Elftes Kapitel


Der Wald bei Silvermills

Ich verlor keine Zeit. Talabwärts, vorbei an Stockbridge und Silvermills, lief ich, so rasch meine Füße mich nur tragen wollten. Alan hatte versprochen, sich allnächtlich zwischen zwölf und zwei »in einem kleinen, verkrüppelten Gehölz östlich von Silvermills und hart südlich des Mühlgrabens« einzufinden. Ich fand das Wäldchen, das sich einen steilen Hügel hinanzog, an dessen Fuß ein tiefer, reißender Mühlbach strömte, ohne Schwierigkeit. Hier verlangsamte ich meinen Schritt und begann mit etwas mehr Ruhe mein Vorhaben zu überlegen. Ich erkannte, ich hatte mich Catriona gegenüber auf einen Narrenhandel eingelassen. Es war nicht anzunehmen, daß Neil in der Durchführung seines Auftrages ohne Mithelfer wäre, aber vielleicht war außer ihm keiner von James Mores Leuten daran beteiligt. In diesem Falle hatte ich mein möglichstes getan, Catrionas Vater henken zu lassen, ohne mir selbst wesentlich weiterzuhelfen. In Wahrheit wollte mir keine dieser Eventualitäten gefallen. Wenn nun das Mädchen durch Neils Abhaltung mitschuldig am Tode ihres Vaters wurde? Sie würde es sich, wie ich sie kannte, nie verzeihen. Wie aber, wenn noch andere mich in diesem Augenblick verfolgten? Welches Geschenk brachte ich da Alan mit? Was gab es hierauf zu erwidern?

Ich hatte bereits den westlichen Teil des Gehölzes erreicht, als beide Bedenken mich mit der Wucht eines Keulenschlages trafen. Meine Füße blieben wie angewurzelt stehen und auch mein Herzschlag stockte. »Was für ein tolles Spiel habe ich heut getrieben!« dachte ich und machte auf der Stelle kehrt, um mich anderswo hinzubegeben. Das brachte mich wieder in die Richtung nach Silvermills; der Weg führte in einer Schleife am Dorf vorbei, lag aber deutlich vor mir. Kein Mensch, weder Hoch- noch Tiefländer, war zu sehen. Hier hatte ich, was ich suchte, hier bot sich eine Gelegenheit, wie ich sie laut Stuarts Rat ausnutzen sollte; ich lief daher am Mühlbach entlang bis jenseits des östlichen Waldzipfels und zurück quer durch das Gehölz, bis zu seinem westlichen Ausläufer, von wo aus ich ungesehen wieder die ganze Straße überblicken konnte. Auch diesmal war sie leer, und mein Mut stieg von neuem.

So saß ich über eine Stunde eng an den Waldsaum gedrückt, und weder Hase noch Adler hätten schärferen Lugaus halten können. Zu Beginn dieser Stunde war die Sonne schon untergegangen, der Himmel aber noch in Gold getaucht und das Tageslicht klar; ehe jedoch die Stunde zerrann, hatte das Zwielicht eingesetzt. Gegenstände und Entfernungen wurden undeutlicher, und die Beobachtung war erschwert. Während dieser ganzen Zeit zeigte sich keine Menschenseele östlich von Silvermills, und die wenigen, die westlich davon gingen, waren ehrliche Bauern und deren Frauen auf dem Wege ins Bett.

