Zehntes Kapitel.


Zehntes Kapitel.

Wie Herr Ralph Nickleby für seine Nichte und Schwägerin sorgt.

Am zweiten Morgen nach Nicolaus‘ Abreise saß Käthchen Nickleby in einem ziemlich verblichenen Lehnsessel, der auf einer sehr staubigen Erhöhung stand, in Fräulein La Creevys Zimmer, um von derselben ihr angefangenes Porträt vollenden zu lassen. Damit übrigens zu dessen höchster Vervollkommnung nichts fehle, hatte Fräulein La Creevy den Haustürrahmen heraufbringen lassen, um aus demselben für Fräulein Nicklebys Antlitz eine helle salmenfleischrote Farbe zu entnehmen, auf die sie ursprünglich bei der Porträtierung eines jungen Offiziers verfallen war, und die von Fräulein La Creevys Hauptgönnern und Freunden als etwas ganz Neues in der Kunst betrachtet wurde, was auch wirklich der Fall war.

»Ich denke, ich habe es jetzt«, sagte Fräulein La Creevy. »Ganz derselbe Schatten. Gewiß, es wird das lieblichste Bild werden, das ich je gemalt habe.«

»Dann ist es jedenfalls nur Ihre Kunst, die es dazu macht«, versetzte Käthchen lächelnd.

»Nein, nein, das gebe ich nicht zu, meine Liebe«, entgegnete Fräulein La Creevy. »Gewiß – der Gegenstand schon ist allerliebst –, obgleich natürlich einiges auf die Behandlungsweise ankommt.«

»Und zwar nicht wenig«, bemerkte Käthchen.

»Da haben Sie allerdings recht, meine Liebe«, erwiderte Fräulein La Creevy – »in der Hauptsache recht, obgleich ich nicht einräumen kann, daß dies in dem gegenwärtigen Falle besonders in Betracht kommt. Ach, die Kunst hat ihre großen Schwierigkeiten, meine Teure.«

»Ich zweifle nicht daran, und es muß wohl so sein«, sagte Käthchen, auf das Steckenpferd ihrer gutmütigen kleinen Freundin eingehend.

»Ach, sie übersteigen alle Begriffe«, erwiderte Fräulein La Creevy. »Sie haben keine Ahnung davon, was es für Mühe kostet, dem Auge den gehörigen Ausdruck zu geben und die Nase in das geeignete Verhältnis mit dem Kopfe zu bringen, von Zähnen gar nicht zu reden.«

»So etwas läßt sich kaum mit Geld bezahlen«, meinte Käthchen.

»Da haben Sie vollkommen recht«, entgegnete Fräulein La Creevy; »und dann sind die Leute auch so unvernünftig und schwer zu befriedigen, daß man unter zehn Porträts kaum eins mit Vergnügen malen kann. Das eine Mal sagen sie: »Ach, was für ein ernstes Gesicht haben Sie mir gemacht, Fräulein La Creevy«; ein andermal heißt es: »Aber Fräulein La Creevy, was ist das für ein schmunzelnder Mund?« während doch ein gutes Porträt entweder ernst oder heiter sein muß, sonst ist es überhaupt kein Porträt.«

»Wirklich?« fragte Käthchen lachend.

»Gewiß, meine Liebe, denn die Sitzenden sind immer entweder das eine oder das andere«, versetzte Fräulein La Creevy. »Betrachten Sie die Porträts in der königlichen Akademie – alle die schönen Bilder von Herren in schwarzen Samtwesten mit den auf runden Tischen oder Marmorplatten ruhenden Händen sind bekanntermaßen ernsthaft; und Damen, die mit Sonnenschirmchen, Schoßhündchen oder kleinen Kindern spielen, müssen nach denselben Kunstregcln lächelnd gehalten werden. In der Tat gibt es«, fuhr Fräulein La Creevy in einem vertraulichen Flüstern fort – »nur einen zweifachen Porträtstil – den ernsten und den heitern; des ersteren bedienen wir uns immer bei Geschäftsmännern, des letztern bei Damen oder bei Herren, die sich nicht viel darum kümmern, ob sie gescheit aussehen oder nicht.«

Käthchen schien durch diese Belehrung sehr erheitert zu werden, während Fräulein La Creevy weiter malte und in einem fort mit unveränderter Selbstgefälligkeit plauderte.

»Es scheint, daß Sie viele Offiziere malen müssen«, sagte Käthchen, indem sie eine kleine Pause in der Unterhaltung benutzte, um sich im Zimmer umzusehen.

»Viele, mein Kind?« fragte Fräulein La Creevy, von ihrer Arbeit aufsehend. »Ah, Sie meinen die Charakterporträts – es sind keine wirkliche Militärpersonen.«

»Nicht?«

»Du mein Himmel, nein. Es sind nur Schreiber, Ladendiener und dergleichen, die sich eine Uniform mieten und sie in einem Tuch eingeschlagen herschicken, um sie beim Sitzen anziehen zu können. Einige Künstler halten sich einen Scharlachrock und berechnen für seine Benutzung nebst dem Karmin acht Schilling extra. Ich gebe mich jedoch nicht mit derartigen Spekulationen ab, da ich sie nicht für recht halte.«

Fräulein La Creevy warf sich bei diesen Worten in die Brust, als ob sie sich viel darauf zugut täte, daß sie derartige, Kunden anködernde Kunstgriffe verschmähe, und malte dann wieder emsig fort, indem sie nur hier und da den Kopf aufrichtete, um irgendeine Schattierung, die sie eben angebracht hatte, mit einem unaussprechlichen Wohlbehagen zu betrachten, oder hin und wieder Fräulein Nickleby zu verstehen gab, mit welchem besonderen Teil ihres Gesichts sie eben beschäftigt wäre, »nicht damit Sie ihn in eine malerische Haltung bringen sollen, meine Liebe«, bemerkte sie ausdrücklich, »sondern es ist nur unsere Gewohnheit, den Sitzenden zu sagen, bei welcher Partie wir sind, damit sie, wenn sie einen besondern Ausdruck in derselben angebracht wissen wollen, diesen noch beizeiten hineinlegen können.«

»Und wann«, sagte Fräulein La Creevy nach einem langen Schweigen, was in dem gegenwärtigen Fall ungefähr einen Zeitraum von anderthalb Minuten bezeichnet, »wann hoffen Sie Ihren Onkel wiederzusehen?«

»Das weiß ich nicht zu sagen«, versetzte Käthchen, »denn wir harren bereits seit einigen Tagen vergebens auf seinen Besuch. Ich hoffe jedoch, daß er sich bald zeigen wird, denn die Ungewißheit ist schlimmer als alles andere.«

»Ich glaube, er hat Geld, nicht wahr?« fragte Fräulein La Creevy.

»Dem Vernehmen nach ist er sehr reich«, antwortete Käthchen. »Ich weiß dies freilich nicht mit Bestimmtheit, aber ich glaube es selber auch.«

»Ah, Sie können sich darauf verlassen, daß er es ist, sonst würde er nicht so grob sein«, bemerkte Fräulein La Creevy, die eine seltsame kleine Mischung von Schlauheit und Einfalt war. »Wenn einer ein Bär ist, so kann man im allgemeinen annehmen, daß er ziemlich unabhängig lebt.«

»Ei hat allerdings eine etwas rauhe Außenseite«, sagte Käthchen.

»Etwas rauh?« rief Fräulein La Creevy; »ein Igel ist ein Federbett gegen ihn. Ich habe in meinem ganzen Leben keinen solchen widerhaarigen alten Brummbart gesehen.«

»Ich vermute, daß dies nur so seine Art ist«, bemerkte Käthchen schüchtern. »Ich habe, glaube ich, gehört, daß er in früheren Jahren manche bittere Erfahrung gemacht hat, wodurch er sauertöpfisch wurde. Ich möchte nicht gern Schlimmes von ihm denken, solange ich nicht weiß, daß er es verdient.«

»Nun, das ist lobenswert«, versetzte die Porträtmalerin, »und behüte Gott, daß ich Sie zu einem Unrecht veranlasse. Aber könnte er jetzt nicht, ohne daß es ihm selbst wehe täte, Ihnen und Ihrer Mutter ein kleines Jahrgehalt auswerfen, das Sie beide nährte, bis sich eine passende Partie für Sie fände, und auch dann noch Ihrer Mutter eine sorgenfreie Lage bereitete? Was würden ihm z.B. hundert Pfund jährlich ausmachen?«

»Das weiß ich nicht«, sagte Käthchen mit großem Nachdruck, »aber mir würde es so viel ausmachen, daß ich lieber sterben, als sie annehmen wollte.«

»Ei, ei, was Sie da sagen«, versetzte Fräulein La Creevy.

