Drittes Kapitel


Ich gehe nach Pilrig

Kaum war ich am nächsten Morgen in meinem neuen Logis aufgewacht, als ich auch schon munter und in meinen Kleidern war; und kaum hatte ich mein Frühstück heruntergeschluckt, als ich auf weitere Abenteuer auszog. Für Alan, konnte ich hoffen, war jetzt gesorgt; James versprach ein heiklerer Fall zu werden, und ich mußte annehmen, daß dieses Unterfangen mich teuer zu stehen kommen würde, zumal jeder, dem ich meine Auffassung auseinandergesetzt hatte, mich desgleichen versicherte. Es schien, als hätte ich den Gipfel des Berges nur erklommen, um gleich wieder in die Tiefe zu stürzen; als hätte ich mich durch so schwere Mühsale zu Reichtum und Ehren, zu meiner städtischen Kleidung und dem Schwert an meiner Seite emporgearbeitet, lediglich um zum Schluß Selbstmord zu begehen, und zwar die schlimmste Art von Selbstmord: auf des Königs Kosten gehängt zu werden. Weshalb tat ich es eigentlich? fragte ich mich selbst, als ich die High-Street hinunter und nordwärts über Leith Wynd zum Tore hinausschritt. An erster Stelle, sagte ich mir, um James Stuart zu retten; und wirklich spielte die Erinnerung an seine Verzweiflung, an die Wehklagen seiner Frau sowie an ein gelegentliches Wort von mir, das ich ihm gegenüber hatte allen lassen, dabei eine große Rolle. Gleichzeitig aber überlegte ich mir, daß es meines Vaters Sohn doch eigentlich höchst gleichgültig sein könnte (oder müßte), ob James in seinem Bett oder auf dem Schafott stürbe. Zwar war er Alans Vetter; aber was Alan selbst betraf, so konnte ich nichts Besseres tun, als mich mucksmäuschenstill zu verhalten und den König, Seine Liebden, den Herzog von Argyle, und die Krähen sich nach Herzenslust um die Knochen ihres Verwandten raufen lassen. Zudem konnte ich nicht vergessen, daß James, obwohl wir doch alle miteinander in der gleichen Klemme steckten, keine übertriebene Besorgnis um Alan und mich gezeigt hatte.

Dann kam mir der Gedanke, daß es um der Gerechtigkeit willen geschehe; das Wort gefiel mir ungemein, und ich setzte mir selbst des langen und breiten auseinander, daß uns vor allem daran gelegen sein müsse (da wir alle nun mal in die Politik verwickelt wären, einer dem anderen zum Schaden), der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen, und daß der Tod eines Unschuldigen dem ganzen Gemeinwesen eine Wunde schlüge. Dann wieder gab der Versucher mir eine Probe seiner Überredungskunst zu kosten; er flüsterte mir zu, ich solle mich schämen, daß ich mich in diese hohe Angelegenheit mische, ich sei ja nur ein eitles, prahlerisches Kind, das sich vor Rankeillor und Stuart gebrüstet hätte und sich nun durch seine Eitelkeit gebunden hielte, für seine großen Worte einzustehen. Ja, und er ließ mich auch das andere Ende des Knüppels spüren: er klagte mich der feigen Berechnung an, und daß ich auf Kosten eines kleinen Risikos mir größere Sicherheit erkaufen wolle. Sicher war, ich konnte jeden Tag Mungo Campbell oder den Beamten des Sheriffs von neuem über den Weg laufen, und dann würde man mich erkennen und mich Hals über Kopf in die Appin-Mordaffäre hineinziehen, wenn ich mich nicht zuvor gestellt und vom Verdacht gereinigt hätte. Und zweifellos würde ich, falls es mir gelang, meine Sache gut zu führen, von da an bis an mein Lebensende freier atmen. Doch wenn ich diesen Gründen voll ins Gesicht schaute, vermochte ich an ihnen nichts Unehrenhaftes zu entdecken. Und was das übrige betraf, so überlegte ich mir: hier steh ich am Kreuzweg; beide Wege führen zum gleichen Ziel. Es ist ungerecht, daß James gehenkt wird, wenn ich ihn retten kann; und ich würde mich lächerlich machen, wenn ich nach all meinem Gerede nicht auch handelte. James von der Schlucht kann von Glück sagen, daß ich mich von Anfang an so gebrüstet habe; und für mich selbst ist es auch kein Unglück, denn nun bin ich gebunden, das Rechte zu tun. Ich habe jetzt den Namen und die Mittel eines Gentleman; es wäre recht erbärmlich, entdecken zu müssen, daß mir das Wesentlichste dazu fehlt. Und dann fiel mir wieder ein, das sei ja eine unchristliche Gesinnung, und ich sprach rasch für mich ein Gebet, in dem ich um den Mut flehte, an dem es mir vielleicht gebrach, und bat, daß ich schnurstracks auf meine Pflicht losmarschieren möchte, wie ein Soldat in die Schlacht, um womöglich auch unbeschadet an Leib und Leben davonzukommen wie so viele andere.

Diese Gedankengänge festigten meinen Entschluß, trotzdem sie meine Augen durchaus nicht gegen die mich umdrohenden Gefahren und gegen die Tatsache verschlossen, daß ich auf meinem Wege (wenn ich ihn wirklich fortsetzte) wahrscheinlich über die Leiter zum Galgen stolpern würde. Es war ein klarer, schöner Morgen, obwohl der Wind von Osten blies. Seine kühle Frische sang sich mir ins Blut und gab mir ein Gefühl wie von Herbst und welken Blättern und von Toten, die in ihren Gräbern ruhen. Wahrhaftig, der Teufel mußte schon seine Hand im Spiele haben, wenn ich tatsächlich in der Hochflut meines Glücks um anderer Leute willen sterben sollte. Auf dem Gipfel von Calton Hill liefen einige Kinder lärmend hin und her und ließen ihre Drachen steigen, obwohl es für dieses Vergnügen noch nicht die richtige Jahreszeit war. Die papierenen Vögel zeichneten sich klar gegen den Himmel ab; ich sah, wie ein besonders schwerer vom Wind in große Höhen getrieben wurde und dann zwischen den Ginsterbüschen schwerfällig zur Erde fiel; und bei diesem Anblick dachte ich zu mir selbst: »Das war Davie.«

Mein Weg führte mich über Mouters Hill und zwischen Wiesen und an Hügeln vorbei durch den Zipfel eines Dorfes. Hier tönte das Gerassel von Webstühlen von Haus zu Haus; Bienen summten in den Gärten; die Nachbarn, die ich vor der Türe miteinander schwatzen sah, redeten eine fremde Sprache, und später hörte ich, daß es das Dorf Picardy gewesen sei, eine Niederlassung französischer Weber, die für die Linen Company arbeiteten. Bei ihnen erkundigte ich mich von neuem nach meinem Ziel, Pilrig und stieß nach einer Weile neben der Landstraße auf einen Galgen, an dem an Ketten zwei Männer hingen. Die Leichen waren, der Sitte gemäß, in Teer getaucht; der Wind wirbelte sie im Kreise herum, die Ketten klirrten, und die Vögel klammerten sich schreiend an die unheimlichen Hampelmänner. Das Schauspiel traf mich urplötzlich gleich einer Versinnbildlichung aller meiner Befürchtungen, und ich wurde nicht müde, es näher zu betrachten und mit allen Poren das Trostlose des Anblicks einzusaugen. Und was führt mir da der Zufall in den Weg, während ich immer wieder den Galgen umkreise? Ein gespenstiges altes Weiblein, das hinter dem einen Pfosten hockte und kopfschüttelnd und mit vielen Verbeugungen und Handbewegungen laut mit sich selbst redete. »Wer sind diese beiden da, Mutter?« fragte ich, auf die zwei Leichname deutend. »Gottes Segen über dein herziges Gesicht«, rief sie. »Zwei alte Schätze von mir; nur zwei meiner alten Schätze, mein Junge.« »Und weswegen hängen sie da?« erkundigte ich mich weiter. »Oh, nur wegen der guten Sache«, erwiderte sie. »Oft hab ich’s ihnen vorausgesagt, wie’s enden würde. Zwei Shilling schottisch, nicht einen Penny mehr; und zwei hübsche Jungen müssen dafür hängen: sie nahmen’s einem Balg aus Brouchton ab.« »So, so«, sagte ich zu mir selbst und nicht zu der tollen alten Vettel, »und wegen einer so erbärmlichen Sache haben sie’s so weit gebracht. Das heiß ich wahrhaftig von Gott verlassen sein.«

»Laß mich deine Hand sehen, Herzensjunge,« fuhr sie fort, »ich will deine Zukunft voraussagen.«

»Nein, Mutter«, entgegnete ich, »ich sehe schon so klar genug, wohin der Weg mich führt. Es tut nicht gut, zuviel vorauszuwissen.«

»Ich lese auf deiner Stirne«, antwortete sie. »Da ist ein hübsches Mädel mit hellen Augen und ein kleiner Mann in einem schönen, gestickten Rock und ein großer Mann in einer gepuderten Perücke, und da ist noch der Schatten der Rabenwippe, hier quer über deinem Weg. Zeig deine Hand her, Herzensjunge, und laß dir von der alten Merren eine feine, gute Zukunft voraussagen.«

Die beiden Zufallstreffer, die auf Alan und die Tochter James Mores abzuzielen schienen, berührten mich tief, und ich floh vor dem grausigen Geschöpf, ihr einen Batzen hinwerfend, mit dem sie unter den tanzenden Schatten der Gehenkten weiter spielte.

Mein Weg auf der Leither Landstraße wäre ohne diese Begegnung um vieles angenehmer gewesen. Der alte Fahrdamm führte zwischen Feldern hindurch, derengleichen ich, was Geschicklichkeit in der Bebauung anbelangt, nie gesehen hatte; allein die Galgenketten rasselten weiter in meinem Kopf, und das Krächzen und Unken der alten Hexe sowie der Gedanke an die beiden Toten verfolgten mich wie ein Gespenst. Am Galgen zu endigen schien mir ein hartes Los, und ob nun ein Bursche wegen zwei Shilling schottisch oder (wie Mr. Stuart es prophezeite) wegen seines Pflichtgefühls dort baumelte, machte, sobald er erst mal geteert und gefesselt und aufgehängt war, im Grunde genommen wenig aus. Dort würde David Balfour vielleicht auch einmal hängen, und die anderen Burschen würden vorbeigehen und Schlechtes von ihm denken und sich von verrückten alten Weibern, die am Fußende kauerten, die Zukunft voraussagen lassen; und saubere, schlanke Mädchen würden vorübergehen und sich dabei die Nase zuhalten. Ich sah sie deutlich vor mir, und alle hatten sie graue Augen, und die Bänder, die sie im Haare trugen, leuchteten in den Drummond-Farben. Ich war daher in gedrücktester Stimmung, wenn auch immer noch ziemlich fest entschlossen, als ich Pilrig vor mir auftauchen sah: ein hübsches Haus mit vielen Giebeln, das neben der Landstraße zwischen einigen prächtigen jungen Bäumen lag. Des Gutsherrn Pferd stand gesattelt vor der Türe, als ich mich dem Hause näherte, aber er selbst befand sich in seinem Studierzimmer, wo er mich, umgeben von gelehrten Büchern und Musikinstrumenten, empfing, denn er war nicht nur ein großer Philosoph, sondern auch ein eifriger Musiker. Anfänglich begrüßte er mich ziemlich freundlich und stellte sich mir dann, nachdem er Rankeillors Brief gelesen hatte, mit großer Zuvorkommenheit ganz zur Verfügung. »Worum handelt es sich, Vetter David?« fragte er – »denn wir sind ja, wie es scheint, Vettern – was kann ich für Euch tun? Ein Wort an Prestongrange? Das ist zweifellos leicht geschrieben. Aber wie soll dieses Wort lauten?« »Mr. Balfour,« entgegnete ich, »wollte ich Euch meine Geschichte erzählen, ich glaube tatsächlich, Ihr wäret wenig davon entzückt. Das ist meine Ansicht, und Mr. Rankeillors ebenfalls.«

»Es tut mir leid, derartiges von Euch zu hören, Vetter,« antwortete er. »Das darf ich nicht auf mir sitzen lassen, Mr. Balfour,« entgegnete ich: »mich drückt nichts, das mich gereut oder das Ihr um meinetwillen zu bedauern braucht, ausgenommen gemeine menschliche Gebrechen, wie wir sie alle tragen: ›die Schuld aus Adams erster Sünde, der Mangel ursprünglicher Gerechtigkeit und die Verderbtheit meiner ganzen Natur‹: für die muß ich einstehen, und ich hoffe, man hat mich gelehrt, wohin ich mich um Hilfe wenden muß«, fügte ich hinzu; denn aus dem Aussehen des Mannes schloß ich, daß er um so besser von mir denken würde, je genauer ich meinen Katechismus kannte. »Doch was meine weltliche Ehre betrifft, so habe ich mir nichts vorzuwerfen, und die Schwierigkeiten, in die ich geraten bin, sind sehr gegen meinen Willen und (soweit ich es beurteilen kann) ohne mein Zutun über mich hereingebrochen. Das Schlimme ist, ich bin in politische Wirren verstrickt, von denen Ihr, wie man mir sagt, nichts wissen mögt.« »Schön, schön, Mr. David,« lautete seine Antwort, »ich freue mich, daß Ihr all das haltet, was Mr. Rankeillor von Euch verspricht. Und was die politischen Wirren anbetrifft, so habt Ihr vollkommen recht. Es ist mein Bemühen, jeden Verdacht zu vermeiden, ja mit alledem nichts zu tun zu haben. Die Frage ist nur,« fuhr er fort, »wie kann ich Euch, ohne von der Sache irgend etwas zu erfahren, helfen?« »Nun, Sir,« entgegnete ich, »ich schlage vor, daß Ihr an Seine Lordschaft schreibt, ich sei ein junger Mann von leidlich guter Familie und ansehnlichem Vermögen; beides trifft, wie ich glaube, zu.«

»Rankeillors Wort bürgt dafür,« sagte Mr. Balfour, »und das genügt mir unter allen Umständen.«

»Dann könntet Ihr noch hinzufügen (falls Ihr mein Wort dafür nehmen wollt), ich sei ein guter Kirchgänger und treuer Untertan König Georgs und in dieser Anschauung erzogen worden.«

»Was Euch unter gar keinen Umständen schaden kann«, sagte Mr. Balfour.

»Und ferner«, schlug ich vor, »könntet Ihr Seiner Lordschaft schreiben, ich käme in einer überaus wichtigen Angelegenheit zu ihm, die Seiner Majestät Dienste und Rechtspflege beträfe.«

»Da ich von der Angelegenheit nichts erfahren soll,« erklärte der Gutsherr, »kann ich auch nicht für ihre Wichtigkeit einstehen. ›Überaus‹ wird daher gestrichen und ›Wichtigkeit‹ ebenfalls. Im übrigen kann ich mich ja so ausdrücken, wie Ihr es wünscht.«

»Und dann, Sir,« schloß ich, ein paarmal mit dem Daumen über mein Genick fahrend, »dann wäre es mir noch sehr lieb, wenn Ihr an irgendeiner Stelle ein Wort zu meinem Schutz einfügen wolltet.«

»Schutz?« echote er, »zu Eurem Schutz? Der Ausdruck wirkt ein wenig wie eine Dusche auf mich. Wenn die Angelegenheit gar so gefährlich ist, dann trage ich, offen gestanden, einige Bedenken, mich so mit einer Binde vor den Augen einzumischen.«

»Ich glaube, ich könnte Euch in zwei Worten sagen, wo der Hund begraben liegt«, erwiderte ich.

»Das wäre vielleicht das Beste.«

»Nun, es handelt sich um die Appin-Mordaffäre.«

Er hielt beide Hände hoch. »Gott im Himmel!« rief er. Nach dem Ausdruck seines Gesichtes und seiner Stimme zu urteilen, glaubte ich zunächst, ich hätte meinen Gönner verloren.

»Ich will Euch erklären – –«, hub ich an.

»Vielen Dank, ich will nichts mehr davon hören«, meinte er kategorisch. »Ich weigere mich in toto, noch etwas davon zu hören. Um Eures Namens und um Rankeillors willen und vielleicht auch ein wenig um Eurer selbst willen werde ich tun, was ich kann, um Euch zu helfen; aber ich will keine Einzelheiten wissen. Und es ist offenbar meine erste Pflicht, Euch zu warnen. Das hier sind kitzlige Angelegenheiten, Mr. David, und Ihr seid noch ein junger Mann. Hütet Euch und überlegt es Euch zweimal.«

»Man sollte meinen, ich hätte es mir öfter überlegt, Mr. Balfour,« erwiderte ich, »und ich möchte Euch auf Mr. Rankeillors Brief aufmerksam machen, darin er (wie ich hoffe und glaube) mein Vorhaben billigt.«

»Gut, gut,« sagte er und wiederholte nach einer Pause, »gut, gut! Ich werde tun, was ich kann.« Mit diesen Worten griff er zu Feder und Papier, dachte eine Weile nach und begann dann mit großer Bedachtsamkeit zu schreiben. »Wenn ich Euch recht verstehe, billigt Mr. Rankeillor Eure Absicht?« fragte er schließlich.

»Nach einigem Hin- und Herreden hieß er mich in Gottes Namen gehen«, antwortete ich.

»Das ist der Name, in dem man eine Sache anfangen soll«, sagte Mr. Balfour und fuhr mit Schreiben fort. Nach einer Weile fügte er die Unterschrift hinzu, überflog noch einmal das Geschriebene und wandte sich dann wieder an mich. »Also hier habt Ihr Euren Empfehlungsbrief, Mr. David. Ich setze mein Siegel darauf, ohne ihn zu verschließen, und übergebe ihn Euch offen, wie es die Sitte verlangt. Da ich aber vollständig im Dunkeln tappe, will ich ihn Euch rasch einmal vorlesen, damit Ihr sehen könnt, ob Euch damit gedient ist:

›Pilrig, den 26. August 1751.

Mylord, – Dieser Brief möchte Eurer Wohlgeneigtheit meinen Namensvetter und Verwandten, David Balfour von Shaw, empfehlen, einen jungen Herrn von untadeliger Herkunft und ansehnlichem Vermögen. Er hat des weiteren die wertvolleren Vorteile einer gottesfürchtigen Erziehung genossen, und seine politischen Grundsätze entsprechen ganz Eurer Lordschaft Wünschen. Ich genieße nicht Mr. Balfours Vertrauen, aber er hat, wenn ich ihn recht verstehe, Eurer Lordschaft eine Angelegenheit zu unterbreiten, die Seiner Majestät Dienste und Rechtspflege betrifft: Dinge, von denen bekannt ist, wie sehr sie Eurer Lordschaft am Herzen liegen. Ich muß noch hinzufügen, daß einige seiner Freunde des jungen Herrn Absichten kennen und billigen, und daß sie mit hoffnungsvoller Besorgnis deren Gelingen und Scheitern verfolgen.‹

Und dann«, fuhr Mr. Balfour fort, »habe ich noch mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln meine Unterschrift daruntergesetzt. Ihr seht, es ist von ›einigen seiner Freunde‹ die Rede; hoffentlich habe ich damit nicht zuviel gesagt?«

»Durchaus nicht, Sir; meine Absichten werden von mehr als einem gebilligt«, entgegnete ich. »Und Euer Brief, für den ich Euch von ganzem Herzen danke, besagt alles, was ich mir nur wünschen kann.«

»Ich habe hineingepreßt, was mir nur irgend möglich war,« erklärte er, »und soweit ich über die Angelegenheit, in die Ihr Euch mischen sollt, unterrichtet bin, kann ich nur Gott bitten, daß es genügen möge.«

Viertes Kapitel


Der Lord Staatsanwalt Prestongrange

Mein Verwandter hielt mich noch zum Mittagessen fest, »um der Ehre des Hauses willen«, behauptete er; und ich glaube, ich legte den Rückweg um so rascher zurück. Ich hatte nur den einen Gedanken, auch den nächsten Schritt zu vollenden und mir damit jeden Rückzug abzuschneiden. Für einen Menschen in meiner Lage hatte eine derartige Geste, die der Unentschlossenheit und der Versuchung scheinbar einen Riegel vorschob, an sich schon etwas ungemein Verlockendes; um so enttäuschter war ich, als ich Prestongranges Haus erreichte und die Auskunft erhielt, daß er ausgegangen sei. Dies traf, glaube ich, für den Anfang und für die darauffolgenden paar Stunden auch zu; später war ich jedoch überzeugt, daß er nach Hause gekommen war und in einem der benachbarten Zimmer mit seinen Freunden tafelte, während man meine Anwesenheit wahrscheinlich ganz vergessen hatte. Wohl ein dutzendmal war ich nahe daran, wieder wegzugehen, und ich hätte es auch getan, wäre nicht das starke Verlangen gewesen, auf der Stelle meine Erklärung abzugeben, um mich dann mit reinem Gewissen schlafen legen zu können. Anfänglich beschäftigte ich mich mit Lesen, denn das kleine Arbeitszimmer, in dem man mich warten ließ, enthielt eine Menge Bücher. Aber ich fürchte, ich zog nur wenig Nutzen aus meiner Lektüre, und da die Dämmerung infolge des trüben Wetters früher als gewöhnlich einsetzte und mein Zimmer nur von einem einzigen kleinen Fenster erhellt wurde, war ich schließlich gezwungen, auch diesen Zeitvertreib (sofern es wirklich einer war) aufzugeben und den Rest der Zeit in überaus quälendem Nichtstun zu verbringen. Nur das Stimmengewirr im Nebenzimmer und die einschmeichelnden Töne eines Spinetts sowie einmal ein Lied, von einer Dame gesungen, leisteten mir gleichsam Gesellschaft.

Ich weiß nicht, wieviel Uhr es war; aber es war lange schon dunkel geworden, als die Tür zum Arbeitszimmer aufging und ich auf der Schwelle im Licht des Nebenraumes die hohe Gestalt eines Mannes erblickte. Ich erhob mich sogleich.

»Ist jemand hier?« fragte er. »Wer ist dort?«

»Ich bin der Überbringer eines Schreibens von dem Herrn von Pilrig an den Lord Staatsanwalt«, antwortete ich.

»Seid Ihr schon lange hier?« erkundigte er sich.

»Ich möchte nicht erraten, wieviele Stunden«, erwiderte ich.

»Das ist das erste, was ich davon höre«, meinte er mit einem leisen Lachen. »Die Burschen müssen Euch vergessen haben. Aber Ihr seid nun endlich am Ziel, denn ich bin Prestongrange.«

Mit diesen Worten schritt er an mir vorüber in das benachbarte Zimmer, wohin ich ihm auf seinen Wink folgte, und wo er eine Kerze anzündete und auf einen Schreibtisch stellte. Es war ein langgestreckter Raum von ansehnlichem Ausmaß, an den Wänden ganz mit Büchern bedeckt. Der schwache Lichtstrahl in der einen Ecke fiel auf die stattliche Gestalt und auf das energische Gesicht des Mannes. Es war gerötet, seine Augen tränten und funkelten hell, und ich bemerkte, daß er einigemal unsicher hin und her schwankte, ehe er sich setzte. Ohne Zweifel hatte er reichlich getrunken, aber er war vollkommen Herr seines Verstandes und seiner Zunge.

»Nun, Sir, nehmt Platz«, sagte er, »und laßt sehen, was Pilrig schreibt.«

Er durchflog den Brief anfänglich nur ganz oberflächlich, indem er bei meinem Namen aufblickte und mir eine Verbeugung machte; bei den letzten Worten jedoch verdoppelte er seine Aufmerksamkeit, und ich bin sicher, daß er sie zweimal las. Ihr könnt Euch denken, wie mir während dieser Zeit das Herz klopfte, denn jetzt hatte ich endgültig meinen Rubikon überschritten und mich in die Schlacht begeben.

»Ich freue mich, Euch kennenzulernen, Mr. Balfour«, sagte er, als er geendet hatte. »Darf ich Euch ein Glas Wein anbieten?«

»Mit Verlaub, Mylord, ich täte mir selbst unrecht, es anzunehmen«, entgegnete ich. »Wie Ihr aus dem Briefe erseht, bin ich in einer für mich sehr ernsten Sache hierher gekommen; und da ich Wein nicht gewöhnt bin, könnte er mir leicht zu Kopf steigen.« »Wie Ihr wollt,« meinte er, »aber ich glaube, ich werde mit Eurer Erlaubnis für mich eine Flasche kommen lassen.«

Er klingelte, und wie auf ein verabredetes Signal erschien ein Lakai mit Wein und Gläsern.

»Wollt Ihr wirklich nicht mithalten?« erkundigte sich der Staatsanwalt. »Nun denn, auf unsere nähere Bekanntschaft! Womit kann ich Euch dienen?«

»Ich sollte vielleicht mit der Mitteilung beginnen, Mylord, daß ich auf Eure dringende Einladung hier bin«, sagte ich. »Da seid Ihr mir gegenüber irgendwo im Vorteil,« versetzte er, »denn ich muß gestehen, vor heute abend habe ich meines Wissens nach nie von Euch gehört.« »Das stimmt, Mylord, der Name dürfte Euch wirklich fremd sein«, sagte ich. »Und doch ist Euch seit langem sehr viel daran gelegen, meine Bekanntschaft zu machen, und Ihr habt dergleichen öffentlich erklärt.« »Ich wollte, Ihr gäbet mir irgendeinen Anhaltspunkt«, meinte er. »Ich bin kein Hexenmeister.«

»Vielleicht wird die Mitteilung genügen,« sagte ich, »daß ich bei Euer Lordschaft, wäre ich zum Scherzen aufgelegt – was durchaus nicht der Fall ist – Anspruch auf zweihundert Pfund erheben dürfte.« »Inwiefern?« forschte er. »Insofern, als auf Einlieferung meiner Person eine Belohnung ausgesetzt ist«, lautete meine Antwort.

Er schob sein Glas ein für allemal weit von sich und setzte sich in dem Stuhl, in dem er es sich bisher bequem gemacht hatte, kerzengerade aufrecht. »Was soll das heißen?« fragte er.

»Ein großer, kräftiger Bursche von etwa achtzehn Jahren«, zitierte ich, »spricht wie ein Tiefländer und trägt keinen Bart.« »Ich kenne diese Worte,« sagte er, »und sie können Euch, falls Ihr in der unangebrachten Absicht, Euch einen Scherz zu erlauben, hierhergekommen seid, teuer zu stehen kommen.« »Mein Wollen in dieser Angelegenheit«, entgegnete ich, »ist genau so ernst wie das Leben oder der Tod. Ihr habt mich restlos verstanden. Ich bin der Bursche, der mit Glenure sprach, als er erschossen wurde.«

»Ich kann nur annehmen (da Ihr hier steht), daß Ihr unschuldig zu sein behauptet«, sagte er.

»Die Folgerung liegt auf der Hand«, erwiderte ich. »Ich bin ein sehr guter Untertan König Georgs; doch wenn ich mir irgend etwas vorzuwerfen hätte, ich besäße mehr Vernunft, als mich in die Höhle des Löwen zu begeben.« »Das freut mich, Mr. Balfour«, sagte er. »Dies abscheuliche Verbrechen ist von einer Art, die jede Milde ausschließt. Blut ist auf barbarische Weise vergossen worden. Es ist vergossen worden in direkter Auflehnung gegen Seine Majestät und gegen unseren ganzen Gesetzeskodex, und zwar von denen, die als seine offenen Widersacher bekannt sind. Ich nehme diesen Fall sehr ernst. Ich will nicht leugnen, daß ich dies Verbrechen als direkt persönlich gegen Seine Majestät gerichtet ansehe.« »Und zum Unglück auch gegen eine andere hochgestellte Persönlichkeit, die vielleicht ungenannt bleiben möchte«, fügte ich ein wenig trocken hinzu.

