643. Rübezahls Pferde

643. Rübezahls Pferde

Daß der Gebirgsherr gern sechsspännig fuhr gleich andern Selbstherrschern, ist schon erwähnt worden. Einst begegnete er mit einem solchen Pferdezug Schimmel einem schwedischen Obristlieutenant; es war zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, und die Schweden liebten gerade wie die Kroaten alles, was nicht ihre war, doch war just ein Waffenstillstand, daher mochte der Schwede offenbaren Raub nicht wagen. Er ritt also mit seinem Gefolge zu der Kutsche des vermeinten schlesischen Edelmannes an den Schlag, lüftete ein wenig seinen Federhut und sprach: Meinem Herrn dürfte wohl belieben, seine Schimmel gegen einige unsrer Troßpferde zu vertauschen. Wir müssen noch mehrere Meilen reiten, und unsere Pferde sind abgemattet; der Herr fährt doch wohl nur in die nahe Stadt. Auf dem Rückweg tauschen wir dann seine Pferde gegen die unsern wieder aus. – Der Berggeist zeigte sich als einen Kavalier von höfischen Sitten; er lüftete ebenfalls in etwas sein dreieckiges Hütlein und sprach: Meine Schimmel stehen ganz zu meines Herrn beliebigen Diensten, ich bin des Tausches wohl zufrieden. – Jetzt gab der Obristlieutenant heimlich Befehl, die sechs allermiserabelsten Kracken von seinen Pferden vor die Kutsche des Landjunkers zu spannen, und das Herz im Leibe lachte ihm, als er die schönen Schimmel sah, die nun sein waren, denn eine Rückgabe derselben fiel ihm nicht im Traume ein. Man trennte sich unter höflichen Begrüßungen. Als aber am andern Morgen in der Herberge des Obristlieutenants Wagenmeister die Schimmel wieder anschirren wollte, da waren sechs große Bündel Stroh an die Krippe gebunden, und die Schimmel hatten in aller Stille Adjeu gesagt.

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644. Rübezahls Baum

644. Rübezahls Baum

Einem Bauer befahl sein Edelmann als gestrenger Junkherr, ihm eine große Eiche aus dem Walde zu holen. Der Bauer spannte sein Pferd an den Wagen und fuhr in den Wald, befand aber gleich, daß es eine Sache der Unmöglichkeit, den großen dicken Eichbaum nur auf den Wagen zu heben, geschweige mit einem Pferd denselben von der Stelle zu bringen, hatte aber doch seines ungnädigen Junkherrn Zorn und Strafe zu fürchten und wehklagte laut im Walde, als wolle er gleichsam die Bäume um Hülfe anflehen. Da kam ein Mann in Jägertracht durch den Wald und fragte dem Bauer sein Herzeleid ab und tröstete ihn und sagte, er möge nur leer heimfahren, er wolle mit Hülfe seiner Kreiser und Holzleute ihm den Baum ohne Entgelt an Ort und Stelle zum Junker schaffen. Dem Bauer fiel ein großer Stein vom Herzen, und er zog fröhlich heim, der Berggeist aber hob sich nachts die Eiche mit all ihren dicken Ästen auf den Rücken und trug sie vor des Junkers Haustüre, welche der mächtige Stamm so versperrte, daß niemand aus und ein konnte. Nun war es eine Lust, zuzusehen, wie der Junker zum Fenster heraus kommandierte, seine Leute sollten den Baum gleich wegschaffen; der lag fest wie von Eisen; nun rief der Junker, sie sollten doch den Baum entzweisägen und spalten, damit Platz vor der Türe werde, aber da zersprangen die Äxte, wie wenn sie von Klingstein gewesen wären, und die Sägen büßten alle ihre Zähne ein und waren nicht schärfer als ein Fiedelbogen. Die Eiche war oder schien versteinert, sie blieb vor des gestrengen Junkers Hause liegen, und dieser mußte eine neue Türe in sein Haus brechen lassen, welcher kleine Bau viele Bauhandwerker, Maurer, Zimmerer, Schreiner, Schlosser und Tüncher erforderte, vielen Ärger verursachte und dreimal so viel kostete, als die Eiche wert war.

