964. Der Hoihoimann

964. Der Hoihoimann

Zwischen Lauingen und Augsburg liegt Wertingen, dort ist die Gegend gar bruchig, moosig, schnureben und so recht gemacht zum Aufenthalt der Irrlichter, Hullenpöpel und Spukdinger aller Art. Darüber hin fuhr und fährt noch immer das wilde Gejäg, aber erst nicht mit Horrido und Hussassa und Kliff und Klaff, wie der Dichter singt, sondern dem Wanderer dünkt erst gar liebliches Getön von weitem zu hören, wie Musik aus dem Singerberge, und es drängt ihn, diesen lieblichen Klängen nachzugehen. Aber bald genug kommt er in des Teufels Küche, sinnbetörender Lärm mnbraust ihn, Raben schwärmen und lärmen ihm überm Haupt, es rasselt und prasselt, knallt und schallt, bellt und gellt, das wilde Gejäg mit all seinem Höllenspektakel, und froh kann er sein, wenn er nicht aufgehoben und mit fortgeführt wird weit durch die Luft und in das Moos geschmissen, durch das die Glött und Zusam zwischen nichts weniger als romantischen Ufern der Donau zuschleichen. In diesem wüsten Lärm tut sich auch der Geist eines Kerls hervor, der nichts weiß, als fort und fort überlaut Hoi! hoi! zu schreien, der aber auch bisweilen ohne die Begleitung des wilden Gejägs erscheint, mit einer Peitsche knallt, wie zwanzig Fuhrleute auf einmal, und sein Hoi hoi! über die weiten unheimlichen Flächen erschallen läßt. Der irre Wanderer, der ihn von weitem hört, denkt: Gott sei Dank, dort fährt ein Fuhrmann, holst du den ein, so kannst du dann des Weges nicht fehlen. Der Wanderer verdoppelt seine Schritte und holt den Fuhrmann ein, der keinen Wagen und auch keine Pferde hat; es ist ein Zwerg mit großem Schlapphut in einem roten Mantel und schreit Hoi hoi! und knallt, und lacht, und verschwindet, und der Wanderer steckt mitten im Irrwischmoor bis an die Knie, oder bis an den Bauch, oder noch tiefer, und wartet, bis jemand kommt und ihm heraushilft. In weiter Ferne hört er des Kobolds Hoi hoi! tief im Geröhrig drin verhallen.

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965. Attila vor Augsburg

965. Attila vor Augsburg

Da der wilde Etzel mit seinem Hunnenheere schlimmer noch als das wilde Gejäg die Fluren des Lechgebietes überströmte, nahete er auch der alten Römerkaiserstadt Augsburg, der Vinäelioorum. und wollte mit wenigen Gefährten den Lech durchreiten. Wie er nun an des Alpenstromes flaches Ufer kam und sein Roß schon den Huf erhob, in das Wasser zu treten, da rauschte das Wasser gewaltiglich, und es hob sich aus dem Grunde ein Riesenweib, grauenhaft und furchtbar anzusehen, daß das Roß entsetzt zurücksprang und der König im Sattel wankte. Und die graue Stromfei sah ihn aus hohlen Augen an mit starrem Todesblick, reckte den gespenstigen Arm lang aus gegen den König und sprach nichts als diese Worte: Retro Attila! Retro Attila! Retro Attila! – und sank wieder nieder, und über ihrem flatternden Nixenhaar schlossen sich rauschend die Gewässer. Da packten den König nie gefühlte Schauer an, und er starrte hin, und sprach kein Wort, und wandte sein Roß, und ritt nicht über den Lech.

Bald hernach ist die schreckliche Hunnenschlacht am Lech erfolgt, in welcher Sankt Ulrich, hernachmals der Schutzpatron der Stadt Augsburg, damals als heldenmütiger Bischof noch im irdischen Leben wandelnd, dem Christenheere vorkämpfte und ihm zum Siege half und deutsche Einheit die fremdländischen Barbarenhorden in ihre Heimat zurückjagte – was nicht von ihnen das Lechfeld mit seinem Blute und seinen Leichen düngte.