»Wenn Ihr mit Euren Worten irgend etwas sagen wollt, so muß ich Euch erklären, daß ich sie im Munde eines getreuen Untertanen höchst unziemlich finde; und wären sie in der Öffentlichkeit gesprochen, ich würde es als meine Pflicht erachten, davon Notiz zu nehmen«, sagte er. »Ihr scheint mir den Ernst Eurer Lage nicht ganz begriffen zu haben, oder Ihr würdet Euch hüten, sie durch Reden zu verschlimmern, die die Reinheit der Justiz anzweifeln. Die Justiz macht in diesem Lande und in meinen geringen Händen vor keiner Person halt.«

»Ihr mißt meiner Rede eine zu persönliche Bedeutung bei, Mylord«, entgegnete ich. »Ich wiederhole nur, was im ganzen Lande Gemeingut ist, und was ich während meiner Reise überall von Leuten jeder politischen Richtung habe sagen hören.«

»Wenn Ihr älter und verständiger geworden seid, werdet Ihr begreifen, daß man derartiges Gerede nicht beachtet, geschweige denn wiederholt«, erklärte der Staatsanwalt. »Doch ich spreche Euch von jeder bösen Absicht frei. Jener Edelmann, den wir alle ehren, und der durch diese letzte Barbarei empfindlich getroffen worden ist, steht allzu hoch, als daß derartige Insinuationen ihn zu beleidigen vermöchten. Der Herzog von Argyle – Ihr seht, daß ich ganz offen mit Euch rede – nimmt sich die Angelegenheit zu Herzen, wie auch ich das tue, und wie wir beide es durch unsere juristischen Funktionen im Dienste Seiner Majestät zu tun verpflichtet sind. Ich wünschte nur, alle Hände wären in dieser argen Zeit so rein von Familienranküne. Jedoch der Zufall, daß wieder einmal ein Campbell das Opfer seiner Pflicht geworden ist – und wer, wenn nicht die Campbells, haben sich von jeher in die vordersten Reihen gestellt, wenn es galt, diesen Pfad zu beschreiten – das darf ich, der ich kein Campbell bin, getrost behaupten – – jener Zufall, wie gesagt, und die Tatsache, daß das Oberhaupt dieses großen Hauses gleichzeitig (zu unser aller Vorteil) auch das gegenwärtige Oberhaupt des Justizkollegiums ist, haben kleine Geister und mißvergnügte Zungen in jedem Wirtshaus des Landes in Aufruhr versetzt; und ich sehe einen jungen Gentleman wie Mr. Balfour so schlecht beraten, sich zu deren Echo zu erniedrigen.« Bisher hatte er mit stark rednerischer Pose wie vor versammeltem Gerichtshof gesprochen, jetzt aber fiel er wieder in die Art eines Gentleman. »Das für Euch privat«, meinte er. »Jetzt muß ich nur noch wissen, was ich mit Euch eigentlich anfangen soll.«

»Ich hatte gedacht, das würde ich von Eurer Lordschaft erfahren«, erwiderte ich. »Schon gut«, erklärte der Lord Staatsanwalt. »Doch seht, Ihr seid mit guten Empfehlungsschreiben zu mir gekommen, und es steht ein guter, ehrlicher Whigname unter diesem Brief«, fuhr er fort, ihn einen Augenblick vom Tische nehmend. »Und – außergerichtlich, Mr. Balfour – es gibt immer die Möglichkeit zu irgendeinem Ausgleich. Ich mache Euch darauf aufmerksam, und zwar gleich von vorneherein, damit Ihr auf Eurer Hut seid: Euer Schicksal ruht einzig und allein in meinen Händen. In dergleichen Dingen bin ich (mit aller Ehrfurcht zu vermelden ) mächtiger als Seine Majestät der König; und wenn Ihr mir im Verlaufe unserer Auseinandersetzung gefallt – – und selbstverständlich auch mein Gewissen beruhigt – – so kann, was jetzt noch zwischen uns vorgeht, unter uns bleiben.«

»Wie meint Ihr das?« erkundigte ich mich.

»Ich meine, Mr. Balfour,« entgegnete er, »keine Seele braucht auch nur von Eurem Besuch in meinem Hause zu erfahren, wenn Ihr mir eine befriedigende Erklärung gebt. Ihr seht, ich rufe nicht einmal meinen Schreiber herein.« Ich merkte, worauf er hinaus wollte. »Ich vermute, es ist wirklich überflüssig, daß irgend jemand von meinem Besuche erfährt,« sagte ich, »obwohl ich nicht sehe, was mir das nützen soll. Ich schäme mich durchaus nicht, hierhergekommen zu sein.«

»Und habt auch gar keine Ursache dazu«, meinte er in aufmunterndem Tone. »Ebenso wie Ihr die Folgen (wenn Ihr besonnen seid) nicht zu befürchten braucht.« »Mylord,« sagte ich, »ich bin, mit Eurer gütigen Erlaubnis, nicht so leicht ins Bockshorn zu jagen.« »Das ist auch gewiß nicht meine Absicht«, erwiderte er. »Doch nun zu dem Verhör; und ich warne Euch noch einmal, antwortet nur auf das, was ich Euch fragen werde, ohne von Euch aus etwas hinzuzufügen. Das kann für Eure Sicherheit von größter Bedeutung sein; ich bin ganz außerordentlich diskret, aber alles hat seine Grenzen.« »Ich werde versuchen, Eurer Lordschaft Rat zu befolgen«, antwortete ich.

Er breitete ein Stück Papier auf dem Tische aus schrieb die Überschrift. »Es scheint, daß Ihr im Walde von Lettermore zugegen waret und am Wegrande standet, als der tödliche Schuß abgegeben wurde«, begann er. »War das ein Zufall?«

»Ein Zufall«, entgegnete ich. »Wie kam es, daß Ihr mit Colin Campbell spracht?« forschte er. »Ich erkundigte mich bei ihm nach dem Wege nach Aucharn«, antwortete ich. Ich bemerkte, daß er diese Entgegnung nicht niederschrieb. »Hm, wahr,« meinte er, »das hatte ich vergessen. Und soll ich Euch raten, Mr. Balfour? Ich würde an Eurer Stelle so wenig wie möglich bei Euren Beziehungen zu diesen Stuarts verweilen. Das könnte unser Geschäft bedeutend erschweren. Ich bin einstweilen nicht geneigt, diese Dinge als wesentlich zu betrachten.« »Ich dachte, Mylord, in einem solchen Falle wären alle Einzelheiten gleich wesentlich«, bemerkte ich. »Ihr vergeßt, wir haben es mit diesen Stuarts zu tun«, erwiderte er mit vielsagender Betonung. »Sollte es je dazu kommen, daß wir auch Euch vor die Schranken stellen, so ändert das die Lage ganz und gar, und ich werde alsdann die nämlichen Fragen, über die ich jetzt bereit bin, hinwegzugleiten, mit besonderer Schärfe verfolgen. Doch zur Sache: hier in Mr. Mungos Aussage steht, Ihr wäret sofort den Hügel hinaufgelaufen. Wie kam das?«

»Nicht unmittelbar darauf, Mylord, und die Ursache war, daß ich den Mörder erblickte.«

»Ihr saht ihn also?« »So deutlich wie ich Eure Lordschaft hier vor mir sehe, wenn auch nicht ganz so nah.«

»Würdet Ihr ihn wiedererkennen?«

»Das würde ich.« »Ihr waret bei Eurer Verfolgung also nicht so glücklich, ihn einzuholen?«

»Nein.« »War er allein?«

»Er war allein.« »Es war also niemand anders in der Nähe?«

»Alan Breck Stuart befand sich nicht weit davon entfernt im Walde.« Der Staatsanwalt legte sein Feder weg. »Ich glaube, wir reden hier aneinander vorbei,« sagte er, »und der Spaß dürfte Euch teuer zu stehen kommen.« »Ich bin zufrieden, Eurer Lordschaft Rat zu befolgen,« entgegnete ich, »und antworte lediglich auf das, was man mich fragt.« »Dann seid so klug, Euch rechtzeitig zu besinnen,« antwortete er; »ich behandle Euch mit denkbar größter Schonung, die Ihr indes kaum zu würdigen scheint, und die (wenn Ihr nicht vorsichtiger seid) vergeblich sein könnte.« »Im Gegenteil, ich weiß Eure Nachsicht vollauf zu schätzen, halte sie jedoch für falsch«, entgegnete ich, und fast wollte die Stimme mir versagen; denn ich erkannte, daß jetzt endlich der Kampf zwischen uns begonnen hatte. »Ich stehe hier, um gewisse Aussagen zu machen, kraft derer ich Euch überzeugen will, daß Alan an dem Morde Glenures keinen Anteil hatte.« Der Staatsanwalt schien einen Augenblick fassungslos. Da saß er, die Lippen aufgeworfen, und blinzelte mich an wie eine zornige Katze. »Mr. Balfour,« meinte er schließlich, »ich sage es Euch rund heraus: Euer Verhalten läuft Euren Interessen stracks zuwider.« »Mylord«, entgegnete ich, »ich bin von dem Vorwurf, in dieser Sache meine eigenen Interessen berücksichtigen zu wollen, so frei wie Eure Lordschaft selbst. So wahr Gott mich sieht, verfolge ich nur den einen Zweck, der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen und Unschuldige von Verdacht zu reinigen. Wenn ich mir dabei Eurer Lordschaft Ungnade zuziehe, muß ich das ertragen, so gut ich kann.«

Nach diesen Worten erhob er sich von seinem Sessel, zündete eine zweite Kerze an und blickte mir eine Weile fest ins Gesicht. Zu meiner Überraschung war eine große Veränderung mit ihm vorgegangen; er sah sehr ernst und, wenn ich mich nicht irre, fast ein wenig bleich aus. »Ihr seid entweder höchst einfältig oder das gerade Gegenteil, und ich sehe, ich muß vertraulicher mit Euch reden«, sagte er schließlich. »Das hier ist ein politischer Fall, – ja, ja, ein politischer Fall, Mr. Balfour! – ob wir es nun wollen oder nicht – und ich zittere, wenn ich seine möglichen Folgen bedenke. An einen politischen Fall gehen wir – das brauche ich einem jungen Manne von Eurer Bildung wohl kaum erst zu sagen – mit ganz anderen Gedanken heran als an einen rein kriminellen. Salus populi suprema lex, das ist ein Maxim, das wir sonst nur in den Gesetzen der Natur wiederfinden: ich meine, es besitzt die Kraft der Notwendigkeit. Ich will Euch das, mit Verlaub, näher erklären. Ihr wollt mir weismachen – « »Verzeihung, Mylord, ich will Euch nur glauben machen, was ich beweisen kann«, unterbrach ich ihn. »Pah, pah, junger Herr!« lautete seine Antwort, »seid nicht gar so pragmatisch und erlaubt einem Manne, der Euer Vater (wenn nicht Euer Großvater) sein könnte, seine eigene, unvollkommene Redeweise zu gebrauchen und seine eigene bescheidene Meinung zu sagen, selbst wenn sie das Unglück hat, mit Mr. Balfours nicht übereinzustimmen. Ihr wollt mir einreden, daß Alan Breck unschuldig ist. Ich würde das, an sich, für unwichtig halten, zumal wir des Mannes nicht habhaft werden können. Doch die Frage nach Brecks Unschuld ist von weittragenderer Bedeutung. Würden wir seine Unschuld zugestehen, so wäre damit zugleich unsere ganze Anklage gegen einen zweiten und ganz andersartigen Verbrecher hinfällig geworden, gegen einen Mann, der alt und grau geworden ist in Hochverrat, der bereits zweimal die Waffen gegen seinen König ergriffen hat und zweimal begnadigt worden ist, gegen einen Volksaufwiegler und gegen den eigentlichen Anstifter der Tat (ganz gleich, wer den Schuß abfeuerte). Ich brauche Euch nicht erst zu sagen, daß ich James Stuart meine.«

»Und ich kann nur genau so offen erklären, daß Alans und James‘ Unschuld der Grund ist, weswegen ich privatim vor Eurer Lordschaft stehe, und daß ich, wenn nötig, bereit bin, sie in der öffentlichen Verhandlung durch meine Zeugenaussage zu beweisen.« »Worauf ich nur mit der gleichen Offenheit antworten kann, Mr. Balfour,« entgegnete er, »daß ich Euch (in diesem Falle) nicht als Zeuge aufrufen werde und Euch hiermit ersuche, Eure Auslagen in toto für Euch zu behalten.« »Ihr seid ein Oberhaupt der Justiz dieses Landes,« rief ich, »und Ihr schlagt mir ein derartiges Verbrechen vor?« »Ich bin ein Mann, der mit beiden Händen die Interessen dieses Landes pflegt,« erwiderte er, »und überrede Euch lediglich zu einer politischen Notwendigkeit. Vaterlandsliebe ist nicht durchwegs moralisch im formalen Sinne. Ihr solltet Euch eigentlich darüber freuen; die Indizien sprechen stark gegen Euch, und wenn ich mich noch immer bemühe, Euch von einem überaus gefährlichen Schritt zurückzuhalten, so geschieht das teils Eurer Ehrlichkeit wegen, hierherzukommen, für die ich nicht unempfänglich bin, und teils wegen Pilrigs Brief; in der Hauptsache aber, weil ich in dieser Sache an erster Stelle meine politische Pflicht und erst an zweiter Stelle meine Pflicht als Justizbeamter berücksichtige. Aus dem nämlichen Grunde – ich wiederhole es mit denselben ungeschminkten Worten – will ich Eure Aussagen nicht.« »Ich möchte nicht als fürwitzig erscheinen, wenn ich lediglich unsere beiderseitige Position kennzeichne«, entgegnete ich. »Aber ob auch Eure Lordschaft Aussage nicht brauchen können, glaube ich doch, daß die andere Partei sich sehr darüber freuen würde.« Prestongrange erhob sich und begann, im Zimmer auf und ab zu schreiten. »Ihr seid nicht so jung, daß Ihr Euch nicht genau des Jahres ’45 erinnern könntet und des Schreckens, der damals im ganzen Lande herrschte. Aus Pilrigs Brief ersehe ich, Eure kirchlichen und politischen Anschauungen sind gesund. Wer hat sie in jenem verhängnisvollen Jahr gerettet? Ich denke dabei nicht an Seine Königliche Hoheit und an seine Ladestöcke, obzwar sie seinerzeit sehr nützlich waren. Das Land wurde gerettet und die Schlacht gewonnen, bevor noch Cumberland nach Drummossie kam. Wer hat es gerettet? Ich frage Euch noch einmal. Wer hat die protestantische Religion und den gesamten Bau unserer bürgerlichen Institutionen gerettet? An erster Stelle der verstorbene Lord Präsident Culloden; er handelte wie ein Mann, und der Dank, den er dafür erntete, war gering, so wie ich, den Ihr hier vor Euch seht, jeden Nerv im Dienste der Sache anspanne und keinen anderen Lohn erwarte als das Bewußtsein, meine Pflicht getan zu haben. Und wer an zweiter Stelle? Ihr kennt die Antwort so gut wie ich; teils haben sie einen Skandal daraus gemacht, auf den Ihr vorhin selbst anspieltet und dessentwegen ich Euch tadelte, am Anfange, als Ihr zu mir kamt. Es war der Herzog und der große Clan Campbell. Und jetzt ist ein Campbell heimtückisch ermordet worden, und obendrein noch im Dienste des Königs. Der Herzog und ich sind beide Hochländer. Aber wir sind zivilisierte Hochländer, und auf die große Masse unserer Clans und Familien trifft das nicht zu. Sie haben noch ihre barbarischen Tugenden und Fehler. Sie sind Wilde geblieben, wie diese Stuarts, mit dem einzigen Unterschied, daß die Campbells auf der richtigen Seite, die Stuarts aber auf der falschen stehen. Nun urteilt selbst. Die Campbells rechnen mit ihrer Rache. Bekommen sie sie nicht – geht dieser Mann James frei aus – dann gibt es Unruhen unter den Campbells. Und das bedeutet Aufruhr in den Hochlanden, die immer unruhig und durchaus nicht entwaffnet sind: die Entwaffnung ist eine Posse –« »Darin muß ich Euch recht geben«, bestätigte ich. »Aufruhr in den Hochlanden jedoch verschafft unseren wachsamen, alten Feinden die Gelegenheit, derer sie harren«, fuhr Seine Lordschaft fort, im Auf- und Abgehen jeden Satz mit dem Finger unterstreichend, »und ich gebe Euch mein Wort, daß wir ein zweites ’45 erleben werden, aber mit den Campbells auf der anderen Seite. Um das Leben dieses James Stuart zu retten – ein Leben, das er ein halbes dutzend Mal in anderen Dingen, wenn nicht in diesem verwirkt hat –, wollt Ihr Euer Vaterland in einen Krieg hineinhetzen, den Glauben Eurer Väter in Gefahr bringen und das Leben und Vermögen vieler tausend Unschuldiger aufs Spiel setzen? – Das sind Bedenken, die bei mir und, wie ich hoffe, auch bei Euch, der Ihr Euer Land, eine tüchtige Regierung und die Wahrheiten der Religion liebt, schwer in die Wagschale fallen, Mr. Balfour.« »Ihr sprecht sehr offen mit mir, und ich danke Euch dafür«, sagte ich. »Ich will versuchen, nun meinerseits nicht weniger aufrichtig zu sein. Ich halte Eure Politik für vernünftig. Ich glaube gern, daß diese hohen Pflichten Eurer Lordschaft auferlegt sind; ich glaube, daß Ihr sie mit Eurem Amtseid Eurem Gewissen auferlegt habt. Doch mir, der ich ein einfacher Mann – oder kaum erst ein Mann bin – müssen die einfachen Pflichten genügen. Ich kann nur zwei Dinge bedenken: die arme Seele, die sich in unmittelbarer Gefahr eines schändlichen und ungerechten Todes befindet, und die Tränen und Klagen seiner Frau, die mir noch immer in den Ohren klingen. Weiter vermag ich nicht zu sehen, Mylord. Ich bin wohl nun einmal so beschaffen. Soll das Land untergehen, so muß es untergehen. Und möge Gott mich erleuchten, wenn dies vorsätzliche Blindheit ist.« Er hatte mich regungslos angehört und stand noch eine Weile, ohne sich zu rühren. »Das ist ein unerwartetes Hindernis«, sagte er laut, aber zu sich selber. »Und was wollen Euer Lordschaft mit mir anfangen?« fragte ich. »Ihr wißt doch, ich könnte Euch, wenn ich es wollte, heute nacht im Gefängnis schlafen lassen.« »Mylord,« entgegnete ich, »ich habe schon an schlimmeren Orten genächtigt.« »Nun, mein Junge,« sagte er, »das eine geht klar aus unserer Unterredung hervor: ich kann mich auf Euer Wort verlassen. Gebt mir Euer Ehrenwort, daß Ihr sowohl über das, was heute nacht hier vorgegangen ist, wie auch über den ganzen Appiner Mord schweigen werdet, und ich lasse Euch die Freiheit.« »Ich will es Euch bis morgen oder bis zu irgendeinem anderen nahen Tag versprechen«, entgegnete ich. »Ich möchte nicht als zu schlau erscheinen, aber würde ich mein Wort ohne jede Einschränkung geben, dann hätten Euer Lordschaft ja den Zweck erreicht.« »Ich hatte nicht die Absicht, Euch eine Falle zu stellen«, versetzte er. »Davon bin ich überzeugt.« »Laßt sehen«, fuhr er fort. »Morgen ist Sonntag. Kommt Montag früh um acht Uhr wieder und gebt mir bis dahin Euer Wort.« »Von Herzen gern, Mylord,« erwiderte ich, »und was Eure Äußerung zu mir betrifft, so will ich versprechen, zu schweigen, solange es Gott gefallen mag, Euch am Leben zu erhalten.« »Ihr werdet bemerkt haben,« meinte er alsdann, »daß ich keinerlei Drohungen gebraucht habe.« »Wie es von Eurer Lordschaft Edelmut zu erwarten war«, sagte ich. »Und doch bin ich nicht ganz so dumm, als daß ich die Natur der Drohungen, die unausgesprochen blieben, nicht erkannt hätte.«

»Nun,« sagte er, »ich wünsche Euch gute Nacht. Schlaft wohl, das ist mehr, als ich wahrscheinlich tun werde.« Dann griff er seufzend nach der Kerze und geleitete mich zur Haustür.

Fünftes Kapitel


Im Hause des Staatsanwalts

Am nächsten Tage, Sonntag, den 27. August, hatte ich die langerhoffte Gelegenheit, einige der Edinburger Prediger zu hören, die ich aus den Reden Mr. Campbells schon so gut kannte. Umsonst: ebenso gut hätte ich in Essendean zu Füßen des würdigen Mr. Campbell selbst sitzen können! Der Aufruhr meiner Gedanken, die ständig bei der Unterredung mit Prestongrange weilten, hinderte mich an jeglichem Zuhören. Die Logik der geistlichen Herren machte in Wahrheit weit geringeren Eindruck auf mich als das Schauspiel der gedrängt vollen Kirchen, das meiner Meinung nach weit eher einer Theatervorstellung oder (meiner damaligen Stimmung entsprechend) der Sitzung eines Affisengerichts glich. Vor allem war das in der Westkirche der Fall, wohin ich mich in der vergeblichen Hoffnung, Miß Drummond zu treffen, begeben hatte. Am Montag besuchte ich zum erstenmal einen Barbierladen und verließ ihn, äußerst befriedigt von dem Resultat. Von dort ging ich zum Staatsanwalt, wo vor der Tür wieder die Rotröcke harrten: der einzige leuchtende Fleck in dem düsteren Hofe. Ich spähte nach der jungen Dame und ihren Leuten aus: nirgends eine Spur von ihnen. Kaum jedoch hatte man mich in das Arbeitskabinett oder Wartezimmer geführt, in dem ich am Samstag so quälende Stunden verbracht hatte, als ich in einer Ecke die hohe Gestalt James Mores erblickte. Er schien von peinlichster Unruhe ergriffen; seine Hände und Füße zuckten und seine Augen schweiften unstet hier und dort an den Wänden des kleinen Raumes umher, was mir mit einem Gefühl des Mitleids seine elende Lage zu Bewußtsein brachte. Wahrscheinlich geschah es teils deswegen, teils seiner Tochter zuliebe, daß ich mich überwand, ihn anzureden. »Schön guten Morgen, Sir«, begann ich.

»Guten Morgen«, antwortete er.

»Ihr habt eine Verabredung mit Prestongrange?« fuhr ich fort. »In der Tat, Sir, und ich hoffe zu Gott, daß Eure Geschäfte mit diesem Herrn angenehmer sein mögen als die meinigen«, lautete seine Entgegnung. »Hoffentlich dauern die Eurigen wenigstens nicht gar zu lange,« sagte ich, »ich vermute, Ihr habt den Vortritt.« »Alle anderen haben mir gegenüber den Vortritt«, erwiderte er achselzuckend und mit einer hilflosen Gebärde. »Es war nicht immer so, Sir, aber die Zeiten ändern sich. So war es nicht, als das Schwert noch etwas galt, junger Herr, und die Tugenden des Soldaten gewürdigt wurden.« Der Mann hatte eine weinerlich verlogene Hochländerart, die mir einen seltsamen Ekel verursachte.

»Nun, Mr. McGregor,« sagte ich »soviel ich weiß, ist Schweigen das erste Gebot des Soldaten und Standhaftigkeit die vornehmste seiner Tugenden.« »Ihr kennt, wie ich sehe meinen Namen,« – er verbeugte sich vor mir, die Arme über der Brust gekreuzt – »obwohl ich selbst ihn nicht führen darf. Das nenn ich mir Berühmtheit – nun, ich habe meinen Namen vor meinen Feinden allzuoft gebraucht und ihnen zu oft ins Antlitz geschaut; da darf man sich nicht wundern, wenn Name wie Aussehen vielen bekannt sind, die ich nicht kenne.« »Die Ihr nicht im geringsten kennt, Sir,« entgegnete ich, »und die bis heute auch niemand kennen dürfte. Doch wenn Ihr meinen Namen zu erfahren wünscht – ich heiße Balfour.« »Ein guter Name«, war die höfliche Antwort; »viele anständige Leute führen ihn. Nun ich mich erinnere, war da im Jahre ’45 ein Namensvetter von Euch in meinem Bataillon, ein Armeechirurgus.« »Das wird wohl ein Bruder Balfours von Baith sein«, erwiderte ich, denn auf den Chirurgus war ich mittlerweile vorbereitet. »Der nämliche, Sir«, sagte James More. »Und da ich Eures Verwandten Waffenbruder war, müßt Ihr schon erlauben, daß ich Euch die Hand drücke.« Er schüttelte mir lange und fast liebevoll die Hand, wobei er mit strahlendem Wohlwollen auf mich herabblickte, wie auf einen lang vermißten Bruder. »Ah!« sagte er, »die Zeiten haben sich geändert, seit Euer Vetter und ich die Kugeln um unsere Ohren pfeifen hörten.« »Ich glaube, er war nur ein Vetter zehnten Grades,« erwiderte ich trocken, »und muß Euch noch sagen, daß ich ihn mein Lebtag nicht zu Gesicht bekommen habe.» »Wirklich?« fragte er. »Aber das ändert gar nichts. Und Ihr selbst – ich glaube kaum, daß Ihr selbst im Felde standet, Sir, jedenfalls erinnere ich mich nicht deutlich Eures Gesichts, das man doch so leicht nicht vergißt.« »In dem Jahre, von dem Ihr redet, Mr. McGregor, erhielt ich noch in der Gemeindeschule meine Prügel«, erwiderte ich. »So jung!« rief er. »Ah, dann werdet Ihr niemals ermessen können, was dieses Zusammentreffen für mich bedeutet. Hier in der Stunde meiner Bedrängnis, im Hause meines Feindes, begegne ich dem Blutsverwandten eines alten Kameraden – es macht mir Mut, wie das Schrillen der Sackpfeifen. Ein trauriger Rückblick, Sir, der sich für manchen von uns auftut, und den gar mancher nur durch Tränen sieht! Ich habe in meinem eigenen Lande wie ein König gelebt; mein Schwert, meine Berge und die Treue meiner Freunde waren mir alles. Und jetzt liege ich in einem stinkenden Gefängnis; und wißt Ihr, Mr. Balfour,« fuhr er, meinen Arm ergreifend und mit mir im Zimmer auf und ab gehend fort, »wißt Ihr, daß es mir manchmal sogar am Allernotwendigsten fehlt? Die Bosheit meiner Feinde hat mein Vermögen beschlagnahmt. Ich bin, wie Ihr wißt, eines erdichteten Verbrechens angeklagt und bin so unschuldig wie Ihr selbst. Sie wagen es nicht, mich vor Gericht zu stellen, und inzwischen leide ich im Gefängnis die ärgsten Entbehrungen. Ich wünschte, ich wäre Eurem Vetter oder seinem Bruder Baith begegnet. Beide wären, wie ich weiß, froh, mir helfen zu können, während ein relativ Fremder wie Ihr – –«

Ich schäme mich, all das erbärmliche Geschwätz, das er mir jetzt in die Ohren goß, und meine kurzen, sehr widerwilligen Antworten zu wiederholen. Mitunter fühlte ich mich stark versucht, ihm mit ein paar Kupfermünzen das Maul zu stopfen; allein, ob nun aus Scham oder Stolz – ob um Catrionas oder meiner selbst willen – ob es geschah, weil ich ihn nicht für würdig hielt, eine solche Tochter zu besitzen, oder weil ich die handgreifliche Unehrlichkeit, die allseits dem Manne anhaftete, nicht vertragen konnte: ich brachte es einfach nicht fertig. Und so redete und schwatzte er immer noch auf mich ein und strich mir Honig ums Maul und führte mich am Arme in jenem winzigen Räume auf und ab – immer drei Schritt in der einen und drei in der anderen Richtung – und schon hatten meine kurzen Absagen begonnen, meinen Schnorrer heftig zu erzürnen, obwohl sie ihn durchaus nicht entmutigten, als Prestongrange auf der Türschwelle erschien und mich eifrig in sein großes Studierzimmer nötigte.

»Ich bin noch einen kurzen Augenblick beschäftigt«, sagte er, »und möchte Euch, damit Ihr Euch nicht langweilt, meinen drei hübschen Töchtern vorstellen, von denen Ihr vielleicht schon gehört haben werdet, denn sie sind, glaube ich, berühmter als ihr Papa. Hierher bitte!« Er ging voran nach einem zweiten, langgestreckten Zimmer im ersten Stock, wo eine verknöcherte, alte Dame an einem Stickrahmen saß und die drei (wie ich glaube) schönsten Mädchen in Schottland zusammen am Fenster standen.

»Mein neuer Freund, Mr. Balfour«, sagte er, mich vorstellend. »David, das hier ist meine Schwester, Miß Grant, die so gütig ist, mir die Wirtschaft zu führen, und die sich sehr freuen wird, Euch behilflich zu sein. Und hier,« fuhr er fort, sich an die drei jungen Damen wendend, »hier sind meine ›drei schönen Töchter‹ Eine Frage in Ehren, Mr. David: welche ist die hübscheste? Ich wette, er hat nicht die Unverschämtheit, mir mit des ehrlichen Alan Ramsays Antwort zu kommen!« Hierauf begannen alle drei wie auch die alte Miß Grant ihn des Scherzes wegen auszuschelten, der (da ich die Verse, auf die er anspielte, gut kannte) mich über und über erröten machte. Das Zitat schien mir in dem Munde eines Vaters ganz unverzeihlich, und ich war außerordentlich erstaunt, daß diese Damen darüber lachen konnten, noch während sie es tadelten oder zu tadeln vorgaben. Unter allgemeiner Heiterkeit vollzog Prestongrange seinen Rückzug und ließ mich wie einen Fisch auf dem Trockenen in dieser für mich sehr unpassenden Gesellschaft zurück. Wenn ich in späteren Zeiten auf das Folgende zurückblickte, konnte ich niemals leugnen, daß ich mich ungemein linkisch benahm, und die Damen waren sehr wohlerzogen, so lange Geduld mit mir zu haben. Zwar widmete die Tante ihre ganze Aufmerksamkeit der Stickerei und blickte nur gelegentlich lächelnd auf; aber die Fräulein, besonders die älteste, die zugleich die hübscheste war, erwiesen mir wohl ein Dutzend Aufmerksamkeiten, die ich nur sehr schlecht zu erwidern vermochte. Vergeblich hielt ich mir vor, ich sei doch ein junger Bursch von einigem Wert und gutem Vermögen, und ich hätte es nicht nötig, mich durch diese Mädchen einschüchtern zu lassen, von denen die älteste kaum älter als ich war, und alle sicherlich weniger Bildung besaßen. Vernunft vermochte nichts an der Sache zu ändern, und zuzeiten trieb mir das Bewußtsein, daß ich mich am nämlichen Tage zum erstenmal hatte rasieren lassen, das Blut ins Gesicht.