Selbst wenn die schlausten Spione Europas mir auf den Fersen waren, hielt ich es doch für äußerst unwahrscheinlich, daß sie von meinem Verstecke wüßten; ich ging daher etwas tiefer in den Wald hinein und streckte mich aus, um Alan zu erwarten. Die Nervenanspannung war groß gewesen, denn ich hatte nicht nur den Weg, nein, auch jeden Strauch und jedes Feld in Sichtweite beobachtet. Das war nun vorbei. Der Mond, der im ersten Viertel stand, schien matt in den Wald hinein; ringsum schwieg das Land, und während ich die nächsten drei, vier Stunden dort flach auf dem Rücken lag, bot sich mir eine treffliche Gelegenheit, mein Verhalten kritisch zu betrachten. Zwei Dinge wurden mir zuerst klar: ich hatte kein Recht gehabt, heute nach Dean zu gehen, und war ich schon gegangen, so durfte ich jetzt nicht liegen, wo ich lag. Dieses Gehölz, in dem ich Alan erwartete, war im ganzen weiten Schottland der einzige Ort, der mir aus taufend triftigen Gründen verschlossen war. Ich gab das zu und – blieb, zu meiner eigenen Verwunderung. Ich dachte an die harten Worte, die ich eben erst Catriona gegeben, wie ich stolz von zwei Menschenleben gesprochen hatte, die ich mit mir herumtrüge, und wie ich sie jetzt, scheinbar gewissenlos, von neuem aufs Spiel setzte. Ein gutes Gewissen macht drei Viertel allen Heldentums. Kaum hatte ich mein Verhalten jeder Einbildung entkleidet, als ich mich auch schon waffenlos einem Heer von Schrecknissen gegenüber befand. Plötzlich setzte ich mich aufrecht. Wie, wenn ich jetzt zu Prestongrange ginge, ihn abfinge, noch ehe er sich zu Bett legte (was ich immer noch leicht tun konnte), und mich ihm vollständig unterwarf? Wer konnte mich deshalb tadeln? Stuart, der Anwalt, nicht; ich brauchte nur zu erklären, ich wäre verfolgt worden, hätte keine Möglichkeit zur Flucht gesehen und mich ergeben. Catriona auch nicht; auch ihr gegenüber hatte ich meine Antwort parat: ich hätte nicht ertragen können, daß sie ihres Vaters Leben gefährde. So wäre ich im Handumdrehen alle meine Nöte losgeworden, die mich, im Grunde genommen, ja gar nichts angingen: mit dieser einzigen Geste konnte ich mich aus der Appiner Mordaffäre herausziehen, konnte sämtliche Stuarts und Campbells, Whigs und Tories der Welt abschütteln, für mich allein mein Vermögen genießen und vermehren und einen Teil meiner Jugend der Werbung um Catriona weihen, was doch entschieden eine passendere Beschäftigung war, als gleich einem Dieb gejagt und gehetzt zu werden und die ganzen schrecklichen Entbehrungen einer Flucht mit Alan von neuem auf sich zu nehmen. Anfänglich schämte ich mich meiner Kapitulation nicht; ich war nur ungemein erstaunt, daß mir derartiges nicht schon früher eingefallen war. Dann begann ich den Gründen dieser Sinnesänderung nachzugehen. Ich führte sie auf meine gedrückte Stimmung, diese wieder auf meinen plötzlichen Leichtsinn und letzteren auf die uralte, allgemein menschliche und nur allzu leicht übersehene Sünde des Sichgehenlassens zurück. Sogleich fiel mir der Text ein: ›Willst du den Teufel mit Beelzebub vertreiben?‹ Wie, überlegte ich bei mir, durch Weichlichkeit und Wandeln auf dem breiten Pfad der Freude und durch die Reize eines jungen Weibes war ich meinem ganzen Ich untreu geworden und hatte James und Alans Leben aufs Spiel gesetzt. Und jetzt wollte ich als Ausweg den gleichen Pfad wählen? Nein, der Schaden war durch Laschheit geschehen; das Gegenmittel war die Selbstzucht; das verweichlichte Fleisch mußte gekreuzigt werden. Ich erwog, welchen Weg ich am widerwilligsten beschreiten würde; die Antwort lautete: jetzt, ohne Alan zu sehen, den Wald verlassen, um wiederum allein in der Dunkelheit meinem verworrenen und gefährlichen Geschick entgegenzueilen. Ich habe diesen Teil meiner Selbstbetrachtungen um so ausführlicher geschildert, als ich glaube, er könnte jungen Leuten nützlich sein und ihnen als Beispiel dienen. Aber selbst im Kohlbauen liegt (wie man sagt) Vernunft, und auch Ethik und Religion lassen Raum für den gesunden Menschenverstand. Es war dicht vor Alans Stunde, und der Mond war untergegangen. Brach ich jetzt auf, so würden die Spione (die ich doch nicht gut heranpfeifen konnte) mich vielleicht verfehlen und sich statt dessen Alan an die Fersen heften. Blieb ich, so konnte ich wenigstens meinen Freund warnen und dadurch noch sein Leben retten. Ich war bislang dank meiner Nachlässigkeit leichtsinnig genug mit anderer Leute Leben umgesprungen; sie jetzt wiederum durch Nachlässigkeit lediglich unter dem Vorwand der Buße, zu gefährden, war schwerlich vernünftig. Kaum hatte ich mich also erhoben, da sank ich auch schon an meinen Platz zurück; jetzt aber war ich in ganz anderer Verfassung, gleichermaßen erstaunt über meine frühere Schwäche wie froh über meine gegenwärtige Gefaßtheit. Bald danach vernahm ich ein Knacken des Unterholzes. Ich legte mich mit dem Ohr auf die Erde und pfiff ein, zwei Takte von Alans Melodie; eine Antwort kam, nicht minder vorsichtig, und bald rannten wir in der Dunkelheit gegeneinander.