Eine ganz ähnliche Sage geht auch in den Niederlanden von einem Hülfsgeist, der einem überstrengen Junker einen Baum vor die Türe warf, daß niemand aus und ein konnte.

Dies mögen der umgehenden Sagen von Rübezahl, deren es allzu viele gibt, genug sein. Die allbekannte Sage vom Rübenzählen ist keine, sie ist ein Hervorbringnis der neueren Zeit, das Volk kennt sie erst durch neuere Bücher und Reisende, und alte Schriften, die des Rübezahls gedenken, erwähnen ihrer mit keinem einzigen Wort.

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645. Ein schlesischer Zecher

645. Ein schlesischer Zecher

Ein schlesischer Zecher

Wie Ritter Boos von Waldeck und der letzte Graf von Klettenberg sich im Trinken mannlich wohlgetan, so hatte auch das gottgesegnete Land Schlesien seine wackern Kumpane, die einen guten Stiefel vertragen konnten. Solche gebar vornehmlich das vieledle Geschlecht der Herren von Schweinichen auf Schweinhaus, deren Ahnherr ein Enakssohn an Kraft und ein Nimrod als gewaltiger Jäger war. Er nahm einen wilden Eber, der auf ihn anrannte, bei den Ohren, zausete und schüttelte ihn, bis ihm die Wildheit verging, warf ihn dann wie einen Mehlsack über die Schulter und trug ihn heim. Dafür wurde er aber auch der Schwager der Böhmenkönigin Libussa, deren Schwester Kascha ihn mit ihrer Hand beglückte. Einen Abkömmling dieses Ahnherrn, Heinrich von Schweinichen, brachte, wie alte Kunden melden, nicht Schwert noch Lanze, noch Acht noch Bann zu Falle, »nur denen patribus Kellermeistern zu Leubus und Grüssau gelang dieses bisweilen durch unverdrossene Aufwendung ihrer edelsten und besten Kräfte,« die in den Fässern ruhten. Ein späterer Erbe, Burgmann von Schweinichen, Herr auf Schweinhaus, Kolbnitz, Hohendorf, Wolframsdorf, Liebenau und Hohenfriedberg, hatte ein Mundbecherlein, welches gerade eine gütliche Kanne faßte, daran stand der Trinkspruch:

Ich will daz di minen
Uf ere sich bienen.

Er selbst biente (stützte) sich auf Ehre, auf Fechten und Trinken und wurde hundertundzehn Jahre alt. Hans von Schweinichen hat durch eine selbsteigene Lebensbeschreibung dargetan, daß er als ein echter Apfel nicht weit vom Stamme des »alen Säuhäusel« gefallen war, wie das Volk die Stammburg Schweinhaus nannte. Auf dem Edelsitz Herren-Motschelmitz bei Wohlau saß und lag auch wohl bisweilen Herr Georg Wilhelm von Schweinichen, ein Meisterkünstler in der alten deutschen Trinkekunst. Einst saß der Edle mit vielen Zechkumpanen bei Tafel; unter den Gästen war ein Pole, der auch eine gute Klinge schlug, ganz voll von dem prahlhansigen Wesen, das seinem Volke eigen ist. Derselbe vermaß sich eines hohen Dinges, er wolle jeden Schwab unter den Tisch trinken. Die Polen nennen nämlich jeden Deutschen ganz wegwerfend Schwab und verachten ihn aus Herzensgrunde. Das Gelag hatte schon vier Stunden gewährt, die Köpfe waren warm; der Herr des Hauses fühlte sich verpflichtet, für die deutsche Nationalehre einzustehen, und sprach: Beliebe der Herr Graf eine Wette einzugehen! Wir wollen einmal deutsch und polnisch miteinander trinken. Eintausend Dukaten gegen des Herrn Equipage mit dem Sechsgespann! – Topp! rief der Polak. – Vierzig Flaschen Tokaier auf den Tisch! rief Herr Georg Wilhelm von Schweinichen. Als die Flaschen standen, hub der biedere Deutsche an zu trinken. Eine Flasche Tokaier auf einmal trank er dem Polen vor – der Pole trank sie gemütlich nach; die zweite, dritte, vierte, fünfte – der Pole trank nach; noch einmal fünf, und noch einmal fünf, und noch einmal fünf – der Pole trank sie nach mit ruhigem Gleichmut. Zwanzig Flaschen Tokaier waren von jedem der Kämpfer vertilgt, und der Pole hatte sie tapfer nachgetrunken und stand unbesiegt. Heldenmut muß man auch am Feinde rühmend anerkennen. Alten Rheinwein her! rief Herr Georg Wilhelm von Schweinichen, es geht zu langweilig mit den Flaschen! Einen Pferdeeimer voll! – Der Rheinwein strömte aus vollem Faß in den Eimer bis zum Rande; Herr Georg Wilhelm faßte ihn mit geschickter kräftiger Hand, hob ihn zum Munde und ließ ihn ohne Absetzen und ohne Pause hinuntergleiten, sich dem Ungar zu vermählen.

