959. Vom edlen Möringer

Es geht ein altes Lied vom edlen Möringer, das war ein freisamer Rittersmann, der saß zu Möringen an der Donau und bat seine Frau um Urlaub, in Sankt Thomas‘ Land zu ziehen, und sie möge sieben Jahre seiner Rückkehr harren, Land und Gut indes verwalten und ihre Treue ihm bewahren. Und zu seinem Kämmerer sprach er: Hüte meiner Fraue sieben Jahre lang und wache über sie! – Da sprach der Kämmerer: Herr, lang ist der Frauen Haar, aber ihr Mut ist kurz, lang sind sieben Jahre, und kurz sind sieben Tage, und doch möcht‘ ich nicht sieben Tage Euer Frauen Hüter sein. – Da redete der Ritter mit einem jungen Herrn, des Name war von Neuffen, daß dieser der Frauen sorglich hüte, und der gelobte es ihm in Treue an. Da hub sich der edle Möringer getrost von dannen und zog in fernes Land und blieb allda sieben ganzer Jahre. Und wie das siebente Jahr ablief, lag er in einem Garten schlummernd, da träumte ihm, er höre eine Engelstimme, die rief ihm zu: Möringer, edler Möringer! Was säumest du allhie? Kommst du nicht bald zurück, so freit der junge von Neuffen dein Weib! – Von dieser Stimme erwachte erschreckend der Möringer, und erseufzete, und flehte zu Sankt Thomas, ihn zu retten aus so herber Schwere, und entschlief wieder in großem Kummer. Und wie er wieder erwachte, so blickte er erstaunt umher, denn die Landschaft kam ihm nicht mehr indisch, syrisch, persisch, portugiesisch oder spanisch vor, sondern ganz schwäbisch, und der teure Apostel hatte seinen treuen Jünger viel kürzer und mit viel mindern Umständen über Land und Meer in seine Heimat geführt als der Teufel den Herzog Heinrich den Löwen. Der edle Möringer befand sich im Pilgerkleide vor einer Mühle, die sein war und dicht unter seiner Burg klapperte, und trat zum Müller hin und fragte selbigen: Müller, was gibt es gutes Neues hiezulande? Ich bin ein Wallbruder und komme von fern her. – Gutes gibt’s und Schlimmes, wie man’s nimmt! erwiderte der Müller. Der Herr von Neuffen nimmt heint droben auf der Burg des edlen Möringers Frau oder Wittib zum Weibe, denn leider soll unser guter Herr in Sankt Thomas‘ Lande Todes verfahren sein. – Da ging der edle Möringer zu seiner Burg empor, heischte Almosen und Imbiß und Nachtlager um Gottes und Sankt Thomas‘ willen und um des alten Möringers Seele. – Als das die Burgfrau hörte, hieß sie den Alten einlassen und Speise geben und Herbergen, solange er wolle, denn sie war fröhlich in ihrem Herzen. Wie nun der Abend kam, sprach ein Dienstmann, daß des edeln Möringers Sitte gewesen sei, von einkehrenden Pilgrimen ein Lied zu begehren, und da rief gleich der Hochzeiter von Neuffen: Rufet uns den Pilger, er singe uns ein Liedlein, bevor wir zu Bette gehen. – Und da kam der Pilgrim und sang, wie er zwar langes Schweigen gelobt habe, nun aber brächten schöne Frauen ihn zum Singen, und er bitte den jungen Mann, ihn an der alten Braut zu rächen und mit seiner Lauten in den Sang einzustimmen. Er sei alt und graubärtig, sie wolle einen Jungen haben, er sei vor ein Herr gewesen, sei nun ein Knecht, und müsse ihm auf dieser Hochzeit eine alte Schüssel recht sein. – Dieser trübe Sang bewegte die Frau, und sie ließ dem Pilger nach der Sitte der Zeit einen goldenen Becher Weines darreichen, in diesen senkte er seinen Vermählungsring und sandte diesen in dem Becher der Frau zurück. Und da ging es, wie es bei Kaiser Karl des Großen Heimkunft ging und bei der Heinrichs des Löwen: die Frau erkannte den Ring und den Gemahl, und stürzte ihm reuig zu Füßen, und schwur, daß sie bis diesen Tag noch ihre Frauenehre unverbrochen bewahrt, und wäre dem nicht so, so sollte er sie einmauern lassen. Dem jungen Herrn von Neuffen war am übelsten zumute, er bot seinem Lehnsherrn das Haupt zur Sühne dar, der aber sprach: Nicht also, Herr von Neuffen, nehmt meine Tochter, und die alte Braut laßt mir, ich will ihr selbst die Haut wohl beren (schlagen). Und da waren alle Teile zufrieden.

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