633. Die bösen Katzen

633. Die bösen Katzen

Bei dem sächsischen Städtlein Buchholz, nahe bei Annaberg, liegt eine Mühle, die Katzenmühle genannt, mit der es ihrem ersten Erbauer gar absonderlich ergangen ist, denn als sie fertig war, vermochte er nicht zu mahlen und überhaupt nicht zu wirtschaften und zu Hausen, denn der Teufel oder ein ihm verwandter schadenfroher Kobold hatte sein Wesen darin. In den Ställen litt es kein Vieh, im Hofe keinen Hund und keinen Hahn, auf den Dächern keine Tauben. Wenn das Werk angelassen wurde, so polterte und krachte es, als wolle alles mitten voneinander bersten, und der Müller war darob in großer Not und Sorge, fürchtete noch von Haus und Hof ziehen oder in diesem Hause selbst zugrundegehen zu müssen. Da geschah es einstens, daß ein paar Bärenführer, die mit einigen großen Bären von Dorf zu Dorf zogen und ihre Tiere zur Freude der Jugend tanzen ließen, gegen Abend zu der Mühle kamen und, da sie am selben Tag nicht weiterkonnten, den Müller ansprachen, bei ihm übernachten zu dürfen. Dieser sagte den Fremden, daß sein Stall zwar leer sei, daß es aber in demselben nicht geheuer, daß kein Vieh darin bleibe, sondern schrecklich tobe, schreie und schlage; allein die Bärenführer meinten, ihr Vieh sei weder furchtsamer noch empfindsamer Natur, er solle ihnen nur den nötigen Platz vergönnen. Dies geschah denn, und die Bärenführer schlugen samt den Bären ihr Nachtlager im Stalle des Müllers auf. In der Nacht entstand ein entsetzliches Gepolter und Rumoren in dem Stalle, der Müller erwachte davon, und es wurde ihm himmelangst, er bereute seine Nachgiebigkeit gegen den Wunsch der Fremden und schrieb dieser es zu, wenn jene Schaden und Unglück haben sollten. Doch gab sich beim ersten Hahnschrei der Lärm, und am Morgen traten die Bärenführer unversehrt aus dem Stalle. Als der Müller sie fragte, wie sie die Nacht zugebracht, so antworteten sie: Im ganzen gut, aber das Vieh war etwas unruhig. Sie dankten dem Müller für seine Gastlichkeit und zogen mit ihren Bären von bannen. Desselben Tages hatte der Müller ein Geschäft in einem nahen Orte, und als er im Talgrunde dcihinwcmdelte, hob sich ein Kopf hinter einem Busch hervor, der ihn greulich anfunkelte, und der Wirt sah gleich, das müsse der Kopf des Teufels oder eines seiner Spießgesellen sein, und da hörte er sich fragend anrufen: Müller! Hast du die großen, bösen, wilden Katzen noch in deinem Stalle? – Jawohl! antwortete der Müller, sie sind darin und bleiben darin! – Ei daß dich, daß dich! So bin ich ausgebissen! rief die Kobolderscheinung und verschwand. Von da an kam die Mühle in guten, ungehemmten Gang, das Vieh blieb ruhig im Stalle, Hund und Hahn auf dem Hofe, und der Müller kam in guten Wohlstand.

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634. Die umirrenden Stiefeln