Und mit Erstaunen und Grauen
Sahen’s die Edeln und Edelfrauen,
Und gelassen gab er den Eimer zurück.

Aufs neue quoll die Rheinrebenflut in den Eimer; Herr Georg Wilhelm nahm ihn, schritt mit festem Tritte, ohne daß ein Tröpflein überschwankte – der Schauplatz dieser vaterländischen Heldentat war im Schloßhofe – auf seinen Gegner zu und bot ihm den Kampftrunk. Totenblässe lagerte sich auf des Polen Gesicht – er schlug ein Kreuz, winkte mit der Hand und schritt lautlos aus dem Tore; höflich, den Eimer im Arme, gab Herr Georg Wilhelm von Schweinichen dem vornehmen Gast das Geleite und schaute mit vergnügtem Blick auf die gewonnene Karosse mit ihrem herrlichen Sechsgespann, als siegreicher Retter der Trinkerehre des geliebten deutschen Vaterlandes.

Hernachmals ward dieser Heldenkampf mit allem Zubehör als schönes Schnitzwerk über dem Marstall zu Schloß Herren-Motschelmitz angebracht, allwo es noch bis diese Stunde Zeugnis davon gibt, was ein Schweinichen zu leisten vermochte.

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646. Der güldne Esel

646. Der güldne Esel

Wie Städtlein im kleinen und Völkerschaften im großen einander bisweilen gegenseitig mit Spottnamen beehren oder zudecken, wie die Schweizer Kühmelker heißen und andere anders, so haben auch die Schlesier ihr Teil empfangen, und nicht das schönste, sie hießen sonst Eselsfresser, dieweil sie den ersten Esel, welcher in ihr Land kam, für einen großen Hasen sollen angesehen, geschlachtet, gebraten und verzehrt haben. Dieser etwas ungeschlachte Scherz soll aber in etwas ganz anderem Grund und Ursprung haben. Bei Brieg an der Oder liegt ein Bergzug, darin sind reiche Goldgruben, und dieser Bergzug wird der güldne Esel genannt, und wer nur von diesem recht viel zu zehren, und zu zechen hätte, der möchte sich in Gottes Namen einen Eselsfresser nennen lassen. In diesem Berge soll der Sage nach wirklich ein güldner Esel stecken, wie im thüringischen Gebirg bei Goldlauter ein güldner Hirsch. Viele haben schon nach diesem Füllen gegraben, es aber nie gefunden. Im Dreißigjährigen Kriege hat einmal ein schwedischer Feldobrist zu Brieg gelegen, der hatte von dem Goldhort gehört und ließ fleißig nachgraben, hätte gar zu gerne das güldne Eselsfüllen aus Schlesien hinaus- und nach Schweden hineingeritten. Auf einmal langte ihm das Glück einen Finger hin – die Arbeiter fanden im tiefen Gang eines Kellers in der Tat ein Eselsfell – und in dem Fell stak ein Schatz von vielen hundert Dukaten. Es war auch eine Schrift dabei, die lautete:

Gold ist mein Futter –
Nah dabei liegt meine Mutter.

Da erwachte ein noch größerer Eifer, zunächst diesem prächtigen Eselsfüllen auch die Mutter desselben zu finden – sie gruben und gruben – da krachte mit einem Male die Mauer zusammen und begrub die Gräber und den Schatz. – Beim Dorfe Fischbach liegt der Kittnerberg, da steht auch ein güldner Esel drin. Findet ihn einer, dann wird Fischbach eine Stadt und der Eselsfinder derselben erster Bürgermeister. Schade, daß es ein goldner Esel sein muß.

