der Mann und hob den Ast auf, ihn davonzuführen, da kam vom Baume her eine große Schlange auf ihn zu, und er stand ab von seinem Vorhaben und entfloh. Andern Tages aber ging er wieder hin, den Ast zu holen, in Hoffnung, die Schlange werde sich nun an einen andern Ort hinbegeben haben, allein er fand sie jetzt um den Ast geringelt, wie er diesen aufhob, und die Schlange steckte ihr kleines Köpfchen ihm ganz freundlich entgegen. Der Mann aber schauderte vor dem Wurm und ließ den Ast fahren, und hieb sich ein Bündel kleines Holz und trug dies nach Hause, betrübt, daß ihm der schöne Ast entging. Als er daheim das Reisigbündel abwarf, so begann er zu seiner Frau zu sprechen, der er von dem Ast und der Schlange schon oft erzählt hatte: Ich habe den Ast wieder nicht, denn die Schlange hatte ihn umringelt! Indem so tat die Frau einen lauten Schrei, und aus dem Reisigbündel glitt die Schlange heraus und schlüpfte in das Haus und schloß Freundschaft mit der Katze und spielte mit ihr. Da meinten die beiden Alten, es möge wohl etwan ein Mensch wegen einer Untat in die Schlange verzaubert sein, und duldeten sie und gaben ihr Nahrung. Und die Schlange war nicht so undankbar wie jene im Märchen, die ihren Wirten heimlich Gift in die Suppe spie, sondern sie brachte eitel Glück und Segen in das kleine Haus; die Arbeit lohnte sich und nährte besser, der Erlös an Waldbeeren, welche die Alte sammelte, wurde ergiebiger, und alles, was die beiden Leute begannen, das mißriet ihnen nicht, und so lebten sie mit der Schlange in stetem guten Frieden und wurden so alt wie Philemon und Baucis und starben auch miteinander nach ihrem beiderseitigen Wunsche zu gleicher Zeit. Und als sie gestorben waren, wurde die Schlange von keinem Auge mehr gesehen.

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962. Albertus Magnus zu Lauingen

962. Albertus Magnus zu Lauingen

Im Städtchen Lauingen ist der große Albertus geboren, der ein Bischof war und ein Zauberer, das letztere aber vor dem ersten. Er war ein Meister in allen geheimen Künsten und gebot über die Geister. Wandelnde Menschen brachte er durch Kunst hervor und redende Häupter. Mehr als eine schöne Mär geht von ihm in Liedern um, wie er zu Paris jene verbuhlte Königin gestraft und bekehrt, die ihre Liebhaber in den Turm von Nesle lockte und darin verderben ließ, damit keiner ihre Schande ansage, auch wie er die Minne der jungen Königstochter mit Listen gewann. Albertus Magnus konnte den Winter in den Sommer umzaubern, wie er durch sein Gastmahl zu Köln bewies, das er dem König Wilhelm am heiligen Dreikönigstag im Jahr 1248 gab. Damals – vor sechshundert Jahren – es ist schon lange her, gab es noch Tausendkünstler; heutzutage gibt es keine mehr.

Einst hatte Albertus mit einem guten Gesellen Umgang, der schmeichelte ihm sehr und warb eifrig um des Magnus Freundschaft, und da ihm Albertus einen Dienst erwiesen, so verschwur er sich hoch und teuer, wann er zum Glück gelange, dem Meister das nie zu vergessen, schwur es bei dem Becher Wein, den er in der Hand hielt, denn sie tranken gerade miteinander – und da ereignete es sich gleich darauf, daß der dankerfüllte Freund zu großem Glück gelangte, das wuchs und wuchs ihm wunderbar zu Häupten, und wurde endlich gar ein König, und lebte als solcher schon drei Jahre herrlich und in Freuden, und scharrte sehr unköniglich viel Geld und Gut zusammen, und war geizig und karg über alle Maßen. Albertus aber war indes in tiefe Armut gefallen und nahete als Bettler dem Könige, dem er einst wohlgetan, und erinnerte ihn an dieses Einst und flehte, seine Not zu mildern. Der König aber rief: Ei seh Uns einer solchen frechen Lump und Strolch! Viel hätten Wir zu tun, sollten wir Uns jeden Vagabunden und Fechtbruders erinnern, da wollten Wir viel lieber nimmer König sein! – So sei’s gewesen! sprach Albertus, und da fiel dem Träumer – denn alle Herrlichkeit war nur ein Wonne- und Weintraum gewesen – der Pokal aus der Hand und zerklirrte, und jener fuhr erschrocken auf und staunte, und Albertus sprach: Fahr hin, Geselle! Deinen Sinn mir zu offenbaren, war ein Traum von drei Minuten lang genug, die doch drei Jahre dir gedünket! Deine Treu hat ihren Lohn dahin.