Da das Gespräch unter diesen Umständen trotz aller Bemühungen nicht recht in Gang kommen wollte, nahm die Älteste sich endlich meiner Unbeholfenheit an und setzte sich an ihr Instrument, auf dem sie eine vollendete Meisterin war, um mir eine Weile sowohl in schottischer wie italienischer Manier vorzuspielen und zu -singen. Das nahm mir ein wenig meine Schüchternheit, und in Erinnerung an Alans Lied, das er mich in einer Höhle in der Nähe von Carriden gelehrt hatte, war ich so kühn, ein paar Takte zu pfeifen und sie zu fragen, ob sie es kenne. Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie einen Ton davon gehört«, entgegnete sie. »Pfeift es mir einmal ganz vor. Und jetzt noch einmal«, fügte sie hinzu, als ich geendet hatte. Dann suchte sie die Melodie auf dem Spinett zusammen und begleitete sie (zu meiner Überraschung) gleich danach mit wohlklingenden Akkorden, während sie mit höchst drolligem Ausdruck im breitesten Dialekt sang:

»Sitzt mir die Weise itzt gut im Ohr?
Klingt so nicht das Lied, das Ihr pfiffet?«

»Wie Ihr seht, kann ich auch dichten, nur will es sich nicht reimen«, bemerkte sie und fuhr dann fort:

»Ich bin Barbara Grant, des Lord Staatsanwalts Tochter,
Und Ihr seid, wie mich dünket, Dauvit Balfour.«

Ich sagte ihr, daß ihr Talent mich in Erstaunen setze. »Und wie heißt die Melodie?« erkundigte sie sich. »Ich kenne ihren richtigen Namen nicht«, entgegnete ich. »Ich nenne sie einfach ›Alans Lied‹.«

Sie sah mir gerade ins Gesicht. »Ich werde sie ›Davids Lied‹ nennen,« meinte sie, »obwohl es mich nicht wundert, falls sie im geringsten den Liedern gleicht, die Euer israelitischer Namensvetter Saul vorsang, daß der König nur wenig Trost daraus schöpfte; es ist eine melancholische Musik. Der andere Name gefällt mir nicht; wenn Ihr also Eure Melodie je wieder hören wollt, müßt Ihr mich schon unter meiner Überschrift darum bitten.« Das wurde mit so vielsagender Betonung gesprochen, daß ich im Herzen erschrak. »Weshalb denn, Miß Grant?« forschte ich. »Nun,« meinte sie, »solltet Ihr je dazu kommen, gehenkt zu werden, so will ich Eure Abschiedsrede und Beichte nach dieser Melodie setzen und singen.« So erhielt ich die unzweifelhafte Gewißheit, daß sie zum Teil wenigstens von meiner Geschichte und der mir drohenden Gefahr unterrichtet war. Aber woher und in welchem Umfange, das war eine schwierigere Frage. Es war klar, sie wußte, daß mit dem Namen Alan irgendeine Gefahr verbunden war und warnte mich auf diese Weise, ihn noch weiter zu erwähnen; es war auch klar, daß sie von dem kriminellen Verdacht wußte, der auf mir ruhte. Ich vermutete ferner, daß die Brutalität ihrer letzten Rede (der sie im übrigen noch ein sehr lautes Musikstück folgen ließ) unserer gegenwärtigen Unterhaltung ein Ende machen sollte. Ich stand also da und gab vor, ihr zuzuhören und ihr Spiel zu bewundern; in Wahrheit jedoch wirbelten mir die Gedanken im Kopfe herum. Stets habe ich bei der betreffenden jungen Dame eine starke Neigung für das Geheimnisvolle gefunden, und sicher ist, daß diese erste Unterredung uns in Tiefen führte, die jedes Lotversuchs spotteten. Das eine habe ich viel später erfahren: man hatte von jenem Sonntag guten Gebrauch gemacht. Der Bankbediente war aufgespürt und mein Besuch bei Charles Stuart entdeckt worden, und man hatte daraus den Schluß gezogen, daß ich mit James und Alan ziemlich tief unter einer Decke stecke und mit dem letzteren wahrscheinlich in ständiger Verbindung stände. Daher hier am Spinett der Wink mit dem Zaunpfahl.

Mitten in diesem Musikstück rief eines der jüngeren Fräulein, das sich an einem der Fenster, die auf den Hof hinausgingen, aufgehalten hatte, ihren Schwestern zu, rasch einmal herzukommen; dort wären wieder die »Grauen Augen«. Alle sprangen eilig auf und drängten sich zusammen, um einen Blick zu erhaschen. Das Fenster befand sich an einer fernen Ecke des Zimmers, unmittelbar über der Haustür, und wurde von dem Hof flankiert.

»Kommt, Mr. Balfour,« riefen sie alle, »kommt her und seht! Ein wunderschönes Geschöpf! Die ganzen letzten Tage hält sie sich zusammen mit den zerlumpten Kerlen hier in einem Winkel des Hofes auf, und doch scheint sie eine vollkommene Dame!«

Ich hatte es nicht nötig, hinzusehen; und ich schaute auch nicht zweimal oder gar zu lange hin. Ich fürchtete, sie könnte mich dort entdecken, wie ich aus dem Musikzimmer auf sie herabblickte, während sie da unten stand und für ihren Vater drinnen im Hause, dessen Bitten ich eben erst zurückgewiesen hatte, vielleicht unter Tränen um Gnade flehte. Aber schon der eine Blick genügte, um mir eine bessere Meinung von mir selbst zu geben und meine Angst vor den Damen zu verscheuchen. Sie waren schön, das stand außer jedem Zweifel, aber Catriona war auch schön, zudem von einer Art innerlichem Feuer wie eine glühende Kohle. In dem Maße, wie die anderen mich bedrückten, steigerte sie mein Selbstvertrauen. Es fiel mir ein, daß ich mich mühelos mit ihr unterhalten hatte. Wußte ich mit diesen vornehmen Fräulein nichts anzufangen, so war das vielleicht deren eigene Schuld. In meine Verlegenheit begann sich jetzt ein wenig Humor zu mischen, der meine Stimmung etwas hob; und wenn die Tante von ihrer Stickerei aufsah und die drei Töchter mir wie einem Baby schöntaten, während auf »Papas Befehl« aus jeder ihrer Mienen zu lesen war, hätte ich mitunter selber lachen mögen.

Nach einer Weile kehrte Papa zurück, immer noch der gütige, fröhliche, liebenswürdige Mann. »Jetzt, Mädchen, muß ich Euch Mr. Balfour wieder entführen; ich hoffe aber, es ist Euch gelungen, ihn zur Rückkehr dorthin zu bewegen, wo ich ihn stets gerne sehen werde.« Also machten sie mir alle ein billiges Kompliment, und ich wurde abgeführt. War dieser Besuch im Schoße der Familie geplant, um meinen Widerstand zu beugen, so scheiterte er kläglich. Ich war kein solcher Esel, nicht zu merken, welche traurige Rolle ich gespielt hatte; und erkannte, daß die Mädchen sich zu Tode gähnen würden, sobald sie nur meinen steifen Rücken sähen. Ich fühlte genau, wie wenig ich gezeigt hatte, was an Zartem und Liebenswürdigem in mir lebte; so sehnte ich mich denn danach, beweisen zu können, daß ich zum mindesten des andern Stoffs, des Harten und Gefährlichen, nicht entbehrte. Nun, ich sollte meinen Willen haben, denn die Szene, die jetzt meiner harrte, war von ganz anderer Art.

Zwanzigstes Kapitel


Ich fahre fort, mich in guter Gesellschaft zu bewegen

Genau zwei Monate blieb ich als Gast in der Prestongrangeschen Familie, wo ich meine Bekanntschaft mit Richtern und Advokaten, ja mit der Blüte der Edinburgher Gesellschaft vervollständigte. Trotzdem darf man nicht annehmen, daß ich meine Ausbildung vernachlässigte; ich hatte im Gegenteil alle Hände voll zu tun. Vor allem studierte ich Französisch, um mich auf meinen Leydener Aufenthalt vorzubereiten; außerdem lernte ich fechten und übte mich darin fleißig, mitunter drei Stunden den Tag, so daß ich gute Fortschritte machte. Auf Vorschlag meines Vetters Pilrig, der ein tüchtiger Musiker war, nahm ich an einem Singkursus teil und auf Befehl von Miß Grant an einer Tanzstunde, der ich indes nicht zur Zierde gereichte. Alle jedoch waren so gütig, zu behaupten, daß diese Dinge mir ein wenig Schliff verliehen. Jedenfalls lernte ich, meine Rockschöße und mein Rapier mit größerer Gewandtheit schwenken und mich in einem Salon bewegen, als gehöre das Zimmer mir. Auch meine Kleidung wurde mit großem Ernst von A bis Z revidiert, und selbst die lächerlichsten Kleinigkeiten, wie zum Beispiel die Frage, wie und mit welcher Farbe Band ich meine Haare binden sollte, wurden von den drei Fräulein mit einem Ernst erörtert, der einer gewichtigen Sache wert gewesen wäre. Alles in allem veränderte ich mich äußerlich stark zu meinem Vorteil, ja ich gewann ein leicht modisches Aussehen, das die guten Leute in Essendean fraglos in Erstaunen gesetzt hätte. Die beiden jüngeren Fräulein waren außerordentlich gern bereit, Toilettenfragen mit mir zu erörtern, da ihr Denken sich vornehmlich in dieser Richtung bewegte. Sonst könnte ich kaum sagen, daß sie in irgendeiner Weise von meiner Gegenwart Notiz zu nehmen schienen. Obwohl sie stets höflich waren, ja mich mit einer Art herzloser Herzlichkeit behandelten, konnten sie doch nicht verhehlen, wie sehr ich sie langweilte. Was nun die Tante betraf, so war sie eine merkwürdig stille Frau; ich glaube, sie zollte mir ungefähr ebensoviel Aufmerksamkeit wie den übrigen Mitgliedern der Familie, und das war wenig genug. So kam es, daß ich mich vor allem dem Staatsanwalt selbst und seiner ältesten Tochter anschloß, und unsere Intimität wuchs noch dank eines Vergnügens, das wir gemeinsam genossen. Vor Zusammentritt des Gerichts verbrachten wir ein, zwei Tage auf Schloß Grange, wo wir in großzügigster Weise offenes Haus hielten; hier war es auch, daß wir drei anfingen, miteinander über die Wiesen zu reiten, ein Zeitvertreib, den wir, sofern des Staatsanwalts ständige Geschäfte es gestatteten, noch in Edinburgh fortsetzten. Sobald die muntere Bewegung, die Schwierigkeiten des Weges oder die Zufälle schlechten Wetters unser Blut in Wallung brachten, verlor ich auch meine Schüchternheit. Dann vergaßen wir, daß wir einander fremd waren, und das Gespräch floß um so zwangsloser, als niemand zu sprechen sich verpflichtet fühlte. So kam es, daß sie mir meine Geschichte entlockten, Stück für Stück, von der Zeit an, da ich Essendean verließ bis zu meiner Fahrt auf der ›Covenant‹ und meinen Wanderungen durch die Heide usw., und dem Interesse, das sie an meinen Abenteuern nahmen, entsprang ein kleiner Ausflug, den wir bald darauf an einem Tag, da keine Gerichtsverhandlung war, unternahmen, und den ich hier ein wenig ausführlicher behandeln möchte. Wir saßen schon früh am Morgen auf und ritten zuerst nach dem Hause Shaw, das rauchlos und leblos in einer weißen, mit Rauhreif bedeckten Ebene lag. Hier stieg Prestongrange vom Pferde, reichte mir die Zügel und begab sich allein ins Haus, um meinen Onkel zu besuchen. Ich weiß noch, daß mein Herz bei dem Anblick dieses öden Gebäudes und bei dem Gedanken an den alten Geizhals, der frierend in seiner kalten Küche hockte, vor Bitterkeit schwoll.

»Das ist nun mein Heim und meine Familie«, sagte ich.

»Armer David Balfour!« entgegnete Miß Grant.

Was sich während des Besuches ereignete, habe ich nie erfahren; aber ich zweifle keinen Augenblick, daß es für Ebenezer nicht sonderlich angenehm war, denn als der Lord Staatsanwalt wieder erschien, war sein Blick finster.

»Ich glaube, Ihr werdet hier bald der Herr sein, Mr. David«, bemerkte er und wandte sich, den Fuß im Steigbügel, noch einmal halb zurück.

»Ich will nicht behaupten, daß es mich reuen würde«, antwortete ich; um die Wahrheit zu sagen, hatten Miß Grant und ich während Prestongranges Abwesenheit Pläne entworfen, wie man das Anwesen durch Anpflanzungen, Beete und Terrassen verschönern könnte, Pläne, die ich seitdem größtenteils ausgeführt habe. Von dort ritten wir drei nach Queensferry, wo Rankeillor uns einen herzlichen Empfang bereitete. Ja, er war ganz außer sich über die Ehre, so hohen Besuch bei sich zu sehen. Hier hatte der Lord Staatsanwalt die unverhohlene Güte, sich eingehendst nach meinen Angelegenheiten zu erkundigen und sich über zwei Stunden mit dem Advokaten in seinem Studierzimmer zu beraten, wobei er (wie man mir später erzählte) große Achtung vor mir selbst und ein lebhaftes Interesse an dem Stand meiner Geschäfte bezeugte. Um die Zeit zu vertreiben, nahmen derweil Miß Grant, ich und der junge Rankeillor ein Boot und setzten über die Hope nach Limekilnes über. Rankeillor benahm sich dabei recht lächerlich und (meiner Meinung nach) auch unschicklich, so groß war seine Bewunderung für die junge Dame; diese jedoch schien zu meinem Erstaunen (trotzdem das eine allgemeine Schwäche ihres Geschlechts ist) eher Gefallen daran zu finden. Allerdings hatte sein Verhalten ein Gutes: als wir das jenseitige Ufer erreichten, befahl sie ihm, das Boot zu hüten, während sie und ich nach dem Wirtshause weitergingen. Miß Grant war selbst auf diesen Gedanken gekommen; mein Bericht hatte sie für Alison Hastie sehr eingenommen, und sie wünschte persönlich mit dem Mädchen zu sprechen. Auch diesmal fanden wir die Wirtstochter allein – ich glaube, ihr Vater arbeitete den ganzen Tag auf dem Felde – und sie machte den Herrschaften, insbesondere der schönen jungen Dame in dem Reithabit, pflichtgemäß einen ehrerbietigen Knicks. »Soll das unser ganzer Willkomm sein?« fragte ich, ihr die Hand entgegenstreckend. »Erinnerst du dich nicht eines alten Freundes?« »Gott im Himmel, wer ist denn das?« stieß sie hervor und fügte hinzu: »Gottes Wahrheit, es ist der zerlumpte, junge Bursch!«

»Niemand anders«, bestätigte ich.

»Wie oft hab ich an Euch und Euern Freund denken müssen, und wie freue ich mich, Euch in den schönen Kleidern zu sehen! Zwar wußte ich, daß Ihr zu Eurer Familie zurückgekehrt wäret; das zeigte mir das prächtige Geschenk, das Ihr mir sandtet, und ich danke Euch auch von Herzen.« »So,« sagte Miß Grant, zu mir gewandt, »jetzt seid ein guter Bursch und laßt uns allein. Ich bin nicht gekommen, um Euch das Licht zu halten; sie und ich wollen miteinander schwätzen.« Sie blieb an die zehn Minuten im Hause, und als sie herauskam, bemerkte ich zweierlei: ihre Augen waren gerötet, und an ihrem Busen fehlte eine silberne Brosche. Das rührte mich tief. »Noch nie sah ich Euch so schön geschmückt«, bemerkte ich. »Ach Davie, Bursch, sei kein geschraubter Geck!« lautete ihre ganze Antwort, und den Rest des Tages war ihr Ton mir gegenüber ungewöhnlich scharf.

*

Längere Zeit hörte ich nichts mehr von Catriona. Miß Grant blieb nach wie vor undurchdringlich und verschloß mir mit Neckereien den Mund. Eines Tages jedoch, als sie von einem Spaziergang heimkehrte, fand sie mich im Salon allein über meinem Französisch, und ich glaubte an ihrem Aussehen etwas Ungewöhnliches zu bemerken. Ihre Farben waren lebhafter als sonst, die Augen funkelten übermütig, und jedesmal, wenn sie mich ansah, umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Ja, sie dünkte mich der verkörperte Mutwillen, und bald hatte sie mich, munter im Zimmer auf und ab spazierend, in eine Art Streit um nichts verstrickt (zum minderten war auf meiner Seite nichts Böses beabsichtigt). Ich glich dem guten Christen in der Fabel, der durch einen Sumpf watet – je mehr ich mich am Ufer hinauszuarbeiten suchte, um so tiefer sank ich hinein, bis sie zuletzt mit großer Heftigkeit erklärte, eine derartige Antwort ließe sie sich von niemandem gefallen, und ich hätte sie auf der Stelle kniefällig um Verzeihung zu bitten. Die Zwecklosigkeit all dieses Lärms trieb auch mir die Galle hoch. »Ich habe nichts gesagt, an dem Ihr gerechterweise Anstoß nehmen könntet,« erwiderte ich, »und was das Hinknien betrifft, so spare ich eine derartige Stellung für den Herrgott auf.« »Und ich will wie eine Göttin behandelt werden!« rief sie mit lebhaft gerötetem Gesicht, ihre braunen Locken schüttelnd. »Jeder Mann, der auch nur in die Nähe meiner Weiberröcke kommt, hat mich so zu behandeln!«

»Ich will so weit gehen, Euch um Verzeihung zu bitten, da die Sitte es erheischt, obwohl ich schwöre, daß ich nicht weiß, welche Ursache ich dazu hätte. Aber was diese Schauspielergebärden anbelangt, so müßt Ihr Euch einen anderen suchen.« »O Davie, wenn ich Euch nun darum bitte!« Da fiel mir ein, daß ich es ja mit einer Frau zu tun hatte, also mit einem Kinde, und daß sich das Ganze obendrein nur um eine Äußerlichkeit drehte.

»Ich halte es zwar für kindisch«, entgegnete ich, »und für ein Euer unwürdiges Verlangen, ebenso wie die Gewährung meiner unwürdig ist. Trotzdem will ich es Euch nicht verweigern. Die Schande komme über Euer Haupt!« Mit diesen Worten sank ich tatsächlich in die Knie. »Da,« rief sie. »Das ist die Euch geziemende Stellung; ich hatte es mir vorgenommen, Euch dahin zu bringen.« Und plötzlich warf sie mir mit den Worten: »Fangt auf!« ein Billett zu und rannte lachend aus dem Zimmer. Das Billet verriet weder ein Datum noch den Ort des Schreibens. Es lautete: »Lieber Mr. David, – Ich höre regelmäßig von Eurem Wohlergehen durch meine Base, Miß Grant, und höre stets Angenehmes. Mir geht es sehr gut; ich befinde mich an einem freundlichen Ort bei freundlichen Menschen, muß mich aber wohl oder übel recht still verhalten, obwohl ich hoffe, Euch endlich einmal wiederzusehen. All Eure Freundschaften sind mir von meiner lieben Base, die uns beide liebt, berichtet worden. Sie will, daß ich Euch diesen Brief sende, und hat selbigen überwacht. Ich bitte Euch, alle ihre Befehle auszuführen, und verbleibe Eure treue Freundin Catriona MacGregor-Drummond. P.S. Wollt Ihr nicht meine Base Allardyce aufsuchen?«

Ich erachte es als eines meiner glanzvollsten Bravourstückchen (wie es im Jargon der Militärs heißt), daß ich tat, worum man mich gebeten hatte, und mich unverzüglich nach Dean begab. Aber die alte Dame war jetzt vollständig verändert und so schmiegsam wie ein Handschuh. Wie Miß Grant das zuwege gebracht hatte, vermochte ich nie zu erraten. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß sie in dieser Affäre nicht offen hervorzutreten wagte, da ihr Papa sich darin bereits ziemlich tief kompromittiert hatte. In der Tat war er es gewesen, der Catriona überredet hatte, ihre Base zu verlassen oder, richtiger, nicht zu ihr zurückzukehren, und der sie statt dessen bei einer Familie Gregory einquartiert hatte – anständigen Leuten, die dem Lord Staatsanwalt durchaus ergeben waren, und in die Catriona um so mehr Vertrauen setzte, als sie zu ihrem eigenen Clan und Stamm gehörten. Diese Familie hielt sie bei sich verborgen, bis die Zeit reif war, spornte sie an und half ihr, ihres Vaters Befreiung durchzuführen und nahm sie, nach ihrer Entlassung, in gleicher Heimlichkeit wieder bei sich auf. So bemächtigte und bediente sich Prestongrange seines Werkzeugs, ohne daß auch nur eine Silbe von seiner Bekanntschaft mit James Mores Tochter ruchbar wurde. Natürlich munkelte man allerlei über die Flucht einer so zweifelhaften Persönlichkeit; aber die Regierung antwortete durch ostentative Strenge; einer der Gefangenenwärter wurde ausgepeitscht, und der wachhabende Leutnant (mein armer Freund Duncansby) verlor seinen Offiziersrang. Was Catriona anbetrifft, so fand die gesamte Männerwelt an ihrem Vergehen derartiges Gefallen, daß alle es wohl zufrieden waren, sie straffrei entkommen zu sehen. Miß Grant war durch nichts zu bewegen, Catriona ein Antwortbillett zu überbringen. »Nein,« entgegnete sie auf meine wiederholten Bitten, »ich bin entschlossen, die plumpen Füße vor dem Dazwischenstolpern zu bewahren.« Für mich war das um so schwerer zu ertragen, als ich wußte, daß sie mehrere Male in der Woche mit meiner kleinen Freundin zusammentraf und ihr jedesmal, »wenn ich brav gewesen war« (wie sie sich ausdrückte), von mir berichtete. Endlich machte sie mir eine Freude, zum mindesten nannte sie es so, mich dünkte die Sache jedoch eher eine Neckerei. Sie empfand ohne Frage eine starke, fast heftige Freundschaft für alle Menschen, die sie gut leiden konnte, darunter mit an erster Stelle für ein kränkliches, altes Edelfräulein, stockblind und sehr geistreich, das zusammen mit einer Schar eingesperrter Hänflinge auf einem hohen Hügel oberhalb eines engen Hofes häufte und den ganzen Tag über zahlreiche Besuche empfing. Miß Grant liebte es sehr, mich dorthin zu führen, damit ich die alte Dame mit dem Bericht meiner Abenteuer unterhielte, und Miß Tibbie Ramsay (so hieß das alte Fräulein) war stets besonders liebenswürdig und erzählte mir viel Wissenswertes von den alten Familien und vergangenen Ereignissen in Schottland. Ich muß noch erwähnen, daß man von ihrem Zimmerfenster aus keine drei Fuß entfernt – so eng ist der betreffende Hof – in ein vergittertes Ochsenauge blicken konnte, das den Treppenflur des gegenüberliegenden Hauses erhellte. Hier ließ mich Miß Grant eines schönen Tages unter irgendeinem Vorwande mit Miß Ramsay allein; ich weiß noch, daß die alte Dame mir unaufmerksam und zerstreut erschien. Außerdem fühlte ich mich unbehaglich, da entgegen jeder Gewohnheit das Fenster offen stand und es draußen kalt war. Plötzlich drang Miß Grants Stimme aus einiger Entfernung an mein Ohr. »Hierher, Shaw!« rief sie, »guckt einmal aus dem Fenster und seht, was ich Euch mitgebracht habe.« Ich glaube, das Bild, das sich mir bot, war das hübscheste, das ich je gesehen habe. Der Brunnen auf dem Hofe lag ganz in klarem Schatten, der alles deutlich erkennen ließ; die Mauern waren tiefschwarz und rußig, und aus dem vergitterten Mauerschlitz schauten zwei lächelnde Gesichter – Miß Grants und Catrionas. »Da!« rief Miß Grant, »ich wollte, daß sie Euch auch einmal in Eurem Staat sehen sollte, wie die Wirtstochter in Limekilnes. Ich wollte ihr einmal zeigen, was ich alles aus Euch machen kann, wenn ich mir ernsthaft Mühe gebe!« Da fiel mir ein, daß sie sich heute eingehender denn je mit meiner Kleidung befaßt hatte: ja, ich glaube, einen Teil der gleichen Sorgfalt hatte sie auch auf Catrionas Anzug verwendet. Für eine so lebhafte und gescheite junge Dame legte Miß Grant entschieden erstaunlichen Wert auf Putz.

»Catriona!« war alles, was ich über die Lippen brachte. Und sie? Sie äußerte kein einziges Wort, winkte nur hinüber und lächelte mich an und wurde plötzlich vom Fenster fortgezogen. Kaum war diese Vision meinen Blicken entschwunden, als ich auch schon zur Haustür rannte, die ich jedoch verschlossen fand; von dort lief ich zu Miß Ramsay zurück und verlangte polternd den Schlüssel; ebensogut hätte ich den Burgfelsen anflehen können. Sie hätte ihr Wort gegeben, beteuerte sie, ich müsse ein folgsamer Junge sein. Es war unmöglich, die Tür zu sprengen, selbst wenn es der Anstand erlaubt hätte; nicht minder unmöglich war es, aus dem Fenster zu springen, da das sieben Stockwerke über dem Erdboden lag. Ich konnte also lediglich auf den Hof hinausstarren und warten, daß sie zusammen die Treppe hinunter zur Tür herausträten. Auch dann gab es nur wenig zu sehen: nichts als von oben ihre beiden Köpfe, die sich auf einer Spule von Reifröcken bewegten – ein lächerlicher Anblick, wie zwei wandelnde Nadelkissen. Catriona blickte auch nicht einmal auf, um Lebewohl zu sagen; später hörte ich, Miß Grant habe sie daran gehindert durch die Mitteilung, nie nähme man sich so unvorteilhaft aus, wie von oben betrachtet. Auf dem Heimwege, sobald ich die Freiheit wiedererlangt hatte, schalt ich Miß Grant ob ihrer Grausamkeit.

»Es tut mir leid, daß Ihr enttäuscht seid«, sagte sie, ganz sittsame Sanftmut. »Ich dagegen war sehr zufrieden. Ihr saht besser aus, als ich erwartet hatte; Ihr nahmt Euch aus – hoffentlich werdet Ihr nicht gar zu eitel – wie ein verflixt hübscher junger Mann, als Ihr dort oben am Fenster erschienet. Vergeßt nicht, daß sie Eure Füße nicht sehen konnte.« Letzteres fügte sie in beruhigendem Tone hinzu.

»O!« rief ich, »laßt meine Füße in Ruh – sie sind auch nicht größer als die meiner Mitmenschen.«

»Sie sind sogar kleiner als viele andere, aber ich spreche in Parabeln, wie die jüdischen Propheten.« »Dann wundere ich mich nicht, daß sie mitunter gesteinigt wurden! Böses Mädchen! Wie brachtet Ihr das nur übers Herz? Weshalb findet Ihr Vergnügen daran, mich durch einen flüchtigen Augenblick zu quälen?« »Die Liebe ist wie die Menschen; beide bedürfen einer gewissen Nahrung.« »O Barbara! Erlaubt, daß ich sie richtig spreche!« flehte ich. »Es steht in Eurer Macht – Ihr seht sie, wann es Euch beliebt; vergönnt mir eine halbe Stunde!« »Habt Ihr oder habe ich diese Liebesaffäre in die Hand genommen?« forschte sie und griff, als ich sie weiter mit Bitten bestürmte, auf ein unfehlbares Mittel zurück; sie imitierte den Ton meiner Stimme, als ich Catriona mit Namen rief. Ja, durch das gleiche Mittel hielt sie mich die nächsten Tage in Schach. Niemals fiel auch nur ein Wort von dem Memorial, wenigstens nicht von meiner Seite. Prestongrange und Seine Gnaden, der Lord Präsident mögen – was weiß ich – auf der tauben Seite ihres Kopfes davon gehört haben; jedenfalls behielten sie die Sache für sich – und die Öffentlichkeit wurde um keinen Deut klüger. Ja, der arme James von der Schlucht wurde im Laufe der Zeit, am 8. November, inmitten ungeheuren Sturms und Regens, zu Lettermore bei Ballachulish vorschriftsmäßig gehenkt. Das war also das Ergebnis meiner Politik! James war nicht der erste Unschuldige, der elend zugrunde ging, und viele Unschuldige werden noch bis an das Ende aller Zeiten (trotz unserer übergroßen Weisheit) zugrunde gehen. Und bis an das Ende aller Zeiten werden junge Leute, die die Doppelzüngigkeit des Lebens und der Menschen ungewohnt sind, wie ich weiterkämpfen und heroische Entschlüsse fassen und schwere Gefahren auf sich nehmen; und die Ereignisse werden sie beiseite schieben und wie eine sich vorwärts bewegende Armee ihren Marsch fortsetzen. James wurde gehenkt; trotzdem verweilte ich hier in Prestongranges Haus und fühlte mich ihm gegenüber für seine väterliche Sorge tief verpflichtet. James wurde gehenkt, und siehe da! – als ich Herrn Simon Fraser auf der Straße begegnete, zog ich vor ihm meinen Hut wie ein gehorsamer kleiner Schulbub vor seinem Lehrer. James wurde durch Betrug und Gewalt gehenkt, und die Welt ging ihren Gang weiter, und nichts war um ein Jota anders, und die Verbrecher in dieser scheußlichen Verschwörung waren ehrbare Familienväter, die den Gottesdienst besuchten und das Abendmahl einnahmen! Ich besaß jedoch meine eigene Ansicht von jenem widerlichen Geschäft – Politik –, ich hatte einen Blick hinter die Kulissen geworfen und hatte dort nichts als nacktes Gebein und Finsternis gesehen! Das genügte, um mich auf Lebenszeit von jeder Versuchung, mich an der Politik zu beteiligen, zu kurieren. Mein Ehrgeiz hatte sich einen geraden ruhigen, stillen Lebenspfad zum Ziel erwählt, wo ich mein Haupt ungefährdet aufrecht tragen und mein Gewissen vor Versuchung bewahren konnte. Aber rückblickend wollte es mir erscheinen, daß ich doch ziemlich kläglich gescheitert war; trotz der denkbar größten Reden und Vorbereitungen hatte ich nichts erreicht.