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966. Eines Vaterunsers Wert

966. Eines Vaterunsers Wert

Da der heilige Ulrich noch Bischof zu Augsburg war, kam alltäglich zur Mittagsstunde ein alter Bettler an die Pforte des Bischofhofes, der ward da gespeist mit einem Mittagsmahl und betete jedesmal zu frommem Danke drei Vaterunser für den Bischof. Da kam einmal dem heiligen Mann eine sorgenschwere Zeit, wie sie wohl an keinem Erdensohn vorübergeht, denn jeder hat bisweil sein Kreuz, und da erging er sich in trüben Gedanken und begegnete dem alten Bettler, und sich zu zerstreuen, redete er ihn an: Wie geht es dir, Alter? – Wie immer, hochwürdigster Herr Bischof! war des Greises Antwort. – So, so! sprach Ulrich, mir aber geht es nicht wie immer, mir geht es trübe, und ich glaube ganz sicherlich, du hast heute für mich kein heilig Vaterunser gesprochen. – Mein Seel, getroffen! versetzte der Bettler, ich habe nicht gebetet, weil, als ich kam, Euer Küchenmeister mir ein Gesicht machte wie die Katz, wenn’s donnert, und mich anschnurrte und mit den Worten abspeiste: Heute wird nichts gereicht! Von solcher Abspeisung wurd‘ ich nicht satt, hochwürdigster Vater, sollt‘ ich nun für nichts beten? – Auf diese Rede wandte sich der Bischof nach seinem Hofe zurück und berief alsbald den Küchenmeister und sagte ihm: Du hast mich durch deinen nichtswürdigen und gottverdammten Geiz um jenes Armen Vaterunser gebracht und bist schuld an dem Kummer, der über mich gekommen ist. – Ei wohl, Herr Bischof, antwortete keck der Knecht, an so eines Lumpen Vaterunser wird auch was Rechts gelegen sein! Wieviel Deute wird das wohl wiegen? – Ich weiß dies in der Tat nicht, antwortete Ulrich, darum erhebe dich flugs gen Rom und frage an beim Heiligsten Vater, wieviel ein Vaterunser wert sei, und ehe du mir dessen Antwort bringst, tritt nicht wieder vor mein Angesicht! – Da mußte nun der arme Küchenmeister per pedes apostolorum gen Rom pilgern, doch ward ihm allenden als Boten Bischof Ulrichs gutes Geleit, und kam bald vor den Papst und legte diesem seine Frage vor. Da sprach der Heilige Vater: Ein Vaterunser – das ist wert eines güldnen Pfenniges. – Damit machte der Küchenmeister sich auf gen Augsburg und erstattete Ulrich Bericht. – Sehr gut, sprach dieser; aber, mein Sohn, wie breit soll der güldne Pfennig sein? – Solches wußte der Bote nicht und mußte aber gen Rom fahren und dem Papst diese neue Frage vorlegen; war ihm ein schlechter Gefallen, gab auf der weiten Reise gar nicht so gute Bröcklein und Schlücklein als in des Herrn Bischofs Küche zu Augsburg. Da er nun zum Papste fragend kam, so sprach dieser: Ein Vaterunser, das ist wert eines güldnen Pfenniges, welcher so breit ist als die ganze Erde. – Freudig eilte der Bote nun wieder über die Alpen und sagte die Auskunft an, doch St. Ulrich sprach: Sehr gut, aber, mein Sohn, wie dick soll der güldne Pfennig sein? – Das wußte nun der gute Bote wiederum nicht, und da half kein Zittern für den Frost, er mußte zum dritten Male gen Rom wallen und verwünschte auf dem Wege alle alten Bettler und Hungerleider und Vaterunserbeter zu allen tausend Teufeln und gab keinem einen Deut, soviel ihrer in Welschland ihn auch antraten. Und nun gab der Papst diesen Bescheid: Ein Vaterunser, das ist wert eines güldnen Pfenniges, der so breit ist wie die Erde und so dick, so weit der Himmel von der Erde und die Erde von dem Himmel ist. – Da nun der Küchenmeister mit dieser Botschaft endlich heimkehrte, sprach St. Ullrich: Siehe, nun weißt du es, mein Sohn, wieviel ein Vaterunser wert ist, und magst selbst ausrechnen, wenn du kannst, wieviel Deute selbiges wohl wiegen wird. Jetzt gib von nun an dem Alten wieder Tag für Tag seine Mahlzeit, damit er für uns fernerhin seine heiligen drei Vaterunser beten möge. – Und es geschahe also.

