953. Andreasnacht

953. Andreasnacht

Solche böse Possen, wie die Fräulein zu Koburg vornahmen, ihre künftigen Liebhaber vorher zu schauen, sind in der Andreasnacht, Christnacht, Thomasnacht und andern heiligen Nächten auch in Schwaben vorgenommen worden. Die Andreasnacht hatte aber den Vorrang neben der Thomasnacht. Da mußten die Mädchen, die ihre Zukünftigen erschauen wollten, allein in der Kammer schlafen und mit dem zwölften Schlag der Mitternachtsstunde den Andreassegen beten, auch dabei den Bettstollen dreimal treten, wie man tut, wenn man zu einer gewissen bestimmten Stunde nachts erwachen will. Der Segen lautet:

Heiliger Andreas (Thomas), i bitt di,
Bettstoll, i tritt di.
Laß mir doch erscheinen
Den Herzallerliebsten meinen.
Wie er geht und steht.
Und wie er mit mi in de Kirchen geht.

Es hat mit diesen und andern Dingen jedoch ein Aber. Manches Mädchen, welches den Segen sprach, fühlte, daß eine eiskalte Hand ihm übers Gesicht fuhr; der Herzallerliebste, der ihr so erschien und sie noch im selben Jahre freite, war dann der Tod. Andre, die dem wirklich erscheinenden Liebhaber etwas entrafften, mehrenteils Messer, sind sehr unglücklich geworden, den auf diese Zauberweise zu ihnen gewaltsam Hinentrückten befiel entsetzliche Beängstigung, und wenn sie dann später unversehens das Messer fanden, stießen sie es den eignen Frauen in das Herz. Ein Brauch ist auch, daß sich in der Andreasnacht die Mädchen, nachdem sie zwischen elf und zwölf Uhr ein brennend Licht auf den Tisch gestellt, völlig entkleiden und, den Rücken der Stubentüre zuwendend, die Stube auskehren; sie dürfen sich aber beileibe nicht umdrehen. Dann sehen sie ihren künftigen Ehemann hinter dem Tische sitzen, wie er leibt und lebt. Eine Dirne aus Wurmlingen machte den Versuch, und siehe – hinter dem Tisch saß ihr Brotherr, welcher schon eine Frau hatte. Nun schämte sich das arme nackte Ding fast zu Tod und dachte, der könne sie ja doch nicht heiraten. Aber noch in demselben Jahre starb die Hausfrau; der Mann gönnte sie dem Himmel von Herzen und freite frischweg die schöne junge Magd.

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954. Knöpflinsnächte

954. Knöpflinsnächte

Es war und ist ein alter Brauch in Schwaben, besonders in der Stuttgarter und Tübinger Gegend, mit manchem Scherz die sogenannten Knöpflinsnächte zu feiern, das sind die Nächte der drei letzten Adventsonntage, die dem Christfest vorangehen. Es mag dabei sonst vieler Unfug getrieben, auch namentlich das Gabenheischen übertrieben worden sein, denn an manchen Orten, in Schwäbisch-Hall schon 1685, wurden die Knöpflinsnächte verboten. Gewöhnlich scharen sich die Knaben zusammen und gehen singend kurrendemäßig von Haus zu Haus mit allerlei Liedchen: z. B.

Heint ist die heilig Knöpflinsnacht –
Corrandi! Corrandi! (Currende, currende!)
Wer mir Apfel und Birnen geit,
Dem dank‘ i, dem dank‘ i! usw.

Fast an jedem Ort hat das Laufchor andre Bittverslein. Der mittelalterliche Brauch des Singeumganges von Schülern auf den Straßen, die Kurrende, ist noch in vielen Städten Mitteldeutschlands üblich, und die schwarzen Mäntel, welche dabei getragen werden, haben noch den Zuschnitt aus Luthers Zeit, da er selbst in Eisenach in der Kurrende ging. Zu Berlin ist in allerneuester Zeit die Kurrende förmlich wieder eingeführt worden.