Am 25. des Monats sollte von Leith aus ein Schiff in See stechen, und unversehens erhielt ich den Rat, mein Bündel zu schnüren und mich nach Leyden auf den Weg zu machen. Zu Prestongrange konnte ich natürlich kein Wort äußern; ich hatte lange Zeit von seinem Hause und seinem Tisch gezehrt. Aber seiner Tochter gegenüber war ich offener; ich beklagte mein Los, außer Landes gehen zu müssen, und versicherte ihr, wenn sie es zuvor nicht ermöglichte, daß ich Catriona Lebewohl sagte, würde ich mich in letzter Stunde weigern.

»Hab ich Euch nicht meinen Rat erteilt?« forschte sie.

»Das habt Ihr in der Tat, und ich weiß auch, wie tief ich in Eurer Schuld stehe und daß ich zu gehorchen verpflichtet bin. Aber Ihr müßt selbst zugeben: mitunter seid Ihr allzu lose, als daß man Euch völlig trauen könnte.«

»Ich will Euch eines sagen. Seid um neun Uhr morgens an Bord; das Schiff fährt erst am Nachmittag. Sorgt, daß Euer Boot in der Nähe bleibe, und wenn Ihr dann nicht mit meinem Abschiedsgruß zufrieden seid, dürft ihr an Land zurückkehren und Kathrin persönlich aufsuchen.«

Mehr konnte ich nicht aus ihr herausbringen; also mußte ich mich damit zufrieden geben.

Endlich war der Tag da, an dem sie und ich uns trennen mußten. Wir waren einander recht nahegekommen; ich schuldete ihr großen Dank, und die Frage, wie wir auseinandergehen sollten, sowie die Frage nach den Trinkgeldern für die Dienerschaft beraubten mich meines Schlafes. Ich wußte, ich war in Barbaras Augen allzu schüchtern, und spürte daher eher den Wunsch, in dieser Hinsicht meinen Ruf zu heben. Außerdem mußte jede Steifheit nach so viel ostentativer (und, wie ich glaube, auch echter) Zuneigung kalt erscheinen. Also nahm ich meinen Mut in beide Hände, legte mir meine Rede zurecht und fragte sie, als wir voraussichtlich das letztemal allein waren, ob ich ihr zum Abschied einen Kuß geben dürfe.

»Ihr vergeßt Euch, Mr. Balfour, und setzt mich in Erstaunen. Wann hätte ich Euch im Laufe unserer Bekanntschaft das Recht gegeben, Euch irgendwelche Freiheiten zu gestatten?«

Da stand ich vor ihr wie eine Uhr, deren Gang man aufgehalten hat, und wußte nicht, was ich denken, geschweige denn sagen sollte, als sie plötzlich ihre Arme um meinen Nacken schlang und mich mit größter Herzlichkeit küßte.

»Du einziges Kind!« rief sie. »Meinst du, ich ließe uns wie Fremde auseinandergehen? Weil ich dir gegenüber keine fünf Minuten lang ernst bleiben kann, darfst du doch nicht glauben, ich hätte dich nicht sehr lieb! Ich bin ja ganz Liebe und Lachen, so oft ich dich nur ansehe! Und jetzt will ich dir als Abschluß meines Unterrichts einen Rat geben, den du gar bald wirst brauchen können: frage die Weiber nie erst um Erlaubnis. Sie können dann nicht anders, als mit Nein antworten; Gott hat das Mädel nicht erschaffen, das der Versuchung zu widerstehen vermöchte. Die Pfaffen glauben, das sei der Fluch Evas; weil sie nicht nein sagen konnte, als der Teufel ihr den Apfel anbot, vermögen ihre Töchter nichts anderes zu sagen.«

»Da ich so bald meine schöne Lehrmeisterin verlieren soll –«, begann ich.

»Das nenne ich in der Tat galant«, meinte sie mit einem Knicks.

»– möchte ich mir erlauben, eine Frage zu stellen: darf ich ein Mädchen fragen, ob sie mich heiraten will?«

»Du meinst, ohne diese Frage geht es nicht? Oder soll sie etwa das Angebot machen?«

»Ich sehe, Ihr könnt wirklich nicht ernst bleiben.«

»In einer Sache wirst du mich sehr ernst finden, David. Ich werde stets deine Freundin sein.«

Als ich am folgenden Morgen mein Pferd bestieg, standen alle vier Damen am Fenster, von dem aus sie Catriona beobachtet hatten, und alle vier riefen mir Lebewohl zu und winkten mit den Schnupftüchern, als ich davonritt. Von einer wußte ich, daß ihr der Abschied ehrlich schwer wurde; und in dem Gedanken daran und an die Verfassung, in der ich vor drei Monaten zum erstenmal an diese Tür geklopft hatte, packten mich Trauer und Dankbarkeit und führten in meinem Geiste einen wirren Kampf.

Einundzwanzigstes Kapitel


Die Reise nach Holland

Das Schiff lag nur an einem einzigen Ankertau weit draußen im Leither Hafen, und wir Passagiere mußten alle auf kleinen Booten hinübergerudert werden. Dies schaffte uns jedoch nur geringe Beschwer, denn das Meer war still und glatt und der Tag bitterkalt und trübe, mit einem tieflagernden wallenden Nebel über den Wassern. So kam es, daß der Rumpf des Schiffes vollständig verhüllt war, als ich mich ihm näherte; aber die hohen Spieren ragten klar und leuchtend wie flackernde Flammen in den Sonnenschein. Das Fahrzeug entpuppte sich als ein äußerst geräumiges, bequemes Kauffahrteischiff mit etwas plumpem Bug und war mit Salz, gepökeltem Lachs und feinen, weißen Leinenstrümpfen für die Holländer außerordentlich schwer beladen. Bei meiner Ankunft an Bord begrüßte mich der Kapitän – ein gewisser Mr. Sang – (aus Lesmahaga, wenn ich mich nicht irre) –, eine warmherzige, freundliche Teerjacke, die im Augenblick jedoch vollauf beschäftigt schien. Die anderen Passagiere waren noch nicht gekommen; ich wanderte daher einsam an Deck auf und ab, betrachtete die Aussicht und fragte mich des öfteren, worin wohl die mir verheißenen Abschiedsgrüße beständen.

Ganz Edinburg und die Hügel von Pentland schimmerten über mir in einer Art nebligen Glanz, und nur von Zeit zu Zeit verbargen sie Wolkenmassen; von Leith waren lediglich die Kaminfirste sichtbar, und den Wasserspiegel selbst deckten undurchdringliche Schwaden. Aus diesem Nichts heraus hörte ich plötzlich das Geräusch von Rudern, und kurz darauf tauchte (wie aus dem Rauch eines Feuers) ein Boot auf. Am Heck saß ein ernst blickender Mann, den zahlreiche Hüllen gegen die Kälte schützten, neben ihm eine hohe, hübsche, zarte Mädchengestalt, bei deren Anblick mein Herzschlag stockte. Kaum blieb mir Zeit, den Atem anzuhalten und mich für den Empfang zu stählen, da stand sie auch schon auf Deck, und ich ging ihr lachend und mit einer eleganten Verbeugung (weit eleganter als die, mit der ich zuerst Mylady, ihre Tante, begrüßt hatte) entgegen. Ohne Zweifel hatten wir uns beide stark verändert: sie schien hochaufgeschossen wie ein junger, schöner Baum und trug jetzt eine reizende Schüchternheit zur Schau, die ihr vortrefflich stand, als schätze sie sich selbst höher als zuvor und sei inzwischen ganz Weib geworden. Tatsache war, Miß Grant hatte veredelnd auf uns beide gewirkt.

Die gleiche Begrüßung entfuhr uns in fast den nämlichen Worten. Jeder glaubte vom andern, er sei um Abschied zu nehmen, an Bord gekommen, und jeder erkannte blitzartig, daß wir die Fahrt zusammen zurücklegen sollten.

»O, weshalb hat Baby mir das nicht gleich gesagt!« rief sie; dann fiel ihr ein, daß man ihr einen Brief gegeben hatte, mit der Bedingung, ihn erst an Bord zu öffnen. Er enthielt eine Einlage für mich selbst, die folgendermaßen lautete:

»Lieber David, was haltet Ihr von meinem Abschiedsgruß? Und was sagt Ihr zu Eurer Mitreisenden? Habt Ihr geküßt oder gefragt? Hier wollte ich bereits die Unterschrift hinzufügen, aber da fiel mir ein, daß das den Zweck meiner Frage im unklaren ließe; was mich betrifft, so kenne ich die Antwort. Also anschließend die guten Ratschläge! Seid nicht zu schüchtern und versucht um Gottes willen auch nicht, zu fürwitzig zu sein; nichts kleidet Euch schlechter. Womit ich verbleibe

Eure wohlgeneigte treue Freundin und Lehrmeisterin

Barbara Grant.«

Ich kritzelte ein Wort des Dankes und der Höflichkeit auf ein Blatt meines Notizbuches, legte einen Zettel von Catriona bei, versiegelte das Ganze mit meinem neuen Siegelring mit dem Balfourwappen und beförderte es durch Prestongranges Diener, der noch in meinem Boote wartete.

Dann erst hatten wir Zeit, uns in Muße zu betrachten, und noch war keine Minute verstrichen, als wir, auf gemeinsamen Impuls hin, einander noch einmal die Hand schüttelten.

»Catriona!« stieß ich hervor. Zu mehr reichte meine Beredsamkeit nicht.

»Ihr freut Euch, mich wiederzusehen?«

»Ich meine, das ist ein überflüssiges Wort; wir sind zu große Freunde, um derartige Nichtigkeiten zu reden.«

»Ist sie nicht das prächtigste Mädchen von der Welt?« hub sie von neuem an. »Noch nie habe ich ein so aufrichtiges, schönes Mädchen getroffen.«

»Und doch bedeutet ihr Alpin nicht mehr als ein Kohlstrunk.«

»Ach, das behauptet sie nur so!« rief Catriona. »Es war um des Adels und des guten, adeligen Blutes willen, daß sie mich aufnahm und so gut zu mir war.«

»Ich will Euch sagen, weshalb sie es tat«, entgegnete ich. »Es gibt alle möglichen Gesichter auf dieser Welt. Es gibt Barbaras Gesicht, das keiner ansehen kann, ohne es zu bewundern und sie für ein prächtiges, hochgemutes, munteres Mädchen zu halten. Und dann gibt es Euer Gesicht, das ganz anders ist – wie anders, weiß ich erst heute. Ihr könnt Euch selbst nicht sehen und den Unterschied begreifen; aber es war die Liebe zu Euerm Gesicht, die sie bewog, Euch aufzunehmen und gut zu Euch zu sein. Jeder Mensch würde das gleiche tun.«

»Jeder?«

»Jede lebende Seele.«

»Ach, das war also der Grund, weshalb die Soldaten auf dem Schlosse mich festhielten!«

»Barbara hat Euch gelehrt, mir Fallen zu stellen.«

»Sie hat mich auch noch anderes gelehrt. Zum Beispiel hat sie mir viel von einem Mr. David gesprochen – von allen seinen schlechten Eigenschaften und ein klein wenig auch von seinen guten«, sagte sie lächelnd. »Ja, sie wird mir von Mr. Balfour erzählt haben, was es zu erzählen gibt, nur nicht, daß er auf dem gleichen Schiffe wie ich fahren würde. Was ist eigentlich der Zweck Eurer Reise?«

Ich nannte ihn ihr.

»So,« meinte sie, »dann werden wir wohl einige Tage zusammenbleiben und endlich (vermutlich) auf immer auseinandergehen! Ich reise zu meinem Vater, an einen Ort namens Helvoetsluys, und von dort aus nach Frankreich, um mit unserem Häuptling das Exil zu teilen.«

Ich vermochte nur »O!« zu sagen; der Name James More genügte, um mir die Rede zu verschlagen.

Sie merkte das auf der Stelle und erriet einen Teil meiner Gedanken.

»Eines muß ich vor allem sagen, Mr. David. Ich glaube, zwei aus meiner Sippe haben nicht gut an Euch gehandelt. Der eine von beiden ist James More, mein Vater, und der andere ist der Herr von Prestongrange. Prestongrange wird sich selbst gerechtfertigt haben, oder seine Tochter hat es an seiner Statt getan. Und für meinen Vater, James More, möchte ich Folgendes sagen: er lag in Ketten im Gefängnis; er ist ein schlichter, ehrlicher Soldat und ein einfacher Hochlandsgentleman; worauf die anderen hinauswollten, hat er niemals erraten. Hätte er es jedoch gewußt, er hätte lieber den Tod erlitten als geduldet, daß einem jungen Gentleman wie Euch solches Unrecht geschehe. Und um all Eurer Freundschaft willen bitte ich Euch jetzt, meinem Vater und meiner Familie diesen Irrtum zu verzeihen.«

»Catriona,« entgegnete ich, »worin dieser Irrtum bestand, will ich niemals erfahren. Ich weiß nur das eine: Ihr seid zu Prestongrange gegangen und habt kniefällig um mein Leben gebeten. O, ich weiß genau, Ihr gingt um Eures Vaters willen; aber als Ihr dort waret, batet Ihr auch für mich. Zwei Dinge gibt es, die ich Euch nie vergessen kann: die guten Worte, die Ihr sprachet, als Ihr Euch meine kleine Freundin nanntet, und die Tatsache, daß Ihr um mein Leben flehtet. Zwischen uns beiden, Euch und mir, soll niemals wieder die Rede von Unrecht und Vergebung sein.«

Danach verharrten wir in Schweigen; Catriona betrachtete das Deck, und ich betrachtete sie, und noch ehe wir weiterredeten, sprang aus Nordwesten ein leichter Wind auf, die Mannschaft hißte die Segel, und der Anker wurde gelichtet.

Außer uns befanden sich noch sechs Passagiere an Bord; damit war das Schiff besetzt. Es waren drei solide Kaufleute aus Leith, Kirckaldy und Dundee, die alle in dem gleichen Unternehmen nach Süddeutschland reisten, ein Holländer, auf der Rückfahrt begriffen, und zwei brave Kaufmannsfrauen, deren Obhut Catriona anvertraut war. Mrs. Gebbie, so hieß die eine, hatte zum großen Glück ziemlich viel unter der Seekrankheit zu leiden und lag Tag und Nacht flach auf dem Rücken. Da wir, mit Ausnahme eines bleichgesichtigen Jungen, der meiner alten Pflicht, bei Tische aufzuwarten, oblag, die einzigen jungen Leute an Bord der »Rose« waren, blieben wir ziemlich viel allein. Bei Tisch saßen wir nebeneinander, und ich erwies Catriona mit größter Freude jede Aufmerksamkeit. Auf Deck bereitete ich ihr mit meinem Mantel ein weiches Lager, und da das Wetter für die betreffende Jahreszeit ungewöhnlich schön war, mit klaren, kalten Tagen und Nächten und einer stetigen, sanften Brise, zitterte auf der ganzen Fahrt durch die Nordsee kaum ein Segel, und wir saßen da (nur von Zeit zu Zeit auf und ab gehend, um warm zu bleiben) vom ersten Sonnenstrahl an bis acht oder neun Uhr nachts unter den hellen Sternen. Mitunter warfen uns die Kaufleute oder Kapitän Sang im Vorübergehen einen lächelnden Blick oder ein Scherzwort zu, die meiste Zeit jedoch waren sie eingehend in Gespräche über Heringe, Möbelkattune und Leinen vertieft oder berechneten die Länge der Fahrt und überließen uns unseren eigenen Angelegenheiten, die ja auch niemandem außer uns selbst wichtig dünkten.

Anfänglich hatten wir uns viel zu sagen und kamen uns dabei recht geistreich vor; ich gab mir erkleckliche Mühe, den Galan zu spielen und sie (wie ich glaube) die weltkluge, junge Dame. Aber bald wurden wir beide schlichter. Ich legte mein hochgeborenes, geschraubtes Englisch ab (sehr fest saß es ohnehin nicht) und vergaß meine Edinburger Reverenzen und Kratzfüße, und sie verfiel in eine Art Vertraulichkeit. Wir lebten zusammen wie Mitglieder einer Familie, nur bestand auf meiner Seite ein tieferes Gefühl. Gleichzeitig schien unseren Gesprächen gleichsam der Boden auszufallen, aber wir waren deswegen nicht weniger glücklich. Hin und wieder erzählte sie mir Altweibermärchen, von denen sie, vornehmlich durch meinen rothaarigen Freund Neil, eine erstaunliche Menge kannte und die sie wunderhübsch wiedergab. Wirklich waren es auch hübsche, kindliche Geschichten; aber mein größter Genuß war doch, ihrer Stimme zu lauschen und mir klarzumachen, daß sie mir erzählte, und daß ich zuhörte. Mitunter saßen wir auch in tiefstem Schweigen, ohne selbst durch einen Blick eine Verbindung herzustellen, und doch innig befriedigt von der Süße dieses Zusammenseins. Ich spreche in diesem Falle nur von mir selbst. Was in der Jungfrau Herzen vorging, danach fragte ich, glaube ich, nie, und was in dem meinen lebte, fürchtete ich mich zu betrachten. Ich brauche es weder dem Leser noch mir selbst zu verbergen: ich hatte mich rettungslos verliebt. Sie stand zwischen mir und der Sonne. Wie gesagt, sie war plötzlich gewachsen, aber es war ein freudiges Wachstum, ganz Gesundheit, Leichtigkeit und hoher Mut. Ja, mich dünkte, sie glich im Gehen einem jungen Hirsche und in der Ruhe einer Birke am Bergeshang. Ich war es sehr zufrieden, auf Deck neben ihr zu sitzen, und widmete der Zukunft tatsächlich keinen Gedanken. Ja, der augenblickliche Genuß war so erschöpfend, daß ich mir nicht die Mühe machte, weitere Schritte zu erwägen, es sei denn, daß ich mich mitunter versucht fühlte, ihre Hand zu ergreifen und sie in der meinen zu halten. Aber ich geizte allzusehr mit meinen gegenwärtigen Freuden, um sie durch irgendwelche Kühnheit aufs Spiel zu setzen.

Unser Gespräch drehte sich in der Hauptsache um uns selbst; wem es daher gelohnt hätte, uns zu belauschen, der hätte uns für die größten Egoisten von der Welt halten müssen. Eines Tages kamen wir auch auf Freunde und Freundschaft zu sprechen; das war, glaube ich, der Augenblick, in dem wir der eigentlichen Sache am nächsten waren. Wir betonten, welch schönes Ding doch die Freundschaft wäre, und wie wenig wir sie bisher gekannt hätten, und daß sie das ganze Leben erneuere, und tausend andere verschleierte Worte dieser Art, wie sie ohne Zweifel seit Erschaffung der Welt von jungen Menschen in unserer Lage gesagt worden sind. Dann wunderten wir uns über die Tatsache, daß Freunde einander anfangs so gegenüberträten, als lebten sie in jenem Augenblick zum ersten Male, und doch wären beide Teile herangewachsen und hätten ihre Zeit mit anderen vergeudet. »Ich habe bisher nicht viel erlebt,« sagte sie, »fünf Fünftel davon lassen sich in zwei, drei Worten zusammenfassen. Ich bin ja nur ein Mädchen, was kann sich schon im Leben eines Mädchens ereignen! Aber ich bin im Jahre ’45 mit dem Clan marschiert. Die Männer zogen mit Schwertern und Feuerschloßgewehren ins Feld, und etliche trugen gleiche Farben und waren zu Brigaden formiert. Ich sage Euch, da ließ keiner auf sich warten. Gentlemen aus dem Flachland waren dort mit ihren berittenen Pächtern und mit Trompeten; und die Kriegspfeifen bliesen laut und schrill. Ich ritt auf einem kleinen Hochlandpony zur rechten meines Vaters, James Mores, neben Glengyle selbst. Und das ist eines der schönsten Dinge, deren ich mich erinnern kann: Glengyle küßte mich ins Gesicht, »weil«, wie er sagte, »du, meine kleine Base, die einzige Dame bist, die mit dem Clan reitet.« Dabei war ich nur ein kleines Mädchen von zwölf Jahren. Ich habe auch Prinz Charlie gesehen und seine blauen Augen; o, er war ein schöner Mann! Und ich erhielt vor der ganzen Armee seine Hand zum Kuß. Ja, das waren herrliche Zeiten, aber nun ist alles wie ein Traum, den ich geträumt habe, und aus dem ich inzwischen erwacht bin. Ihr wißt ja, wie es ausging. Das waren die schlimmsten Zeiten von allen, als die Rotröcke nach uns fahndeten und mein Vater und meine Onkel in den Bergen verborgen lagen und ich ihnen um Mitternacht oder bei Morgengrauen, wenn die Hähne krähten, ihr Essen brachte. Ja, manches Mal bin ich mitten in der Nacht unterwegs gewesen, während das Herz mir aus Furcht vor der Dunkelheit schwoll. Es ist recht seltsam, daß mich niemals ein Gespenst erschreckt hat; aber man sagt ja, eine Jungfrau ginge unbehindert. Dann kam meines Onkels Heirat, und das war auch eine schreckliche Geschichte. Jean Kay war der Name der Frau; sie zwang mich in jener Nacht, in ihrer Kammer zu bleiben, in der Nacht zu Inversnaid, wo wir sie nach altem Brauch ihrer Sippe raubten. Jean war bereit und auch nicht bereit: den einen Augenblick war sie willens, Rob zu heiraten, und im nächsten wollte sie nichts von ihm wissen. Nie sah ich ein so hilfloses Geschöpf; wahrlich, ihr ganzes Sein hätte ihr doch Antwort geben müssen. Nun, sie war eine Witwe, und die sind in meinen Augen niemals gute Weiber.«

»Catriona,« sagte ich, »wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?«

»Ich weiß es nicht; ich sage Euch nur, was in meinem Herzen lebt. Einen zweiten Mann heiraten? Pfui! Aber so war sie; sie heiratete meinen Onkel Robin und ging eine Zeitlang mit ihm zur Kirche und auf den Markt, und dann bekam sie ihn satt, oder ihre Freunde beschwatzten sie, oder aber sie schämte sich der Sache. Jedenfalls lief sie ihm davon zu ihrer eigenen Sippe und sagte, wir hätten sie in den See getaucht und anderes, das ich Euch nie erzählen werde. Seitdem halte ich nicht viel von den Weibern. Und endlich wurde mein Vater, James More, ins Gefängnis geworfen, und den Rest kennt Ihr so gut wie ich.« »Und hattet Ihr während der ganzen Zeit keine Freundinnen?« forschte ich. »Nein, ich war von zwei, drei Mädels die Anführerin, aber Freundinnen waren es nicht.«

»Nun, meine Geschichte ist sehr einfach. Ich hatte nie einen Freund, bis ich Euch fand.«

»Und jener tapfere Mr. Stuart?«

»O ja, den hatte ich vergessen! Aber er ist ein Mann; das ist etwas ganz anderes.«

»Das will ich meinen«, antwortete sie. »Natürlich etwas anderes.« »Ja, und da war noch einer. Ich hielt ihn für einen Freund, aber es war eine Täuschung.« Sie fragte, wer es gewesen sei, »Wir beide waren die Bellen in meines Vaters Schule und glaubten einander zu lieben. Mit der Zeit ging er aber nach Glasgow und trat bei einem Kaufmann ins Geschäft, einem Vetter dritten Grades. Er schrieb mir zwei-, dreimal durch den Landboten und fand dann neue Freunde. Da konnte ich schreiben, bis ich müde war, niemals nahm er davon Notiz. Ja, Catriona, es brauchte lange Zeit, ehe ich das der Welt zu verzeihen vermochte. Nichts ist so bitter, als einen vermeintlichen Freund zu verlieren.«

Darauf fragte sie mich eingehend nach seinem Aussehen und Charakter – jeder nahm an allem, was den anderen betraf, innigen Anteil –, bis ich mich endlich, in einem unglücklichen Augenblick, seiner Briefe erinnerte und in die Kabine ging, um sie zu holen. »Hier sind seine Briefe,« sagte ich, »alle Briefe, die ich besitze. Das ist das Letzte, das ich Euch von mir erzählen kann; das Übrige kennt Ihr so gut wie ich.« »Wollt Ihr mir erlauben, sie zu lesen?« fragte sie. Ich sagte ja, wenn sie sich die Mühe machen wollte, und sie bat mich, sie allein zu lassen; sie wolle sie von Anfang bis zu Ende durchlesen. Aber in dem Bündel befanden sich nicht nur die Briefe meines treulosen Freundes, nein, auch einige Briefe, die mir Mr. Campbell von der Konsistoriumsversammlung aus geschrieben hatte, sowie, um die Liste zu vervollständigen, Catrionas kleines Billett und die beiden Billetts von Miß Grant, die ich auf der Insel Baß und hier auf dem Schiff erhalten hatte. Diese hatte ich jedoch im Augenblick vergessen. Der Gedanke an meine Freundin beherrschte mich so vollständig, daß es mir gleichgültig war, was ich tat, ja, es machte mir nur wenig aus, ob ich ihre Gegenwart genoß oder nicht; sie war mir ins Blut übergegangen wie eine Art edlen Fiebers, das ständig, Tag und Nacht, in meiner Brust brannte, ob ich nun wachte oder schlief. So kam es, daß ich, als ich mich erst einmal an den Schiffsbug begeben hatte, wo die breiten Planken klatschend in die Wogen tauchten, keine sonderliche Eile, zu ihr zurückzukehren, spürte. Ich zog vielmehr meine Abwesenheit in die Länge, wie um eine Art Freude auszukosten. Ich glaube kaum, daß ich von Natur aus ein Epikuräer bin; aber ich hatte bisher so wenig Freuden gekannt, daß ein Verweilen dabei vielleicht entschuldbar scheint.

Bei meiner Rückkehr spürte ich ein leichtes Mißbehagen, wie wenn etwas nicht ganz in Ordnung wäre, so kalt überreichte sie mir das Bündel.

»Habt Ihr sie gelesen?« fragte ich, und meine Stimme klang mir unnatürlich; ich zerbrach mir den Kopf, was Catriona wohl hätte.

»Wolltet Ihr, daß ich alle lesen sollte?« Gedrückt antwortete ich mit Ja.

»Den letzten Brief ebenfalls?« Jetzt wußte ich, wo wir standen; aber ich wollte ihr gegenüber nicht lügen. »Ich gab sie Euch alle, ohne mir etwas dabei zu denken, und nahm an, daß Ihr alle lesen würdet. Ich halte sie alle für harmlos.«

»Dann bin ich anders als Ihr. Ich danke Gott, daß ich anders bin. Es ziemte sich nicht, mir diesen Brief zu zeigen. Es ziemte sich nicht, daß er überhaupt geschrieben wurde.« »Ich glaube, Ihr sprecht von Eurer Freundin, Barbara Grant?« »Nichts ist so bitter, wie einen vermeintlichen Freund verlieren«, zitierte sie als Antwort.

»Ich glaube, mitunter ist die Freundschaft nur eingeredet!« rief ich. »Nennt Ihr das gerecht, mir wegen einiger Zeilen von der Hand eines tollen Mädchens die Schuld zu geben? Ihr wißt genau, wie achtungsvoll ich mich benahm und mich stets benehmen werde.« »Und doch habt Ihr mir diesen Brief gezeigt! Ich will von solchen Freunden nichts wissen. Ich kann auch ohne Barbara Grant – und ohne Euch – recht gut auskommen, Mr. Balfour.«

»Das nenn ich mir einen schönen Dank!«

»Ich bin Euch sehr verpflichtet«, sagte sie. »Ich bitte Euch, Eure Briefe zu entfernen.« Sie schien bei diesen Worten zu ersticken, und es klang wie ein Fluch. »Ihr sollt mich nicht zweimal darum bitten«, sagte ich, nahm das Bündel, trat ein paar Schritte vor und warf es, soweit wie nur möglich, in die See. Es fehlte nicht viel, und ich hätte mich selbst nachgeworfen. Den Rest des Tages ging ich wutschnaubend auf und ab. Als die Sonne versank, gab es wenige böse Worte, die ich Catriona in Gedanken nicht an den Kopf geworfen hatte. Alles, was mir je über den Hochländerstolz zu Ohren gekommen war, schien hier weit übertroffen. Daß ein Mädel, kaum erwachsen, eine Anspielung von seiten ihrer intimsten Freundin, deren Lob sie mir unermüdlich gesungen, übelnehmen konnte, ging doch zu weit! Meine Gedanken an sie waren hart und bitter wie die eines zornigen Knaben. Ich glaube, sie würde, wenn ich sie tatsächlich geküßt hätte, die Sache ziemlich gut aufgenommen haben; und nur weil dieser Gedanke in treffenden Scherzworten zu Papier gebracht worden war, redete sie sich in solchen lächerlichen Zorn hinein. Mir schien, als litte das ganze weibliche Geschlecht an einem Mangel an Einsicht, der selbst die Engel im Himmel über uns arme Männer zum Weinen bringen mußte.

