Wanderungen durch Holland

Der Postwagen, ein langes Gefährt mit Reihen von Bänken, brachte uns in vier Stunden nach der großen Stadt Rotterdam. Es war inzwischen längst dunkel geworden, aber die Straßen waren ziemlich hell erleuchtet und gedrängt voll wilder, fremdländischer Gestalten – bärtiger Hebräer, Neger und Scharen von Kurtisanen, die äußerst unanständig aufgeputzt waren und Seeleute am Ärmel festhielten. Das Schreien und Reden dröhnte uns in den Ohren, und, was das Erstaunliche von allem war: all diese Ausländer schienen auf uns ebensowenig Eindruck zu machen, wie wir auf sie. Um des Mädchens willen hatte ich das zuversichtlichste Gesicht von der Welt aufgesetzt; in Wahrheit jedoch kam ich mir wie ein verirrtes Schäfchen vor, und das Herz klopfte mir vor lauter Sorge. Ein-, zweimal erkundigte ich mich am Hafen nach dem Ankerplatz der »Rose«; allein ich geriet entweder an jemanden, der nur Holländisch sprach, oder mein eigenes Französisch versagte. Als ich auf gut Glück in eine Straße einbog, stieß ich auf eine Flucht erleuchteter Häuser, deren Türen und Fenster voll geschminkter, zweifelhafter Weiber waren; sie drängten und stießen uns im Vorübergehen, und ich war froh, daß wir ihre Sprache nicht verstanden. Bald danach kamen wir auf einen freien Platz am Hafen.

»Jetzt sind wir endlich am Ziel!« rief ich, als ich die Masten gewahrte. »Wir wollen hier am Hafen auf und ab spazieren. Da werden wir sicherlich bald jemanden treffen, der Englisch spricht; ja, wenn wir Glück haben, finden wir unser Schiff.«

Der Zufall wollte es, daß sich das Nächstbeste ereignete. Wem liefen wir so um neun Uhr abends in die Arme? Niemandem anderen als Kapitän Sang! Er berichtete, sie hätten die Fahrt in unglaublich kurzer Zeit zurückgelegt, da der kräftige Wind sie bis zu dem Hafen geleitet hätte; dadurch wäre es sämtlichen Passagieren noch möglich gewesen, sich auf die Weiterreise zu begeben. Wir konnten aber unmöglich den Gebbies bis nach Süddeutschland nachjagen und hatten hier keinen Bekannten, an den wir uns halten konnten, außer Kapitän Sang. Um so froher waren wir, als dieser sich sehr freundlich und hilfsbereit zeigte. Er erklärte, es wäre eine Kleinigkeit, eine einfache und anständige Kaufmannsfamilie zu finden, bei der Catriona bis zur Neuladung der »Rose« wohnen könnte, und daß er Fräulein Drummond mit Freuden umsonst nach Leith zurückbringen und wohlbehalten Mr. Gregory abliefern würde. Inzwischen führte er uns in eine Nachtkneipe, um uns zu einer Mahlzeit zu verhelfen, derer wir beide sehr bedürftig waren. Wie gesagt, er schien sehr freundlich und hilfsbereit, zu meiner Überraschung jedoch auch etwas ausgelassen, und der Grund hierfür wurde bald offenbar. In der Gaststätte bestellte er sofort Rheinwein, den er in reichlichen Mengen hinunterspülte, und wurde bald grenzenlos betrunken. Dabei verließ ihn, wie das bei vielen Männern, vornehmlich aber bei Männern seines rauhen Handwerks, nur allzu häufig der Fall ist, auch der letzte Rest von Manieren. Sein Benehmen der jungen Dame gegenüber war skandalös; er scherzte in der unflätigsten Weise über das Bild, das sie abgegeben hätte, als sie auf der Schiffsreeling stand, und mir blieb daher nichts übrig, als mich heimlich mit ihr zu entfernen. Als wir das Speisehaus verließen, klammerte sie sich krampfhaft an meinen Arm. »Führt mich fort von hier, David«, sagte sie. »Laßt mich bei Euch sein. Vor Euch habe ich keine Angst.« »Und habt dazu auch keine Ursache, meine kleine Freundin!« rief ich laut, im Stillen jedoch hätte ich weinen können. »Wo wollt Ihr mich jetzt hinführen?« forschte sie weiter. »Was Ihr auch tut, verlaßt mich nicht, verlaßt mich bitte nie.« »Ja, wo soll ich Euch hinführen?« wiederholte ich und hielt im Gehen inne – bislang war ich blind drauflos marschiert. »Ich muß ein Weilchen stehenbleiben und nachdenken. Ich werde Euch nie verlassen, Catriona; der Herrgott tue mir das Gleiche, ja, strafe mich noch härter, wenn ich Euch im Stich lasse oder kränke.« Als Antwort preßte sie sich noch enger an mich.