Hernachmals ist zu Lauingen auf einem Turme des berühmten Eingebornen Albertus Bildnis aufgestellt worden, und sein Andenken lebte dort nicht minder fort von Kind zu Kindeskind wie zu Köln und Regensburg und in seinen Schriften von den Tugenden der Tiere, Kräuter und Edelgesteine, von den Naturheimlichkeiten und der Frauen Rosengarten, denn er war ein weiser Meister über alle.

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963. Die Kümmernisbilder

963. Die Kümmernisbilder

Zu Lauingen geht auch die Sage von der frommen Jungfrau Kümmernis, die so vielfach in deutschen Landen begegnet, und deren Bilder zu Wien, zu Ettersdorf bei Erlangen, zu Saalfeld und an vielen andern Orten gefunden werden, vornehmlich auch zu Gmünd in Schwaben, wo aber Maria, oder nach andern die heilige Cäcilia, die Schuhspenderin gewesen sein soll. Zu Lauingen und dessen Umgegend ward nun geglaubt, wer nur ein Bild der Jungfrau Kümmernis bei sich trage und sich ihr verlobe, dem werde also aus seiner Not geholfen, wie sie dem armen Spielmann half, und zweimal wird noch immer alldort ihr gekreuzigt Bildnis in Kirchen gefunden. Am Wege von Dillingen nach Steinheim steht ein Kapellchen, Sankt Leonhard geweiht, das barg der Kümmernisbilder viele, die als Gelübde hier dankbar geopfert waren, das erfuhr ein Bischof zu Augsburg und verdroß ihn, denn es steht keine Kümmernis im römischen Heiligenkalender, und das deutsche Volk soll nichts Eignes haben, und befahl, die Bilder alle abzureißen und zu verbrennen. Als das die Bauern in der Gegend hörten, liefen sie eilend nach Sankt Leonhard und holten ihre Votivbilder wieder von der Wand, um sie dem Feuer zu entreißen und ihnen bessern Platz zu gönnen. Hernachmals ist aus der Kapelle gar ein Pulvermagazin gemacht worden, und da haben die Bauern gesagt: Seht ihr wohl! Sankt Leonhard kann sein Haus nicht schützen! Sankt Kümmernis hätte das nicht gelitten. – Selbst in der altberühmten Kirche zu San Marco zu Venedig ist ein Kümmernisbild zu erschauen.

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949. Trillpetritsch, Drallepatsch und Elbertrötsch

949. Trillpetritsch, Drallepatsch und Elbertrötsch

Von selbigen drei schönen Namen, wie sie hier oben stehen, weiß man so eigentlich nicht, wer sie geführt hat; es sind schwäbische Scherznamen, denn in Schwaben gibt es viel Scherzlust und echte Gemütlichkeit, und mehr als in manchem andern deutschen Lande, wo viele Leute sich gar nimmer auskennen, wie gar klug und weise sie sind, und wie viele Toisen über die Meeresfläche ihre Nasen erhaben sind.

Daß der Elbertrötsch von irgendeinem Elben der Mythe seinen Namen trage, dürfte sehr zu bezweifeln sein; der Name wird wohl im Worte albern sein einfaches Würzelchen haben; Drallepatsch wird sein, was anderorts Tallepatsch, Tolpatsch ist, und Trillpetritsch ließe sich in drillen und Peter auflösen, ein gedrillter, ungedrehter, genarrter Peter, das ganze Kleeblatt ein dreifaches Stichblatt für die spiel- und scherzweise Verhöhnung. Die Redensart geht, einen dieser dreie jagen, welche Jagd gewöhnlich ein recht dummer Talk und Löll vornehmen muß, den die losen Spielgenossen mit einem offenen Sack irgendwohin stellen, den einen der dreie zu fangen; dann schleichen sie sich hinweg und lassen ihn stehen, solange er dumm genug ist, stehenzubleiben, hernach lachen sie ihn tüchtig aus und geben ihm den schönen Spottnamen dessen, den er jagen und fangen sollte, selbst.