»Es würde mir mein ganzes Leben verbittern, wenn ich von ihm abhängig sein müßte«, fuhr Käthchen fort. »Sogar das Betteln kommt mir weniger erniedrigend vor.«

»Wohl«, rief Fräulein La Creevy; »doch ich gestehe, meine Liebe, daß dies sonderbar genug klingt in Bezug auf einen Verwandten, über den eine unbeteiligte Person vor Ihren Ohren kein böses Wörtchen sagen soll.«

»Sie haben recht, es klingt allerdings sonderbar«, erwiderte Käthchen in einem weniger aufgeregten Tone. »Ich – ich – meinte übrigens damit nur, ich könnte es, da mir die Gefühle und Erinnerungen besserer Tage noch so lebhaft vor der Seele stehen, nicht ertragen, von der Gnade eines anderen zu leben – nicht vorzugsweise von der seinigen, sondern überhaupt.«

Fräulein La Creevy warf einen forschenden Blick auf ihre Gefährtin, als könne sie nicht recht glauben, daß nicht Ralph selbst der Gegenstand ihrer Abneigung wäre. Da sie aber einen schmerzlichen Ausdruck in den Zügen ihrer jungen Freundin bemerkte, so unterließ sie die Erwiderung.

»Ich wünsche nichts von ihm«, fuhr Käthchen fort, während Tränen über die Wangen flossen, »als daß er sich für mich soweit einsetzt, um mich durch seine Empfehlung – nur durch seine Empfehlung – in den Stand zu setzen, daß ich im buchstäblichen Sinne des Worts mein Brot verdienen und bei meiner Mutter bleiben kann. Ob wir je wieder glücklich sein werden, hängt von dem Schicksal meines lieben Bruders ab. Sorgt aber mein Onkel in der angedeuteten Weise für mich, und schreibt uns Nicolaus nur, daß er gesund und heiter ist, so will ich ja gern zufrieden sein.«

Sie hatte kaum zu sprechen aufgehört, als sich ein Rasseln hinter der spanischen Wand vernehmen ließ, die zwischen ihr und der Tür stand, und unmittelbar darauf pochte jemand an das Getäfel.

»Herein, wer es immer sein mag«, rief Fräulein La Creevy.

Der Klopfende leistete der Aufforderung Folge und ließ, als er ins Zimmer trat, nichts Geringeres als die Gestalt und Züge des Herrn Ralph Nickleby erkennen.

»Ihr Diener, meine Damen«, sagte Ralph, sie abwechselnd anblickend. »Sie sprachen so laut, daß ich nicht imstande war, mich bemerklich zu machen.«

Wenn Ralph Nickleby einen ungewöhnlich boshaften Gedanken in seinem Herzen barg, so war es seine Gewohnheit, seine Augen einen Augenblick fast ganz unter den dicken, buschigen Brauen zu verbergen und sie dann in ihrer vollen Schärfe hervorbrechen zu lassen. Da er es auch in dem gegenwärtigen Moment so machte und das Lächeln zu unterdrücken suchte, das seine dünnen, zusammengekniffenen Lippen mit boshaften Falten umzog, so fühlten beide, daß er wenigstens einen Teil, wo nicht das Ganze der Unterhaltung behorcht hatte.

»Ich war im Begriff, die Stiegen hinaufzugehen, wollte aber zuerst unten vorsprechen, weil ich halb und halb vermutete, dich hier zu treffen«, sagte Ralph zu Käthchen, indem er einen verächtlichen Blick auf das Porträt warf. »Ist dies das Porträt meiner Nichte, Madame?«

»Ja, Herr Nickleby«, entgegnete Fräulein La Creevy sehr lebhaft »und unter uns gesagt, Sir, es wird ein recht hübsches Porträt werden, obgleich es die Künstlerin selbst sagt.«

»Nehmen Sie sich nicht die Mühe, es mir zu zeigen, Madame«, versetzte Ralph zurücktretend; »ich habe kein Auge für Ähnlichkeiten. Ist es wohl bald fertig?«

»Bald«, erwiderte Fräulein La Creevy, indem sie, den Pinselstiel in den Mund nehmend, ein wenig nachsann. »Noch zwei Sitzungen werden –«

»Machen Sie’s gleich in einer ab, Madame«, sagte Ralph; »sie wird übermorgen keine Zeit mehr haben, um sie an dergleichen Torheiten zu verschwenden. Arbeit, Madame – Arbeit ist die Seele des Lebens; wir alle müssen arbeiten. Haben Sie Ihre Zimmer schon wieder vermietet, Madame?«

»Ich habe ihr noch nicht gekündigt, Sir«.

»So tun Sie es schnell, Madame. Meine Schwägerin braucht sie in der nächsten Woche nicht mehr, oder wenn es auch der Fall wäre, so wird es an der Bezahlung fehlen. – Nun, meine Liebe, wenn du bereit bist, so wollen wir keine Zeit mehr verlieren.«

Mit einer geheuchelten Freundlichkeit, die ihm sogar noch übler stand als sein gewohntes Benehmen, winkte Herr Ralph Nickleby der jungen Dame, vorauszugehen, verbeugte sich ernst gegen Fräulein La Creevy, schloß die Tür und folgte Käthchen die Treppe hinauf, wo ihn Frau Nickleby mit vielen Hochachtungsbezeugungen empfing. Ralph unterbrach sie jedoch in ihrem Redefluß mit einer ungeduldigen Handbewegung und ging auf den Zweck seines Besuches über.

»Ich habe einen Platz für Ihre Tochter gefunden«, sagte Ralph.

»Herrlich«, versetzte Frau Nickleby; »doch ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet. Ich sagte erst gestern morgen beim Frühstück zu Käthchen: verlaß dich drauf, daß dein Onkel, nachdem er für Nicolaus so gut gesorgt hat, uns nicht verlassen wird, bis ihm mit dir ein gleiches gelungen ist. Ja, dies waren, soviel ich mich erinnern kann, meine Worte. Liebes Käthchen, warum dankst du nicht deinem –«

»Ich bitte, lassen Sie mich fortfahren, Madame«, unterbrach Ralph den Gießbach ihrer Beredsamkeit.

»Liebes Käthchen, laß deinen Onkel fortfahren«, sagte Frau Nickleby.

»Ich harre in der gespanntesten Erwartung, Mama«, erwiderte Käthchen.

»Nun, meine Liebe, wenn du so gespannt darauf bist, so wirst du besser tun, deinen Onkel sagen zu lassen, was er zu sagen hat, ohne ihn zu unterbrechen«, sagte Frau Nickleby mit manchem kleinen Nicken und Kopfschütteln. »Die Zeit deines Onkels ist kostbar, meine Liebe, und wie sehr es auch dein Wunsch sein mag – und es muß natürlich, teuren Verwandten gegenüber, die man noch so wenig kennt, wie wir deinen Onkel, unser Wunsch sein –, das Vergnügen, ihn bei uns zu haben, zu verlängern, so dürfen wir doch nicht selbstsüchtig sein, sondern müssen in Erwägung ziehen, was er für wichtige Geschäfte in der City hat.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Madame«, sagte Ralph mit einem kaum bemerklichen Hohnlächeln. »Der Umstand, daß man in dieser Familie nicht an Geschäfte gewöhnt ist, führt, wie ich sehe, zu einer großen Verschwendung von Worten, so daß man, wenn einmal von einem wirklichen Geschäft die Rede ist, gar nicht zu demselben kommen kann.«

»Ich fürchte, es ist nur zu wahr«, versetzte Frau Nickleby mit einem Seufzer. »Ihr armer Bruder –«

»Mein armer Bruder, Madame«, fiel Ralph mit Härte ein, »hatte gar keinen Begriff von einem Geschäft und kannte, wie ich zuverlässig glaube, nicht einmal die Bedeutung des Worts.«

»Ich fürchte, Sie haben recht«, sagte Frau Nickleby, ihr Schnupftuch an die Augen drückend. »Wenn er nicht mich gehabt hätte, so weiß ich nicht, was aus ihm geworden wäre.«

Welches seltsame Geschöpf ist nicht der Mensch? Der leichte Köder, den Ralph bei der ersten Begegnung so geschickt hingeworfen hatte, hing noch immer an der Angel. Bei jeder kleinen Entbehrung und Unbequemlichkeit, die Frau Nickleby im Laufe der vierundzwanzig Stunden des Tages an ihre beschränkten und veränderten Verhältnisse erinnerte, knüpfte sich ein mürrischer Rückblick auf ihre tausend Pfund, bis sie sich endlich ganz in die Überzeugung hineingearbeitet hatte, daß sie von allen Gläubigern ihres seligen Mannes am übelsten behandelt worden und daher am meisten zu beklagen sei. Und doch war sie nicht selbstsüchtiger als andere und hatte ihren Mann viele Jahre lang innig geliebt. So reizbar wird man durch plötzliche Verarmung! Ein anständiges Auskommen würde mit einemmal ihren Gedanken wieder die alte Richtung gegeben haben.