»Bist du’s endlich, Davie?« flüsterte er.

»Ich und kein anderer.« »Gott im Himmel, hab ich mich nach dir gesehnt, Bub!« sagte er. »Ist mir die Zeit lang geworden! Den ganzen Tag über mußte ich im Heu hausen, wo ich nicht die Hand vor Augen sehen konnte, und dann erst die letzten zwei Stunden Wartezeit, als du nicht kamst! Herrgott, du bist auch keinen Augenblick zu früh gekommen, denn morgen vormittag stech ich in See! Was sag ich, morgen? Heute!«

»Ja, Alan, heute wahrhaftig. Es ist sicherlich schon nach zwölf,« entgegnete ich, »heute mußt du fahren. Und diesmal ist es eine lange Reise!«

»Vorher halten wir noch einen langen Schwatz«, sagte er. Ich erzählte ihm also, was er wissen mußte, wobei ich alles ziemlich durcheinander brachte; aber zuletzt wurde es doch leidlich klar. Er hörte mich bis zu Ende an, ohne viele Fragen zu stellen, und lachte nur von Zeit zu Zeit wie jemand, der sich freut, und der Klang seines Lachens drang mir (vor allem dort in der Dunkelheit, da keiner den anderen sehen konnte) seltsam innig ans Herz. »Ja, Davie, du bist schon ein komischer Kauz,« meinte er, als ich schwieg, »ein merkwürdiger Hund; ich glaube, deinesgleichen hab ich nie gesehen. Und was deine Geschichte anbetrifft – nun, Prestongrange ist auch nur so ein Whig wie du selbst, ich will daher nichts gegen ihn sagen. Bei Gott, ich glaube, er ist noch der beste Freund, den du hast; wenn du dich nur auf ihn verlassen könntest. Aber Simon Fraser und James More, die kommen aus demselben Stall wie ich, und ich will ihnen den Namen geben, den sie verdienen. Der Böse selbst hat die Frasers gezeugt, das weiß ein jeder; und die Gregaras – na, deren Geruch konnt ich schon nicht vertragen, als ich kaum auf den Beinen stand. Einem – fällt mir da ein – hab ich die Nase blutig geschlagen, als ich noch so unsicher auf den Füßen war, daß ich nachher über ihn hinpurzelte. Mein Vater war ein stolzer Mann an jenem Tage, Gott hab ihn selig. Ich glaube auch, er hatte Grund dazu. Ich leugne nicht, daß der Robin ein recht anständiger Pfeifer ist,« fügte er hinzu, »doch diesen James More, den soll meinetwegen der Teufel holen.«

»Eins gibt es noch zu bedenken«, sagte ich. »Hat Charles Stuart recht oder unrecht? Sind sie nur hinter mir oder hinter uns beiden her?« »Was hast du für eine Meinung? Du Mann der großen Erfahrung?« fragte er.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich.

»Ich auch nicht«, sagte Alan. »Glaubst du, das Mädel wird dir Wort halten?«

»Ganz gewiß.« »Hm,« meinte er, »man kann nie wissen. Na, das liegt jetzt hinter uns: der Rote ist längst zu den anderen gestoßen.« »Wie zahlreich, glaubst du, werden sie sein?« forschte ich. »Je nachdem. Handelt es sich nur um dich, so an die zwei, drei muntere Burschen; und glauben sie mich mit abzufangen, vermutlich zehn bis zwölf.«

Ich konnte nicht anders, ich mußte leise lachen.

