Zweites Kapitel


Der Hochlandsadvokat

Mr. Charles Stuart, der Anwalt, wohnte am Ende der längsten Treppenflucht, die Maurer je gebaut; fünfzehn verschiedene Stiegen, nicht eine weniger; und als ich seine Tür erreichte, die ein Schreiber mir öffnete, um mir zu sagen, daß sein Herr zu Hause sei, besaß ich kaum noch Atem genug, meinen Dienstmann zum Teufel zu schicken.

»Fort mit Euch nach Ost und West!« sagte ich, nahm ihm den Geldsack ab und folgte dem Schreiber.

Der äußere Raum war ein Bureau mit einem Tisch voller Papiere, vor dem des Schreibers Stuhl stand. Im inneren Zimmer, das in das äußere mündete, saß ein energischer kleiner Mann brütend über einem Schriftsatz, von dem er bei meinem Eintritt kaum aufsah: ja, sein Finger blieb an der richtigen Stelle liegen, als habe der Mann die Absicht, mich sofort wieder hinauszuwerfen und zu seinen Studien zurückzukehren. Das behagte mir schon wenig genug; aber schlimmer noch war, daß der Schreiber, meiner Ansicht nach, alles, was zwischen uns vorging, deutlich hören konnte. Ich fragte den kleinen Mann, ob er Mr. Charles Stuart, der Anwalt, sei. »Der nämliche,« sagte er, »und wer seid Ihr, falls die Frage ebenso angebracht erscheint?«

»Ihr werdet weder meinen Namen kennen von mir selber gehört haben,« sagte ich, »aber ich bringe Euch einen Ausweis von einem Freunde, der Euch wohl bekannt ist. Der Euch wohl bekannt ist,« wiederholte ich und senkte die Stimme, »von dem zu hören Ihr aber gegenwärtig vielleicht nicht gerade erbaut sein werdet. Das kleine Geschäft, das ich Euch heute vorzuschlagen habe, ist mehr privater Natur. Kurz, mir wäre lieb, zu wissen, daß wir ganz unter uns sind.« Er erhob sich ohne weitere Worte, warf seine Papiere mit der Miene eines Mannes hin, der sehr schlechter Laune ist, und schickte den Schreiber auf einen Botengang, indem er hinter ihm die Tür schloß.

»Jetzt, Sir,« sagte er zurückkehrend, »sprecht frei von der Leber weg und fürchtet nichts mehr«; und plötzlich fuhr er fort – »obwohl mir Schlimmes schwant, noch ehe Ihr angefangen habt! Ich erkläre Euch von vorneherein, Ihr seid entweder ein Stuart oder von einem Stuart geschickt. ‚S ist ein guter Name und obendrein einer, den zu schmähen meines Vaters Sohn schlecht ansteht. Doch mich gruselt’s schon, wenn ich ihn nennen höre.«

»Mein Name ist Balfour,« sagte ich, »David Balfour von Shaw. Und was den, der mich sandte, betrifft, so will ich seinen Ausweis für mich reden lassen.« Und ich zeigte ihm den silbernen Knopf.

»Steckt ihn in die Tasche, Sir!« rief er. »Ihr braucht keinen Namen zu nennen. Der Satanskerl von einem Querkopf, ich kenne seinen Knopf! Der Teufel hol ihn! Wo steckt er jetzt?«

Ich sagte ihm, ich wüßte nicht, wo Alan sich aufhielte, aber er hätte irgendwo am Nordufer ein Versteck, in dem er sicher wäre (oder sicher zu sein glaube), und wo er bleiben wolle, bis man ihm ein Schiff ausfindig gemacht hätte. Und dann wiederholte ich seine Anweisungen, wo und wie man mit ihm sprechen könnte. »Ich war immer schon überzeugt, daß ich für meine Familie einmal baumeln würde,« rief Mr. Stuart, »und bei Gott, ich glaube, jetzt sind wir so weit! Ihm ein Schiff ausfindig machen, sagt er? Und wer soll dafür bezahlen? Der Bursche ist toll!«

»Das ist meine Sache, Mr. Stuart«, antwortete ich. »Hier ist ein Beutel Geld, und wenn mehr gebraucht wird, ist dort, wo dieses herkommt, mehr zu haben.«

»Nach Eurer Partei brauche ich nicht erst zu fragen«, meinte er. »Das braucht Ihr nicht,« sagte ich lächelnd, »denn ich bin ein so guter Whig, wie Ihr nur einen finden könnt.«

»Sachte, sachte«, versetzte Mr. Stuart. »Was soll das heißen? Ein Whig? Weshalb seid Ihr dann mit Alans Knopf zu mir gekommen? Und was für einen Teufelshandel treibt Ihr hier, Mr. Whig? Da ist ein landflüchtiger Rebell und angeklagter Mörder mit einem Preis von 200 Pfund auf seinen Kopf, und Ihr verlangt von mir, daß ich mich in seine Angelegenheiten mische, und erzählt mir dann, Ihr wäret ein Whig? Ich will nichts wissen von solchen Whigs, obwohl mir schon genug dergleichen über den Weg gelaufen sind.« »Der Mann ist zwar ein landflüchtiger Rebell, – leider –,« sagte ich, »aber er ist mein Freund. Ich wünsche nur, daß er besser beraten wäre. Und auch des Mordes ist er zu seinem Unglück angeklagt; aber zu Unrecht angeklagt.« »Ihr behauptet es wenigstens«, war Stuarts Entgegnung.

»Ihr werdet mich gleich noch mehr behaupten hören«, rief ich. »Alan Breck ist unschuldig und James gleichfalls.« »Ah!« sagte er, »die beiden Fälle hängen zusammen. Steckt Alan drin, kann James nicht draußen sein.« Hierauf erzählte ich ihm in aller Kürze von meiner Bekanntschaft mit Alan und von dem unglücklichen Zufall, der mich zum Zeugen des Appiner Mordes machte, von den verschiedenen Stationen unserer Flucht durch die Heide und von der Rückgewinnung meines Vermögens. »Und nun, Sir, wißt Ihr die ganze Folge der Ereignisse«, schloß ich, »und könnt selber sehen, wie es kommt, daß ich so tief in Eurer Verwandten und Freunde Angelegenheiten verstrickt bin, von denen ich (zu unser aller Wohl) wünschte, sie wären einfacher und weniger blutig. Ihr seht selbst, daß ich gewisse Dinge zu erledigen habe, die ich kaum dem ersten besten Anwalt vorlegen konnte. Nun bleibt nur noch übrig, Euch zu fragen, ob Ihr Euch meiner Sache annehmen wollt?« »Ich habe nicht sonderlich viel Luft dazu; da Ihr aber mit Alans Knopf zu mir kommt, bleibt mir wohl keine Wahl«, sagte er. »Welches sind Eure Instruktionen?« fügte er, nach der Feder greifend, hinzu. »Das Wichtigste ist, Alan aus dem Lande zu schmuggeln,« sagte ich, »aber das brauche ich wohl nicht zu wiederholen.«

»Ich werde es schwerlich vergessen«, meinte Stuart. »Das Nächste betrifft das bißchen Geld, das ich Cluny schulde«, fuhr ich fort. »Es würde mir schwerfallen, Mittel und Wege zu finden, es ihm zu übermitteln, doch Euch müßte es ein leichtes sein. Es waren zwei Pfund, fünf Shilling und anderthalb Pence Sterling.« Er notierte sich die Summe. »Dann«, sagte ich, »ist da ein Mr. Henderland, ein konzessionierter Prediger und Missionar in Ardgour, dem ich recht gerne ein wenig Schnupftabak zuwenden würde; und da ich vermute, daß Ihr mit Euren Freunden in Appin in Verbindung steht und Appin doch dicht dabei liegt, ist das ein Geschäft, das Ihr zweifellos mit dem anderen übernehmen könnt.« »Wieviel Tabak soll es sein?« fragte er.

»So an die zwei Pfund, dachte ich.«

»Zwei«, wiederholte er. »Dann ist da noch ein Mädel, Alison Hastie zu Limekilnes,« sagte ich, »dieselbe, die mir und Alan den Übergang über den Forth ermöglichte. Ich hatte gedacht, ihr ein gutes Sonntagsgewand zu kaufen, wie sie es in ihrem Stande in Ehren tragen könnte. Das würde mein Gewissen erleichtern, denn, um die Wahrheit zu sagen, schulden wir ihr unser Leben.« »Ich freue mich, zu sehen, daß Ihr sparsam seid, Mr. Balfour«, sagte er, es sich notierend.

»Ich würde mich schämen, es am ersten Tage meines Wohlstandes nicht zu sein«, entgegnete ich. »Und wenn Ihr mir jetzt die Auslagen samt Euren eigenen Gebühren zusammenrechnen wolltet, würde ich mich freuen, zu erfahren, ob ich noch ein wenig Geld zum Leben zurückerhalte. Nicht daß ich ungern das Ganze dransetzen würde, um Alan frei zu bekommen, oder daß es mir etwa an mehr gebricht; aber nun ich an einem Tage so viel abgehoben habe, möchte es meines Erachtens einen recht mißlichen Eindruck machen, wenn ich mich am drauffolgenden gleich wieder meldete. Aber seht ja zu, daß es reicht,« setzte ich hinzu, »denn ich habe wenig Lust, Euch wiederzutreffen.« »Nun, es freut mich, daß Ihr auch vorsichtig seid«, sagte der Anwalt. »Aber ich meine, es ist doch ein wenig riskant, mir eine so große Summe anzuvertrauen.« Dies wurde mit verschleiertem Hohn gesagt. »Ich muß das Risiko tragen«, antwortete ich. »Ja, da ist doch noch ein weiterer Dienst, den ich von Euch erbitten möchte, und zwar, daß Ihr mir den Weg zu einem Logis weist, denn ich habe kein Dach über meinem Kopf. Aber es muß ein Logis sein, auf das ich auch zufällig gestoßen sein könnte; denn es geht ganz und gar nicht, daß der Lord Staatsanwalt von unserer Bekanntschaft erfährt.«

»Darüber könnt Ihr völlig beruhigt sein«, erklärte er. »Ich werde ihm Euren Namen niemals nennen, Sir; und meine Meinung ist, man kann dem Lord Staatsanwalt immerhin noch gratulieren, daß er von Eurer Existenz nichts weiß.«

Ich sah, ich hatte den Mann falsch angefaßt.

»Dann steht ihm noch ein guter Tag bevor,« sagte ich, »denn nicht später als morgen, wenn ich ihn besuchen werde, muß er davon erfahren, und wäre er taub.« »Wenn Ihr ihn besucht!« wiederholte Mr. Stuart. »Bin ich toll oder seid Ihr’s? Was wollt Ihr beim Staatsanwalt?« »Oh, nichts Besonderes, nur mich ihm stellen«, lautete meine Antwort. »Mr. Balfour,« rief er, »haltet Ihr mich zum Narren?«

»Nein, Sir,« erwiderte ich, »obwohl ich der Ansicht bin, daß Ihr Euch mir gegenüber einige Freiheiten erlaubt habt. Aber ich gebe Euch ein für allemal zu verstehen, daß ich nicht zum Scherzen aufgelegt bin.« »Ich auch nicht«, erwiderte Stuart. »Und ich gebe Euch zu verstehen (wenn es wirklich in diesem Tone weitergehen soll), daß mir Euer Benehmen immer weniger gefällt. Ihr kommt hierher mit den verschiedensten Ansinnen, die mich zu höchst zweifelhaften Handlungen veranlassen und mich auf lange Zeit hinaus mit einigen sehr wenig wünschenswerten Personen zusammenführen werden. Und dann erklärt Ihr mir, Ihr ginget von meinem Bureau aus schnurstracks zum Staatsanwalt, um mit ihm Euren Frieden zu machen. Alans Knopf hin und her, Alans Haxen und Hände werden mich nicht dazu bringen, mich weiter mit Euch einzulassen.« »Ich würde an Eurer Stelle die Sache mit etwas mehr Gleichmut hinnehmen«, sagte ich; »vielleicht können wir das vermeiden, wogegen Ihr Euch sträubt, obwohl ich keinen anderen Ausweg sehe, als mich freiwillig zu stellen. Vielleicht wißt Ihr indes einen besseren. Wenn Ihr’s könntet, will ich gar nicht bestreiten, daß mir viel wohler zumute wäre. Denn ich vermute, mein Handel mit Seiner Lordschaft dürfte meiner Gesundheit wenig zuträglich sein. Das eine ist klar: ich muß mein Zeugnis ablegen, denn ich hoffe, es wird Alans Ruf (wenigstens was davon übriggeblieben ist), und was wichtiger ist, James‘ Hals retten.«

Er schwieg eine kleine Weile, dann: »Mein guter Bursche, man wird Euch niemals gestatten, derartiges auszusagen.«

»Das werden wir noch sehen«, entgegnete ich, »ich bin ziemlich steifnackig, wenn’s mir drauf ankommt.«

»Esel, Riesenesel!« rief Stuart. »’S ist doch der James, den sie wollen; James muß hängen – Alan auch, wenn sie ihn erwischen können – doch James unter allen Umständen. Kommt dem Staatsanwalt nur mit irgendwelchen derartigen Sachen, und Ihr werdet sehen, er findet einen Weg, Euch einen Maulkorb anzulegen.«

»Ich habe eine bessere Meinung von dem Staatsanwalt als Ihr«, antwortete ich.

»Zum Henker mit dem Staatsanwalt!« rief er. »Es sind die Campbells, Mann! Ihr werdet die ganze Meute auf den Fersen haben, und der Staatsanwalt auch, armer Teufel! Es ist erstaunlich, daß Ihr nicht begreift, wo Ihr steht! Finden sie keinen geraden Weg, Euch das Maul zu stopfen, so haben sie einen krummen bei der Hand. Sie können Euch auf die Anklagebank bringen, seht Ihr denn das nicht ein?« rief er und bohrte mir seinen Finger ins Bein.

»Freilich,« erwiderte ich, »das Gleiche wurde mir erst heute morgen von einem anderen Anwalt gesagt.«

»Und wer war das?« forschte Stuart. »Zum mindesten hat er vernünftig gesprochen.«

Ich sagte ihm, er müsse es mir schon erlassen, einen Namen zu nennen, denn es wäre ein angesehener, überzeugter, alter Whig, der wenig Lust hätte, in derartige Angelegenheiten hineingezerrt zu werden. »Ich glaube, die ganze Welt ist darin verwickelt!« rief Stuart. »Und was habt Ihr darauf erwidert?«

Ich erzählte ihm, was sich vor dem Hause Shaw zwischen Rankeillor und mir zugetragen hatte.

»Nun, dann werdet Ihr hängen«, meinte er. »Ihr werdet neben James Stuart hängen. Da habt Ihr Euer Schicksal vorausgesagt!«

»Ich hoffe immer noch, daß es besser abgehen wird,« entgegnete ich, »doch habe ich niemals bestritten, daß ein Risiko damit verknüpft ist.«

»Ein Risiko!« wiederholte er und saß dann wieder schweigend da. »Ich müßte Euch von Rechts wegen für Eure Treue gegen meine Freunde, denen gegenüber Ihr eine so feste Gesinnung zeigt, danken,« sagte er. »Wenn Ihr nur die Kraft habt, bei der Stange zu bleiben. Aber ich warne Euch, Ihr watet in tiefem Wasser. Ich (ein geborener Stuart) würde mich für alle Stuarts seit Noah nicht an Eure Stelle setzen. Risiko? Ich laufe deren mehr als genug: doch vor einem Gerichtshof, zusammengesetzt aus Campbell-Geschworenen und Campbell-Richtern und obendrein in einer Campbell-Gegend und in einem Campbell-Streit – denkt von mir, was Ihr wollt, Balfour, es geht über meine Kraft.« »’S ist wohl ein Unterschied in der Denkungsart«, antwortete ich. »Ich wurde von klein auf in der meinigen von meinem Vater erzogen.«

»Ehre seiner Asche! Er hat seinen Namen einem braven Sohn hinterlassen«, erklärte er. »Und doch möchte ich nicht, daß Ihr allzu schlecht von mir denkt. Mein Fall ist verdammt verzwickt. Seht, Sir, Ihr sagt, Ihr seid ein Whig; ich frage mich, was ich eigentlich bin. Sicherlich kein Whig, das ist klar; justament ein Whig könnte ich nicht sein. Jedoch – lacht nur über mich – ich stehe vielleicht auch nicht ganz so scharf auf der anderen Seite.«

»Ist das wirklich wahr?« rief ich. »Genau das hätte ich bei einem Mann von Eurem Verstande angenommen.«

»Bah! Nichts von Euren Schmeicheleien!« rief er. »Verstand ist auf beiden Seiten. Aber ich privatim trage kein sonderliches Verlangen, König Georg eins auszuwischen; und was König Jakob – Gott segne ihn! – betrifft, so finde ich ihn für meinen Teil jenseits des Kanals ganz gut aufgehoben. Seht Ihr, ich bin ein Anwalt und liebe meine Bücher und einen guten Tropfen, ein rechtschaffenes Plädoyer, einen säuberlich aufgesetzten Schriftsatz, einen gelegentlichen Strauß mit den Herren Kollegen im Parlamentshaus und dann und wann an Samstagabenden ein Spielchen Golf. Nun frag ich Euch: Wo ist da Platz für Eure Hochlandsplaids und Schwerter?«

»Ja,« entgegnete ich, »’s ist wirklich wahr, Ihr habt wenig von einem wilden Hochländer an Euch.«

»Wenig?« echote er. »Gar nichts, Mann! Und doch bin ich dort geboren, und wenn der Clan pfeift – was hilft’s – da muß ich tanzen. ‚S ist, wie Ihr selber sagt: mein Vater hat’s mich so gelehrt, und ’ne nette Tätigkeit hat er mir zugeschanzt! Hochverrat und das Herein- und Herausschmuggeln von Hochverrätern; und die französischen Werbungen – hol sie der Henker! – Und das Durchschmuggeln der Rekruten; und erst die Prozesse! Der Teufel hole sie! Gerade hab ich wieder einen anhängig gemacht, für meinen Vetter, den jungen Ardshiel: Klage auf Rückgabe seiner Ländereien auf Grund eines Ehekontraktes – verpfändeter Ländereien! Ich sagte ihnen, es wäre ein Unsinn; was fragten sie schon danach! Und dann mußt ich mich hinter einen Gerichtsadvokaten stecken, dem die Sache genau so wenig gefiel wie mir, denn sie hat uns beide glatt ruiniert – gleich steht man auf der schwarzen Liste und bekommt einen Stempel ›Mißvergnügt‹ aufgebrannt, wie das liebe Vieh den Namen des Besitzers! Was soll ich dagegen tun? Ich bin ein Stuart, seht Ihr, und muß für meinen Clan und meine Familie einstehen! Erst gestern wurde wieder einer von unseren Burschen nach der Burg gebracht. Weswegen? Ich weiß es genau: Gesetz von 1736 – Rekrutierung für König Louis. Und Ihr werdet sehen – er wird nach mir pfeifen, damit ich seine Sache übernehme, und meine Reputation hat einen neuen schwarzen Fleck! Ich sag es Euch rundheraus: könnt ich den Kopf eines hebräischen Worts vom Schwanz unterscheiden, der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht die ganze Sache an den Nagel hinge, um Geistlicher zu werden!«

»Es ist wirklich eine ziemlich schwierige Lage«, bemerkte ich.

»Verdammt schwierig!« rief er. »Und gerade deshalb denk ich so hoch von Euch – der Ihr kein Stuart seid, – daß Ihr Euren Kopf so tief in eine Stuartsache steckt. Weshalb, weiß ich nicht: es sei denn, Ihr tätet’s aus Pflichtgefühl.«

»Ich hoffe, das ist der Grund«, sagte ich.

»Nun,« meinte er, »’s ist eine großartige Eigenschaft. Doch da kehrt mein Schreiber zurück, und wir wollen, mit Eurer Erlaubnis, alle drei einen Bissen essen gehen. Danach werde ich Euch die Adresse eines sehr ordentlichen Mannes geben, der Euch recht gern als Mieter aufnehmen wird. Und Eure Taschen werd ich Euch auch füllen, und zwar aus Eurem eigenen Beutel. Denn dies Geschäft hier wird lange nicht so kostspielig sein, als Ihr es Euch denkt – nicht einmal die Schiffsangelegenheit.«

Ich bedeutete ihm, daß der Schreiber in Hörweite wäre.

»Bah, Ihr braucht auf Robbie keine Rücksicht zu nehmen«, rief er. »Er ist auch ein Stuart, armer Teufel! und hat mehr französische Rekruten und rührige Papisten ‚rübergeschmuggelt, als er Haare im Gesicht hat. Robin selbst ist derjenige, der diesen Teil meiner Geschäfte besorgt. Wen haben wir zur Zeit bei der Hand, Robbie, um jemanden überzusetzen?« »Nun, da wäre Andie Scougal auf der ›Thristle‹«, entgegnete Robin. »Hoseason sprach ich erst vor kurzem, aber er scheint noch immer kein Schiff zu haben. Dann ist da auch noch Tam Stobo; aber ich bin mir Tams nicht so ganz sicher. Ich hab gesehen, wie er sich mit einigen recht zweifelhaften Bekanntschaften anbiederte; und wenn sich’s um jemand von Bedeutung handelt, würde ich den Tam übergehen.« »Der Kopf ist zweihundert Pfund wert, Robin«, sagte Stuart. »Potz Donner, ’s ist doch nicht etwa Alan Breck?« rief der Schreiber. »Niemand anders«, versetzte sein Herr. »Liebe Zeit! Das ist ’n ernster Fall«, rief Robin. »Ich will’s dann mal mit Andie versuchen; Andie ist schon der Richtige.« »Das scheint ja eine ganz schwierige Sache zu sein«, bemerkte ich. »Überhaupt nicht abzusehen, Mr. Balfour«, sagte Stuart. »Euer Schreiber nannte da vorhin einen Namen,« fuhr ich fort, »Hoseason, von der Brigg ›Covenant‹. Würdet Ihr dem vertrauen?« »Er hat nicht gut gegen Euch und Alan gehandelt,« meinte Mr. Stuart, »aber ich bin über den Mann im allgemeinen anderer Ansicht. Hätte er Alan auf einen Vertrag hin an Bord genommen, er hätte sich meiner Meinung nach als zuverlässiger Kontrahent gezeigt. Was meinst du, Robbie?« »Es gibt keinen Ehrlicheren im ganzen Schiffergewerbe«, erwiderte der Schreiber. »Ich würde auf Elis Wort schwören, und handelte es sich um den Chevalier2 und um Appin selbst«, fügte er hinzu.

»Er war’s doch auch, der den Doktor3 ‚rüberbrachte?« fragte sein Herr.

»Der nämliche«, war des Schreibers Antwort.

»Und ich glaube, er brachte ihn auch wieder zurück?« forschte Stuart.

»Jawohl, und zwar mit vollen Taschen«, rief Robin.

»Und Eli wußte davon.«

»Nun, es scheint, daß man sich in den Leuten nur schwer auskennt«, sagte ich.

»Das gerade hatte ich vergessen, als Ihr bei mir eintratet, Mr. Balfour«, schloß der Anwalt.

  1. Name für Prinz Charlie, den letzten Stuart.
  2. Dr. Cameron, der die Sekte der Cameronier gründete.

Neunundzwanzigstes Kapitel


Wir treffen uns in Dünkirchen

Alles in Allem war ich am folgenden Tage doch nicht so unglücklich, daß ich nicht auch hoffnungsfrohe und glückliche Minuten erlebte; ich warf mich mit ziemlichem Eifer auf meine Studien und beschloß, auszuharren, bis Alan käme oder bis ich durch James More Nachricht von Catriona erhielt. Ich empfing im ganzen drei Briefe in dieser Zeit unserer Trennung. Der eine kündete ihre Ankunft in der Stadt Dünkirchen in Frankreich an, von wo aus James More bald darauf in privater Mission allein weiterreiste. Sein Auftrag führte ihn nach England zu Lord Holderneß, und mir ist es von jeher ein bitterer Gedanke gewesen, daß mein gutes Geld mitwirkte, die Kosten hierfür zu bestreiten. Aber wer mit dem Teufel oder James More zur Nacht speiste, der bedurfte eines gar langen Löffels. In seine Abwesenheit fiel der Termin für einen zweiten Brief, und da diese Nachrichten eine Vorbedingung der Rente waren, hatte er sie sorgsam vorbereitet und Catriona zur Weiterbeförderung hinterlassen. Allein unsere Korrespondenz erregte ihren Argwohn; kaum war er fort, da erbrach sie das Siegel. Das Schreiben, das ich erhielt, begann daher in der Handschrift James Mores:

»Sehr geehrter Herr, Eure geschätzte Sendung traf pünktlich ein, und ich beeile mich, die Einlage laut Vereinbarung zu bestätigen. Es soll alles getreulich auf meine Tochter verwendet werden, die sich wohlauf befindet und ihrem teuren Freunde ihre Grüße schickt. Sie befindet sich zur Zeit in etwas melancholischer Verfassung, aber ich vertraue auf Gottes Gnade, sie bald wiederhergestellt zu sehen. Unser Leben ist sehr einsam; wir trösten uns indes mit den melancholischen Weisen unserer heimatlichen Berge sowie durch häufiges Wandeln an der Küste jener See, die Schottland zunächst gelegen ist. Das waren bessere Tage, als ich noch mit fünf Wunden am Leibe auf dem Feld von Gladsmuir lag. Beschäftigung habe ich gefunden in dem Gestüt eines französischen Edelmanns, wo meine Erfahrungen geschätzt werden. Aber, verehrter Sir, die Entlohnung ist so überaus unangemessen, daß ich mich schämen müßte, sie zu nennen, wodurch Eure Rimessen für meiner Tochter Bequemlichkeit um so notwendiger werden, obzwar der Anblick alter Freunde noch wohltuender wirken dürfte.

Ich verbleibe, mein teurer Sir, Euer anhänglicher, gehorsamer Diener, James MacGregor Drummond.«

Darunter stand in Catrionas Handschrift:

»Glaubt ihm nicht; es ist alles gelogen.

C. M. D.«

Ich glaube, sie fügte nicht nur dieses Postskriptum hinzu, sondern war nahe daran, den Brief zu unterschlagen, denn er traf, dem Datum nach, stark verspätet ein, und ihm folgte bald darauf der dritte Brief. Inzwischen war auch Alan gekommen; sein lustiges Geplauder schuf mir ein neues Leben; er hatte mich seinem Vetter von der Schottisch-holländischen Garde vorgestellt, einem Manne, der mehr trank als ich für möglich hielt, sonst aber uninteressant war. Ich wurde zu zahlreichen ausgelassenen Diners eingeladen und gab selbst einige lustige Essen – alles, ohne eine Milderung meines Kummers zu verspüren, und wir beide (will sagen Alan und ich und keineswegs der Vetter) erörterten lang und breit meine Beziehungen zu James More und seiner Tochter. Begreiflicherweise war ich nicht sehr bereit, Einzelheiten zu schildern, eine Abneigung, die durch die Art von Alans Kommentar nicht behoben wurde. »Ich kann nicht draus klug werden,« pflegte er zu sagen, »aber ich meine, du hast einen rechten Esel aus dir gemacht. Wenige Menschen besitzen mehr Erfahrung als Alan Breck, und ich kann mich nicht besinnen, je im Leben von einem Mädel gehört zu haben wie deines hier. Wie du die Sache erzählst, ist sie rein unmöglich. Du mußt die Angelegenheit hoffnungslos verpatzt haben. David.«

»Mitunter bin ich ganz deiner Meinung«, antwortete ich.

»Das Sonderbare ist, du scheinst an dem Mädchen eine Art Narren gefressen zu haben.«

»Den größten Narren von der Welt, Alan; ich glaube, ich werde ihn noch mit ins Grab nehmen.«

»Na, das geht über meinen Horizont!« waren seine Schlußworte.

Ich zeigte ihm den Brief mit Catrionas Postskriptum. »Da haben wir’s wieder!« rief er. »Unmöglich kann man dieser Catriona einen gewissen Anstand absprechen! Ja, und sie ist auch ganz gescheit! Was nun James More betrifft – der Mann ist so hohl wie eine Trommel – nichts als ein Bauch und leere Redensarten; obwohl ich nicht leugnen kann, daß er bei Gladsmuir tapfer gefochten hat, und was er von den fünf Wunden sagt, ist auch wahr. Aber das Schlimme an ihm ist – der Kerl ist hohl.«

»Du verstehst doch, Alan,« sagte ich, »es geht mir gegen den Strich, das Mädchen in solchen Händen zu lassen.«

»Schlechter könnten die Hände nicht sein«, gestand er. »Aber was willst du? Wenn sich’s um ’n Mannsbild und ’n Frauenzimmer handelt, liegt die Sache so, Davie: Verstand haben die Weiber überhaupt nicht. Entweder sie mögen den Mann, dann geht alles wie geschmiert; oder sie hassen ihn einfach, dann kannst du dir die Worte sparen – dann ist nichts zu machen. Es gibt nur diese zwei Arten – Weiber, die ihr letztes Hemd für einen verkaufen, und Weiber, die nicht einmal den Boden ansehen, auf dem man steht. Andere gibt’s nicht, und du scheinst ein solcher Esel zu sein, daß du sie nicht einmal unterscheiden kannst.«

»Ja, ich fürchte, da hast du recht.«

»Und doch ist nichts leichter als das!« rief Alan. »Ich könnte dich’s ohne weiteres lehren, aber du scheinst mir blind geboren; das ist eben der Haken!«

»Kannst du mir wirklich nicht helfen, Alan? Du bist doch so klug in allen diesen Dingen!«

»Ja, weißt du, Davie, ich hab das Mädel nicht kennengelernt. Ich bin wie ein Feldoffizier, der als Beobachter und Eclaireurs nur Blinde hat. »Was soll man da machen? Ich meine eben, du hast irgendeine Riesendummheit begangen, und wenn ich du wäre – ich würde die Sache noch einmal in die Hand nehmen.« »Glaubst du wirklich, Alan, mein Junge?«

»Wirklich und wahrhaftig.« Der dritte Brief erreichte mich, als wir gerade in ein derartiges Gespräch vertieft waren; man wird gleich sehen, wie sehr er uns gelegen kam. James behauptete, um seiner Tochter Gesundheit, die meines Glaubens nach niemals befriedigender gewesen war, sehr besorgt zu sein. Er floß über von freundschaftlichen Beteuerungen und schlug schließlich vor, ich solle ihn in Dünkirchen besuchen.

»Ihr werdet zur Zeit die Gesellschaft meines alten Kameraden, Mr. Stuarts, genießen«, schrieb er. »Weshalb ihn nicht auf seiner Rückkehr nach Frankreich hierher begleiten? Ich habe ganz private Neuigkeiten nur für Mr. Stuarts Ohr. Zum mindesten würde ich mich sehr freuen, einen so ritterlichen Waffenbruder wiederzusehen. Und was Euch selbst betrifft, mein teurer Sir, so werden meine Tochter und ich stolz sein, unseren Wohltäter zu begrüßen, den wir als einen Bruder und Sohn betrachten. Der französische Edelmann hat sich als eine Person von so filzig geizigem Charakter erwiesen, daß ich mich genötigt sah, das Gestüt zu verlassen. Ihr werdet uns daher ein wenig kümmerlich in der ›Auberge‹ eines gewissen Bazin untergebracht finden; aber die Situation ist neu, und ich zweifle nicht, daß wir einige recht angenehme Tage verbringen werden, in denen Mr. Stuart und ich Erinnerungen aus der Zeit unseres Waffenhandwerks austauschen können, während Ihr und meine Tochter Euch in einer Eurem Alter entsprechenden Weise unterhalten möget. Zum mindesten ersuche ich Mr. Stuart, hierherzukommen; die Angelegenheit, die ich ihm zu eröffnen habe, ist von weittragender Bedeutung.«

»Was will der Mann von mir?« rief Alan, als er zu Ende gelesen hatte. »Was er von dir will, ist klar genug – Geld. Aber was schert ihn Alan Breck?« »Ach, es wird nur so eine Art Vorwand sein«, sagte ich. »Er hat immer noch diese Heirat im Kopf und will sie, koste es, was es wolle, durchsetzen. Dich bittet er, zu kommen, weil er glaubt, daß ich ohne dich erst recht nicht erscheinen werde.«

»Nun, ich wollte, ich wüßte, woher der Wind pfeift«, meinte Alan. »Er und ich waren niemals sonderlich gut Freund; wir knurrten einander an, wie so ein paar Dudelsäcke. ›Etwas privatim für mein Ohr‹ schreibt er! Ich werde vielleicht etwas privatim für seinen Hintern haben, bevor wir miteinander fertig sind. Potzdonner, das wäre doch ein sehr netter Spaß, hinzureisen und zu sehen, was er im Schilde führt! Außerdem lernte ich dann das Mädel kennen. Was meinst du dazu, Davie? Willst du Alan begleiten?«

Wie man sich denken kann, war ich nicht abgeneigt, und da Alans Urlaub sich seinem Ende näherte, brachen wir kurz darauf zu diesem gemeinsamen Abenteuer auf.