»Hier«, sagte ich, »ist der stillste Platz, den wir in dieser lauten, geschäftigen Stadt gefunden haben. Wir wollen uns unter jenem Baume niederlassen und unsere Lage bedenken.«

Der Baum (den ich so bald nicht vergessen werde) stand dicht am Hafenrand. Die Nacht war dunkel, aber in den Häusern und auf den schweigenden Schiffen in unserer Nähe brannte noch Licht; uns zur Rechten schimmerte der Lichterglanz der Stadt, und über ihr schwebte das Summen vieler Tausender von in Bewegung und im Gespräch befindlichen Menschen; zur Linken lag Dunkelheit und das glucksende Wasser. Ich breitete meinen Mantel über einen Stein und hieß Catriona sich niedersetzen; sie wollte sich auch weiterhin an mich klammern, so heftig zitterten die Beleidigungen in ihr nach, aber mir lag daran, meine Gedanken zu ordnen; daher machte ich mich von ihr los und vollführte vor ihr einen Schmugglermarsch, wie wir es nennen – immer auf und ab gehend und mir den Kopf nach einem Ausweg zerbrechend. Während ich hin und her überlegte, fiel mir ein, daß ich in der Eile und Hast unseres Aufbruchs es Kapitän Sang überlassen hatte, für uns die Zeche zu bezahlen. Ich mußte laut auflachen; meiner Meinung nach geschah es dem Manne ganz recht; gleichzeitig fuhr ich instinktiv mit der Hand in die Tasche, in der ich mein Geld aufbewahrte. Wahrscheinlich war mir die Sache in der Gasse zugestoßen, als die Weiber uns anrempelten; das eine war gewiß: ich hatte meine Börse verloren. »Ihr habt soeben einen guten Gedanken gehabt«, sagte Catriona, als sie merkte, wie ich stutzte.