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647. Kinderandacht

647. Kinderandacht

Wie schon im Mittelalter die Kinderzüge in Thüringen, deren schon gedacht ist, hervorgingen aus einem unerklärten Trieb, der plötzlich erwachte und bewog, in Massen das Ungewöhnliche, Seltsame zu tun, so ist es auch in Schlesien in viel jüngerer Zeit geschehen, daß im Jahre 1708 eine Sucht und ein Trieb plötzlich die Kinder befiel, sich andächtig zusammenzuscharen, und geschahe dies in den verschiedenen Fürstentümern, Graf- und Herrschaften des Landes an einem und demselben Tage, und zwar in noch rauher Jahreszeit, am 14. Februar. Da strömten die Kinder aus Städten und Dörfern am frühen Morgen heraus auf das freie Feld, ohne daß jemand sie lockte, Knaben und Mägdlein von sechs bis zu vierzehn Jahren, schlossen Kreise und wählten in jedem einen Vorsänger. Als dieses geschehen war, gab jedweder Vorsänger ein Zeichen, da haben sich die Kinder auf die Erde niedergeworfen und sich mit dem Angesicht zum Boden gebeugt und haben ein stilles Vaterunser gebetet. Darauf sind sie wieder aufgestanden und haben angehoben, die schönsten Lieder zu singen, unter andern: Liebster Jesu, wir sind hier – oder: Es ist gewißlich an der Zeit – oder: Nur nicht betrübt, solang dich Jesus liebt. – Sodann hat der kleine Vorsänger auch gepredigt und gebetet, und zwar knieend, Psalmen oder Gebete, welche sich auf die Zeit schickten – dann wurde der Segen und ein Schlußlied gesungen, sowie beim Auseinandergehen die Zeit um elf Uhr vormittags und drei Uhr nachmittags zur Wiederzusammenkunft am nächsten Tage bestimmt und allen angesagt. – So fest hielt diese eifervolle Andachtsucht die Kinderherzen in Banden, daß sie sogar gegen der Eltern Gebot und Willen davonliefen, ihre Andacht zu halten, und es mußten Zwangsmaßregeln ergriffen werden, diese wunderseltsamen freien Versammlungen zu verhindern und die jungen Schwärmer auf die Andacht in Haus, Schule und Kirche zurückzuführen, als wohin sie gehörten. – Und erinnert das an die Wallfahrtsucht der Knaben von Schwäbisch-Hall im Jahre 1448.