»Das Jammern hilft nichts, Madame«, sagte Ralph. »Von allem nutzlosen Treiben ist es das nutzloseste, einem Tag, der entschwunden ist, Tränen nachzuschicken.«

»Es ist so«, schluchzte Frau Nickleby, »es ist so.«

»Da Sie die Folgen der Hintansetzung eines rührigen Lebens an Ihrer eigenen Börse und Person so schwer empfinden, Madame«, fuhr Ralph fort, »so hoffe ich, Sie werden Ihren Kindern die Notwendigkeit unermüdlichen Arbeitens ans Herz legen.«

»Natürlich, natürlich«, entgegnete Frau Nickleby. »Traurige Erfahrungen, wie Sie wissen, Schwager – liebes Käthchen, führe das in deinem nächsten Briefe an Nicolaus an, oder erinnere mich daran, wenn ich ihm schreibe.«

Ralph hielt eine Weile inne, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Mutter vollkommen auf seiner Seite wäre, wenn auch die Tochter gegen seinen Vorschlag etwas einzuwenden haben sollte, fuhr er fort:

»Die Stelle, die ich ihr zu verschaffen Sorge trug, Madame, ist bei – bei einer Putz- und Kleidermacherin, mit einem Worte.«

»Bei einer Putzmacherin?« rief Frau Nickleby.

»Einer Putz- und Kleidermacherin, Madame«, wiederholte Ralph. »Ich brauche einer Frau, die so viel Lebenserfahrung hat, nicht erst zu sagen, daß sich Kleidermacherinnen in London ein schönes Geld verdienen, Equipagen halten und zu großem Reichtum gelangen.«

Das Wort »Putz- und Kleidermacherin« hatte Frau Nicklebys Gedanken mit gewissen geflochtenen, mit Wachstuch ausgelegten Weidenkörben in Verbindung gebracht, die sie, wie sie sich erinnerte, in den Straßen hatte hin- und hertragen sehen. Aber als Ralph fortfuhr, verschwand dieser Eindruck und machte den Träumen von großen Häusern in dem Westend Londons, zierlichen Equipagen und Kapitalbriefen Platz – Bilder, die sich mit solcher Raschheit folgten, daß sie, noch ehe er ausgesprochen hatte, mit dem Kopf nickte und, augenscheinlich sehr zufrieden, ihre Zustimmung zu erkennen gab.

»Was dein Onkel sagt, ist vollkommen richtig, Käthchen«, sagte Frau Nickleby. »Ich kam, als wir kaum verheiratet waren, mit deinem armen Vater nach der Stadt, und ich erinnere mich noch recht gut, daß mir eine junge Dame einen Spadrihut mit weißem und grünem Besatz und grünem, seidenem Futter in ihrem eigenen Wagen, der in vollem Galopp anfuhr, ins Haus brachte; – ich weiß zwar nicht ganz bestimmt, ob es ihr eigener Wagen oder eine Mietkutsche war, aber ich erinnere mich noch recht gut, daß das Pferd beim Umwenden tot niederfiel, und daß dein armer Vater meinte, es hätte vierzehn Tage keinen Hafer zu fressen bekommen.«

Diese Anekdote, so schlagend sie auch die Wohlhabenheit der Putzmacherinnen darlegte, schien übrigens keinen besonderen Anklang zu finden, denn Käthchen ließ den Kopf sinken, und Ralph zeigte unzweideutige Spuren der äußersten Ungeduld.

»Die in Frage stehende Dame –« fiel Ralph hastig ein – »heißt Mantalini – Madame Mantalini. Ich kenne sie; sie wohnt in der Nähe von Cavandish-Square. Wenn Ihre Tochter geneigt ist, sich um die Stelle zu bewerben, so will ich sie gleich mit hinnehmen.«

»Hast du deinem Onkel nichts zu sagen, meine Liebe?« fragte Frau Nickleby.

»O, sehr viel«, versetzte Käthchen, »aber nicht jetzt. Ich möchte lieber unter vier Augen mit ihm sprechen. Es wird ihm Zeit ersparen, wenn ich ihm meinen Dank und das, was ich ihm zu eröffnen habe, auf dem Wege sage.«

Käthchen eilte mit diesen Worten hinaus, um die in ihren Augen quellenden Tränen zu verbergen und sich zum Ausgehen anzukleiden, während Frau Nickleby unter vielen Zähren ihren Schwager mit der umständlichen Beschreibung eines Klaviers aus Rosenholz und einer Garnitur Sessel mit gedrechselten Beinen und grünen Sitzpolstern unterhielt, die sie in den Tagen ihrer Wohlhabenheit besessen hätte, wobei sie anmerkte, daß von den letzteren jedes Stück zwei Pfund fünfzehn Schillinge gekostet hätte, daß aber bei der Versteigerung diese Raritäten fast um nichts losgeschlagen worden wären.

Diese Erinnerungen wurden endlich durch Käthchens Rückkehr abgeschnitten, und Ralph, der während der ganzen Zeit ihrer Abwesenheit ärgerlich dagesessen hatte, verlor nun keine Zeit mehr, sondern verließ ohne viele Zeremonien das Haus.

»Jetzt lauf, so schnell du kannst«, sagte er, indem er den Arm seiner Nichte nahm. »Du wirst dann in den Schritt kommen, dessen du dich jeden Morgen, wenn du ans Geschäft gehst, bedienen mußt.«

Mit diesen Worten führte er Käthchen mit tüchtig ausholenden Schritten nach Cavendish-Square.

»Ich bin Ihnen für Ihre Güte sehr verbunden«, sagte das Mädchen, nachdem sie eine Weile schweigend fortgeeilt waren.

»Das hör‘ ich gern«, sagte Ralph. »Ich hoffe, du wirst deine Schuldigkeit tun.«

»Ich will suchen, mich beliebt zu machen, Onkel«, versetzte Käthchen; »in der Tat, ich –«

»Fange mir nicht zu weinen an«, brummte Ralph, »ich kann dieses Geplärre nicht leiden.«

»Ich weiß wohl, daß es töricht ist, lieber Onkel –«, begann das arme Käthchen.

»Ja, das ist es«, erwiderte Ralph, ihr ins Wort fallend, »und sehr affektiert außerdem. Bleib mir mit derartigen Komödien vom Leibe.«

Das war vielleicht nicht die beste Art und Weise, die Tränen eines jungen und gefühlvollen Mädchens zu trocknen, die im Begriffe stand, eine ganz neue Laufbahn unter kalten und teilnahmlosen Fremden anzutreten; aber der Zweck wurde trotzdem erreicht. Käthchens Gesicht übergoß sich mit Glut, und ihre Brust wogte einige Augenblicke ungestüm; dann aber schritt sie mit festerem und entschlossenerem Schritte weiter.

Es lag ein seltener Gegensatz in dem Benehmen der beiden; das furchtsame Landmädchen schlüpfte schüchtern durch das Gedränge, das in den Straßen auf und nieder wogte, und hielt sich fest an ihren Begleiter, als fürchte sie, ihn in den Volksmassen zu verlieren, während der ernste, eherne Geschäftsmann mürrisch seines Weges ging, sich mit den Ellbogen Bahn brach und hin und wieder mit einem Vorübergehenden, der sich vielleicht überrascht nach seiner schönen Begleiterin umsah und sich über diese so übel zusammenstimmende Paarung wunderte, einen verdrossenen Gruß wechselte. Der Gegensatz wäre aber noch weit schneidender gewesen, wenn man in den Herzen, die so nahe beieinander schlugen, hätte lesen und die reine Unschuld des einen mit der heillosen Schurkerei des andern hätte vergleichen können. Wie gerne wäre man bei den arglosen Gedanken des holden Mädchens geweilt, und wie hätte man erstaunen müssen, wenn man unter den schlauen Anschlägen und Berechnungen des alten Mannes keine Spur von einem Gedanken an Tod oder Grab gefunden hätte. Aber es war so; und was noch auffallender ist, obgleich es alle Tage vorkommt – das junge, warme Herz pochte unter tausend Ängsten und Sorgen, während das des alten, weltlich gesinnten Mannes rostend in seiner Zelle lag und nur wie der Pendel einer Uhr ging, ohne je ein Pochen der Hoffnung, der Furcht, der Liebe oder der Teilnahme für irgendein lebendiges Wesen zu fühlen.

»Onkel«, sagte Käthchen, als sie dachte, daß sie dem Orte ihrer Bestimmung nahe wären, »ich muß eine Frage an Sie stellen. Werde ich zu Hause wohnen?«

»Zu Hause?« versetzte Ralph. »Wo ist das?«

»Ich meine bei meiner Mutter, der Witwe«, entgegnete Käthchen mit Nachdruck.