Es war dicht vor Dunkelwerden an einem Tage im Januar, als wir endlich in die Stadt Dünkirchen einritten. Wir stellten unsere Pferde in der Post unter und fanden einen Führer nach Bazins Gasthof, der außerhalb der Tore lag. Mittlerweile war es ganz Nacht geworden, wir waren die letzten, die aus der Festung hinausgelassen wurden und hörten, als wir die Brücke passierten, hinter uns die Tore ins Schloß fallen. Jenseits der Wälle lag eine erleuchtete Vorstadt, durch die zuerst der Weg führte, dann bogen wir in ein dunkles Gäßchen ein und mußten nach einer kleinen Weile in der Finsternis durch tiefen Sand waten, während Meeresbrausen an unser Ohr drang. So strebten wir eine Zeitlang vorwärts, hauptsächlich unseres Führers Stimme folgend, und ich dachte bereits, er hätte den Weg verloren, als wir die Spitze eines kleinen Hügels erklommen und vor uns aus der Dunkelheit ein schwacherleuchtetes Fenster auftauchen sahen. »Voilà l’auberge à Bazin«, sagte der Führer.

Alan schnalzte mit der Zunge. »Eine unheimlich einsame Gegend«, meinte er, und ich glaubte seinem Tone zu entnehmen, daß er nicht ganz zufrieden war. Bald darauf standen wir im Untergeschoß eines Hauses, das ein einziger Raum ausfüllte; eine Treppe führte hinauf zu den seitlich gelegenen Zimmern, Bänke und Tische standen an den Wänden, der Kochherd nahm das eine Ende des Gemaches ein, und Bordbretter mit Flaschen und eine Kellerfalltür befanden sich an dem anderen Ende. Hier erklärte uns Bazin, ein großer Bursche von zweifelhaftem Aussehen, der schottische Gentleman sei ausgegangen, wohin, wüßte er nicht, aber die junge Dame wäre oben; er würde sie herunterrufen.

Ich zog aus meinem Busen das Tuch mit dem fehlenden Zipfel und knüpfte es um meinen Hals. Ich vernahm dabei das Pochen meines Herzens und konnte, da Alan mir mit ein paar lachenden Worten auf die Schulter klopfte, kaum eine scharfe Entgegnung unterdrücken. Aber ich hatte nicht lange zu warten. Ich erkannte zu unseren Häupten ihren Schritt und sah sie die Treppe herunterkommen. Sie kam sehr ruhig und begrüßte mich ein wenig bleich und mit einer gewissen Intensität oder Unruhe in ihrem Gebaren, die mich außerordentlich dämpfte. »Mein Vater, James More, wird bald zurück sein. Er wird sich sehr freuen, Euch zu sehen«, sagte sie. Dann flammte plötzlich ihr Gesicht auf, ihre Augen leuchteten und das Wort blieb ihr auf den Lippen haften; ich war überzeugt, sie hatte das Halstuch bemerkt. Ihre Erregung dauerte nur einen Atemzug, aber mich dünkte, sie wandte sich mit besonderer Lebhaftigkeit Alan zu. »Und das ist sicherlich Euer Freund, Alan Breck?« rief sie. »Viele Dutzend Male hab ich von Euch erzählen hören; ich liebe Euch bereits dank Eurer Tapferkeit und Güte.«

»Ja, ja,« sagte Alan und hielt, den Blick auf sie geheftet, ihre Hand in der seinen, »da haben wir also endlich die junge Dame! David, ein Tausendkünstler im Beschreiben bist du nicht.«

Ich glaube, so geradewegs zu Herzen hab ich ihn nie reden hören; der Klang seiner Stimme war Musik in meinen Ohren. »Wie, hat er mich Euch beschrieben?« rief sie.

»Er hat wenig anderes getan, seit ich aus Frankreich gekommen bin!« entgegnete er. »Dazu kommt noch eine gewisse Nacht in Schottland in einem kleinen Gehölz bei Silvermills. Aber laßt nur, mein Kind, Ihr seid viel hübscher als er sagt. Und das eine ist klar: Ihr und ich, wir werden Freunde werden. Ich bin so eine Art Schatten von Davie hier, ein alter Köter an seinen Fersen: was er liebt, das muß ich auch lieben – und bei der Heiligen Schrift! – mich lieben müssen seine Freunde auch! So, nun wißt Ihr, wie Ihr mit Alan Breck steht, und Ihr werdet finden, verlieren tut Ihr an dem Handel nicht. Er ist nicht gerade hübsch, mein Kind, aber er ist denen treu, die er liebt.«

»Ich danke Euch von Herzen für Eure guten Worte«, sagte sie. »Ich habe so große Achtung vor einem tapferen, aufrechten Mann, daß ich nicht weiß, was ich Euch sagen soll.« Wir machten Gebrauch von dem Recht der Reisenden und setzten uns zu dritt, ohne auf James More zu warten, zu Tisch. Alan ersuchte Catriona, sich neben ihn zu setzen und ihm beim Essen aufzuwarten: er ließ sich von ihr das Glas kredenzen und umgab sie von Anfang bis zu Ende mit freundschaftlichen, galanten Aufmerksamkeiten, ohne mir auch nur den leisesten Grund zur Eifersucht zu bieten. Ja, er beherrschte so vollkommen das Gespräch und lenkte es in so launiger Weise, daß sie wie ich unsere Verlegenheit vergaßen. Wäre jemand dagewesen, uns zu beobachten, er hätte glauben müssen, Alan sei der altvertraute Freund und ich der Fremde. Wahrhaftig, ich hatte oft schon Gelegenheit gehabt, ihn zu lieben und zu bewundern, niemals aber liebte und bewunderte ich ihn mehr als in jener Nacht. Mir selbst sagte ich dabei (was ich mitunter zu vergessen neigte), daß er nicht nur große Lebenserfahrung, nein, auf seine Weise auch ein hohes Maß natürlicher Begabung besäße. Was Catriona betraf, so schien sie gänzlich hingerissen; ihr Lachen klang hell wie ein Glockenspiel, ihr Antlitz war so heiter wie ein Maimorgen; und ich gestehe, obwohl ich mich darüber freute, war ich doch ein wenig traurig, denn ich kam mir neben meinem Freunde langweilig und hölzern vor, kurz, kaum geeignet, in eines jungen Mädchens Leben einzugreifen, um womöglich gar ihre Daseinsfreude zu betäuben.

Allein, obschon das meine Rolle zu sein schien, hatte ich doch den Trost, sie nicht als einziger spielen zu müssen. James More kehrte unerwartet zurück, und das Mädchen war von diesem Augenblick an zu Stein verwandelt. Den Rest des Abends, bis sie unter irgendeinem Vorwand zu Bette ging, beobachtete ich sie ohne Unterlaß und kann bezeugen, daß sie auch nicht einmal lächelte, kaum ein Wort sprach und fast ständig vor sich hinstarrte. Wahrhaftig, ich mußte staunen, so viel hingebende Liebe (wie sie sie früher empfunden hatte) förmlich in krankhaften Haß verwandelt zu sehen.

Es erübrigt sich, von James More sonderlich viel zu sagen; man kennt ihn bereits zur Genüge, weiß, was es von ihm zu melden gibt; und ich habe es satt, von seinen Lügen zu schreiben. Genug, daß er sehr viel trank und uns sehr wenig Positives erzählte. Was das Geschäft mit Alan anbelangte, so sollte es bis morgen und für Alans Ohr allein aufgespart werden. Es ließ sich um so leichter verschieben, als Alan und ich von unserem Ritt ermüdet waren und nach Catrionas Aufbruch nicht mehr lange aufsaßen. Bald befanden wir uns allein in unserem Zimmer, wo wir uns in ein Bett teilen mußten. Alan blickte mich mit sonderbarem Lächeln an. »Du hoffnungsloser Esel, du!« sagte er. »Was soll das heißen?« rief ich. »Heißen? Was das heißen soll? Es ist erstaunlich, David, Junge, wie grenzenlos dumm du bist.« Wieder bat ich ihn, sich deutlich auszudrücken. »Nun, ich will dir das eine verraten: ich sagte dir bereits, es gäbe zwei Arten von Frauen – Frauen, die ihr letztes Hemd für einen verkaufen und andere. Versuch jetzt mal selber dahinterzukommen, mein Junge! Aber was ist das für ein Tuch um deinen Hals?« Ich sagte es ihm. »Hatte ich mir doch was Ähnliches gedacht«, meinte er. Und mehr war nicht aus ihm herauszubekommen, obwohl ich ihn lange noch mit Bitten bestürmte.

Dreißigstes Kapitel


Der Brief von dem Schiffe

Das Tageslicht zeigte uns die einsame Lage des Gasthofes, offenbar hart am Meere, aber von dort aus völlig unsichtbar, allseitig von räudigen Sandhügeln umgeben. Das einzige, was sich an Aussicht bot, waren über dem Rande einer Düne emporragend zwei Flügel einer Windmühle, die den Ohren eines verborgenen Esels glichen. Als ein Wind aufsprang (zuerst war die Luft totenstill gewesen), war es seltsam, die beiden großen Flügel über der Erderhöhung sich drehen und jagen zu sehen. Ein regelrechter Weg lief hier kaum vorbei; dagegen führten nach allen Richtungen zwischen den Dünen Fußpfade zu M. Bazins Tür. In Wahrheit betrieb der Mann zahlreiche Gewerbe, darunter jedoch kein einziges ehrliches, und die Lage seines Wirtshauses war für ihn die denkbar beste. Schmuggler gingen dort aus und ein; politische Agenten und Flüchtlinge vor dem Gesetze, die über das Meer setzen wollten, warteten hier auf die Überfahrt; und wahrscheinlich lauerte noch Düstereres hinter diesen Mauern, wo ganze Familien hätten ermordet werden können, ohne daß jemand Wind davon bekommen haben würde.

Ich schlief wenig und unruhig. Lange vor Morgengrauen hatte ich mich von meinem Bettgenossen fortgestohlen und wärmte mich bereits vor dem Feuer oder durch Aufundabgehen vor der Tür. Der Tag kam mürrisch und grau; bald jedoch sprang aus Westen ein Wind auf, der die Wolken zerteilte, der Sonne einen Weg bahnte und die Mühle antrieb. Etwas Frühlingshaftes lag in dem Sonnenschein, vielleicht lebte es auch in meinem Herzen, und der Anblick der mächtigen Flügel, die einer nach dem anderen hinter der Anhöhe auftauchten, erheiterte mich ungemein. Von Zeit zu Zeit hörte ich das Gehwerk knarren, und etwa um halb neun Uhr morgens begann Catriona im Hause zu singen. Da hätte ich vor Freude meinen Hut in die Luft schleudern mögen, und dieser traurige, öde Ort schien mir ein Paradies.

Trotzdem spürte ich, als der Tag älter wurde und keine Menschenseele dem Hause sich näherte, eine gewisse, mir selbst kaum erklärliche Unruhe. Ich witterte irgend etwas Böses; die Flügel der Windmühle glichen im Aufundniedertauchen Spionen, und abgesehen von aller Phantasie – Nachbarschaft wie Haus waren ein recht merkwürdiger Aufenthalt für eine junge Dame. Beim Frühstück, zu dem wir erst spät kamen, wurde es klar, daß James More sich in irgendeiner Gefahr oder Verlegenheit befand; ebenso klar war es, daß Alan es bemerkte und ihn scharf beobachtete. Zwischen dieser offenbaren Verstellung des einen und der Wachsamkeit des anderen saß ich wie auf glühenden Kohlen. Kaum war die Mahlzeit beendet, da schien James einen Entschluß zu fassen; er brachte allerlei Entschuldigungen vor von privaten Verabredungen in der Stadt (mit dem französischen Edelmann, wie er behauptete), und bat uns, ihn bis Mittag zu beurlauben. Inzwischen zog er seine Tochter in den fernsten Winkel des Zimmers, wo er anscheinend nachdrücklich auf sie einredete, während sie ohne sonderliche Bereitwilligkeit lauschte.

»Dieser Mann James gefällt mir immer weniger«, sagte Alan. »Etwas ist an diesem Manne James nicht ganz geheuer, und ich würde mich gar nicht wundern, wenn Alan Breck ihn heute ein wenig im Auge behielte. Ich gäbe viel darum, diesen französischen Edelmann kennenzulernen, David; und ich meine, du selbst wirst auch wissen, was du zu tun hast, nämlich, dich bei dem Mädel nach dem Stand deiner Angelegenheit zu erkundigen. Rede mit ihr ganz offen, sag ihr, du wärest von Anfang bis zu Ende ein großer Esel gewesen; und dann, wenn ich du wäre und du brächtest es fertig, recht natürlich zu sein, würde ich ihr ein wenig vorschwindeln, ich befände mich in irgendeiner Gefahr; das wirkt immer auf die Weiber.« »Ich kann nicht lügen, Alan, ich bring’s nicht fertig, so was natürlich zu sagen«, spottete ich.

»Dummkopf«, erklärte er. »Dann kannst du ihr ja sagen, ich hätte es dir geraten; das wird sie zum Lachen bringen und ist wahrscheinlich das Nächstbeste. Aber behalte die beiden im Auge! Wenn ich mich des Mädels nicht so sicher fühlte und wüßte, daß sie von Alan sehr entzückt und mit ihm dick Freund ist – ich würde glauben, jene beiden hätten irgendeinen Hokuspokus vor.« »Ist sie wirklich so sehr von dir entzückt, Alan?« forschte ich.

»Sie schätzt mich ungemein«, sagte er. »Ich bin darin anders als du; ich weiß genau Bescheid. Das tut sie wirklich – schätzt Alan ungemein. Und meiner Treu – ich halte selbst ziemlich viel von mir, und mit deiner Erlaubnis, Shaw, werde ich einmal einen kleinen Spaziergang zwischen den Dünen machen, um zu sehen, in welche Richtung James gegangen ist.« Einer nach dem anderen verabschiedete sich, bis ich allein am Frühstückstische saß; James ging nach Dünkirchen, Alan heftete sich ihm auf die Fersen und Catriona begab sich nach oben auf ihr eigenes Zimmer. Ich verstand sehr gut, daß sie es vermied, mit mir allein zu sein; deswegen war ich aber nicht weniger unzufrieden und beschloß, sie mit List noch vor Rückkehr der beiden Männer zu einer Unterredung zu bewegen. Alles in allem erschien es mir das Gescheiteste, Alans Verhalten nachzuahmen. War ich erst zwischen den Sandhügeln verschwunden, so würde der schöne Morgen sie schon hervorlocken, und im Freien hatte ich meinen Willen.

Gesagt, getan; ich hatte noch gar nicht lange im Schutze einer Düne gewartet, als sie an der Haustür erschien und sich nach allen Richtungen umschaute. Da niemand zu sehen war, schritt sie auf geradestem Wege dem Meere zu, und ich folgte ihr. Ich hatte keine Eile, meine Gegenwart zu verraten; je weiter sie ging, um so länger mußte sie meiner Werbung lauschen, und bei dem sandigen Boden war es leicht, ihr geräuschlos zu folgen. Der Weg wurde steiler und mündete zuletzt auf einem Hügel. Von dort aus entrollte sich zum ersten Male vor mir in vollem Umfange die trostlose Öde, darin das Wirtshaus sich verbarg; nirgends ein Mensch oder Anwesen mit Ausnahme von Bazins Gasthaus und der Windmühle. Dicht hinter dem Hügel dehnte sich das Meer mit einigen Schiffen drauf, das Ganze hübsch wie eine Zeichnung. Eines dieser Fahrzeuge war für ein so großes Schiff ungewöhnlich nahe an Land gekommen, und mit argwöhnischem Schreck erkannte ich in ihm das »Seepferd«. Was hatte ein englisches Kriegsschiff so dicht an der französischen Küste zu suchen? Weshalb hatte man Alan in diese Gegend gelockt, an einen Ort weitab von jeder Hilfe? Und war es Zufall oder Absicht, daß die Tochter James Mores heute am Strande spazierenging?

Bald darauf trat ich, ihr immer noch im Rücken, hinter den Dünen auf den Strand hinaus. Es war ein langer öder Streifen, und etwa in dessen Mitte war eine Kriegsschiffjolle auf den Sand gezogen, während ein Offizier zur Bewachung und wie in Erwartung auf und ab patrouillierte. Sogleich ließ ich mich an einer Stelle, wo es mich fast bedeckte, in dem rauhen Grase nieder und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Catriona schritt gerade auf das Boot zu; der Offizier begrüßte sie höflich; sie sprachen vielleicht zehn Worte miteinander, ich sah, wie ein Brief von Hand zu Hand ging, und Catriona befand sich bereits auf dem Rückwege. Gleichzeitig stach das Boot von neuem in See, den Schnabel auf das »Seepferd« gerichtet, als wäre damit seine Mission auf dem Kontinent erledigt. Ich bemerkte jedoch, daß der Offizier zurückblieb und zwischen den Hügeln verschwand.

Die Angelegenheit wollte mir wenig gefallen, um so weniger, je mehr ich darüber nachdachte. War es Alan oder Catriona, die der Offizier gesucht hatte? Jetzt näherte sie sich mir, den Blick gesenkt und den Sand betrachtend, ein so reizendes Bild, daß ich es nicht ertrug, länger an ihrer Unschuld zu zweifeln. Im nächsten Augenblick blickte sie auf und erkannte mich; sie schien zu zögern, dann schritt sie, wenn auch langsamer, näher, mit veränderter Farbe, wie mich dünkte. Bei diesem Gedanken schmolz alles, was mich bedrückte – Furcht, Argwohn und Sorge um meines Freundes Leben – dahin, und ich sprang auf und erwartete sie, trunken vor Hoffnung.

Im Näherkommen erwiderte ich ihr »Guten Morgen«, das sie mir ziemlich gefaßt bot.

»Könnt Ihr mir verzeihen, daß ich Euch gefolgt bin?« bat ich. »Ich weiß, alles was Ihr tut, geschieht in guter Absicht,« entgegnete sie und fügte ein wenig heftig hinzu: »Aber weshalb schickt Ihr jenem Manne Geld? Das darf nicht sein.« »Es war nicht für ihn bestimmt,« sagte ich, »sondern für Euch, Ihr wißt es ganz genau.«

»Aber Ihr habt auch kein Recht, es mir zu schicken,« antwortete sie. »David, das ist nicht recht.« »Es ist nicht recht, es ist von Anfang bis zu Ende unrecht,« sagte ich, »und ich bitte zu Gott, daß er diesem dummen Kerl (wenn möglich) helfen möge, es besser zu machen. Catriona, das ist kein Leben hier für Euch; verzeiht das Wort, das ich jetzt sage, aber Euer Vater ist nicht würdig, Euch zu hüten.« »Oh, nicht einmal seinen Namen sollt Ihr erwähnen!« war ihr Aufschrei. »Ich brauche auch nicht mehr von ihm zu reden; er ist es ja gar nicht, an den ich denke, oh, glaubt mir das! Ich bin jetzt die ganze lange Zeit in Leyden allein gewesen, und selbst während meiner Studien habe ich stets nur an das eine denken müssen. Dann kam Alan, und ich ging mit Offizieren zu ihren langen Zechereien, und immer noch dachte ich nur an das eine. Und so war es auch vordem, als ich Euch noch an meiner Seite hatte. Catriona, seht Ihr dieses Tuch an meinem Halse? Ihr habt den einen Zipfel abgeschnitten und ihn dann weggeworfen. Es sind jetzt Eure Farben; ich trage sie auf meinem Herzen. Oh, Liebe, ich kann nicht ohne Euch sein. Oh, versucht doch, mich ein wenig gern zu haben!«

Ich trat vor sie hin, ihr den Weg zu versperren.

»Versucht, mich ein wenig gern zu haben,« bat ich von neuem, »versucht es doch und habt mich ein wenig gern.« Noch immer sprach sie kein Wort, und eine Furcht stieg in mir auf wie die Furcht des Todes.

»Catriona,« schrie ich, sie fest anblickend, »habe ich mich wieder geirrt? Bin ich ganz verloren?«

Atemlos sah sie zu mir auf. »Willst du mich wirklich, David?« Kaum vermochte ich die Worte zu verstehen. »Das will ich. Oh, du weißt es ja – das will ich wirklich.« »Ich habe nichts mehr zu geben oder zu versagen«, sagte sie. »Es war alles dein, bereits am ersten Tage, wenn du mich als Geschenk hättest nehmen wollen!« Wir standen auf dem Gipfel des Hügels; die Stätte war windig und weithin sichtbar, selbst von dem englischen Kriegsschiff aus konnte man uns sehen, aber ich kniete vor ihr auf den Sand hin und umschlang ihre Knie und brach in einen solchen Sturm von Tränen aus, daß ich wähnte, er müsse mich zerbrechen. Alles Denken ward von der Wucht dieses Ausbruchs aus meinem Hirn verschlagen. Ich wußte nicht länger, wo ich war, ich hatte vergessen, weshalb ich mich so glücklich fühlte; ich wußte nur, daß sie sich zu mir neigte und mich an ihr Gesicht und ihre Brust zog und hörte ihre Worte wie durch einen Wirbelwind. »Davie,« sagte sie, »o Davie, das ist’s also, was du von mir denkst? So lieb hast du mich armes Mädchen? O Davie, Davie!« Damit begann sie selbst zu weinen, und unsere Tränen vermischten sich in vollkommener Freude. Es mag zehn Uhr morgens gewesen sein, als mir aufdämmernd das Bewußtsein der Gnade kam, die mir zuteil geworden und ich mich ihr gegenüber setzte, ihre beiden Hände in den meinen, und ihr ins Gesicht starrte und vor Freude wie ein Kind laut auflachte, und ihr alle möglichen törichten und lieben Namen gab. Nie hab ich einen Ort gesehen, so schön in meinen Augen wie jene Dünen bei Dünkirchen, und die Windmühlenflügel klangen, als sie über den Gipfel tauchten, wie Musik in meinen Ohren.

Ich weiß nicht, wie lange wir noch alles außer uns selbst hätten vergessen können, hätte ich nicht zufällig ihren Vater erwähnt und uns dadurch mit einem Schlage in die Wirklichkeit zurückversetzt.

»Meine kleine Freundin« nannte ich sie wieder und immer wieder und frohlockte, in diesem Worte die Vergangenheit heraufbeschwören zu können und ihr ins Gesicht zu sehen und mich ein wenig von ihr zu entfernen: »Meine kleine Freundin, jetzt bist du ganz mein; mein für immer, meine kleine Freundin; und jener Mann da existiert überhaupt nicht mehr.« Plötzliche Blässe überflog ihr Gesicht und sie entzog mir ihre Hände. »Davie, bring mich von ihm fort!« rief sie. »Etwas ist da nicht in Ordnung; er ist kein ehrenhafter Mann. Etwas ist nicht in Ordnung; in meinem Herzen lebt eine furchtbare Angst. Was will er nur mit jenem Kriegsschiff? Was steht in diesem Schreiben?« Sie hielt mir den Brief hin. »Ich fürchte, daß es Alan Böses bringt. Öffne es, Davie – öffne es und sieh nach.« Ich nahm es ihr ab, betrachtete es und schüttelte den Kopf. »Nein,« sagte ich, »mir widerstrebt es; ich kann eines anderen Brief nicht öffnen.«

»Auch nicht, um deinen Freund zu retten?«

»Ich weiß es nicht, ich glaube, nein. Wenn ich nur Gewißheit hätte.« »Du brauchst ja nur das Siegel zu erbrechen!«

»Ich weiß, aber die Sache geht mir wider den Strich.«

»Gib ihn mir,« sagte sie, »ich werde ihn selbst öffnen.«

»Nein, du auch nicht«, erwiderte ich. »Du am allerwenigsten. Der Brief betrifft deinen Vater und seine Ehre, Liebste, die wir beide anzweifeln. Ohne Frage ist der Ort hier nicht geheuer, zumal das englische Kriegsschiff sich hier befindet, und dein Vater davon weiß und jener Offizier hier an Land blieb. Er wird auch nicht allein geblieben sein; andere werden ihn begleiten; wahrscheinlich wird man uns im Augenblick sogar beobachten. Ja, kein Zweifel, der Brief muß geöffnet werden; aber ich meine, weder von dir noch von mir.« So weit war ich gekommen, im Geiste recht niedergedrückt durch das Bewußtsein der Gefahr und verborgener Feinde, als ich Alan von seiner Verfolgung James Mores allein zwischen den Dünen zurückkehren sah. Er trug selbstverständlich Uniform und sah vorzüglich aus; aber ich konnte einen Schauder nicht unterdrücken, als ich mir überlegte, wie wenig jener Rock ihn schützen würde, wenn sie ihn fingen, auf eine Jolle brachten und an Bord des »Seepferds« schleppten, ihn, den Deserteur und Rebellen und erst kürzlich verurteilten Mörder.

»Da,« sagte ich, »da ist der Mann, der das beste Recht hat, ihn zu öffnen oder nicht – wie er es für richtig hält.« Dann begann ich, ihn mit Namen zu rufen, und wir beide erhoben uns, um ihm den Weg zu zeigen.

»Wenn es so ist – wenn neue Schande über mich kommt – kannst du es ertragen?« forschte sie und sah mich mit brennenden Augen an.

»Eine ähnliche Frage ward mir vorgelegt, als ich dich erst einmal gesehen hatte«, entgegnete ich.

»Weißt du, was ich da antwortete? Wenn ich dich wirklich so möchte, wie ich glaubte – und oh! ich mag dich jetzt noch viel, viel mehr! – dann würde ich dich auch vom Fuße des Galgens weg heiraten.« Das Blut schoß ihr ins Gesicht; sie trat dicht zu mir und schmiegte sich an mich, meine Hand fest in der ihren: so erwarteten wir Alan. Er kam mit einem seiner seltsamen Lächeln. »Was hab ich dir gesagt, David?« fragte er.

»Alles zu seiner Zeit, Alan«, antwortete ich, »und die Zeit hier drängt. Wie ist es dir ergangen? Du kannst vor unserer Freundin offen reden.«

»Der Weg war umsonst«, erwiderte er.

»Ich glaube, dann haben wir mehr Glück gehabt, zum mindesten liegt hier allerlei vor, über das du richten magst. Hast du das gesehen?« fuhr ich fort, auf das Schiff deutend. »Das ist das ›Seepferd‹, Kapitän Palliser.« »Ich sollte es auch kennen«, meinte Alan. »Das Schiff hat mir damals, als es im Forth stationiert war, genug zu schaffen gemacht. Aber was fehlt dem Mann, daß er so dicht an die Küste herankommt?«

»Ich will dir’s sagen, weshalb er ursprünglich kam«, entgegnete ich. »Er kam, um James More diesen Brief zu bringen. Weshalb er noch hier weilt, nun da er ihn abgegeben hat, worum es sich handelt, weswegen ein Offizier dort in den Dünen versteckt ist und ob er sich wohl allein oder nicht allein befindet – das überlasse ich dir zu beurteilen.«

»Einen Brief an James More?«

»Jawohl.«

»Nun, ich kann dir noch mehr verraten,« sagte Alan. »Gestern nacht, als du fest eingeschlafen warst, hörte ich den Mann mit jemanden auf französisch verhandeln; dann wurde die Tür des Gasthofes geöffnet und wieder geschlossen.« »Alan,« rief ich, »du hast die ganze Nacht geschlafen. Das kann ich hier bezeugen.« »Ja, aber ich würde Alan selbst im Schlafe nicht trauen!« meinte er. »Doch die Sache sieht bös aus. Laß mich den Brief sehen.«

Ich gab ihn ihm. »Catriona,« sagte er, »Ihr müßt mich entschuldigen, mein Kind; aber hier stehen nicht mehr und nicht weniger als meine edlen Knochen auf dem Spiel; ich werde das Siegel erbrechen müssen.«

»Es ist mein Wunsch«, sagte Catriona.

Er öffnete das Schreiben, durchflog es und fuhr mit der Hand durch die Luft. »Der stinkende Lump«, sagte er und stopfte das Papier in die Tasche. »Kommt, wir wollen unsere Sachen packen. Der Ort hier ist für mich der Tod.« Und er begann nach dem Gasthaus auszuschreiten. Catriona war die erste, zu sprechen. »Er hat Euch verkauft?« fragte sie. »Verkauft, mein Kind. Aber dank Eurer und Davies Hilfe mache ich ihm noch einen Strich durch die Rechnung. Säße ich nur erst auf meinem Gaul!« fügte er hinzu. »Catriona muß uns begleiten«, sagte ich. »Sie darf mit diesem Manne nichts mehr zu schaffen haben. Sie und ich wollen uns heiraten.« Bei diesen Worten preßte sie meine Hand an ihre Seite.

»Seid ihr endlich so weit?« fragte Alan, über die Schulter blickend. »Die beste Tagesarbeit, die Ihr beide im Leben bisher geleistet habt. Und das muß ich sagen, meine Lieben, Ihr macht wirklich ein hübsches Paar.« Der Weg, dem er folgte, führte uns dicht an der Windmühle vorbei, wo ich einen Mann in Matrosenkleidung bemerkte, der dort auf Posten zu stehen schien. Wir näherten uns ihm natürlich von rückwärts. »Sieh nur, Alan«, sagte ich.

»Pst!« machte er, »das hier ist meine Sache.«

Ohne Zweifel war der Kerl ein wenig betäubt durch das Klappern der Mühle; so kamen wir unbemerkt an ihn heran. Da drehte er sich um, und wir gewahrten einen großen, kräftigen Burschen mit mahagonibraunem Gesicht. »Ich glaube, Sir, Ihr sprecht Englisch«, erkundigte sich Alan. »Non, monsieur«, erklärte der andere mit unglaublich schlechtem Akzent. »Non, monsieur!« wiederholte Alan spöttisch. »Lehrt man an Bord des ›Seepferds‹ so Französisch? Du dummer, gefräßiger Esel, hier hast du einen schottischen Stiefel in dein englisches Hinterteil!«

Er stürzte sich auf ihn, noch ehe der Mann entwischen konnte, und versetzte ihm einen Tritt, daß er der Länge nach zu Boden flog. Dann stand er da, ein wildes Lächeln auf den Lippen, und sah zu, wie der andere eilig auf die Füße kletterte und sich zwischen den Dünen aus dem Staube machte.

»Es ist hohe Zeit, daß ich aus diesen öden Hügeln herauskomme!« meinte Alan und setzte seinen Weg im Laufschritt fort, wir immer hinterdrein, bis wir vor der Hintertür zu Bazins Wirtshaus standen.