Man wirft in den Knöpflinsnächten auch mit Erbsen an die Fenster, das hat gar eine sondre Ursache. Vor alten Zeiten regierte einmal eine grausame Pestilenz in Schwaben, es starb alles aus, die Häuser waren gesperrt, man wußte nicht, waren die guten Freunde tot oder noch lebendig. Um das zu erkunden, wagte man sich nachts auf die Straßen und warf Erbsen an die Fenster der Freunde zur Nachfrage. Wer noch lebte, kam dann an die Fenster und bedankte sich mit einem Vergelts Gott! Kam niemand an das Fenster, so wußte man, daß drinnen alles aus und tot war. Daher hat sich der Brauch in mancher Gegend, so um Wurmlingen und Rothenburg a. N., erhalten, und die Leute rufen noch immer mit einem Vergelts Gott den geschichtlichen Dank aus den Fenstern den Werfern zu, solange das Werfen mit Erbsen geschieht und nicht in Katzenmusikbegleitung mit Steinen, denn das vergilt nicht Gott, sondern der Teufel.

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955. Die Untergänger

955. Die Untergänger

Untergänger heißen in Schwaben die falschen Feldmesser und Feldrichter, welche die Flur- und Triftgrenzen und die Einzelgrundstücke unrichtig und zu andrer Schaden vermessen. Grenz- und Marksteine versetzen, Furchen von des Nachbars Acker ab und zu dem ihren pflügen, und alle diese Leute, von denen auch im übrigen Deutschland allgemein die Sage geht, daß sie nach dem Tode umgehen, schweben oder geisten müssen, und zwar zumeist als Feuermänner und große Heerwische. Davon hat es auch in Schwaben vordessen viel gegeben; es war nicht gut, ihnen zu begegnen oder auf sie zu stoßen. Sie schlugen mit ihren feurigen Rutenstäben und Pickeln, umschlangen mit glühenden Meßketten, und wenn sie niemand hatten, an dem sie ihre Wut auslassen konnten, so plätzten sie aufeinander selbst los, daß die Funken weit umherspritzten, und schimpften einander kurz und lang. Solcher Männer, die nach dem Sprüchwort Himmel und Erde betrogen mit ihrer Falschmesserei, gab es bei Tübingen eine ganze Gesellschaft, da sind ihrer fünf; andre sah man bei Betzingen laufen; in der Rothenburger Markung schwebten ihrer sieben; bei Bühl im Neckartale geistet auch einer umher, und so an vielen andern Orten und Enden.

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947. Spottnamen in Schwaben

947. Spottnamen in Schwaben

Daß Schwaben sein gut Teil mitträgt an der Spott- und Neckebürde, welche im Norden und Süden wie inmitten des lieben deutschen Vaterlandes heimisch ist, das ist schon vielen bekannt. Es wäre fürwahr großes Unrecht, nachdem der Spottnamen und Schildbürger im Norden, der Herren von Schilda, der vogtländischen Siebenstädte und Weltmitte, des schlesischen Ehrentitels, der Ummerstädter, Wasunger, Dittisser und Karlstadter Streiche, auch der Löllenfelder und Galgendenkler gedacht worden, der Schwabenstreiche und Spottnamen nicht auch mit Züchten zu gedenken.