»Dein Aufenthalt wird im eigentlichen Sinne in Madame Mantalinis Haus sein«, erwiderte Ralph; »denn du wirst bei ihr essen und vom Morgen bis in die Nacht, vielleicht auch hin und wieder bis zum andern Morgen dort bleiben.«

»Aber ich meine des Nachts«, sagte Käthchen; »ich kann sie nicht verlassen, Onkel. Ich muß ein Plätzchen haben, das ich Heimat nennen kann, und das ist da, wo sie ist, wie armselig es auch sein mag.«

»Sein mag?« wiederholte Ralph in der Ungeduld, die durch diese Bemerkung veranlaßt wurde, seine Schritte noch mehr beschleunigend. »Sein muß, willst du sagen. Von einem Mögen zu sprechen! Ist das Mädchen toll?«

»Das Wort entfuhr meinen Lippen, ohne daß ich den Sinn hineinlegen wollte, den Sie darin finden«, versetzte Käthchen.

»Ich will’s hoffen«, entgegnete Ralph.

»Aber meine Frage, Onkel – Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet.«

»Nun, ich sah etwas der Art voraus«, antwortete Ralph, »und habe deshalb, obgleich es ganz und gar nicht nach meinem Sinne ist, Vorkehrungen getroffen. Ich sprach von dir als einer Arbeiterin außer dem Haus, und so kannst du denn zu dieser Heimat, die eine armselige sein mag, jede Nacht deine Zuflucht nehmen.«

Hierin lag doch einiger Trost. Käthchen ergoß sich in hundert Dankesbezeugungen für ihres Onkels Besorgtheit, die auch von Ralph hingenommen wurden, als ob er sie vollkommen verdient hätte, bis sie endlich, ohne auf eine weitere Unterhaltung einzugehen, an dem Hause der Kleidermacherin anlangten. Eine schöne steinerne Treppe führte zu der Tür, über der eine große Tafel Madame Mantalinis Namen und Geschäft angab. In dem Haus befand sich ein Laden, der an einen Rosenölhändler vermietet war. Madame Mantalinis Magazin befand sich im ersten Stock, ein Umstand, der dem putzliebenden Publikum durch die gelegentliche Zurschaustellung einiger der elegantesten Damenhüte nach der neuesten Mode und einiger kostbarer Gewänder im schönsten Geschmack, die sich hinter mit prachtvollen Vorhängen behängten Fenstern befanden, angezeigt wurde.

Ein in Livree gekleideter Diener öffnete die Tür und führte sie auf Ralphs Frage, ob Madame Mantalini zu Hause wäre, durch eine schöne Hausflur über eine breite Treppe nach dem aus zwei geräumigen Zimmern bestehenden Magazin, das eine unermeßliche Fülle von modernen Kleidern und Kleiderstoffen zur Schau bot, die zum Teil an Gestellen oder über den Spiegeln hingen, zum Teil nachlässig auf den Sofas und auf dem Teppich des Bodens umherlagen oder sich auf irgendeine andere Weise mit dem verschiedenartigsten kostbaren Mobiliar mischten, das hier verschwenderisch zur Schau ausgestellt war.

Sie mußten weit länger warten, als es Herrn Ralph Nickleby angenehm war. Dieser betrachtete den bunten Tand um sich her mit großer Gleichgültigkeit und war endlich im Begriff, die Klingel zu ziehen, als plötzlich ein Herr den Kopf durch die Tür steckte, ihn aber ebenso schnell wieder zurückzog, als er bemerkte, daß jemand zugegen war.

»He, wer ist da?« rief Ralph.

Auf den Ton von Ralphs Stimme erschien der Kopf wieder, und ein Mund, der eine lange Reihe schneeweißer Zähne zeigte, sprach in einer gezierten Weise die Worte: »Der Teufel! Wie, Nickleby? O der Teufel!« Unter diesen Rufen trat der Herr näher und schüttelte Nicklebys Hand mit großer Wärme. Er war in einen prächtigen Morgenrock mit einer Weste und türkischen Beinkleidern von dem gleichen Zeuge gekleidet, trug ein rosenrotes seidenes Halstuch und hellgrüne Pantoffel und hatte eine schwere goldene Uhrkette über die Brust hängen. Er trug außerdem einen Backen- und Schnurrbart, beide schwarz gefärbt und zierlich gekräuselt.

»Zum Teufel, Sie werden doch nichts von mir wollen – Gott verdamm mich?« sagte der Herr, Ralph auf die Schulter klopfend.

»Noch nicht«, versetzte Ralph sarkastisch.

»Ha! ha! zum Teufel!« rief der Herr und drehte sich auf seiner Ferse, um mit noch größerer Eleganz lachen zu können, als er plötzlich Käthchen Nicklebys ansichtig wurde, die in der Nähe stand.

»Meine Nichte«, sagte Ralph.

»Ich erinnere mich –« versetzte der Herr, indem er sich gleichsam zur Strafe für seine Vergeßlichkeit mit dem Zeigefinger an die Nase schlug – »der Teufel, ich erinnere mich jetzt des Zwecks Ihres Besuches. Kommen Sie nur mit mir, Nickleby. Wollen Sie mir folgen, meine Beste? Ha! ha! sie folgen mir alle, Nickleby, und, zum Teufel, sie taten es immer.«

Der Herr plapperte in dieser geckenhaften Weise fort und führte die beiden nach einem Besuchszimmer im zweiten Stock, das kaum weniger elegant ausgestattet war als der Saal im ersten; und eine silberne Kaffeekanne, eine Eierschale und eine gebrauchte Porzellantasse dabei schienen anzudeuten, daß der Bewohner eben gefrühstückt hatte.

»Setzen Sie sich, meine Beste«, sagte der Herr, indem er Fräulein Nickleby so lange musterte, bis sie ganz aus der Fassung kam, und dann, entzückt über diese gelungene Heldentat, grinsend sein Gesicht verzog. »Diese verwünschten hochgelegenen Zimmer benehmen einem den Atem; der Henker hole solche Himmelswohnungen! Ich fürchte, ich muß ausziehen.«

»Ich würde das unter allen Umständen tun«, versetzte Ralph, bitter umherblickend.

»Ah, Sie sind ein verdammt altmodischer Kerl, Nickleby«, sagte der Herr, »der verwünschteste, übellaunigste, alte Spitzkopf, der je in Gold und Silber gewühlt hat, hol mich der Teufel«.

Nach diesen Komplimenten zog der Herr die Klingel, glotzte, bis dem Rufe Folge geleistet wurde, Fräulein Nickleby an und befahl dann dem Diener, seiner Gebieterin zu sagen, daß sie sogleich herkommen möchte, worauf er abermals Käthchen zu beäugeln begann und nicht eher davon abließ, bis Madame Mantalini erschien.

Die Kleidermacherin war eine rüstige, schön gekleidete und gut aussehende Frau, aber viel älter als der Herr in den türkischen Beinkleidern, den sie vor sechs Monaten geheiratet hatte. Er hieß ursprünglich Muntle, hatte aber seinen Namen durch eine leichte Veränderung in Mantalini umgewandelt, da die Dame mit Recht annahm, ein englischer Name würde das Geschäft wesentlich beeinträchtigen. Er hatte eigentlich auf seinen Backenbart geheiratet, von dem er mehrere Jahre einen anständigen Unterhalt gezogen hatte, und eine Vermehrung dieses Kapitals durch den Zuwachs eines Schnurrbartes, mit dem er nach langer und geduldiger Pflege sein Gesicht verschönert, versprach, ihm eine ganz behagliche Unabhängigkeit zu sichern. Sein Anteil an den Beschwerlichkeiten des Geschäfts beschränkte sich zurzeit auf das Durchbringen des Geldes und, wenn dieses auf die Neige ging, hin und wieder auf eine Fahrt zu Herrn Ralph Nickleby, um sich von ihm nach Abzug der geeigneten Prozente Vorschüsse auf die Kundenrechnungen geben zu lassen.

»Mein Leben«, sagte Herr Mantalini, »was für eine teufelmäßig lange Zeit haben wir auf dich warten müssen?«

»Ich konnte nicht wissen, daß Herr Nickleby hier ist, mein Schatz«, versetzte Madame Mantalini.

»Dann muß der Diener ein doppelt verteufelter, höllischer Spitzbube sein, meine Seele«, entgegnete Herr Mantalini.

»Das ist deine eigene Schuld, mein Teurer«, sagte Madame Mantalini.

»Meine Schuld, du Freude meines Herzens?«

»Gewiß«, erwiderte die Dame. »Was kannst du erwarten, mein Teuerster, wenn du den Menschen nicht zurechtweisen willst.«

»Den Menschen zurechtweisen, du Wonne meiner Seele?«

»Ja, es tut wahrlich recht not, daß man ein ernstes Wort mit ihm spricht«, schmollte Madame Mantalini.