Zufällig betrat, als wir zu der einen Tür hereinkamen, James More gleichzeitig durch die andere Tür das Haus. »Hier!« sagte ich zu Catriona, »rasch! Mach, daß du nach oben kommst und deine Sachen packst! Das hier ist keine passende Szene für dich!«

Jetzt standen sich James und Alan in der Mitte des langgestreckten Raumes gegenüber. Catriona huschte dicht an ihnen vorbei, um die Treppe zu erreichen; ich sah, wie sie sich auf halber Höhe nach ihnen umblickte, ohne jedoch im Laufen innezuhalten. Der Anblick war auch wahrhaftig sehenswert. Alan trug, als sie zusammentrafen, die denkbar liebenswürdigste, freundschaftlichste Miene zur Schau, darunter aber schwelte eine so aggressive Feindschaft, daß James sofort Gefahr witterte, wie Menschen, die den Brand im Hause riechen und auf jedes Unglück gefaßt sind. Die Zeit drängte. Alans Lage an diesem einsamen, von Feinden umstellten Ort, hätte selbst einen Cäsar entmutigen können. Auf ihn machte sie keinen Eindruck, und er eröffnete das Treffen in dem alten Geist der Spottsucht und des Spiels.

»Schön guten Tag, Mr. Drummond«, sagte er. » Worum handelt es sich eigentlich bei dem Geschäft, das Ihr betreibt?« »Ja, das ist eine private und ziemlich langwierige Sache,« erwiderte James, »ich meine daher, wir sparen sie bis nach dem Essen auf.«

»Da bin ich nicht so ganz Eurer Ansicht«, entgegnete Alan. »Ich meine, es heißt nun, jetzt oder nie; Tatsache ist, Mr. Balfour und ich haben einen Brief erhalten und wollen sogleich wieder weiter.«

Ich sah eine gewisse Überraschung in James Auge aufleuchten; aber er hielt sich tapfer.

»Ich brauche Euch nur ein Wort zu verraten, und Ihr gebt diese Absicht auf: ich nenne Euch den Namen des Geschäfts.« »Also heraus mit der Sprache! Pah, Ihr braucht Euch um Davie nicht zu scheren!« »Es handelt sich um eine Sache, die uns beide reich machen kann.«

»Wahrhaftig?« rief Alan. »In der Tat, Sir. Die nackte Tatsache ist, es handelt sich um Clunys Schatz.« »Nein!« rief Alan. »Wißt Ihr, wo er sich befindet?«

»Ich kenne den Ort, Mr. Stuart, und kann Euch zu ihm hinführen.« »Das setzt doch allem die Krone auf!« rief Alan. »Ich bin aber wirklich froh, daß ich nach Dünkirchen gekommen bin. Das war also Euer Geschäft? Halbpart, natürlich?«

»Das, Sir, war das Geschäft.« »Ja, ja,« meinte Alan, immer noch in dem gleichen Ton kindlichen Interesses, »es hat also nichts mit dem ›Seepferd‹ zu tun?«

»Mit was?« fragte James.

»Oder mit dem Burschen, den ich soeben hinter der Windmühle zum Teufel jagte?« fuhr Alan fort. »Pfui, Mann, jetzt aber Schluß mit Euren Lügen! Ich habe Pallisers Brief hier in der Tasche. Mit Euch ist es aus, James More. Ihr könnt Euch vor anständigen Menschen nie wieder blicken lassen.«

James war wie betäubt. Eine Sekunde lang stand er bleich und regungslos, dann schwollen ihm die Adern vor lebendigem Zorn. »Wagst du so mir mit zu reden, du Bastard?,« brüllte er. »Du verräterisches Schwein!« schrie Alan und schlug ihn heftig auf den Mund; in der nächsten Sekunde klirrten ihre Klingen gegeneinander.

Bei dem ersten Anprall des nackten Stahls war ich instinktiv zurückgefahren; das Nächste, was ich sah, war James, der so haarscharf einen Stoß parierte, daß ich glaubte, er wäre getötet; dann schoß es mir durch den Sinn, daß er ja der Vater des Mädchens und in gewissem Sinne auch mein eigener Vater wäre und ich zog gleichfalls blank und fuhr dazwischen, um sie zu trennen. »Zurück, Davie! Bist du toll? Verdammt noch einmal, zurück!« brüllte Alan. »Dein Blut komme über dein eigenes Haupt!« Zweimal schlug ich ihre Klingen nieder. Taumelnd flog ich gegen die Wand und stand im nächsten Augenblick wieder zwischen ihnen. Sie achteten meiner nicht und hieben gleich zwei Furien aufeinander ein. Ich weiß auch heute nicht, wie ich es vermied, von diesen beiden Rodomonten erstochen zu werden; die ganze Szene wirbelte um mich herum wie eine Szene aus einem Traum. Da erscholl mitten in dem Aufruhr von der Treppe her ein lauter Schrei und Catriona warf sich vor ihren Vater. Gleichzeitig traf mein Degen auf etwas Weiches. Er blieb gerötet in meiner Hand zurück. Ich sah Blut von des Mädchens Halstuch fließen und Übelkeit bemächtigte sich meiner. »Wollt Ihr ihn vor meinen Augen töten, vor mir, die ich trotz allem seine Tochter bin?« schrie sie.

»Kind, ich bin mit ihm fertig«, sagte Alan, ging fort und setzte sich mit gekreuzten Armen, den bloßen Degen in der Hand, auf einen der Tische.

Eine Weile stand sie keuchend mit weit aufgerissenen Augen vor ihm, dann wandte sie sich plötzlich gegen den anderen. »Fort!« redete sie ihn an, »trag deine Schande aus meinem Angesicht; laß mich bei reinen Menschen. Ich bin eine Tochter Alpins! Du Schmach der Söhne Alpins, aus meinen Augen!« Das wurde mit solcher Leidenschaft gesprochen, daß es mich aus dem Grauen vor meinem eigenen blutigen Schwert aufrüttelte. Die beiden standen einander gegenüber, sie mit dem roten Fleck auf ihrem Brusttuch, er weiß wie ein Laken. Ich kannte ihn gut – ich wußte, es mußte ihn bis ans Herz getroffen haben, aber er rettete sich in eine Bravolaune. »Gut,« sagte er, das Rapier einsteckend, aber immer noch scharf zu Alan hinüberäugend, »wenn also dieser kleine Zank vorbei ist, werde ich meinen Mantelsack holen –«

»Hier kommt mir, außer durch meine Person, kein Mantelsack aus dem Haus«, erklärte Alan.

»Sir!« rief James.

»James More,« sagte Alan, »diese Dame, Eure Tochter, wird meinen Freund Davie heiraten, aus welchem Grund ich Euch gestatte, Euren Kadaver unversehrt zu entfernen. Aber ich rate Euch gut, sorgt, daß dieser Kadaver in Sicherheit gebracht wird, ehe es zu spät ist. Ihr werdet es kaum glauben, aber selbst meine Geduld hat ihre Grenzen.«

»Verdammt, Sir, aber mein Geld befindet sich in jenem Mantelsack!«

»Auch das tut mir sehr leid,« sagte Alan mit drolligem Gesichtsausdruck, »aber seht ihr, es gehört jetzt mir.« Dann fügte er mit größerem Ernst hinzu: »Laßt Euch raten, James More, verlaßt dieses Haus.« Einen Augenblick schien James im Stillen zu überlegen, aber es ist anzunehmen, daß er von Alans Fechtkunst eine hinreichende Probe gekostet hatte; denn plötzlich (mit dem Ausdruck eines Verdammten) zog er seinen Hut und verabschiedete sich von uns in corpore. Im nächsten Augenblick war er gegangen. Gleichzeitig schien der Bann von mir zu weichen.

»Catriona!« rief ich, »ich war es – mein Degen! Oh, bist du schwer verletzt?«

»Ich weiß es, Davie, und liebe dich ob des Schmerzes um so mehr, weil es geschah, um jenen schlechten Menschen, meinen Vater, zu verteidigen. Sieh!« sagte sie und zeigte mir eine blutende Schramme, »du hast jetzt einen Mann aus mir gemacht. Ich will die Wunde tragen wie ein alter Soldat.«

Freude über die Geringfügigkeit ihrer Verletzung und Liebe zu ihrem tapferen Wesen rissen mich fort. Ich umarmte sie und küßte die Wunde.

»Ja, soll denn ich, der ich mir keinen Kuß entgehen lasse, ganz leer ausgehen?« fragte Alan, und mich beiseite schiebend, faßte er Catriona an beiden Schultern. »Kind,« sagte er, »du bist eine echte Tochter Alpins. Nach allem, was wir wissen, war er ein Prachtkerl, und er kann stolz auf dich sein. Sollte ich mich je verheiraten, werde ich Bein von deinem Bein zur Mutter meiner Söhne wählen. Und ich trage eines Königs Namen und rede die Wahrheit.« Das sagte er mit heißer und ernster Bewunderung, die für das Mädchen und indirekt auch für mich reinster Honig war. Alle Schmach von James More schien dadurch von uns abgewaschen. Im nächsten Augenblick war er wieder ganz er selbst.

»Mit Verlaub, meine Lieben –das ist ja alles recht schön und gut, aber Alan Breck befindet sich dem Galgen ein klein wenig näher, als ihm gerade lieb ist. Bei Gott, ich meine, dieser Ort ist ein herrlicher Ort – zum Davonlaufen.« Seine Worte brachten uns zur Vernunft. Alan rannte eilig nach oben und kehrte mit unseren Satteltaschen und mit James Mores Mantelsack zurück; ich raffte Catrionas Bündel von der Treppe auf, wo sie es hatte fallen lassen, und wir waren eben im Begriff, von jenem gefährlichen Hause aufzubrechen, als Bazin uns schreiend und gestikulierend zurückhielt. Er hatte sich, als blank gezogen wurde, schleunigst unter den Tisch verkrochen, war jetzt aber kühn wie ein Löwe. Es sei noch eine Zeche zu begleichen, wir hätten einen Stuhl zerschlagen, Alan hätte sich zwischen das Geschirr gesetzt und James More wäre geflohen. »Hier,« rief ich, »macht Euch selbst bezahlt« und warf ihm einen Louisdor zu; es war jetzt nicht an der Zeit, zu rechnen. Er stürzte sich auf das Geld, und wir stürmten an ihm vorbei ins Freie. Von drei Seiten drangen Seeleute eilig und den Kreis unablässig verengend gegen das Haus vor; in geringer Entfernung schwenkte James More den Hut, wie um sie anzufeuern, und unmittelbar hinter ihm bewegten sich, gleich einem Narren, der hilflos gestikuliert, die Flügel der Windmühle.

Alan warf nur einen einzigen Blick um sich und fiel in Laufschritt. Er hatte schwer an James‘ Mantelsack zu schleppen, aber ich glaube, er hätte lieber sein Leben gelassen, als die Beute aufgegeben, die seine Rache war; er lief so schnell, daß ich Mühe hatte, ihm zu folgen und staunte und stolz war, das Mädchen an meiner Seite dahinstürmen zu sehen.

Als sie unser gewahr wurden, ließen sie allen Schein fahren; die Matrosen nahmen unter lauten Rufen und Hurrageschrei die Verfolgung auf. Wir hatten einen Vorsprung von zweihundert Metern, und sie waren alles in allem doch nur krummbeinige Teerjacken, mit nur geringer Hoffnung, uns in diesem Sport zu überholen. Wie ich vermute, waren sie auch bewaffnet, wagten es aber wahrscheinlich nicht, auf französischem Boden ihre Pistolen zu gebrauchen. Sobald ich erkannte, daß wir die Entfernung zwischen ihnen und uns nicht nur einhielten, sondern sogar vergrößerten, war ich über den Ausgang ganz beruhigt. Trotzdem war es harte, heiße Arbeit, so lange sie währte; Dünkirchen lag immer noch eine gehörige Strecke entfernt, und als wir endlich jenseits der Kuppe eines Hügels eine Kompanie Garnisonsoldaten bei irgendeinem Marschmanöver überraschten, vermochte ich Alans Bemerkung recht gut zu verstehen. Er hielt augenblicklich in seinem Lauf inne und wischte sich die Stirn. »Sie sind doch wirklich eine sympathische Nation, die Franzosen«, meinte er.

Erstes Kapitel


Ein Bettler zu Pferde

Es war um die zweite Nachmittagsstunde des 25. August 1751, da verließ ich, David Balfour, gefolgt von einem Dienstmann, der einen Geldsack trug, die British Linen Company, bis zur Tür von einigen der Chefs dieses Handelshauses begleitet, die sich mit vielen Bücklingen von mir verabschiedeten. Zwei Tage vorher aber, ja noch am gestrigen Morgen, hatte ich in meinen Lumpen eher einem Bettler von der Landstraße geglichen: meine ganze Habe ein paar armselige Schillinge, mein einziger Begleiter ein vom Gericht verfolgter Hochverräter und ein Preis auf mein eigenes Haupt gesetzt ob eines Verbrechens, von dem weit und breit das Land widerhallte. Heute dagegen war ich der anerkannte Erbe der Lebensstellung, die mir von Geburt aus zufiel, ein Grundbesitzer, dem ein Bankbedienter das Gold nachtrug, mit Empfehlungen in der Tasche und (wie die Redensart lautet) mit der Welt zu meinen Füßen.

Zwei Umstände gab es, die meinem mit vollen Segeln fahrenden Lebensschiff als Ballast dienten. Die erste Gefahr drohte von der überaus schwierigen, ja tödlichen Angelegenheit, die es noch zu ordnen galt; die zweite von dem Ort, an dem ich mich befand. Die ragende, finstere Stadt, die Zahl, das Gewühl und der Lärm der Menschen bedeuteten für mich, der ich mich bisher nur zwischen Heidehügeln und Sanddünen und in stillen, ländlichen Gegenden aufgehalten hatte, eine neue Welt. Insbesondere verwirrte mich das Gedränge der Städter. Rankeillors Sohn war klein und von schmächtiger Gestalt; seine Kleider wollten mir gar nicht recht passen; mir stand es daher wahrlich schlecht an, vor einem Bankbedienten einherzustolzieren. Es war klar, falls ich es dennoch tat, mußte dies Verhalten die Leute zum Lachen reizen und (was in meinem Falle weit schlimmer war) zum Fragenstellen veranlassen. So lag es mir denn ob, mich nach eigener Kleidung umzusehen und in der Zwischenzeit neben dem Träger herzugehen und meinen Arm in den seinen zu legen, als wären wir zwei Freunde.

Bei einem Händler in den Luckenbooths staffierte ich mich aus; nicht allzu prächtig, denn ich hatte durchaus nicht die Absicht, als Bettler zu Pferde zu erscheinen, wohl aber zierlich und anständig, so daß Dienstboten mich respektieren würden. Von dort ging es zu einem Waffenhändler, bei dem ich einen einfachen Degen erstand, wie er meinem Range geziemte. Ich fühlte mich im Besitze dieser Waffe sicherer, obwohl sie für jemanden, der des Fechtens so unkundig war, nur eine weitere Gefahr bedeutete. Der Dienstmann, der natürlich ein Mann von einiger Erfahrung war, hielt die Wahl meiner Ausstattung für zweckmäßig.

»Nichts Auffallendes,« meinte er, »einfache, anständige Sachen. Und was das Rapier anbetrifft, so wird es ja gewißlich zu Eurem Range passen; aber ich an Eurer Stelle hätte meine Groschen für Besseres aufgespart.« Und sofort schlug er mir vor, von einem Weiblein in einer der Hintergassen von Cowgate, die seine leibhaftige Base wäre, Winterstrümpfe zu kaufen, da sie sie »ganz ungemein haltbar« verfertige. Doch ich hatte andere, dringendere Angelegenheiten zu erledigen. Da war ich nun in dieser alten, düsteren Stadt, die mit nichts auf der Welt solche Ähnlichkeit hatte wie mit einem Kaninchenbau, sowohl der Zahl ihrer Bewohner wegen wie auch dank des Labyrinths ihrer Gänge und Schlupflöcher. Wahrlich, es war ein Ort, an dem kein Fremder die Möglichkeit hatte, auch nur einen Freund, geschweige denn einen anderen Fremden aufzuspüren. Selbst wenn er zufällig in den richtigen Hof geriet, drängten sich die Menschen in diesen hohen Häusern doch so dicht zusammen, daß er einen ganzen Tag hätte suchen dürfen, um die richtige Tür zu finden. Das Nächstliegende wäre gewesen, sich einen Jungen, hier »Caddie« geheißen, zu mieten, der als Führer oder Pilot dient, und der den Fremden geleitet, wohin der Betreffende will, und ihn dann (nach erledigten Geschäften) in das Logis zurückführt. Allein die Caddies, die stets zu den gleichen Diensten verwendet werden, und zu deren Pflichten es gehört, über jedes Haus und jeden Einwohner gut unterrichtet zu sein, hatten allmählich eine Art Spionagegemeinschaft gebildet; und ich wußte aus den Erzählungen Mr. Campbells, daß sie alle Nachrichten auszutauschen pflegten, sich mit leidenschaftlicher Neugier für die Angelegenheiten ihrer Auftraggeber interessierten und so gleichsam die Augen und die Finger der Polizei darstellten. In meiner Lage wäre es wohl kaum klug gewesen, mir einen dieser Spürhunde an die Fersen zu heften. Ich hatte drei verschiedene, aber gleich dringliche Besuche zu machen: einen bei meinem Verwandten, Mr. Balfour von Pilrig, einen bei Stuart, dem Advokaten, der Appins Sachwalter war, und einen bei William Grant, Herrn von Prestongrange, Lord Staatsanwalt von Schottland. Der Besuch bei Mr. Balfour war unbedenklich; außerdem getraute ich mich (da Pilrig auf dem Lande lag), den Weg dorthin allein mit Hilfe meiner zwei Beine und einer gut schottischen Zunge zu finden. Ganz anders stand es um die beiden anderen Besuche. Der bei dem Sachwalter Appins war jetzt inmitten des Aufruhrs anläßlich des Appiner Mordes nicht nur an sich gefährlich, sondern kaum vereinbar mit dem dritten Besuch. Auch bestenfalls würde ich dem Lord Staatsanwalt gegenüber einen schweren Stand haben; doch mich geradewegs von Appins Sachwalter zu ihm begeben, hieß meine Sache schwerlich bessern und konnte den glatten Ruin von Freund Alan bedeuten. Außerdem verlieh mir das Ganze den Anschein, als trüge ich den Mantel nach zwei Seiten, eine Sache, die mir wenig behagen wollte. Ich beschloß daher, unverzüglich mit Mr. Stuart und mit dem gesamten jakobitischen Teil meiner Angelegenheiten zu Rande zu kommen und mich zu diesem Zwecke der Ortskenntnis des Trägers an meiner Seite zu bedienen. Kaum jedoch hatte ich ihm die Adresse genannt, als ein leichter Regenschauer niederging – nicht arg, aber meinen neuen Kleidern nicht sonderlich zuträglich –, und wir flüchteten uns unter einen Torbogen am Eingang eines Hofes oder Gäßchens.

Da meine ganze Umgebung mir fremd war, trat ich etwas weiter zurück. Der schmale, gepflasterte Gang fiel steil ab. Unermeßlich hohe Häuser ragten zu beiden Seiten auf und sprangen, ein Stockwerk über dem anderen, im Aufsteigen immer weiter vor, so daß oben nur ein schmaler Streifen Himmel sichtbar war. Soweit ich aus dem, was die Fenster enthüllten, sowie aus dem ehrbaren Aussehen der Personen, die aus- und eingingen, zu ersehen vermochte, waren die Häuser von anständigen Leuten bewohnt, und der ganze Ort fesselte und interessierte mich wie eine Geschichte.

Ich starrte noch immer um mich, als hinter mir plötzlich das muntere Stampfen vieler Füße im Gleichtritt und das Geklirr von Waffen ertönten. Ich drehte mich rasch um und gewahrte einen Zug bewaffneter Soldaten, in ihrer Mitte einen hochgewachsenen Mann in schwerem Mantel. Der Mann schritt gebeugt, wie in höfischer Zuvorkommenheit und mit schmeichelndem Anstand; im Gehen gestikulierte er beredt, und sein Gesicht war schlau und schön. Ich glaubte zu bemerken, daß sein Blick auf mich fiel, vermochte indes nicht seinem Auge zu begegnen. Der Zug schritt an mir vorüber nach einer Tür in dem Hofe, die von einem Bedienten in prächtiger Livree geöffnet wurde, und zwei Soldaten geleiteten den Gefangenen hinein, während die anderen mit ihren Feuerschloßgewehren an der Türe herumlungerten.

Nichts vermag sich auf den Straßen einer Stadt zu ereignen, ohne eine Schar müßiger Erwachsener und Kinder anzuziehen. So auch jetzt. Doch die Mehrzahl der Zuschauer zerstreute sich auf der Stelle, bis nur drei übriggeblieben waren, darunter ein Mädchen. Sie war wie eine Dame gekleidet und trug ein Stückchen Band in den Drummondfarben im Haar; doch ihre Kameraden oder, sagen wir lieber, Gefolgsleute waren zerlumpte Burschen, wie ich sie zu Dutzenden auf meiner Reise durch das Hochland getroffen hatte. Alle drei sprachen eifrig in gälisch, das meinen Ohren um Alans willen lieblich klang, aufeinander ein; und obgleich der Regen nachgelassen hatte und mein Dienstmann mich am Ärmel zupfte, um mich zum Aufbruch zu gemahnen, näherte ich mich ihnen noch weiter, um zu lauschen. Die Dame schalt die anderen heftig aus, die sich entschuldigten und vor ihr krochen, und ich war nun überzeugt, daß sie einer Häuptlingsfamilie angehörte. Während dieser ganzen Zeit durchstöberten alle drei ihre Taschen, doch brachten sie, soweit ich sehen konnte, zusammen nicht mehr als einen halben Farthing auf, weshalb ich leise lächeln mußte; denn ich erkannte, daß die Hochländer, was schöne Manieren und eine leere Geldkatze betrifft, sich alle gleich sind.

Zufällig drehte sich das Mädchen plötzlich um, so daß ich zum erstenmal ihr Gesicht erblickte. Nun gibt es aber kein größeres Wunder als die Art, in der das Gesicht eines jungen Weibes von eines jungen Mannes Sinn Besitz ergreift und in ihm haften bleibt, ohne daß er euch den Grund zu sagen vermöchte! Es ist, als hätte er just das gefunden, wonach er sich gesehnt. Sie hatte wunderbare, helle Augen wie Sterne, und ich glaube wohl, die Augen hatten etwas damit zu tun; wessen ich mich jedoch am klarsten erinnere, ist die Art, wie ihre Lippen leicht geöffnet waren, als sie den Kopf wendete. Was immer auch der Grund gewesen sein mag, ich stand dort wie ein Narr. Sie ihrerseits starrte mich, da sie niemanden in solcher Nähe vermutet hatte, etwas länger und vielleicht mit größerer Überraschung an, als mit höflicher Sitte ganz vereinbar war.

Es schoß mir durch meinen Bauernschädel, daß sie vielleicht meinen neuen Anzug bewundere; darauf errötete ich bis an die Haarwurzeln, und bei dem Anblick meiner Verlegenheit muß sie wohl ihre eigenen Schlüsse gezogen haben, denn sie hieß ihre Leute weiter in den Hof hineingehen, und sie nahmen ihre Auseinandersetzung dort wieder auf, wo ich nichts mehr davon hören konnte.

Ich hatte schon manch ein Mädchen bewundert, wenn auch kaum je so plötzlich und so heftig, und meinem Charakter lag es näher, zurückhaltend als fürwitzig zu sein; denn ich fürchtete mich sehr, von dem Weibervolk verspottet zu werden. Man hätte daher meinen können, ich hätte jetzt allen Grund gehabt, meinen üblichen Gepflogenheiten zu folgen, zumal ich diese junge Dame auf der Gasse, anscheinend im Gefolge eines Gefangenen und von zwei äußerst zerlumpten, wenig ehrbaren Hochlandsrittern begleitet, angetroffen hatte. Allein hier spielte noch eine andere Sache mit: es war klar, das Mädchen glaubte, ich hätte ihren Geheimnissen nachspioniert; und das war angesichts der neuen Kleidung und des Degens, den ich trug, in meiner jetzigen Lage, fast auf dem Gipfel des Glücks, mehr als ich herunterschlucken konnte.

Ich ging ihr daher nach und lüftete vor ihr, so gut ich es verstand, meinen neuen Hut.

»Madame,« sagte ich, »ich meine, es ist nur gerecht gegen mich selbst, Euch wissen zu lassen, daß ich kein Gälisch verstehe. Es ist zwar wahr, daß ich lauschte, denn ich besitze jenseits der Grenze im Hochland selber Freunde, weshalb jene Sprache freundlich in meinen Ohren klingt. Doch was Eure Privatangelegenheiten anbelangt, so würde ich sie, hättet Ihr Griechisch geredet, eher erraten haben.«

Sie machte mir eine leichte, kühle Reverenz. »Es ist kein Schaden geschehen«, sagte sie mit einem hübschen Akzent, der in erster Linie dem Englischen glich (aber weit lieblicher klang). »Schaut doch die Katz‘ den König an.«

»Ich will keinen Anstoß erregen«, antwortete ich. »Ich bin ungeschult in Städterart; vor heute hat mein Fuß den Bezirk Edinburg nie betreten. Nehmt mich also hin als einen Burschen vom Lande – das bin ich auch; es ist mir lieber, ich sag’s Euch selbst, als daß Ihr’s von Euch aus entdecktet.«

»In der Tat, es dürfte höchst ungewöhnlich sein, daß Fremde sich also auf der Gasse unterhalten«, entgegnete sie. »Doch wenn Ihr vom Lande seid, so ist das eine andere Sache. Ich stamme selbst vom Land; ich bin vom Hochland, wie Ihr seht, und fühl mich um so ferner von der Heimat.«

»Es ist noch keine Woche her, daß ich die Grenze überschritt«, sagte ich. »Vor weniger als einer Woche weilte ich noch in den Hügeln von Balwhidder.« »Balwhidder?« rief sie. »Kommt Ihr von Balwhidder? Allein der Name macht, daß mein ganzes Herz sich freut. Ihr könnt nicht lange dort gewesen sein, ohne einige unserer Freunde und Verwandten kennenzulernen!« »Ich wohnte bei einem kreuzbraven, freundlichen Mann namens Duncan Dhu Maclaren,« lautete meine Antwort. »Nun, ich kenne Duncan, und Ihr habt ihm das rechte Zeugnis ausgestellt;« erwiderte sie; »und ist er kreuzbrav, so ist’s seine Frau erst recht!«

»Ja,« sagte ich, »es sind prächtige Leute, und der Ort ist ein schöner Ort.« »Wo auf der ganzen, weiten Welt gibt’s seinesgleichen?« rief sie. »Ich liebe den Geruch dieser Gegend, ja selbst die Wurzeln, die dort wachsen.«

Das Feuer, mit dem sie sprach, gefiel mir ganz ungemein. »Ich wünsche fast, ich hätte Euch ein Zweiglein Heidekraut mitgebracht«, sagte ich. »Und ob ich auch unrecht tat, Euch vorhin anzureden, mach‘ ich es doch jetzt, da wir gemeinsame Bekannte haben, zu einer Bitte, daß Ihr mich nicht vergessen möget. David Balfour ist der Name, unter dem man mich kennt. Heute ist mein Glückstag, denn soeben habe ich mein Erbe angetreten, und es ist noch nicht sehr lange her, daß ich einer tödlichen Gefahr entrann. Ich wollte, Ihr behieltet meinen Namen Balwhidder zuliebe im Gedächtnis, so wie ich mich um meines Glückstags willen des Euren erinnern will.«

»Mein Name wird nicht ausgesprochen«, entgegnete sie mit großem Hochmut. »Es sind mehr als hundert Jahre her, daß er, außer zu Sekunden, den Leuten auf der Zunge war. Ich bin namenlos, wie das Stille Volk.1 Catriona Drummond ist der Name, dessen ich mich bediene.« Jetzt wußte ich in der Tat, woran ich war. Im ganzen großen Schottland gab es nur einen Namen, der proskribiert war: den der Macgregors. Jedoch weit davon entfernt, diese unerwünschte Bekanntschaft zu fliehen, stürzte ich mich nur noch tiefer hinein.

»Ich war mit jemandem zusammen, der sich in der gleichen Lage wie Ihr befand,« sagte ich, »und ich glaube, er wird einer Eurer Freunde sein. Er nannte sich Robin Oig.« »Wahrhaftig?« rief sie. »Ihr kennt Rob?«

»Ich verbrachte eine ganze Nacht in seiner Gesellschaft,« erwiderte ich.

»Er ist ein Nachtvogel«, erklärte sie.

»Sackpfeifen waren auch bei der Hand«, fuhr ich fort. »Urteilt also, ob uns die Zeit verging.«

»Jedenfalls werdet Ihr kein Feind sein«, sagte sie. »Der vorhin dort vorüberging, umgeben von Rotröcken, war sein Bruder. Er ist’s, den ich Vater nenne.«

»Wirklich?« rief ich. »Seid Ihr eine Tochter James Mores?« »Seine einzige Tochter,« entgegnete sie, »die Tochter eines Gefangenen! Daß ich das auch nur eine Sekunde vergessen konnte, um mich mit einem Fremden zu unterhalten!« Jetzt wandte sich einer der Kerle an sie, indem er die wenigen Brocken Englisch, die er kannte, zusammenkratzte, um sie zu fragen, was »sie« (womit er sich selbst meinte) wegen des »Tobaks« machen sollte. Ich musterte ihn und sah einen kleinen Mann mit großem Schädel, krummbeinig und rothaarig, den ich später zu meinem Schaden noch näher kennenlernen sollte. »Heute wird es wohl keinen geben, Neil«, lautete die Antwort. »Wo willst du ›Tobak‹ hernehmen, wenn dir das Geld dazu fehlt? Ich werde dich das nächstemal lehren, achtsamer zu sein; und James More wird, glaub ich, mit Neil vom Tom auch nicht sonderlich zufrieden sein.« »Miss Drummond,« sagte ich, »ich erzählte Euch doch, daß heute mein Glückstag ist. Hier steh ich und hinter mir ein Träger von der Bank. Und vergeßt nicht, daß ich die Gastfreundschaft Eurer Heimat Balwhidder genossen habe.«

»Es war keiner von meiner Sippe, der sie Euch gewährte«, entgegnete sie. »Gut,« sagte ich, »zum mindesten aber bin ich Eures Onkels Schuldner für einige Lieder auf der Sackpfeife. Außerdem habe ich mich Euch als Freund angeboten, und Ihr wäret so unvorsichtig, das nicht zur rechten Zeit abzulehnen.« »Wäre es eine große Summe, Ihr würdet vielleicht Ehre damit einlegen«, erwiderte sie; »aber ich will Euch sagen, um was es sich handelt. James More liegt in Ketten im Gefängnis; diese ganze Zeit über bringen sie ihn täglich zum Staatsanwalt – – « »Zum Staatsanwalt?« fragte ich. »Ist das – – – « »Das hier ist das Haus des Lord Staatsanwalts Grant von Prestongrange«, sagte sie. »Dorthin schaffen sie von Zeit zu Zeit meinen Vater, zu welchem Zwecke, weiß ich nicht; aber es scheint, daß es seit kurzem wieder Hoffnung für ihn gibt. Trotzdem wollen sie nicht erlauben, daß ich ihn spreche, oder daß er mir schreibt; und so harren wir seiner hier auf des Königs Gassen, um ihn zu treffen, und manchmal, wenn er vorübergeht, geben wir ihm seinen Schnupftabak, und manchmal auch anderes. Und hier steht dieser Sohn des Mißgeschicks, Neil, der Sohn Duncans, und hat mein Vierpennystück, mit dem ich den Tabak kaufen wollte, verloren, und nun muß James More ohne Tabak fertig werden und wird denken, seine Tochter habe ihn vergessen.«

Ich nahm einen halben Shilling aus der Tasche, reichte ihn Neil und hieß ihn seinen Auftrag erledigen. Dann sagte ich, zu ihr gewandt: »Jener halbe Shilling wurde mir in Balwhidder gegeben.« »Ah!« meinte sie, »Ihr seid ein Freund der Gregara!« »Ich will Euch auch nichts vortäuschen«, entgegnete ich. »Ich weiß sehr wenig von den Gregara und weniger noch von James More und seinen Händeln; doch seit ich hier in diesem Gange stehe, scheine ich einiges von Euch zu wissen; und wenn Ihr statt dessen lieber ›Ein Freund von Fräulein Catriona‹ sagen wolltet, will ich dafür sorgen, daß Ihr um so weniger hintergangen werdet.«

»Das Eine ist unmöglich ohne das Andere«, sagte sie.