Schon das schöne Volksbüchlein von den sieben Schwaben wird zur Quelle, aus der sich ein heiterer und frischer Zug tun läßt. Fast jeder der sieben Helden hatte seinen bezüglichen Beinamen; da war Jockele der Seehas, vom Bodensee bürtig, allwo der berühmte Seewein wächst, und wie selber Wein gar grimmig ist und den Leuten die Därme durchbeißt, also sollen auch die Seehasen gar groß und grimmig sein und die Leute vom See mächtig tapfere Helden. Der Marke, Nestelschwab genannt, trug seinen Namen von der Eigenheit vieler Schwaben, statt der Knöpfe seine Hosen mit Nesteln versehen zu haben, daher er viel an selben zu halten hatte. Spiegelschwaben wird es wohl alleweil auch noch geben und Knöpfelsschwaben desgleichen. Was nun den Veitle, Gelbfießler genannt, betrifft, so ist das eine nur allzusehr bekannte Sache, daß er aus Bopfingen war und den Bopfingern nachgesagt wird, sie hätten einmal bei einer Eierlieferung als Abgabe aus eitel Gutmeinen recht viel liefern wollen und hätten die Eier mit den Füßen tüchtig festgestampft, da seien ihnen die Füße gelb worden. Können sich aber trösten, denn derselbe Schwank wird auch den Derendinger Bauern nacherzählt, und gibt deren Dinger noch mehr. Die Jaxtheimer hätten auch zu derselben Ehre kommen können als die Heiße-Eierleger, weil einmal eine Frau alldort eine Hexe war, welche weißes Zauberbrot aß und nun Eier in Menge legte. Ein Knecht naschte von selbem Weißbrot, und nun ging bei dem das Gegacker auch los, und legte und legte einen ganzen Spreukorb voll, bis der Herr dazukam, dem verriet der Knecht das Geheimnis; da aß der Herr auch und wurde auch zum Gückelhuhn und legte Eier, was das Zeug hielt. Als diese Hexenkunst herumkam, wollte kein Mensch mehr Jaxtheimer Eier haben und kaufen, meinten alle, die die Eier legten, könnten sie auch selber essen. Eine verwandte Sage von solcher Eierlegung, aber durch eine Kröte, gibt es von einer Hexenbuhle auf einem Dorfe bei Köln am Rhein. – Die Jesinger führen den Unnamen Räpplesfresser, weil sie einmal sich haben einen gefallenen Rappen schmecken lassen, doch war es nur ein ganz kleiner. – Die Hornberger stellten einst ein großes Lustschießen an und sorgten für alles, Glückshafen, Scheiben, Essen, Trinken, Musik und Böller, doch fehlte, als es angehen sollte, nur eins – das Pulver, daher sagt man von einem Ding, das mit großer Wirtschaft angefangen wird, wo alles hofft und spannt und die Mäuler recht voll genommen werden und aus der ganzen Geschichte hernach doch nur Dreck wird: es geht aus wie ’s Hornberger Schießen. – Den Ulmern begegnete die Geschichte mit dem Spatzen und dem Strohhalm, die andern Ortseinwohnern auch aufgemutzt wird, sie aber, die Ulmer, müssen den Namen Spatzen geduldig tragen. – Schlimmer sind die Rottweilerer dran, deren Bürgermeister einen Kürbis, den sie fanden und für das Ei eines seltnen Vogels hielten, ausbrüten mußte. Aber selbes Ei faulte, und man warf es über die Mauer, da platzte es, und vom Schall erschreckt, fuhr ein Has aus einem Busch, und sie dachten, es wäre ein junges Eselsfüllen, von wegen der langen Ohren. Seitdem werden sie Esel geheißen, als welches gar wildgarstig. – Und tragen die Neuffener denselben Namen noch mit dem Zusatz Fresser, müssen sich mit den Schlesiern trösten. – Die Seebronner über Rothenburg a. N. heißen Sensenschmecker, weil einmal einer von ihnen heimlich einem andern den Hanf abgemäht. Diese Untat zu entdecken, ließ der Schultheiß – neumodisch heißt’s Bürgermeister, ob auch in Schwaben, steht dahin, ist ein Schwabenstreich extra muros, wenn sich die Bauern Bürger nennen, als wäre Bauer ein Schimpf- und nicht ein Ehrenname – alle Sensen aufs Gemeindehaus kommen, um durch den Geruch zu schmecken, wessen Sense den Hanf abgeschlagen. Klingt lächerlich, war aber doch nicht ohne, und der Schulz war nicht dumm, denn der Hanf hat einen von jedem andern Kraut unterschiedenen Geruch. – Die Hirschauer in der Nähe von Tübingen heißen Kröpfte. Fragt einer, warum, so folgt die Antwort: weil sie die Waden unterm Kinn und, nach dem Spottwort, alle ihre Glieder beisammen haben – sie sind schier alle kröpfet. Einst ging ein Fremder durch Hirschau, den spotteten die Kinder aus, weil er des Kropfs ermangelte, ging ihm wie dem Fremden in Gellerts Fabel vom Lande der Hinkenden und Stammelnden. Doch fand sich eine kluge Mutter, die zog ihren kröpfigen Jungen herein, gab ihm eine Dachtel und sagte: Unnützer Bub! Was mußt du den armen Herrn ausspotten, weil er keinen Kropf hat? Danke du Gott, daß du alle deine Glieder beisammen hast! – Die Kiebinger und Munderkinger heißen Mondfanger und Stangenstrecker; haben den Mond fangen wollen im Neckar, wie er gerade drinlag, und im Schweinstall, wie er hineinschien, und mit einer Stange vom Himmel langen wie einen Apfel vom Baume. – Die Aalener aber, das sind erst Kluge, die wissen, wo Barchel Most holt, und wo der Has im Pfeffer liegt. Einstmals hatten sie Streit mit einem Kaiser, der zog gegen sie heran mit Heeresmacht; da ward ihnen bange, mochten gern erkunden, wie stark das Heer sei, das heranrückte, und ob sie’s wohl mit ihm aufnehmen könnten. Sie wählten ihren Allerklügsten, wie ja bei Wahlen allemal geschieht und gar nicht anders sein kann, deshalb hat’s auch so mächtig viel Doktor G’scheitle gegeben dazumal – nicht zu Aalen. Nun schritt der Kundschafter herzhaft auf das Lager zu, sah das große Heer, konnt’s aber nicht zählen, ging gerad auf die Generalität los und sprach treuherzig: Grüesch Gott, ihr Herre! – Was suchst du hier? wurde gefragt. Mit Verlaub, sprach er, suchen tun i gar nix, brauchens sie nit ze fierchte, ich bin halt nur der Kundschafter von Aalen und will mi mit Verlaub e bissel umschaun im Lager drin. – Da lachte alles, selbst der Kaiser, und machte Frieden mit Aalen. Darauf wurde der Kundschafter an der Uhr angebracht, nämlich sein Bildnuß, und das mußte Gesichter schneiden, sah aus, wie das caput zu Jena.