In der Klemme, in der wir uns jetzt befanden, sah ich plötzlich ganz klar wie durch ein Fernrohr, daß uns keine Wahl übrigblieb. Ich besaß keinen Groschen Bargeld, aber in meiner Brieftasche ruhte mein Kreditbrief auf das Leydener Bankhaus. Es gab nur eine Möglichkeit, dorthin zu gelangen: unsere zwei Paar Füße. »Catriona,« sagte ich, »ich kenne Euch als ein tapferes und kräftiges Mädchen – glaubt Ihr, Ihr könntet auf ebener Landstraße dreißig Meilen wandern?« Es stellte sich später heraus, daß die Entfernung nur zwei Drittel davon betrug, aber ich glaubte, der Weg wäre so weit. »David,« entgegnete sie, »wenn Ihr mich in Eurer Nähe behaltet, will ich überall hingehen und alles tun, was Ihr wollt. Mir ist der Mut ganz gebrochen. Laßt mich nur nicht in dieser furchtbaren Stadt allein; sonst ist mir alles recht.« »Könnt Ihr jetzt aufbrechen und die Nacht über marschieren?« »Ich will alles tun, was Ihr von mir verlangt, und Euch niemals nach dem Grunde fragen. Ich habe mich Euch gegenüber als schlechtes, undankbares Mädchen gezeigt; macht jetzt mit mir, was Ihr wollt! Ich finde auch, Miß Grant ist das beste Fräulein von der Welt«, fügte sie hinzu, »und sehe nicht ein, weshalb sie Euch verleugnet hat.« Das war für mich Griechisch und Hebräisch, aber ich hatte anderes zu bedenken. Vor allem mußten wir aus der Stadt heraus auf die Leydener Heerstraße. Das erwies sich als ein hartes Problem, und es mochte ein bis zwei Uhr nachts geworden sein, ehe wir die glückliche Lösung fanden. Sobald die Häuser hinter uns lagen, hatten wir nichts, das uns als Wegzeichen dienen konnte, weder Mond noch Sterne, nur das weiße Band der Straße inmitten zweier schwarzer Seitenwege. Außerdem gestaltete sich das Gehen zu einer ungemeinen Schwierigkeit infolge eines eisigen Nachtfrostes, der ganz plötzlich nach Mitternacht eingesetzt und die Landstraße in eine einzige, lange Rutschbahn verwandelt hatte.

»Nun, Catriona,« bemerkte ich, »jetzt gleichen wir den Königssöhnen und den Töchtern der alten Hexe aus Euren wunderlichen Hochlandssagen. Bald wandern auch wir über die ›sieben Berge, die lieben Täler und die sieben Sümpfe‹ .« Das war so eine Redensart, die immer wieder in ihren Märchen vorkam, und die ich mir gemerkt hatte.

»Ja,« entgegnete sie, »nur gibt es hier keine Berge und Täler! Aber ich will nicht leugnen, einige der Bäume und der Ortschaften hier in der Ebene sind recht hübsch. Trotzdem ist unser Land das beste.«

»Ich wollte, wir könnten das gleiche von unseren Landsleuten behaupten«, erwiderte ich und dachte dabei an Sprott und Sang, vielleicht an James More selbst.

»Ich werde nie und nimmer Nachteiliges über meines Freundes Heimat sagen«, bemerkte sie mit so eigentümlicher Betonung, daß ich den Ausdruck ihres Gesichtes klar vor mir sah.

Ich sog scharf den Atem ein und wäre auf dem schwarzen Eise fast hingeschlagen.

»Ich weiß nicht, was Eure Meinung ist, Catriona,« sagte ich, als ich mich ein wenig gefaßt hatte, »aber ich finde, heute war bisher der schönste Tag unserer Reise. Ich schäme mich, es einzugestehen, da Ihr so viel Unglück und Unannehmlichkeiten hattet; aber für mich war es der schönste.«

»Es war ein guter Tag, da Ihr mir so viel Liebe zeigtet.« »Trotzdem schäme ich mich, so glücklich zu sein, während Ihr Euch hier in tiefster Nacht auf der Landstraße befindet.« »Wo in weiter Welt sollte ich sonst wohl sein?« rief sie. »Ich meine, bei Euch bin ich doch am sichersten.«

»Ihr habt mir also ganz verziehen?«

»Wollt Ihr mir nicht so weit verzeihen, nie wieder über die Sache zu sprechen?« stieß sie hervor; »in meinem Herzen lebt für Euch nichts als Dankbarkeit. Aber ich will ehrlich sein,« fügte sie überraschend hinzu, »jenem Mädchen kann ich nie vergeben.«

»Sprecht Ihr wieder von Miß Grant? Ihr sagtet doch selbst, sie sei das gütigste Fräulein von der Welt.«

»Das ist sie auch, das ist sie auch! Trotzdem kann ich ihr nie verzeihen. Nie und nimmer werde ich ihr verzeihen, also will ich nichts mehr von ihr hören.«