634. Die umirrenden Stiefeln

Zu Lauban in der Lausitz, sonst Lübben genannt, hat sich folgendes im Dreißigjährigen Kriege zugetragen. Es kam von Görlitz her ein Regiment Butlerischer Dragoner, die waren nicht von den besten, und es ward den Bürgern vor ihnen mächtig bange, hatten auch der Drangsale in Fülle von ihnen auszustehen. Da kam ein entsetzlich langer Kerl von dieser Naubbande zu einem Schuster und verlangte ein Paar Reiterstiefeln, Kanonen, wie diese Haudegen und Eisenfresser sie trugen, fand ein schönes großes langes Paar, die ihm trefflich paßten, denn den Soldaten im Dreißigjährigen Kriege ging es wie jenem Trödeljuden, der von sich sagte: Ich hab‘ ’nen guten Klaiderlaib, es paßt mir allens. Da nun der gewaltige Kriegsheld die Stiefeln an- und dafür ein Paar ganz erbärmliche, zerrissene Stiefeln ausgezogen hatte, dem er die Sporen ab- und an die neuen Stiefeln anschnallte, fragte er, was die neuen Stiefeln kosten sollten, und da der Schuhmacher den Preis forderte, so zog jener seinen Haudegen blank, nahm den Schuster am Arm und fuchtelte ihm so viele Hiebe zählend auf, als der arme Bürger Schreckenberger gefordert hatte, so daß dieser sich vor Schmerz, Angst und Schrecken nicht bergen konnte, sich endlich losriß und verwünschend rief: Ei so wollte ich, daß diese Stiefeln und Eure Beine in ihnen niemals Ruhe finden, Ihr mögt tot oder lebendig sein! Der Reiter lachte den Schuster in seinem ohnmächtigen Zorne aus und stolperte mit klirrenden Schritten über das Wackersteinpflaster Laubans und verfluchte dieses Pflaster und den Berg, der dazu die Steine lieferte. Bald darauf wurde das Dragonerregiment anderwärtshin beordert, als aber hernachmals die Schlacht bei Lützen geschlagen ward, riß eine schwedische Stückkugel, die dem Pferde durch den Leib fuhr, demselben Dragoner beide Beine ab, und er verblutete auf dem Schlachtfeld. Und danach hat man zwei Stiefeln marschieren sehen ohne Ruh und Rast und ohne Herrn, doch staken in ihnen zwei blutige Beinstummel, die wanderten und wanderten von Lützen nach Markranstädt und über Rippach, wo der bekannte unsterbliche Herr Hans von dort sie mit eignen Augen sah, nach Leipzig, von Leipzig nach Wurzen, Oschatz, Zehren und Meißen nach Dresden, von da ohne Rast und Ruh über Bischofswerda, Bautzen, Löbau und Reichenbach nach Görlitz und von da endlich spornstreichs nach Lauban und blieben auf dieser ganzen langen Wanderfahrt völlig ganz. Die Stiefeln spazierten zum Städtlein hinein, an des Schuhmachers Haus vorbei, recht, als ob er sehen solle, daß sein Wunsch in Erfüllung gegangen, wendeten von da um und bestiegen den Steinberg, welcher der Vater des verwünschten Pflasters, und dort wanderten sie nun bald sichtbar, bald unsichtbar auf den scharfkantigen Basaltsäulen umher; man hörte sie auch trapsen; wer sie aber sichtbar sah, was nicht einem jeden widerfuhr, und trug etwa ein Verlangen nach ihnen und wollte sie haschen, der bekam einen Tritt und schlug auf die Wackersteine hin, daß ihm die Rippen krachten. Dem Schuster, der sie als sein Eigentümer wieder einfangen wollte, soll dieses am allerersten begegnet sein.

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635. Zwergschabernack

635. Zwergschabernack

Zwergschabernack

Bei Zittau liegt der Breitenberg, in dem hausten gutartige Zwerge, welche oft in der Stadt und den umliegenden Dörfern sich einfanden, den Menschen hülfreich waren und gern, wenn auch unsichtbar, an deren Leiden und Freuden teilnahmen. Bei guten Gelegenheiten und Gelagen ließen sie sich’s trefflich wohl sein und vergüteten auf andere Weise, was sie genossen. Eines Tages rief eine Frau ihrem weggehenden Manne nach: Eile, daß du bald zurückkehrst, damit wir nicht zu spät zur Hochzeit kommen! – Diesen Ruf hörten einige Zwerglein und riefen es ihren Brüdern, dem stillen Volke, zu, daß Hochzeit gehalten werde. Gleich fand sich eine Schar zusammen, die wollten alle hin, und es hörte ihre Beratung darüber ein Mann, der am Breitenberge arbeitete, und rief ihnen zu: Wenn ihr unsichtbar zur Hochzeit fahren wollt, ei so nehmt mich doch auch mit, ihr guten Gesellen! – Die Zwerge stutzten, sagten ihm aber seines Wunsches Erfüllung zu, doch unter der Bedingung, daß er, obschon er essen und trinken dürfe, so viel er wolle, doch durchaus nichts heimlich zu sich stecken und mitnehmen dürfe. – Und so fuhren sie alle miteinander ungesehen zum Hochzeithause; das war zwar schon ganz voll von Gästen, allein die Zwerglein bedurften wenig Raum, zwischen jedem Gast saß ein Gezwerg, und der Peterbauer, den sie mitgenommen, hatte einen guten Platz, aber freilich kein hochzeitlich Kleid an, und hätte ihn einer gesehen, so würde er wohl an den Ort des ungebetenen Gastes befördert worden sein. Er zechte wacker und ließ sich’s trefflich schmecken, und tat ihm nur leid, daß seine Frau nicht bei ihm war, denn der Bauer Peter war im Grunde ein guter Kerl und genoß nicht gern allein. Und diese Liebe zu seiner Frau ließ ihn sein Versprechen brechen und etwas einstecken. Das nahmen die Zwerge übel, sie brachen schleunig auf, und der zunächst beim Peter saß, riß diesem die Nebelkappe vom Kopf und schwand hinweg samt den andern. Da saß der Peter in seinem Schmierkittel mit bausenden Backen und kauenden Zähnen, und alles sah auf den seltsamen Gast, und der war noch nie ein so angesehener Mann gewesen wie heute; der Peter aber langte tapfer zu und kaute und schluckte, was das Zeug hielt, denn er hatte die Entführung des leichten Zwergenmützchens von seinem Stickelhaar gar nicht wahrgenommen, bis er von verschiedenen Seiten her Püffe und Rippenstöße bekam und erst noch hinter dem Braten her die Suppe, nämlich die Prügelsuppe. Sodann ward er zum Hause hinausgefuhrwerkt und vor der Türe seinem Nachdenken und schmerzlichen Gefühlen überlassen.