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648. Vom Zobtenberge

648. Vom Zobtenberge

In der Nähe der Stadt Schweidnitz erhebt sich ein Bergstock voll schauriger und malerischer Naturschönheit wie voll Sagen, der Zotten- oder Zobtenberg, genannt der schlesische Wetterhahn. Dieser Berg soll innerlich voll ungeheurer Schätze sein. Eine Raubburg krönte seinen Gipfel, in ihr hauste ein Ritter, den hieß man nur den Hammerschlag; er führte kein Schwert, sondern schlug die Menschen mit einem Hammer tot, und keiner, den er traf, überlebte den dritten Schlag, wenn er nicht schon am ersten genug hatte. Endlich ermannte sich der Mut der Schweidnitzer Bürgerschaft zur Abwehr, die Burg ward erstürmt, und ihre Trümmer begruben ihren Herrn und seine Hauptrottgesellen. Die sitzen nun tief in des Berges Schoße als Büßer ihrer Untaten. Einstens, im Jahre 1570, geschahe es, daß eines Sonntags ein Bürger aus Schweidnitz, Johannes Beer genannt, einen Spaziergang auf den Zobten machte, wie er schon öfters getan, und da sah er von ohngesähr eine früher noch nicht erblickte Öffnung, aus der ein Luftzug strömte. Es verwunderte ihn das, doch ging er nicht hinein, sondern wieder nach Hause, aber die Höhle kam ihm Tag und Nacht nicht aus den Gedanken. Am nächsten Sonntag ging Johannes Beer wieder auf den Zobten hinauf, fand die Öffnung und wagte sich hinein. Er kam in einen Felsengang und in eine Grotte, in die er nach dreimaligem Klopfen durch eine Türe trat, aus welcher durch eine Glasscheibe ein heller Lichtschein strahlte. In der Höhle stand ein Positiv mit silberner und goldner Klaviatur. Darauf spielte Beer, und es gab einen gar wundersamen feierlich erhabenen Klang. Und da ward er eines runden Tisches gewahr mitten in der Höhle, daran saßen drei lange, bleiche, ganz abgemergelte alte Männer in ritterlicher Haustracht und mit Baretten auf ihren Häuptern, mit bekümmerten Mienen und zitternd. Vor ihnen auf dem Tische hat ein großes goldbeschlagenes Buch gelegen, gebunden in schwarzen Samt. Zu diesen Männern sprach Johann Beer: Pax vobis! – Darauf antworteten die Alten aus einem Munde schauerlich: Hic nulla pax. – Noch einmal, den Männern näher tretend, rief Beer: Pax vobis in nomine domini! – aber mit matter Stimme und erzitternd flüsterten eintönig die Greise: Hic non pax. – Da trat Beer ganz nahe heran zu dem runden Tisch und sprach noch einmal: Pax vobis in nomine domini nostri Jesu Christi! – Darauf antworteten die Alten gar nicht, sondern deuteten auf das schwarze Buch, schlugen es auf und zeigten dessen Titel, welcher lautete: Liber obedientiae, Buch der Buße. – Wer seid ihr Männer? fragte Beer. – Wir kennen uns selbst nicht! antworteten jene. – Was tut ihr hier? fragte er weiter. – Wir erwarten das Jüngste Gericht und den Lohn unserer Taten hier in Schrecken! scholl die Antwort. – Welche Taten sind das? war die Weiterfrage. – Da wiesen sie auf eine Seitengrotte, vor der ein Vorhang sich hinwegzog, und darin lagen und hingen tödliche Waffen, Hirnschädel, Knochen und ganze Menschengerippe. – Bekennet ihr euch zu diesen Werken des Mordes? – Ja! – Erkennet ihr sie für gute oder böse? – O böse, böse! – Und sind sie euch von Herzen leid? – Wir wissen es nicht, frage nicht weiter! sprachen noch einmal die Alten und erzitterten heftiger denn zuvor – und Johannes Beer empfand ein tiefes Grauen und eilte aus der Höhle des Zobtenberges zurück. Nie fand er sie hernachmals wieder.

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639. Die Rüttelweiber

639. Die Rüttelweiber

In der Gegend des Kynast und nach dem nahen Riesengebirge zieht der wilde Jäger mit all seinem Gefolge und Getose und wird von den Bewohnern nur schlechthin der Nachtjäger genannt. Auch dort glauben die Leute, daß er, wie im Vogtlande, die Moosleute und Waldwichtel jagt und plagt, und nennen die kleinen Moosweibchen Rüttelweiber. Für diese gibt es nur eine Rettung vor des Nachtjägers Gewalt und schnellem Griff, wenn sie nämlich an einen abgehauenen Baumstamm kommen, zu dem beim Fällen der Holzmann gesprochen: Gott walt’s! – da finden sie alldort Asyl und Ruhe. Hat jener aber gesprochen: Walt’s Gott! – so schirmt ein solcher Stamm die Weibchen nicht, und sie müssen weiter und weiter vor dem Nachtjäger fliehen. Wenn die kleinen Kinder dortherum unartig sind und schreien, so schweiget man sie mit den Worten: Sei still! Hörst du den Nachtjäger? Jetzt kommt er! Jetzt holt er das Kind, wenn es nicht stille ist.