»Nun,« meinte ich, »das übersteigt wohl alles, was ich je erlebt habe; ich staune, daß Ihr so kindischen Launen nachgebt. Hier ist eine junge Dame, die sich uns beiden gegenüber als die treueste aller Freundinnen erwiesen hat, die uns lehrte, wie man sich anzieht, ja die uns ein gut Teil Gesittung beibrachte, wie jeder, der uns vor und nach unserer Bekanntschaft mit ihr kannte, auf den ersten Blick sehen muß –« Aber Catriona war mitten auf der Landstraße stehengeblieben. »Die Sache liegt so,« sagte sie, »entweder Ihr wollt weiter von ihr reden, und ich kehre, komme, was da wolle, zur Stadt zurück, oder Ihr erweist mir die Rücksicht, nicht mehr von ihr zu sprechen.«

So vollkommen ratlos wie ich war wohl keiner auf dieser Welt; aber ich überlegte mir, daß sie ganz und gar auf meinen Beistand angewiesen sei, daß sie dem schwachen Geschlecht angehöre und kaum die Kinderschuhe abgestreift hätte, und daß es mir gezieme, Vernunft für zwei zu zeigen.

»Mein liebes Mädchen,« antwortete ich, »ich begreife an der ganzen Sache keinen Deut, aber Gott verhüte, daß ich Euch auf irgendeine Weise erzürne. Und was das Gerede über Miß Grant betrifft, so ist es mir recht gleichgültig; ich glaube sogar, Ihr habt selbst damit angefangen. Meine einzige Absicht, als ich darauf einging, war, Euch eines Besseren zu belehren; ich hasse selbst den Schein der Ungerechtigkeit. Ich bin weit davon entfernt, einen schönen Stolz und edles, weibliches Zartgefühl an Euch zu tadeln; sie kleiden Euch außerordentlich gut, aber Ihr geht darin zu weit.«

»Seid Ihr jetzt fertig?« fragte sie.

»Jawohl.« »Das ist gut«, meinte sie, und wir setzten unsere Wanderung fort, jetzt aber schweigend.

Es ist unheimlich, in tiefster Nacht zu marschieren, nur von Schatten begleitet, und ohne jedes andere Geräusch als die eigenen Schritte. Anfänglich, glaube ich, brannte viel Feindschaft in unseren Herzen, aber die Dunkelheit und Kälte und das Schweigen, das nur von dem Krähen der Hähne oder von dem Gebell eines Bauernköters unterbrochen war, brachten gar bald unsern Stolz zu Fall. Ich für meinen Teil hätte jede entschuldbare Gelegenheit für eine Anrede mit Freuden begrüßt. Vor Morgengrauen fiel ein warmer Regen und fegte den Frost zu unseren Füßen spurlos hinweg. Da brachte ich Catriona meinen Mantel und versuchte, ihn ihr umzuhängen, aber sie sagte ziemlich ungeduldig, ich solle ihn behalten. »Keinesfalls«, entgegnete ich. »Ich bin ein großer, ungeschlachter Bursche, der bereits alle möglichen Unbilden der Witterung über sich hat ergehen lassen, und Ihr seid ein zartes, hübsches Mädchen! Liebe, wollt Ihr, daß ich mich schämen muß?«

Ohne weitere Worte hüllte ich sie darin ein, und da das in der Dunkelheit geschah, ließ ich fast wie als Liebkosung meine Hand einen Augenblick auf ihrer Schulter ruhen. »Ihr müßt versuchen, mit Eurem Freunde etwas mehr Geduld zu haben«, sagte ich. »Eure Güte nimmt kein Ende«, lautete ihre Antwort.