Hernachmals sind die Zwerge aus dem Breitenberge fortgezogen, man sagt, nach Böhmen hinein, in Rübezahls Reich, und sagt auch, das viele Glockenläuten oder die vielen Hunde, welche die Bauern in Ober- und Niederolbersdorf halten, wo die Häuser und die Hunde kein Ende nehmen und aus jedem Haus ein Köder springt und bissig die Fußreisenden ankläfft, die vom Oybin kommen, haben die Zwerglein vertrieben. Ein Bauer aus Heinewalde habe auf zwei Wagen die ganze Schar der Zwerge und alle ihre Schätze hinweggefahren und habe sehr reichen Lohn erhalten. Sie würden wiederkommen, sollen sie gesagt haben, wann Sachsenland an Böhmen falle, das heißt, wann es österreichisch sein werde. Wer weiß, ob sie nicht in der Tat wiederkommen.

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636. Sprungsage vom Oybin

636. Sprungsage vom Oybin

Der hohe Berg Oybin – anderthalb Stunden, und was der Fuchs, der sie gemessen, noch dreingegeben, von Zittau – erhebt sich stolz und prachtvoll inmitten eines herrlichen Gebirgskranzes; in alter Zeit ward ein Jagdhaus auf ihm erbaut durch einen Ritter, Quahl von Berka, dann eine Raubburg, die ein Eigen wurde der Herren von Leipa. Dieser Burg erwies Kaiser Karl IV. die große Ehre, sie in höchsteigner Person zu belagern und sie zu zerstören. Noch zeigt man droben das Kaiserbette und den Kaiserstuhl, zwei aussichtreiche Felsensitze, darauf Se. Majestät geruhet haben, der Zerstörung des festen Bergschlosses zuzusehen. Zugleich schien die Gelegenheit des Ortes dem frommen Herrn ganz geeignet zur Anlage eines Klosters; er gründete dies und besetzte es mit zwölf Brüdern Zölestinermönchen, welchen der himmelnahe Aufenthalt um so mehr zusagte, als alle Ortschaften umher dem Kloster Oybin unzählige Laminsbäuche und Michelshühner zinsen mußten. Damals ward die schöne, reichgeschmückte Klosterkirche gebaut, deren eine Längenwand ganz aus dem Felsen gehauen ist. Neben ihr hin führt ein Gang zu einer Stelle über einen schauervollen Abgrund, und dieser heißt der Jungfernsprung. Hier wagte eine verfolgte Jungfrau den entsetzlichen Sprung in die Tiefe, und zum Lohn ihrer keuschen Tugend wurde sie wundersam gerettet. Die Sage, welche dies erzählt, läßt ungewiß, ob ein Oybiner Zölestiner dies arme unschuldige Lamm für ein Zinshuhn, auf das er ein Recht habe, ansah und deshalb verfolgte, oder ob ein Ritter oder aber ein Jäger so unritterlich handelte, die Unschuld in solche Todesgefahr zu bringen, wie dort am Jungfernsprung bei Arnstadt, bei dem ganz nahe auch ein Felsgipfel der Königsstuhl und etwas entfernter ein Felsen der Ritterstein heißt.