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967. Doktor Luthers Flucht

967. Doktor Luthers Flucht

Als Doktor Luther im Jahre 1518 nach Augsburg beschieden war, dort ins Verhör genommen zu werden, und daselbst von einem übelunterrichteten Papst an einen besser zu unterrichtenden Papst appellierte, nicht minder auch den Gedanken der Appellation an ein allgemeines Konzilium faßte, erfuhr er von mehr als einer Seite her, daß ihm von seinen erbitterten Gegnern persönliche Gefahr drohe; insonderheit warnte ihn ein Freund, der Augsburger Patrizier Langemantel, und bewog ihn, die Stadt heimlich zu verlassen, bot ihm auch sein Geleite an, und so führte er ihn eines Abends durch die Straßen und bog plötzlich, indem er sprach: Da hinab! zur Rechten der Straße, welche beide herabkamen, in ein enges Winkelgäßchen ein, das sich abwärts gegen die Mauer senkte und zu einem Pförtlein leitete, dessen Wächter gewonnen war, und vor dem die Rosse schon harrten. Am andern Tage, wo die Gegner Luthern fassen wollten, war er fort. Wer anders konnte ihm fortgeholfen haben als der Teufel? In einem langen Mantel hatte selbiger als langer dürrer Kerl im Gäßchen gestanden und Luthern den Weg zur sichern Flucht gezeigt, der noch bis heute zum Dahinab heißt. Müßt‘ ein erzdummer Teufel gewesen sein, dem dann zumal auf Wartburg sein schlechter Habedank vom Luther geworden. Außerhalb der Mauern Augsburgs setzten sich Luther und sein biederer Geleitsmann in raschen Trab, hatten’s auch nötig, denn die Flucht war entdeckt, und des Papstlegaten Reiter jagten nach, immer dem Laufe des Lech entgegen, dem Gebirge zu – wurden’s aber bald müde, da sie keine rechten Reiter waren, und kehrten heim und sagten, sie hätten den Luther beinahe gefangen, aber der Teufel reite neben ihm, und beide hätten feuerschnaubende Rosse geritten und wären davongesaust und -gebraust wie die Windsbraut – zu allen Teufeln.

Acht Meilen ritten in dieser einen finstern Herbstnacht der Luther und der Langemantel, da hob sich vor ihnen im Glühen der Morgenröte das Schloß Hohenschwangau mitten aus dem Schoß des Hochgebirges, wo die biedern Ritter von Schwangau saßen, die gleich andern bedeutenden Männern der deutschen Ritterschaft, wie Franz von Sickingen, Ulrich von Hutten, Sylvester vom Schaumberg und die von Freiberg auf Hohenaschau, dem Luther und seinem Werke im Herzen zujauchzten, und da ward Luther gar herzlich und gastlich empfangen und hätte weilen mögen, solange er gewollt, zudem sein Herr, der Kurfürst von Sachsen, ihm durch Spalatin hatte andeuten lassen, er sehe es gern, wenn jetzt in der Zeit großen drohenden Sturmes Luther noch eine Zeitlang sich an einem sichern Ort verborgen halte und nicht so bald nach Wittenberg zurückkehre. Da schrieb Luther dem Kurfürsten mit seinem gottgetrosten, unerschütterlichen Mute: Will ziehen, wohin mich der allmächtige Gott haben will, mich seinem gnädigen göttlichen Willen ergeben, er mach’s mit mir, wie er wolle. Ich bin gottlob noch von Herzen fröhlich.