Und wieder ging es schweigend weiter; jetzt jedoch unter ganz anderen Bedingungen. Das Glück in meinem Herzen brannte wie ein Feuer in einem großen Kamine. Der Regen verging noch vor Tagesanbruch, aber es war ein kotiger Morgen, als wir in die Stadt Delft einzogen. Die rotgegiebelten Häuser nahmen sich zu beiden Seiten des Kanals recht stattlich aus; die Dienstmädel scheuerten und wuschen selbst die Pflastersteine der öffentlichen Heerstraße; Rauch stieg aus hundert Küchen auf, und bei mir meldete sich plötzlich das starke Gefühl, daß es an der Zeit sei, zu frühstücken. »Catriona,« sagte ich, »ich glaube, Ihr besitzt noch einen Schilling und drei Doppelpence?«

»Braucht Ihr sie?« erkundigte sie sich und händigte mir ihre Börse aus. »Ich wollte, es wären fünf Pfund! Was wollt Ihr damit machen?«

»Weshalb sind wir denn die ganze Nacht wie ein paar verirrte Zigeuner umhergewandert?« fragte ich. »Doch nur, weil ich in jener unglückseligen Stadt Rotterdam meiner Börse und all meines Hab und Gutes beraubt wurde. Ich erzähle Euch jetzt davon, weil ich glaube, daß das Schlimmste bereits vorüber ist; immerhin liegt noch ein ziemlicher Marsch vor uns, bis wir dorthin gelangen, wo sich mein Geld befindet; und wenn Ihr mir nicht ein Stück Brot kaufen wollt, muß ich wohl fasten.« Sie sah mich mit großen Augen an. Beim Licht des neuen Tages erkannte ich, daß sie ganz grau und bleich vor Müdigkeit war, und das Herz tat mir um ihretwillen weh. Sie brach indes in Lachen aus.

»Du meine Qual! So sind wir beide Bettler? Ihr auch? Ach, ich habe mir das gewünscht! Und ich freue mich, daß ich für Euch das Frühstück kaufen kann. Das wäre erst hübsch, wenn ich, um Euch eine Mahlzeit zu verschaffen, tanzen müßte! Ich glaube, sie kennen unsere Art des Tanzes hier nicht und würden vielleicht aus Neugier für den Anblick bezahlen.«

Ich hätte sie um dieses Wortes willen küssen mögen, nicht als Liebhaber, nur in der Glut meiner Bewunderung. Einem Mann wird stets warm ums Herz, wenn er eine tapfere Frau sieht.

Wir kauften von einer Bäuerin, die frisch in die Stadt gekommen war, einen Trunk Milch und in einem Bäckerladen ein Stück ausgezeichneten, heißen, süß duftenden Brotes, das wir unterwegs verzehrten. Der Weg von Delft nach dem Haag besteht aus einer fünf Meilen langen Allee schattiger Bäume, auf der einen Seite von einem Kanal, auf der anderen von ausgezeichneten Viehweiden begrenzt. Hier war es wirklich angenehm. »Und jetzt, Davie,« sagte sie, »verratet mir, was Ihr mit mir anfangen wollt?« »Das müssen wir noch besprechen, je eher, desto besser. Ich kann in Leyden Geld abheben; das ist also in Ordnung. Die Frage ist nur, was sollen wir mit Euch anfangen, bis Euer Vater zurückkehrt? Gestern nacht hatte es den Anschein, als trenntet Ihr Euch nicht gern von mir.« »Es hat mehr als nur den Anschein«, sagte sie.

»Ihr seid ein sehr junges Mädchen, und ich bin nur ein recht junger Bursch. Darin liegt eine große Schwierigkeit. Wie wollen wir es anstellen? Wollt Ihr Euch als meine Schwester ausgeben?«

»Weshalb denn nicht? Wenn Ihr es mir erlauben wollt?« »Ich wollte wahrhaftig, Ihr wäret es!« rief ich. »Ich wäre ein ganzer Kerl, besäße ich eine solche Schwester. Aber der Haken ist, Ihr seid Catriona Drummond.«