Hernachmals haben gar viele über den Aalen-Lalenstreich gelacht, selbst Napoleon mit seiner Garde, als er durch den Ort kam und auf dem Markt eine Parade abnahm; dann aber haben die Aaleren das Kundschafterbild, das so lange paradiert, doch in aller Stille abgenommen.

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948. Gansloser Streiche

948. Gansloser Streiche

Liegt ein Dorf in Schwaben, im Gebirg zwischen Owen und Geislingen, heißt Ganslosen und ist nah verwandt mit Dittis im Rhöngebirg; eins von denen, welchem vornehmlich alle Schwabenstreiche aufgebürdet werden. Auch die Gansloser haben, wie die Dittisser, Geschichten von ihrem Kirchenbau. Als die Kirche vollendet war, brachte man eine Sonnenuhr am Turme an, die mußte derselbige Maler malen, der den Rottweilerern die Flucht aus Ägypten auf ihre Fahne gemalt, und alles mit Wasserfarben, bis auf den Esel, den hatte er mit Ölfarben gemalt; da nun die Fahne in Regen kam, floß alles ab, und nur der Grauschimmel blieb zu Spott und Hohn als der Rottweilerer Schimpfwahrzeichen. Da sich nun die Gansloser beim Gemäld ihrer Sonnenuhr ähnlicher Tückerei vom Maler versahen, wurden sie eins, ein Dachel über selbige machen zu lassen, so konnte der Regen die Farben hübsch nicht abflüten, und die Sonne konnte sie auch nicht ausziehen oder bleichen. Die Geschicht mit dem Brunnenausmessen, wo einer am andern sich anhängt und zuletzt der Schultes, an dem sie alle hängen, losläßt, um nur einmal in die Hände zu spucken, um sich dann fester halten zu können, ist den Ganslosern auch aufgehalst worden. Wie die Wasunger ihre aparte Arie haben, so haben auch die Gansloser eine, und zwar auf einen Storch, der sich, wie in Agyptenland, alldort göttlicher Verehrung erfreute, jedoch später durch vier Mann, die einen fünften trugen, damit er die Saat nicht vertrete, aus der Saat gejagt wurde. Sie feiern ihm vergnüglich ein eignes Storchenfest – wird der Gründonnerstag sein, der in Thüringen und Franken häufig geradezu der Storch heißt – und singen folgendermaßen ihre Aria:

Heut feiern wir
Das hohe Tier,
Das uns auf unsern Wiesen gaht –
’s hat ein schwarzweißes Wammes an
Und einen Schnabel wie a Gans
Halleluja!