»Ich will es trotzdem versuchen«, erwiderte ich.

»Und was denkt Ihr von mir, daß ich so dem ersten besten Fremden meine Hand entgegenstrecke?« rief sie.

»Ich denke nichts weiter, als daß Ihr eine gute Tochter seid«, war meine Antwort.

»Ich darf nicht unterlassen, Euch das Geld zurückzuzahlen«, versetzte sie. »Wo wohnt Ihr?«

»Um die Wahrheit zu sagen, einstweilen nirgends,« entgegnete ich, »da ich noch keine drei Stunden in der Stadt bin; doch wenn Ihr mir Eure Adresse geben wollt, werde ich so kühn sein, mir meinen halben Shilling selbst zu holen.«

»Kann ich Euch so weit trauen?« fragte sie.

»Ihr habt wenig zu befürchten«, antwortete ich.

»James More würde anderes nicht dulden«, sagte sie. »Ich wohne jenseits des Dorfes Dean, an der Nordseite des Flusses, bei Mrs. Drummond Ogilvy von Allardyce, die eine nahe Freundin von mir ist und sich freuen wird, Euch kennenzulernen.«

»Ihr werdet mich also wiedersehen, sobald meine Obliegenheiten es mir gestatten«, sagte ich; und da mit diesen Worten die Erinnerung an Alan mich von neuem befiel, beeilte ich mich, ihr Lebewohl zu sagen. Noch im gleichen Augenblick und mir selbst zum Trotz mußte ich denken, daß wir in Anbetracht der Kürze unserer Bekanntschaft doch recht weit miteinander gekommen wären, und daß eine wirklich vorsichtige junge Dame etwas mehr Zurückhaltung gezeigt hätte. Ich glaube, es war der Bankbediente, der mir diese ungalanten Gedanken vertrieb.

»Ich dachte, Ihr wäret ein Bursche von einiger Vernunft«, begann er und schob die Unterlippe vor. »Auf diese Art werdet Ihr’s wohl nicht weit bringen. Ein Narr und sein Geld sind bald geschieden. Ihr seid mir ein grüner Junge«, rief er, »und obendrein noch liederlich! So um die Menscher zu scharwenzeln!« »Wenn Ihr es wagt, auch nur ein Wort gegen die junge Dame – – « hub ich an. »Dame!« rief er. »Gott schütz und bewahr uns, welche Dame? Nennt Ihr die eine Dame? Die Stadt wimmelt ja von denen. Damen! Mann, man sieht, daß Ihr Euch in Edinburg nicht auskennt!«

Eine Zorneswelle packte mich. »Hier«, sagte ich, »führt mich, wohin ich Euch geheißen, und haltet Euer dreckiges Maul!«

Er gehorchte mir nicht ganz, denn wenn er mich auch nicht direkt anredete, sang er mir doch im Gehen in einer überaus zweideutigen und unverschämten Weise und mit ungemein falscher und krächzender Stimme vor:

Als Molly unsern Weg gekreuzt, da flog im Wind ihr Band,
Da flog ihr Blick zu mir zurück und über ihr Bettelgewand.
Jetzt ziehen wir nach Ost und West, jetzt geht durch’s ganze Land
Nach West und Ost auf Freiersfuß die Fahrt um Molly s Hand
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  1. Die Elfen.

Neunzehntes Kapitel


Ich bin viel in den Händen der Damen

Das Kopieren war ein langweiliges Geschäft, zumal ich recht klar erkannte, daß die betreffende Angelegenheit in keiner Weise pressierte und sehr bald meine Beschäftigung als einen Vorwand zu betrachten begann. Kaum war ich damit fertig, da saß ich auch schon zu Pferde, um noch den letzten Rest Tageslicht auszunutzen; trotzdem wurde ich von der Dunkelheit überrascht und mußte in einem Hause in der Nähe von Almond Water übernachten. Noch vor Tagesgrauen war ich wieder im Sattel, und die Edinburger Läden wurden eben aufgeschlossen, als ich bei West Bow zum Tor hineinrasselte und vor des Lord Staatsanwalts Haus mein dampfendes Pferd zügelte. In meinem Besitze befand sich eine schriftliche Anweisung an Doig, Mylords Privatsekretär, von dem man annahm, daß er in alle Geheimnisse eingeweiht wäre – ein würdiger, häßlicher kleiner Mann, ganz Fett, Schnupftabak und Selbstsicherheit. Ich fand ihn in dem gleichen Vorraum, in dem ich mit James More zusammengestoßen war, vor einem Pult, trotz der Morgenfrühe über und über mit Tabakspuren bekleckst. Meinen Zettel las er mit peinlicher Sorgfalt durch, gleich einem Kapitel aus der Bibel.

»Hm,« meinte er, »Ihr kommt ein wenig spät, Mr. Balfour. Der Vogel ist ausgeflogen – wir ließen ihn frei.« »Miß Drummond befindet sich in Freiheit?« rief ich. »Jawohl! Weshalb sollten wir sie behalten? Versteht Ihr mich? Wem wäre damit gedient, wenn wir um des Mädels willen ein Aufhebens machen?«

»Wo wird sie jetzt sein?« forschte ich.

»Weiß der liebe Himmel«, antwortete Doig mit einem Achselzucken. »Sie wird zu Lady Allardyce gegangen sein.«

»Höchstwahrscheinlich.«

»Dann gehe ich auch dorthin.«

»Aber Ihr werdet zuvor doch einen Bissen zu Euch nehmen?« »Keinen Bissen und keinen Tropfen! Ich trank in Ratho einen tüchtigen Trunk Milch.«

»Gut, gut«, meinte Doig. »Ihr könnt indes Euer Pferd und Euer Gepäck hier lassen; es scheint, wir müssen Euch beherbergen.« »Nein, nein,« entgegnete ich, »am heutigen Tage von allen Tagen des Jahres wären Schusters Rappen nicht die richtigen Rösser für mich.« Da Doig ziemlich breiten Dialekt redete, war ich unwillkürlich in eine Aussprache verfallen, weit gröber als die, derer ich mich gewöhnlich mit großer Sorgfalt befleißigte. Um so beschämter war ich, als hinter mir eine dritte Stimme einige Takte aus einer Ballade summte:

»Lauf, sattle mir mein tapferes Roß,
Heut gilt’s, drum spute dich fein;
Will reiten über den Gatehope-Berg,
Besuchen die Liebste mein.«

Die junge Dame stand da im Morgennegligé, die Hände, wie abwehrend, in den Falten ihres Kleides vergraben. Trotzdem schien mir der Blick, mit dem sie mich betrachtete, nicht unfreundlich. »Mein ehrerbietigstes Kompliment, Miß Grant«, grüßte ich, mich verneigend. »Euch selber das gleiche«, antwortete sie und machte mir einen tiefen Knicks. »Gestattet mir, Euch an ein hausbackenes und altersgraues Sprichwort zu gemahnen: ›Durch Messen und Essen kam niemand noch zuschanden.‹ Die Messe kann ich Euch zwar nicht bieten, da wir alle gute Protestanten sind, aber das Essen möcht ich Euch dringend anempfehlen. Ferner müßte es mich wundernehmen, hätt ich nicht privatim für Euer Ohr einige Neuigkeiten, die den Aufenthalt hier lohnen dürften.« »Miß Grant,« sagte ich, »ich glaube, ich bin bereits etlicher munterer Worte wegen – die mir zugleich recht gütig dünkten – Euer Schuldner. Sie standen auf einem Papier ohne Unterschrift.«

»Ohne Unterschrift?« wiederholte sie mit drolligem, aber wunderbar schönem Ausdruck, wie jemand, der sich an etwas zu erinnern sucht. »Sonst müßte ich mich arg täuschen«, fuhr ich fort. »Doch uns bleibt ja noch Zeit genug, davon zu reden, da Euer Herr Vater so gütig ist, mich eine Zeitlang als Hausgenossen aufzunehmen; ›der Esel‹ bittet Euch daher, ihm dieses eine Mal die Freiheit zu gewähren.« »Ihr gebt Euch da einen harten Namen!«

»Mr. Doig und ich würden uns mit Freuden seitens Eurer geschickten Feder noch härtere gefallen lassen.« »Wieder einmal muß ich die Diskretion der Männer bewundern«, lautete die Antwort. »Aber macht, daß Ihr fortkommt, wenn Ihr wirklich nicht essen wollt. Um so früher seid Ihr zurück; die wilde Jagd ist doch umsonst. Macht, daß ihr fortkommt, Mr. David.« Und die Tür öffnend, fügte sie hinzu:

»Auf saß er auf sein wackeres Roß,
Fort ging’s über Berg und Rain;
Nicht schonte er Peitsche und stachligen Sporn;
So jagt er zur Liebsten fein.«

Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und machte Miß Grants Zitat auf dem Wege nach Dean alle Ehre. Die alte Lady Allardyce spazierte in Hut und Haube allein im Garten, gestützt auf einen schwarzen, mit Silber eingefaßten Spazierstock. Als ich vom Pferde stieg und mich ihr unter Bücklingen näherte, sah ich, daß ihr das Blut ins Gesicht schoß, und daß sie mit einer Miene, wie ich sie mir bei einer Kaiserin träumte, den Kopf in den Nacken warf. »Was führt Euch an meine Tür?« rief sie in schrillem, näselnden Ton. »Ich kann sie Euch nicht verschließen. Die Männer meines Hauses sind tot und begraben; ich habe weder Gatten noch Sohn, die sich an meiner Statt vor die Schwelle stellen könnten; jeder Bettler darf mich am Barte zupfen – ein Bart ist wirklich vorhanden – und das ist noch das Schlimmste an der Sache!« fügte sie halb zu sich selbst hinzu.

Ich war über diesen Empfang arg konsterniert, zumal die letzte Bemerkung, die von einer Verrückten zu stammen schien, machte mich sprachlos.

»Ich sehe, ich habe mir Eure Ungnade zugezogen Madame«, sagte ich. »Dennoch möchte ich so kühn sein, mich bei Euch nach Miß Drummond zu erkundigen.« Brennenden Auges blickte sie mich an, die Lippen in zwanzig Falten zusammengepreßt, zitternd auf ihren Stock gelehnt. »Das übersteigt doch alles!« stieß sie hervor. »Ihr kommt, um Euch nach ihr zu erkundigen? Wolle Gott, ich wüßte was von ihr!« »Sie ist nicht hier?« rief ich. Abermals warf die alte Dame den Kopf zurück, trat einen Schritt vor und fuhr mich so heftig an, daß ich schleunigst den Rückzug antrat.

»Schande über Eure lügnerische Zunge! Was? Ihr kommt, mich auszuhorchen? Im Gefängnis sitzt sie, wo Ihr sie hingebracht habt – mehr gibt es nicht zu sagen. Und von allen Wesen in Mannsbildkleidung mußtet gerade Ihr der Verräter sein! Ihr feiger Schuft! Wäre meinem Namen auch nur ein einziges Mannsbild verblieben, ich sorgte, daß Euch der Buckel verwamst würde, bis Ihr brülltet.« Mich dünkte es unratsam, länger an diesem Ort zu verweilen, da ich merkte, daß sie sich immer mehr in Zorn hineinredete. Ja, als ich nach dem Pfosten zurückwich, an dem mein Pferd angebunden war, folgte sie mir, und ich schäme mich nicht, einzugestehen, daß ich davonritt, einen Fuß im Steigbügel und mit dem anderen krampfhaft den zweiten Bügel suchend. Da ich nicht wußte, wohin ich mich mit meinen Nachforschungen noch wenden sollte, blieb mir nichts übrig, als nach dem Hause des Lord Staatsanwalts zurückzukehren. Ich wurde von den vier Damen sehr freundlich begrüßt, die alle beisammen saßen und sich bemüßigt fühlten, mit großer Ausführlichkeit und Langeweile für mich, alle Neuigkeiten zu erzählen, sowie alles, was es von Prestongrange zu berichten gab. Währenddessen beobachtete mich die junge Dame, die wieder allein zu sprechen ich mich von Herzen sehnte, mit verschmitztem Ausdruck und schien sich an meiner Ungeduld zu weiden. Endlich, als ich eine ganze Mahlzeit über mich hatte ergehen lassen und schon sehr nahe daran war, das Fräulein in Gegenwart ihrer Tante um eine Unterredung zu bitten, erhob sie sich, ging an das Notenpult, wählte ein Lied aus und sang in hohem Sopran: »Wer nicht nutzt die Gelegenheit, wartet vergeblich zu späterer Zeit«. Damit jedoch ließ ihre Strenge es bewenden; bald darauf führte sie mich unter irgendeinem Vorwand, den ich vergessen habe, in ihres Vaters Privatbibliothek. Dabei darf ich nicht unterlassen zu erwähnen, daß sie mit vollendeter Eleganz gekleidet war und ganz ungewöhnlich schön aussah.

»So, Mr. David, jetzt setzt Euch und laßt uns unter vier Augen miteinander plaudern. Ich habe Euch viel zu erzählen; außerdem scheine ich Euch in puncto Geschmack schweres Unrecht getan zu haben.«

»Inwiefern, Miß Grant? Ich hoffe, ich habe es niemals an schuldigem Respekt fehlen lassen.« »Darüber kann ich Euch beruhigen, Mr. David. Euer Respekt, ob gegenüber Euch selbst oder Euren armen Mitmenschen, war glücklicherweise stets exemplarisch. Ihr erhieltet von mir ein Billett?«

»Ich war so kühn, dies auf gewisse Indizien hin zu glauben; es wurde dankbar aufgenommen.«

»Es muß Euch ungeheuer überrascht haben. Aber wir wollen mit dem Anfang anfangen. Ihr erinnert Euch vielleicht noch eines Tages, da Ihr so freundlich waret, drei äußerst langweilige Fräulein nach Hause zu geleiten? Ich habe um so mehr Grund, ihn nicht zu vergessen, als Ihr die große Güte hattet, mich in einige Grundprinzipien der lateinischen Grammatik einzuführen, eine Tatsache, die sich unauslöschlich in mein Dankesbewußtsein eingegraben hat.« »Ich fürchte, ich war ein trauriger Pedant«, sagte ich, in der Erinnerung schamüberwältigt. »Bedenkt indes, daß ich Damengesellschaft durchaus ungewohnt bin.« »Wir wollen also die Grammatik nicht weiter erwähnen. Wie kamt Ihr aber dazu, Eure Schutzbefohlenen im Stich zu lassen? ›Und er stieß sie hinweg und sah sie nimmer an, sein Annchen, sein süßes, süßes Annchen‹« summte sie. »Nun, sein Annchen und ihre beiden Schwestern mußten wie eine Herde junger Gänse ganz allein nach Haus marschieren! Ihr kehrtet, wie es scheint, zu meinem Papa zurück und benahmt Euch ungemein martialisch, und von dort ging es in unbekannte Gegenden, zuletzt offenbar nach der Insel Baß; aber vielleicht sind Lummen mehr nach Eurem Geschmack als hübsche Mädchen?« Durch all diese Neckerei hindurch schimmerte in der Dame Auge ein gewisses Wohlwollen, das mich annehmen ließ, sie habe Besseres für mich in petto.

»Ihr findet Vergnügen daran, mich zu quälen, und ich gebe ein recht wehrloses Spielzeug ab. Laßt Euch jedoch bitten, etwas barmherziger zu sein. Zur Zeit gelüstet es mich, nur das eine zu hören: Neues über Catriona.« »Nennt Ihr sie auch in ihrer Gegenwart bei diesem Namen?« »Mein Wort darauf, ich weiß es nicht genau«, stammelte ich. »Jedenfalls würde ich das nicht vor Fremden tun. Weshalb seid Ihr eigentlich so sehr an dieser jungen Dame Schicksal interessiert?« »Ich hörte, sie befände sich im Gefängnis.«

»Nun, jetzt hört Ihr, daß sie nicht mehr dort ist; was wollt Ihr mehr? Sie bedarf in Zukunft keines Ritters.« »Um so mehr bedarf ich ihrer, gnädiges Fräulein.« »Ach, das klingt schon besser! Aber blickt mir einmal gerade ins Gesicht; bin ich nicht hübscher als sie?«

»Ich wäre der letzte, das zu bestreiten; es gibt in ganz Schottland nicht Euresgleichen.« »Nun, jetzt habt Ihr die Wahl zwischen uns beiden und müßt durchaus nur von der andern reden? Das ist nie und nimmer die rechte Art, Damen zu gefallen, Mr. Balfour.« »Aber, Fräulein, zweifellos gibt es doch noch andere Dinge als Schönheit.« »Womit ich zu verstehen habe, daß ich nicht besser bin, als ich eigentlich sein sollte?«

»Womit Ihr gnädigst verstehen wollt, daß ich dem Hahn im Fabelbuche gleiche. Ich sehe zwar das kostbare Juwel – und es gefällt mir gut – aber mir tut ein Körnlein Weizen wohler«. »Bravissimo!« rief sie. »Endlich eine gut gedrehte Antwort, und Euer Lohn soll meine Geschichte sein. In der Nacht, da Ihr desertiertet, kehrte ich in vorgeschrittener Stunde von einer Freundin zurück – in deren Haus ich baß bewundert wurde, was immer Eure Ansicht sein mag – und was erfahre ich bei meiner Rückkunft? Daß mich ein Mädchen in Hochlandstracht zu sprechen wünscht. Sie sei schon über eine Stunde da, behauptete das Dienstmädel, und habe im Warten geweint. Ich ging direkt zu ihr; sie erhob sich bei meinem Eintritt, und ich erkannte sie auf den ersten Blick. ›Die Grauen Augen!‹ sagte ich zu mir selbst, war aber so klug, mir nichts merken zu lassen. ›Endlich! Ihr werdet Miß Grant sein?‹ sagte sie, sich erhebend, und sah mich mit festem, traurigen Blick an. ›Ja, er hat wahr gesprochen, Ihr seid schön, das ist gewiß.‹ – ›So wie Gott mich erschaffen hat, liebes Kind,‹ sagte ich, ›aber ich wäre froh und dankbar, wenn Ihr mir sagen wolltet, was Euch zu dieser Nachtzeit hierher führt? – ›Fräulein,‹ sagte sie, ›wir gehören der gleichen Sippe an, wir sind beide vom Blut der Söhne Alpins.‹ – ›Liebes Kind,‹ erwiderte ich, ›mir bedeuten Alpin und seine Söhne nicht mehr als irgendein Kohlstrunk. Diese Tränen da auf Eurem hübschen Gesicht sind in meinen Augen ein gewichtigeres Argument.‹ Darauf hatte ich die Schwäche, sie zu küssen, wozu Ihr ebenfalls große Lust habt – aber ich wette, Ihr werdet nimmermehr den Mut dazu aufbringen. Ich sagte schon, daß es von mir eine Schwäche war, und in Wahrheit kannte ich ja an dem Mädchen nichts als ihr Äußeres. Trotzdem war dieser Kuß das Klügste, das ich hätte tun können. Sie ist ein wackeres, tapferes Mädchen, an Zärtlichkeiten aber kaum gewöhnt, wie mir scheint, und mit dieser Liebkosung (die, um die Wahrheit zu gestehen, gar leichtfertig gegeben wurde) hatte ich ihr ganzes Herz gewonnen. Nun werde ich Euch aber keineswegs die Geheimnisse meines Geschlechts verraten, Mr. Davie; niemals sollt Ihr wissen, wie sie mich um den Finger wickelte, denn auf ganz die gleiche Art wird sie auch Euch um den Finger wickeln. Wahrhaftig, sie ist ein prächtiges Mädchen! So klar wie ein Bergquell!« »Ja, das ist sie!« rief ich. »Also, sie klagte mir ihr Leid,« fuhr Miß Grant fort, »und welchen Kummer sie um ihren Papa litte und welche Sorge um Euch – mit sehr geringem Grund – und wie ratlos sie gewesen wäre, als Ihr sie verlassen hattet. ›Und endlich‹, sagte sie, ›fiel mir ein, daß wir ja von einer Sippe sind, und daß Mr. David Euch als die Schönste aller Schönen geschildert hatte, und ich sagte zu mir selbst: Wenn sie so schön ist, dann ist sie auch gut, und deshalb machte ich mich auf den Weg zu Euch!‹ Das war der Augenblick, als ich Euch alles verzieh, Mr. Davie. Solange Ihr Euch in meiner Gesellschaft befandet, schienet Ihr auf glühendem Rost zu braten; hab ich je einen jungen Mann sich von mir fortsehnen sehen, so wart Ihr der Mann, und ich nebst meinen beiden Schweizern waren die Damen, denen Ihr entfliehen wolltet. Jetzt aber schien es, als hättet Ihr so en passant dennoch einige Notiz von mir genommen und die Güte gehabt, Euch wohlwollend über meine Reize zu äußern! Von jener Stunde an mögt Ihr meine Freundschaft für Euch datieren; gleichzeitig begann ich mit zärtlicher Nachsicht der lateinischen Grammatik zu gedenken.«

»Ihr werdet noch viele Stunden Zeit haben, meiner zu spotten«, sagte ich. »Zudem bin ich der Meinung, daß Ihr Euch selber unrecht tut. Ich glaube, Catriona war es, die mir Euer Herz zuwandte. Sie ist zu schlicht, die Steifheit ihres Freundes zu bemerken, wie Ihr es tut.« »Darauf möchte ich keine Wette eingehen, Mr. David. Das Mädchen hat helle Augen. Aber zum minderten ist sie ganz und gar Eure Freundin, wie ich gar bald erfahren sollte. Ich führte sie zu Seiner Lordschaft, meinem Herrn Papa; und Seine richterliche Gnaden waren so gütig, da er sich in angenehmer Rotweinlaune befand, uns beide zu empfangen. ›Hier sind die Grauen Augen, die Euch in letzter Zeit so viel zu schaffen machte‹, sagte ich; ›sie sind erschienen, um zu beweisen, daß wir die Wahrheit redeten. Hiermit lege ich Euch das hübscheste Mädchen in den drei Lothians zu Füßen‹ – innerlich machte ich selbstverständlich ein jesuitisches Reservatio zu meinen Gunsten. Das Mädchen paßte ihr Verhalten meinen Worten an: schon lag sie vor ihm auf den Knien – ja, ich möchte wetten, daß er gleich zwei hübsche Mädchen vor sich sah, was Catrionas Bitte zweifellos um so unwiderstehlicher machte – Ihr seid ja samt und sonders spitzbübische Mohammedaner. Sie erzählte ihm, was sich in jener Nacht ereignet hatte, und wie sie ihres Vaters Knecht zurückgehalten hätte, Euch zu folgen, und wie verzweifelt sie über ihren Vater wäre, und wie aufgeregt über Euer Schicksal, und sie bat ihn unter Tränen um Euer beider Leben (die beide durchaus nicht bedroht waren), bis ich, auf mein Wort, zugleich stolz war auf mein Geschlecht, weil alles mit solcher Anmut vorgetragen wurde, und mich seiner ob des geringen Anlasses schämte. Sie war noch nicht weit gekommen, bevor der Lord Staatsanwalt, angesichts der Tatsache, daß ein junges Mädchen seine geheimste Politik enthüllte und der unlenksamsten aller Töchter verriet, völlig nüchtern wurde. Aber wir nahmen ihn vereint in die Hand und brachten die Affäre bald in Ordnung. Richtig geleitet – will sagen, von mir geleitet – gibt es keinen, der sich mit meinem Papa messen kann.«

»Mir gegenüber hat er sich als guter Mensch gezeigt.« »Nun, zu Catriona war er gleichfalls gut; ich war dabei, um drauf zu achten.«

»Sie hat also wirklich für mich gebeten?«

»Freilich, und zwar recht inständig; ich möchte Euch nicht wiederholen, was sie sagte – ich finde, Ihr seid schon eitel genug.«

»Gott lohne es ihr!«

»Durch Mr. David Balfours Hand, nicht wahr?«

»Da endlich tut Ihr mir zuviel Unrecht!« rief ich. »Ich zittere bei dem Gedanken, sie in so harten Händen zu sehen. Meint Ihr, ich würde fürwitzig sein, nur weil sie für mich gebeten hat? Das täte sie auch für einen wehrlosen jungen Hund! Da hätt ich schon stärkeren Grund, mir Mut zu machen, wenn Ihr’s nur wüßtet. Sie hat mir diese meine Hand geküßt. Ja, das hat sie. Wollt Ihr wissen, weshalb? Weil sie glaubte, daß ich eine wackere Rolle spielte und vielleicht in meinen Tod ginge. Es geschah nicht um meinetwillen – aber das brauche ich Euch, die Ihr mich, ohne zu lachen, gar nicht ansehen könnt, nicht erst zu sagen. Es geschah aus Liebe zu meiner Handlung, die sie für tapfer hielt. Ich glaube, außer mir und dem Prinzen Charlie ist noch niemandem dergleichen Ehre widerfahren. Heißt das nicht, aus mir einen Götzen machen? Und zweifelt Ihr etwa, daß mein Herz in Erinnerung daran zittert?«

»Ich muß wirklich oft über Euch lachen, weit öfter, als es mit Höflichkeit ganz vereinbar ist; aber ich will Euch eins verraten: wenn Ihr auf diese Weise zu ihr sprecht, bleibt Euch ein matter Schimmer von Hoffnung.« »Nie!« rief ich aus. »Dazu hätte ich niemals die Courage. Zu Euch kann ich reden, Miß Grant, weil mir gleichgültig ist, was Ihr von mir denkt. Aber zu ihr –? Keine Angst!«

»Ich glaube wahrhaftig, Ihr habt die plumpsten Füße in ganz Schottland«, lautete ihre Antwort.

»Wahrhaftig, sehr klein sind sie nicht«, meinte ich und blickte auf meine Füße hinab.

»Ach arme Catriona!« rief Miß Grant.

Da konnte ich nicht anders, ich mußte sie verwundert anstarren, denn, obwohl ich genau wußte, worauf sie (vielleicht sogar nicht ohne eine gewisse Berechtigung) hinauswollte, war ich doch von jeher angesichts so leichten Geplänkels recht schwerfällig. »Ja, ja, Mr. David,« bemerkte sie, »es läuft meinem Gewissen zwar stracks zuwider, aber ich sehe, ich muß mich zu Eurem Sprachrohr erwählen. Sie soll erfahren, daß Ihr unmittelbar nach der Nachricht von ihrer Gefangensetzung hierher eiltet; sie soll wissen, daß Ihr nicht warten wolltet, um zu essen, und von unserem Gespräch soll sie so viel hören, als ich für eine Jungfrau ihres Alters und ihrer mangelnden Erfahrung für richtig erachte. Glaubt mir, Euch wird auf diese Weise viel besser gedient sein, als Ihr Euch selber dienen könnt; ich werde sorgen, daß die plumpen Füße nicht dazwischen stolpern.«

»So wißt Ihr, wo sie sich befindet?«

»Ich weiß es, Mr. David, aber ich werde es Euch niemals verraten.«

»Weshalb nicht?«

»Nun, ich bin, wie Ihr bald merken werdet, meinen Freunden eine gute Freundin, und mein bester Freund ist mein Papa. Ich versichere Euch, von diesem Standpunkt werden weder Hitze noch Kälte mich abbringen, also verschont mich mit Euren Lammsaugen. Inzwischen wünsche ich Eurer David-Balfourschaft Adieu.«

»Noch eins!« rief ich. »Es gibt da einen Punkt, der aufgeklärt werden muß, da er ihr selbst und auch mir schwer schadet.« »Also faßt Euch kurz, ich habe Euch ohnehin die Hälfte meines Tages gewidmet.«

»Mylady Allardyce glaubt –« hub ich an – »ist der Ansicht – meint – ich hätte sie entführt.«

Miß Grant schoß das Blut ins Gesicht, daß ich anfänglich ganz zerknirscht war, sie so schamhaft zu finden, bis mir endlich der Gedanke kam, sie bemühe sich vielmehr, ihrer Heiterkeit Herr zu werden – eine Auffassung, die vollkommen durch den zitternden Ton ihrer Antwort bestätigt wurde: –

»Ich werde die Verteidigung Eurer Reputation auf mich nehmen. Ihr dürft sie mir getrost überlassen.«

Mit diesen Worten verließ sie die Bibliothek.

Zwanzigstes Kapitel


Ich fahre fort, mich in guter Gesellschaft zu bewegen

Genau zwei Monate blieb ich als Gast in der Prestongrangeschen Familie, wo ich meine Bekanntschaft mit Richtern und Advokaten, ja mit der Blüte der Edinburgher Gesellschaft vervollständigte. Trotzdem darf man nicht annehmen, daß ich meine Ausbildung vernachlässigte; ich hatte im Gegenteil alle Hände voll zu tun. Vor allem studierte ich Französisch, um mich auf meinen Leydener Aufenthalt vorzubereiten; außerdem lernte ich fechten und übte mich darin fleißig, mitunter drei Stunden den Tag, so daß ich gute Fortschritte machte. Auf Vorschlag meines Vetters Pilrig, der ein tüchtiger Musiker war, nahm ich an einem Singkursus teil und auf Befehl von Miß Grant an einer Tanzstunde, der ich indes nicht zur Zierde gereichte. Alle jedoch waren so gütig, zu behaupten, daß diese Dinge mir ein wenig Schliff verliehen. Jedenfalls lernte ich, meine Rockschöße und mein Rapier mit größerer Gewandtheit schwenken und mich in einem Salon bewegen, als gehöre das Zimmer mir. Auch meine Kleidung wurde mit großem Ernst von A bis Z revidiert, und selbst die lächerlichsten Kleinigkeiten, wie zum Beispiel die Frage, wie und mit welcher Farbe Band ich meine Haare binden sollte, wurden von den drei Fräulein mit einem Ernst erörtert, der einer gewichtigen Sache wert gewesen wäre. Alles in allem veränderte ich mich äußerlich stark zu meinem Vorteil, ja ich gewann ein leicht modisches Aussehen, das die guten Leute in Essendean fraglos in Erstaunen gesetzt hätte. Die beiden jüngeren Fräulein waren außerordentlich gern bereit, Toilettenfragen mit mir zu erörtern, da ihr Denken sich vornehmlich in dieser Richtung bewegte. Sonst könnte ich kaum sagen, daß sie in irgendeiner Weise von meiner Gegenwart Notiz zu nehmen schienen. Obwohl sie stets höflich waren, ja mich mit einer Art herzloser Herzlichkeit behandelten, konnten sie doch nicht verhehlen, wie sehr ich sie langweilte. Was nun die Tante betraf, so war sie eine merkwürdig stille Frau; ich glaube, sie zollte mir ungefähr ebensoviel Aufmerksamkeit wie den übrigen Mitgliedern der Familie, und das war wenig genug. So kam es, daß ich mich vor allem dem Staatsanwalt selbst und seiner ältesten Tochter anschloß, und unsere Intimität wuchs noch dank eines Vergnügens, das wir gemeinsam genossen. Vor Zusammentritt des Gerichts verbrachten wir ein, zwei Tage auf Schloß Grange, wo wir in großzügigster Weise offenes Haus hielten; hier war es auch, daß wir drei anfingen, miteinander über die Wiesen zu reiten, ein Zeitvertreib, den wir, sofern des Staatsanwalts ständige Geschäfte es gestatteten, noch in Edinburgh fortsetzten. Sobald die muntere Bewegung, die Schwierigkeiten des Weges oder die Zufälle schlechten Wetters unser Blut in Wallung brachten, verlor ich auch meine Schüchternheit. Dann vergaßen wir, daß wir einander fremd waren, und das Gespräch floß um so zwangsloser, als niemand zu sprechen sich verpflichtet fühlte. So kam es, daß sie mir meine Geschichte entlockten, Stück für Stück, von der Zeit an, da ich Essendean verließ bis zu meiner Fahrt auf der ›Covenant‹ und meinen Wanderungen durch die Heide usw., und dem Interesse, das sie an meinen Abenteuern nahmen, entsprang ein kleiner Ausflug, den wir bald darauf an einem Tag, da keine Gerichtsverhandlung war, unternahmen, und den ich hier ein wenig ausführlicher behandeln möchte. Wir saßen schon früh am Morgen auf und ritten zuerst nach dem Hause Shaw, das rauchlos und leblos in einer weißen, mit Rauhreif bedeckten Ebene lag. Hier stieg Prestongrange vom Pferde, reichte mir die Zügel und begab sich allein ins Haus, um meinen Onkel zu besuchen. Ich weiß noch, daß mein Herz bei dem Anblick dieses öden Gebäudes und bei dem Gedanken an den alten Geizhals, der frierend in seiner kalten Küche hockte, vor Bitterkeit schwoll.