Beim Abendessen saßen wir wieder nebeneinander, aber welche Veränderung von ihrer Seite! Zu mir war sie wie saure Milch; ihr Gesicht war das einer Holzpuppe. Ich hätte sie schlagen oder mich vor ihr im Staube krümmen mögen, aber sie bot mir zu beiden Möglichkeiten nicht den geringsten Anlaß. Kaum war die Mahlzeit zu Ende, da begab sie sich zu Mrs. Gebbie, die sie, glaube ich, bisher etwas vernachlässigt hatte. Aber nun holte sie das Versäumte nach, und den Rest der Überfahrt erwies sie der alten Dame die größte Aufmerksamkeit und schien sich auf Deck, mehr als mir klug dünkte, mit Kapitän Sang einzulassen. Zwar schien der Kapitän ein würdiger, väterlicher Mann, aber ich haßte es, irgend jemanden außer mir selbst vertraulich mit ihr umgehen zu sehen.

Kurz, sie wich mir geschickt aus und wußte sich so hartnäckig von Fremden zu umgeben, daß ich lange warten mußte, bis ich Gelegenheit, sie zu sprechen, fand; und selbst dann scheiterte ich, wie man gleich hören wird, ziemlich kläglich. »Ich ahne nicht, wodurch ich Euch beleidigt habe,« hub ich an, »daher dürfte das Vergehen kaum unverzeihlich sein. O, versucht doch, mir zu vergeben!«

»Ich habe nichts zu vergeben«, lautete die Antwort, und die Worte kamen hart wie Marmelsteine aus ihrer Kehle. »Ich bin Euch für all Eure Freundschaft sehr verpflichtet.« Damit schenkte sie mir den achten Teil eines Knickses.

Aber ich hatte mich darauf gefaßt, mehr zu sagen, und war auch entschlossen, es zu tun.

»Vor allem eins: wenn ich durch das Vorzeigen jenes Briefes Euer Anstandsgefühl verletzt habe, kann das doch Miß Grant in keiner Weise berühren. Sie schrieb nicht an Euch, sondern an einen ganz gewöhnlichen, armen Burschen, der mehr Verstand hätte haben müssen, als den Brief Euch zu zeigen. Wenn Ihr also mir die Schuld zumesset…«

»Ich rate Euch, unter keinen Umständen ein Wort mehr von diesem Mädchen zu sprechen!« rief Catriona. »Ich würde sie nicht ansehen, und wenn sie im Sterben läge.« Damit wandte sie sich von mir ab und drehte sich dann plötzlich noch einmal um. »Wollt Ihr schwören, nichts mehr mit ihr zu tun zu haben?« fragte sie.

»Nein, nie und nimmer werde ich so ungerecht und so undankbar sein«, erwiderte ich.

Und jetzt war ich es, der sich wegwandte.

Zweiundzwanzigstes Kapitel


Helvoetsluys

Gegen Ende der Reise verschlimmerte sich das Wetter beträchtlich; der Wind sang in den Wanten, die See ging höher und höher, und das Schiff begann unter der Wucht der Wellen zu schlingern und zu stöhnen. Der Ruf des Lotsen an den Ankerketten tönte fast unablässig, ständig mußten wir unseren Weg zwischen Sandbänken suchen. Etwa um neun Uhr morgens, während eines flüchtigen Durchbruchs der Sonne zwischen zwei Hagelschauern, warf ich meinen ersten Blick auf Holland, – eine Reihe Windmühlen, die sich im Seewind drehten. Es war auch das erstemal, daß ich eine dieser tollen Baulichkeiten zu Gesicht bekam, und das Bewußtsein fremder Länder und einer neuen Welt und neuen Lebens wurde in mir wach. Etwa um halb zwölf Uhr vormittags gingen wir außerhalb des Hafens von Helvoetsluys vor Anker, an einer Stelle, wo sich von Zeit zu Zeit die Wellen brachen und unser Schiff wild umherschleuderten. Es versteht sich von selbst, daß wir alle, mit Ausnahme von Mrs. Gebbie, auf Deck waren, teils in Mänteln, teils in Öltücher gehüllt; dort hielten wir uns an den Tauen fest und suchten nach Möglichkeit, wie erfahrene Seeleute, über die Lage zu scherzen.

Bald danach tastete sich ein Boot mit dem Rückenpanzer einer Seekrabbe vorsichtig an uns heran, der Führer rief unserem Kapitän auf holländisch etwas zu. Darauf wandte sich Kapitän Sang mit sehr besorgtem Ausdruck an Catriona und setzte uns, die wir ihn umringten, auseinander, welche Schwierigkeiten es zu bewältigen gälte. Die »Rose« war nach Rotterdam bestimmt, wohin die anderen Passagiere möglichst schnell gelangen wollten, da noch am selben Abend ein Schiff nach Deutschland abging. Bei dem gegenwärtigen stürmischen Wind, erklärte der Kapitän, könne er, wenn hier keine Zeit versäumt würde, das Ziel noch rechtzeitig erreichen. James More hatte sich aber mit seiner Tochter in Helvoet ein Rendezvous gegeben, und der Kapitän hatte sich verpflichtet, am dortigen Hafen anzulegen und Catriona (dem Brauche gemäß) ausbooten zu lassen. Das Boot war ja auch zur Stelle, Catriona war bereit; aber sowohl der Kapitän wie der holländische Bootsführer scheuten sich, ein derartiges Risiko auf sich zu nehmen, und ersterer war nicht geneigt, zu warten.

»Euer Vater würde wenig entzückt sein, wenn Ihr durch unsere Schuld ein Bein brächet, Miß Drummond, oder wenn wir gar zusähen, wie Ihr ertränket. Laßt Euch von mir raten: fahrt mit uns andern nach Rotterdam. Von dort könnt Ihr in einem Schnellsegler die Maas hinunter bis Brill fahren und weiter in einem Postwagen nach Helvoet zurück.«

Aber Catriona wollte von keiner Änderung ihrer Reisepläne hören. Sie erbleichte, als sie den hoch sprühenden Gischt sah, die grünen Wogen, die mitunter über dem Vorkastell zusammenbrachen, und das Boot, das unablässig auf den Wellenkämmen tanzte und schaukelte, aber sie hielt an ihres Vaters Befehl fest. »Mein Vater, James More, hat es so bestimmt«, war ihr erstes und letztes Wort. Mich dünkte es sehr töricht, ja leichtsinnig von dem Mädchen, sich so wörtlich an eine Verabredung zu halten und so dringlichem, freundschaftlichen Rat entgegenzuhandeln; in Wahrheit jedoch hatte sie dafür einen sehr guten Grund, wenn wir es nur gewußt hätten. Schnellsegler und Postwagen sind zwar vortreffliche Dinge, wollen aber im voraus bezahlt werden, und Catrionas ganzes Hab und Gut betrug zwei Schillinge und sechs Pence Sterling. So kam es, daß der Kapitän und die Passagiere in Unkenntnis ihrer Armut, die sie zu stolz war, einzugestehen, umsonst redeten.

»Aber Ihr könnt ja weder Französisch noch Holländisch«, bemerkte der eine.

»Wahr, aber seit dem Jahre ’46 halten sich so viele brave Schotten im Ausland auf, daß ich recht gut durchkommen werde, danke.«

In diesen Worten lag eine so reizende, ländliche Einfalt, daß einige lächelten und andere ernster denn je dreinschauten, und Mr. Gebbie erhielt einen regelrechten Wutanfall. Ich glaube, er wußte genau, daß es seine Pflicht war, da seine Frau die Verantwortung für das Mädchen übernommen hatte, Catriona an Land und in Sicherheit zu bringen; dazu hätten ihn aber keine zehn Pferde gebracht, da das die Versäumnis seines Anschlusses bedeutete; vermutlich erstickte er daher die Stimme des Gewissens durch lautes Poltern. Endlich wandte er sich wutschnaubend gegen Kapitän Sang, behauptete, das Ganze wäre eine Schande, und jetzt das Schiff verlassen, hieße dem Tod in die Arme laufen; unter keinen Umständen könnten wir ein unschuldiges Mädchen einem Boot voll widerlicher holländischer Fischer ausliefern und sie dann ihrem Schicksal überlassen. Ich dachte ungefähr das Gleiche, zog den Maat beiseite, vereinbarte mit ihm, mein Gepäck durch ein Treidelboot an eine angegebene Adresse in Leyden nachzusenden, und trat vor und machte den Fischern ein Zeichen.

»Ich werde mit der jungen Dame an Land gehen, Kapitän Sang«, sagte ich. »Es ist mir ganz gleich, auf welche Weise ich Leyden erreiche«, damit sprang ich mit solcher Eleganz in das Boot, daß ich zwei von den Fischern mit mir zu Boden riß.

Von unten aus erschien die Sache noch gefährlicher als von Deck, so hoch über uns ragte das Schiff, so heftig waren seine Bewegungen, und so sehr bedrohte es uns durch sein Stampfen und Reißen am Ankerkabel. Ich fing an zu glauben, ich hätte einen Narrenstreich begangen – es schien mir schier unmöglich, daß Catriona mir nachfolgen könnte –, und daß ich ganz allein in Helvoet an Land gehen müßte, ohne andere Aussicht auf Lohn als die Freude, James More in die Arme zu schließen, falls ich dazu Lust verspürte. Aber ich hatte ohne des Mädchens Mut gerechnet. Sie hatte gesehen wie ich, scheinbar fast ohne zu zögern (ganz gleich, welches meine wahren Gefühle waren), hinabgesprungen war und wollte, koste es, was es wolle, nicht hinter ihrem verschmähten Freunde zurückstehen. Da stand sie auf der Reeling und hielt sich an dem Gestänge fest, während der Wind ihre Röcke zauste – ein Umstand, der das Unterfangen noch gefährlicher gestaltete –, dabei zeigte sie uns ein wenig mehr von ihren Strümpfen, als in einer Stadt gerade für vornehm gegolten hätte. Es gab keine Minute zu verlieren, und uns blieb auch keine Zeit, uns einzumischen, vorausgesetzt, daß wir den Wunsch dazu gehabt hätten. Ich breitete unten meine Arme aus; das Schiff tauchte zu uns herab, der Patron schob sein Boot etwas näher heran, als mit unserer Sicherheit so ganz vereinbar war, und Catriona sprang in die Luft. Ich war so glücklich, sie aufzufangen, und wir entgingen, da die Schiffer uns bereitwillig stützten, einem Fall. Einen Augenblick klammerte sie sich, schwer und tief Atem holend, an mich, dann half uns der Steuermann an unsere Plätze, und unter den Hurrarufen und Abschiedsgrüßen Kapitän Sangs und der Passagiere hielt das Boot auf die Küste zu.

Kaum, hatte Catriona sich ein wenig gefaßt, als sie wortlos meine Hand losließ. Auch ich sprach kein Wort, ja das Pfeifen des Windes und der Sprühregen machten Sprechen fast unmöglich; unsere Besatzung gab sich die denkbar größte Mühe, kam aber nur sehr langsam vorwärts, und die »Rose« war bereits wieder unterwegs, ehe wir die Hafenmündung erreichten.

Sobald wir in ruhigem Wasser fuhren, hielt der Patron, der abscheulichen holländischen Sitte gemäß, das Boot an und verlangte von uns das Fahrgeld. Der Mann forderte zwei Guilders – etwa drei bis vier englische Schillinge – pro Fahrgast. Da aber begann Catriona sehr aufgeregt zu protestieren. Sie erklärte, sie hätte sich bei Kapitän Sang nach dem Preis erkundigt; er betrüge nur einen Schilling englisch. »Glaubt Ihr, ich wäre, ohne vorher zu fragen, an Bord gekommen?« rief sie. Der Patron antwortete schimpfend in einem Dialekt, der reichlich mit englischen Flüchen untermischt, sonst aber gut holländisch war, bis ich dem Schelm heimlich sechs Schillinge in die Hand drückte, da ich erkannte, daß das Mädchen den Tränen nahe war, worauf er die Güte hatte, ohne weitere Beschwerden von ihr den verbleibenden Schilling anzunehmen. Fraglos war ich ziemlich gereizt und beschämt. Ich liebte Sparsamkeit, nicht aber, wenn sie zur Leidenschaft wurde; als das Boot sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, fragte ich Catriona daher in zweifellos recht kühlem Tone, wo sie ihren Vater zu treffen gedächte.

»Ich soll mich nach ihm im Hause eines gewissen Sprott erkundigen, der ein ehrlicher schottischer Kaufmann ist«, entgegnete sie und fügte im gleichen Atemzuge hinzu: »Ich möchte Euch recht herzlich danken – Ihr habt an mir als wackerer Freund gehandelt.«

»Dazu ist noch Zeit genug, wenn ich Euch zu Eurem Vater gebracht habe«, antwortete ich, ohne zu ahnen, wie wahr ich sprach. »Ich habe ihm eine prächtige Geschichte von einer treuen Tochter zu erzählen.«

»O, ich glaube, ich bin kein treues Mädchen«, rief sie mit sehr schmerzlichem Ausdruck. »Ich glaube, im Herzen bin ich gar nicht treu.«

»Sehr wenige Menschen hätten jenen Sprung gewagt, nur um eines Vaters Befehl zu gehorchen«, bemerkte ich.

»Ich kann nicht dulden, daß Ihr solches von mir denkt«, rief sie von neuem. »Wie konnte ich zurückbleiben, da Ihr vor mir das Gleiche getan hattet? Jedenfalls war Treue nicht der einzige Grund.« Und brennenden Antlitzes schilderte sie mir offen ihre Armut.

»Gott im Himmel, was ist das für ein tolles Unterfangen, sich mit leerem Beutel auf dem europäischen Kontinent absetzen zu lassen – das ist in meinen Augen kaum anständig – kaum anständig!« wiederholte ich aufgeregt.

»Ihr vergeßt, James More, mein Vater, ist ein armer Gentleman. Er ist ein gehetzter Verbannter.«

»Aber all Eure Freunde sind, soviel ich weiß, nicht gehetzte Verbannte«, rief ich aus. »Ist das gerecht gegen die gehandelt, denen Ihr teuer seid? Ist es gerecht gegen mich? Gerecht gegen Miß Grant, die Euch den Rat, zu fahren, gab, und die fuchsteufelswild wäre, wenn sie davon wüßte? War es selbst gegen diese Gregorys gerecht, mit denen Ihr zusammenlebtet, und die sehr gütig zu Euch waren? Es ist ein Segen, daß Ihr in meine Hände fielet. Wenn nun Euer Vater durch irgendeinen Zufall verhindert wäre, was sollte wohl aus Euch werden, falls Ihr Euch mutterseelenallein in einem fremden Ort befändet? Schon der Gedanke macht mir Angst.«

»Ich habe sie alle belogen«, erwiderte sie. »Ich sagte allen, ich hätte reichlich Geld. Ich sagte es auch ›ihr.‹ Ich konnte James More in ihren Augen nicht herabsetzen.«

Später entdeckte ich, daß sie ihn selbst bis in den Staub herabgesetzt haben mußte; die Lüge war ursprünglich von dem Vater, nicht von der Tochter ausgegangen, und sie war gezwungen gewesen, des Mannes Ruf zu decken. Im Augenblick wußte ich jedoch nichts hiervon; bereits der Gedanke, in welche Not und Gefahr sie hätte geraten können, genügte, um mich über die Maßen zu irritieren.

»Ja, ja,« antwortete ich, »Ihr müßt lernen, mehr Vernunft anzunehmen.«

Ich ließ ihr Gepäck vorübergehend in einem Wirtshaus am Strande, wo ich mich auch in meinem neuen Französisch nach Sprotts Wohnung erkundigte. Wir gingen zu Fuß dorthin – sie lag eine ganze Strecke entfernt – und staunten im Gehen den Ort an. Es gab hier für Schotten wirklich viel zu bewundern: Kanäle und Bäume zwischen den einzelnen Häusern; Häuser, jedes für sich abgeschlossen, aus schönen roten, rosenfarbenen Ziegeln mit Treppen und Bänken aus blauem Marmor an jeder Türschwelle, das ganze Städtchen so sauber, daß man von der Straße hätte essen können. Sprott saß zu Hause über seinen Rechnungsbüchern, in einem niederen, sehr ordentlichen, properen Wohnzimmer, das ganz mit Porzellan und Bildern und mit einem Globus in messingnem Rahmen ausgeschmückt war. Er war ein pausbäckiger, kräftiger, vollblütiger Mann mit einem harten, unehrlichen Ausdruck und hatte nicht einmal die Höflichkeit, uns einen Stuhl anzubieten.

»Ist James More McGregor zur Zeit in Helvoet, Sir?« erkundigte ich mich.

»Ich kenne niemanden jenes Namens«, entgegnete er ungeduldig.

»Da Ihr es so genau nehmt,« antwortete ich, »werde ich meine Frage vervollständigen und mich bei Euch erkundigen, ob in Helvoet ein gewisser James Drummond, alias McGregor, alias James More, weiland Pächter in Inveronachile, zu finden ist?«

»Sir,« erwiderte er, »er kann meinetwegen in der Hölle sein, was weiß ich; ich persönlich wünsche, er wäre es.«

»Diese junge Dame hier ist jenes Gentlemans Tochter, Sir,« sagte ich, »und Ihr werdet, nehme ich an, mit mir übereinstimmen, daß es nicht gerade der Schicklichkeit entspricht, sich in ihrer Gegenwart über seinen Charakter zu äußern.«

»Ich habe weder mit ihm noch mit ihr noch mit Euch selbst was zu schaffen!« schrie er mit seiner groben Stimme.

»Mit Verlaub, Mr. Sprott,« entgegnete ich, »diese junge Dame ist aus Schottland gekommen, um ihn aufzusuchen und erhielt, einerlei durch welchen Irrtum, Euer Haus als seine Adresse angegeben. Es scheint hier in der Tat ein Irrtum vorzuliegen, aber ich glaube, das legt sowohl Euch wie mir – der ich zufällig einer ihrer Mitreisenden bin – die starke Verpflichtung auf, unserer Landsmännin zu helfen.«

»Wollt Ihr mich noch verrückt machen?« schrie er. »Ich sage Euch ja, ich weiß nichts von ihm seiner Brut und frage noch weniger danach. Ich sage Euch, der Mann ist mir Geld schuldig.»

»Das kann sehr leicht möglich sein«, entgegnete ich, jetzt noch um einen Grad aufgebrachter als er. »Ich aber zum mindesten schulde Euch nichts; diese junge Dame steht unter meinem Schutz, und ich bin derartige Manieren weder gewöhnt, noch bin ich gesonnen, sie mir gefallen zu lassen.«

Als ich mit diesen Worten, ohne mir etwas dabei zu denken, ein, zwei Schritt näher trat, bemerkte ich, daß ich durch schieres Glück das einzige Mittel entdeckt hatte, das den Mann irgendwie zu berühren vermochte. Das Blut wich aus seinem roten, gesunden Gesicht.

»Um des Himmels willen, nicht so hastig, Sir!« stieß er hervor. »Ich habe wahrhaftig nicht die Absicht, jemanden zu beleidigen. Aber Ihr wißt schon, Sir, ich gehöre zu den gutmütigen, ehrlichen, vorsichtigen alten Rauhbeinen. Wenn man mich hört, könnte man fast meinen, ich sei ein wenig sauertöpfisch; aber nein, nein, im Grund seines Herzens ist Sandie Sprott ein guter alter Kerl! Und Ihr könnt Euch nicht denken, welchen Ärger ich schon mit jenem Mann gehabt habe.«

»Gut, Sir, dann werde ich Eure Güte so weit in Anspruch nehmen, Euch um die letzten Nachrichten von Mr. Drummond zu bitten.«

»Herzlich gern, Sir! Und was die junge Dame betrifft (respektvollsten Diener!), so wird er sie rein vergessen haben. Sie begreifen, ich kenne den Mann; ich habe schon früher Geld an ihn verloren. Er denkt an niemand als an sich selbst; Clan, König und Tochter, er ließe sie und seinen Geschäftsfreund im Stich, um nur erst sein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Gewissermaßen bin ich sein Geschäftsfreund. Tatsache ist, wir sind zusammen an einem Unternehmen beteiligt, und es scheint mir ganz so, als sollte das Sandie Sprott teuer zu stehen kommen. Der Mann ist so gut wie mein Teilhaber, trotzdem geb ich Euch mein Wort, daß ich nicht weiß, wo er steckt. Vielleicht ist er auf dem Wege nach Helvoet; vielleicht kommt er morgen, vielleicht in einem Jahr. Ich werde mich über nichts in der Welt mehr wundern, nur noch über das eine: wenn ich mein Geld zurückerhalte. Ihr seht also, wie’s um mich steht und daß ich keine große Lust habe, mich um die junge Dame zu kümmern, wie Ihr sie nennt. Hier kann sie nicht bleiben, das ist sicher. Bei Gott, Sir, ich bin Junggeselle! Wenn ich sie bei mir aufnähme, der Teufelskerl bekäm’s fertig und zwänge mich bei seiner Rückkehr, sie zu heiraten!«

»Genug von diesem Geschwätz«, sagte ich. »Ich werde die junge Dame zu besseren Freunden bringen. Gebt mir Feder, Tinte und Papier, und ich werde James More die Adresse meines Leydener Korrespondenten dalassen. Er kann sich bei mir erkundigen, wo seine Tochter zu finden ist.«

Ich schrieb und versiegelte einen Zettel dieses Inhalts, während Sprott von sich aus das willkommene Angebot machte, die Sorge für Miß Drummonds Gepäck zu übernehmen, ja einen Träger nach dem Gasthaus zu senden. Zu diesem Zweck händigte ich ihm als Deckung ein paar Taler aus, und er überreichte mir dafür eine schriftliche Quittung.

Darauf bot ich Catriona meinen Arm, und wir verließen zusammen das Haus dieses unausstehlichen Gauners. Sie hatte während der ganzen Zeit kein Wort gesprochen und mir statt dessen das Reden und das Handeln überlassen; ich meinerseits hatte mir Mühe gegeben, sie durch keinen Blick in Verlegenheit zu setzen. Und selbst jetzt war es meine Sorge, vollkommen unbefangen zu erscheinen, obwohl mein Herz vor Scham und Zorn stillzustehen drohte.

»So,« sagte ich, »jetzt wollen wir in das Wirtshaus zurückkehren, in dem man französisch spricht, zu Mittag essen und uns nach einer Reisemöglichkeit nach Rotterdam erkundigen. Ich werde keine Ruhe haben, bis ich Euch wieder sicher in Mrs. Gebbies Händen weiß.«

»Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben,« meinte Catriona, »obwohl ich kaum glaube, daß sie sich darüber freuen wird. Ich möchte Euch auch noch einmal daran erinnern, daß ich nur einen Schilling und sechs Pence besitze.«

»Und ich sage nochmals, es ist ein Segen, daß ich Euch an Land begleitete.«

»Meint Ihr, ich hätte die ganze Zeit an etwas anderes denken können?« entgegnete sie und lehnte sich, wie mich dünkte, etwas stärker auf meinen Arm. »Ihr seid mir ein treuer Freund.«

Dreiundzwanzigstes Kapitel


Wanderungen durch Holland

Der Postwagen, ein langes Gefährt mit Reihen von Bänken, brachte uns in vier Stunden nach der großen Stadt Rotterdam. Es war inzwischen längst dunkel geworden, aber die Straßen waren ziemlich hell erleuchtet und gedrängt voll wilder, fremdländischer Gestalten – bärtiger Hebräer, Neger und Scharen von Kurtisanen, die äußerst unanständig aufgeputzt waren und Seeleute am Ärmel festhielten. Das Schreien und Reden dröhnte uns in den Ohren, und, was das Erstaunliche von allem war: all diese Ausländer schienen auf uns ebensowenig Eindruck zu machen, wie wir auf sie. Um des Mädchens willen hatte ich das zuversichtlichste Gesicht von der Welt aufgesetzt; in Wahrheit jedoch kam ich mir wie ein verirrtes Schäfchen vor, und das Herz klopfte mir vor lauter Sorge. Ein-, zweimal erkundigte ich mich am Hafen nach dem Ankerplatz der »Rose«; allein ich geriet entweder an jemanden, der nur Holländisch sprach, oder mein eigenes Französisch versagte. Als ich auf gut Glück in eine Straße einbog, stieß ich auf eine Flucht erleuchteter Häuser, deren Türen und Fenster voll geschminkter, zweifelhafter Weiber waren; sie drängten und stießen uns im Vorübergehen, und ich war froh, daß wir ihre Sprache nicht verstanden. Bald danach kamen wir auf einen freien Platz am Hafen.

»Jetzt sind wir endlich am Ziel!« rief ich, als ich die Masten gewahrte. »Wir wollen hier am Hafen auf und ab spazieren. Da werden wir sicherlich bald jemanden treffen, der Englisch spricht; ja, wenn wir Glück haben, finden wir unser Schiff.«

Der Zufall wollte es, daß sich das Nächstbeste ereignete. Wem liefen wir so um neun Uhr abends in die Arme? Niemandem anderen als Kapitän Sang! Er berichtete, sie hätten die Fahrt in unglaublich kurzer Zeit zurückgelegt, da der kräftige Wind sie bis zu dem Hafen geleitet hätte; dadurch wäre es sämtlichen Passagieren noch möglich gewesen, sich auf die Weiterreise zu begeben. Wir konnten aber unmöglich den Gebbies bis nach Süddeutschland nachjagen und hatten hier keinen Bekannten, an den wir uns halten konnten, außer Kapitän Sang. Um so froher waren wir, als dieser sich sehr freundlich und hilfsbereit zeigte. Er erklärte, es wäre eine Kleinigkeit, eine einfache und anständige Kaufmannsfamilie zu finden, bei der Catriona bis zur Neuladung der »Rose« wohnen könnte, und daß er Fräulein Drummond mit Freuden umsonst nach Leith zurückbringen und wohlbehalten Mr. Gregory abliefern würde. Inzwischen führte er uns in eine Nachtkneipe, um uns zu einer Mahlzeit zu verhelfen, derer wir beide sehr bedürftig waren. Wie gesagt, er schien sehr freundlich und hilfsbereit, zu meiner Überraschung jedoch auch etwas ausgelassen, und der Grund hierfür wurde bald offenbar. In der Gaststätte bestellte er sofort Rheinwein, den er in reichlichen Mengen hinunterspülte, und wurde bald grenzenlos betrunken. Dabei verließ ihn, wie das bei vielen Männern, vornehmlich aber bei Männern seines rauhen Handwerks, nur allzu häufig der Fall ist, auch der letzte Rest von Manieren. Sein Benehmen der jungen Dame gegenüber war skandalös; er scherzte in der unflätigsten Weise über das Bild, das sie abgegeben hätte, als sie auf der Schiffsreeling stand, und mir blieb daher nichts übrig, als mich heimlich mit ihr zu entfernen. Als wir das Speisehaus verließen, klammerte sie sich krampfhaft an meinen Arm. »Führt mich fort von hier, David«, sagte sie. »Laßt mich bei Euch sein. Vor Euch habe ich keine Angst.« »Und habt dazu auch keine Ursache, meine kleine Freundin!« rief ich laut, im Stillen jedoch hätte ich weinen können. »Wo wollt Ihr mich jetzt hinführen?« forschte sie weiter. »Was Ihr auch tut, verlaßt mich nicht, verlaßt mich bitte nie.« »Ja, wo soll ich Euch hinführen?« wiederholte ich und hielt im Gehen inne – bislang war ich blind drauflos marschiert. »Ich muß ein Weilchen stehenbleiben und nachdenken. Ich werde Euch nie verlassen, Catriona; der Herrgott tue mir das Gleiche, ja, strafe mich noch härter, wenn ich Euch im Stich lasse oder kränke.« Als Antwort preßte sie sich noch enger an mich.

»Hier«, sagte ich, »ist der stillste Platz, den wir in dieser lauten, geschäftigen Stadt gefunden haben. Wir wollen uns unter jenem Baume niederlassen und unsere Lage bedenken.«

Der Baum (den ich so bald nicht vergessen werde) stand dicht am Hafenrand. Die Nacht war dunkel, aber in den Häusern und auf den schweigenden Schiffen in unserer Nähe brannte noch Licht; uns zur Rechten schimmerte der Lichterglanz der Stadt, und über ihr schwebte das Summen vieler Tausender von in Bewegung und im Gespräch befindlichen Menschen; zur Linken lag Dunkelheit und das glucksende Wasser. Ich breitete meinen Mantel über einen Stein und hieß Catriona sich niedersetzen; sie wollte sich auch weiterhin an mich klammern, so heftig zitterten die Beleidigungen in ihr nach, aber mir lag daran, meine Gedanken zu ordnen; daher machte ich mich von ihr los und vollführte vor ihr einen Schmugglermarsch, wie wir es nennen – immer auf und ab gehend und mir den Kopf nach einem Ausweg zerbrechend. Während ich hin und her überlegte, fiel mir ein, daß ich in der Eile und Hast unseres Aufbruchs es Kapitän Sang überlassen hatte, für uns die Zeche zu bezahlen. Ich mußte laut auflachen; meiner Meinung nach geschah es dem Manne ganz recht; gleichzeitig fuhr ich instinktiv mit der Hand in die Tasche, in der ich mein Geld aufbewahrte. Wahrscheinlich war mir die Sache in der Gasse zugestoßen, als die Weiber uns anrempelten; das eine war gewiß: ich hatte meine Börse verloren. »Ihr habt soeben einen guten Gedanken gehabt«, sagte Catriona, als sie merkte, wie ich stutzte.