»Ich dächte, du hättest mit eigenen Augen gesehen, wie ich diese Zahl oder ihrer doppelt so viel vor mir hergetrieben habe«, rief er. »Es ist ja ganz gleich,« entgegnete ich, »einstweilen bin ich sie gründlich los.« »Das ist so deine Meinung,« fuhr er fort, »aber ich würde mich nicht im geringsten wundern, wenn sie hier im Walde hockten. Es sind Hochländer, verstehst du, David, mein Junge? Teils Frasers, teils Gregaras, meiner Ansicht nach; und ich kann nicht leugnen, daß beide, besonders die Gregaras, schlaue, erfahrene Burschen sind. Ein Kerl, der nicht schon im Tiefland eine Herde fetten Rindviehs so (sagen wir) seine zehn Meilen durch eine dichtbevölkerte Gegend getrieben hat, womöglich mit dem verdammten Soldatenpack auf seinen Fersen, versteht nicht viel vom Handwerk. Bei der Sache hab ich ein gut Teil meines Scharfsinns gelernt. Du brauchst mir nicht dreinzureden; ’s ist besser als Krieg: der kommt gleich hinterher, obwohl er zumeist ein recht uneinträgliches Geschäft ist. Aber die Gregaras – die haben eine großartige Übung.«

»Zweifellos hat man diesen Teil der Bildung bei mir vernachlässigt«, sagte ich. »Ich merk es dir auf Schritt und Tritt an,« bestätigte Alan. »Aber das ist das Sonderbare an euch Studierten: ihr seid unwissend und wollt’s nicht einsehen. Mit meinem Griechisch und Hebräisch hapert’s; aber, Mensch, ich weiß auch, daß ich’s nicht kann – da liegt der Unterschied. Nehmen wir dich als Beispiel. Du liegst hier in diesem geschützten Walde ein Weilchen auf dem Bauch und bildest dir ein, du hättest die Frasers und MacGregors abgeschüttelt. Weshalb? Weil ich sie nicht sehe, gibst du mir zur Antwort. Du Dummkopf, das ist doch ihr Geschäft.«

»Nimm also das Schlimmste an«, entgegnete ich. »Was sollen wir dann tun?« »Daran denke ich gerade«, sagte er. »Wir könnten uns ja trennen. Das wäre aber wenig nach meinem Geschmack, außerdem spricht vieles dagegen. Erstens ist es unheimlich finster, und wenn wir großes Glück haben, können wir ihnen entwischen. Bleiben wir zusammen, so bilden wir nur eine Linie; trennen wir uns, dann zwei; um so größer die Wahrscheinlichkeit, daß wir einigen von deinen Herrschaften in die Arme laufen. Zweitens: wenn sie uns auf der Spur bleiben, kann es immerhin zum Gefecht kommen, Davie; und ich gestehe, in dem Fall wäre es mir ganz lieb, dich an meiner Seite zu wissen, und dir wird’s auch nicht schaden, wenn du mich hast. Meiner Meinung nach sollten wir uns also nicht einen Augenblick später als jetzt aus dem Staube machen und östlich auf Gillane zu halten, wo mein Schiff auf mich wartet. Uns wird sein, als wären die alten Zeiten wieder da, Davie, so kurz es auch dauert; und inzwischen können wir uns überlegen, was du anfangen sollst. Mir widerstrebt’s, dich hier allein zu lassen.« »Also los, meinetwegen!« sagte ich. »Kehrst du zurück, woher du gekommen bist?«

»Den Teufel werd ich das«, meinte Alan. »Die Leute waren gut zu mir, aber ich glaube, sie wären arg enttäuscht, mein hübsches Gesicht wiederzusehen. In diesen Zeiten bin ich nicht gerade ein willkommener Gast. Um so mehr gelüstet’s mich nach Eurer Gesellschaft, Mr. David Balfour von Shaw. Also marsch! Abgesehen von zwei kurzen Gesprächen hier im Walde mit Charlie Stuart, hab ich kaum ja und nein gesagt, seit wir uns in Chorstorphine trennten.« Mit diesen Worten stand er auf, und wir machten uns behutsam in östlicher Richtung auf den Weg durch das Gehölz.

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Widmung

Catriona

Eine Fortsetzung zu »David Balfour v. Shaw«,

enthält: Die Memoiren und weiteren Abenteuer Davids sowohl in der Heimat wie in fremden Ländern und berichtet über die zahlreichen Mißgeschicke, die ihn anläßlich des Appiner Mordes trafen; seine Nöte mit dem Lord Staatsanwalt; seine Gefangenschaft auf der Felseninsel Baß; seine Reise nach Holland und Frankreich sowie seine höchstseltsamen Beziehungen zu James More Drummond oder MacGregor, Sohn des berüchtigten Rob Roy, und dessen Tochter Catriona, von ihm selbst erzählt und herausgegeben