Da nun aber die Gansloser doch von ihren Landsleuten gar zu arg aufgezogen, gehänselt und gedränselt wurden mit ihren Streichen und mancherlei Unnamen, so ward ihnen der Name ihres Dorfes leidig und wollten ihn samt der Erinnerung ganz los sein, nannten daher und kamen darum ein, dies fürder tun zu dürfen, ihren Ort Audorf. Wenn nun die Nachbarn kommen, so fragen sie spöttisch: Ist Ganslosen au e Dorf (auch ein Dorf oder euer Dorf)? – und jene haben damit nichts gewonnen als den Ruhm eines neuen Schwabenstreiches.

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94. Die sieben Schwestern

94. Die sieben Schwestern

Am Rhein unterhalb dem Pfalzgrafenstein steht eine hochragende Burgtrümmer, Schloß Schönberg. Darauf sollen sieben so schöne Ritterfräulein gewohnt haben, daß ihre Schönheit selbst dem Schlosse, darinnen sie hausten, den Namen lieh. Aber die Fräulein, welches sieben Schwestern waren, so groß ihre Schönheit war, so kalt und gefühllos waren sie gegen die Minne. Keines Ritters Bewerbung erhörten sie, einen Freier nach dem andern wiesen sie ab, manches junge edle Herz brach an den Felsenherzen der sieben schönen Schwestern. Aber das Geschick beschloß ihre Strafe. Eines Tages landete ein Nachen unten am Fuße des Berges, darinnen sieben herrliche Jünglinge saßen, in ritterlicher Tracht und von vornehmem Gebaren. Sie kamen zur Burg, sie stellten sich den Fräulein dar, sie warben um Herzen und Hände. Es war vergebens, die sieben Schwestern blieben kalt. Mit einem Male verdunkelte sich der Himmel, eine höllische Musik ertönte, die Jünglinge umschlangen die sieben Schwestern, jeder eine, wie zum Tanzreigen, und schwangen sie tanzend und drehend aus der Burg, über die Zugbrücke, den Berg hinab in den Strom hinein, der stürmisch unter Donnern und Blitzen wogte. – Als es wieder hell und friedlich am reizenden Stromesufer geworden war, siehe, da ragten sieben Felsenspitzen aus dem Strome, in diese waren die Jungfrauen mit den Felsenherzen zur Strafe ihrer unnatürlichen Härte verwandelt. Größere Flut überwogt sie, kleinere läßt sie sichtbar werden. Die Rheinschiffer kennen sie unter dem Namen der sieben Jungfern und haben unter sich die Sage: Wenn einst ein Mächtiger diese Felsen dem Strombette enthübe und sie zu Säulen einer Betkapelle am Ufer bilde, so würden die Jungfrauen erlöst werden, wieder auf die sich erneuende Burg zurückkehren und jede nach der jahrhundertelangen harten Buße einen Mann beglücken.

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949. Trillpetritsch, Drallepatsch und Elbertrötsch

949. Trillpetritsch, Drallepatsch und Elbertrötsch

Von selbigen drei schönen Namen, wie sie hier oben stehen, weiß man so eigentlich nicht, wer sie geführt hat; es sind schwäbische Scherznamen, denn in Schwaben gibt es viel Scherzlust und echte Gemütlichkeit, und mehr als in manchem andern deutschen Lande, wo viele Leute sich gar nimmer auskennen, wie gar klug und weise sie sind, und wie viele Toisen über die Meeresfläche ihre Nasen erhaben sind.

