636. Sprungsage vom Oybin

Der hohe Berg Oybin – anderthalb Stunden, und was der Fuchs, der sie gemessen, noch dreingegeben, von Zittau – erhebt sich stolz und prachtvoll inmitten eines herrlichen Gebirgskranzes; in alter Zeit ward ein Jagdhaus auf ihm erbaut durch einen Ritter, Quahl von Berka, dann eine Raubburg, die ein Eigen wurde der Herren von Leipa. Dieser Burg erwies Kaiser Karl IV. die große Ehre, sie in höchsteigner Person zu belagern und sie zu zerstören. Noch zeigt man droben das Kaiserbette und den Kaiserstuhl, zwei aussichtreiche Felsensitze, darauf Se. Majestät geruhet haben, der Zerstörung des festen Bergschlosses zuzusehen. Zugleich schien die Gelegenheit des Ortes dem frommen Herrn ganz geeignet zur Anlage eines Klosters; er gründete dies und besetzte es mit zwölf Brüdern Zölestinermönchen, welchen der himmelnahe Aufenthalt um so mehr zusagte, als alle Ortschaften umher dem Kloster Oybin unzählige Laminsbäuche und Michelshühner zinsen mußten. Damals ward die schöne, reichgeschmückte Klosterkirche gebaut, deren eine Längenwand ganz aus dem Felsen gehauen ist. Neben ihr hin führt ein Gang zu einer Stelle über einen schauervollen Abgrund, und dieser heißt der Jungfernsprung. Hier wagte eine verfolgte Jungfrau den entsetzlichen Sprung in die Tiefe, und zum Lohn ihrer keuschen Tugend wurde sie wundersam gerettet. Die Sage, welche dies erzählt, läßt ungewiß, ob ein Oybiner Zölestiner dies arme unschuldige Lamm für ein Zinshuhn, auf das er ein Recht habe, ansah und deshalb verfolgte, oder ob ein Ritter oder aber ein Jäger so unritterlich handelte, die Unschuld in solche Todesgefahr zu bringen, wie dort am Jungfernsprung bei Arnstadt, bei dem ganz nahe auch ein Felsgipfel der Königsstuhl und etwas entfernter ein Felsen der Ritterstein heißt.

*