von

Robert Louis Stevenson

Mein lieber Charles Baxter,

Es ist das Los aller Fortsetzungen, daß sie denen, die ihrer harrten, eine Enttäuschung bringen; und mein David muß sich darauf gefaßt machen, nachdem er länger als ein Lustrum vor den Toren der British Linen Company die Daumen gedreht hat, sich bei seinem verspäteten Wiederauftreten in der Welt mit Pfiffen, wenn nicht gar Schlimmerem, begrüßt zu sehen. Und doch bin ich nicht ganz ohne Hoffnung, gedenke ich der Tage unserer gemeinsamen Streifzüge. Irgendwo in unserer Heimatstadt dürfte es noch Nachkommen der paar Auserwählten geben; irgendein langbeiniger, heißblütiger Jüngling wird jetzt die Träume träumen und die Wanderungen unternehmen, die wir vor so vielen Jahren geträumt und zurückgelegt; sein wird die Freude sein, die sonst unser gewesen wäre, zwischen Straßenschildern und numerierten Häusern David Balfour auf seinen ländlichen Spaziergängen nachzugehen; er wird Dean und Silvermills und Broughton und Hope Park und das gute, alte Lochend – falls es noch steht – und Figgate Whins – wenn noch was von ihm übriggeblieben ist – aufspüren; vielleicht wird er gar (bei längerer Ferienzeit) über Land bis Gillane und der Insel Baß vordringen. So kann es geschehen, daß seine Augen geöffnet werden und er die Kette der Generationen überschaut und staunend das schwerwiegende und doch so eitle Geschenk des Lebens, das ihm zuteil geworden, wägen lernt.

Du weilst immer noch – wie zur Zeit, da ich Dich zuerst sah, da ich zuletzt das Wort an Dich richtete – in jener ehrwürdigen Stadt, die ich stets als meine Heimat betrachten werde. Und ich bin weit umhergezogen, und die Stätten und Gedanken meiner Jugend folgen mir nach; und traumbildgleich sehe ich die Jugend meines Vaters und die seines Vaters und den ganzen Strom des Lebens, der dort im fernen Norden fließt samt seinem Gelächter und seinen Tränen, den Strom, der mich an seiner Mündung, einem sprudelnden Rinnsal gleich, an diese entlegensten Inseln ausspie. Und ich neige bewundernd mein Haupt vor der Romantik des Geschicks.

R. L. S.
Vailima,
Upolu,
Samoa, 1892.

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Zusammenfassender Bericht über die früheren Abenteuer des Helden, wie sie in der Erzählung »David Balfour von Shaw« dargestellt sind

Die Brüder Alexander und Ebenezer Balfour aus dem Hause Shaw bei Crammond in dem Walde von Ettrick lieben die gleiche Dame und kommen miteinander überein, da sie den älteren Bruder, Alexander, vorzieht, daß Ebenezer als Entgelt für seine Enttäuschung das Gut Shaw erhalten soll. Alexander und seine Gattin ziehen nach Essendean, wo sie in der Abgeschiedenheit leben, Alexander in der Eigenschaft eines Dorfschulmeisters. Dort wird ihnen ein Sohn geboren, David Balfour, der Held dieser Erzählung. David, der in Unkenntnis der Familiengeschichte und seiner Ansprüche auf das Gut erzogen wird, verliert noch vor seinem achzehnten Lebensjahre beide Eltern und empfängt als einziges Erbe einen an seinen Oheim gerichteten, versiegelten Brief, der ihm von dem Pfarrer in Essendean, Mr. Campbell, ausgehändigt wird. Als David ihn abliefern will, entdeckt er, daß sein Oheim als kinderloser Geizhals zu Shaw haust; er wird von ihm unfreundlich aufgenommen und nach einem vergeblichen Anschlag auf sein Leben an Bord der nach den Karolinen bestimmten Brigg »Covenant«, Kapitän Hoseason, gelockt, um zur Zwangsarbeit auf die Plantagen verkauft zu werden. Allein, als die »Covenant« zu Beginn ihrer Reise die Meerenge von Minch durchfährt, überrennt sie ein offenes Boot und bringt es zum Kentern. Aus diesem Boot rettet sich und kommt an Bord ein hochländischer Gentleman, Alan Breck Stuart, der seit dem Jahre ’45 in der Verbannung lebt und jetzt unterwegs ist, um von seinen Clansleuten, den Appin-Stuarts, den Pachtzins für ihren Häuptling Ardshiel in dessen Exil nach Frankreich hinüberzuschmuggeln. Als Hoseason und seine Besatzung von dem Golde hören, das Alan mit sich trägt, verschwören sie sich, ihn auszurauben und zu ermorden; aber David, der in das Komplott eingeweiht wird, warnt Alan und verspricht, ihm beizustehen.