»Das ist nun mein Heim und meine Familie«, sagte ich.

»Armer David Balfour!« entgegnete Miß Grant.

Was sich während des Besuches ereignete, habe ich nie erfahren; aber ich zweifle keinen Augenblick, daß es für Ebenezer nicht sonderlich angenehm war, denn als der Lord Staatsanwalt wieder erschien, war sein Blick finster.

»Ich glaube, Ihr werdet hier bald der Herr sein, Mr. David«, bemerkte er und wandte sich, den Fuß im Steigbügel, noch einmal halb zurück.

»Ich will nicht behaupten, daß es mich reuen würde«, antwortete ich; um die Wahrheit zu sagen, hatten Miß Grant und ich während Prestongranges Abwesenheit Pläne entworfen, wie man das Anwesen durch Anpflanzungen, Beete und Terrassen verschönern könnte, Pläne, die ich seitdem größtenteils ausgeführt habe. Von dort ritten wir drei nach Queensferry, wo Rankeillor uns einen herzlichen Empfang bereitete. Ja, er war ganz außer sich über die Ehre, so hohen Besuch bei sich zu sehen. Hier hatte der Lord Staatsanwalt die unverhohlene Güte, sich eingehendst nach meinen Angelegenheiten zu erkundigen und sich über zwei Stunden mit dem Advokaten in seinem Studierzimmer zu beraten, wobei er (wie man mir später erzählte) große Achtung vor mir selbst und ein lebhaftes Interesse an dem Stand meiner Geschäfte bezeugte. Um die Zeit zu vertreiben, nahmen derweil Miß Grant, ich und der junge Rankeillor ein Boot und setzten über die Hope nach Limekilnes über. Rankeillor benahm sich dabei recht lächerlich und (meiner Meinung nach) auch unschicklich, so groß war seine Bewunderung für die junge Dame; diese jedoch schien zu meinem Erstaunen (trotzdem das eine allgemeine Schwäche ihres Geschlechts ist) eher Gefallen daran zu finden. Allerdings hatte sein Verhalten ein Gutes: als wir das jenseitige Ufer erreichten, befahl sie ihm, das Boot zu hüten, während sie und ich nach dem Wirtshause weitergingen. Miß Grant war selbst auf diesen Gedanken gekommen; mein Bericht hatte sie für Alison Hastie sehr eingenommen, und sie wünschte persönlich mit dem Mädchen zu sprechen. Auch diesmal fanden wir die Wirtstochter allein – ich glaube, ihr Vater arbeitete den ganzen Tag auf dem Felde – und sie machte den Herrschaften, insbesondere der schönen jungen Dame in dem Reithabit, pflichtgemäß einen ehrerbietigen Knicks. »Soll das unser ganzer Willkomm sein?« fragte ich, ihr die Hand entgegenstreckend. »Erinnerst du dich nicht eines alten Freundes?« »Gott im Himmel, wer ist denn das?« stieß sie hervor und fügte hinzu: »Gottes Wahrheit, es ist der zerlumpte, junge Bursch!«

»Niemand anders«, bestätigte ich.

»Wie oft hab ich an Euch und Euern Freund denken müssen, und wie freue ich mich, Euch in den schönen Kleidern zu sehen! Zwar wußte ich, daß Ihr zu Eurer Familie zurückgekehrt wäret; das zeigte mir das prächtige Geschenk, das Ihr mir sandtet, und ich danke Euch auch von Herzen.« »So,« sagte Miß Grant, zu mir gewandt, »jetzt seid ein guter Bursch und laßt uns allein. Ich bin nicht gekommen, um Euch das Licht zu halten; sie und ich wollen miteinander schwätzen.« Sie blieb an die zehn Minuten im Hause, und als sie herauskam, bemerkte ich zweierlei: ihre Augen waren gerötet, und an ihrem Busen fehlte eine silberne Brosche. Das rührte mich tief. »Noch nie sah ich Euch so schön geschmückt«, bemerkte ich. »Ach Davie, Bursch, sei kein geschraubter Geck!« lautete ihre ganze Antwort, und den Rest des Tages war ihr Ton mir gegenüber ungewöhnlich scharf.

*

Längere Zeit hörte ich nichts mehr von Catriona. Miß Grant blieb nach wie vor undurchdringlich und verschloß mir mit Neckereien den Mund. Eines Tages jedoch, als sie von einem Spaziergang heimkehrte, fand sie mich im Salon allein über meinem Französisch, und ich glaubte an ihrem Aussehen etwas Ungewöhnliches zu bemerken. Ihre Farben waren lebhafter als sonst, die Augen funkelten übermütig, und jedesmal, wenn sie mich ansah, umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Ja, sie dünkte mich der verkörperte Mutwillen, und bald hatte sie mich, munter im Zimmer auf und ab spazierend, in eine Art Streit um nichts verstrickt (zum minderten war auf meiner Seite nichts Böses beabsichtigt). Ich glich dem guten Christen in der Fabel, der durch einen Sumpf watet – je mehr ich mich am Ufer hinauszuarbeiten suchte, um so tiefer sank ich hinein, bis sie zuletzt mit großer Heftigkeit erklärte, eine derartige Antwort ließe sie sich von niemandem gefallen, und ich hätte sie auf der Stelle kniefällig um Verzeihung zu bitten. Die Zwecklosigkeit all dieses Lärms trieb auch mir die Galle hoch. »Ich habe nichts gesagt, an dem Ihr gerechterweise Anstoß nehmen könntet,« erwiderte ich, »und was das Hinknien betrifft, so spare ich eine derartige Stellung für den Herrgott auf.« »Und ich will wie eine Göttin behandelt werden!« rief sie mit lebhaft gerötetem Gesicht, ihre braunen Locken schüttelnd. »Jeder Mann, der auch nur in die Nähe meiner Weiberröcke kommt, hat mich so zu behandeln!«

»Ich will so weit gehen, Euch um Verzeihung zu bitten, da die Sitte es erheischt, obwohl ich schwöre, daß ich nicht weiß, welche Ursache ich dazu hätte. Aber was diese Schauspielergebärden anbelangt, so müßt Ihr Euch einen anderen suchen.« »O Davie, wenn ich Euch nun darum bitte!« Da fiel mir ein, daß ich es ja mit einer Frau zu tun hatte, also mit einem Kinde, und daß sich das Ganze obendrein nur um eine Äußerlichkeit drehte.

»Ich halte es zwar für kindisch«, entgegnete ich, »und für ein Euer unwürdiges Verlangen, ebenso wie die Gewährung meiner unwürdig ist. Trotzdem will ich es Euch nicht verweigern. Die Schande komme über Euer Haupt!« Mit diesen Worten sank ich tatsächlich in die Knie. »Da,« rief sie. »Das ist die Euch geziemende Stellung; ich hatte es mir vorgenommen, Euch dahin zu bringen.« Und plötzlich warf sie mir mit den Worten: »Fangt auf!« ein Billett zu und rannte lachend aus dem Zimmer. Das Billet verriet weder ein Datum noch den Ort des Schreibens. Es lautete: »Lieber Mr. David, – Ich höre regelmäßig von Eurem Wohlergehen durch meine Base, Miß Grant, und höre stets Angenehmes. Mir geht es sehr gut; ich befinde mich an einem freundlichen Ort bei freundlichen Menschen, muß mich aber wohl oder übel recht still verhalten, obwohl ich hoffe, Euch endlich einmal wiederzusehen. All Eure Freundschaften sind mir von meiner lieben Base, die uns beide liebt, berichtet worden. Sie will, daß ich Euch diesen Brief sende, und hat selbigen überwacht. Ich bitte Euch, alle ihre Befehle auszuführen, und verbleibe Eure treue Freundin Catriona MacGregor-Drummond. P.S. Wollt Ihr nicht meine Base Allardyce aufsuchen?«

Ich erachte es als eines meiner glanzvollsten Bravourstückchen (wie es im Jargon der Militärs heißt), daß ich tat, worum man mich gebeten hatte, und mich unverzüglich nach Dean begab. Aber die alte Dame war jetzt vollständig verändert und so schmiegsam wie ein Handschuh. Wie Miß Grant das zuwege gebracht hatte, vermochte ich nie zu erraten. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß sie in dieser Affäre nicht offen hervorzutreten wagte, da ihr Papa sich darin bereits ziemlich tief kompromittiert hatte. In der Tat war er es gewesen, der Catriona überredet hatte, ihre Base zu verlassen oder, richtiger, nicht zu ihr zurückzukehren, und der sie statt dessen bei einer Familie Gregory einquartiert hatte – anständigen Leuten, die dem Lord Staatsanwalt durchaus ergeben waren, und in die Catriona um so mehr Vertrauen setzte, als sie zu ihrem eigenen Clan und Stamm gehörten. Diese Familie hielt sie bei sich verborgen, bis die Zeit reif war, spornte sie an und half ihr, ihres Vaters Befreiung durchzuführen und nahm sie, nach ihrer Entlassung, in gleicher Heimlichkeit wieder bei sich auf. So bemächtigte und bediente sich Prestongrange seines Werkzeugs, ohne daß auch nur eine Silbe von seiner Bekanntschaft mit James Mores Tochter ruchbar wurde. Natürlich munkelte man allerlei über die Flucht einer so zweifelhaften Persönlichkeit; aber die Regierung antwortete durch ostentative Strenge; einer der Gefangenenwärter wurde ausgepeitscht, und der wachhabende Leutnant (mein armer Freund Duncansby) verlor seinen Offiziersrang. Was Catriona anbetrifft, so fand die gesamte Männerwelt an ihrem Vergehen derartiges Gefallen, daß alle es wohl zufrieden waren, sie straffrei entkommen zu sehen. Miß Grant war durch nichts zu bewegen, Catriona ein Antwortbillett zu überbringen. »Nein,« entgegnete sie auf meine wiederholten Bitten, »ich bin entschlossen, die plumpen Füße vor dem Dazwischenstolpern zu bewahren.« Für mich war das um so schwerer zu ertragen, als ich wußte, daß sie mehrere Male in der Woche mit meiner kleinen Freundin zusammentraf und ihr jedesmal, »wenn ich brav gewesen war« (wie sie sich ausdrückte), von mir berichtete. Endlich machte sie mir eine Freude, zum mindesten nannte sie es so, mich dünkte die Sache jedoch eher eine Neckerei. Sie empfand ohne Frage eine starke, fast heftige Freundschaft für alle Menschen, die sie gut leiden konnte, darunter mit an erster Stelle für ein kränkliches, altes Edelfräulein, stockblind und sehr geistreich, das zusammen mit einer Schar eingesperrter Hänflinge auf einem hohen Hügel oberhalb eines engen Hofes häufte und den ganzen Tag über zahlreiche Besuche empfing. Miß Grant liebte es sehr, mich dorthin zu führen, damit ich die alte Dame mit dem Bericht meiner Abenteuer unterhielte, und Miß Tibbie Ramsay (so hieß das alte Fräulein) war stets besonders liebenswürdig und erzählte mir viel Wissenswertes von den alten Familien und vergangenen Ereignissen in Schottland. Ich muß noch erwähnen, daß man von ihrem Zimmerfenster aus keine drei Fuß entfernt – so eng ist der betreffende Hof – in ein vergittertes Ochsenauge blicken konnte, das den Treppenflur des gegenüberliegenden Hauses erhellte. Hier ließ mich Miß Grant eines schönen Tages unter irgendeinem Vorwande mit Miß Ramsay allein; ich weiß noch, daß die alte Dame mir unaufmerksam und zerstreut erschien. Außerdem fühlte ich mich unbehaglich, da entgegen jeder Gewohnheit das Fenster offen stand und es draußen kalt war. Plötzlich drang Miß Grants Stimme aus einiger Entfernung an mein Ohr. »Hierher, Shaw!« rief sie, »guckt einmal aus dem Fenster und seht, was ich Euch mitgebracht habe.« Ich glaube, das Bild, das sich mir bot, war das hübscheste, das ich je gesehen habe. Der Brunnen auf dem Hofe lag ganz in klarem Schatten, der alles deutlich erkennen ließ; die Mauern waren tiefschwarz und rußig, und aus dem vergitterten Mauerschlitz schauten zwei lächelnde Gesichter – Miß Grants und Catrionas. »Da!« rief Miß Grant, »ich wollte, daß sie Euch auch einmal in Eurem Staat sehen sollte, wie die Wirtstochter in Limekilnes. Ich wollte ihr einmal zeigen, was ich alles aus Euch machen kann, wenn ich mir ernsthaft Mühe gebe!« Da fiel mir ein, daß sie sich heute eingehender denn je mit meiner Kleidung befaßt hatte: ja, ich glaube, einen Teil der gleichen Sorgfalt hatte sie auch auf Catrionas Anzug verwendet. Für eine so lebhafte und gescheite junge Dame legte Miß Grant entschieden erstaunlichen Wert auf Putz.

»Catriona!« war alles, was ich über die Lippen brachte. Und sie? Sie äußerte kein einziges Wort, winkte nur hinüber und lächelte mich an und wurde plötzlich vom Fenster fortgezogen. Kaum war diese Vision meinen Blicken entschwunden, als ich auch schon zur Haustür rannte, die ich jedoch verschlossen fand; von dort lief ich zu Miß Ramsay zurück und verlangte polternd den Schlüssel; ebensogut hätte ich den Burgfelsen anflehen können. Sie hätte ihr Wort gegeben, beteuerte sie, ich müsse ein folgsamer Junge sein. Es war unmöglich, die Tür zu sprengen, selbst wenn es der Anstand erlaubt hätte; nicht minder unmöglich war es, aus dem Fenster zu springen, da das sieben Stockwerke über dem Erdboden lag. Ich konnte also lediglich auf den Hof hinausstarren und warten, daß sie zusammen die Treppe hinunter zur Tür herausträten. Auch dann gab es nur wenig zu sehen: nichts als von oben ihre beiden Köpfe, die sich auf einer Spule von Reifröcken bewegten – ein lächerlicher Anblick, wie zwei wandelnde Nadelkissen. Catriona blickte auch nicht einmal auf, um Lebewohl zu sagen; später hörte ich, Miß Grant habe sie daran gehindert durch die Mitteilung, nie nähme man sich so unvorteilhaft aus, wie von oben betrachtet. Auf dem Heimwege, sobald ich die Freiheit wiedererlangt hatte, schalt ich Miß Grant ob ihrer Grausamkeit.

»Es tut mir leid, daß Ihr enttäuscht seid«, sagte sie, ganz sittsame Sanftmut. »Ich dagegen war sehr zufrieden. Ihr saht besser aus, als ich erwartet hatte; Ihr nahmt Euch aus – hoffentlich werdet Ihr nicht gar zu eitel – wie ein verflixt hübscher junger Mann, als Ihr dort oben am Fenster erschienet. Vergeßt nicht, daß sie Eure Füße nicht sehen konnte.« Letzteres fügte sie in beruhigendem Tone hinzu.

»O!« rief ich, »laßt meine Füße in Ruh – sie sind auch nicht größer als die meiner Mitmenschen.«

»Sie sind sogar kleiner als viele andere, aber ich spreche in Parabeln, wie die jüdischen Propheten.« »Dann wundere ich mich nicht, daß sie mitunter gesteinigt wurden! Böses Mädchen! Wie brachtet Ihr das nur übers Herz? Weshalb findet Ihr Vergnügen daran, mich durch einen flüchtigen Augenblick zu quälen?« »Die Liebe ist wie die Menschen; beide bedürfen einer gewissen Nahrung.« »O Barbara! Erlaubt, daß ich sie richtig spreche!« flehte ich. »Es steht in Eurer Macht – Ihr seht sie, wann es Euch beliebt; vergönnt mir eine halbe Stunde!« »Habt Ihr oder habe ich diese Liebesaffäre in die Hand genommen?« forschte sie und griff, als ich sie weiter mit Bitten bestürmte, auf ein unfehlbares Mittel zurück; sie imitierte den Ton meiner Stimme, als ich Catriona mit Namen rief. Ja, durch das gleiche Mittel hielt sie mich die nächsten Tage in Schach. Niemals fiel auch nur ein Wort von dem Memorial, wenigstens nicht von meiner Seite. Prestongrange und Seine Gnaden, der Lord Präsident mögen – was weiß ich – auf der tauben Seite ihres Kopfes davon gehört haben; jedenfalls behielten sie die Sache für sich – und die Öffentlichkeit wurde um keinen Deut klüger. Ja, der arme James von der Schlucht wurde im Laufe der Zeit, am 8. November, inmitten ungeheuren Sturms und Regens, zu Lettermore bei Ballachulish vorschriftsmäßig gehenkt. Das war also das Ergebnis meiner Politik! James war nicht der erste Unschuldige, der elend zugrunde ging, und viele Unschuldige werden noch bis an das Ende aller Zeiten (trotz unserer übergroßen Weisheit) zugrunde gehen. Und bis an das Ende aller Zeiten werden junge Leute, die die Doppelzüngigkeit des Lebens und der Menschen ungewohnt sind, wie ich weiterkämpfen und heroische Entschlüsse fassen und schwere Gefahren auf sich nehmen; und die Ereignisse werden sie beiseite schieben und wie eine sich vorwärts bewegende Armee ihren Marsch fortsetzen. James wurde gehenkt; trotzdem verweilte ich hier in Prestongranges Haus und fühlte mich ihm gegenüber für seine väterliche Sorge tief verpflichtet. James wurde gehenkt, und siehe da! – als ich Herrn Simon Fraser auf der Straße begegnete, zog ich vor ihm meinen Hut wie ein gehorsamer kleiner Schulbub vor seinem Lehrer. James wurde durch Betrug und Gewalt gehenkt, und die Welt ging ihren Gang weiter, und nichts war um ein Jota anders, und die Verbrecher in dieser scheußlichen Verschwörung waren ehrbare Familienväter, die den Gottesdienst besuchten und das Abendmahl einnahmen! Ich besaß jedoch meine eigene Ansicht von jenem widerlichen Geschäft – Politik –, ich hatte einen Blick hinter die Kulissen geworfen und hatte dort nichts als nacktes Gebein und Finsternis gesehen! Das genügte, um mich auf Lebenszeit von jeder Versuchung, mich an der Politik zu beteiligen, zu kurieren. Mein Ehrgeiz hatte sich einen geraden ruhigen, stillen Lebenspfad zum Ziel erwählt, wo ich mein Haupt ungefährdet aufrecht tragen und mein Gewissen vor Versuchung bewahren konnte. Aber rückblickend wollte es mir erscheinen, daß ich doch ziemlich kläglich gescheitert war; trotz der denkbar größten Reden und Vorbereitungen hatte ich nichts erreicht.

Am 25. des Monats sollte von Leith aus ein Schiff in See stechen, und unversehens erhielt ich den Rat, mein Bündel zu schnüren und mich nach Leyden auf den Weg zu machen. Zu Prestongrange konnte ich natürlich kein Wort äußern; ich hatte lange Zeit von seinem Hause und seinem Tisch gezehrt. Aber seiner Tochter gegenüber war ich offener; ich beklagte mein Los, außer Landes gehen zu müssen, und versicherte ihr, wenn sie es zuvor nicht ermöglichte, daß ich Catriona Lebewohl sagte, würde ich mich in letzter Stunde weigern.

»Hab ich Euch nicht meinen Rat erteilt?« forschte sie.

»Das habt Ihr in der Tat, und ich weiß auch, wie tief ich in Eurer Schuld stehe und daß ich zu gehorchen verpflichtet bin. Aber Ihr müßt selbst zugeben: mitunter seid Ihr allzu lose, als daß man Euch völlig trauen könnte.«

»Ich will Euch eines sagen. Seid um neun Uhr morgens an Bord; das Schiff fährt erst am Nachmittag. Sorgt, daß Euer Boot in der Nähe bleibe, und wenn Ihr dann nicht mit meinem Abschiedsgruß zufrieden seid, dürft ihr an Land zurückkehren und Kathrin persönlich aufsuchen.«

Mehr konnte ich nicht aus ihr herausbringen; also mußte ich mich damit zufrieden geben.

Endlich war der Tag da, an dem sie und ich uns trennen mußten. Wir waren einander recht nahegekommen; ich schuldete ihr großen Dank, und die Frage, wie wir auseinandergehen sollten, sowie die Frage nach den Trinkgeldern für die Dienerschaft beraubten mich meines Schlafes. Ich wußte, ich war in Barbaras Augen allzu schüchtern, und spürte daher eher den Wunsch, in dieser Hinsicht meinen Ruf zu heben. Außerdem mußte jede Steifheit nach so viel ostentativer (und, wie ich glaube, auch echter) Zuneigung kalt erscheinen. Also nahm ich meinen Mut in beide Hände, legte mir meine Rede zurecht und fragte sie, als wir voraussichtlich das letztemal allein waren, ob ich ihr zum Abschied einen Kuß geben dürfe.

»Ihr vergeßt Euch, Mr. Balfour, und setzt mich in Erstaunen. Wann hätte ich Euch im Laufe unserer Bekanntschaft das Recht gegeben, Euch irgendwelche Freiheiten zu gestatten?«

Da stand ich vor ihr wie eine Uhr, deren Gang man aufgehalten hat, und wußte nicht, was ich denken, geschweige denn sagen sollte, als sie plötzlich ihre Arme um meinen Nacken schlang und mich mit größter Herzlichkeit küßte.

»Du einziges Kind!« rief sie. »Meinst du, ich ließe uns wie Fremde auseinandergehen? Weil ich dir gegenüber keine fünf Minuten lang ernst bleiben kann, darfst du doch nicht glauben, ich hätte dich nicht sehr lieb! Ich bin ja ganz Liebe und Lachen, so oft ich dich nur ansehe! Und jetzt will ich dir als Abschluß meines Unterrichts einen Rat geben, den du gar bald wirst brauchen können: frage die Weiber nie erst um Erlaubnis. Sie können dann nicht anders, als mit Nein antworten; Gott hat das Mädel nicht erschaffen, das der Versuchung zu widerstehen vermöchte. Die Pfaffen glauben, das sei der Fluch Evas; weil sie nicht nein sagen konnte, als der Teufel ihr den Apfel anbot, vermögen ihre Töchter nichts anderes zu sagen.«

»Da ich so bald meine schöne Lehrmeisterin verlieren soll –«, begann ich.

»Das nenne ich in der Tat galant«, meinte sie mit einem Knicks.

»– möchte ich mir erlauben, eine Frage zu stellen: darf ich ein Mädchen fragen, ob sie mich heiraten will?«

»Du meinst, ohne diese Frage geht es nicht? Oder soll sie etwa das Angebot machen?«

»Ich sehe, Ihr könnt wirklich nicht ernst bleiben.«

»In einer Sache wirst du mich sehr ernst finden, David. Ich werde stets deine Freundin sein.«

Als ich am folgenden Morgen mein Pferd bestieg, standen alle vier Damen am Fenster, von dem aus sie Catriona beobachtet hatten, und alle vier riefen mir Lebewohl zu und winkten mit den Schnupftüchern, als ich davonritt. Von einer wußte ich, daß ihr der Abschied ehrlich schwer wurde; und in dem Gedanken daran und an die Verfassung, in der ich vor drei Monaten zum erstenmal an diese Tür geklopft hatte, packten mich Trauer und Dankbarkeit und führten in meinem Geiste einen wirren Kampf.

Einundzwanzigstes Kapitel


Die Reise nach Holland

Das Schiff lag nur an einem einzigen Ankertau weit draußen im Leither Hafen, und wir Passagiere mußten alle auf kleinen Booten hinübergerudert werden. Dies schaffte uns jedoch nur geringe Beschwer, denn das Meer war still und glatt und der Tag bitterkalt und trübe, mit einem tieflagernden wallenden Nebel über den Wassern. So kam es, daß der Rumpf des Schiffes vollständig verhüllt war, als ich mich ihm näherte; aber die hohen Spieren ragten klar und leuchtend wie flackernde Flammen in den Sonnenschein. Das Fahrzeug entpuppte sich als ein äußerst geräumiges, bequemes Kauffahrteischiff mit etwas plumpem Bug und war mit Salz, gepökeltem Lachs und feinen, weißen Leinenstrümpfen für die Holländer außerordentlich schwer beladen. Bei meiner Ankunft an Bord begrüßte mich der Kapitän – ein gewisser Mr. Sang – (aus Lesmahaga, wenn ich mich nicht irre) –, eine warmherzige, freundliche Teerjacke, die im Augenblick jedoch vollauf beschäftigt schien. Die anderen Passagiere waren noch nicht gekommen; ich wanderte daher einsam an Deck auf und ab, betrachtete die Aussicht und fragte mich des öfteren, worin wohl die mir verheißenen Abschiedsgrüße beständen.

Ganz Edinburg und die Hügel von Pentland schimmerten über mir in einer Art nebligen Glanz, und nur von Zeit zu Zeit verbargen sie Wolkenmassen; von Leith waren lediglich die Kaminfirste sichtbar, und den Wasserspiegel selbst deckten undurchdringliche Schwaden. Aus diesem Nichts heraus hörte ich plötzlich das Geräusch von Rudern, und kurz darauf tauchte (wie aus dem Rauch eines Feuers) ein Boot auf. Am Heck saß ein ernst blickender Mann, den zahlreiche Hüllen gegen die Kälte schützten, neben ihm eine hohe, hübsche, zarte Mädchengestalt, bei deren Anblick mein Herzschlag stockte. Kaum blieb mir Zeit, den Atem anzuhalten und mich für den Empfang zu stählen, da stand sie auch schon auf Deck, und ich ging ihr lachend und mit einer eleganten Verbeugung (weit eleganter als die, mit der ich zuerst Mylady, ihre Tante, begrüßt hatte) entgegen. Ohne Zweifel hatten wir uns beide stark verändert: sie schien hochaufgeschossen wie ein junger, schöner Baum und trug jetzt eine reizende Schüchternheit zur Schau, die ihr vortrefflich stand, als schätze sie sich selbst höher als zuvor und sei inzwischen ganz Weib geworden. Tatsache war, Miß Grant hatte veredelnd auf uns beide gewirkt.

Die gleiche Begrüßung entfuhr uns in fast den nämlichen Worten. Jeder glaubte vom andern, er sei um Abschied zu nehmen, an Bord gekommen, und jeder erkannte blitzartig, daß wir die Fahrt zusammen zurücklegen sollten.

»O, weshalb hat Baby mir das nicht gleich gesagt!« rief sie; dann fiel ihr ein, daß man ihr einen Brief gegeben hatte, mit der Bedingung, ihn erst an Bord zu öffnen. Er enthielt eine Einlage für mich selbst, die folgendermaßen lautete:

»Lieber David, was haltet Ihr von meinem Abschiedsgruß? Und was sagt Ihr zu Eurer Mitreisenden? Habt Ihr geküßt oder gefragt? Hier wollte ich bereits die Unterschrift hinzufügen, aber da fiel mir ein, daß das den Zweck meiner Frage im unklaren ließe; was mich betrifft, so kenne ich die Antwort. Also anschließend die guten Ratschläge! Seid nicht zu schüchtern und versucht um Gottes willen auch nicht, zu fürwitzig zu sein; nichts kleidet Euch schlechter. Womit ich verbleibe

Eure wohlgeneigte treue Freundin und Lehrmeisterin

Barbara Grant.«

Ich kritzelte ein Wort des Dankes und der Höflichkeit auf ein Blatt meines Notizbuches, legte einen Zettel von Catriona bei, versiegelte das Ganze mit meinem neuen Siegelring mit dem Balfourwappen und beförderte es durch Prestongranges Diener, der noch in meinem Boote wartete.

Dann erst hatten wir Zeit, uns in Muße zu betrachten, und noch war keine Minute verstrichen, als wir, auf gemeinsamen Impuls hin, einander noch einmal die Hand schüttelten.

»Catriona!« stieß ich hervor. Zu mehr reichte meine Beredsamkeit nicht.

»Ihr freut Euch, mich wiederzusehen?«

»Ich meine, das ist ein überflüssiges Wort; wir sind zu große Freunde, um derartige Nichtigkeiten zu reden.«

»Ist sie nicht das prächtigste Mädchen von der Welt?« hub sie von neuem an. »Noch nie habe ich ein so aufrichtiges, schönes Mädchen getroffen.«

»Und doch bedeutet ihr Alpin nicht mehr als ein Kohlstrunk.«

»Ach, das behauptet sie nur so!« rief Catriona. »Es war um des Adels und des guten, adeligen Blutes willen, daß sie mich aufnahm und so gut zu mir war.«

»Ich will Euch sagen, weshalb sie es tat«, entgegnete ich. »Es gibt alle möglichen Gesichter auf dieser Welt. Es gibt Barbaras Gesicht, das keiner ansehen kann, ohne es zu bewundern und sie für ein prächtiges, hochgemutes, munteres Mädchen zu halten. Und dann gibt es Euer Gesicht, das ganz anders ist – wie anders, weiß ich erst heute. Ihr könnt Euch selbst nicht sehen und den Unterschied begreifen; aber es war die Liebe zu Euerm Gesicht, die sie bewog, Euch aufzunehmen und gut zu Euch zu sein. Jeder Mensch würde das gleiche tun.«

»Jeder?«

»Jede lebende Seele.«

»Ach, das war also der Grund, weshalb die Soldaten auf dem Schlosse mich festhielten!«

»Barbara hat Euch gelehrt, mir Fallen zu stellen.«

»Sie hat mich auch noch anderes gelehrt. Zum Beispiel hat sie mir viel von einem Mr. David gesprochen – von allen seinen schlechten Eigenschaften und ein klein wenig auch von seinen guten«, sagte sie lächelnd. »Ja, sie wird mir von Mr. Balfour erzählt haben, was es zu erzählen gibt, nur nicht, daß er auf dem gleichen Schiffe wie ich fahren würde. Was ist eigentlich der Zweck Eurer Reise?«

Ich nannte ihn ihr.

»So,« meinte sie, »dann werden wir wohl einige Tage zusammenbleiben und endlich (vermutlich) auf immer auseinandergehen! Ich reise zu meinem Vater, an einen Ort namens Helvoetsluys, und von dort aus nach Frankreich, um mit unserem Häuptling das Exil zu teilen.«

Ich vermochte nur »O!« zu sagen; der Name James More genügte, um mir die Rede zu verschlagen.