Daß der Elbertrötsch von irgendeinem Elben der Mythe seinen Namen trage, dürfte sehr zu bezweifeln sein; der Name wird wohl im Worte albern sein einfaches Würzelchen haben; Drallepatsch wird sein, was anderorts Tallepatsch, Tolpatsch ist, und Trillpetritsch ließe sich in drillen und Peter auflösen, ein gedrillter, ungedrehter, genarrter Peter, das ganze Kleeblatt ein dreifaches Stichblatt für die spiel- und scherzweise Verhöhnung. Die Redensart geht, einen dieser dreie jagen, welche Jagd gewöhnlich ein recht dummer Talk und Löll vornehmen muß, den die losen Spielgenossen mit einem offenen Sack irgendwohin stellen, den einen der dreie zu fangen; dann schleichen sie sich hinweg und lassen ihn stehen, solange er dumm genug ist, stehenzubleiben, hernach lachen sie ihn tüchtig aus und geben ihm den schönen Spottnamen dessen, den er jagen und fangen sollte, selbst.

Einstmals fing einer aus oder bei Friedingen her, der den Trillpetritsch fangen sollte und bei einer Fuchsgrube stand, unversehens einen Hasen, der ihm in den Sack gehüpft war; da war der Jubel des Dummen groß; im Triumph ward das gefangene Ungeheuer in die Lichtkarzstube getragen, und war große Furcht, was es wohl für ein Ungeheuer sei, und wappneten sich alle mit weidlichen Mordgewehren, und ging schier wie bei den sieben Schwaben im Märlein, wie sie auf ihr Ebenteuer gegen das Ungeheuer, den Seehasen, auszogen, bis der Has aus dem Sack herausfuhr und alles durcheinanderrief, wie damals der Allgäuer:

Potz Veitle! luag, luag, was ischt das?
Es Ohngeheuer ischt noh e Has. –

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940. Schlangen als Kindergäste

940. Schlangen als Kindergäste

Von Schlangen gibt es unzählige Sagen. Nach einer Richtung hin schlingen sich dieselben in die Lindwurmsagen ein, nach der andern haben sie elbische Färbung und gehen in das Reich der Hausgeister über, und wie die Schlangen dort furchtbar erscheinen, so erscheinen sie in letzterer Beziehung traulich. Auf Waldgebirgen zumal ist es eine bekannte Sage, daß man den Unk (die Ringelnatter) nicht töten dürfe, weil er Glück bringe, wo er in einem Hause wohne. Zu Schwamdorf bei Nagold erzählte ein Kind seiner Mutter, es komme immer ein Vögelein und esse mit von seiner Milch. Das verwunderte die Mutter, und sie lauschte. Siehe, da kam eine große Schlange – ein schöner Vogel das! – und aß Milch mit dem Kinde und war gut mit ihm, und wenn das Kind einen Löffel voll aus dem Häfele genommen, so steckte die Schlange ihren Kopf hinein und tat einen Schluck. Da wurde die Mich schneller alle als die Brot- oder Semmelbrocken, und das Kind gab der Schlange mit seinem Löffelchen einen leichten Klaps auf den Kopf und sagte zu ihr: Iß et no Ilch, iß au Ickle (iß nicht nur Milch, iß auch Brickle), und die Schlange ließ sich’s gefallen und spielte hernach mit dem Kinde. – Dasselbe geschah mit eines Weingärtners Kind zu Rothenburg und nicht minder im Dorfe Thieringen, wo das Kind sprach: Iß et no Schlappe, iß au Mocke. – Und in Thüringen, auf dem Walde hauptsächlich, begegnet häufig dieselbe Sage; da spricht das Kind: Eß net no Nü, eß a Nocke (iß nicht nur Brüh, iß auch Brocken).