In der Enge der Kajüte gelingt es den beiden während des nun folgenden Handgemenges dank Alans Fechtkunst, ihrer Angreifer Herr zu werden, wobei sie über die Hälfte töten und verwunden. Dadurch sieht sich Kapitän Hoseason außerstande, seine Fahrt fortzusetzen, und einigt sich mit Alan dahin, ihn nach einem Teil der Küste zu bringen, von wo aus er sich am leichtesten nach seiner Heimat, der Landschaft Appin, durchschlagen kann. Aber bei diesem Versuche läuft die »Covenant« auf Grund und versinkt vor der Insel Mull. Die Schiffsinsassen retten sich, so gut sie können, und David wird von ihnen getrennt. Zuerst wird er auf die Insel Earraid verschlagen und zieht von dort aus quer durch Mull. Alan ist schon früher des gleichen Weges gezogen und hat David die Nachricht hinterlassen, daß er ihm folgen und in seiner Heimat, im Hause seines Verwandten James Stuart von der Schlucht, wieder zu ihm stoßen soll. David findet sich zu diesem Rendezvous am nämlichen Tage in Appin ein wie der Sachwalter des Königs, Colin Roy Campbell von Glenure, der mit einem Trupp Rotröcke dahergeritten kommt, um die Pächter von den beschlagnahmten Gütern Ardshiels zu vertreiben, und ist zugegen, als Glenure durch einen Schuß aus dem benachbarten Walde am Wegrande ermordet wird. Da gerade in dem Augenblick, als sich David an die Verfolgung des unbekannten Mörders macht, der Verdacht laut wird, daß er Mitschuldiger ist, entschließt er sich zur Flucht und stößt bald dabei auf Alan Breck, der ganz in der Nähe im Versteck liegt, obgleich er nicht den Schuß abgefeuert hat. Die beiden führen jetzt auf dem Moor das Leben von Flüchtlingen. Die Entrüstung über den Mord ist ungeheuer, und die Schuld wird öffentlich auf James Stuart von der Schlucht, den bereits geächteten Alan Breck und auf einen unbekannten jungen Burschen, der kein anderer als David Balfour ist, gewälzt. Für ihre Ergreifung wird ein Blutgeld ausgelobt und das Land von der Soldateska durchstöbert. Im Verlauf ihrer Irrfahrten besuchen David und Alan James Stuart in Aucharn, liegen verborgen in Cluny MacPhersons Käfig und sind gezwungen, im Hause von Duncan Dhu Maclaren in Balwhidder Obdach zu suchen, da David krank wird. Alan ficht einen Wettkampf auf dem Dudelsack mit Robin Oig, dem Sohne von Rob Roy, aus. Endlich, nach zahlreichen Gefahren und Leiden, gelangen sie bis zur Hochlandsgrenze und an den Forth. Aus Furcht vor Verhaftung wagen sie es aber nicht, den Forth zu überschreiten, bis es ihnen gelingt, eine Wirtstocher aus Limekilnes, Alison Hastie, zu bewegen, sie im Schutze der Nacht nach der Lothianküste überzusetzen. Alan verbirgt sich hier wieder, während David Mister Hope Rankeillor aufsucht, den Anwalt und früheren Verwalter der Shawschen Güter. Dieser nimmt sich sofort seiner Sache an und verwirklicht einen Plan, durch den mit Alans Hilfe Ebenezer Balfour gezwungen wird, seinen Neffen als berechtigten Erben der Güter anzuerkennen und ihm bis zu seinem, Ebenezers, Tode einen angemessenen Teil seines Einkommens zu überlassen.

Nachdem David Balfour auf diese Weise in seine Rechte eingesetzt ist, beschließt er, die Universität Leyden zu besuchen, um seine Erziehung zu vervollständigen. Erst jedoch muß er den Forderungen der Freundschaft und des Gewissens gerecht werden, indem er Alan hilft, aus Schottland zu fliehen und für die Unschuld James Stuarts von der Schlucht als Zeuge auftritt, der jetzt als Gefangener seiner Aburteilung wegen des Appiner Mordes entgegenbangt.