Sie merkte das auf der Stelle und erriet einen Teil meiner Gedanken.

»Eines muß ich vor allem sagen, Mr. David. Ich glaube, zwei aus meiner Sippe haben nicht gut an Euch gehandelt. Der eine von beiden ist James More, mein Vater, und der andere ist der Herr von Prestongrange. Prestongrange wird sich selbst gerechtfertigt haben, oder seine Tochter hat es an seiner Statt getan. Und für meinen Vater, James More, möchte ich Folgendes sagen: er lag in Ketten im Gefängnis; er ist ein schlichter, ehrlicher Soldat und ein einfacher Hochlandsgentleman; worauf die anderen hinauswollten, hat er niemals erraten. Hätte er es jedoch gewußt, er hätte lieber den Tod erlitten als geduldet, daß einem jungen Gentleman wie Euch solches Unrecht geschehe. Und um all Eurer Freundschaft willen bitte ich Euch jetzt, meinem Vater und meiner Familie diesen Irrtum zu verzeihen.«

»Catriona,« entgegnete ich, »worin dieser Irrtum bestand, will ich niemals erfahren. Ich weiß nur das eine: Ihr seid zu Prestongrange gegangen und habt kniefällig um mein Leben gebeten. O, ich weiß genau, Ihr gingt um Eures Vaters willen; aber als Ihr dort waret, batet Ihr auch für mich. Zwei Dinge gibt es, die ich Euch nie vergessen kann: die guten Worte, die Ihr sprachet, als Ihr Euch meine kleine Freundin nanntet, und die Tatsache, daß Ihr um mein Leben flehtet. Zwischen uns beiden, Euch und mir, soll niemals wieder die Rede von Unrecht und Vergebung sein.«

Danach verharrten wir in Schweigen; Catriona betrachtete das Deck, und ich betrachtete sie, und noch ehe wir weiterredeten, sprang aus Nordwesten ein leichter Wind auf, die Mannschaft hißte die Segel, und der Anker wurde gelichtet.

Außer uns befanden sich noch sechs Passagiere an Bord; damit war das Schiff besetzt. Es waren drei solide Kaufleute aus Leith, Kirckaldy und Dundee, die alle in dem gleichen Unternehmen nach Süddeutschland reisten, ein Holländer, auf der Rückfahrt begriffen, und zwei brave Kaufmannsfrauen, deren Obhut Catriona anvertraut war. Mrs. Gebbie, so hieß die eine, hatte zum großen Glück ziemlich viel unter der Seekrankheit zu leiden und lag Tag und Nacht flach auf dem Rücken. Da wir, mit Ausnahme eines bleichgesichtigen Jungen, der meiner alten Pflicht, bei Tische aufzuwarten, oblag, die einzigen jungen Leute an Bord der »Rose« waren, blieben wir ziemlich viel allein. Bei Tisch saßen wir nebeneinander, und ich erwies Catriona mit größter Freude jede Aufmerksamkeit. Auf Deck bereitete ich ihr mit meinem Mantel ein weiches Lager, und da das Wetter für die betreffende Jahreszeit ungewöhnlich schön war, mit klaren, kalten Tagen und Nächten und einer stetigen, sanften Brise, zitterte auf der ganzen Fahrt durch die Nordsee kaum ein Segel, und wir saßen da (nur von Zeit zu Zeit auf und ab gehend, um warm zu bleiben) vom ersten Sonnenstrahl an bis acht oder neun Uhr nachts unter den hellen Sternen. Mitunter warfen uns die Kaufleute oder Kapitän Sang im Vorübergehen einen lächelnden Blick oder ein Scherzwort zu, die meiste Zeit jedoch waren sie eingehend in Gespräche über Heringe, Möbelkattune und Leinen vertieft oder berechneten die Länge der Fahrt und überließen uns unseren eigenen Angelegenheiten, die ja auch niemandem außer uns selbst wichtig dünkten.

Anfänglich hatten wir uns viel zu sagen und kamen uns dabei recht geistreich vor; ich gab mir erkleckliche Mühe, den Galan zu spielen und sie (wie ich glaube) die weltkluge, junge Dame. Aber bald wurden wir beide schlichter. Ich legte mein hochgeborenes, geschraubtes Englisch ab (sehr fest saß es ohnehin nicht) und vergaß meine Edinburger Reverenzen und Kratzfüße, und sie verfiel in eine Art Vertraulichkeit. Wir lebten zusammen wie Mitglieder einer Familie, nur bestand auf meiner Seite ein tieferes Gefühl. Gleichzeitig schien unseren Gesprächen gleichsam der Boden auszufallen, aber wir waren deswegen nicht weniger glücklich. Hin und wieder erzählte sie mir Altweibermärchen, von denen sie, vornehmlich durch meinen rothaarigen Freund Neil, eine erstaunliche Menge kannte und die sie wunderhübsch wiedergab. Wirklich waren es auch hübsche, kindliche Geschichten; aber mein größter Genuß war doch, ihrer Stimme zu lauschen und mir klarzumachen, daß sie mir erzählte, und daß ich zuhörte. Mitunter saßen wir auch in tiefstem Schweigen, ohne selbst durch einen Blick eine Verbindung herzustellen, und doch innig befriedigt von der Süße dieses Zusammenseins. Ich spreche in diesem Falle nur von mir selbst. Was in der Jungfrau Herzen vorging, danach fragte ich, glaube ich, nie, und was in dem meinen lebte, fürchtete ich mich zu betrachten. Ich brauche es weder dem Leser noch mir selbst zu verbergen: ich hatte mich rettungslos verliebt. Sie stand zwischen mir und der Sonne. Wie gesagt, sie war plötzlich gewachsen, aber es war ein freudiges Wachstum, ganz Gesundheit, Leichtigkeit und hoher Mut. Ja, mich dünkte, sie glich im Gehen einem jungen Hirsche und in der Ruhe einer Birke am Bergeshang. Ich war es sehr zufrieden, auf Deck neben ihr zu sitzen, und widmete der Zukunft tatsächlich keinen Gedanken. Ja, der augenblickliche Genuß war so erschöpfend, daß ich mir nicht die Mühe machte, weitere Schritte zu erwägen, es sei denn, daß ich mich mitunter versucht fühlte, ihre Hand zu ergreifen und sie in der meinen zu halten. Aber ich geizte allzusehr mit meinen gegenwärtigen Freuden, um sie durch irgendwelche Kühnheit aufs Spiel zu setzen.

Unser Gespräch drehte sich in der Hauptsache um uns selbst; wem es daher gelohnt hätte, uns zu belauschen, der hätte uns für die größten Egoisten von der Welt halten müssen. Eines Tages kamen wir auch auf Freunde und Freundschaft zu sprechen; das war, glaube ich, der Augenblick, in dem wir der eigentlichen Sache am nächsten waren. Wir betonten, welch schönes Ding doch die Freundschaft wäre, und wie wenig wir sie bisher gekannt hätten, und daß sie das ganze Leben erneuere, und tausend andere verschleierte Worte dieser Art, wie sie ohne Zweifel seit Erschaffung der Welt von jungen Menschen in unserer Lage gesagt worden sind. Dann wunderten wir uns über die Tatsache, daß Freunde einander anfangs so gegenüberträten, als lebten sie in jenem Augenblick zum ersten Male, und doch wären beide Teile herangewachsen und hätten ihre Zeit mit anderen vergeudet. »Ich habe bisher nicht viel erlebt,« sagte sie, »fünf Fünftel davon lassen sich in zwei, drei Worten zusammenfassen. Ich bin ja nur ein Mädchen, was kann sich schon im Leben eines Mädchens ereignen! Aber ich bin im Jahre ’45 mit dem Clan marschiert. Die Männer zogen mit Schwertern und Feuerschloßgewehren ins Feld, und etliche trugen gleiche Farben und waren zu Brigaden formiert. Ich sage Euch, da ließ keiner auf sich warten. Gentlemen aus dem Flachland waren dort mit ihren berittenen Pächtern und mit Trompeten; und die Kriegspfeifen bliesen laut und schrill. Ich ritt auf einem kleinen Hochlandpony zur rechten meines Vaters, James Mores, neben Glengyle selbst. Und das ist eines der schönsten Dinge, deren ich mich erinnern kann: Glengyle küßte mich ins Gesicht, »weil«, wie er sagte, »du, meine kleine Base, die einzige Dame bist, die mit dem Clan reitet.« Dabei war ich nur ein kleines Mädchen von zwölf Jahren. Ich habe auch Prinz Charlie gesehen und seine blauen Augen; o, er war ein schöner Mann! Und ich erhielt vor der ganzen Armee seine Hand zum Kuß. Ja, das waren herrliche Zeiten, aber nun ist alles wie ein Traum, den ich geträumt habe, und aus dem ich inzwischen erwacht bin. Ihr wißt ja, wie es ausging. Das waren die schlimmsten Zeiten von allen, als die Rotröcke nach uns fahndeten und mein Vater und meine Onkel in den Bergen verborgen lagen und ich ihnen um Mitternacht oder bei Morgengrauen, wenn die Hähne krähten, ihr Essen brachte. Ja, manches Mal bin ich mitten in der Nacht unterwegs gewesen, während das Herz mir aus Furcht vor der Dunkelheit schwoll. Es ist recht seltsam, daß mich niemals ein Gespenst erschreckt hat; aber man sagt ja, eine Jungfrau ginge unbehindert. Dann kam meines Onkels Heirat, und das war auch eine schreckliche Geschichte. Jean Kay war der Name der Frau; sie zwang mich in jener Nacht, in ihrer Kammer zu bleiben, in der Nacht zu Inversnaid, wo wir sie nach altem Brauch ihrer Sippe raubten. Jean war bereit und auch nicht bereit: den einen Augenblick war sie willens, Rob zu heiraten, und im nächsten wollte sie nichts von ihm wissen. Nie sah ich ein so hilfloses Geschöpf; wahrlich, ihr ganzes Sein hätte ihr doch Antwort geben müssen. Nun, sie war eine Witwe, und die sind in meinen Augen niemals gute Weiber.«

»Catriona,« sagte ich, »wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?«

»Ich weiß es nicht; ich sage Euch nur, was in meinem Herzen lebt. Einen zweiten Mann heiraten? Pfui! Aber so war sie; sie heiratete meinen Onkel Robin und ging eine Zeitlang mit ihm zur Kirche und auf den Markt, und dann bekam sie ihn satt, oder ihre Freunde beschwatzten sie, oder aber sie schämte sich der Sache. Jedenfalls lief sie ihm davon zu ihrer eigenen Sippe und sagte, wir hätten sie in den See getaucht und anderes, das ich Euch nie erzählen werde. Seitdem halte ich nicht viel von den Weibern. Und endlich wurde mein Vater, James More, ins Gefängnis geworfen, und den Rest kennt Ihr so gut wie ich.« »Und hattet Ihr während der ganzen Zeit keine Freundinnen?« forschte ich. »Nein, ich war von zwei, drei Mädels die Anführerin, aber Freundinnen waren es nicht.«

»Nun, meine Geschichte ist sehr einfach. Ich hatte nie einen Freund, bis ich Euch fand.«

»Und jener tapfere Mr. Stuart?«

»O ja, den hatte ich vergessen! Aber er ist ein Mann; das ist etwas ganz anderes.«

»Das will ich meinen«, antwortete sie. »Natürlich etwas anderes.« »Ja, und da war noch einer. Ich hielt ihn für einen Freund, aber es war eine Täuschung.« Sie fragte, wer es gewesen sei, »Wir beide waren die Bellen in meines Vaters Schule und glaubten einander zu lieben. Mit der Zeit ging er aber nach Glasgow und trat bei einem Kaufmann ins Geschäft, einem Vetter dritten Grades. Er schrieb mir zwei-, dreimal durch den Landboten und fand dann neue Freunde. Da konnte ich schreiben, bis ich müde war, niemals nahm er davon Notiz. Ja, Catriona, es brauchte lange Zeit, ehe ich das der Welt zu verzeihen vermochte. Nichts ist so bitter, als einen vermeintlichen Freund zu verlieren.«

Darauf fragte sie mich eingehend nach seinem Aussehen und Charakter – jeder nahm an allem, was den anderen betraf, innigen Anteil –, bis ich mich endlich, in einem unglücklichen Augenblick, seiner Briefe erinnerte und in die Kabine ging, um sie zu holen. »Hier sind seine Briefe,« sagte ich, »alle Briefe, die ich besitze. Das ist das Letzte, das ich Euch von mir erzählen kann; das Übrige kennt Ihr so gut wie ich.« »Wollt Ihr mir erlauben, sie zu lesen?« fragte sie. Ich sagte ja, wenn sie sich die Mühe machen wollte, und sie bat mich, sie allein zu lassen; sie wolle sie von Anfang bis zu Ende durchlesen. Aber in dem Bündel befanden sich nicht nur die Briefe meines treulosen Freundes, nein, auch einige Briefe, die mir Mr. Campbell von der Konsistoriumsversammlung aus geschrieben hatte, sowie, um die Liste zu vervollständigen, Catrionas kleines Billett und die beiden Billetts von Miß Grant, die ich auf der Insel Baß und hier auf dem Schiff erhalten hatte. Diese hatte ich jedoch im Augenblick vergessen. Der Gedanke an meine Freundin beherrschte mich so vollständig, daß es mir gleichgültig war, was ich tat, ja, es machte mir nur wenig aus, ob ich ihre Gegenwart genoß oder nicht; sie war mir ins Blut übergegangen wie eine Art edlen Fiebers, das ständig, Tag und Nacht, in meiner Brust brannte, ob ich nun wachte oder schlief. So kam es, daß ich, als ich mich erst einmal an den Schiffsbug begeben hatte, wo die breiten Planken klatschend in die Wogen tauchten, keine sonderliche Eile, zu ihr zurückzukehren, spürte. Ich zog vielmehr meine Abwesenheit in die Länge, wie um eine Art Freude auszukosten. Ich glaube kaum, daß ich von Natur aus ein Epikuräer bin; aber ich hatte bisher so wenig Freuden gekannt, daß ein Verweilen dabei vielleicht entschuldbar scheint.

Bei meiner Rückkehr spürte ich ein leichtes Mißbehagen, wie wenn etwas nicht ganz in Ordnung wäre, so kalt überreichte sie mir das Bündel.

»Habt Ihr sie gelesen?« fragte ich, und meine Stimme klang mir unnatürlich; ich zerbrach mir den Kopf, was Catriona wohl hätte.

»Wolltet Ihr, daß ich alle lesen sollte?« Gedrückt antwortete ich mit Ja.

»Den letzten Brief ebenfalls?« Jetzt wußte ich, wo wir standen; aber ich wollte ihr gegenüber nicht lügen. »Ich gab sie Euch alle, ohne mir etwas dabei zu denken, und nahm an, daß Ihr alle lesen würdet. Ich halte sie alle für harmlos.«

»Dann bin ich anders als Ihr. Ich danke Gott, daß ich anders bin. Es ziemte sich nicht, mir diesen Brief zu zeigen. Es ziemte sich nicht, daß er überhaupt geschrieben wurde.« »Ich glaube, Ihr sprecht von Eurer Freundin, Barbara Grant?« »Nichts ist so bitter, wie einen vermeintlichen Freund verlieren«, zitierte sie als Antwort.

»Ich glaube, mitunter ist die Freundschaft nur eingeredet!« rief ich. »Nennt Ihr das gerecht, mir wegen einiger Zeilen von der Hand eines tollen Mädchens die Schuld zu geben? Ihr wißt genau, wie achtungsvoll ich mich benahm und mich stets benehmen werde.« »Und doch habt Ihr mir diesen Brief gezeigt! Ich will von solchen Freunden nichts wissen. Ich kann auch ohne Barbara Grant – und ohne Euch – recht gut auskommen, Mr. Balfour.«

»Das nenn ich mir einen schönen Dank!«

»Ich bin Euch sehr verpflichtet«, sagte sie. »Ich bitte Euch, Eure Briefe zu entfernen.« Sie schien bei diesen Worten zu ersticken, und es klang wie ein Fluch. »Ihr sollt mich nicht zweimal darum bitten«, sagte ich, nahm das Bündel, trat ein paar Schritte vor und warf es, soweit wie nur möglich, in die See. Es fehlte nicht viel, und ich hätte mich selbst nachgeworfen. Den Rest des Tages ging ich wutschnaubend auf und ab. Als die Sonne versank, gab es wenige böse Worte, die ich Catriona in Gedanken nicht an den Kopf geworfen hatte. Alles, was mir je über den Hochländerstolz zu Ohren gekommen war, schien hier weit übertroffen. Daß ein Mädel, kaum erwachsen, eine Anspielung von seiten ihrer intimsten Freundin, deren Lob sie mir unermüdlich gesungen, übelnehmen konnte, ging doch zu weit! Meine Gedanken an sie waren hart und bitter wie die eines zornigen Knaben. Ich glaube, sie würde, wenn ich sie tatsächlich geküßt hätte, die Sache ziemlich gut aufgenommen haben; und nur weil dieser Gedanke in treffenden Scherzworten zu Papier gebracht worden war, redete sie sich in solchen lächerlichen Zorn hinein. Mir schien, als litte das ganze weibliche Geschlecht an einem Mangel an Einsicht, der selbst die Engel im Himmel über uns arme Männer zum Weinen bringen mußte.

Beim Abendessen saßen wir wieder nebeneinander, aber welche Veränderung von ihrer Seite! Zu mir war sie wie saure Milch; ihr Gesicht war das einer Holzpuppe. Ich hätte sie schlagen oder mich vor ihr im Staube krümmen mögen, aber sie bot mir zu beiden Möglichkeiten nicht den geringsten Anlaß. Kaum war die Mahlzeit zu Ende, da begab sie sich zu Mrs. Gebbie, die sie, glaube ich, bisher etwas vernachlässigt hatte. Aber nun holte sie das Versäumte nach, und den Rest der Überfahrt erwies sie der alten Dame die größte Aufmerksamkeit und schien sich auf Deck, mehr als mir klug dünkte, mit Kapitän Sang einzulassen. Zwar schien der Kapitän ein würdiger, väterlicher Mann, aber ich haßte es, irgend jemanden außer mir selbst vertraulich mit ihr umgehen zu sehen.

Kurz, sie wich mir geschickt aus und wußte sich so hartnäckig von Fremden zu umgeben, daß ich lange warten mußte, bis ich Gelegenheit, sie zu sprechen, fand; und selbst dann scheiterte ich, wie man gleich hören wird, ziemlich kläglich. »Ich ahne nicht, wodurch ich Euch beleidigt habe,« hub ich an, »daher dürfte das Vergehen kaum unverzeihlich sein. O, versucht doch, mir zu vergeben!«

»Ich habe nichts zu vergeben«, lautete die Antwort, und die Worte kamen hart wie Marmelsteine aus ihrer Kehle. »Ich bin Euch für all Eure Freundschaft sehr verpflichtet.« Damit schenkte sie mir den achten Teil eines Knickses.

Aber ich hatte mich darauf gefaßt, mehr zu sagen, und war auch entschlossen, es zu tun.

»Vor allem eins: wenn ich durch das Vorzeigen jenes Briefes Euer Anstandsgefühl verletzt habe, kann das doch Miß Grant in keiner Weise berühren. Sie schrieb nicht an Euch, sondern an einen ganz gewöhnlichen, armen Burschen, der mehr Verstand hätte haben müssen, als den Brief Euch zu zeigen. Wenn Ihr also mir die Schuld zumesset…«

»Ich rate Euch, unter keinen Umständen ein Wort mehr von diesem Mädchen zu sprechen!« rief Catriona. »Ich würde sie nicht ansehen, und wenn sie im Sterben läge.« Damit wandte sie sich von mir ab und drehte sich dann plötzlich noch einmal um. »Wollt Ihr schwören, nichts mehr mit ihr zu tun zu haben?« fragte sie.

»Nein, nie und nimmer werde ich so ungerecht und so undankbar sein«, erwiderte ich.

Und jetzt war ich es, der sich wegwandte.

Zweiundzwanzigstes Kapitel


Helvoetsluys

Gegen Ende der Reise verschlimmerte sich das Wetter beträchtlich; der Wind sang in den Wanten, die See ging höher und höher, und das Schiff begann unter der Wucht der Wellen zu schlingern und zu stöhnen. Der Ruf des Lotsen an den Ankerketten tönte fast unablässig, ständig mußten wir unseren Weg zwischen Sandbänken suchen. Etwa um neun Uhr morgens, während eines flüchtigen Durchbruchs der Sonne zwischen zwei Hagelschauern, warf ich meinen ersten Blick auf Holland, – eine Reihe Windmühlen, die sich im Seewind drehten. Es war auch das erstemal, daß ich eine dieser tollen Baulichkeiten zu Gesicht bekam, und das Bewußtsein fremder Länder und einer neuen Welt und neuen Lebens wurde in mir wach. Etwa um halb zwölf Uhr vormittags gingen wir außerhalb des Hafens von Helvoetsluys vor Anker, an einer Stelle, wo sich von Zeit zu Zeit die Wellen brachen und unser Schiff wild umherschleuderten. Es versteht sich von selbst, daß wir alle, mit Ausnahme von Mrs. Gebbie, auf Deck waren, teils in Mänteln, teils in Öltücher gehüllt; dort hielten wir uns an den Tauen fest und suchten nach Möglichkeit, wie erfahrene Seeleute, über die Lage zu scherzen.

Bald danach tastete sich ein Boot mit dem Rückenpanzer einer Seekrabbe vorsichtig an uns heran, der Führer rief unserem Kapitän auf holländisch etwas zu. Darauf wandte sich Kapitän Sang mit sehr besorgtem Ausdruck an Catriona und setzte uns, die wir ihn umringten, auseinander, welche Schwierigkeiten es zu bewältigen gälte. Die »Rose« war nach Rotterdam bestimmt, wohin die anderen Passagiere möglichst schnell gelangen wollten, da noch am selben Abend ein Schiff nach Deutschland abging. Bei dem gegenwärtigen stürmischen Wind, erklärte der Kapitän, könne er, wenn hier keine Zeit versäumt würde, das Ziel noch rechtzeitig erreichen. James More hatte sich aber mit seiner Tochter in Helvoet ein Rendezvous gegeben, und der Kapitän hatte sich verpflichtet, am dortigen Hafen anzulegen und Catriona (dem Brauche gemäß) ausbooten zu lassen. Das Boot war ja auch zur Stelle, Catriona war bereit; aber sowohl der Kapitän wie der holländische Bootsführer scheuten sich, ein derartiges Risiko auf sich zu nehmen, und ersterer war nicht geneigt, zu warten.

»Euer Vater würde wenig entzückt sein, wenn Ihr durch unsere Schuld ein Bein brächet, Miß Drummond, oder wenn wir gar zusähen, wie Ihr ertränket. Laßt Euch von mir raten: fahrt mit uns andern nach Rotterdam. Von dort könnt Ihr in einem Schnellsegler die Maas hinunter bis Brill fahren und weiter in einem Postwagen nach Helvoet zurück.«

Aber Catriona wollte von keiner Änderung ihrer Reisepläne hören. Sie erbleichte, als sie den hoch sprühenden Gischt sah, die grünen Wogen, die mitunter über dem Vorkastell zusammenbrachen, und das Boot, das unablässig auf den Wellenkämmen tanzte und schaukelte, aber sie hielt an ihres Vaters Befehl fest. »Mein Vater, James More, hat es so bestimmt«, war ihr erstes und letztes Wort. Mich dünkte es sehr töricht, ja leichtsinnig von dem Mädchen, sich so wörtlich an eine Verabredung zu halten und so dringlichem, freundschaftlichen Rat entgegenzuhandeln; in Wahrheit jedoch hatte sie dafür einen sehr guten Grund, wenn wir es nur gewußt hätten. Schnellsegler und Postwagen sind zwar vortreffliche Dinge, wollen aber im voraus bezahlt werden, und Catrionas ganzes Hab und Gut betrug zwei Schillinge und sechs Pence Sterling. So kam es, daß der Kapitän und die Passagiere in Unkenntnis ihrer Armut, die sie zu stolz war, einzugestehen, umsonst redeten.

»Aber Ihr könnt ja weder Französisch noch Holländisch«, bemerkte der eine.

»Wahr, aber seit dem Jahre ’46 halten sich so viele brave Schotten im Ausland auf, daß ich recht gut durchkommen werde, danke.«

In diesen Worten lag eine so reizende, ländliche Einfalt, daß einige lächelten und andere ernster denn je dreinschauten, und Mr. Gebbie erhielt einen regelrechten Wutanfall. Ich glaube, er wußte genau, daß es seine Pflicht war, da seine Frau die Verantwortung für das Mädchen übernommen hatte, Catriona an Land und in Sicherheit zu bringen; dazu hätten ihn aber keine zehn Pferde gebracht, da das die Versäumnis seines Anschlusses bedeutete; vermutlich erstickte er daher die Stimme des Gewissens durch lautes Poltern. Endlich wandte er sich wutschnaubend gegen Kapitän Sang, behauptete, das Ganze wäre eine Schande, und jetzt das Schiff verlassen, hieße dem Tod in die Arme laufen; unter keinen Umständen könnten wir ein unschuldiges Mädchen einem Boot voll widerlicher holländischer Fischer ausliefern und sie dann ihrem Schicksal überlassen. Ich dachte ungefähr das Gleiche, zog den Maat beiseite, vereinbarte mit ihm, mein Gepäck durch ein Treidelboot an eine angegebene Adresse in Leyden nachzusenden, und trat vor und machte den Fischern ein Zeichen.

»Ich werde mit der jungen Dame an Land gehen, Kapitän Sang«, sagte ich. »Es ist mir ganz gleich, auf welche Weise ich Leyden erreiche«, damit sprang ich mit solcher Eleganz in das Boot, daß ich zwei von den Fischern mit mir zu Boden riß.

Von unten aus erschien die Sache noch gefährlicher als von Deck, so hoch über uns ragte das Schiff, so heftig waren seine Bewegungen, und so sehr bedrohte es uns durch sein Stampfen und Reißen am Ankerkabel. Ich fing an zu glauben, ich hätte einen Narrenstreich begangen – es schien mir schier unmöglich, daß Catriona mir nachfolgen könnte –, und daß ich ganz allein in Helvoet an Land gehen müßte, ohne andere Aussicht auf Lohn als die Freude, James More in die Arme zu schließen, falls ich dazu Lust verspürte. Aber ich hatte ohne des Mädchens Mut gerechnet. Sie hatte gesehen wie ich, scheinbar fast ohne zu zögern (ganz gleich, welches meine wahren Gefühle waren), hinabgesprungen war und wollte, koste es, was es wolle, nicht hinter ihrem verschmähten Freunde zurückstehen. Da stand sie auf der Reeling und hielt sich an dem Gestänge fest, während der Wind ihre Röcke zauste – ein Umstand, der das Unterfangen noch gefährlicher gestaltete –, dabei zeigte sie uns ein wenig mehr von ihren Strümpfen, als in einer Stadt gerade für vornehm gegolten hätte. Es gab keine Minute zu verlieren, und uns blieb auch keine Zeit, uns einzumischen, vorausgesetzt, daß wir den Wunsch dazu gehabt hätten. Ich breitete unten meine Arme aus; das Schiff tauchte zu uns herab, der Patron schob sein Boot etwas näher heran, als mit unserer Sicherheit so ganz vereinbar war, und Catriona sprang in die Luft. Ich war so glücklich, sie aufzufangen, und wir entgingen, da die Schiffer uns bereitwillig stützten, einem Fall. Einen Augenblick klammerte sie sich, schwer und tief Atem holend, an mich, dann half uns der Steuermann an unsere Plätze, und unter den Hurrarufen und Abschiedsgrüßen Kapitän Sangs und der Passagiere hielt das Boot auf die Küste zu.

Kaum, hatte Catriona sich ein wenig gefaßt, als sie wortlos meine Hand losließ. Auch ich sprach kein Wort, ja das Pfeifen des Windes und der Sprühregen machten Sprechen fast unmöglich; unsere Besatzung gab sich die denkbar größte Mühe, kam aber nur sehr langsam vorwärts, und die »Rose« war bereits wieder unterwegs, ehe wir die Hafenmündung erreichten.

Sobald wir in ruhigem Wasser fuhren, hielt der Patron, der abscheulichen holländischen Sitte gemäß, das Boot an und verlangte von uns das Fahrgeld. Der Mann forderte zwei Guilders – etwa drei bis vier englische Schillinge – pro Fahrgast. Da aber begann Catriona sehr aufgeregt zu protestieren. Sie erklärte, sie hätte sich bei Kapitän Sang nach dem Preis erkundigt; er betrüge nur einen Schilling englisch. »Glaubt Ihr, ich wäre, ohne vorher zu fragen, an Bord gekommen?« rief sie. Der Patron antwortete schimpfend in einem Dialekt, der reichlich mit englischen Flüchen untermischt, sonst aber gut holländisch war, bis ich dem Schelm heimlich sechs Schillinge in die Hand drückte, da ich erkannte, daß das Mädchen den Tränen nahe war, worauf er die Güte hatte, ohne weitere Beschwerden von ihr den verbleibenden Schilling anzunehmen. Fraglos war ich ziemlich gereizt und beschämt. Ich liebte Sparsamkeit, nicht aber, wenn sie zur Leidenschaft wurde; als das Boot sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, fragte ich Catriona daher in zweifellos recht kühlem Tone, wo sie ihren Vater zu treffen gedächte.

»Ich soll mich nach ihm im Hause eines gewissen Sprott erkundigen, der ein ehrlicher schottischer Kaufmann ist«, entgegnete sie und fügte im gleichen Atemzuge hinzu: »Ich möchte Euch recht herzlich danken – Ihr habt an mir als wackerer Freund gehandelt.«

»Dazu ist noch Zeit genug, wenn ich Euch zu Eurem Vater gebracht habe«, antwortete ich, ohne zu ahnen, wie wahr ich sprach. »Ich habe ihm eine prächtige Geschichte von einer treuen Tochter zu erzählen.«

»O, ich glaube, ich bin kein treues Mädchen«, rief sie mit sehr schmerzlichem Ausdruck. »Ich glaube, im Herzen bin ich gar nicht treu.«

»Sehr wenige Menschen hätten jenen Sprung gewagt, nur um eines Vaters Befehl zu gehorchen«, bemerkte ich.

»Ich kann nicht dulden, daß Ihr solches von mir denkt«, rief sie von neuem. »Wie konnte ich zurückbleiben, da Ihr vor mir das Gleiche getan hattet? Jedenfalls war Treue nicht der einzige Grund.« Und brennenden Antlitzes schilderte sie mir offen ihre Armut.

»Gott im Himmel, was ist das für ein tolles Unterfangen, sich mit leerem Beutel auf dem europäischen Kontinent absetzen zu lassen – das ist in meinen Augen kaum anständig – kaum anständig!« wiederholte ich aufgeregt.

»Ihr vergeßt, James More, mein Vater, ist ein armer Gentleman. Er ist ein gehetzter Verbannter.«

»Aber all Eure Freunde sind, soviel ich weiß, nicht gehetzte Verbannte«, rief ich aus. »Ist das gerecht gegen die gehandelt, denen Ihr teuer seid? Ist es gerecht gegen mich? Gerecht gegen Miß Grant, die Euch den Rat, zu fahren, gab, und die fuchsteufelswild wäre, wenn sie davon wüßte? War es selbst gegen diese Gregorys gerecht, mit denen Ihr zusammenlebtet, und die sehr gütig zu Euch waren? Es ist ein Segen, daß Ihr in meine Hände fielet. Wenn nun Euer Vater durch irgendeinen Zufall verhindert wäre, was sollte wohl aus Euch werden, falls Ihr Euch mutterseelenallein in einem fremden Ort befändet? Schon der Gedanke macht mir Angst.«

»Ich habe sie alle belogen«, erwiderte sie. »Ich sagte allen, ich hätte reichlich Geld. Ich sagte es auch ›ihr.‹ Ich konnte James More in ihren Augen nicht herabsetzen.«

Später entdeckte ich, daß sie ihn selbst bis in den Staub herabgesetzt haben mußte; die Lüge war ursprünglich von dem Vater, nicht von der Tochter ausgegangen, und sie war gezwungen gewesen, des Mannes Ruf zu decken. Im Augenblick wußte ich jedoch nichts hiervon; bereits der Gedanke, in welche Not und Gefahr sie hätte geraten können, genügte, um mich über die Maßen zu irritieren.