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637. Die Braut vom Kynast

637. Die Braut vom Kynast

Auf der Burg Kynast über Hermsdorf, ohnweit Warmbrunn, saß ein Ritterfräulein, Kunigunde genannt, das war eine grimme Männerfeindin. Allen Bewerbern um ihre Hand legte sie eine Mutprobe auf, die so gefahrvoller Art war, daß deren Bestehen schier unmöglich; sie sollten auf der hohen und schmalen Burgmauer rund um die Burg reiten; wenn sie es versuchten, und es ging noch so gut, sobald sie an die Stelle der Mauer kamen, die man noch heute die Hölle nennt, wo der Abgrund zu jäher Tiefe sich steil absenkt, da schwindelten Roß und Mann und stürzten zerschmetternd in die Tiefe. Das eben, und keinen Mann, wollte Kunigunde. Viele Ritter hatten schon auf diese grausame Weise ihr Leben verloren, doch hatte der Ruf davon noch nicht alle Freier abgeschreckt; angezogen von Kunigundens kalter Schönheit und vielleicht mehr noch vom kalten Mammon in ihren Kisten und Kästen, mehrten sie die Zahl der betörten Opfer. Da geschah es, daß ein Landgraf von Thüringen – einige sagen Albert, andere nennen dessen Sohn Friedrich den Freudigen – daheim auf seinem Wartburgschloß ein gefährliches Kunststück übte; er umritt die Mauer seines Schlosses täglich einmal und gewöhnte sein treues und kluges Roß an sichern Blick und Tritt, denn hoch über Felsenabgründen hebt sich der Wartburg alter geweiheter Bau. Endlich ritt der Landgraf von Thüringen mit einem reisigen Zuge gen Schlesien zum hohen Kynast hinan und ließ als ein Ritter aus Thüringen sich melden. Und als Kunigunde den herrlichen Mann ersah, ward ihr wunderbar zu Sinne, ihr starres Gefühl ward weich, sie liebte den noch jugendlichen Ritter und beschwur ihn flehentlich, den Ritt nicht zu versuchen. Allein er ließ sich nicht davon abbringen, er wagte den Ritt und bestand glückhaft das gefährliche Abenteuer. Jubelnd flog ihm Kunigunde entgegen, all ihr Sehnen war gestillt, ihm allein wollte sie angehören, gern und freudig, ihm wollte sie ein liebendes Weib sein. Aber mit Ernst und Strenge im Blick wehrte der Landgraf ihr Umfahen von sich ab und sprach Worte zu ihr, die sie in ihres Gemütes tiefsten Tiefen erschütterten. Darunter war die Nachricht, daß er bereits glücklich vermählt sei, ihr das härteste Wort – und wie er als der Rächer so vieler Opfer stolz von dannen ritt, da soll Fräulein Kunigunde die Mauer erklommen und ihm nachgesehen haben, so lange, als ihr nur möglich, dann habe sie sich freiwillig in die Hölle hinabgestürzt. Andere haben die ernste Sage scherzhaft gewendet und sagen, Kunigunde habe sich vor Schreck in das häßliche Holzbild verwandelt, das noch heute als Braut vom Kynast den Reisenden zum Kusse dargeboten wird, wer es aber nicht küssen will, dieweil es statt der Haare und Augenbrauen mit der Haut eines Stacheligels aufwartet, der muß sich mit kleinem Gelde lösen. – Diese Sage haben Theodor Körner, Friedrich Rückert und andere deutsche Dichter als Balladenstoff sich dienen lassen.