In der Klemme, in der wir uns jetzt befanden, sah ich plötzlich ganz klar wie durch ein Fernrohr, daß uns keine Wahl übrigblieb. Ich besaß keinen Groschen Bargeld, aber in meiner Brieftasche ruhte mein Kreditbrief auf das Leydener Bankhaus. Es gab nur eine Möglichkeit, dorthin zu gelangen: unsere zwei Paar Füße. »Catriona,« sagte ich, »ich kenne Euch als ein tapferes und kräftiges Mädchen – glaubt Ihr, Ihr könntet auf ebener Landstraße dreißig Meilen wandern?« Es stellte sich später heraus, daß die Entfernung nur zwei Drittel davon betrug, aber ich glaubte, der Weg wäre so weit. »David,« entgegnete sie, »wenn Ihr mich in Eurer Nähe behaltet, will ich überall hingehen und alles tun, was Ihr wollt. Mir ist der Mut ganz gebrochen. Laßt mich nur nicht in dieser furchtbaren Stadt allein; sonst ist mir alles recht.« »Könnt Ihr jetzt aufbrechen und die Nacht über marschieren?« »Ich will alles tun, was Ihr von mir verlangt, und Euch niemals nach dem Grunde fragen. Ich habe mich Euch gegenüber als schlechtes, undankbares Mädchen gezeigt; macht jetzt mit mir, was Ihr wollt! Ich finde auch, Miß Grant ist das beste Fräulein von der Welt«, fügte sie hinzu, »und sehe nicht ein, weshalb sie Euch verleugnet hat.« Das war für mich Griechisch und Hebräisch, aber ich hatte anderes zu bedenken. Vor allem mußten wir aus der Stadt heraus auf die Leydener Heerstraße. Das erwies sich als ein hartes Problem, und es mochte ein bis zwei Uhr nachts geworden sein, ehe wir die glückliche Lösung fanden. Sobald die Häuser hinter uns lagen, hatten wir nichts, das uns als Wegzeichen dienen konnte, weder Mond noch Sterne, nur das weiße Band der Straße inmitten zweier schwarzer Seitenwege. Außerdem gestaltete sich das Gehen zu einer ungemeinen Schwierigkeit infolge eines eisigen Nachtfrostes, der ganz plötzlich nach Mitternacht eingesetzt und die Landstraße in eine einzige, lange Rutschbahn verwandelt hatte.

»Nun, Catriona,« bemerkte ich, »jetzt gleichen wir den Königssöhnen und den Töchtern der alten Hexe aus Euren wunderlichen Hochlandssagen. Bald wandern auch wir über die ›sieben Berge, die lieben Täler und die sieben Sümpfe‹ .« Das war so eine Redensart, die immer wieder in ihren Märchen vorkam, und die ich mir gemerkt hatte.

»Ja,« entgegnete sie, »nur gibt es hier keine Berge und Täler! Aber ich will nicht leugnen, einige der Bäume und der Ortschaften hier in der Ebene sind recht hübsch. Trotzdem ist unser Land das beste.«

»Ich wollte, wir könnten das gleiche von unseren Landsleuten behaupten«, erwiderte ich und dachte dabei an Sprott und Sang, vielleicht an James More selbst.

»Ich werde nie und nimmer Nachteiliges über meines Freundes Heimat sagen«, bemerkte sie mit so eigentümlicher Betonung, daß ich den Ausdruck ihres Gesichtes klar vor mir sah.

Ich sog scharf den Atem ein und wäre auf dem schwarzen Eise fast hingeschlagen.

»Ich weiß nicht, was Eure Meinung ist, Catriona,« sagte ich, als ich mich ein wenig gefaßt hatte, »aber ich finde, heute war bisher der schönste Tag unserer Reise. Ich schäme mich, es einzugestehen, da Ihr so viel Unglück und Unannehmlichkeiten hattet; aber für mich war es der schönste.«

»Es war ein guter Tag, da Ihr mir so viel Liebe zeigtet.« »Trotzdem schäme ich mich, so glücklich zu sein, während Ihr Euch hier in tiefster Nacht auf der Landstraße befindet.« »Wo in weiter Welt sollte ich sonst wohl sein?« rief sie. »Ich meine, bei Euch bin ich doch am sichersten.«

»Ihr habt mir also ganz verziehen?«

»Wollt Ihr mir nicht so weit verzeihen, nie wieder über die Sache zu sprechen?« stieß sie hervor; »in meinem Herzen lebt für Euch nichts als Dankbarkeit. Aber ich will ehrlich sein,« fügte sie überraschend hinzu, »jenem Mädchen kann ich nie vergeben.«

»Sprecht Ihr wieder von Miß Grant? Ihr sagtet doch selbst, sie sei das gütigste Fräulein von der Welt.«

»Das ist sie auch, das ist sie auch! Trotzdem kann ich ihr nie verzeihen. Nie und nimmer werde ich ihr verzeihen, also will ich nichts mehr von ihr hören.«

»Nun,« meinte ich, »das übersteigt wohl alles, was ich je erlebt habe; ich staune, daß Ihr so kindischen Launen nachgebt. Hier ist eine junge Dame, die sich uns beiden gegenüber als die treueste aller Freundinnen erwiesen hat, die uns lehrte, wie man sich anzieht, ja die uns ein gut Teil Gesittung beibrachte, wie jeder, der uns vor und nach unserer Bekanntschaft mit ihr kannte, auf den ersten Blick sehen muß –« Aber Catriona war mitten auf der Landstraße stehengeblieben. »Die Sache liegt so,« sagte sie, »entweder Ihr wollt weiter von ihr reden, und ich kehre, komme, was da wolle, zur Stadt zurück, oder Ihr erweist mir die Rücksicht, nicht mehr von ihr zu sprechen.«

So vollkommen ratlos wie ich war wohl keiner auf dieser Welt; aber ich überlegte mir, daß sie ganz und gar auf meinen Beistand angewiesen sei, daß sie dem schwachen Geschlecht angehöre und kaum die Kinderschuhe abgestreift hätte, und daß es mir gezieme, Vernunft für zwei zu zeigen.

»Mein liebes Mädchen,« antwortete ich, »ich begreife an der ganzen Sache keinen Deut, aber Gott verhüte, daß ich Euch auf irgendeine Weise erzürne. Und was das Gerede über Miß Grant betrifft, so ist es mir recht gleichgültig; ich glaube sogar, Ihr habt selbst damit angefangen. Meine einzige Absicht, als ich darauf einging, war, Euch eines Besseren zu belehren; ich hasse selbst den Schein der Ungerechtigkeit. Ich bin weit davon entfernt, einen schönen Stolz und edles, weibliches Zartgefühl an Euch zu tadeln; sie kleiden Euch außerordentlich gut, aber Ihr geht darin zu weit.«

»Seid Ihr jetzt fertig?« fragte sie.

»Jawohl.« »Das ist gut«, meinte sie, und wir setzten unsere Wanderung fort, jetzt aber schweigend.

Es ist unheimlich, in tiefster Nacht zu marschieren, nur von Schatten begleitet, und ohne jedes andere Geräusch als die eigenen Schritte. Anfänglich, glaube ich, brannte viel Feindschaft in unseren Herzen, aber die Dunkelheit und Kälte und das Schweigen, das nur von dem Krähen der Hähne oder von dem Gebell eines Bauernköters unterbrochen war, brachten gar bald unsern Stolz zu Fall. Ich für meinen Teil hätte jede entschuldbare Gelegenheit für eine Anrede mit Freuden begrüßt. Vor Morgengrauen fiel ein warmer Regen und fegte den Frost zu unseren Füßen spurlos hinweg. Da brachte ich Catriona meinen Mantel und versuchte, ihn ihr umzuhängen, aber sie sagte ziemlich ungeduldig, ich solle ihn behalten. »Keinesfalls«, entgegnete ich. »Ich bin ein großer, ungeschlachter Bursche, der bereits alle möglichen Unbilden der Witterung über sich hat ergehen lassen, und Ihr seid ein zartes, hübsches Mädchen! Liebe, wollt Ihr, daß ich mich schämen muß?«

Ohne weitere Worte hüllte ich sie darin ein, und da das in der Dunkelheit geschah, ließ ich fast wie als Liebkosung meine Hand einen Augenblick auf ihrer Schulter ruhen. »Ihr müßt versuchen, mit Eurem Freunde etwas mehr Geduld zu haben«, sagte ich. »Eure Güte nimmt kein Ende«, lautete ihre Antwort.

Und wieder ging es schweigend weiter; jetzt jedoch unter ganz anderen Bedingungen. Das Glück in meinem Herzen brannte wie ein Feuer in einem großen Kamine. Der Regen verging noch vor Tagesanbruch, aber es war ein kotiger Morgen, als wir in die Stadt Delft einzogen. Die rotgegiebelten Häuser nahmen sich zu beiden Seiten des Kanals recht stattlich aus; die Dienstmädel scheuerten und wuschen selbst die Pflastersteine der öffentlichen Heerstraße; Rauch stieg aus hundert Küchen auf, und bei mir meldete sich plötzlich das starke Gefühl, daß es an der Zeit sei, zu frühstücken. »Catriona,« sagte ich, »ich glaube, Ihr besitzt noch einen Schilling und drei Doppelpence?«

»Braucht Ihr sie?« erkundigte sie sich und händigte mir ihre Börse aus. »Ich wollte, es wären fünf Pfund! Was wollt Ihr damit machen?«

»Weshalb sind wir denn die ganze Nacht wie ein paar verirrte Zigeuner umhergewandert?« fragte ich. »Doch nur, weil ich in jener unglückseligen Stadt Rotterdam meiner Börse und all meines Hab und Gutes beraubt wurde. Ich erzähle Euch jetzt davon, weil ich glaube, daß das Schlimmste bereits vorüber ist; immerhin liegt noch ein ziemlicher Marsch vor uns, bis wir dorthin gelangen, wo sich mein Geld befindet; und wenn Ihr mir nicht ein Stück Brot kaufen wollt, muß ich wohl fasten.« Sie sah mich mit großen Augen an. Beim Licht des neuen Tages erkannte ich, daß sie ganz grau und bleich vor Müdigkeit war, und das Herz tat mir um ihretwillen weh. Sie brach indes in Lachen aus.

»Du meine Qual! So sind wir beide Bettler? Ihr auch? Ach, ich habe mir das gewünscht! Und ich freue mich, daß ich für Euch das Frühstück kaufen kann. Das wäre erst hübsch, wenn ich, um Euch eine Mahlzeit zu verschaffen, tanzen müßte! Ich glaube, sie kennen unsere Art des Tanzes hier nicht und würden vielleicht aus Neugier für den Anblick bezahlen.«

Ich hätte sie um dieses Wortes willen küssen mögen, nicht als Liebhaber, nur in der Glut meiner Bewunderung. Einem Mann wird stets warm ums Herz, wenn er eine tapfere Frau sieht.

Wir kauften von einer Bäuerin, die frisch in die Stadt gekommen war, einen Trunk Milch und in einem Bäckerladen ein Stück ausgezeichneten, heißen, süß duftenden Brotes, das wir unterwegs verzehrten. Der Weg von Delft nach dem Haag besteht aus einer fünf Meilen langen Allee schattiger Bäume, auf der einen Seite von einem Kanal, auf der anderen von ausgezeichneten Viehweiden begrenzt. Hier war es wirklich angenehm. »Und jetzt, Davie,« sagte sie, »verratet mir, was Ihr mit mir anfangen wollt?« »Das müssen wir noch besprechen, je eher, desto besser. Ich kann in Leyden Geld abheben; das ist also in Ordnung. Die Frage ist nur, was sollen wir mit Euch anfangen, bis Euer Vater zurückkehrt? Gestern nacht hatte es den Anschein, als trenntet Ihr Euch nicht gern von mir.« »Es hat mehr als nur den Anschein«, sagte sie.

»Ihr seid ein sehr junges Mädchen, und ich bin nur ein recht junger Bursch. Darin liegt eine große Schwierigkeit. Wie wollen wir es anstellen? Wollt Ihr Euch als meine Schwester ausgeben?«

»Weshalb denn nicht? Wenn Ihr es mir erlauben wollt?« »Ich wollte wahrhaftig, Ihr wäret es!« rief ich. »Ich wäre ein ganzer Kerl, besäße ich eine solche Schwester. Aber der Haken ist, Ihr seid Catriona Drummond.«

»Und jetzt will ich Catriona Balfour sein«, entgegnete sie. »Wer soll dahinterkommen? Die Leute hier sind uns alle fremd.« »Wenn Ihr meint, es ginge? Ich gestehe, mir macht es Sorge. Mir wäre es recht arg, wenn ich Euch falsch beriete.« »David, Ihr seid hier der einzige Freund, den ich besitze.« »Die reine Wahrheit ist, ich bin zu jung, um Euer Freund zu sein. Ich bin zu jung, Euch zu beraten, und Ihr seid zu jung, um beraten zu werden. Ich sehe nicht ein, was uns sonst übrigbleibt, und doch fühl ich mich verpflichtet, Euch zu warnen.«

»Mir bleibt keine andere Wahl«, sagte sie. »Mein Vater, James More, hat nicht gut an mir gehandelt, es ist nicht das erstemal. Ich bin Euch gleich einem Sack Hafermehl aufgehalst worden und habe mich jetzt nur noch nach Euren Wünschen zu richten. Wollt Ihr mich – schön und gut. Wollt Ihr mich nicht,« – sie drehte sich nach mir um und legte ihre Hand auf meinen Arm – »David, ich fürchte mich.« »Trotzdem muß ich Euch warnen«, hub ich von neuem an, und dann fiel mir ein, daß ich ja der Säckelbewahrer sei, und daß es beileibe nicht anginge, den Anschein zu erwecken, als wolle ich mich lumpen lassen. »Catriona,« fuhr ich fort, »versteht mich nicht falsch: ich will Euch gegenüber nur meine Pflicht erfüllen, Mädchen! Ich befinde mich hier allein in einer fremden Stadt, um ein einsamer Student zu werden; und jetzt hat es sich so gefügt, daß Ihr vielleicht ein Weilchen bei mir wohnen werdet, wie eine Schwester. Ihr versteht doch wenigstens das eine, Liebe, daß ich Euch sehr, sehr gerne bei mir haben möchte?« »Nun, hier bin ich ja«, entgegnete sie. »Das wäre also in Ordnung.« Ich weiß, ich war verpflichtet, offener mit ihr zu sein. Ich weiß, dies ist ein großer Flecken auf meinem Charakter, und es war ein Glück, daß ich nicht teurer dafür bezahlen mußte. Aber ich erinnerte mich, wie stark ihr Zartgefühl schon durch das Wort »küssen« in Barbaras Brief verletzt worden war; wie sollte ich da jetzt, nun sie auf mich angewiesen war, kühner sein? Außerdem sah ich wahrhaftig keine andere Möglichkeit, für sie zu sorgen, und wahrscheinlich zogen auch meine Wünsche mich heftig in diese Richtung. Kurz hinter dem Haag wurde Catriona recht fußlahm und legte den Rest der Entfernung mit ziemlicher Mühe zurück. Zweimal mußte sie am Wegrain ausruhen, und sie tat es mit allerlei anmutigen Reden, indem sie sich vorwarf, sie mache dem Hochland und der Rasse, der sie entstamme, Schande und bedeute für mich nur einen Hemmschuh. Ihre Entschuldigung, sagte sie, sei, daß sie es nicht gewöhnt wäre, in Schuhen zu wandern. Ich wollte, sie solle Schuhe und Strümpfe ablegen und barfuß gehen. Aber sie machte mich darauf aufmerksam, daß anscheinend alle Weiber hierzulande, selbst auf den Landwegen, Schuhzeug trügen. »Ich darf meinem Bruder keine Schande machen«, sagte sie und machte dabei die heitersten Scherze, aber ihr Gesicht strafte sie Lügen.

In der Stadt, die unser Ziel war, befindet sich ein öffentlicher Garten; die Wege sind ganz mit reinem Sand bestreut; die Bäume, teils beschnitten, teils verflochten, bilden zu Häupten ein dichtes Blätterdach, und der ganze Ort ist verschönt durch Laubengänge und Lauben. Hier ließ ich Catriona auf mich warten, während ich meinen Korrespondenten aufsuchte. Dort nahm ich einen Teil meines Kredites in Anspruch und bat ihn, mir eine anständige, ruhige Unterkunft zu empfehlen. Da mein Gepäck noch nicht angekommen war, sagte ich ihm, daß ich wahrscheinlich bei meinen Wirtsleuten seiner Bürgschaft bedürfen würde; dann setzte ich ihm auseinander, daß meine Schwester mich auf kurze Zeit begleitet hätte, um mir die Wirtschaft zu führen, und daß ich daher zwei Zimmer brauchen würde. Das Schlimme aber war: Mr. Balfour hatte sich in seinem Schreiben auf alle möglichen Einzelheiten eingelassen, ohne jedoch ein Wort von einer Schwester zu erwähnen. Ich sah, der Holländer faßte starken Argwohn, und mich über den Rand eines gewaltigen Paars Augengläser anstarrend – er war ein elendes, schwächliches Kerlchen und erinnerte mich an ein krankes Kaninchen – begann er mich eingehend auszufragen. Da ergriff mich eine förmliche Panik. Wenn er nun meine Geschichte glaubt (dachte ich), wenn er mich mit meiner Schwester in sein Haus einladet und ich sie mitbringen muß! Ein nettes Knäuel gab’s da zu entwirren; ja vielleicht würde ich damit endigen, das Mädel wie mich selbst rettungslos zu blamieren. Ich begann ihm also in aller Eile meiner Schwester Charakter zu schildern. Sie sei außerordentlich schüchtern und scheue sich so sehr, fremden Menschen zu begegnen, daß ich sie in diesem Augenblick allein auf einem öffentlichen Platz hätte sitzen lassen. Soweit gediehen, tat ich, was alle in meiner Lage getan haben und verwickelte mich viel tiefer, als nötig war; ja, ich erging mich in einigen völlig überflüssigen Details über Miß Balfours schwächliche Gesundheit und ihr zurückgezogenes Leben als Kind. Da, inmitten dieser Auseinandersetzungen, wurde mir mein Benehmen plötzlich klar, und von Kopf bis zu Fuß überströmte mich eine einzige Blutwelle.

Der alte Herr war nicht so tief ins Netz gegangen, daß er nicht den Wunsch spürte, mich sobald wie möglich loszuwerden. Vor allem war er aber Geschäftsmann, und da mein Geld gut war, mochte mein Betragen noch so viel zu wünschen übriglassen, hatte er die Gewogenheit, mir seinen Sohn als Führer und Bürgen in der Wohnungssuche mitzugeben. Dadurch war ich gezwungen, den jungen Mann Catriona vorzustellen. Das arme, hübsche Kind hatte sich durch die Ruhe gut erholt; ihr Aussehen und ihr Benehmen waren tadelfrei, sie ergriff meinen Arm und nannte mich »Bruder« mit weit größerer Leichtigkeit, als ich zu antworten vermochte. Aber ein unglücklicher Umstand zeigte sich auch hier: in der irrigen Annahme, mir zu helfen, war sie eher vertraulich als das Gegenteil meinem Holländer gegenüber. Ich konnte nicht anders, mich dünkte, Miß Balfour hatte etwas plötzlich ihre Schüchternheit überwunden. Dann gab es noch ein weiteres Bedenken: der Unterschied unserer Rede. Ich sprach den Dialekt der Flachlande und dehnte meine Worte; sie hatte eine Stimme, wie sie nur in den Hochlanden zu finden ist, unterhielt sich mit leicht englischem, aber weit reizenderem Akzent und konnte hinsichtlich der englischen Grammatik nicht gerade als ein Kirchenlicht gelten. Als Bruder und Schwester machten wir daher ein etwas ungleiches Paar. Aber der junge Holländer war ein schwerfälliger Kerl und besaß nicht einmal genügend Temperament, ihre Schönheit zu bemerken – wofür ich ihn gründlich verachtete. Kaum hatten wir ein Dach über unserem Haupte, da ließ er uns zu unserer größten Erleichterung allein.

Vierundzwanzigstes Kapitel


Ausführliche Geschichte eines Exemplars Heineccius

Die Wohnung, die wir gefunden hatten, lag im Oberstock eines Hauses, das rückwärts an den Kanal grenzte. Wir hatten zwei Zimmer, von denen das zweite nur durch das erste betreten werden konnte; in jedem befand sich ein Kamin, nach holländischer Art weit in das Gemach hineingebaut, und da die Räume nebeneinander lagen, blickte man von beiden Fenstern zuerst auf den Wipfel eines Baumes und in einen kleinen Hof, dann auf einen Ausschnitt des Kanals und auf Häuser in holländischem Stil sowie auf einen Kirchturm am jenseitigen Ufer. In jenem Turme hing ein großes Glockenspiel, das die herrlichste Musik machte, und wenn es überhaupt Sonne gab, schien sie gerade in unsere beiden Zimmer hinein. Gute Mahlzeiten ließen wir uns aus einem benachbarten Gasthof kommen. Die erste Nacht waren wir beide ziemlich müde, Catriona war sogar völlig erschöpft. Wir sprachen nur wenig, und ich schickte sie ins Bett, sobald wir gegessen hatten. Am Morgen schrieb ich als Erstes eine Zeile an Sprott, um ihr Gepäck nachkommen zu lassen, sowie einen kurzen Brief an Alan, den ich an die Adresse seines Häuptlings richtete; beide hatte ich expediert und das Frühstück bereitet, bevor ich sie weckte. Ich schämte mich ein wenig, als sie in ihrem einzigen Gewande, ihre Strümpfe noch kotbespritzt von der Landstraße, aus ihrem Zimmer trat. Nach allem, was ich erfahren, mußte eine ganze Reihe von Tagen vergehen, ehe ihre Koffer in Leyden eintreffen konnten, und es war klar, daß sie ein Kleid zum Wechseln brauchte. Anfänglich sträubte sie sich, mir derartige Unkosten aufzuerlegen; aber ich erinnerte sie daran, daß sie jetzt eines reichen Mannes Schwester sei und in einem Anzug, wie er sich für diese Rolle schickte, auftreten müßte; schon bei dem zweiten Händler war sie hingerissen von dem Geist des Unterfangens, und ihre Augen leuchteten. Ich freute mich an ihrer unschuldigen Hingabe an dieses Vergnügen. Merkwürdiger noch war die Leidenschaft, mit der ich mich selbst in die Sache stürzte; nichts war mir schön und gut genug für sie, und ich bekam es niemals satt, sie in den verschiedensten Aufputzen zu sehen. Ja, ich begann einen Teil von Miß Grants tiefem Interesse an der Kleiderfrage zu verstehen; denn die Wahrheit ist, gilt es einen schönen Menschen zu schmücken, so wird alles an dem Geschäft selber schön. Ich muß noch hinzufügen, daß die holländischen Kattune außerordentlich fein und billig waren; aber ich schäme mich, zu verraten, was ich für ihre Strümpfe ausgab. Im großen und ganzen verwendete ich eine so große Summe auf dieses Amüsement – anders kann ich es nicht gut nennen –, daß ich mich lange Zeit schämte, noch weiteres Geld auszugeben und als eine Art Gegengewicht unsere Zimmer ziemlich kahl ließ. Wenn wir nur Betten hatten, wenn Catriona nur recht zierlich gekleidet ging und mir genug Licht, sie zu betrachten blieb, waren unsere Räume für meinen Geschmack prächtig genug. Am Schlusse unserer Besorgungen war ich froh, Catriona mit unseren vielen Paketen vor der Tür absetzen zu können, und begab mich auf einen langen, einsamen Spaziergang, um mir eine Strafpredigt zu halten. Da hatte ich unter mein Dach und quasi an meinen Busen ein junges, sehr schönes Mädchen genommen, deren einzige Bedrohung ihre Unschuld war. Meine Unterredung mit dem alten Holländer und die Lügen, zu denen ich mich gezwungen sah, zeigten mir, wie mein Verhalten sich in anderer Leute Augen ausnehmen mußte; und nach der starken Bewunderung, die ich soeben erst gespürt und der Unmäßigkeit, mit der ich meiner eitlen Kauflust gefrönt hatte, begann ich mein Benehmen selbst für äußerst gewagt zu halten. Ich fragte mich, ob ich, wenn ich in der Tat eine Schwester hätte, sie wohl so kompromittieren würde; dann, als mir das Problem gar zu schwer löslich erschien, veränderte ich die Frage dahin, ob ich Catriona irgendeinem anderen Menschen so ausliefern würde: die Antwort ließ mich schamrot werden. Ich hatte mich selbst und auch das Mädchen in eine Falle gelockt, um so mehr mußte ich darauf achten, mich mit peinlichster Korrektheit zu benehmen. Sie hing, was Nahrung und Unterkunft betraf, gänzlich von mir ab; falls ich ihr Schamgefühl verletzte, blieb ihr keine Zuflucht mehr. Ich war ihr Wirt und ihr Beschützer; je abenteuerlicher die Art, auf die ich in diese Rolle verfallen war, um so unverzeihlicher mein Handeln, wenn ich durch eine noch so ehrliche Werbung dadurch zu profitieren suchte. Angesichts der Gelegenheiten, die sich mir boten, Gelegenheiten, die kein kluger Vater auch nur einen Augenblick geduldet haben würde, war auch die ehrlichste Werbung unfair. Ich erkannte, ich mußte in unserem Verkehr außerordentlich zurückhaltend sein, und doch wieder nicht zu zurückhaltend; denn hatte ich auch kein Recht als Freier aufzutreten, so mußte ich mich doch in der Rolle des Wirts, und wenn möglich des liebenswürdigen Wirts, zeigen. Es war klar, das Ganze bedurfte eines großen Maßes von Takt und Wohlerzogenheit, größer vielleicht, als meine Jahre es mir gewährten. Aber ich hatte mich kühn hineingestürzt, wo selbst die Engel kaum zu wandeln wagten, und es gab keinen anderen Ausweg aus jener Lage, als zu tun, was mich recht dünkte. Ich baute mir daher ein System von Verhaltungsmaßregeln auf, flehte innerlich um Kraft, sie einzuhalten, und kaufte mir als menschlicheres Mittel zu diesem Zweck ein Lehrbuch der Jurisprudenz. Da mir sonst nichts einfallen wollte, ließ ich alle ernsten Betrachtungen fahren und wurde sogleich so überschäumend glücklich, daß ich auf dem Heimwege auf lauter Luft zu gehen schien. Ja, bei dem Gedanken an den Begriff »Heim« und an die Gestalt, die mich zwischen meinen vier Wänden erwartete, klopfte mir das Herz in der Brust vor lauter Freude.

Meine Nöte setzten mit meiner Rückkehr ein. Sie lief mir in unverhüllter, rührendster Freude entgegen. Außerdem war sie von Kopf bis zu Fuß in die neuen Sachen gekleidet, die ich ihr gekauft hatte, und sah über die Maßen hübsch aus, und natürlich drehte und wendete sie sich von allen Seiten und knickste in einem fort, um sich zu zeigen und bewundert zu werden. Letzteres tat ich ohne Zweifel recht ungnädig; die Worte blieben mir förmlich in der Kehle stecken. »Nun,« sagte sie, »wenn du nicht nach meinen hübschen Kleidern fragst, so sieh dir wenigstens an, was ich mit unseren Zimmern getan habe.« Und sie zeigte mir die sauber gefegten Räume und die Feuer, die in den beiden Kaminen brannten. Ich freute mich der Gelegenheit, etwas strenger erscheinen zu können, als mir in Wahrheit zumute war. »Catriona,« sagte ich, »ich bin mit dir sehr unzufrieden; niemals wieder darfst du mein Zimmer anrühren. Einer von uns beiden muß der Herr sein, solange wir zusammen sind! Als der Ältere und als Mann kommt mir diese Rolle zu, nimm meine Worte also als Befehl.« Sie machte mir eine ihrer Reverenzen, die über die Maßen reizend waren. »Wenn du zankst, muß ich dich kajolieren, Davie. Ich werde sehr folgsam sein, wie es sich schickt, da jeder Fetzen an meinem Leibe dir gehört. Aber du darfst auch nicht böse sein, denn ich habe jetzt niemanden als dich.« Diese Worte trafen mich tief, und ich beeilte mich, halb und halb reumütig, die gute Wirkung meiner letzten Rede wieder aufzuheben. In dieser abschüssigen Richtung war es leichter, Fortschritte zu machen; Catriona schritt lächelnd voran, und bei ihrem Anblick, bei dem freundlichen Licht des Feuers, bei ihren reizenden Gesten und Blicken ward mein Herz butterweich. Unsere Mahlzeit verlief unter unendlichen Scherzen und Zärtlichkeiten; ja, wir beide waren so eins, daß selbst unser Lachen einer Liebkosung glich. Inmitten dieses Treibens fielen mir meine Bedenken ein; ich stammelte eine lahme Entschuldigung und machte mich bäurisch tölpelhaft an meine Studien. Das Buch war ein umfangreiches, instruktives Werk des verstorbenen Dr. Heineccius, in das ich mich in den folgenden Tagen noch recht häufig vertiefen sollte, obwohl ich mich mitunter freute, daß niemand da war, mich über meine Lektüre auszufragen. Mich dünkte, Catriona biß sich leicht auf die Lippen – das schnitt mir ins Herz. Ja, mein Verhalten ließ sie völlig einsam, zumal sie nur wenig las und im Augenblick kein einziges Buch besaß.