»Sei nur nicht ungehalten«, sagte Herr Mantalini, »beim Teufel, er soll gepeitscht werden, bis er nach Gott schreit.«

Mit diesem Versprechen küßte Herr Mantalini Madame Mantalini und kniff nach diesem Zärtlichkeitsergusse Madame Mantalini scherzhaft ins Ohr, worauf man sich denn herabließ, zu Geschäftssachen überzugehen.

»Nun, Madame«, sagte Ralph, der diesen Vorgängen mit einer Verachtung zugesehen hatte, wie sie nur wenige Menschen in ihren Blicken auszudrücken vermögen, »dies ist meine Nichte.«

»Ah, richtig, Herr Nickleby«, versetzte Madame Mantalini, indem sie Käthchen von dem Kopfe bis zu den Füßen und wieder zurück besichtigte, »können Sie französisch sprechen, mein Kind?«

»Ja, Madame«, entgegnete Käthchcn, ohne es zu wagen, ihre Blicke aufzuschlagen; denn sie fühlte, daß die Augen des widerlichen Mannes im Schlafrock auf sie gerichtet waren.

»Auch so geläufig, wie eine verteufelte Französin?« fragte der Herr Gemahl.

Fräulein Nickleby gab hierauf keine Antwort, sondern wandte dem Frager den Rücken zu, als ob sie willens sei, nur auf das zu antworten, was Madame Mantalini sie fragen würde.

»Wir haben dauernd zwanzig junge Mädchen in unserem Geschäft«, sagte Madame.

»Wirklich, Madame?« versetzte Käthchen schüchtern.

»Ja, und auch einige verdammt schöne darunter«, sagte der Herr.

»Mantalini!« rief seine Gattin in verweisendem Tone.

»Abgott meines Lebens!« entgegnete Mantalini.

»Willst du mir das Herz brechen?«

»Nicht um zwanzigtausend Hemisphären, bevölkert mit – mit – mit kleinen Ballettänzerinnen«, erwiderte Herr Mantalini in poetischem Schwung.

»Du wirst’s aber tun, wenn du fortfährst, in dieser Weise zu sprechen«, sagte seine Gattin. »Was wird Herr Nickleby denken, wenn er so etwas mit anhören muß.«

»O, nichts, Madame«, fiel Ralph ein. »Ich kenne seine liebenswürdige Weise und auch die Ihrige. Weiter nichts, als kleine Bemerkungen, die Ihrer täglichen Unterhaltung einen pikanten Beigeschmack geben – Liebeshändel, die die häuslichen Freuden versüßen, wenn diese langweilig werden wollen – das ist alles, das ist alles.«

Wenn eine eiserne Tür mit ihren Angeln in Streit geraten und den Entschluß fassen könnte, sich grimmig langsam zu öffnen und die Feinde, um die sie sich dreht, in Staub zu zermalmen, so könnten die Töne kaum unangenehmer sein als die Worte, die Ralph in rauher und bitterer Stimme aussprach. Selbst Mantalini fühlte ihren Einfluß und drehte sich erschrocken mit dem Ausruf um:

»Welch ein verteufelt abscheuliches Krächzen!«

»Achten Sie nicht auf das, was Herr Mantalini sagt«, bemerkte Madame gegen Fräulein Nickleby.

»Das geschieht, Madame«, sagte Käthchen mit ruhiger Verachtung.

»Herr Mantalini kommt mit den jungen Frauenzimmern im Hause durchaus in keine Berührung«, fuhr Madame Mantalini, mit einem Blicke nach ihrem Gatten, gegen Käthchen fort. »Hat er eine von ihnen gesehen, so muß es auf der Straße gewesen sein, wenn sie von oder zu ihrer Arbeit gingen, in keinem Falle aber im Haus; denn ich gestatte nicht, daß er je in das Arbeitszimmer kommt. An was für Arbeitsstunden sind Sie gewöhnt?« –

»Ich bin überhaupt vorderhand noch gar nicht an die Arbeit gewöhnt, Madame«, antwortete Käthchen schüchtern.

»Und eben deshalb wird sie jetzt um so fleißiger arbeiten«, fiel Ralph ein, damit dieses Geständnis die Verhandlung nicht beeinträchtige.

»Ich hoffe das«, entgegnete Madame Mantalini. »Unsere Stunden sind von neun bis neun, auch noch länger, wenn wir mit Arbeit überhäuft sind, was aber dann besonders bezahlt wird.«

Käthchen nickte mit dem Kopf, um anzudeuten, daß sie mit dem Gehörten zufrieden wäre.

»Die Kost«, fuhr Madame Mantalini fort, »das heißt, Mittagessen und Tee erhalten Sie hier. Ihr Lohn wird sich durchschnittlich auf etwa fünf bis sieben Schillinge für die Woche belaufen. Ich kann mich jedoch hierüber noch nicht mit Bestimmtheit aussprechen, bis ich gesehen habe, was Sie zu leisten imstande sind.«

Käthchen nickte abermals.

»Wenn Sie kommen wollen«, fügte Madame Mantalini bei, »so ist’s am besten, wenn Sie Montag morgens punkt neun Uhr anfangen. Ich will Mamsell Knag, der ersten Arbeiterin, den Auftrag geben, daß sie Ihnen für den Anfang leichtere Geschäfte anweist. Haben Sie noch etwas zu wünschen, Herr Nickleby?«

»Nichts mehr, Madame«, versetzte Ralph aufstehend.

»Dann glaube ich, daß wir alles verhandelt haben.«

Nach diesen Worten sah Madame Mantalini nach der Tür, als wünsche sie sich zu entfernen. Aber sie zögerte noch, und es schien, als sei sie nicht willens, ihrem Gemahl die Ehre, den Besuchenden das Geleit zu geben, allein zu überlassen. Ralph half ihr jedoch aus der Not, indem er sich unverzüglich verabschiedete. Madame Mantalini erkundigte sich vorher noch gnädigst, warum man so selten die Ehre seines Besuches hätte, und Herr Mantalini verteufelte im Hinuntergehen mit großer Zungengeläufigkeit die Stiegen, in der Hoffnung, Käthchcn zu veranlassen, sich noch einmal umzusehen – eine Hoffnung, die jedoch das Resultat hatte, unerfüllt zu bleiben.

»So«, sagte Ralph, als sie auf die Straße traten; »jetzt wäre für dich gesorgt.«

Käthchen wollte ihm abermals danken, aber er fiel ihr ins Wort.

»Ich hatte den Gedanken«, sagte er, »deine Mutter in einer hübschen Gegend auf dem Lande unterzubringen –« er hatte nämlich das Recht, für etliche Stellen in den Armenhäusern an der Grenze von Kornwall Bedürftige vorzuschlagen, was ihm bei dieser Gelegenheit mehr als einmal in den Sinn gekommen war – »da ihr aber beisammenbleiben wollt, so muß ich sehen, wie sich’s anders machen läßt. Sie hat noch ein wenig Geld?«

»Sehr wenig«, versetzte Käthchen.

»Auch wenig wird weit reichen, wenn man sparsam damit umgeht«, entgegnete Ralph. »Sie muß es eben so gut wie möglich strecken; die Hausmiete soll sie nichts kosten. Ihr zieht am nächsten Samstag aus?«

»Sie sagten uns, daß wir es tun sollten, Onkel.«

»Ja; ich habe gegenwärtig ein leeres Haus, wo ich euch unterbringen kann, bis es vermietet ist, und dann steht mir vielleicht noch ein anderes zu Gebot, wenn sich nicht etwa die Umstände ändern. Ihr müßt vorderhand dort euren Aufenthalt nehmen.«

»Ist es weit von hier, Sir?« fragte Käthchen.

»Ziemlich weit«, antwortete Ralph: »in einem andern Teil der Stadt – an dem östlichen Ende. Aber ich will euch Samstag abend, um fünf Uhr meinen Schreiber schicken, der euch hinführen kann. Adieu. Du weißt doch den Weg? Geradeaus!«

Ralph verließ seine Nichte an dem Eingang der Regentstraße mit einem kalten Händedruck und bog unter fortwährenden Entwürfen des Gelderwerbs in eine Nebengasse ein, während Käthchen traurig nach ihrer Wohnung zurückging.

Elftes Kapitel.


Elftes Kapitel.

Herr Newman Noggs führt Frau und Fräulein Nickleby nach ihrer neuen Behausung in der City.

Käthchens Betrachtungen auf ihrem Heimweg waren von jener zaghaften Beschaffenheit, wie sie die Begebnisse des Morgens recht wohl hervorzurufen imstande waren. Das Benehmen ihres Onkels war nicht geeignet, die Zweifel und Bedenklichkeiten, die sich ihr bereits von Anfang an aufgedrungen hatten, zu zerstreuen, ebensowenig als sie der Blick, den sie in Madame Mantalinis Etablissement geworfen hatte, ermutigen konnte. Sie sah daher mit manchen düsteren Ahnungen und einem schweren Herzen dem Beginn ihrer neuen Laufbahn entgegen.