Einstmals fing einer aus oder bei Friedingen her, der den Trillpetritsch fangen sollte und bei einer Fuchsgrube stand, unversehens einen Hasen, der ihm in den Sack gehüpft war; da war der Jubel des Dummen groß; im Triumph ward das gefangene Ungeheuer in die Lichtkarzstube getragen, und war große Furcht, was es wohl für ein Ungeheuer sei, und wappneten sich alle mit weidlichen Mordgewehren, und ging schier wie bei den sieben Schwaben im Märlein, wie sie auf ihr Ebenteuer gegen das Ungeheuer, den Seehasen, auszogen, bis der Has aus dem Sack herausfuhr und alles durcheinanderrief, wie damals der Allgäuer:

Potz Veitle! luag, luag, was ischt das?
Es Ohngeheuer ischt noh e Has. –

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950. Tripstrill in Schwaben

950. Tripstrill in Schwaben

Beim Trillpetritsch kann einem leichtlich Tripstrill einfallen, zumal auch Schwaben sein Tripstrill und die vogtländische Redensart vom guten Städtlein Triptis hier im schwäbischen Zabergäu einen Widerhall gefunden hat. Nämlich am Fuße des Michelsberges – von dem auch sonst so viele Sagen gehen, unter andern, daß er auch Gudinsberg (wie in Hessen eine Stadt Gudensberg) und Wudinsberg heiße – liegen neben dem Dörfchen Neukleebronn drei Höfe, wie sonst bei Triptis drei Burgen, die nennt das Volk Tripstrill, und soll vorderen auch eine Stadt allda gelegen haben, deren Reste die Höfe seien. Und wie dort beim vogtländischen Triptis eine berufene Wiese, Weide und Quelle, so hier in Schwaben auch eine Wiese mit reichen Quellen, die vordessen die Pelzmühle trieben, in der die alten Weiber, wenn sie drin mahlen ließen, einen frischen Pelz und eine junge Haut bekamen. Und antworten die Leute gern, wenn jemand unberufen neugierig fragt, wohin man wolle, oder woher man komme, in Thüringen: Von (nach) Tripstrill auf dem (den) Federmarkt, und in Schwaben: Aus (nach) Tripstrill aus der (in die) Pelzmühle, wo man die alten Weiber mühlt.

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951. Der Weibertrunk zu Weilheim

951. Der Weibertrunk zu Weilheim

Zu Weilheim bei Tübingen ist vordessen von den Weibern ein besonderes Recht geübt worden, schöner als jenes Recht der Weiber zu Westheim mit ihrem Stein und etwa ebenso schön wie das heitere Hochgericht zu Marktsteft. Es war ihnen nämlich einstmals eine Eiche geschenkt worden – vielleicht hatten sie auch, wie die Weiber zu Dornhan, einmal einer gnädigen Herrschaft die Pferde ausgespannt und sich davor, welche dann alljährlich am Aschermittwoch einen Schoppen Wein zur Letze bekamen – die Eiche sollten aber die Weiber selbst aussuchen, umhauen, verkaufen und vertrinken. Nun war das mit dem Selbstumhauen so eine Sache, es ging immer nur bei ziemlich dünnen Eichen an, für die nicht viel gelöst wurde; daher wurden die guten Weiber eins, ihre Eiche, und zwar eine recht dicke, dem Dorfe um eine runde Summe zu verkaufen, die mußte alljährlich der Schultes auszahlen. Doch bewehrten sich zum Zeichen alten Rechtes und Herkommens stets etwelche Weiber mit Äxten, gingen dann zum Schultes und sprachen: Wir wollen unsere Eiche umhauen. – Darauf empfingen sie das Geld, und nun fand sich die ganze Weiberschar auf dem Rathaus ein zum Juchhe. Hatte eine Frau Abhaltung daheim, so ließ sie ihren Trunkanteil nach Hause holen, welche aber kam, die durfte so viel trinken, als sie wollte. Männer sollten nicht am Trunke teilnehmen, doch geschah es ausnahmsweise jedennoch. Hernachmals ist aber der alte Brauch und das alte Recht abgeschafft worden, wie so vieles, denn dem Volke möglichst alles an alten Gewohnheiten, Sitten und Bräuchen zu nehmen, mochten sie gut oder schlecht sein, dahin ist von jeher der Sinn der Beamten und der neumodischen Aufklärer gerichtet gewesen.

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