Der Rest des Abends verfloß fast schweigend.

Ich hätte mich prügeln können. In jener Nacht vermochte ich vor Wut und Reue nicht im Bett zu bleiben und lief mit bloßen Füßen so lange im Zimmer auf und ab, bis ich vor Kälte umzukommen meinte, denn das Feuer war ausgegangen, und es herrschte ein scharfer Frost. Der Gedanke an Catriona im Nachbarzimmer, der Gedanke, daß sie mich jetzt vielleicht auf und ab gehen hörte, die Erinnerung an meine Unhöflichkeit und das Bewußtsein, daß ich gezwungen war, auch weiterhin an diesem undankbaren Benehmen festzuhalten, wenn ich nicht ehrlos werden wollte, raubten mir fast den Verstand.

Ich stand zwischen Szylla und Charybdis: was mußte sie nur von mir denken? Das war die Vorstellung, die mich immer wieder wankend machte. Die andere, die mich in meinem Entschlusse stählte, lautete: »Was sollte nur aus uns werden?« Diese meine erste schlaflose und von Zweifeln zerrissene Nacht, der noch viele ähnliche folgen sollten, verbrachte ich teils wie ein Wahnsinniger auf und ab rennend, teils unter kindischen Tränen, teils (wie ich hoffe) christliche Gebete zum Himmel sendend.

Aber man hat leicht beten; viel schwerer ist die Praxis. In Catrionas Gegenwart hatte ich nur geringe Macht über die Konsequenzen meines Handelns, vor allem, wenn ich irgendwelche Vertraulichkeiten aufkommen ließ. Dagegen überstieg es meine Kraft, den ganzen Tag mit dem Mädchen das Zimmer zu teilen und mich dem äußeren Anschein nach in meinen Heineccius zu versenken. So verfiel ich auf den Ausweg, mich möglichst viel zu absentieren. Ich besuchte regelmäßig die Kollegs, häufig jedoch mit nur geringer Aufmerksamkeit; der Beweis dafür ist ein Kollegheft jener Tage, das mir vor kurzem in die Hände fiel. Mitten in einem erbaulichen Vortrag bricht es ab; statt dessen sind die Seiten mit recht schlechten Versen vollgekritzelt, wenn auch das Latein besser ist, als ich je gehofft hatte, schreiben zu können. Zum Unglück wogen die Nachteile eines derartigen Verhaltens die Vorteile fast auf. Zwar wurde meine Prüfungszeit verkürzt, aber sie war meines Erachtens nach um so schwerer, solange sie dauerte; denn da Catriona viel allein blieb, begrüßte sie meine Rückkehr mit wachsender Inbrunst, die mich fast überwältigte. Diese liebevollen Annäherungen war ich gezwungen auf barbarische Art zurückzuweisen, und meine Härte verletzte sie mitunter so tief, daß ich sofort wieder weich wurde und alles durch doppelte Güte wieder gutmachte. So war die Zeit unseres Zusammenlebens ein einziges Auf und Ab, eine Flut von Verstimmungen und Enttäuschungen, die mich (mit aller Ehrfurcht sei’s gesagt) fast kreuzigten.

Die Basis meiner Nöte war Catrionas überraschende Unschuld, die mich indes nicht so sehr mit Staunen wie mit Mitleid und Bewunderung erfüllte. Das Mädchen schien unserer Lage auch nicht einen Gedanken zu schenken, meine Kämpfe überhaupt nicht zu ahnen. Jedes Zeichen von Schwäche meinerseits begrüßte sie mit aufquellender Freude, und wenn ich dadurch in die Abwehr gezwungen wurde, gab sie sich nicht immer Mühe, ihren zornigen Kummer zu verbergen. Mitunter dachte ich bei mir selbst: wenn sie bis über beide Ohren verliebt wäre und es sich in den Kopf gesetzt hätte, mich einzufangen, könnte sie es nicht anders treiben. Und wieder mußte ich mich über die Einfalt der Frauen wundern, von denen abzustammen ich mich (in derartigen Momenten) für unwürdig hielt. Einen Punkt insbesondere gab es, um den unser Krieg sich drehte: das war die Frage ihrer Kleider. Meine Koffer waren uns sehr bald von Rotterdam nachgesandt worden, die ihrigen von Helvoetsluys. Sie besaß daher im Augenblick zwei komplette Garderoben, und es wurde allmählich selbstverständlich (wie, vermochte ich niemals zu sagen), daß sie, wenn sie mir gut war, meine Kleider trug, und wenn sie mir grollte, die ihrigen. Letzteres sollte als eine Art Zurückweisung und als Verzicht auf ihre Dankbarkeit gelten, und tief im Herzen empfand ich es auch so; gewöhnlich aber war ich zu klug, um nach außen hin diesen Umstand zu bemerken.

Einmal ließ ich mich in noch kindischerer Weise gehen als sie. Das geschah so: auf dem Heimwege aus meinem Kolleg hatte ich ihrer in Liebe, untermischt mit ziemlich viel Ärger, inbrünstig gedacht, bald jedoch war der Ärger verschwunden, und als ich in einem Ladenfenster eine jener Treibhausblumen erblickte, in deren Zucht die Holländer Meister sind, gab ich einem Impulse nach und kaufte sie für Catriona. Den Namen der Blume kenne ich nicht; sie war von rosa Farbe. Ich glaubte, Catriona würde sie sehr bewundern und trug sie in wunderbar weicher Stimmung heim. Beim Abschied hatte Catriona meine Kleider getragen, als ich sie nun bei meiner Rückkehr völlig umgezogen und obendrein mit einem hierzu passenden Gesicht antraf, maß ich sie mit einem einzigen Blick von Kopf bis zu Fuß, biß die Zähne aufeinander, riß das Fenster auf, warf meine Blume auf den Hof hinunter und mich selbst (zwischen Wut und Vorsicht schwankend und die Tür hinter mir ins Schloß donnernd) zur Tür hinaus. Auf der steilen Treppe wäre ich um ein Haar gefallen; das brachte mir die Torheit meines Benehmens augenblicklich zum Bewußtsein. Ich ging daher nicht, wie ich es ursprünglich beabsichtigt hatte, auf die Straße, sondern in den Hof, der wie immer verlassen da lag. Dort sah ich meine Blume (die mich weit mehr als ihren eigentlichen Wert gekostet hatte) an dem kahlen Baume hängen. Ich pflanzte mich neben dem Kanale auf und starrte hinunter auf das Eis. Bauern glitten auf ihren Schlittschuhen vorüber: ich beneidete sie. Ich sah keinen Ausweg aus meiner Klemme, sah nicht einmal eine Möglichkeit, in das Zimmer zurückzukehren, das ich soeben verlassen hatte. Kein Zweifel, ich hatte das Geheimnis meiner Gefühle verraten, hatte, um die Sache noch schlimmer zu machen, in elender, kindischer Wut meinen hilflosen Gast vor den Kopf gestoßen.

Vermutlich sah sie mich aus dem offenen Fenster. Ich glaube, ich hatte noch nicht lange dort gestanden, da hörte ich knirschende Schritte auf dem gefrorenen Schnee und erblickte, als ich mich ärgerlich über die Störung umwandte, Catriona. Sie war abermals von Kopf bis zu den gestickten Strümpfen, umgezogen. »Sollen wir heute unseren Spaziergang versäumen?« erkundigte sie sich.

Ich blickte sie verwundert an. »Wo ist deine Brosche?« fragte ich.

Sie fuhr mit der Hand an den Busen und errötete tief. »Ich habe sie vergessen. Ich laufe gleich nach oben und hole sie; dann können wir doch unseren Spaziergang machen, nicht wahr?«

Das Letzte wurde in so bittendem Tone gesprochen, daß ich vor Staunen nicht aus noch ein wußte. Mir blieben die Worte wie die Stimme versagt; so konnte ich nur zustimmend nicken und kletterte, kaum daß sie mich verlassen hatte, auf den Baum, um die Blume zu holen, die ich ihr bei ihrer Rückkehr überreichte. »Ich habe sie für dich gekauft, Catriona«, sagte ich. Sie befestigte sie mit ihrer Brosche am Busen, wie mich deuchte, nicht ohne Zärtlichkeit.

»Sie ist durch meine Behandlung nicht besser geworden«, hub ich von neuem an.

»Sie gefällt mir darum nicht schlechter, des kannst du sicher sein«, antwortete sie.

An jenem Tage sprachen wir nicht viel miteinander; sie schien einen Schatten reserviert, aber nicht unfreundlich. Und was mich betraf, so grübelte ich die ganze Zeit unseres Spazierganges und nach unserer Rückkehr, als ich sie die Blume in ein Gefäß mit Wasser hatte stecken sehen, darüber nach, was für ein Rätsel doch die Frauen seien. Jetzt dachte ich, es sei doch die größte Dummheit von der Welt, daß sie meine Liebe nicht erkannt hätte, jetzt, daß sie sie längst bemerkt haben müßte, und daß sie nur als kluges Mädchen mit feinem, weiblichen Instinkt für Schicklichkeit ihr Wissen verberge.

Wir gingen täglich spazieren. Auf der Straße fühlte ich mich sicherer; da ließ meine Zurückhaltung etwas nach, und vor allem gab es da keinen Heineccius. So kam es, daß diese Zeiten für mich eine Erleichterung und für mein armes Kind ein großes Vergnügen bedeuteten. Wenn ich um die gewohnte Stunde nach Hause zurückkehrte, fand ich sie meist schon fertig angezogen und glühend vor Erwartung. Sie pflegte unsere Wanderungen nach Möglichkeit in die Länge zu ziehen und schien (ebenso wie ich) sich vor der Stunde der Rückkehr zu fürchten. In Leyden gibt es daher kaum ein Feld oder ein Flüßchen, keine Straße oder Gasse, wo wir nicht geweilt. Im übrigen hatte ich sie gebeten, sich ganz auf die Wohnung zu beschränken; ich fürchtete, sie könnte irgendeinem Bekannten in die Arme laufen und unsere Lage noch erschweren. Aus dem nämlichen Grunde gestattete ich es weder ihr noch mir selbst, in die Kirche zu gehen; statt dessen improvisierten wir eine Art Privatgottesdienst in unserer Wohnung – wie ich hoffe mit ehrlichem, wenn auch zweifellos geteiltem Herzen. Ja, nichts rührte mich so tief, wie gleich Mann und Weib mit ihr vor Gott zu knien.

Eines Tages schneite es ungewöhnlich heftig. Ich hatte es für unmöglich gehalten, in solchem Wetter auszugehen, und war erstaunt, sie fertig angekleidet auf mich wartend zu finden. »Nie und nimmer werde ich auf meinen Spaziergang verzichten«, rief sie. »Du bist im Hause kein guter Junge, Davie; ich liebe dich nur in der freien Luft. Ich glaube, das beste ist, wir werden Zigeuner und schlagen unser Lager neben der Landstraße auf.«

Das wurde der schönste Spaziergang von allen; sie klammerte sich im fallenden Schnee an mich; die Flocken umwirbelten uns und schmolzen auf unserer Kleidung, und die Tropfen hafteten wie Tränen auf ihren hellen Wangen und zerrannen in ihren lächelnden Mund. Mir war’s, als wüchsen mir Riesenkräfte; ich glaube, ich hätte sie in die Arme nehmen und mit ihr bis ans Ende der Erde laufen können, und die ganze Zeit unterhielten wir uns mit einer Freiheit und süßen Harmonie, wie ich es nie erlebt hatte. Es war dunkle Nacht, als wir wieder vor der Haustüre standen. Sie drückte meinen Arm an ihre Brust. »Ich danke dir von Herzen für diese guten Stunden«, sagte sie, und ihre Stimme hatte einen tiefen Klang. Die Sorge, in die mich diese Worte sofort stürzten, zwang mich mit gleicher Schnelligkeit in eine Abwehrstellung; kaum hatten wir unsere Zimmer erreicht und das Licht angezündet, als sie von neuem das alte, sauertöpfische, eigensinnige Gesicht des heineccius’schen Studenten vor sich sah. Ohne Zweifel fühlte sie sich mehr denn je verletzt; ich weiß jedenfalls, daß es mir schwerer als sonst fiel, meine Steifheit zu bewahren. Selbst beim Essen wagte ich es kaum, weniger zugeknöpft zu sein und meine Augen zu ihrem Gesicht zu erheben. Sobald das Mahl vorüber war, versenkte ich mich in mein bürgerliches Recht, diesmal mit größerer Hingabe und weniger Verständnis als je zuvor. Mir war während der Lektüre, als hörte ich mein Herz wie eine Wanduhr schlagen. So sehr ich mich auch mühte, in mein Buch vertieft zu erscheinen, äugte ich doch verstohlen über den Rand hinweg nach Catriona. Sie hockte auf dem Boden neben meinem großen Koffer; der Schein des Feuers umspielte sie, funkelte und zuckte und ließ ihr Gesicht in einem Wunder schöner Farben aufleuchten und versinken. Jetzt starrte sie in die Flammen, dann wieder zu mir hinüber; sogleich tauchte ich in panischer Angst vor mir selbst in meinen Heineccius und umblätterte die Seiten, wie jemand, der in der Kirche nach dem Text sucht.

Plötzlich schrie sie laut: »Oh, – weshalb kommt mein Vater nicht?« Dann löste sich ihre Spannung in einem Strom von Tränen. Ich sprang auf, warf den Heineccius mitten ins Feuer, lief zu ihr hin und umschlang ihren schluchzenden Körper mit beiden Armen. Sie stieß mich heftig von sich. »Du liebst deine Freundin nicht«, sagte sie. »Auch ich könnte so glücklich sein, wenn du es nur erlaubtest!« Und dann: »Oh, was habe ich nur getan, daß du mich so hassest?« »Hassen!« rief ich, sie fest in den Armen haltend. »Du blindes Kind, kannst du denn nicht ein wenig in meinem Herzen lesen und sehen, wie unglücklich ich bin? Glaubst du, wenn ich hier sitze und in dem dummen Buch lese, das ich soeben verbrannt habe – der Teufel hole es! – ich hätte auch nur einen einzigen Gedanken an etwas anderes als dich? Nacht für Nacht hätte ich heulen können, dich dort so einsam zu sehen. Aber was sollte ich nur tun? Du bist meiner Ehre anvertraut; willst du mich deswegen strafen? Willst du aus diesem Grunde deinen treuen Diener von dir weisen?« Bei diesen Worten klammerte sie sich mit plötzlicher, kleiner Gebärde fest an mich. Ich hob ihr Gesicht zu dem meinen und küßte es, und sie drückte ihren Kopf an meine Brust und hielt mich fest umschlungen. Ich saß da in einem schwindelnden Wirbel, wie betrunken. Da hörte ich eine ganz leise Stimme erstickt aus meinen Kleidern aufsteigen: »Hast du sie wirklich geküßt?«

Mich durchzuckte eine so gewaltige Welle des Erstaunens, daß ich am ganzen Leibe zitterte.

»Miß Grant!« rief ich völlig ausgelöst. »Ja, ich bat sie, mir zum Abschied einen Kuß zu geben und sie tat es auch.« »Ah,« sagte sie, »aber wenigstens hast du mich auch geküßt.« Bei der Seltsamkeit und Süße dieser Worte wurde mir plötzlich klar, wohin wir geraten waren; ich erhob mich und stellte sie auf die Füße.

»Das geht so nie und nimmermehr«, sagte ich. »Nie und nimmermehr. O Katrin, Katrin!« Eine Pause, in der ich zu reden unfähig war, und ich fügte hin zu: »Geh fort, zu Bett. Geh zu Bett und laß mich allein.« Sie wandte sich, fügsam wie ein kleines Kind, um mir zu gehorchen. Das Nächste, was ich wußte, war, daß sie auf der Türschwelle stehen blieb.

»Gute Nacht, Davie,« sagte sie. »Gute Nacht, du mein Lieb!« rief ich in einem einzigen, leidenschaftlichen Ausbruch meiner Seele und riß sie mit einer Gewalt an mich, daß ich glaubte, ich hätte sie zerbrochen. In der nächsten Sekunde hatte ich sie aus dem Zimmer gedrängt und die Tür heftig zugeschlagen und stand allein.

Jetzt war der Krug zerschellt, die Milch verschüttet; das Wort war mir entschlüpft, die Wahrheit an den Tag gekommen. Wie ein wankelmütiger Schwächling hatte ich mich in des armen Mädchens Liebe eingeschlichen; als gebrechliches, unschuldiges Geschöpf, das ich nach Belieben zerstören oder hüten konnte, lag sie in meiner Hand; welche Verteidigungswaffe war mir jetzt noch geblieben? Es schien mir wie ein Symbol, daß das Exemplar Heineccius, mein alter Schild, verbrannt war. Ich bereute, und doch brachte ich es nicht über mich, mir meines Versagens wegen Vorwürfe zu machen. Es schien mir ein schier unmögliches Verlangen, ihrer kühnen Unschuld oder der letzten großen Versuchung ihrer Tränen widerstanden zu haben. Aber alle meine Entschuldigungen ließen meinen Fehler nur noch größer erscheinen – fast dünkte es mich, ich hätte ein so wehrloses Wesen, alle Vorteile meiner Position ausnutzend, überlistet.

Was füllte jetzt aus uns werden? Wir konnten doch nicht länger in der gleichen Wohnung hausen? Wohin sollte ich aber gehen? Wohin sie? Ohne Zutun oder Schuld unsererseits hatte sich das Leben gegen uns verschworen und uns in jene engen vier Wände eingesperrt. Mir kam der wilde Gedanke, mich auf der Stelle mit ihr zu verheiraten; im nächsten Augenblick wies ich ihn empört zurück. Sie war ja nur ein Kind, sie kannte nicht einmal ihr eigenes Herz; ich hatte ihre Schwäche überrumpelt; niemals durfte ich diesen Überfall ausnutzen; ich mußte nicht nur dafür sorgen, daß sie kein Makel traf, nein, auch daß sie so frei von mir ging, wie sie gekommen war.

Ich setzte mich vor das Feuer und grübelte nach und bereute und zerbrach mir vergeblich den Kopf auf der Suche nach einem Ausweg. Etwa um drei Uhr morgens waren noch drei rotglühende Kohlen übriggeblieben, Haus und Stadt lagen im Schlaf, da hörte ich vom Nebenzimmer her ein leises Weinen. Sie dachte, auch ich schliefe, das arme Kind; sie bereute ihre Schwäche, ihre Fürwitzigkeit (Gott helfe ihr!), wie sie es vielleicht nannte, und suchte sich in der Totenstille der Nacht durch Tränen Erleichterung zu verschaffen. Zärtliche und bittere Gefühle, Liebe, Reue und Mitleid kämpften in meiner Seele einen Kampf; ich schien verpflichtet, jene Tränen zu trösten.

»O, versuche doch, mir zu verzeihen!« rief ich laut, »versuche, versuche, mir zu verzeihen! Wir wollen alles vergessen, wir wollen versuchen, ob wir es nicht vergessen können!« Es kam keine Antwort, aber das Schluchzen hörte auf. Lange Zeit stand ich, immer noch mit verschlungenen Händen, wie im Augenblick, da ich sie gebeten hatte; dann packte mich schaudernd die Kälte der Nacht, und ich glaube, meine Vernunft gelangte wieder zur Herrschaft. »Du wirst aus dieser Sache doch nicht klug, Davie«, dachte ich. »Geh zu Bett wie ein verständiger Junge, und versuche zu schlafen. Morgen wirst du vielleicht wissen, was du zu tun hast.«

Fünfundzwanzigstes Kapitel


Die Rückkehr James Mores

Am Morgen wurde ich zu später Stunde durch Klopfen an meiner Tür aus unruhigem Schlummer geweckt; ich lief, um zu öffnen und wäre im Widerstreit meist schmerzlicher Empfindungen fast umgesunken: dort auf der Schwelle in einem groben Überrock und ungewöhnlich großem, betreßten Hut stand James More. Ich hätte mich vielleicht rückhaltlos freuen sollen, denn der Mann kam in gewissem Sinne wie eine Antwort auf ein Gebet. Ich hatte mir vorgeredet, bis mir der Kopf schwindelte, daß Catriona und ich uns trennen müßten, hatte mich, bis ich Kopfschmerzen bekam, nach einer Möglichkeit hierzu umgeschaut. Jetzt war das Mittel auf zwei Beinen zu mir heranspaziert, und Freude nahm den hintersten Platz in meinen Gedanken ein. Zu bedenken ist jedoch, daß, obwohl die Last der Zukunft durch dieses Mannes Ankunft von meinen Schultern genommen wurde, die Gegenwart nur um so schwärzer und drohender vor mir aufragte; ich glaube daher, daß ich, als ich mich im ersten Augenblick in Hemd und Hosen ihm gegenüber sah, wie angeschossen zurückfuhr.

»Ah,« sagte er, »ich habe Euch gefunden, Mr. Balfour.« Und er bot mir seine große, schöne Hand, die ich (gleichzeitig, wie zur Abwehr, meinen Posten an der Tür von neuem beziehend) etwas im Zweifel ergriff. »Höchst eigentümlich, wie unsere Geschäfte sich verstricken«, fuhr er fort. »Ich schulde Euch wegen dieses bedauerlichen Eingreifens in die Euren, zu dem ich mich durch mein Vertrauen in jenes Doppelgesicht, Prestongrange, verleiten ließ, eine Entschuldigung; ich schäme mich, einzugestehen, daß ich einmal einem Juristen traute.« Er zuckte auf sehr französische Art die Achsel. »Aber wahrhaftig, der Mann machte einen so guten Eindruck. Und jetzt scheint es gar, als hättet Ihr Euch in nobelster Weise meiner Tochter angenommen, deren Adresse zu erfragen man mich an Euch wies.«

»Ich glaube, Sir,« entgegnete ich über die Maßen verlegen, »zwischen uns beiden ist eine Auseinandersetzung erforderlich.« »Es ist doch alles in Ordnung?« forschte er. »Mein Agent, Mr. Sprott –« »Um Gottes willen, dämpft Eure Stimme!« rief ich. »Sie darf Euch nicht hören, bis wir unsere Auseinandersetzung gehabt haben.«

»Sie befindet sich hier?« rief er.

»Das ist ihre Kammertür.«

»Ihr seid hier mit ihr allein?« »Wen sonst sollte ich noch bei mir haben?« rief ich. Ich will ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen: er erbleichte. »Das ist sehr ungewöhnlich«, sagte er. »Die Umstände sind sehr ungewöhnlich. Ihr habt recht: eine Auseinandersetzung ist erforderlich.«

Mit diesen Worten ging er an mir vorbei, und ich muß gestehen, der imponierende alte Schelm nahm sich im Augenblick sehr würdig aus. Er sah jetzt zum erstenmal mein Zimmer, das ich sozusagen mit seinen Augen musterte. Ein Strahl der Morgensonne fiel durch das Fenster und beleuchtete den Raum; mein Bett, meine Koffer, der Waschtisch, meine ziemlich unordentliche Garderobe, der leere Kamin bildeten die einzige Ausstattung; kein Zweifel, es sah kalt und kahl aus und schien als Unterkunft für eine Dame der unpassendste, erbärmlichste Platz von der Welt. Gleichzeitig fielen mir die Kleider ein, die ich ihr gekauft hatte, und mich dünkte, der Kontrast zwischen Armut und Verschwendung machte einen üblen Eindruck.

Er sah sich rings im Zimmer nach einem Sitz um, und ließ sich, da er keinen anderen passenden fand, auf meinem Bettrand nieder, wo ich mich wohl oder übel zu ihm setzen mußte, nachdem ich zuvor die Tür geschlossen hatte. Wie immer diese merkwürdige Unterredung auch enden mochte, sie mußte, wenn möglich, stattfinden, ohne Catriona zu wecken, und dazu war erforderlich, daß wir dicht beieinander saßen und leise sprachen. Ich kann mir kaum vorstellen, welch ein Bild wir beide abgaben, er in seinem schweren Mantel, der gegen die Kälte außerordentlich am Platze schien, ich frierend in Hemd und Hosen; er fast mit der Miene eines Richters, ich (was immer auch mein Aussehen war) ganz mit den Gefühlen eines Mannes, der die Posaune des Jüngsten Gerichts erschallen hört.

»Nun?« forschte er. »Nun«, hub ich an, entdeckte aber, daß ich nicht weiterreden konnte.

»Ihr sagt mir, sie sei hier?« fragte er abermals, jetzt aber mit einem Anflug von Ungeduld, der mir Mut zu verleihen schien. »Sie befindet sich in diesem Hause«, sagte ich; »ich wußte, man würde die Umstände ungewöhnlich finden. Aber Ihr müßt bedenken, wie ungewöhnlich die ganze Angelegenheit von Anfang bis zu Ende war. Hier ist eine junge Dame, die mit zwei Schillingen und anderthalb Pence in der Tasche an der Küste Europas an Land gesetzt wird. Sie wird an Euren Beauftragten, Sprott, in Helvoet gewiesen. Ich höre, Ihr bezeichnet den Mann als Euren Agenten. Alles, was ich von ihm weiß, ist, daß er bereits bei der Nennung Eures Namens in Flüche und Schimpfworte ausbricht, und ich bin genötigt, ihn aus meiner eigenen Tasche zu bezahlen, um ihn zu bewegen, wenigstens Eurer Tochter Sachen in Aufbewahrung zu nehmen. Ihr sprecht von ungewöhnlichen Umständen, Mr. Drummond, falls das der Name ist, den Ihr Euch zu geben beliebt. Das war ein Umstand, dem Ihr sie niemals hättet aussetzen dürfen – ja, eine Barbarei.« »Aber ich begreife von alledem kein Wort«, sagte James. »Meine Tochter wurde der Obhut verantwortlicher Leute anvertraut – den Namen habe ich vergessen.« »Der Name lautet Gebbie,« sagte ich,» und ohne Zweifel hätte Mr. Gebbie mit ihr in Helvoet an Land gehen müssen. Das tat er aber nicht, Mr. Drummond, und ich meine, Ihr könnt Gott danken, daß ich dort war und an seiner Statt zu gehen mich erbot.«

»Ich werde noch ein Wort mit Mr. Gebbie zu haben«, erwiderte er »Und was Euch selbst betrifft, so hättet Ihr, meine ich, bedenken müssen, daß Ihr für einen derartigen Posten ein wenig jung seid.«

»Aber es handelte sich ja gar nicht um eine Wahl zwischen ihr und jemand anderem. Es blieb nur die Wahl zwischen mir und niemand. Niemand erbot sich, statt meiner zu gehen, und ich muß sagen, Ihr scheint mir für das, was ich getan habe, nur geringe Dankbarkeit zu zeigen.« »Ich werde warten, bis ich die Art meiner Verpflichtung etwas genauer kenne«, meinte er.

»Nun, mich dünkt, sie starrt Euch förmlich ins Gesicht. Euer Kind war ganz verlassen, sie war mitten in Europa auf die Straße gesetzt, mit knapp zwei Schillingen und keine zwei Worte der Landessprache zu ihrer Verfügung: ich muß sagen, ein sauberes Geschäft! Ich brachte sie hierher. Ich gab ihr den Namen und die zärtliche Pflege einer Schwester; all das ist nicht ohne Aufwand geschehen, aber das brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Diese Dienste war ich der jungen Dame, deren Charakter ich hochschätze, schuldig. Ja, mich dünkt, es wäre eine nette Sache, wenn ich hier ihrem Vater noch ihr Lob singen müßte.« »Ihr seid ein junger Mann«, begann er.