Wären Worte des Trostes imstande gewesen, ihr Gemüt in eine angenehmere und beneidenswertere Stimmung zu versetzen, so hätte dieses notwendig der Fall sein müssen, da es ihre Mutter an solchen durchaus nicht fehlen ließ. Diese gute Dame hatte sich während der Abwesenheit ihrer Tochter auf zwei authentische Fälle von Putzmacherinnen besonnen, die ein beträchtliches Vermögen besaßen, obgleich sie nicht mit Bestimmtheit anzugeben wußte, ob sie dieses ganz durch ihr Geschäft erworben und nicht vielleicht mit einem leidlichen Kapital angefangen hatten, oder ob sie so glücklich gewesen waren, eine vorteilhafte Partie zu treffen. Doch mochte dem sein, wie ihm wollte, jedenfalls konnte doch – wie sie sehr logisch bemerkte – irgendeine junge Person in diesem Geschäft, ohne etwas zum Anfang zu besitzen, ihr Glück gemacht haben, und wenn man diese Annahme gelten ließ, warum sollte das nicht auch bei Käthchen der Fall sein können? Fräulein La Creevy, die zu dem Familienrat hinzugezogen wurde, wagte es zwar, einiges Bedenken zu äußern, ob es wohl wahrscheinlich sei, daß Fräulein Nickleby in den Grenzen einer gewöhnlichen Lebensdauer dieses glückliche Ziel zu erreichen vermöge. Aber die gute Witwe schlug diese Frage dadurch zurück, daß sie erklärte, sie hätte in dieser Beziehung eine Ahnung – eine Art zweiten Gesichts, womit sie vordem jeden Beweisgrund des hingeschiedenen Herrn Nickleby zu Paaren zu treiben pflegte und diesen in zehn Fällen neun- und dreiviertelmal zu einem verkehrten Schritte verleitete.

»Ich fürchte nur, daß diese Beschäftigung nachteilig auf die Gesundheit einwirkt«, meinte Fräulein La Creevy. »Ich erinnere mich, daß mir, als ich zu malen anfing, drei junge Putzmacherinnen saßen, und daß alle sehr blaß und kränklich aussahen.«

»O das kann nicht als allgemeine Regel gelten«, bemerkte Frau Nickleby, »denn ich erinnere mich noch so gut, als wäre es gestern geschehen, daß ich mir zur Zeit, als die Scharlachmäntel Mode waren, einen solchen machen ließ, und daß mir bei dieser Gelegenheit eine Putzmacherin empfohlen wurde, die ein sehr rotes Gesicht – ja, ein sehr rotes Gesicht hatte.«

»Vielleicht trank sie«, meinte Fräulein La Creevy.

»Ich weiß nicht, wie sie es damit hielt«, versetzte Frau Nickleby; »aber ich weiß, daß sie ein sehr rotes Gesicht hatte, und somit ist Ihre Behauptung aus dem Felde geschlagen.«

In dieser Weise und mit ähnlichen schlagenden Beweisen wies die würdige Dame jeden kleinen Einwurf zurück, der sich dem Plan des Morgens entgegenstellte. Glückliche Frau Nickleby! Ein Projekt brauchte nur neu zu sein, um ihrem Geiste in den glänzendsten Farben zu erscheinen.

Als diese Frage bereinigt war, teilte Käthchen ihrer Mutter das Verlangen des Onkels, ihre gegenwärtige Wohnung zu verlassen, mit; und Frau Nicklcby ging mit der gleichen Bereitwilligkeit darauf ein, indem sie die charakteristische Bemerkung beifügte, daß es ihr an schönen Abenden eine angenehme Erholung gewähren würde, ihre Tochter aus dem Westend abzuholen. Sie vergaß aber dabei auf eine gleich charakteristische Weise, daß es fast in jeder Woche des Jahres auch regnerische Abende und schlechtes Wetter gebe.

»Es tut mir leid – in der Tat recht leid, Sie verlassen zu müssen, meine gnädige Freundin«, sagte Käthchen, auf die das wohlwollende Gemüt der Miniaturmalerin einen tiefen Eindruck gemacht hatte.

»Sie sollen mich trotzdem nicht verlieren«, versetzte Fräulein La Creevy mit aller Lebhaftigkeit, die ihr zu Gebote stand. »Ich werde Sie sehr oft besuchen, um zu hören, wie es Ihnen geht; und wenn es in ganz London und noch obendrein in der ganzen weiten Welt kein Herz geben sollte, das an Ihrem Wohle aufrichtigen Anteil nimmt, so sollen Sie doch eines in dem Busen eines kleinen alleinstehenden weiblichen Wesens finden, das jeden Tag und jede Nacht seine Gebete für Sie gen Himmel schickt.«

Bei diesen Worten schnitt die gute Seele, die ein Herz, groß genug für Gog, den Schutzgeist von London, und für Magog2 obendrein, besaß, eine Menge wundersamer Gesichter, die ihr, wenn sie diese festgehalten haben würde, ein großes Vermögen gesichert hätten, und setzte sich dann in eine Ecke, um ihren Gefühlen in Tränen Luft zu machen.

Aber weder Tränen noch Worte noch Hoffen noch Furcht konnten den gefürchteten Samstag abend und mit ihm Newman Noggs abhalten. Der letztere hinkte gerade in dem Augenblick, als die Kirchturmuhren der Nachbarschaft, die in der Zeit miteinander übereinstimmten, fünf schlugen, gegen die Haustür heran und hauchte seinen von Branntwein geschwängerten Atem durch das Schlüsselloch. Mit dem letzten Glockenschlag klopfte er.

»Von Herrn Ralph Nickleby«, kündigte sich Newman, als er die Stiege heraufgekommen, mit möglichster Kürze an.

»Wir werden im Augenblick bereit sein«, sagte Käthchen. »Wir haben zwar nicht viel mitzunehmen, aber ich fürchte doch, daß wir eine Kutsche brauchen werden.«

»Ich will eine holen«, versetzte Newman.

»O, nicht doch. Sie sollen sich nicht bemühen«, entgegnete Frau Nickleby.

»Aber ich will«, sagte Newman.

Es ist nicht daran zu denken, daß wir Sie in dieser Weise behelligen«, erwiderte Frau Nickleby.

»Sie können’s nicht hindern«, sagte Newman.

»Nicht hindern?«

»Nein. Ich dachte schon auf dem Herwege daran, aber ich nahm keine mit, weil ich glaubte, Sie möchten noch nicht fertig sein. Ich denke an gar viele Dinge. Niemand kann das wehren.«

»Ah, ich verstehe Sie jetzt, Herr Noggs«, sagte Frau Nickleby; »Gedanken sind natürlich frei, und es ist klar, daß jeder denken kann, was er will.«

»Sie würden es nicht sein, wenn gewisse Leute es ändern könnten«, murmelte Newman.

»Sie haben recht, Herr Noggs«, versetzte Frau Nickleby; »es gibt gewisse Leute, die sogar die Gedanken zwingen möchten. Was macht Ihr Prinzipal?«

Newman ließ einen vielsagenden Blick nach Käthchen gleiten und erwiderte mit einer starken Betonung des Nachsatzes seiner Antwort, daß Herr Ralph Nickleby wohlauf wäre und herzlich grüßen ließe.

»Wir sind ihm in der Tat sehr zu Dank verpflichtet«, bemerkte Frau Nickleby.

»Allerdings«, versetzte Newman; »ich will’s ihm ausrichten.«

Es war in der Tat nicht leicht, Newman Noggs zu vergessen, wenn man ihn einmal gesehen hatte, und als ihn Käthchen, veranlaßt durch das Seltsame seines Benehmens, das übrigens bei der gegenwärtigen Veranlassung ungeachtet seiner abgebrochenen Redeweise etwas Ehrerbietiges und sogar Zartes hatte, genauer betrachtete, so erinnerte sie sich, diese sonderbare Gestalt schon früher flüchtig wahrgenommen zu haben.

»Entschuldigen Sie meine Neugierde«, sagte sie, »aber habe ich Sie nicht schon an dem Morgen, als mein Bruder nach Yorkshire abreiste, in dem Posthofe gesehen?«

Newman warf einen ausdrucksvollen Blick auf Frau Nickleby und erwiderte mit kecker Stirne:

»Nein.«

»Nicht?« rief Käthchen: »und doch hätte ich mir getraut, es allenthalben zu behaupten.«

»Sie würden dann eine Unwahrheit behauptet haben«, erwiderte Newman. »Ich gehe heute seit drei Wochen das erstemal wieder aus; denn ich lag an der Gicht danieder.«

Newman hatte nichts weniger als das Aussehen eines mit der Gicht Behafteten, und auch Käthchen konnte sich dieses Gedankens nicht erwehren. Die weitere Erörterung wurde aber durch Frau Nickleby abgeschnitten, die darauf bestand, daß die Tür geschlossen würde, um Herrn Noggs keiner Erkältung auszusetzen, worauf sie ein Dienstmädchen nach einer Kutsche fortzuschicken beschloß, um besagtem Herrn einen möglichen Rückfall seiner Krankheit zu ersparen. Newman mußte nachgeben.