»Und jetzt will ich Catriona Balfour sein«, entgegnete sie. »Wer soll dahinterkommen? Die Leute hier sind uns alle fremd.« »Wenn Ihr meint, es ginge? Ich gestehe, mir macht es Sorge. Mir wäre es recht arg, wenn ich Euch falsch beriete.« »David, Ihr seid hier der einzige Freund, den ich besitze.« »Die reine Wahrheit ist, ich bin zu jung, um Euer Freund zu sein. Ich bin zu jung, Euch zu beraten, und Ihr seid zu jung, um beraten zu werden. Ich sehe nicht ein, was uns sonst übrigbleibt, und doch fühl ich mich verpflichtet, Euch zu warnen.«

»Mir bleibt keine andere Wahl«, sagte sie. »Mein Vater, James More, hat nicht gut an mir gehandelt, es ist nicht das erstemal. Ich bin Euch gleich einem Sack Hafermehl aufgehalst worden und habe mich jetzt nur noch nach Euren Wünschen zu richten. Wollt Ihr mich – schön und gut. Wollt Ihr mich nicht,« – sie drehte sich nach mir um und legte ihre Hand auf meinen Arm – »David, ich fürchte mich.« »Trotzdem muß ich Euch warnen«, hub ich von neuem an, und dann fiel mir ein, daß ich ja der Säckelbewahrer sei, und daß es beileibe nicht anginge, den Anschein zu erwecken, als wolle ich mich lumpen lassen. »Catriona,« fuhr ich fort, »versteht mich nicht falsch: ich will Euch gegenüber nur meine Pflicht erfüllen, Mädchen! Ich befinde mich hier allein in einer fremden Stadt, um ein einsamer Student zu werden; und jetzt hat es sich so gefügt, daß Ihr vielleicht ein Weilchen bei mir wohnen werdet, wie eine Schwester. Ihr versteht doch wenigstens das eine, Liebe, daß ich Euch sehr, sehr gerne bei mir haben möchte?« »Nun, hier bin ich ja«, entgegnete sie. »Das wäre also in Ordnung.« Ich weiß, ich war verpflichtet, offener mit ihr zu sein. Ich weiß, dies ist ein großer Flecken auf meinem Charakter, und es war ein Glück, daß ich nicht teurer dafür bezahlen mußte. Aber ich erinnerte mich, wie stark ihr Zartgefühl schon durch das Wort »küssen« in Barbaras Brief verletzt worden war; wie sollte ich da jetzt, nun sie auf mich angewiesen war, kühner sein? Außerdem sah ich wahrhaftig keine andere Möglichkeit, für sie zu sorgen, und wahrscheinlich zogen auch meine Wünsche mich heftig in diese Richtung. Kurz hinter dem Haag wurde Catriona recht fußlahm und legte den Rest der Entfernung mit ziemlicher Mühe zurück. Zweimal mußte sie am Wegrain ausruhen, und sie tat es mit allerlei anmutigen Reden, indem sie sich vorwarf, sie mache dem Hochland und der Rasse, der sie entstamme, Schande und bedeute für mich nur einen Hemmschuh. Ihre Entschuldigung, sagte sie, sei, daß sie es nicht gewöhnt wäre, in Schuhen zu wandern. Ich wollte, sie solle Schuhe und Strümpfe ablegen und barfuß gehen. Aber sie machte mich darauf aufmerksam, daß anscheinend alle Weiber hierzulande, selbst auf den Landwegen, Schuhzeug trügen. »Ich darf meinem Bruder keine Schande machen«, sagte sie und machte dabei die heitersten Scherze, aber ihr Gesicht strafte sie Lügen.