»Ja, ja,« antwortete ich, »Ihr müßt lernen, mehr Vernunft anzunehmen.«

Ich ließ ihr Gepäck vorübergehend in einem Wirtshaus am Strande, wo ich mich auch in meinem neuen Französisch nach Sprotts Wohnung erkundigte. Wir gingen zu Fuß dorthin – sie lag eine ganze Strecke entfernt – und staunten im Gehen den Ort an. Es gab hier für Schotten wirklich viel zu bewundern: Kanäle und Bäume zwischen den einzelnen Häusern; Häuser, jedes für sich abgeschlossen, aus schönen roten, rosenfarbenen Ziegeln mit Treppen und Bänken aus blauem Marmor an jeder Türschwelle, das ganze Städtchen so sauber, daß man von der Straße hätte essen können. Sprott saß zu Hause über seinen Rechnungsbüchern, in einem niederen, sehr ordentlichen, properen Wohnzimmer, das ganz mit Porzellan und Bildern und mit einem Globus in messingnem Rahmen ausgeschmückt war. Er war ein pausbäckiger, kräftiger, vollblütiger Mann mit einem harten, unehrlichen Ausdruck und hatte nicht einmal die Höflichkeit, uns einen Stuhl anzubieten.

»Ist James More McGregor zur Zeit in Helvoet, Sir?« erkundigte ich mich.

»Ich kenne niemanden jenes Namens«, entgegnete er ungeduldig.

»Da Ihr es so genau nehmt,« antwortete ich, »werde ich meine Frage vervollständigen und mich bei Euch erkundigen, ob in Helvoet ein gewisser James Drummond, alias McGregor, alias James More, weiland Pächter in Inveronachile, zu finden ist?«

»Sir,« erwiderte er, »er kann meinetwegen in der Hölle sein, was weiß ich; ich persönlich wünsche, er wäre es.«

»Diese junge Dame hier ist jenes Gentlemans Tochter, Sir,« sagte ich, »und Ihr werdet, nehme ich an, mit mir übereinstimmen, daß es nicht gerade der Schicklichkeit entspricht, sich in ihrer Gegenwart über seinen Charakter zu äußern.«

»Ich habe weder mit ihm noch mit ihr noch mit Euch selbst was zu schaffen!« schrie er mit seiner groben Stimme.

»Mit Verlaub, Mr. Sprott,« entgegnete ich, »diese junge Dame ist aus Schottland gekommen, um ihn aufzusuchen und erhielt, einerlei durch welchen Irrtum, Euer Haus als seine Adresse angegeben. Es scheint hier in der Tat ein Irrtum vorzuliegen, aber ich glaube, das legt sowohl Euch wie mir – der ich zufällig einer ihrer Mitreisenden bin – die starke Verpflichtung auf, unserer Landsmännin zu helfen.«

»Wollt Ihr mich noch verrückt machen?« schrie er. »Ich sage Euch ja, ich weiß nichts von ihm seiner Brut und frage noch weniger danach. Ich sage Euch, der Mann ist mir Geld schuldig.»

»Das kann sehr leicht möglich sein«, entgegnete ich, jetzt noch um einen Grad aufgebrachter als er. »Ich aber zum mindesten schulde Euch nichts; diese junge Dame steht unter meinem Schutz, und ich bin derartige Manieren weder gewöhnt, noch bin ich gesonnen, sie mir gefallen zu lassen.«

Als ich mit diesen Worten, ohne mir etwas dabei zu denken, ein, zwei Schritt näher trat, bemerkte ich, daß ich durch schieres Glück das einzige Mittel entdeckt hatte, das den Mann irgendwie zu berühren vermochte. Das Blut wich aus seinem roten, gesunden Gesicht.

»Um des Himmels willen, nicht so hastig, Sir!« stieß er hervor. »Ich habe wahrhaftig nicht die Absicht, jemanden zu beleidigen. Aber Ihr wißt schon, Sir, ich gehöre zu den gutmütigen, ehrlichen, vorsichtigen alten Rauhbeinen. Wenn man mich hört, könnte man fast meinen, ich sei ein wenig sauertöpfisch; aber nein, nein, im Grund seines Herzens ist Sandie Sprott ein guter alter Kerl! Und Ihr könnt Euch nicht denken, welchen Ärger ich schon mit jenem Mann gehabt habe.«

»Gut, Sir, dann werde ich Eure Güte so weit in Anspruch nehmen, Euch um die letzten Nachrichten von Mr. Drummond zu bitten.«

»Herzlich gern, Sir! Und was die junge Dame betrifft (respektvollsten Diener!), so wird er sie rein vergessen haben. Sie begreifen, ich kenne den Mann; ich habe schon früher Geld an ihn verloren. Er denkt an niemand als an sich selbst; Clan, König und Tochter, er ließe sie und seinen Geschäftsfreund im Stich, um nur erst sein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Gewissermaßen bin ich sein Geschäftsfreund. Tatsache ist, wir sind zusammen an einem Unternehmen beteiligt, und es scheint mir ganz so, als sollte das Sandie Sprott teuer zu stehen kommen. Der Mann ist so gut wie mein Teilhaber, trotzdem geb ich Euch mein Wort, daß ich nicht weiß, wo er steckt. Vielleicht ist er auf dem Wege nach Helvoet; vielleicht kommt er morgen, vielleicht in einem Jahr. Ich werde mich über nichts in der Welt mehr wundern, nur noch über das eine: wenn ich mein Geld zurückerhalte. Ihr seht also, wie’s um mich steht und daß ich keine große Lust habe, mich um die junge Dame zu kümmern, wie Ihr sie nennt. Hier kann sie nicht bleiben, das ist sicher. Bei Gott, Sir, ich bin Junggeselle! Wenn ich sie bei mir aufnähme, der Teufelskerl bekäm’s fertig und zwänge mich bei seiner Rückkehr, sie zu heiraten!«

»Genug von diesem Geschwätz«, sagte ich. »Ich werde die junge Dame zu besseren Freunden bringen. Gebt mir Feder, Tinte und Papier, und ich werde James More die Adresse meines Leydener Korrespondenten dalassen. Er kann sich bei mir erkundigen, wo seine Tochter zu finden ist.«

Ich schrieb und versiegelte einen Zettel dieses Inhalts, während Sprott von sich aus das willkommene Angebot machte, die Sorge für Miß Drummonds Gepäck zu übernehmen, ja einen Träger nach dem Gasthaus zu senden. Zu diesem Zweck händigte ich ihm als Deckung ein paar Taler aus, und er überreichte mir dafür eine schriftliche Quittung.

Darauf bot ich Catriona meinen Arm, und wir verließen zusammen das Haus dieses unausstehlichen Gauners. Sie hatte während der ganzen Zeit kein Wort gesprochen und mir statt dessen das Reden und das Handeln überlassen; ich meinerseits hatte mir Mühe gegeben, sie durch keinen Blick in Verlegenheit zu setzen. Und selbst jetzt war es meine Sorge, vollkommen unbefangen zu erscheinen, obwohl mein Herz vor Scham und Zorn stillzustehen drohte.

»So,« sagte ich, »jetzt wollen wir in das Wirtshaus zurückkehren, in dem man französisch spricht, zu Mittag essen und uns nach einer Reisemöglichkeit nach Rotterdam erkundigen. Ich werde keine Ruhe haben, bis ich Euch wieder sicher in Mrs. Gebbies Händen weiß.«

»Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben,« meinte Catriona, »obwohl ich kaum glaube, daß sie sich darüber freuen wird. Ich möchte Euch auch noch einmal daran erinnern, daß ich nur einen Schilling und sechs Pence besitze.«

»Und ich sage nochmals, es ist ein Segen, daß ich Euch an Land begleitete.«

»Meint Ihr, ich hätte die ganze Zeit an etwas anderes denken können?« entgegnete sie und lehnte sich, wie mich dünkte, etwas stärker auf meinen Arm. »Ihr seid mir ein treuer Freund.«

Dreiundzwanzigstes Kapitel


Wanderungen durch Holland

Der Postwagen, ein langes Gefährt mit Reihen von Bänken, brachte uns in vier Stunden nach der großen Stadt Rotterdam. Es war inzwischen längst dunkel geworden, aber die Straßen waren ziemlich hell erleuchtet und gedrängt voll wilder, fremdländischer Gestalten – bärtiger Hebräer, Neger und Scharen von Kurtisanen, die äußerst unanständig aufgeputzt waren und Seeleute am Ärmel festhielten. Das Schreien und Reden dröhnte uns in den Ohren, und, was das Erstaunliche von allem war: all diese Ausländer schienen auf uns ebensowenig Eindruck zu machen, wie wir auf sie. Um des Mädchens willen hatte ich das zuversichtlichste Gesicht von der Welt aufgesetzt; in Wahrheit jedoch kam ich mir wie ein verirrtes Schäfchen vor, und das Herz klopfte mir vor lauter Sorge. Ein-, zweimal erkundigte ich mich am Hafen nach dem Ankerplatz der »Rose«; allein ich geriet entweder an jemanden, der nur Holländisch sprach, oder mein eigenes Französisch versagte. Als ich auf gut Glück in eine Straße einbog, stieß ich auf eine Flucht erleuchteter Häuser, deren Türen und Fenster voll geschminkter, zweifelhafter Weiber waren; sie drängten und stießen uns im Vorübergehen, und ich war froh, daß wir ihre Sprache nicht verstanden. Bald danach kamen wir auf einen freien Platz am Hafen.

»Jetzt sind wir endlich am Ziel!« rief ich, als ich die Masten gewahrte. »Wir wollen hier am Hafen auf und ab spazieren. Da werden wir sicherlich bald jemanden treffen, der Englisch spricht; ja, wenn wir Glück haben, finden wir unser Schiff.«

Der Zufall wollte es, daß sich das Nächstbeste ereignete. Wem liefen wir so um neun Uhr abends in die Arme? Niemandem anderen als Kapitän Sang! Er berichtete, sie hätten die Fahrt in unglaublich kurzer Zeit zurückgelegt, da der kräftige Wind sie bis zu dem Hafen geleitet hätte; dadurch wäre es sämtlichen Passagieren noch möglich gewesen, sich auf die Weiterreise zu begeben. Wir konnten aber unmöglich den Gebbies bis nach Süddeutschland nachjagen und hatten hier keinen Bekannten, an den wir uns halten konnten, außer Kapitän Sang. Um so froher waren wir, als dieser sich sehr freundlich und hilfsbereit zeigte. Er erklärte, es wäre eine Kleinigkeit, eine einfache und anständige Kaufmannsfamilie zu finden, bei der Catriona bis zur Neuladung der »Rose« wohnen könnte, und daß er Fräulein Drummond mit Freuden umsonst nach Leith zurückbringen und wohlbehalten Mr. Gregory abliefern würde. Inzwischen führte er uns in eine Nachtkneipe, um uns zu einer Mahlzeit zu verhelfen, derer wir beide sehr bedürftig waren. Wie gesagt, er schien sehr freundlich und hilfsbereit, zu meiner Überraschung jedoch auch etwas ausgelassen, und der Grund hierfür wurde bald offenbar. In der Gaststätte bestellte er sofort Rheinwein, den er in reichlichen Mengen hinunterspülte, und wurde bald grenzenlos betrunken. Dabei verließ ihn, wie das bei vielen Männern, vornehmlich aber bei Männern seines rauhen Handwerks, nur allzu häufig der Fall ist, auch der letzte Rest von Manieren. Sein Benehmen der jungen Dame gegenüber war skandalös; er scherzte in der unflätigsten Weise über das Bild, das sie abgegeben hätte, als sie auf der Schiffsreeling stand, und mir blieb daher nichts übrig, als mich heimlich mit ihr zu entfernen. Als wir das Speisehaus verließen, klammerte sie sich krampfhaft an meinen Arm. »Führt mich fort von hier, David«, sagte sie. »Laßt mich bei Euch sein. Vor Euch habe ich keine Angst.« »Und habt dazu auch keine Ursache, meine kleine Freundin!« rief ich laut, im Stillen jedoch hätte ich weinen können. »Wo wollt Ihr mich jetzt hinführen?« forschte sie weiter. »Was Ihr auch tut, verlaßt mich nicht, verlaßt mich bitte nie.« »Ja, wo soll ich Euch hinführen?« wiederholte ich und hielt im Gehen inne – bislang war ich blind drauflos marschiert. »Ich muß ein Weilchen stehenbleiben und nachdenken. Ich werde Euch nie verlassen, Catriona; der Herrgott tue mir das Gleiche, ja, strafe mich noch härter, wenn ich Euch im Stich lasse oder kränke.« Als Antwort preßte sie sich noch enger an mich.

»Hier«, sagte ich, »ist der stillste Platz, den wir in dieser lauten, geschäftigen Stadt gefunden haben. Wir wollen uns unter jenem Baume niederlassen und unsere Lage bedenken.«

Der Baum (den ich so bald nicht vergessen werde) stand dicht am Hafenrand. Die Nacht war dunkel, aber in den Häusern und auf den schweigenden Schiffen in unserer Nähe brannte noch Licht; uns zur Rechten schimmerte der Lichterglanz der Stadt, und über ihr schwebte das Summen vieler Tausender von in Bewegung und im Gespräch befindlichen Menschen; zur Linken lag Dunkelheit und das glucksende Wasser. Ich breitete meinen Mantel über einen Stein und hieß Catriona sich niedersetzen; sie wollte sich auch weiterhin an mich klammern, so heftig zitterten die Beleidigungen in ihr nach, aber mir lag daran, meine Gedanken zu ordnen; daher machte ich mich von ihr los und vollführte vor ihr einen Schmugglermarsch, wie wir es nennen – immer auf und ab gehend und mir den Kopf nach einem Ausweg zerbrechend. Während ich hin und her überlegte, fiel mir ein, daß ich in der Eile und Hast unseres Aufbruchs es Kapitän Sang überlassen hatte, für uns die Zeche zu bezahlen. Ich mußte laut auflachen; meiner Meinung nach geschah es dem Manne ganz recht; gleichzeitig fuhr ich instinktiv mit der Hand in die Tasche, in der ich mein Geld aufbewahrte. Wahrscheinlich war mir die Sache in der Gasse zugestoßen, als die Weiber uns anrempelten; das eine war gewiß: ich hatte meine Börse verloren. »Ihr habt soeben einen guten Gedanken gehabt«, sagte Catriona, als sie merkte, wie ich stutzte.

In der Klemme, in der wir uns jetzt befanden, sah ich plötzlich ganz klar wie durch ein Fernrohr, daß uns keine Wahl übrigblieb. Ich besaß keinen Groschen Bargeld, aber in meiner Brieftasche ruhte mein Kreditbrief auf das Leydener Bankhaus. Es gab nur eine Möglichkeit, dorthin zu gelangen: unsere zwei Paar Füße. »Catriona,« sagte ich, »ich kenne Euch als ein tapferes und kräftiges Mädchen – glaubt Ihr, Ihr könntet auf ebener Landstraße dreißig Meilen wandern?« Es stellte sich später heraus, daß die Entfernung nur zwei Drittel davon betrug, aber ich glaubte, der Weg wäre so weit. »David,« entgegnete sie, »wenn Ihr mich in Eurer Nähe behaltet, will ich überall hingehen und alles tun, was Ihr wollt. Mir ist der Mut ganz gebrochen. Laßt mich nur nicht in dieser furchtbaren Stadt allein; sonst ist mir alles recht.« »Könnt Ihr jetzt aufbrechen und die Nacht über marschieren?« »Ich will alles tun, was Ihr von mir verlangt, und Euch niemals nach dem Grunde fragen. Ich habe mich Euch gegenüber als schlechtes, undankbares Mädchen gezeigt; macht jetzt mit mir, was Ihr wollt! Ich finde auch, Miß Grant ist das beste Fräulein von der Welt«, fügte sie hinzu, »und sehe nicht ein, weshalb sie Euch verleugnet hat.« Das war für mich Griechisch und Hebräisch, aber ich hatte anderes zu bedenken. Vor allem mußten wir aus der Stadt heraus auf die Leydener Heerstraße. Das erwies sich als ein hartes Problem, und es mochte ein bis zwei Uhr nachts geworden sein, ehe wir die glückliche Lösung fanden. Sobald die Häuser hinter uns lagen, hatten wir nichts, das uns als Wegzeichen dienen konnte, weder Mond noch Sterne, nur das weiße Band der Straße inmitten zweier schwarzer Seitenwege. Außerdem gestaltete sich das Gehen zu einer ungemeinen Schwierigkeit infolge eines eisigen Nachtfrostes, der ganz plötzlich nach Mitternacht eingesetzt und die Landstraße in eine einzige, lange Rutschbahn verwandelt hatte.

»Nun, Catriona,« bemerkte ich, »jetzt gleichen wir den Königssöhnen und den Töchtern der alten Hexe aus Euren wunderlichen Hochlandssagen. Bald wandern auch wir über die ›sieben Berge, die lieben Täler und die sieben Sümpfe‹ .« Das war so eine Redensart, die immer wieder in ihren Märchen vorkam, und die ich mir gemerkt hatte.

»Ja,« entgegnete sie, »nur gibt es hier keine Berge und Täler! Aber ich will nicht leugnen, einige der Bäume und der Ortschaften hier in der Ebene sind recht hübsch. Trotzdem ist unser Land das beste.«

»Ich wollte, wir könnten das gleiche von unseren Landsleuten behaupten«, erwiderte ich und dachte dabei an Sprott und Sang, vielleicht an James More selbst.

»Ich werde nie und nimmer Nachteiliges über meines Freundes Heimat sagen«, bemerkte sie mit so eigentümlicher Betonung, daß ich den Ausdruck ihres Gesichtes klar vor mir sah.

Ich sog scharf den Atem ein und wäre auf dem schwarzen Eise fast hingeschlagen.

»Ich weiß nicht, was Eure Meinung ist, Catriona,« sagte ich, als ich mich ein wenig gefaßt hatte, »aber ich finde, heute war bisher der schönste Tag unserer Reise. Ich schäme mich, es einzugestehen, da Ihr so viel Unglück und Unannehmlichkeiten hattet; aber für mich war es der schönste.«

»Es war ein guter Tag, da Ihr mir so viel Liebe zeigtet.« »Trotzdem schäme ich mich, so glücklich zu sein, während Ihr Euch hier in tiefster Nacht auf der Landstraße befindet.« »Wo in weiter Welt sollte ich sonst wohl sein?« rief sie. »Ich meine, bei Euch bin ich doch am sichersten.«

»Ihr habt mir also ganz verziehen?«

»Wollt Ihr mir nicht so weit verzeihen, nie wieder über die Sache zu sprechen?« stieß sie hervor; »in meinem Herzen lebt für Euch nichts als Dankbarkeit. Aber ich will ehrlich sein,« fügte sie überraschend hinzu, »jenem Mädchen kann ich nie vergeben.«

»Sprecht Ihr wieder von Miß Grant? Ihr sagtet doch selbst, sie sei das gütigste Fräulein von der Welt.«

»Das ist sie auch, das ist sie auch! Trotzdem kann ich ihr nie verzeihen. Nie und nimmer werde ich ihr verzeihen, also will ich nichts mehr von ihr hören.«

»Nun,« meinte ich, »das übersteigt wohl alles, was ich je erlebt habe; ich staune, daß Ihr so kindischen Launen nachgebt. Hier ist eine junge Dame, die sich uns beiden gegenüber als die treueste aller Freundinnen erwiesen hat, die uns lehrte, wie man sich anzieht, ja die uns ein gut Teil Gesittung beibrachte, wie jeder, der uns vor und nach unserer Bekanntschaft mit ihr kannte, auf den ersten Blick sehen muß –« Aber Catriona war mitten auf der Landstraße stehengeblieben. »Die Sache liegt so,« sagte sie, »entweder Ihr wollt weiter von ihr reden, und ich kehre, komme, was da wolle, zur Stadt zurück, oder Ihr erweist mir die Rücksicht, nicht mehr von ihr zu sprechen.«

So vollkommen ratlos wie ich war wohl keiner auf dieser Welt; aber ich überlegte mir, daß sie ganz und gar auf meinen Beistand angewiesen sei, daß sie dem schwachen Geschlecht angehöre und kaum die Kinderschuhe abgestreift hätte, und daß es mir gezieme, Vernunft für zwei zu zeigen.

»Mein liebes Mädchen,« antwortete ich, »ich begreife an der ganzen Sache keinen Deut, aber Gott verhüte, daß ich Euch auf irgendeine Weise erzürne. Und was das Gerede über Miß Grant betrifft, so ist es mir recht gleichgültig; ich glaube sogar, Ihr habt selbst damit angefangen. Meine einzige Absicht, als ich darauf einging, war, Euch eines Besseren zu belehren; ich hasse selbst den Schein der Ungerechtigkeit. Ich bin weit davon entfernt, einen schönen Stolz und edles, weibliches Zartgefühl an Euch zu tadeln; sie kleiden Euch außerordentlich gut, aber Ihr geht darin zu weit.«

»Seid Ihr jetzt fertig?« fragte sie.

»Jawohl.« »Das ist gut«, meinte sie, und wir setzten unsere Wanderung fort, jetzt aber schweigend.

Es ist unheimlich, in tiefster Nacht zu marschieren, nur von Schatten begleitet, und ohne jedes andere Geräusch als die eigenen Schritte. Anfänglich, glaube ich, brannte viel Feindschaft in unseren Herzen, aber die Dunkelheit und Kälte und das Schweigen, das nur von dem Krähen der Hähne oder von dem Gebell eines Bauernköters unterbrochen war, brachten gar bald unsern Stolz zu Fall. Ich für meinen Teil hätte jede entschuldbare Gelegenheit für eine Anrede mit Freuden begrüßt. Vor Morgengrauen fiel ein warmer Regen und fegte den Frost zu unseren Füßen spurlos hinweg. Da brachte ich Catriona meinen Mantel und versuchte, ihn ihr umzuhängen, aber sie sagte ziemlich ungeduldig, ich solle ihn behalten. »Keinesfalls«, entgegnete ich. »Ich bin ein großer, ungeschlachter Bursche, der bereits alle möglichen Unbilden der Witterung über sich hat ergehen lassen, und Ihr seid ein zartes, hübsches Mädchen! Liebe, wollt Ihr, daß ich mich schämen muß?«

Ohne weitere Worte hüllte ich sie darin ein, und da das in der Dunkelheit geschah, ließ ich fast wie als Liebkosung meine Hand einen Augenblick auf ihrer Schulter ruhen. »Ihr müßt versuchen, mit Eurem Freunde etwas mehr Geduld zu haben«, sagte ich. »Eure Güte nimmt kein Ende«, lautete ihre Antwort.

Und wieder ging es schweigend weiter; jetzt jedoch unter ganz anderen Bedingungen. Das Glück in meinem Herzen brannte wie ein Feuer in einem großen Kamine. Der Regen verging noch vor Tagesanbruch, aber es war ein kotiger Morgen, als wir in die Stadt Delft einzogen. Die rotgegiebelten Häuser nahmen sich zu beiden Seiten des Kanals recht stattlich aus; die Dienstmädel scheuerten und wuschen selbst die Pflastersteine der öffentlichen Heerstraße; Rauch stieg aus hundert Küchen auf, und bei mir meldete sich plötzlich das starke Gefühl, daß es an der Zeit sei, zu frühstücken. »Catriona,« sagte ich, »ich glaube, Ihr besitzt noch einen Schilling und drei Doppelpence?«

»Braucht Ihr sie?« erkundigte sie sich und händigte mir ihre Börse aus. »Ich wollte, es wären fünf Pfund! Was wollt Ihr damit machen?«

»Weshalb sind wir denn die ganze Nacht wie ein paar verirrte Zigeuner umhergewandert?« fragte ich. »Doch nur, weil ich in jener unglückseligen Stadt Rotterdam meiner Börse und all meines Hab und Gutes beraubt wurde. Ich erzähle Euch jetzt davon, weil ich glaube, daß das Schlimmste bereits vorüber ist; immerhin liegt noch ein ziemlicher Marsch vor uns, bis wir dorthin gelangen, wo sich mein Geld befindet; und wenn Ihr mir nicht ein Stück Brot kaufen wollt, muß ich wohl fasten.« Sie sah mich mit großen Augen an. Beim Licht des neuen Tages erkannte ich, daß sie ganz grau und bleich vor Müdigkeit war, und das Herz tat mir um ihretwillen weh. Sie brach indes in Lachen aus.

»Du meine Qual! So sind wir beide Bettler? Ihr auch? Ach, ich habe mir das gewünscht! Und ich freue mich, daß ich für Euch das Frühstück kaufen kann. Das wäre erst hübsch, wenn ich, um Euch eine Mahlzeit zu verschaffen, tanzen müßte! Ich glaube, sie kennen unsere Art des Tanzes hier nicht und würden vielleicht aus Neugier für den Anblick bezahlen.«

Ich hätte sie um dieses Wortes willen küssen mögen, nicht als Liebhaber, nur in der Glut meiner Bewunderung. Einem Mann wird stets warm ums Herz, wenn er eine tapfere Frau sieht.

Wir kauften von einer Bäuerin, die frisch in die Stadt gekommen war, einen Trunk Milch und in einem Bäckerladen ein Stück ausgezeichneten, heißen, süß duftenden Brotes, das wir unterwegs verzehrten. Der Weg von Delft nach dem Haag besteht aus einer fünf Meilen langen Allee schattiger Bäume, auf der einen Seite von einem Kanal, auf der anderen von ausgezeichneten Viehweiden begrenzt. Hier war es wirklich angenehm. »Und jetzt, Davie,« sagte sie, »verratet mir, was Ihr mit mir anfangen wollt?« »Das müssen wir noch besprechen, je eher, desto besser. Ich kann in Leyden Geld abheben; das ist also in Ordnung. Die Frage ist nur, was sollen wir mit Euch anfangen, bis Euer Vater zurückkehrt? Gestern nacht hatte es den Anschein, als trenntet Ihr Euch nicht gern von mir.« »Es hat mehr als nur den Anschein«, sagte sie.

»Ihr seid ein sehr junges Mädchen, und ich bin nur ein recht junger Bursch. Darin liegt eine große Schwierigkeit. Wie wollen wir es anstellen? Wollt Ihr Euch als meine Schwester ausgeben?«

»Weshalb denn nicht? Wenn Ihr es mir erlauben wollt?« »Ich wollte wahrhaftig, Ihr wäret es!« rief ich. »Ich wäre ein ganzer Kerl, besäße ich eine solche Schwester. Aber der Haken ist, Ihr seid Catriona Drummond.«

»Und jetzt will ich Catriona Balfour sein«, entgegnete sie. »Wer soll dahinterkommen? Die Leute hier sind uns alle fremd.« »Wenn Ihr meint, es ginge? Ich gestehe, mir macht es Sorge. Mir wäre es recht arg, wenn ich Euch falsch beriete.« »David, Ihr seid hier der einzige Freund, den ich besitze.« »Die reine Wahrheit ist, ich bin zu jung, um Euer Freund zu sein. Ich bin zu jung, Euch zu beraten, und Ihr seid zu jung, um beraten zu werden. Ich sehe nicht ein, was uns sonst übrigbleibt, und doch fühl ich mich verpflichtet, Euch zu warnen.«

»Mir bleibt keine andere Wahl«, sagte sie. »Mein Vater, James More, hat nicht gut an mir gehandelt, es ist nicht das erstemal. Ich bin Euch gleich einem Sack Hafermehl aufgehalst worden und habe mich jetzt nur noch nach Euren Wünschen zu richten. Wollt Ihr mich – schön und gut. Wollt Ihr mich nicht,« – sie drehte sich nach mir um und legte ihre Hand auf meinen Arm – »David, ich fürchte mich.« »Trotzdem muß ich Euch warnen«, hub ich von neuem an, und dann fiel mir ein, daß ich ja der Säckelbewahrer sei, und daß es beileibe nicht anginge, den Anschein zu erwecken, als wolle ich mich lumpen lassen. »Catriona,« fuhr ich fort, »versteht mich nicht falsch: ich will Euch gegenüber nur meine Pflicht erfüllen, Mädchen! Ich befinde mich hier allein in einer fremden Stadt, um ein einsamer Student zu werden; und jetzt hat es sich so gefügt, daß Ihr vielleicht ein Weilchen bei mir wohnen werdet, wie eine Schwester. Ihr versteht doch wenigstens das eine, Liebe, daß ich Euch sehr, sehr gerne bei mir haben möchte?« »Nun, hier bin ich ja«, entgegnete sie. »Das wäre also in Ordnung.« Ich weiß, ich war verpflichtet, offener mit ihr zu sein. Ich weiß, dies ist ein großer Flecken auf meinem Charakter, und es war ein Glück, daß ich nicht teurer dafür bezahlen mußte. Aber ich erinnerte mich, wie stark ihr Zartgefühl schon durch das Wort »küssen« in Barbaras Brief verletzt worden war; wie sollte ich da jetzt, nun sie auf mich angewiesen war, kühner sein? Außerdem sah ich wahrhaftig keine andere Möglichkeit, für sie zu sorgen, und wahrscheinlich zogen auch meine Wünsche mich heftig in diese Richtung. Kurz hinter dem Haag wurde Catriona recht fußlahm und legte den Rest der Entfernung mit ziemlicher Mühe zurück. Zweimal mußte sie am Wegrain ausruhen, und sie tat es mit allerlei anmutigen Reden, indem sie sich vorwarf, sie mache dem Hochland und der Rasse, der sie entstamme, Schande und bedeute für mich nur einen Hemmschuh. Ihre Entschuldigung, sagte sie, sei, daß sie es nicht gewöhnt wäre, in Schuhen zu wandern. Ich wollte, sie solle Schuhe und Strümpfe ablegen und barfuß gehen. Aber sie machte mich darauf aufmerksam, daß anscheinend alle Weiber hierzulande, selbst auf den Landwegen, Schuhzeug trügen. »Ich darf meinem Bruder keine Schande machen«, sagte sie und machte dabei die heitersten Scherze, aber ihr Gesicht strafte sie Lügen.

In der Stadt, die unser Ziel war, befindet sich ein öffentlicher Garten; die Wege sind ganz mit reinem Sand bestreut; die Bäume, teils beschnitten, teils verflochten, bilden zu Häupten ein dichtes Blätterdach, und der ganze Ort ist verschönt durch Laubengänge und Lauben. Hier ließ ich Catriona auf mich warten, während ich meinen Korrespondenten aufsuchte. Dort nahm ich einen Teil meines Kredites in Anspruch und bat ihn, mir eine anständige, ruhige Unterkunft zu empfehlen. Da mein Gepäck noch nicht angekommen war, sagte ich ihm, daß ich wahrscheinlich bei meinen Wirtsleuten seiner Bürgschaft bedürfen würde; dann setzte ich ihm auseinander, daß meine Schwester mich auf kurze Zeit begleitet hätte, um mir die Wirtschaft zu führen, und daß ich daher zwei Zimmer brauchen würde. Das Schlimme aber war: Mr. Balfour hatte sich in seinem Schreiben auf alle möglichen Einzelheiten eingelassen, ohne jedoch ein Wort von einer Schwester zu erwähnen. Ich sah, der Holländer faßte starken Argwohn, und mich über den Rand eines gewaltigen Paars Augengläser anstarrend – er war ein elendes, schwächliches Kerlchen und erinnerte mich an ein krankes Kaninchen – begann er mich eingehend auszufragen. Da ergriff mich eine förmliche Panik. Wenn er nun meine Geschichte glaubt (dachte ich), wenn er mich mit meiner Schwester in sein Haus einladet und ich sie mitbringen muß! Ein nettes Knäuel gab’s da zu entwirren; ja vielleicht würde ich damit endigen, das Mädel wie mich selbst rettungslos zu blamieren. Ich begann ihm also in aller Eile meiner Schwester Charakter zu schildern. Sie sei außerordentlich schüchtern und scheue sich so sehr, fremden Menschen zu begegnen, daß ich sie in diesem Augenblick allein auf einem öffentlichen Platz hätte sitzen lassen. Soweit gediehen, tat ich, was alle in meiner Lage getan haben und verwickelte mich viel tiefer, als nötig war; ja, ich erging mich in einigen völlig überflüssigen Details über Miß Balfours schwächliche Gesundheit und ihr zurückgezogenes Leben als Kind. Da, inmitten dieser Auseinandersetzungen, wurde mir mein Benehmen plötzlich klar, und von Kopf bis zu Fuß überströmte mich eine einzige Blutwelle.