Der Wagen ließ nicht lange auf sich warten, und nach vielen tränenreichen Lebewohls und vielem geschäftigen Hin- und Herrennen von seiten des Fräulein La Creevy, in dessen Verlaufe der gelbe Turban in manche gewaltsame Berührung mit den Vorübergehenden kam, fuhr er – nicht der Turban, sondern der Wagen – mit den beiden Damen und ihrem Gepäck wieder ab. Newman hatte seinen Sitz auf dem Bock bei dem Kutscher genommen, ohne sich durch die Versicherungen der Frau Nickleby, daß es sein Tod sein könnte, beirren zu lassen.

Der Stromseite folgend gelangten sie in die City und machten nach einer langen und sehr langsamen Fahrt – denn in die Straßen drängten sich zu dieser Zeit Fuhrwerke aller Art – vor einem großen, alten, von Rauch geschwärzten Hause in der Themsestraße halt. Die Türen und Fenster desselben waren indessen so mit Kot bespritzt, daß es den Anschein hatte, als sei es seit Jahren nicht bewohnt worden.

Newman öffnete die Tür dieser verlassenen Wohnung mit einem Schlüssel, den er aus seinem Hute nahm – wir bemerken beiläufig, daß er in diesem wegen des schadhaften Zustandes seiner Taschen alles aufbewahrte und höchstwahrscheinlich auch sein Geld hier untergebracht haben würde, wenn er welches gehabt hätte – und ging, nachdem der Kutscher abgefertigt war, in das Innere der Behausung voran.

Es war ein altes, schwarzes, düsteres Nest, und ebenso waren auch die Zimmer, in denen sich ehedem so viel rühriges und geschäftiges Leben abgespielt hatte. An der Hinterseite befand sich ein Landungsplatz der Themse. Eine leere Hundehütte, einige Knochen, Reste von eisernen Reifen und alte Faßdauben lagen zerstreut umher: aber nirgends zeigten sich Spuren von Leben – alles ein kaltes, trauriges Bild des Verfalls.

»Es ist hier so drückend und beklemmend«, sagte Käthchen, »als ob das Haus unter irgendeinem schlimmen Einfluß stünde. Wenn ich abergläubisch wäre, so möchte ich fast glauben, daß in diesen alten Mauern irgendein schreckliches Verbrechen verübt wurde, und daß der Ort seitdem nicht mehr gedeihen konnte. Wie finster und düster hier alles aussieht!«

»Um Gotteswillen, meine Liebe«, versetzte Frau Nickleby, »rede nicht so, wenn ich mich nicht zu Tode fürchten soll.«

»Ach, Mama, es ist nur eine törichte Einbildung von mir«, sagte Käthchen, ein Lächeln erzwingend.

»Nun, so wünsche ich, meine Liebe, du behieltest solche törichte Einbildungen für dich und wecktest nicht auch meine törichten Einbildungen, um den deinen Gesellschaft zu leisten«, entgegnete Frau Nickleby. »Warum dachtest du denn nicht an all das früher? Du sorgst auch für gar nichts. Wir hätten Fräulein La Creevy um ihre Gesellschaft bitten oder einen Hund borgen oder tausend andere Dinge tun können. Aber so bist du – gerade wie dein armer seliger Vater. Wenn nicht ich an alles dächte – –«

So pflegte Frau Nickleby gewöhnlich ein allgemeines Klagelied zu beginnen, das sich durch ein Dutzend oder mehr verwickelter Sätze durchwand, die eigentlich an niemanden gerichtet waren, und in denen sie sich auch jetzt erging, bis ihr der Atem versagte.

Newman schien diese Bemerkungen nicht zu hören, sondern führte Mutter und Tochter nach ein paar Gemächern in dem ersten Stock, die man etwas wohnlich zu machen versucht hatte. In dem einen waren ein paar Stühle, ein Tisch, ein alter Teppich vor dem Herd und ein Feuer auf dem Kaminroste, in dem andern stand ein altes Feldbett und einige Schlafzimmergerätschaften.

»Nun, meine Liebe«, sagte Frau Nickleby, die sich Mühe gab, heiter zu sein, »erkennst du hier nicht die Umsicht und Sorgfalt deines Onkels? Ohne sie würden wir nichts getan haben als das Bett, das wir gestern kauften.«

»In der Tat, sehr gütig«, versetzte Käthchen umherblickend.

Newman Noggs sagte nicht, daß er die alten Möbel, die sie sahen, aus allen Ecken und Enden zusammengesucht, die auf dem Gesims stehende Milch zum Tee aus seinem eigenen Beutel bezahlt, den rostigen Kessel über dem Feuer gefüllt, die Holzspäne auf dem Hof hinter dem Hause gesammelt und die Kohlen erbettelt hatte. Aber der Gedanke, daß alles dieses in Ralph Nicklebys Auftrage geschehen sei, wollte ihm so gar wenig zusagen, daß er es sich nicht versagen konnte, nacheinander mit allen zehn Fingern zu knacken, was Frau Nickleby freilich anfangs etwas verblüffte. Da sie aber vermutete, es möchte in irgendeiner entfernten Beziehung zu seinem Gichtleiden stehen, so erlaubte sie sich keine Bemerkung.

»Wir dürfen Sie, glaube ich, nicht länger aufhalten«, sagte Käthchen.

»Haben Sie nichts mehr für mich zu tun?« fragte Newman.

»Nichts: ich danke Ihnen«, versetzte Fräulein Nickleby.

»Vielleicht, meine Liebe, hat Herr Noggs die Gefälligkeit, ein Glas auf unsere Gesundheit zu trinken«, fiel Frau Nickleby ein, indem sie in ihrem Strickbeutel nach einem kleinen Geldstück suchte.

»Ich fürchte, Mama«, entgegnete Käthchen stockend, als sie Newmans abgekehrtes Gesicht bemerkte, »Sie werden seine Gefühle verletzen, wenn Sie ihm etwas anbieten.«

Newman Noggs verbeugte sich gegen die junge Dame – mehr in der Weise eines Gentlemans als in der, wie sie für den armen Elenden, den sein Äußeres bekundete, zu passen schien. Er legte die Hände auf seine Brust, blieb eine Weile mit der Miene eines Mannes, der gerne sprechen möchte und nicht weiß, wie er’s angehen soll, stehen, wandte sich dann um und verließ das Zimmer.

Das schrille Echo der in ihr Schloß einklappenden schweren Haustür tönte so traurig durch das Gebäude, daß sich Käthchcn halb und halb versucht fühlte, den Schreiber ihres Onkels wieder zurückzurufen und ihn zu bitten, noch ein wenig zu verweilen. Aber sie schämte sich ihrer Besorgnisse, und so wanderte Newman Noggs seiner Heimat zu.

Zwölftes Kapitel.


Zwölftes Kapitel.

Teilt dem Leser mit, welchen Verlauf Fräulein Fanny Squeers‘ Liebe nahm

Es war ein glücklicher Umstand für Fräulein Fanny Squeers, daß ihr würdiger Papa, als er an dem Tag der kleinen Teepartie spät nach Haus kam, »zu sehr angezündet hatte«, um die zahlreichen Merkmale des höchsten Verdrusses zu gewahren, die sich unverhüllt in ihren Zügen aussprachen. Da er jedoch, wenn er zuviel im Oberstübchen sitzen hatte, ziemlich ungestüm und streitsüchtig war, so hätte es leicht der Fall sein können, daß er sich über den nächsten besten aus der Luft gegriffenen Gegenstand mit der Tochter überworfen hätte, wenn diese junge Dame nicht mit einer höchst empfehlenswerten, klugen Vorsicht darauf bedacht gewesen wäre, zur Ableitung des ersten Unwetters einen Knaben parat zu halten. Als sich dieses in der Form von Fußtritten und Fauststößen entladen hatte, beruhigte sich der Ehrenmann allmählich soweit, daß er sich überreden ließ, zu Bett zu gehen, was er denn auch gestiefelt und mit seinem Regenschirm unter dem Arm tat.

Das ausgehungerte Dienstmädchen begleitete Fräulein Squeers wie gewöhnlich nach dem Schlafgemach, um ihr daselbst das Haar zu wickeln, sonstige kleine Toilettendienste zu verrichten und ihr so viele Schmeicheleien zu sagen, wie sie aufzubringen vermochte; denn Fräulein Squeers war träge und überhaupt eitel und leichtfertig genug, um eine vornehme Dame abzugeben, wie sie sich denn auch in nichts als in den bloß durch eine ungerechte Willkür bestimmten Auszeichnungen des Ranges und der Stellung von einer solchen unterschied.