In der Stadt, die unser Ziel war, befindet sich ein öffentlicher Garten; die Wege sind ganz mit reinem Sand bestreut; die Bäume, teils beschnitten, teils verflochten, bilden zu Häupten ein dichtes Blätterdach, und der ganze Ort ist verschönt durch Laubengänge und Lauben. Hier ließ ich Catriona auf mich warten, während ich meinen Korrespondenten aufsuchte. Dort nahm ich einen Teil meines Kredites in Anspruch und bat ihn, mir eine anständige, ruhige Unterkunft zu empfehlen. Da mein Gepäck noch nicht angekommen war, sagte ich ihm, daß ich wahrscheinlich bei meinen Wirtsleuten seiner Bürgschaft bedürfen würde; dann setzte ich ihm auseinander, daß meine Schwester mich auf kurze Zeit begleitet hätte, um mir die Wirtschaft zu führen, und daß ich daher zwei Zimmer brauchen würde. Das Schlimme aber war: Mr. Balfour hatte sich in seinem Schreiben auf alle möglichen Einzelheiten eingelassen, ohne jedoch ein Wort von einer Schwester zu erwähnen. Ich sah, der Holländer faßte starken Argwohn, und mich über den Rand eines gewaltigen Paars Augengläser anstarrend – er war ein elendes, schwächliches Kerlchen und erinnerte mich an ein krankes Kaninchen – begann er mich eingehend auszufragen. Da ergriff mich eine förmliche Panik. Wenn er nun meine Geschichte glaubt (dachte ich), wenn er mich mit meiner Schwester in sein Haus einladet und ich sie mitbringen muß! Ein nettes Knäuel gab’s da zu entwirren; ja vielleicht würde ich damit endigen, das Mädel wie mich selbst rettungslos zu blamieren. Ich begann ihm also in aller Eile meiner Schwester Charakter zu schildern. Sie sei außerordentlich schüchtern und scheue sich so sehr, fremden Menschen zu begegnen, daß ich sie in diesem Augenblick allein auf einem öffentlichen Platz hätte sitzen lassen. Soweit gediehen, tat ich, was alle in meiner Lage getan haben und verwickelte mich viel tiefer, als nötig war; ja, ich erging mich in einigen völlig überflüssigen Details über Miß Balfours schwächliche Gesundheit und ihr zurückgezogenes Leben als Kind. Da, inmitten dieser Auseinandersetzungen, wurde mir mein Benehmen plötzlich klar, und von Kopf bis zu Fuß überströmte mich eine einzige Blutwelle.

Der alte Herr war nicht so tief ins Netz gegangen, daß er nicht den Wunsch spürte, mich sobald wie möglich loszuwerden. Vor allem war er aber Geschäftsmann, und da mein Geld gut war, mochte mein Betragen noch so viel zu wünschen übriglassen, hatte er die Gewogenheit, mir seinen Sohn als Führer und Bürgen in der Wohnungssuche mitzugeben. Dadurch war ich gezwungen, den jungen Mann Catriona vorzustellen. Das arme, hübsche Kind hatte sich durch die Ruhe gut erholt; ihr Aussehen und ihr Benehmen waren tadelfrei, sie ergriff meinen Arm und nannte mich »Bruder« mit weit größerer Leichtigkeit, als ich zu antworten vermochte. Aber ein unglücklicher Umstand zeigte sich auch hier: in der irrigen Annahme, mir zu helfen, war sie eher vertraulich als das Gegenteil meinem Holländer gegenüber. Ich konnte nicht anders, mich dünkte, Miß Balfour hatte etwas plötzlich ihre Schüchternheit überwunden. Dann gab es noch ein weiteres Bedenken: der Unterschied unserer Rede. Ich sprach den Dialekt der Flachlande und dehnte meine Worte; sie hatte eine Stimme, wie sie nur in den Hochlanden zu finden ist, unterhielt sich mit leicht englischem, aber weit reizenderem Akzent und konnte hinsichtlich der englischen Grammatik nicht gerade als ein Kirchenlicht gelten. Als Bruder und Schwester machten wir daher ein etwas ungleiches Paar. Aber der junge Holländer war ein schwerfälliger Kerl und besaß nicht einmal genügend Temperament, ihre Schönheit zu bemerken – wofür ich ihn gründlich verachtete. Kaum hatten wir ein Dach über unserem Haupte, da ließ er uns zu unserer größten Erleichterung allein.