Aber weil Burg Hohenschwangau, die jetzt zum herrlich erneuten Königsschloß geworden und der Anwesenheit Luthers in ihren Mauern in einem Bilde Lindenschmits noch immer freudig eingedenk ist – gleich des Schatzes, der in ihren Tiefen liegt und bisweilen zutage steigt, wenn der Regenbogen seinen Fuß auf die Burgzinnen setzt und der Schatz sich sonnt – wegen Augsburgs Nähe dem Langemantel noch nicht sicher genug schien, so schied er mit Luther von den Schwangauern und suchte tiefer im Bayerlande ein stilles, abgelegenes Asyl. Sie hatten danach weit zu reiten, über München, allwo Luther, gleichwie zu Wertheim am Main, die Bratwürste schuldig geblieben sein soll, nach Rosenheim und von da zum Chiemsee, wo still im Schoß der Alpenvorberge zwischen dem See mit seiner Herren- und Fraueninsel und dem gewaltigen Alpstock des Hochriesen ein stattlich Schloß sich hebt, das noch heute mit seinem Ahnensaal und manch alten Erinnerungen an die ritterliche Vorzeit mahnt. Das war Hohenaschau, das Hauptschloß der Freiberge, und dahin brachte Langemantel den Luther in ganz sichere Hut. Ein dürftig kleines Kämmerlein ist’s freilich, das alldort dem Wanderer als Luthers Wohnzelle gezeigt wird, und der Kastellan weiß nichts zu sagen, als daß Luther auf seiner Reise nach Rom, die er als Mönch machte, dort geherbergt habe, und die Forschung behauptet dasselbe. Allein obschon nach dem Sprüchwort alle Wege nach Rom führen, so ist dennoch kaum zu denken, was der wandernde Mönch, der früher im Dienst seines Ordens reiste, damals in einem von jeder Hauptstraße völlig abgelegenen Gebirgstalkessel und auf einem Ritterschloß zu suchen gehabt, selbst wenn er die Straße durch das nahe Inntal verfolgt hätte. Und so lebt Luthers Anwesenheit auf zwei stattlichen Burgen des Bayerlandes, die ihm gastlich Schutz und Schirm geboten haben sollen, sagenhaft fort, da Luther selbst von dieser ganzen Fahrt geschwiegen hat und der Orte weder den einen, noch den andern genannt. – Er zog immerdar dahin, wohin der allmächtige Gott ihn haben wollte, und war von Herzen fröhlich.

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968. Der Abt zu Kalbsangst

968. Der Abt zu Kalbsangst

Der Abt zu Kalbsangst

Auf dem Marienberge ohnweit Kempten stand ein Schloß, das hatte den seltsamen Namen Kalbsangst, das soll schon gestanden haben, als die Kaiserin Hildegard das Kloster Kempten gründete, dessen erster Abt, Andagar, bereits im Jahre 796 verstarb. Das ist lange her. Zur Zeit der deutschen Gegenkönige Philipp von Schwaben und Otto IV. und ihrer Kämpfe soll es um Zucht und Ordnung im Kloster Kempten nicht allzu wohl bestellt gewesen sein; der Abt, Herr Wernher, beliebte gar nicht im Kloster zu wohnen, sondern wohnte auf Schloß Kalbsangst und führte allda ein vergnüglich Leben, wobei man munkelte, daß er mit dem bösen Feind und seinen Engeln mehr als mit Gott und dessen Heiligen verkehre, obschon er zum öftern vom Schloß herunter in das Stift ritt, um daselbst Messe zu lesen.