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941. Der Schlangenkönig

941. Der Schlangenkönig

Man hat Beispiele, daß selbst der Schlangenkönig, der ein prächtiges Goldkrönlein auf seinem Haupte trägt, sich bei Kindern eingefunden und mit von ihrer Milch gespeist hat, so bei einem Seiler in Stuttgart, welcher aber sehr ungastfreundlich den Schlangenkönig erschlug und durch die Krone unermeßlich reich wurde und das Haus an der neuen Brücke erbaute, welches jetzt das Gutbrodsche heißt. Solcher Häuser, deren Erbauer auf gleiche Art reich geworden, soll es dort zu Stuttgart noch mehrere geben. Wenn der Schlangenkönig in einen Bach geht, um zu baden, legt er jedesmal erst am Ufer sein Krönlein ab. Wer dieses findet und nimmt, der muß die Beine auf die Achsel nehmen und laufen, was er kann, denn sobald der Schlangenkönig den Verlust seiner Krone bemerkt, so will er sie wiederhaben, was ihm niemand verdenken kann, und schießt wie ein Pfeil hinter dem Räuber her. Holt er diesen ein, so ist der Räuber verloren, holt er ihn nicht ein, so macht die Krone den Kronenräuber unermeßlich reich. Einem Bauer aus Derendingen ist’s also geglückt. Kann der Schlangenkönig seine Krone nicht wiedererlangen, so kommt er zu der Stelle zurück, wo sie ihm geraubt ward, und grämt sich und stirbt, denn er kann den Verlust der Krone nicht ertragen, er ist kein Philosoph, obgleich die Schrift den Schlangen Klugheit zuschreibt – aber wenn einem die Krone genommen wird, da hört alles auf.

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942. Die Schlangenamme

942. Die Schlangenamme

Eine Frau aus einem Dorfe in Schwaben hatte ein säugendes Kind und ging hinaus zur Heuet, legte das Kind in den Schatten und wartete ihres Tagewerkes. Da nun die Mittagszeit da war, ging sie zu ihrem Kinde, nahm es an ihre Brust, ließ es trinken und entschlummerte. Als das Kind getrunken hatte, ließ es von seiner Labequelle und entschlief auch, und die Mutterbrust blieb offen. Da kam ein kleines Schlänglein geschlichen, das ringelte leise heran und begann sanft zu saugen und saugte sich ganz fest, und als die Frau erwachte, erfaßte sie ein tödlicher Schreck, zu sehen, daß sie nicht nur nach dem Sprüchwort eine Schlange im Busen, sondern sogar am Busen nährte. Abreißen ließ sich die Schlange nicht, jeder gewaltsame Versuch, sie wegzubringen, konnte die Schlange zum Biß reizen und den Tod herbeiführen. Gast und Last mußte daher von der Frau getragen werden. Der Schlange gedieh die Menschenmuttermilch wunderbarlich; sie schwoll mehr und mehr an, und war sie erst fingersdick gewesen, so wurde sie bald armsdick und noch dicker, und es waren schon zehn Monate vergangen, seit das arme Weib die Schlange säugte, und begann nun zu verfallen und von Kräften zu kommen. Da kam ein Fremder von ohngefähr in das Dorf, der hörte von dem schweren Mißgeschick der Frau und ging zu ihr und sagte ihr, er wolle ihr von ihrer Bürde helfen, sie solle ihm nur in den Wald folgen. Dort zog der Mann magische Kreise, und nun zog er ein Pfeifchen hervor und begann darauf zu pfeifen. Darauf hat es im Walde geraschelt und gerauscht, und sind alle Schlangen gekrochen gekommen, und in die Kreise, und haben drin getanzt, und da ist die große und schwere Schlange, die so lang an der Frauenbrust gehangen, auch von ihr abgefallen und hat in den Kreis gemußt und hat mittanzen müssen. Wer war froher wie die Frau! Hernachmals hat es sich begeben, daß dieselbe Frau, die sich wieder gut erholt hatte und wieder zu Kräften gekommen war, vor ihrer Türe saß und ihr Kind in den nahen Wald in die Beeren gegangen war. Da hört sie plötzlich die Leute schreien: Ein Bär, ein Bär im Walde! Eine Schlange! hu! eine Schlange! – Und denkt entsetzt ihres Kindes und stürzt hin, da erblickt sie den Bären, und nahezu liegt ihr Kind, und sie weiß nicht, ob es tot oder lebendig, und der Bär stürzt brüllend zusammen, und der schlummernde Knabe erwacht: eine großmächtige Schlange hat den Bären erdrosselt, als er das Kind packen wollte, und das ist dieselbe Schlange gewesen, welche die Frau mit ihrer Milch so stark und groß geschwellt, sonst hätte sie den Bären nimmer erdrücken können.

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