»Das habt Ihr mir schon einmal gesagt«, entgegnete ich ziemlich hitzig. »Ihr seid ein sehr junger Mann,« wiederholte er, »oder Ihr hättet die Bedeutung dieses Schrittes erkannt.«

»Ich finde, Ihr habt hier sehr leicht reden«, rief ich. »Was konnte ich sonst wohl tun? Freilich hätte irgendeine ehrbare arme Frau als Gesellschafterin mieten können; aber ich erkläre Euch, auf diesen Gedanken bin ich erst jetzt gekommen. Und wo sollte ich sie hernehmen, ich, der ich hier selbst fremd bin? Außerdem möchte ich Euch darauf aufmerksam machen, Mr. Drummond, daß es mich nochmals Geld aus meiner Tasche gekostet hätte. Darauf läuft die ganze Sache hinaus: für Eure Nachlässigkeit habe ich büßen müssen; und die Wahrheit ist: Ihr wäret so lieblos und so unachtsam, Eure Tochter einfach zu verlieren.« »Wer im Glashause sitzt, soll nicht mit Steinen werfen«, antwortete er; »erst wollen wir einmal Miß Drummonds Verhalten untersuchen, bevor wir über ihren Vater zu Gericht sitzen.«

»Aber ich lehne es ab, mich in eine derartige Stellung locken zu lassen. Wie ihr Vater eigentlich wissen müßte, ist Miß Drummonds Charakter über jeden Zweifel erhaben. Der meinige auch; das gebe ich Euch hiermit zu verstehen. Es stehen Euch nur zwei Wege offen. Der eine ist der, mir wie ein Gentleman dem anderen Euren Dank auszudrücken und kein Wort mehr über die Sache zu verlieren. Der andere (wenn Ihr es wirklich so genau nehmt) besteht darin, mir meine Auslagen zurückzuerstatten und Euch von mir zu trennen.« Er schien mich mit erhobener Hand beruhigen zu wollen. »Sachte, sachte; Ihr seid zu hastig, Mr. Balfour. Gut, daß ich etwas mehr Geduld gelernt habe. Ich glaube, Ihr vergeßt, daß ich meine Tochter noch nicht gesprochen habe.«

Ich fühlte mich ein wenig erleichtert nach dieser Rede und nach einer gewissen Veränderung in des Mannes Gebaren, die ich entdeckte, sobald das Wort Geld zwischen uns gefallen war.

»Ich glaube, es wäre schicklicher – falls Ihr mir die Ungeniertheit des Ankleidens in Eurer Gesellschaft verzeihen wollt – wenn ich ausginge und Euch bei Eurem Zusammentreffen allein ließe?«

»Das hatte ich von Euch erwartet!« entgegnete er, und kein Zweifel! die Worte waren höflich gemeint. Dies gefiel mir immer mehr, und da mir, während ich meine Strümpfe anzog, des Mannes unverschämte Schnorrerei bei Prestongrange einfiel, beschloß ich, meinen offenbaren Sieg zu verfolgen.

»Falls Ihr Euch längere Zeit in Leyden aufzuhalten gedenkt, steht Euch dieses Zimmer von Herzen gern zur Verfügung; ich kann ohne Schwierigkeiten ein anderes finden. Auf diese Weise haben wir möglichst wenig Scherereien, da nur einer umzuziehen genötigt ist.« »Sir,« entgegnete er, sich in die Brust werfend, »ich schäme mich nicht einer Bedürftigkeit, die ich mir im Dienste meines Königs zugezogen habe. Ich verhehle nicht, der Stand meiner Angelegenheiten ist sehr im unklaren; ja im Augenblick wäre es mir sogar unmöglich, eine Reise zu unternehmen.«

»Bis Ihr Gelegenheit erhaltet, Euch mit Freunden in Verbindung zu setzen,« sagte ich, »ist es Euch dann vielleicht recht (wie es mir natürlich eine Ehre ist) Euch als meinen Gast zu betrachten?«

»Sir,« entgegnete er, »Euer Angebot ist freimütig, ich glaube, ich ehre mich selbst am meisten, wenn ich diesen Freimut nachahme. Eure Hand, Mr. David; Ihr besitzt einen Charakter, den ich vor allem schätze; Ihr gehört zu den Menschen, aus deren Händen ein Gentleman ohne weitere Worte eine Gefälligkeit anzunehmen vermag. Ich bin ein alter Soldat,« fügte er hinzu, sich ein wenig angewidert im Zimmer umsehend, »Ihr braucht daher nicht fürchten, daß ich Euch zur Last fallen werde. Ich habe allzuoft schon neben Schützenwällen gespeist und aus einem Graben getrunken und außer dem Regen kein Dach über meinem Haupte gehabt.« »Ich muß Euch noch sagen, daß uns gewöhnlich um diese Zeit unser Frühstück gebracht wird«, versetzte ich. »Ich schlage daher vor, daß ich mich jetzt in den Gasthof begebe, um noch ein zweites Gedeck für Euch zu bestellen und das Mahl um eine Stunde hinauszuzögern. In der Zwischenzeit könnt Ihr ja Eure Tochter sprechen.« Ich glaube, bei diesen Worten zuckten seine Nasenflügel. »Oh, eine ganze Stunde?« meinte er. »Das ist vielleicht doch überflüssig. Eine halbe Stunde, Mr. David, oder sagen wir, zwanzig Minuten. Das genügt mir vollkommen. Da fällt mir ein,« fügte er hinzu, mich am Rockzipfel festhaltend, »was trinkt Ihr eigentlich morgens? Bier oder Wein?«

»Offen gesagt, Sir, nichts als pures, kaltes Wasser.«

»Puh, puh« machte er, »das ist ja für den Magen schier ruinös, nehmt eines alten Veteranen Wort. Unser heimatlicher Branntwein ist vielleicht das Allergesündeste; da der aber nicht erhältlich ist, werden Rheinwein oder Burgunder wohl das Nächstbeste sein.« »Ich werde dafür sorgen, daß Euch nichts mangelt«, entgegnete ich. »Sehr gut,« sagte er, »wir werden noch einen Mann aus Euch machen, Mr. David.« Jetzt war ich so weit, daß ich kaum noch auf ihn achtete, höchstens schoß es mir durch den Kopf, was für eine Art Schwiegervater er wohl abgeben würde. All meine Sorge konzentrierte sich auf das Mädchen, seine Tochter, die ich vor dem Zusammentreffen mit ihrem Besuche irgendwie zu warnen beschloß. Ich trat daher an ihre Tür, klopfte und rief gleichzeitig durch die Füllung: »Miß Drummond, Euer Vater ist endlich angekommen.« Dann machte ich mich an die Erledigung meines Auftrags, nachdem ich zuvor (durch zwei kleine Worte) meiner Sache schwer geschadet hatte.

Erstes Kapitel


Ein Bettler zu Pferde

Es war um die zweite Nachmittagsstunde des 25. August 1751, da verließ ich, David Balfour, gefolgt von einem Dienstmann, der einen Geldsack trug, die British Linen Company, bis zur Tür von einigen der Chefs dieses Handelshauses begleitet, die sich mit vielen Bücklingen von mir verabschiedeten. Zwei Tage vorher aber, ja noch am gestrigen Morgen, hatte ich in meinen Lumpen eher einem Bettler von der Landstraße geglichen: meine ganze Habe ein paar armselige Schillinge, mein einziger Begleiter ein vom Gericht verfolgter Hochverräter und ein Preis auf mein eigenes Haupt gesetzt ob eines Verbrechens, von dem weit und breit das Land widerhallte. Heute dagegen war ich der anerkannte Erbe der Lebensstellung, die mir von Geburt aus zufiel, ein Grundbesitzer, dem ein Bankbedienter das Gold nachtrug, mit Empfehlungen in der Tasche und (wie die Redensart lautet) mit der Welt zu meinen Füßen.

Zwei Umstände gab es, die meinem mit vollen Segeln fahrenden Lebensschiff als Ballast dienten. Die erste Gefahr drohte von der überaus schwierigen, ja tödlichen Angelegenheit, die es noch zu ordnen galt; die zweite von dem Ort, an dem ich mich befand. Die ragende, finstere Stadt, die Zahl, das Gewühl und der Lärm der Menschen bedeuteten für mich, der ich mich bisher nur zwischen Heidehügeln und Sanddünen und in stillen, ländlichen Gegenden aufgehalten hatte, eine neue Welt. Insbesondere verwirrte mich das Gedränge der Städter. Rankeillors Sohn war klein und von schmächtiger Gestalt; seine Kleider wollten mir gar nicht recht passen; mir stand es daher wahrlich schlecht an, vor einem Bankbedienten einherzustolzieren. Es war klar, falls ich es dennoch tat, mußte dies Verhalten die Leute zum Lachen reizen und (was in meinem Falle weit schlimmer war) zum Fragenstellen veranlassen. So lag es mir denn ob, mich nach eigener Kleidung umzusehen und in der Zwischenzeit neben dem Träger herzugehen und meinen Arm in den seinen zu legen, als wären wir zwei Freunde.

Bei einem Händler in den Luckenbooths staffierte ich mich aus; nicht allzu prächtig, denn ich hatte durchaus nicht die Absicht, als Bettler zu Pferde zu erscheinen, wohl aber zierlich und anständig, so daß Dienstboten mich respektieren würden. Von dort ging es zu einem Waffenhändler, bei dem ich einen einfachen Degen erstand, wie er meinem Range geziemte. Ich fühlte mich im Besitze dieser Waffe sicherer, obwohl sie für jemanden, der des Fechtens so unkundig war, nur eine weitere Gefahr bedeutete. Der Dienstmann, der natürlich ein Mann von einiger Erfahrung war, hielt die Wahl meiner Ausstattung für zweckmäßig.

»Nichts Auffallendes,« meinte er, »einfache, anständige Sachen. Und was das Rapier anbetrifft, so wird es ja gewißlich zu Eurem Range passen; aber ich an Eurer Stelle hätte meine Groschen für Besseres aufgespart.« Und sofort schlug er mir vor, von einem Weiblein in einer der Hintergassen von Cowgate, die seine leibhaftige Base wäre, Winterstrümpfe zu kaufen, da sie sie »ganz ungemein haltbar« verfertige. Doch ich hatte andere, dringendere Angelegenheiten zu erledigen. Da war ich nun in dieser alten, düsteren Stadt, die mit nichts auf der Welt solche Ähnlichkeit hatte wie mit einem Kaninchenbau, sowohl der Zahl ihrer Bewohner wegen wie auch dank des Labyrinths ihrer Gänge und Schlupflöcher. Wahrlich, es war ein Ort, an dem kein Fremder die Möglichkeit hatte, auch nur einen Freund, geschweige denn einen anderen Fremden aufzuspüren. Selbst wenn er zufällig in den richtigen Hof geriet, drängten sich die Menschen in diesen hohen Häusern doch so dicht zusammen, daß er einen ganzen Tag hätte suchen dürfen, um die richtige Tür zu finden. Das Nächstliegende wäre gewesen, sich einen Jungen, hier »Caddie« geheißen, zu mieten, der als Führer oder Pilot dient, und der den Fremden geleitet, wohin der Betreffende will, und ihn dann (nach erledigten Geschäften) in das Logis zurückführt. Allein die Caddies, die stets zu den gleichen Diensten verwendet werden, und zu deren Pflichten es gehört, über jedes Haus und jeden Einwohner gut unterrichtet zu sein, hatten allmählich eine Art Spionagegemeinschaft gebildet; und ich wußte aus den Erzählungen Mr. Campbells, daß sie alle Nachrichten auszutauschen pflegten, sich mit leidenschaftlicher Neugier für die Angelegenheiten ihrer Auftraggeber interessierten und so gleichsam die Augen und die Finger der Polizei darstellten. In meiner Lage wäre es wohl kaum klug gewesen, mir einen dieser Spürhunde an die Fersen zu heften. Ich hatte drei verschiedene, aber gleich dringliche Besuche zu machen: einen bei meinem Verwandten, Mr. Balfour von Pilrig, einen bei Stuart, dem Advokaten, der Appins Sachwalter war, und einen bei William Grant, Herrn von Prestongrange, Lord Staatsanwalt von Schottland. Der Besuch bei Mr. Balfour war unbedenklich; außerdem getraute ich mich (da Pilrig auf dem Lande lag), den Weg dorthin allein mit Hilfe meiner zwei Beine und einer gut schottischen Zunge zu finden. Ganz anders stand es um die beiden anderen Besuche. Der bei dem Sachwalter Appins war jetzt inmitten des Aufruhrs anläßlich des Appiner Mordes nicht nur an sich gefährlich, sondern kaum vereinbar mit dem dritten Besuch. Auch bestenfalls würde ich dem Lord Staatsanwalt gegenüber einen schweren Stand haben; doch mich geradewegs von Appins Sachwalter zu ihm begeben, hieß meine Sache schwerlich bessern und konnte den glatten Ruin von Freund Alan bedeuten. Außerdem verlieh mir das Ganze den Anschein, als trüge ich den Mantel nach zwei Seiten, eine Sache, die mir wenig behagen wollte. Ich beschloß daher, unverzüglich mit Mr. Stuart und mit dem gesamten jakobitischen Teil meiner Angelegenheiten zu Rande zu kommen und mich zu diesem Zwecke der Ortskenntnis des Trägers an meiner Seite zu bedienen. Kaum jedoch hatte ich ihm die Adresse genannt, als ein leichter Regenschauer niederging – nicht arg, aber meinen neuen Kleidern nicht sonderlich zuträglich –, und wir flüchteten uns unter einen Torbogen am Eingang eines Hofes oder Gäßchens.

Da meine ganze Umgebung mir fremd war, trat ich etwas weiter zurück. Der schmale, gepflasterte Gang fiel steil ab. Unermeßlich hohe Häuser ragten zu beiden Seiten auf und sprangen, ein Stockwerk über dem anderen, im Aufsteigen immer weiter vor, so daß oben nur ein schmaler Streifen Himmel sichtbar war. Soweit ich aus dem, was die Fenster enthüllten, sowie aus dem ehrbaren Aussehen der Personen, die aus- und eingingen, zu ersehen vermochte, waren die Häuser von anständigen Leuten bewohnt, und der ganze Ort fesselte und interessierte mich wie eine Geschichte.

Ich starrte noch immer um mich, als hinter mir plötzlich das muntere Stampfen vieler Füße im Gleichtritt und das Geklirr von Waffen ertönten. Ich drehte mich rasch um und gewahrte einen Zug bewaffneter Soldaten, in ihrer Mitte einen hochgewachsenen Mann in schwerem Mantel. Der Mann schritt gebeugt, wie in höfischer Zuvorkommenheit und mit schmeichelndem Anstand; im Gehen gestikulierte er beredt, und sein Gesicht war schlau und schön. Ich glaubte zu bemerken, daß sein Blick auf mich fiel, vermochte indes nicht seinem Auge zu begegnen. Der Zug schritt an mir vorüber nach einer Tür in dem Hofe, die von einem Bedienten in prächtiger Livree geöffnet wurde, und zwei Soldaten geleiteten den Gefangenen hinein, während die anderen mit ihren Feuerschloßgewehren an der Türe herumlungerten.

Nichts vermag sich auf den Straßen einer Stadt zu ereignen, ohne eine Schar müßiger Erwachsener und Kinder anzuziehen. So auch jetzt. Doch die Mehrzahl der Zuschauer zerstreute sich auf der Stelle, bis nur drei übriggeblieben waren, darunter ein Mädchen. Sie war wie eine Dame gekleidet und trug ein Stückchen Band in den Drummondfarben im Haar; doch ihre Kameraden oder, sagen wir lieber, Gefolgsleute waren zerlumpte Burschen, wie ich sie zu Dutzenden auf meiner Reise durch das Hochland getroffen hatte. Alle drei sprachen eifrig in gälisch, das meinen Ohren um Alans willen lieblich klang, aufeinander ein; und obgleich der Regen nachgelassen hatte und mein Dienstmann mich am Ärmel zupfte, um mich zum Aufbruch zu gemahnen, näherte ich mich ihnen noch weiter, um zu lauschen. Die Dame schalt die anderen heftig aus, die sich entschuldigten und vor ihr krochen, und ich war nun überzeugt, daß sie einer Häuptlingsfamilie angehörte. Während dieser ganzen Zeit durchstöberten alle drei ihre Taschen, doch brachten sie, soweit ich sehen konnte, zusammen nicht mehr als einen halben Farthing auf, weshalb ich leise lächeln mußte; denn ich erkannte, daß die Hochländer, was schöne Manieren und eine leere Geldkatze betrifft, sich alle gleich sind.

Zufällig drehte sich das Mädchen plötzlich um, so daß ich zum erstenmal ihr Gesicht erblickte. Nun gibt es aber kein größeres Wunder als die Art, in der das Gesicht eines jungen Weibes von eines jungen Mannes Sinn Besitz ergreift und in ihm haften bleibt, ohne daß er euch den Grund zu sagen vermöchte! Es ist, als hätte er just das gefunden, wonach er sich gesehnt. Sie hatte wunderbare, helle Augen wie Sterne, und ich glaube wohl, die Augen hatten etwas damit zu tun; wessen ich mich jedoch am klarsten erinnere, ist die Art, wie ihre Lippen leicht geöffnet waren, als sie den Kopf wendete. Was immer auch der Grund gewesen sein mag, ich stand dort wie ein Narr. Sie ihrerseits starrte mich, da sie niemanden in solcher Nähe vermutet hatte, etwas länger und vielleicht mit größerer Überraschung an, als mit höflicher Sitte ganz vereinbar war.

Es schoß mir durch meinen Bauernschädel, daß sie vielleicht meinen neuen Anzug bewundere; darauf errötete ich bis an die Haarwurzeln, und bei dem Anblick meiner Verlegenheit muß sie wohl ihre eigenen Schlüsse gezogen haben, denn sie hieß ihre Leute weiter in den Hof hineingehen, und sie nahmen ihre Auseinandersetzung dort wieder auf, wo ich nichts mehr davon hören konnte.

Ich hatte schon manch ein Mädchen bewundert, wenn auch kaum je so plötzlich und so heftig, und meinem Charakter lag es näher, zurückhaltend als fürwitzig zu sein; denn ich fürchtete mich sehr, von dem Weibervolk verspottet zu werden. Man hätte daher meinen können, ich hätte jetzt allen Grund gehabt, meinen üblichen Gepflogenheiten zu folgen, zumal ich diese junge Dame auf der Gasse, anscheinend im Gefolge eines Gefangenen und von zwei äußerst zerlumpten, wenig ehrbaren Hochlandsrittern begleitet, angetroffen hatte. Allein hier spielte noch eine andere Sache mit: es war klar, das Mädchen glaubte, ich hätte ihren Geheimnissen nachspioniert; und das war angesichts der neuen Kleidung und des Degens, den ich trug, in meiner jetzigen Lage, fast auf dem Gipfel des Glücks, mehr als ich herunterschlucken konnte.

Ich ging ihr daher nach und lüftete vor ihr, so gut ich es verstand, meinen neuen Hut.

»Madame,« sagte ich, »ich meine, es ist nur gerecht gegen mich selbst, Euch wissen zu lassen, daß ich kein Gälisch verstehe. Es ist zwar wahr, daß ich lauschte, denn ich besitze jenseits der Grenze im Hochland selber Freunde, weshalb jene Sprache freundlich in meinen Ohren klingt. Doch was Eure Privatangelegenheiten anbelangt, so würde ich sie, hättet Ihr Griechisch geredet, eher erraten haben.«

Sie machte mir eine leichte, kühle Reverenz. »Es ist kein Schaden geschehen«, sagte sie mit einem hübschen Akzent, der in erster Linie dem Englischen glich (aber weit lieblicher klang). »Schaut doch die Katz‘ den König an.«

»Ich will keinen Anstoß erregen«, antwortete ich. »Ich bin ungeschult in Städterart; vor heute hat mein Fuß den Bezirk Edinburg nie betreten. Nehmt mich also hin als einen Burschen vom Lande – das bin ich auch; es ist mir lieber, ich sag’s Euch selbst, als daß Ihr’s von Euch aus entdecktet.«

»In der Tat, es dürfte höchst ungewöhnlich sein, daß Fremde sich also auf der Gasse unterhalten«, entgegnete sie. »Doch wenn Ihr vom Lande seid, so ist das eine andere Sache. Ich stamme selbst vom Land; ich bin vom Hochland, wie Ihr seht, und fühl mich um so ferner von der Heimat.«

»Es ist noch keine Woche her, daß ich die Grenze überschritt«, sagte ich. »Vor weniger als einer Woche weilte ich noch in den Hügeln von Balwhidder.« »Balwhidder?« rief sie. »Kommt Ihr von Balwhidder? Allein der Name macht, daß mein ganzes Herz sich freut. Ihr könnt nicht lange dort gewesen sein, ohne einige unserer Freunde und Verwandten kennenzulernen!« »Ich wohnte bei einem kreuzbraven, freundlichen Mann namens Duncan Dhu Maclaren,« lautete meine Antwort. »Nun, ich kenne Duncan, und Ihr habt ihm das rechte Zeugnis ausgestellt;« erwiderte sie; »und ist er kreuzbrav, so ist’s seine Frau erst recht!«

»Ja,« sagte ich, »es sind prächtige Leute, und der Ort ist ein schöner Ort.« »Wo auf der ganzen, weiten Welt gibt’s seinesgleichen?« rief sie. »Ich liebe den Geruch dieser Gegend, ja selbst die Wurzeln, die dort wachsen.«

Das Feuer, mit dem sie sprach, gefiel mir ganz ungemein. »Ich wünsche fast, ich hätte Euch ein Zweiglein Heidekraut mitgebracht«, sagte ich. »Und ob ich auch unrecht tat, Euch vorhin anzureden, mach‘ ich es doch jetzt, da wir gemeinsame Bekannte haben, zu einer Bitte, daß Ihr mich nicht vergessen möget. David Balfour ist der Name, unter dem man mich kennt. Heute ist mein Glückstag, denn soeben habe ich mein Erbe angetreten, und es ist noch nicht sehr lange her, daß ich einer tödlichen Gefahr entrann. Ich wollte, Ihr behieltet meinen Namen Balwhidder zuliebe im Gedächtnis, so wie ich mich um meines Glückstags willen des Euren erinnern will.«

»Mein Name wird nicht ausgesprochen«, entgegnete sie mit großem Hochmut. »Es sind mehr als hundert Jahre her, daß er, außer zu Sekunden, den Leuten auf der Zunge war. Ich bin namenlos, wie das Stille Volk.1 Catriona Drummond ist der Name, dessen ich mich bediene.« Jetzt wußte ich in der Tat, woran ich war. Im ganzen großen Schottland gab es nur einen Namen, der proskribiert war: den der Macgregors. Jedoch weit davon entfernt, diese unerwünschte Bekanntschaft zu fliehen, stürzte ich mich nur noch tiefer hinein.

»Ich war mit jemandem zusammen, der sich in der gleichen Lage wie Ihr befand,« sagte ich, »und ich glaube, er wird einer Eurer Freunde sein. Er nannte sich Robin Oig.« »Wahrhaftig?« rief sie. »Ihr kennt Rob?«

»Ich verbrachte eine ganze Nacht in seiner Gesellschaft,« erwiderte ich.

»Er ist ein Nachtvogel«, erklärte sie.

»Sackpfeifen waren auch bei der Hand«, fuhr ich fort. »Urteilt also, ob uns die Zeit verging.«

»Jedenfalls werdet Ihr kein Feind sein«, sagte sie. »Der vorhin dort vorüberging, umgeben von Rotröcken, war sein Bruder. Er ist’s, den ich Vater nenne.«

»Wirklich?« rief ich. »Seid Ihr eine Tochter James Mores?« »Seine einzige Tochter,« entgegnete sie, »die Tochter eines Gefangenen! Daß ich das auch nur eine Sekunde vergessen konnte, um mich mit einem Fremden zu unterhalten!« Jetzt wandte sich einer der Kerle an sie, indem er die wenigen Brocken Englisch, die er kannte, zusammenkratzte, um sie zu fragen, was »sie« (womit er sich selbst meinte) wegen des »Tobaks« machen sollte. Ich musterte ihn und sah einen kleinen Mann mit großem Schädel, krummbeinig und rothaarig, den ich später zu meinem Schaden noch näher kennenlernen sollte. »Heute wird es wohl keinen geben, Neil«, lautete die Antwort. »Wo willst du ›Tobak‹ hernehmen, wenn dir das Geld dazu fehlt? Ich werde dich das nächstemal lehren, achtsamer zu sein; und James More wird, glaub ich, mit Neil vom Tom auch nicht sonderlich zufrieden sein.« »Miss Drummond,« sagte ich, »ich erzählte Euch doch, daß heute mein Glückstag ist. Hier steh ich und hinter mir ein Träger von der Bank. Und vergeßt nicht, daß ich die Gastfreundschaft Eurer Heimat Balwhidder genossen habe.«

»Es war keiner von meiner Sippe, der sie Euch gewährte«, entgegnete sie. »Gut,« sagte ich, »zum mindesten aber bin ich Eures Onkels Schuldner für einige Lieder auf der Sackpfeife. Außerdem habe ich mich Euch als Freund angeboten, und Ihr wäret so unvorsichtig, das nicht zur rechten Zeit abzulehnen.« »Wäre es eine große Summe, Ihr würdet vielleicht Ehre damit einlegen«, erwiderte sie; »aber ich will Euch sagen, um was es sich handelt. James More liegt in Ketten im Gefängnis; diese ganze Zeit über bringen sie ihn täglich zum Staatsanwalt – – « »Zum Staatsanwalt?« fragte ich. »Ist das – – – « »Das hier ist das Haus des Lord Staatsanwalts Grant von Prestongrange«, sagte sie. »Dorthin schaffen sie von Zeit zu Zeit meinen Vater, zu welchem Zwecke, weiß ich nicht; aber es scheint, daß es seit kurzem wieder Hoffnung für ihn gibt. Trotzdem wollen sie nicht erlauben, daß ich ihn spreche, oder daß er mir schreibt; und so harren wir seiner hier auf des Königs Gassen, um ihn zu treffen, und manchmal, wenn er vorübergeht, geben wir ihm seinen Schnupftabak, und manchmal auch anderes. Und hier steht dieser Sohn des Mißgeschicks, Neil, der Sohn Duncans, und hat mein Vierpennystück, mit dem ich den Tabak kaufen wollte, verloren, und nun muß James More ohne Tabak fertig werden und wird denken, seine Tochter habe ihn vergessen.«

Ich nahm einen halben Shilling aus der Tasche, reichte ihn Neil und hieß ihn seinen Auftrag erledigen. Dann sagte ich, zu ihr gewandt: »Jener halbe Shilling wurde mir in Balwhidder gegeben.« »Ah!« meinte sie, »Ihr seid ein Freund der Gregara!« »Ich will Euch auch nichts vortäuschen«, entgegnete ich. »Ich weiß sehr wenig von den Gregara und weniger noch von James More und seinen Händeln; doch seit ich hier in diesem Gange stehe, scheine ich einiges von Euch zu wissen; und wenn Ihr statt dessen lieber ›Ein Freund von Fräulein Catriona‹ sagen wolltet, will ich dafür sorgen, daß Ihr um so weniger hintergangen werdet.«

»Das Eine ist unmöglich ohne das Andere«, sagte sie.

»Ich will es trotzdem versuchen«, erwiderte ich.

»Und was denkt Ihr von mir, daß ich so dem ersten besten Fremden meine Hand entgegenstrecke?« rief sie.

»Ich denke nichts weiter, als daß Ihr eine gute Tochter seid«, war meine Antwort.

»Ich darf nicht unterlassen, Euch das Geld zurückzuzahlen«, versetzte sie. »Wo wohnt Ihr?«

»Um die Wahrheit zu sagen, einstweilen nirgends,« entgegnete ich, »da ich noch keine drei Stunden in der Stadt bin; doch wenn Ihr mir Eure Adresse geben wollt, werde ich so kühn sein, mir meinen halben Shilling selbst zu holen.«

»Kann ich Euch so weit trauen?« fragte sie.

»Ihr habt wenig zu befürchten«, antwortete ich.

»James More würde anderes nicht dulden«, sagte sie. »Ich wohne jenseits des Dorfes Dean, an der Nordseite des Flusses, bei Mrs. Drummond Ogilvy von Allardyce, die eine nahe Freundin von mir ist und sich freuen wird, Euch kennenzulernen.«

»Ihr werdet mich also wiedersehen, sobald meine Obliegenheiten es mir gestatten«, sagte ich; und da mit diesen Worten die Erinnerung an Alan mich von neuem befiel, beeilte ich mich, ihr Lebewohl zu sagen. Noch im gleichen Augenblick und mir selbst zum Trotz mußte ich denken, daß wir in Anbetracht der Kürze unserer Bekanntschaft doch recht weit miteinander gekommen wären, und daß eine wirklich vorsichtige junge Dame etwas mehr Zurückhaltung gezeigt hätte. Ich glaube, es war der Bankbediente, der mir diese ungalanten Gedanken vertrieb.

»Ich dachte, Ihr wäret ein Bursche von einiger Vernunft«, begann er und schob die Unterlippe vor. »Auf diese Art werdet Ihr’s wohl nicht weit bringen. Ein Narr und sein Geld sind bald geschieden. Ihr seid mir ein grüner Junge«, rief er, »und obendrein noch liederlich! So um die Menscher zu scharwenzeln!« »Wenn Ihr es wagt, auch nur ein Wort gegen die junge Dame – – « hub ich an. »Dame!« rief er. »Gott schütz und bewahr uns, welche Dame? Nennt Ihr die eine Dame? Die Stadt wimmelt ja von denen. Damen! Mann, man sieht, daß Ihr Euch in Edinburg nicht auskennt!«

Eine Zorneswelle packte mich. »Hier«, sagte ich, »führt mich, wohin ich Euch geheißen, und haltet Euer dreckiges Maul!«

Er gehorchte mir nicht ganz, denn wenn er mich auch nicht direkt anredete, sang er mir doch im Gehen in einer überaus zweideutigen und unverschämten Weise und mit ungemein falscher und krächzender Stimme vor:

Als Molly unsern Weg gekreuzt, da flog im Wind ihr Band,
Da flog ihr Blick zu mir zurück und über ihr Bettelgewand.
Jetzt ziehen wir nach Ost und West, jetzt geht durch’s ganze Land
Nach West und Ost auf Freiersfuß die Fahrt um Molly s Hand
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  1. Die Elfen.