Eines Morgens sollte dieser Ritt auch erfolgen, aber des Abtes Türe tat sich nicht auf, und er antwortete auf kein Rufen, und da man endlich nach langem Harren das Schloß sprengte, so lag Abt Wernher tot, nicht in seinem Bette, sondern mitten in seinem Gemache, und während man seinen Rücken erblickte, erblickte man auch zugleich sein Gesicht, und die Zunge hing ihm etwas weit aus dem Munde. Und als es Nacht geworden und der Leichnam auf einem Paradebette lag, da schwebten schwarze Vögel zu den Fenstern herein, die rauschten mit ihren Flügeln und hatten blitzende Augen und feurige Schnäbel und rotglühende Krallen, und kamen ihrer immer mehr und mehr, daß entsetzt die Leichenwächter flohen und mit Zetergeschrei des Schlosses Bewohner zusammenriefen. Aber wie man sich nach dem Zimmer traute, hatten die Vögel allzumal des Abtes entseelten Leichnam erhoben und trugen ihn fort durch die rabenschwarze Nacht. Fernhin sah man ihn noch ziehen, wie einen Feuerstreif, aber nicht empor, sondern tiefer und immer tiefer, nach dem See zwischen Martinszell und Niedersandhofen. Seitdem ist es auf Schloß Kalbsangst nicht mehr geheuer gewesen, und es ist deshalb nach und nach von allen Bewohnern verlassen und eine öde Trümmer geworden. Aber auch in und um den See hat es greulich gespukt, so arg, daß der Kemptner Äbte Jagdschlößchen, das auf einer Landzunge in den See hineingebaut stand, auch eine Ruine geworden.

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96. Sankt Goars Wunder

96. Sankt Goars Wunder

Aus dem Lande Aquitanien kam ein frommer Mönch in die Rhein- und Mosellande. Auch an der Lahn nahm er eine Zeitlang den Aufenthalt, predigte, breitete das Christentum aus und übte manches Wunder. Ein Fels unterhalb der Lurlei zeugt noch von ihm; man erblickt in diesem Felsen eine ausgehauene viereckige Vertiefung und nennt dieselbe St. Goars Kanzel oder auch St. Goars Bett. Dort soll der heilige Mann lange Zeit gelebt und gewohnt haben, das Evangelium zu verkünden und verunglückenden Schiffern beizustehen. Noch ist, und für alle Zeiten, des Heiligen Name fortlebend in den einander gegenüberliegenden Ortschaften St. Goarshausen und St. Goar am Rhein, und zu Pfalzfeld in der Nähe hinter St. Goar soll ihm eine Denksäule errichtet worden sein. In seiner Zelle zu St. Goar soll der Heilige verstorben sein, worauf die Andacht ihm eine Kapelle dort errichtete, die schon zu Kaiser Karl des Großen Zeiten stand und berühmt war als ein Haus freigebiger Milde und Gastlichkeit gegen Reisende, Schiffer, Pilger und Wallfahrer. In der Gruft der von einem Grafen von Katzenellenbogen, denen diese Landschaft gehörte, erbauten Kirche steht die Bildsäule des Heiligen lebensgroß, und waren auch sonst viele Heiligtümer dort aufbewahrt, sind aber hinweggekommen. Manche nennen St. Goar den Apostel von Trier. Dorthin beschied ihn einst der Bischof Rusticus durch Sendboten; dieser hatte von des Heiligen Wundern gehört und konnte sie nicht glauben. St. Goar folgte den Boten, aber der Weg war völlig wüst und unwirtbar, es gebrach an Zehrung, und die Sendboten sprachen: Wenn kein Wunder hilft, so verschmachten wir. Da übte St. Goar gleich ein Wunder. Er rief in den Wald hinein, und es kamen drei milchende Hirschkühe, ließen sich melken, und ihre Milch rettete die Botschafter. Als der heilige Mann zu Trier vor den Bischof Rusticus geführt wurde, war ihm warm vom Gange, denn es war heiße Sommerzeit, und er sah sich im Versammlungssaale nach einem Ort oder Nagel um, seinen Mantel dahin zu hängen, gewahrte aber keinen solchen, und da hing er den Mantel auf einen Sonnenstrahl, der schrägwärts herein in den Saal fiel. Alle erstaunten, der Bischof aber zweifelte noch immer, und da ward ein Säugling hereingetragen, welcher am selben Tage gefunden worden war. Lasse uns, o heiliger Mann, so du es vermagst, aus dieses armen Säuglings Munde vernehmen, wer sein Vater ist! sprach der Bischof. Da rührte St. Goar mit dem Finger des Säuglings Lippen an, und die Versammlung vernahm deutlich aus des Kindes Munde die Worte:

Pater meus:
Rusticus,
Episcopus!

Da glaubte der Bischof ganz still an die Wundergabe St. Goars und versuchte ihn nicht weiter, wünschte auch nicht, daß der Säugling ferner spreche. –

Einst fuhr Kaiser Karl der Große von seinem Palast in Ingelheim gen Koblenz, an St. Goars Zelle vorüber, ohne dort vorzusprechen, das nahm der Heilige übel und schuf einen so dichten Nebel, daß Karl landen und auf freiem Felde eine Nacht zubringen mußte. Seinen Söhnen hingegen, Karl und Pipin, welche einen Haß gegeneinander trugen und zufällig in St. Goars Zelle zusammentrafen, goß der Heilige Versöhnung in das Herz. Auch heilte er mildiglich auf ihr Anrufen des großen Kaisers Gemahlin Fastrada von heftigem Zahnweh. Karl der Große schenkte dankbar dem gastlichen Kapellenhause ein Faß guten Weines. Dieses segnete der Heilige mit der Kraft des Nimmerversiegens. Einst vergaß, vermutlich, weil er diese Kraft allzusehr erprobt, ein Pater Kellermeister den Hahn richtig zu schließen, so daß er stark tropfte, da kam eine Spinne daher, die webte so eifrig unter der Hahnöffnung fort und fort, bis sie das Gewebe so dicht gemacht, daß auch kein Tropfen mehr herauslief. Das alles wirkte noch lange nach seinem Ableben St. Goar durch seine fortdauernde Wunderkraft.

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969. Pesttanz zu Immenstadt

969. Pesttanz zu Immenstadt

Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges wütete zu Immenstadt und seiner ganzen Gegend eine furchtbare Hungersnot und daraus entspringend die Pest des Hungertyphus, und war allenden nichts als Angst, Not, Pein, Schrecken, Jammer und Verzweiflung. Da trat ein Priester auf, der sah, wie die Angst und das allgemeine Verzagen die Menschen zu eitel todesbleichen Gespenstern machte, und sprach: Wo will das hinaus? Laßt fahren den Trübsinn und das Wehklagen! Laßt Musik erschallen! Haltet Mummenschanz und lustige Umzüge! Trotzt Tod und Teufel mit lauter Fröhlichkeit! – Und selbiger Rat ward befolgt, erst von wenigen, dann von vielen, dann von allen, und war probat. Die Krankheit hörte auf, und den Kranken kam der Appetit wieder, und gegen den Hunger ward auch gesorgt, man brauchte nur mit freundlicher Zurede und Nötigung die Speicher der Kornwucherer, welche immer die Hungersnot befördern, weil sie das Getreide zurückhalten, um auf den allerhöchsten Preis es zu treiben, und sollt‘ es lieber der Kornwurm fressen, zu öffnen. Zum Andenken hat man hernachmals alle Jahre zu Immenstadt einen Tanz mit lustigem Umzug gehalten und denselben den Pesttanz genannt.