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638. Das Horoskop

638. Das Horoskop

Auf dem Bergschloß Kynast wurde ein frühgezähmter Wolf gehalten, der wie ein Hofhund umherlief, ja sogar zu einigen Kunststücken, wie ein Hund, abgerichtet war. Da beging am 2. März des Jahres 1635 der Herr der Burg und Grafschaft, Johann Ulrich Graf von Schaffgotsch, die Feier seines Geburtstages mit Bewirtung zahlreicher Freunde und Zuziehung der höheren Dienerschaft. Dabei war auch der Pfarrer von Giersdorf, dicht unterm Kynast, Johann Andreas Thieme, welcher ein Astrolog war, Jünger einer Wissenschaft, die in den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges noch in hohem Ansehen stand. Das Gespräch der Gäste lenkte sich durch des berufenen Propheten Anwesenheit auf seine Kunst, und des Grafen Geburtstag legte den Wunsch nahe genug, ihm das Horoskop zu stellen. Thieme tat es, forschte nach, rechnete, schrieb Zeichen nieder und tat dann mit bekümmerter Miene den Ausspruch: Unser gnädiger Herr, der Graf, wird durch kaltes Eisen eines gewaltsamen Todes sterben. – Alle entsetzten sich, tadelten diese Rede, und der Graf hatte selbst an ihr die mindeste Freude, doch machte er zu diesem bösen Prophetenspiel leidlich gute Miene und dachte bei sich: dem vorwitzigen Pfaffen wollen wir einen Possen spielen. Er befahl ein Lamm in die Zimmer zu bringen, versammelte die Gäste und gebot dem Pfarrer, diesem Lamme alsobald auch die Nativität zu stellen und zu sagen, wer es essen werde. Solche Verhöhnung seiner Kunst, welche Pfarrer Thieme für eine göttliche erachtete – denn es wird ihrer vielfach gedacht in Heiliger Schrift, und daß ihre Stellung tiefe Bedeutung habe, wie Jesaias weissaget vom kommenden Tage des Herrn: Die Sterne im Himmel und sein Orion scheinen nicht helle, die Sonne gehet finster auf, und der Mond scheinet dunkel – nahm der Nativitätsteller übel und weigerte sich lange, dem Geheiß nachzukommen; endlich ließ Thieme nach dem Schäfer senden, von dessen Herde dieses Lamm genommen war, und fragte nach Tag und Stunde von des Tieres Geburt; als er diese erfahren, rechnete er wiederum und tat dann den überraschenden Ausspruch: Dieses Lamm wird der Wolf fressen. – Alle, die das hörten, lachten, und der Graf selbst sprach lachend: Dieser Wolf wollen wir selbst sein, der Koch soll es alsobald schlachten und braten, daß es zur Abendtafel, wann wir von der Jagd heimkehren, fertig sei. – Der Koch schlachtete das Lamm, steckte es an den Spieß, wußte nichts von der ganzen Verhandlung, gab unbefangen dem zahmen Wolf den Spieß zum Drehen in die Pfote und verließ auf kurze Zeit die Küche. Der Wolf aber war über die Gäste und die Gasterei des Geburtstagsfestes von dem Diener, der ihn fütterte, vergessen worden und hatte einen wahren Wolfshunger. Nun wäre mit bellendem Magen für andere einen Braten drehen zu müssen nicht bloß für einen Wolf eine unangenehme Sache, und der Wolf, der wohl ohnehin lange kein frisches Fleisch geschmeckt hatte, verzehrte den Lammsbraten mit größtem Wohlbehagen und stillte seinen Hunger in vollständiger Weise, bis der rückkehrende Koch das Opferfest unterbrach und dem Wolf mit ungeheuer vielen Prügeln den Braten versalzte. Indes geschehen war geschehen, mit allen Prügeln war das Lamm nicht herauszuschlagen, ein anderes nicht zur Hand, der Koch sorgte für andere Braten, und die Abendtafel ward auf das beste zugerichtet. Als nun die Gäste, unter ihnen auch wieder Thieme, mit dem Grafen zu Tische saßen und schon einige Gänge Speisen auf- und abgetragen waren, sah der Graf ungeduldig nach der Türe und fragte den aufwartenden Kammerdiener: Kommt nicht bald das Lamm? – Dieser ließ den Koch befragen, und da erschien der Koch selbst in großer Verlegenheit und stammelte: Gnädigste Erlaucht, Herr Graf – verzeihen! Es ist etwas vorgefallen mit dem Lamm – es ist – vom Spieß – hinweggekommen! – Wieso, vom Spieß? – Ja, gnädigste Erlaucht – der verfluchtige Kerl, der Bratenwender – der Wolf – hat’s gefressen! – Tiefes – schreckenvolles Schweigen. Der Graf legte Messer und Gabel hin – er sprach: Es geschehe der Wille des Herrn! – verließ die Tafel und zog sich unwohl zurück.