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640. Berggeist Rübezahl

640. Berggeist Rübezahl

Vom Kynast hat einer nicht weit auf das Gebirge zu wandern, darin des weit und breit genannten Berggeistes Rübezahl Reich ist. Von keinem Gespenst gehen so viele teils alte echte, teils neuersonnene Volkssagen. Zahlreich sind die Örtlichkeiten im Gebirge, an denen sein Name haftet; es steige einer nur vom Dorfe und Vitriolwerk Schreiberhau hinauf zum Elbfall, zu den Zackel- und Kochelfällen und zum großen Rad wie zur Koppe, da findet er unterwegs Rübezahls Festung, seinen Ball, seine Treppe, seine Steinkanzel, seinen Keller, Garten, Teich, Thron und dergleichen häusliche Niederlassungen mehr. Rübezahl ist ein Proteus der deutsch-slawischen Mythe, allbekannt und doch noch nicht genau erkannt; eine Koboldnatur, gut und schlimm, mehr neckisch als tückisch, aber leicht reizbar und oft grausam in seiner Neckerei. Er erscheint in allen Gestalten der Waldleute, als Bergmann, Jäger, Holzhauer, Köhler, Reffträger, Führer, Bote, nicht minder als Mönch, als Moosmann, in Tiergestalt, er gebietet den Elementen wie allen Schätzen der Tiefe, deren Oberhüter er ist. Es ist eine bekannte Rede, daß dieser Geist den Namen Rübezahl nicht leiden könne und sich an denen empfindlich räche, die ihn damit rufen und höhnen, was ihm auch nicht zu verdenken ist, denn kein Gescheiter wird dulden, daß ihm der erste beste Laffe den ehrlichen Namen verhunze und verschände. Nun weiß aber kein Mensch den wahren Namen dieses Waldschrats, und so nannte man ihn den Herrn des Gebirges, den Herrn vom Berge, und die Kräutersammler nannten ihn Domine Johannes und verehrten ihn, da er den Kräutlern gar gute Wurzeln und Kräuter anzeigte, sie auch schöne Steine finden ließ, wenn er sie selbst gut und seiner Gaben wert befand. Da der Gebirgsgeist den ihm aufgehängten Namen so wenig leiden und ertragen kann – wie der Pilatussee in der Schweiz oder der bayerische See auf der Gebirgsgrenze zwischen Böhmen und Bayern, wo man es in jener Welt nennt, die in sie geworfenen Steine, und diese mit Toben und Brodeln, ausstoßen – so hat er zum öftern groben Schrollen, die es an ihn gebracht und ihn sogar zum Kehren der untersten Feuermauer eingeladen, gar schlimm und scharf gelohnt. Davon wäre viel zu erzählen. Einem dieser unsaubern und gemeinen Gesellen, der ihn förmlich schimpfte, schickte der Geist ein Hagelwetter auf den Hals; einem zweiten putzte er die Feueresse mit der Mistgabel aus; einem botanisierenden Mediziner brach er das Genick; einem Schäfer ließ er Ochsenhörner am Kopfe wachsen; einem Schneeberger Ratsdiener zog er die Ohren so hoch in die Höhe, daß sie genau die Ohrenlänge des güldenen Esels hatten. Ein Briefträger wurde vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht und bis zum andern Morgen um ein altes Zauberschloß in Ruinen herumgeführt; ein Bauer wurde zum Nasenkönig gemacht, der mußte, wenn er sich schneuzen wollte, das Fazinettlein so weit vom Gesicht weghalten, als sein Arm langte. Einer Grasemagd, die im Walde Spottliedlein auf den Berggeist sang, nahte er sich als Buhle, griff ihr unters Kinn und heftete ihr einen Ziegenbart an, den sie ihr Lebelang tragen mußte. Bauern, die ihn geschmäht, lenkten sich, als sie in der Scheune draschen, unwillkürlich die Flegel nicht aufs Getreide, sondern auf ihre Köpfe und Buckel, so daß sie mehr blaue Flecke als Körner ausdraschen, und solcher Strafen verhängte er, wenn er gereizt war, oft und viele.