Dieses gut anschlagende Mittel hat man in den allerneuesten Zeiten wieder hervorgesucht in solchen Städten, allwo die Cholera sich hat einnisten wollen, und ganz sicher nicht ohne Erfolg, und geschieht nichts Neues unter der Sonne, sondern es ist alles schon dagewesen.

Auch der Schäfflertanz, den die Bötticher zu München alle sieben Jahre halten, soll von gleichem Ursprung sich herleiten.

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970. Ettals Gründung

970. Ettals Gründung

König Ludwig der Bayer tat seine Romfahrt, daß er sich krönen ließe, aber da war ihm schon ein Gegner erweckt in Friedrich dem Schönen von Österreich, den er hernachmals besiegte und zum Gefangenen annahm, das lag ihm schwer auf dem Herzen, und ward darob voll Kleinmut und ging ganz allein in eine Kirche, schloß sich in selbe ein und betete allda zu Gott unter Vergießung vieler Tränen. Siehe, da trat zu ihm eines alten Mönchen Gestalt und sprach: Folgest du meinem Rat, so wirst du aller Sorgen frei und ledig gehen. Baue zu Ampherong, als welches in deinem Lande liegt, alsbald nach deiner Rückkehr ein Kloster, zur Sühne eines dort geschehenen großen Mordes, zur Ehre der hochgebenedeiten Gottesmutter, und gib es in die Regel Sankt Benedikts. – Nach dieser Rede brachte der Mönch ein Muttergottesbild aus seinem Gewand, das war weiß wie Schnee, vom feinsten Alabaster, und gab es dem Könige. Ludwig nahm es in Ehrfurcht, aber er sprach: Ampherong? Ampherong? Nie Hab‘ ich solchen Ort meines Landes nennen hören! Und bin kummer – und sorgenvoll, von einem mächtigen Feind bedroht, habe Geldes wenig und der Schulden viele, wie soll ich dann ein Klösterstifter und Begaber sein? – Darauf entgegnete der Mönch: Zweifle nicht, o König, sondern glaube und vertraue auf Gott und die allerseligste Jungfrau Maria. Wen Gott erhöhen will, den erhöhet er sonder Menschenrates, und wem er geben will, der hat. Solches wirst du inne werden, wann du nun allhie zu Rom gekrönet wirst mit großen Ehren und die Fürsten vor dir knieen und dich bitten, daß sie von dir Lehen empfahen. – Und da nahm der König wahr, daß dieser Mönch ein Bote von Gott sei, und wollte das Knie vor ihm beugen:

da verschwand der Mönch. Und bald hernach traf alles so ein, wie der Mönch es vorhergesagt, und der König zog heim mit dem weißen Marienbild und hielt es heimlich und erfreute sich daran gar wunderbarlich, und da er heim in sein Land kam, forschte er nach dem Namen Ampherong. Da ward ihm durch einen Jäger ein wilder Wald und ein ödes Tal gezeigt, und der König ließ den Wald schlagen und eine runde Kirche bauen, in die stiftete er das Marienbild und gründete das Kloster, dem von dem öden Tale der Name Ödtal, Edtal, Ettal wurde.