Nicht volle fünf Monate darauf ward Johann Ulrich Graf von Schaffgotsch auf Befehl des Kaisers zu Regensburg enthauptet.

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626. Das wütende Heer auf dem Erzgebirge

626. Das wütende Heer auf dem Erzgebirge

Auf dem Schreckenberge, dem Scheibenberge und nach dem Kamm des Erzgebirges hinauf hat die wilde Jagd auch ihr Wesen und hetzt mit Hallo, Hörnerblasen und Hundegebell durch Luft und Kluft. Von Wiesenthal wollte eines Abends ein alter Priester frühzeitig nach Annaberg fahren; der Weg führte ihn lange hart an der sächsischen und böhmischen Grenze hin durch lauter Wald bis zum Städtlein Weipert, und der geistliche Herr fuhr zu sehr früher Zeit. Da erhob sich im tiefen Walde ein mächtig Jagdgetön, es schallte und knallte, es sauste und brauste – und waren doch weder Holzleute noch Jäger zu erblicken. Da nun der Priester ängstlich wurde ob des noch nie vernommenen Lärmens und den Fuhrmann fragte, was dieses Getöse sei und zu bedeuten habe, so antwortete dieser: Sorget Euch nicht, hochwürdiger Vater; es ist das wütende Heer, das tut uns nichts, wenn wir in Gottes Namen fahren! Und fuhr redlich hin.

Ein edler Junker des Namens Rudolf von Schmertzing, Erbsaß auf dem Hammergut Dörßel, hatte am Abend zu Annaberg manchen guten Trunk getan, wie Ritter Hermann von Hellerstein bei Treffurt in Creuzburg, und ritt in gleicher Verfassung ganz allein seines Weges nach Hause. Er ließ Buchholz links liegen, Dörßel rechts, ritt durch Schlettau und wollte durch die Unter-Scheibner Räume den Weg nach den Scheibner Mühlen zu nehmen, da hörte er auf den zum Fichtelberge hinansteigenden Höhen Jagdlärm von Hörnern und Hunden und ritt diesem lange nach, bis er endlich verirrt war und sein Pferd in einem Sumpfe stak. Mit Mühe gelang es ihm, sich selbst herauszuarbeiten und ein Vorwerk zu erreichen, wo er Leute gewann, die mit Seilen und Stangen das Pferd aus dem Moraste zogen.

Zu einem Manne, der am Wielenauer Berge mit einem Pferde arbeitete, ist ein angeschirrtes fremdes weißes Pferd ganz plötzlich gelaufen gekommen und hat sich selbst zu dem einen Pferde gespannt, da ging die Arbeit gar merklich rasch vonstatten, aber den Ackermann befiel eine bange Ahnung, und er wußte nicht, was er tun sollte; da es nun Mittagszeit war, so wollte er ausspannen, aber das andere fremde Pferd ging durch und riß das seinige mit sich fort, und rannen auf den nahen Tümpfel zu. Der erschrockene Ackermann rannte mit, hing sich an sein Pferd, fluchte und betete, da riß endlich jenes Pferd sich los und sprang mitten in den Tümpfel hinein, und jener behielt sein Pferd – in großer Bestürzung.

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627. Kreuz und Kelch

627. Kreuz und Kelch

Unter Annaberg liegt am Flüßchen Zschopau die kleine Stadt Wolkenstein und über ihr das gleichbenamte Schloß auf hohem Fels. In dieses Felsen schroffe Wand gewahrt der Wanderer ein großes Kreuz und einen Kelch tief eingehauen, und es geht die Sage, daß zu jener Zeit, als die Hussitenschlacht bei Aussig im Jahre 1426, welche für Sachsen so verderblich war, erfolgte, der Feind in das Sachsenland eingebrochen sei und auch das Erzgebirge verheerend überschwemmt habe. Da haben sie auch das Städtlein Wolkenstein berannt und eingenommen und sodann die Burg gestürmt, in welcher ein Priester die Besatzung zu mannhafter Verteidigung anfeuerte. Er hielt ein Kreuz in seiner Hand statt des Schwertes und kämpfte mit dem Schwert des Wortes für den alten Glauben. Als nun endlich auch Burg Wolkenstein überwältigt war und der mutige Priester in der Feinde Gewalt, da bedrängte ihn der Hussitenführer, überzugehen zu den Brüdern des Kelchs und dadurch sein Leben zu retten. Aber der Priester blieb unerschütterlich standhaft, er wollte seinem alten Glauben leben und sterben. Letzteres widerfuhr ihm schnell genug; die Feinde stürzten ihn samt seinem Kreuze die senkrechten Felsen von Wolkenstein herab, daß im jähen Sturz des Frommen Gebeine zerschmetterten, und schwangen jubelnd von der Mauer dicht darüber das Banner des Kelchs. Hernachmals, als die Hussiten die Gegend wieder verlassen, haben fromme Hände zum Andenken des Märtyrers das Kreuz und den Kelch tief in den Felsen eingegraben.