Der alte Herr war nicht so tief ins Netz gegangen, daß er nicht den Wunsch spürte, mich sobald wie möglich loszuwerden. Vor allem war er aber Geschäftsmann, und da mein Geld gut war, mochte mein Betragen noch so viel zu wünschen übriglassen, hatte er die Gewogenheit, mir seinen Sohn als Führer und Bürgen in der Wohnungssuche mitzugeben. Dadurch war ich gezwungen, den jungen Mann Catriona vorzustellen. Das arme, hübsche Kind hatte sich durch die Ruhe gut erholt; ihr Aussehen und ihr Benehmen waren tadelfrei, sie ergriff meinen Arm und nannte mich »Bruder« mit weit größerer Leichtigkeit, als ich zu antworten vermochte. Aber ein unglücklicher Umstand zeigte sich auch hier: in der irrigen Annahme, mir zu helfen, war sie eher vertraulich als das Gegenteil meinem Holländer gegenüber. Ich konnte nicht anders, mich dünkte, Miß Balfour hatte etwas plötzlich ihre Schüchternheit überwunden. Dann gab es noch ein weiteres Bedenken: der Unterschied unserer Rede. Ich sprach den Dialekt der Flachlande und dehnte meine Worte; sie hatte eine Stimme, wie sie nur in den Hochlanden zu finden ist, unterhielt sich mit leicht englischem, aber weit reizenderem Akzent und konnte hinsichtlich der englischen Grammatik nicht gerade als ein Kirchenlicht gelten. Als Bruder und Schwester machten wir daher ein etwas ungleiches Paar. Aber der junge Holländer war ein schwerfälliger Kerl und besaß nicht einmal genügend Temperament, ihre Schönheit zu bemerken – wofür ich ihn gründlich verachtete. Kaum hatten wir ein Dach über unserem Haupte, da ließ er uns zu unserer größten Erleichterung allein.

Vierundzwanzigstes Kapitel


Ausführliche Geschichte eines Exemplars Heineccius

Die Wohnung, die wir gefunden hatten, lag im Oberstock eines Hauses, das rückwärts an den Kanal grenzte. Wir hatten zwei Zimmer, von denen das zweite nur durch das erste betreten werden konnte; in jedem befand sich ein Kamin, nach holländischer Art weit in das Gemach hineingebaut, und da die Räume nebeneinander lagen, blickte man von beiden Fenstern zuerst auf den Wipfel eines Baumes und in einen kleinen Hof, dann auf einen Ausschnitt des Kanals und auf Häuser in holländischem Stil sowie auf einen Kirchturm am jenseitigen Ufer. In jenem Turme hing ein großes Glockenspiel, das die herrlichste Musik machte, und wenn es überhaupt Sonne gab, schien sie gerade in unsere beiden Zimmer hinein. Gute Mahlzeiten ließen wir uns aus einem benachbarten Gasthof kommen. Die erste Nacht waren wir beide ziemlich müde, Catriona war sogar völlig erschöpft. Wir sprachen nur wenig, und ich schickte sie ins Bett, sobald wir gegessen hatten. Am Morgen schrieb ich als Erstes eine Zeile an Sprott, um ihr Gepäck nachkommen zu lassen, sowie einen kurzen Brief an Alan, den ich an die Adresse seines Häuptlings richtete; beide hatte ich expediert und das Frühstück bereitet, bevor ich sie weckte. Ich schämte mich ein wenig, als sie in ihrem einzigen Gewande, ihre Strümpfe noch kotbespritzt von der Landstraße, aus ihrem Zimmer trat. Nach allem, was ich erfahren, mußte eine ganze Reihe von Tagen vergehen, ehe ihre Koffer in Leyden eintreffen konnten, und es war klar, daß sie ein Kleid zum Wechseln brauchte. Anfänglich sträubte sie sich, mir derartige Unkosten aufzuerlegen; aber ich erinnerte sie daran, daß sie jetzt eines reichen Mannes Schwester sei und in einem Anzug, wie er sich für diese Rolle schickte, auftreten müßte; schon bei dem zweiten Händler war sie hingerissen von dem Geist des Unterfangens, und ihre Augen leuchteten. Ich freute mich an ihrer unschuldigen Hingabe an dieses Vergnügen. Merkwürdiger noch war die Leidenschaft, mit der ich mich selbst in die Sache stürzte; nichts war mir schön und gut genug für sie, und ich bekam es niemals satt, sie in den verschiedensten Aufputzen zu sehen. Ja, ich begann einen Teil von Miß Grants tiefem Interesse an der Kleiderfrage zu verstehen; denn die Wahrheit ist, gilt es einen schönen Menschen zu schmücken, so wird alles an dem Geschäft selber schön. Ich muß noch hinzufügen, daß die holländischen Kattune außerordentlich fein und billig waren; aber ich schäme mich, zu verraten, was ich für ihre Strümpfe ausgab. Im großen und ganzen verwendete ich eine so große Summe auf dieses Amüsement – anders kann ich es nicht gut nennen –, daß ich mich lange Zeit schämte, noch weiteres Geld auszugeben und als eine Art Gegengewicht unsere Zimmer ziemlich kahl ließ. Wenn wir nur Betten hatten, wenn Catriona nur recht zierlich gekleidet ging und mir genug Licht, sie zu betrachten blieb, waren unsere Räume für meinen Geschmack prächtig genug. Am Schlusse unserer Besorgungen war ich froh, Catriona mit unseren vielen Paketen vor der Tür absetzen zu können, und begab mich auf einen langen, einsamen Spaziergang, um mir eine Strafpredigt zu halten. Da hatte ich unter mein Dach und quasi an meinen Busen ein junges, sehr schönes Mädchen genommen, deren einzige Bedrohung ihre Unschuld war. Meine Unterredung mit dem alten Holländer und die Lügen, zu denen ich mich gezwungen sah, zeigten mir, wie mein Verhalten sich in anderer Leute Augen ausnehmen mußte; und nach der starken Bewunderung, die ich soeben erst gespürt und der Unmäßigkeit, mit der ich meiner eitlen Kauflust gefrönt hatte, begann ich mein Benehmen selbst für äußerst gewagt zu halten. Ich fragte mich, ob ich, wenn ich in der Tat eine Schwester hätte, sie wohl so kompromittieren würde; dann, als mir das Problem gar zu schwer löslich erschien, veränderte ich die Frage dahin, ob ich Catriona irgendeinem anderen Menschen so ausliefern würde: die Antwort ließ mich schamrot werden. Ich hatte mich selbst und auch das Mädchen in eine Falle gelockt, um so mehr mußte ich darauf achten, mich mit peinlichster Korrektheit zu benehmen. Sie hing, was Nahrung und Unterkunft betraf, gänzlich von mir ab; falls ich ihr Schamgefühl verletzte, blieb ihr keine Zuflucht mehr. Ich war ihr Wirt und ihr Beschützer; je abenteuerlicher die Art, auf die ich in diese Rolle verfallen war, um so unverzeihlicher mein Handeln, wenn ich durch eine noch so ehrliche Werbung dadurch zu profitieren suchte. Angesichts der Gelegenheiten, die sich mir boten, Gelegenheiten, die kein kluger Vater auch nur einen Augenblick geduldet haben würde, war auch die ehrlichste Werbung unfair. Ich erkannte, ich mußte in unserem Verkehr außerordentlich zurückhaltend sein, und doch wieder nicht zu zurückhaltend; denn hatte ich auch kein Recht als Freier aufzutreten, so mußte ich mich doch in der Rolle des Wirts, und wenn möglich des liebenswürdigen Wirts, zeigen. Es war klar, das Ganze bedurfte eines großen Maßes von Takt und Wohlerzogenheit, größer vielleicht, als meine Jahre es mir gewährten. Aber ich hatte mich kühn hineingestürzt, wo selbst die Engel kaum zu wandeln wagten, und es gab keinen anderen Ausweg aus jener Lage, als zu tun, was mich recht dünkte. Ich baute mir daher ein System von Verhaltungsmaßregeln auf, flehte innerlich um Kraft, sie einzuhalten, und kaufte mir als menschlicheres Mittel zu diesem Zweck ein Lehrbuch der Jurisprudenz. Da mir sonst nichts einfallen wollte, ließ ich alle ernsten Betrachtungen fahren und wurde sogleich so überschäumend glücklich, daß ich auf dem Heimwege auf lauter Luft zu gehen schien. Ja, bei dem Gedanken an den Begriff »Heim« und an die Gestalt, die mich zwischen meinen vier Wänden erwartete, klopfte mir das Herz in der Brust vor lauter Freude.

Meine Nöte setzten mit meiner Rückkehr ein. Sie lief mir in unverhüllter, rührendster Freude entgegen. Außerdem war sie von Kopf bis zu Fuß in die neuen Sachen gekleidet, die ich ihr gekauft hatte, und sah über die Maßen hübsch aus, und natürlich drehte und wendete sie sich von allen Seiten und knickste in einem fort, um sich zu zeigen und bewundert zu werden. Letzteres tat ich ohne Zweifel recht ungnädig; die Worte blieben mir förmlich in der Kehle stecken. »Nun,« sagte sie, »wenn du nicht nach meinen hübschen Kleidern fragst, so sieh dir wenigstens an, was ich mit unseren Zimmern getan habe.« Und sie zeigte mir die sauber gefegten Räume und die Feuer, die in den beiden Kaminen brannten. Ich freute mich der Gelegenheit, etwas strenger erscheinen zu können, als mir in Wahrheit zumute war. »Catriona,« sagte ich, »ich bin mit dir sehr unzufrieden; niemals wieder darfst du mein Zimmer anrühren. Einer von uns beiden muß der Herr sein, solange wir zusammen sind! Als der Ältere und als Mann kommt mir diese Rolle zu, nimm meine Worte also als Befehl.« Sie machte mir eine ihrer Reverenzen, die über die Maßen reizend waren. »Wenn du zankst, muß ich dich kajolieren, Davie. Ich werde sehr folgsam sein, wie es sich schickt, da jeder Fetzen an meinem Leibe dir gehört. Aber du darfst auch nicht böse sein, denn ich habe jetzt niemanden als dich.« Diese Worte trafen mich tief, und ich beeilte mich, halb und halb reumütig, die gute Wirkung meiner letzten Rede wieder aufzuheben. In dieser abschüssigen Richtung war es leichter, Fortschritte zu machen; Catriona schritt lächelnd voran, und bei ihrem Anblick, bei dem freundlichen Licht des Feuers, bei ihren reizenden Gesten und Blicken ward mein Herz butterweich. Unsere Mahlzeit verlief unter unendlichen Scherzen und Zärtlichkeiten; ja, wir beide waren so eins, daß selbst unser Lachen einer Liebkosung glich. Inmitten dieses Treibens fielen mir meine Bedenken ein; ich stammelte eine lahme Entschuldigung und machte mich bäurisch tölpelhaft an meine Studien. Das Buch war ein umfangreiches, instruktives Werk des verstorbenen Dr. Heineccius, in das ich mich in den folgenden Tagen noch recht häufig vertiefen sollte, obwohl ich mich mitunter freute, daß niemand da war, mich über meine Lektüre auszufragen. Mich dünkte, Catriona biß sich leicht auf die Lippen – das schnitt mir ins Herz. Ja, mein Verhalten ließ sie völlig einsam, zumal sie nur wenig las und im Augenblick kein einziges Buch besaß.

Der Rest des Abends verfloß fast schweigend.

Ich hätte mich prügeln können. In jener Nacht vermochte ich vor Wut und Reue nicht im Bett zu bleiben und lief mit bloßen Füßen so lange im Zimmer auf und ab, bis ich vor Kälte umzukommen meinte, denn das Feuer war ausgegangen, und es herrschte ein scharfer Frost. Der Gedanke an Catriona im Nachbarzimmer, der Gedanke, daß sie mich jetzt vielleicht auf und ab gehen hörte, die Erinnerung an meine Unhöflichkeit und das Bewußtsein, daß ich gezwungen war, auch weiterhin an diesem undankbaren Benehmen festzuhalten, wenn ich nicht ehrlos werden wollte, raubten mir fast den Verstand.

Ich stand zwischen Szylla und Charybdis: was mußte sie nur von mir denken? Das war die Vorstellung, die mich immer wieder wankend machte. Die andere, die mich in meinem Entschlusse stählte, lautete: »Was sollte nur aus uns werden?« Diese meine erste schlaflose und von Zweifeln zerrissene Nacht, der noch viele ähnliche folgen sollten, verbrachte ich teils wie ein Wahnsinniger auf und ab rennend, teils unter kindischen Tränen, teils (wie ich hoffe) christliche Gebete zum Himmel sendend.

Aber man hat leicht beten; viel schwerer ist die Praxis. In Catrionas Gegenwart hatte ich nur geringe Macht über die Konsequenzen meines Handelns, vor allem, wenn ich irgendwelche Vertraulichkeiten aufkommen ließ. Dagegen überstieg es meine Kraft, den ganzen Tag mit dem Mädchen das Zimmer zu teilen und mich dem äußeren Anschein nach in meinen Heineccius zu versenken. So verfiel ich auf den Ausweg, mich möglichst viel zu absentieren. Ich besuchte regelmäßig die Kollegs, häufig jedoch mit nur geringer Aufmerksamkeit; der Beweis dafür ist ein Kollegheft jener Tage, das mir vor kurzem in die Hände fiel. Mitten in einem erbaulichen Vortrag bricht es ab; statt dessen sind die Seiten mit recht schlechten Versen vollgekritzelt, wenn auch das Latein besser ist, als ich je gehofft hatte, schreiben zu können. Zum Unglück wogen die Nachteile eines derartigen Verhaltens die Vorteile fast auf. Zwar wurde meine Prüfungszeit verkürzt, aber sie war meines Erachtens nach um so schwerer, solange sie dauerte; denn da Catriona viel allein blieb, begrüßte sie meine Rückkehr mit wachsender Inbrunst, die mich fast überwältigte. Diese liebevollen Annäherungen war ich gezwungen auf barbarische Art zurückzuweisen, und meine Härte verletzte sie mitunter so tief, daß ich sofort wieder weich wurde und alles durch doppelte Güte wieder gutmachte. So war die Zeit unseres Zusammenlebens ein einziges Auf und Ab, eine Flut von Verstimmungen und Enttäuschungen, die mich (mit aller Ehrfurcht sei’s gesagt) fast kreuzigten.

Die Basis meiner Nöte war Catrionas überraschende Unschuld, die mich indes nicht so sehr mit Staunen wie mit Mitleid und Bewunderung erfüllte. Das Mädchen schien unserer Lage auch nicht einen Gedanken zu schenken, meine Kämpfe überhaupt nicht zu ahnen. Jedes Zeichen von Schwäche meinerseits begrüßte sie mit aufquellender Freude, und wenn ich dadurch in die Abwehr gezwungen wurde, gab sie sich nicht immer Mühe, ihren zornigen Kummer zu verbergen. Mitunter dachte ich bei mir selbst: wenn sie bis über beide Ohren verliebt wäre und es sich in den Kopf gesetzt hätte, mich einzufangen, könnte sie es nicht anders treiben. Und wieder mußte ich mich über die Einfalt der Frauen wundern, von denen abzustammen ich mich (in derartigen Momenten) für unwürdig hielt. Einen Punkt insbesondere gab es, um den unser Krieg sich drehte: das war die Frage ihrer Kleider. Meine Koffer waren uns sehr bald von Rotterdam nachgesandt worden, die ihrigen von Helvoetsluys. Sie besaß daher im Augenblick zwei komplette Garderoben, und es wurde allmählich selbstverständlich (wie, vermochte ich niemals zu sagen), daß sie, wenn sie mir gut war, meine Kleider trug, und wenn sie mir grollte, die ihrigen. Letzteres sollte als eine Art Zurückweisung und als Verzicht auf ihre Dankbarkeit gelten, und tief im Herzen empfand ich es auch so; gewöhnlich aber war ich zu klug, um nach außen hin diesen Umstand zu bemerken.

Einmal ließ ich mich in noch kindischerer Weise gehen als sie. Das geschah so: auf dem Heimwege aus meinem Kolleg hatte ich ihrer in Liebe, untermischt mit ziemlich viel Ärger, inbrünstig gedacht, bald jedoch war der Ärger verschwunden, und als ich in einem Ladenfenster eine jener Treibhausblumen erblickte, in deren Zucht die Holländer Meister sind, gab ich einem Impulse nach und kaufte sie für Catriona. Den Namen der Blume kenne ich nicht; sie war von rosa Farbe. Ich glaubte, Catriona würde sie sehr bewundern und trug sie in wunderbar weicher Stimmung heim. Beim Abschied hatte Catriona meine Kleider getragen, als ich sie nun bei meiner Rückkehr völlig umgezogen und obendrein mit einem hierzu passenden Gesicht antraf, maß ich sie mit einem einzigen Blick von Kopf bis zu Fuß, biß die Zähne aufeinander, riß das Fenster auf, warf meine Blume auf den Hof hinunter und mich selbst (zwischen Wut und Vorsicht schwankend und die Tür hinter mir ins Schloß donnernd) zur Tür hinaus. Auf der steilen Treppe wäre ich um ein Haar gefallen; das brachte mir die Torheit meines Benehmens augenblicklich zum Bewußtsein. Ich ging daher nicht, wie ich es ursprünglich beabsichtigt hatte, auf die Straße, sondern in den Hof, der wie immer verlassen da lag. Dort sah ich meine Blume (die mich weit mehr als ihren eigentlichen Wert gekostet hatte) an dem kahlen Baume hängen. Ich pflanzte mich neben dem Kanale auf und starrte hinunter auf das Eis. Bauern glitten auf ihren Schlittschuhen vorüber: ich beneidete sie. Ich sah keinen Ausweg aus meiner Klemme, sah nicht einmal eine Möglichkeit, in das Zimmer zurückzukehren, das ich soeben verlassen hatte. Kein Zweifel, ich hatte das Geheimnis meiner Gefühle verraten, hatte, um die Sache noch schlimmer zu machen, in elender, kindischer Wut meinen hilflosen Gast vor den Kopf gestoßen.

Vermutlich sah sie mich aus dem offenen Fenster. Ich glaube, ich hatte noch nicht lange dort gestanden, da hörte ich knirschende Schritte auf dem gefrorenen Schnee und erblickte, als ich mich ärgerlich über die Störung umwandte, Catriona. Sie war abermals von Kopf bis zu den gestickten Strümpfen, umgezogen. »Sollen wir heute unseren Spaziergang versäumen?« erkundigte sie sich.

Ich blickte sie verwundert an. »Wo ist deine Brosche?« fragte ich.

Sie fuhr mit der Hand an den Busen und errötete tief. »Ich habe sie vergessen. Ich laufe gleich nach oben und hole sie; dann können wir doch unseren Spaziergang machen, nicht wahr?«

Das Letzte wurde in so bittendem Tone gesprochen, daß ich vor Staunen nicht aus noch ein wußte. Mir blieben die Worte wie die Stimme versagt; so konnte ich nur zustimmend nicken und kletterte, kaum daß sie mich verlassen hatte, auf den Baum, um die Blume zu holen, die ich ihr bei ihrer Rückkehr überreichte. »Ich habe sie für dich gekauft, Catriona«, sagte ich. Sie befestigte sie mit ihrer Brosche am Busen, wie mich deuchte, nicht ohne Zärtlichkeit.

»Sie ist durch meine Behandlung nicht besser geworden«, hub ich von neuem an.

»Sie gefällt mir darum nicht schlechter, des kannst du sicher sein«, antwortete sie.

An jenem Tage sprachen wir nicht viel miteinander; sie schien einen Schatten reserviert, aber nicht unfreundlich. Und was mich betraf, so grübelte ich die ganze Zeit unseres Spazierganges und nach unserer Rückkehr, als ich sie die Blume in ein Gefäß mit Wasser hatte stecken sehen, darüber nach, was für ein Rätsel doch die Frauen seien. Jetzt dachte ich, es sei doch die größte Dummheit von der Welt, daß sie meine Liebe nicht erkannt hätte, jetzt, daß sie sie längst bemerkt haben müßte, und daß sie nur als kluges Mädchen mit feinem, weiblichen Instinkt für Schicklichkeit ihr Wissen verberge.

Wir gingen täglich spazieren. Auf der Straße fühlte ich mich sicherer; da ließ meine Zurückhaltung etwas nach, und vor allem gab es da keinen Heineccius. So kam es, daß diese Zeiten für mich eine Erleichterung und für mein armes Kind ein großes Vergnügen bedeuteten. Wenn ich um die gewohnte Stunde nach Hause zurückkehrte, fand ich sie meist schon fertig angezogen und glühend vor Erwartung. Sie pflegte unsere Wanderungen nach Möglichkeit in die Länge zu ziehen und schien (ebenso wie ich) sich vor der Stunde der Rückkehr zu fürchten. In Leyden gibt es daher kaum ein Feld oder ein Flüßchen, keine Straße oder Gasse, wo wir nicht geweilt. Im übrigen hatte ich sie gebeten, sich ganz auf die Wohnung zu beschränken; ich fürchtete, sie könnte irgendeinem Bekannten in die Arme laufen und unsere Lage noch erschweren. Aus dem nämlichen Grunde gestattete ich es weder ihr noch mir selbst, in die Kirche zu gehen; statt dessen improvisierten wir eine Art Privatgottesdienst in unserer Wohnung – wie ich hoffe mit ehrlichem, wenn auch zweifellos geteiltem Herzen. Ja, nichts rührte mich so tief, wie gleich Mann und Weib mit ihr vor Gott zu knien.

Eines Tages schneite es ungewöhnlich heftig. Ich hatte es für unmöglich gehalten, in solchem Wetter auszugehen, und war erstaunt, sie fertig angekleidet auf mich wartend zu finden. »Nie und nimmer werde ich auf meinen Spaziergang verzichten«, rief sie. »Du bist im Hause kein guter Junge, Davie; ich liebe dich nur in der freien Luft. Ich glaube, das beste ist, wir werden Zigeuner und schlagen unser Lager neben der Landstraße auf.«

Das wurde der schönste Spaziergang von allen; sie klammerte sich im fallenden Schnee an mich; die Flocken umwirbelten uns und schmolzen auf unserer Kleidung, und die Tropfen hafteten wie Tränen auf ihren hellen Wangen und zerrannen in ihren lächelnden Mund. Mir war’s, als wüchsen mir Riesenkräfte; ich glaube, ich hätte sie in die Arme nehmen und mit ihr bis ans Ende der Erde laufen können, und die ganze Zeit unterhielten wir uns mit einer Freiheit und süßen Harmonie, wie ich es nie erlebt hatte. Es war dunkle Nacht, als wir wieder vor der Haustüre standen. Sie drückte meinen Arm an ihre Brust. »Ich danke dir von Herzen für diese guten Stunden«, sagte sie, und ihre Stimme hatte einen tiefen Klang. Die Sorge, in die mich diese Worte sofort stürzten, zwang mich mit gleicher Schnelligkeit in eine Abwehrstellung; kaum hatten wir unsere Zimmer erreicht und das Licht angezündet, als sie von neuem das alte, sauertöpfische, eigensinnige Gesicht des heineccius’schen Studenten vor sich sah. Ohne Zweifel fühlte sie sich mehr denn je verletzt; ich weiß jedenfalls, daß es mir schwerer als sonst fiel, meine Steifheit zu bewahren. Selbst beim Essen wagte ich es kaum, weniger zugeknöpft zu sein und meine Augen zu ihrem Gesicht zu erheben. Sobald das Mahl vorüber war, versenkte ich mich in mein bürgerliches Recht, diesmal mit größerer Hingabe und weniger Verständnis als je zuvor. Mir war während der Lektüre, als hörte ich mein Herz wie eine Wanduhr schlagen. So sehr ich mich auch mühte, in mein Buch vertieft zu erscheinen, äugte ich doch verstohlen über den Rand hinweg nach Catriona. Sie hockte auf dem Boden neben meinem großen Koffer; der Schein des Feuers umspielte sie, funkelte und zuckte und ließ ihr Gesicht in einem Wunder schöner Farben aufleuchten und versinken. Jetzt starrte sie in die Flammen, dann wieder zu mir hinüber; sogleich tauchte ich in panischer Angst vor mir selbst in meinen Heineccius und umblätterte die Seiten, wie jemand, der in der Kirche nach dem Text sucht.

Plötzlich schrie sie laut: »Oh, – weshalb kommt mein Vater nicht?« Dann löste sich ihre Spannung in einem Strom von Tränen. Ich sprang auf, warf den Heineccius mitten ins Feuer, lief zu ihr hin und umschlang ihren schluchzenden Körper mit beiden Armen. Sie stieß mich heftig von sich. »Du liebst deine Freundin nicht«, sagte sie. »Auch ich könnte so glücklich sein, wenn du es nur erlaubtest!« Und dann: »Oh, was habe ich nur getan, daß du mich so hassest?« »Hassen!« rief ich, sie fest in den Armen haltend. »Du blindes Kind, kannst du denn nicht ein wenig in meinem Herzen lesen und sehen, wie unglücklich ich bin? Glaubst du, wenn ich hier sitze und in dem dummen Buch lese, das ich soeben verbrannt habe – der Teufel hole es! – ich hätte auch nur einen einzigen Gedanken an etwas anderes als dich? Nacht für Nacht hätte ich heulen können, dich dort so einsam zu sehen. Aber was sollte ich nur tun? Du bist meiner Ehre anvertraut; willst du mich deswegen strafen? Willst du aus diesem Grunde deinen treuen Diener von dir weisen?« Bei diesen Worten klammerte sie sich mit plötzlicher, kleiner Gebärde fest an mich. Ich hob ihr Gesicht zu dem meinen und küßte es, und sie drückte ihren Kopf an meine Brust und hielt mich fest umschlungen. Ich saß da in einem schwindelnden Wirbel, wie betrunken. Da hörte ich eine ganz leise Stimme erstickt aus meinen Kleidern aufsteigen: »Hast du sie wirklich geküßt?«

Mich durchzuckte eine so gewaltige Welle des Erstaunens, daß ich am ganzen Leibe zitterte.

»Miß Grant!« rief ich völlig ausgelöst. »Ja, ich bat sie, mir zum Abschied einen Kuß zu geben und sie tat es auch.« »Ah,« sagte sie, »aber wenigstens hast du mich auch geküßt.« Bei der Seltsamkeit und Süße dieser Worte wurde mir plötzlich klar, wohin wir geraten waren; ich erhob mich und stellte sie auf die Füße.

»Das geht so nie und nimmermehr«, sagte ich. »Nie und nimmermehr. O Katrin, Katrin!« Eine Pause, in der ich zu reden unfähig war, und ich fügte hin zu: »Geh fort, zu Bett. Geh zu Bett und laß mich allein.« Sie wandte sich, fügsam wie ein kleines Kind, um mir zu gehorchen. Das Nächste, was ich wußte, war, daß sie auf der Türschwelle stehen blieb.

»Gute Nacht, Davie,« sagte sie. »Gute Nacht, du mein Lieb!« rief ich in einem einzigen, leidenschaftlichen Ausbruch meiner Seele und riß sie mit einer Gewalt an mich, daß ich glaubte, ich hätte sie zerbrochen. In der nächsten Sekunde hatte ich sie aus dem Zimmer gedrängt und die Tür heftig zugeschlagen und stand allein.

Jetzt war der Krug zerschellt, die Milch verschüttet; das Wort war mir entschlüpft, die Wahrheit an den Tag gekommen. Wie ein wankelmütiger Schwächling hatte ich mich in des armen Mädchens Liebe eingeschlichen; als gebrechliches, unschuldiges Geschöpf, das ich nach Belieben zerstören oder hüten konnte, lag sie in meiner Hand; welche Verteidigungswaffe war mir jetzt noch geblieben? Es schien mir wie ein Symbol, daß das Exemplar Heineccius, mein alter Schild, verbrannt war. Ich bereute, und doch brachte ich es nicht über mich, mir meines Versagens wegen Vorwürfe zu machen. Es schien mir ein schier unmögliches Verlangen, ihrer kühnen Unschuld oder der letzten großen Versuchung ihrer Tränen widerstanden zu haben. Aber alle meine Entschuldigungen ließen meinen Fehler nur noch größer erscheinen – fast dünkte es mich, ich hätte ein so wehrloses Wesen, alle Vorteile meiner Position ausnutzend, überlistet.

Was füllte jetzt aus uns werden? Wir konnten doch nicht länger in der gleichen Wohnung hausen? Wohin sollte ich aber gehen? Wohin sie? Ohne Zutun oder Schuld unsererseits hatte sich das Leben gegen uns verschworen und uns in jene engen vier Wände eingesperrt. Mir kam der wilde Gedanke, mich auf der Stelle mit ihr zu verheiraten; im nächsten Augenblick wies ich ihn empört zurück. Sie war ja nur ein Kind, sie kannte nicht einmal ihr eigenes Herz; ich hatte ihre Schwäche überrumpelt; niemals durfte ich diesen Überfall ausnutzen; ich mußte nicht nur dafür sorgen, daß sie kein Makel traf, nein, auch daß sie so frei von mir ging, wie sie gekommen war.

Ich setzte mich vor das Feuer und grübelte nach und bereute und zerbrach mir vergeblich den Kopf auf der Suche nach einem Ausweg. Etwa um drei Uhr morgens waren noch drei rotglühende Kohlen übriggeblieben, Haus und Stadt lagen im Schlaf, da hörte ich vom Nebenzimmer her ein leises Weinen. Sie dachte, auch ich schliefe, das arme Kind; sie bereute ihre Schwäche, ihre Fürwitzigkeit (Gott helfe ihr!), wie sie es vielleicht nannte, und suchte sich in der Totenstille der Nacht durch Tränen Erleichterung zu verschaffen. Zärtliche und bittere Gefühle, Liebe, Reue und Mitleid kämpften in meiner Seele einen Kampf; ich schien verpflichtet, jene Tränen zu trösten.

»O, versuche doch, mir zu verzeihen!« rief ich laut, »versuche, versuche, mir zu verzeihen! Wir wollen alles vergessen, wir wollen versuchen, ob wir es nicht vergessen können!« Es kam keine Antwort, aber das Schluchzen hörte auf. Lange Zeit stand ich, immer noch mit verschlungenen Händen, wie im Augenblick, da ich sie gebeten hatte; dann packte mich schaudernd die Kälte der Nacht, und ich glaube, meine Vernunft gelangte wieder zur Herrschaft. »Du wirst aus dieser Sache doch nicht klug, Davie«, dachte ich. »Geh zu Bett wie ein verständiger Junge, und versuche zu schlafen. Morgen wirst du vielleicht wissen, was du zu tun hast.«