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956. Die Schrettele

956. Die Schrettele

Schrat und Schrettele sind unheimliche Wesen, in mannigfacher Beziehung abschreckend und furchtbar gedacht. Dem ursprünglichen Begriff nach ist der Schrat ein struppiger wildhaariger Waldspuk, daher ein wilder Waldschrat, und zwar für beide Geschlechter, der spätre hat sich in der verkleinernden Form Schrättlein zur Nachtmahr ausgebildet. Das Schrattele ist in Schwaben Alp, daher heißt es auch in mancher Gegend bloß Drückerle, Nachtmännle; selbst zottig und zotelig, beim Sichtbarwerden erscheinend, verpfitzt es, indem es gleich der Mahr im Niederland auch die Pferde quält, der Tiere Mähnen, flicht die Weichselzöpfe, saugt an Brüsten und Eutern der Menschen und Tiere, selbst an denen ganz junger Kinder, daß sie aufschwellen. In manchen Gegenden heißen sie Schrecksele, nach Bayern hinein Nettele. Viele denken sie auch mit den Truden überein, gegen beide wird der magisch mystische Trudenfuß, das Pentalpha, über Türen gezeichnet, dessen Gestalt also: Das ist das Zeichen, dessen in Goethes Faust der Held gegen Mephistopheles gedenkt: Das Pentagramma macht dir Pein! – Hauptsache ist, daß es mit einem sichern und festen Zuge gezogen werde und in allen Winkeln, an allen Spitzen schließe; da kann kein Geist unter ihm oder über ihm hinweg; schließt es nicht, so ist es wirkungslos. Das nennen die Leute in Schwaben Schrattlesfuß, anderwärts heißt es Trudenfuß. Auch Steine gibt es, welche Schrattlesfüße heißen, es sind Fährtenabdrücke von Sauriern, unters Kopfkissen gelegt, kann kein Schrettele dem Schlafenden beikommen. Als Schrattensteine werden auch in gleicher Weise in manchen Gegenden die sogenannten Donnerkeile, aber durchbohrte, altgermanische Streitkeile von Stein, gebraucht. Als Alp kommen die Schrettele durchs Schlüsselloch und ziehen durch dasselbe wieder hinweg, wie jene Flaumfeder zu Ruhla, und plagen absonderlich gern Wöchnerinnen und Wochenkinder, nehmen auch Tiergestalt an und drücken die Menschen, daß ihnen schier der Odem ausgehen möchte. Glücklich ward ein Müller kuriert, und schlecht kam eine Trude weg, die ihn schrecklich plagte. Der Gequälte stöhnte und ächzete, konnte sich aber nicht ermuntern. Der Kamrad, der bei ihm schlief, stieg auf, machte Licht und sah einen Strohhalm quer über dem Schlafenden liegen, den er in die Hand nahm. Gleich wachte jener erleichtert auf, und da verbrannten sie den Strohhalm. Nie kam die Trude oder das Schrettele wieder zu dem Mühlburschen, drüben im Nachbarhause aber lag die Frau im Bett und hatte Brandblasen an allen Gliedern. – Sehr probat ist gegen solche Ungetüme ein Schreckselesmesser, das ist einfach ein Messer, auf dessen Klinge drei Kreuze eingegraben sind und das zur Nacht mit der Spitze über sich in die Höhe gehalten wird. Da sticht sich das Schrettele hinein und kommt nimmer wieder.

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957. Spinne aus dem Munde

957. Spinne aus dem Munde

Einstmals sind zwei Weiber aus Betzingen miteinander in das Gras gegangen, und da sie von ihrer Arbeit an einem Rain ausruheten, klagte sich die eine großer Müdigkeit und schlief ein, die andre aber blieb munter und wunderte sich, daß ihre Gefährtin also sehr schläfrig war. Auf einmal nahm sie mit Staunen wahr, daß der schlafenden Frau eine Spinne aus dem Munde herauskroch und im Grase des Rains sich bald verlor. Darauf stieß sie die Schlafende an und wollte sie wecken und ihr das Gesehene mitteilen, aber jene erwachte nicht, sondern lag stocksteif, gleich dem Weibsbild, das die Schnitter bei Vilforde fanden, dem ein Tierlein in den Mund hineinkroch, und gleich der Magd zu Unterwirrbach bei Saalfeld, der das rote Mäuselein aus dem Munde kroch. Es dauerte eine ganze halbe Stunde, da kam die Spinne wieder und kroch der Schlafenden in den offnen Mund hinein. Gleich darauf erwachte sie und raffte sich auf, wieder ihrer Arbeit zu warten; der Gefährtin aber grausete, sie wußte nun, daß die andre eine gefährliche Trude war und mittlerweile anderswo gewesen.

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