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628. Des Fahnenjunkers Sprung

628. Des Fahnenjunkers Sprung

An der Elbe linkem Ufer über Meißen liegt auf einem aussichtreichen Berge die Trümmer der Burg Scharfenberg, welche Burg schon Kaiser Heinrich I.

erbaut und Kaiser Otto I. vollendet haben soll. Die Burg war nach und nach ein Lehen mehrerer namhafter Ritterfamilien, so der Vitzthume von Eckstädt, derer von Schleinitz und von Miltitz, deren einer, Haubold, bald nach dem Dreißigjährigen Kriege die Burg ganz neu baute. Aber im August 1783 ward sie durch einen Blitzstrahl entzündet und durch die Flamme zur Ruine. Im Dreißigjährigen Kriege lag eine Besatzung auf der Burg, da geschähe ein Überfall des Feindes und überwältigte die schwache Bemannung der Burg. Der Fahnenjunker, der sein Banner ergriffen hatte, zog sich kämpfend zurück, jeden Schritt verteidigend, einer nach dem andern seiner Kameraden fiel. Fest hielt er die Fahne, endlich stand er noch ganz allein, von einem wildandringenden Feind umgeben. Solange ich lebe, sollt ihr die Fahne nicht haben! rief er aus, und im höchsten Augenblick der Gefahr, wo der Kampf bis in ein Zimmer des Oberschosses sich gezogen, stieß der Sturm einen Fensterflügel des Zimmers auf, in dem der Fahnenjunker sich nur noch schwach verteidigte. Das nahm er als einen Wink von oben, stieß mit der Wucht des Fahnenspeeres noch zwei Feinde nieder, kehrte sich schnell, die Fahne voraus, nach dem Fenster und sprang, sich Gott befehlend, in den tiefen Abgrund. Und ein Wunder trug ihn samt seiner Fahne unversehrt zum Grunde. Hernach hat sich die Sage verbreitet, der Ritter an der Hauptseite des Schlosses Scharfenberg, der eine Wappenfahne hält, solle diesen mutigen Kämpfer vorstellen und sein Andenken verewigen.

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62. Das goldne Mainz

62. Das goldne Mainz

Mainz, die uralte Römerstadt nahe dem Zusammenströmen des Rhein und Main, von welch letzterm sie den Namen hat, wurde auch, gleich der aurea Roma, golden genannt, und eine angebaute Berghöhe über der Stadt empfing den Namen die goldne Luft. Viele haltlose Fabeln sind aufgebracht worden, wovon der Name der Stadt herzuleiten, während doch nichts näher lag als der Nachbarstrom. Die Römer gründeten dort Werke, deren Trümmer noch sichtbar sind, deren Name noch forthallt. Ein noch dauerbareres Werk, das Christentum, in Mainz eingeführt und befestigt, führte die Stadt zu hoher Blüte. Winfried Bonifazius wurde der erste Erzbischof zu Mainz, durch ihn und seinen mächtigen Einfluß ward der Grund gelegt, daß der Erzbischofsstuhl in dieser Stadt der bedeutendste in Deutschland wurde, und daß der Erzbischof von Mainz später zugleich des Reiches Kurfürst, der erste Mann nach dem Kaiser war. Doch soll Winfried nicht allezeit die Pracht und Macht gutgeheißen haben, die in der Kirche immer höher stieg, sondern vielmehr gesagt und geklagt haben: Vordessen waren die Priester golden und bedienten sich hölzerner Kelche, in unsern Zeiten aber bedienen sich hölzerne Priester goldner Kelche – und Spruch wie Sache vererbten sich so fort durch alle kommenden Zeiten, nicht nur im goldnen Mainz.

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