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632. Sankt Georgs Panier

632. Sankt Georgs Panier

Da Ludwig der Milde, Landgraf von Thüringen, mit Kaiser Friedrich dem Rotbart und vielen andern Fürsten des Deutschen Reichs zum zweiten Male über Meer fahren wollte, das Heilige Grab zu gewinnen, ist es geschehen, daß das Panier des heiligen Ritters Georg durch Gott vom Himmel herab in die Stadt Eisenach gesendet wurde, deren Schutzpatron Sankt Georg war, und welche auch den Heiligen im Kettenpanzer mit der Palme, dem Kreuzesschild und dem Panier in ihrem großen Siegel führte. Der Landgraf kämpfte unter diesem hehren Banner siegreich dem Kaiser vor, da aber beide, sein kaiserlicher Lehensherr und er selbst, die deutsche Heimat nicht wiedersahen, so brachten heimkehrende Ritter Sankt Georgs glorreiches Panier wieder nach Thüringen zurück und legten es auf Schloß Wartburg in sichere Verwahrung. Lange Zeit nachher, als die Markgrafen von Meißen als Herren des Thüringerlandes an die Stelle der alten Landgrafen getreten waren, ward unter einem solchen Herrscher aus unbekannten Gründen Sankt Georgs Panier hinweg und auf die meißnische Burg Tharand ohnweit Dresden gebracht, allwo es lange blieb. Als aber einstmals auf diesem Schlosse ein Feuer ausbrach und es in Flammen stand, da sähe man aus einem Fenster des Schlosses, so gegen Morgen lag, das Panier herausfahren, sich hoch in die Luft schwingen und im Glanze des Ostens verschwinden. Niemand hat es auf Erden wiedergefunden.

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633. Die bösen Katzen

633. Die bösen Katzen

Bei dem sächsischen Städtlein Buchholz, nahe bei Annaberg, liegt eine Mühle, die Katzenmühle genannt, mit der es ihrem ersten Erbauer gar absonderlich ergangen ist, denn als sie fertig war, vermochte er nicht zu mahlen und überhaupt nicht zu wirtschaften und zu Hausen, denn der Teufel oder ein ihm verwandter schadenfroher Kobold hatte sein Wesen darin. In den Ställen litt es kein Vieh, im Hofe keinen Hund und keinen Hahn, auf den Dächern keine Tauben. Wenn das Werk angelassen wurde, so polterte und krachte es, als wolle alles mitten voneinander bersten, und der Müller war darob in großer Not und Sorge, fürchtete noch von Haus und Hof ziehen oder in diesem Hause selbst zugrundegehen zu müssen. Da geschah es einstens, daß ein paar Bärenführer, die mit einigen großen Bären von Dorf zu Dorf zogen und ihre Tiere zur Freude der Jugend tanzen ließen, gegen Abend zu der Mühle kamen und, da sie am selben Tag nicht weiterkonnten, den Müller ansprachen, bei ihm übernachten zu dürfen. Dieser sagte den Fremden, daß sein Stall zwar leer sei, daß es aber in demselben nicht geheuer, daß kein Vieh darin bleibe, sondern schrecklich tobe, schreie und schlage; allein die Bärenführer meinten, ihr Vieh sei weder furchtsamer noch empfindsamer Natur, er solle ihnen nur den nötigen Platz vergönnen. Dies geschah denn, und die Bärenführer schlugen samt den Bären ihr Nachtlager im Stalle des Müllers auf. In der Nacht entstand ein entsetzliches Gepolter und Rumoren in dem Stalle, der Müller erwachte davon, und es wurde ihm himmelangst, er bereute seine Nachgiebigkeit gegen den Wunsch der Fremden und schrieb dieser es zu, wenn jene Schaden und Unglück haben sollten. Doch gab sich beim ersten Hahnschrei der Lärm, und am Morgen traten die Bärenführer unversehrt aus dem Stalle. Als der Müller sie fragte, wie sie die Nacht zugebracht, so antworteten sie: Im ganzen gut, aber das Vieh war etwas unruhig. Sie dankten dem Müller für seine Gastlichkeit und zogen mit ihren Bären von bannen. Desselben Tages hatte der Müller ein Geschäft in einem nahen Orte, und als er im Talgrunde dcihinwcmdelte, hob sich ein Kopf hinter einem Busch hervor, der ihn greulich anfunkelte, und der Wirt sah gleich, das müsse der Kopf des Teufels oder eines seiner Spießgesellen sein, und da hörte er sich fragend anrufen: Müller! Hast du die großen, bösen, wilden Katzen noch in deinem Stalle? – Jawohl! antwortete der Müller, sie sind darin und bleiben darin! – Ei daß dich, daß dich! So bin ich ausgebissen! rief die Kobolderscheinung und verschwand. Von da an kam die Mühle in guten, ungehemmten Gang, das Vieh blieb ruhig im Stalle, Hund und Hahn auf dem Hofe, und der Müller kam in guten Wohlstand.

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