»Wie schön sich Ihr Haar diesen Abend kräuselt, Fräulein«, sagte das Kammerkätzchen. »Es ist in der Tat jammerschade, es auszukämmen!«

»Halts Maul!« versetzte Fräulein Squeers zornig.

Dem Mädchen war etwas der Art schon viel zu oft vorgekommen, um durch diesen Ausbruch übler Laune von seiten ihrer Gebieterin überrascht zu werden; und da sie halb und halb eine Vermutung von den Ereignissen des Abends hatte, so änderte sie ihren Operationsplan, mit dem sie sich angenehm zu machen gedachte, indem sie einen indirekten Weg einschlug.

»Ach, Fräulein«, sagte das Mädchen, »ich kann mir nicht helfen, aber es muß heraus, und wenn Sie mich umbringen sollten. In meinem ganzen Leben ist mir nie jemand von so ordinärem Aussehen vorgekommen, wie diesen Abend Fräulein Price.«

Fräulein Squeers seufzte und nahm eine horchende Stellung an.

»Ich weiß, es ist sehr unrecht von mir, daß ich so spreche, Fräulein«, fuhr da« Mädchen fort, hocherfreut, als sie bemerkte, daß ihre Worte Eindruck machten, »denn Fräulein Price ist Ihre Freundin und Ihr alles; aber sie putzt sich so heraus und bemüht sich, auf eine so anstößige Weise in die Augen zu fallen, daß – aber meinetwegen – wenn sich die Leute nur auch selbst sehen könnten.«

»Was meinst du damit, Phib?« fragte Fräulein Squeers, in ihren eigenen Handspiegel sehend, wo sie, wie die meisten von uns, nicht sich selbst, sondern den Reflex eines anmutigen Bildes ihrer Einbildungskraft erblickte.

»Was läßt dich so sprechen?«

»Was mich so sprechen läßt, Fräulein? Ach, es ist genug vorhanden, daß darob sogar ein alter Kater französisch sprechen könnte,« versetzte die Zofe. »Man darf sie nur ansehen, wie sie den Kopf hin und her wirft.«

»Sie wirft allerdings den Kopf hin und her«, bemerkte Fraulein Squeers mit zerstreuter Miene.

»So eitel, und doch so gar nichts an ihr!« sagte das Mädchen.

»Arme Thilda!« seufzte Fräulein Squeers mitleidig.

»Und wie tief ausgeschnitten sie ihr Kleid trägt, nur um sich bewundern zu lassen«, fuhr die Dienerin fort. »Mein Gott, sie treibt die Schamlosigkeit aufs äußerste!«

»Ich darf solche Äußerungen nicht gestatten, Phib«, sagte Fräulein Squeers. »Thildas Verwandte sind geringe Leute, und wenn sie es nicht besser weiß, so ist es die Schuld ihrer Familie und nicht die ihre.«

»Wohl«, sagte Phöbe, welchen Namen Fräulein Squeers, wenn sie guter Laune war, in Phib verwandelte; »aber könnte sie sich da nicht eine Freundin zum Muster nehmen? Ach, welch ein nettes Mädchen könnte mit der Zeit aus ihr werden, wenn sie sich nach Ihnen richten wollte und einmal einsehen lernte, was für üble Wege sie einschlägt.«

»Phib«, versetzte Fräulein Squeers mit würdevoller Miene, »es ziemt sich nicht, daß ich solche Vergleichungen anhöre; sie machen Thilda zu einer gewöhnlichen und unanständigen Person, und es könnte unfreundlich von mir scheinen, wenn ich ihnen mein Ohr leihen wollte. Sprechen wir daher von etwas anderem, Phib, denn obgleich ich sagen muß, daß Thilda Price, wenn sie sich irgend jemand zum Muster nehmen wollte – ich meine nicht gerade mich – –«

»O ja, gerade Sie, Fräulein«, fiel Phib ein.

»Nun, meinetwegen mich, wenn du’s so haben willst«, fuhr Fräulein Squeers fort. »Ich muß sagen, daß sie, wenn sie das tun wollte, bei weitem besser fahren würde.«

»Ja, und ich müßte mich sehr irren, wenn nicht noch jemand anders der gleichen Meinung wäre«, versetzte das Mädchen geheimnisvoll.

»Was willst du damit sagen?« fragte Fräulein Squeers.

»Nichts Besonderes, Fräulein«, antwortete das Mädchen; »aber genug – ich weiß, was ich weiß.«

»Phib«, entgegnete Fräulein Squeers mit theatralischem Anstand, »ich bestehe darauf, daß du dich näher erklärst. Was sollen diese geheimnisvollen Worte? Sprich!«

»Nun, wenn Sie es durchaus so haben wollen, Fräulein, so muß ich schon Farbe bekennen«, erwiderte die Zofe. »Herr Johann Browdie ist der gleichen Ansicht mit Ihnen, und wenn er nicht schon zu weit gegangen wäre, um mit Ehren zurücktreten zu können, so würde er die Mamsell Price mit Freuden laufen lassen und bei Fräulein Squeers anzukommen suchen.«

»Gerechter Gott!« rief Fräulein Squeers, mit großer Würde die Hände zusammenschlagend. »Was ist das?«

»Die Wahrheit, Fräulein, nichts als die lautere Wahrheit«, erklärte die schlaue Phöbe.

»Welch eine Lage«, rief Fräulein Squeers. »So bin ich also, ohne es selbst zu wissen, drauf und dran, das Glück und den Frieden meiner lieben Thilda zu zerstören. Was ist doch der Grund, daß die Männer, ich mag wollen oder nicht, sich in mich verlieben und um meinetwillen ihren erkorenen Bräuten abtrünnig werden?«

»Der Grund liegt nahe, Fräulein – sie können nicht anders«, versetzte das Mädchen.

Wenn Fräulein Squeers der Grund war, so lag er allerding sehr nahe.

»Rede mir nie wieder so«, entgegnete Fräulein Squeers, »nie wieder – hörst du? Thilda Price hat Fehler – viele Fehler –, aber ich will ihr Wohl und wünsche vor allem, daß sie unter die Haube kommt, denn es ist ihr zu gönnen – besonders wegen der Beschaffenheit ihrer Mängel zu gönnen, daß sie je eher, je lieber einen Mann kriegt. Nein, Phib, sie soll nur ihren Browdie nehmen. Der arme Bursche dauert mich zwar, aber ich betrachte Thilda noch immer für meine Freundin, und ich hoffe nur, daß sie sich als Ehefrau besser macht, als es wahrscheinlich der Fall sein wird.«

Nach diesem Ergüsse ihrer Gefühle schlüpfte Fräulein Squeers in die Federn.

Groll ist ein kleines Wörtchen, aber es enthält ein so seltsames Gemisch von Gefühlen und Mißtönen als vielleicht das silbenreichste Wort unserer Sprache. Fräulein Squeers wußte in ihrem Innersten ebensogut wie ihre Dienerin, daß alles, was dieses armselige Geschöpf gesagt hatte, nichts als grobe, lügenhafte Schmeichelei war. Aber schon die Gelegenheit, einem bißchen Bosheit gegen ihre Beleidigerin Luft zu machen und gegen die Mängel und Schwächen derselben Mitleid zu heucheln – wäre es auch nur in Gegenwart eines elenden Dienstmädchens – gewährte ihrer üblen Laune eine fast ebenso große Erleichterung, als wenn alles, was zur Sprache kam, reinste Wahrheit gewesen wäre. Die Macht der Selbsttäuschung geht noch außerdem in Stunden der Aufregung so weit, daß Fräulein Squeers sich in ihrem edlen Verzicht auf Johann Browdies Hand ordentlich als groß und erhaben erschien und auf ihre Nebenbuhlerin mit einer Art heiliger Ruhe heruntersehen konnte, die nicht wenig zur Besänftigung ihrer wirren Gefühle beitrug.

Diese glückliche Gemütsstimmung übte einigen Einfluß, um den Weg zur Versöhnung zu bahnen, denn als am andern Morgen an die Tür gepocht und die Müllerstochter angekündigt wurde, begab sich Fräulein Squeers mit einer so christlichen Fassung in das Besuchszimmer, daß man es nicht ohne hohe Erbauung mit ansehen konnte.

»Du siehst, Fanny«, sagte die Müllerstochter, »daß ich wieder zu dir komme, obgleich wir gestern abend einigen Wortwechsel miteinander hatten.«

»Ich beklage deine Leidenschaftlichkeit, Thilda«, versetzte Fräulein Squeers, »aber ich bin darüber erhaben, einen Groll im Herzen nachzutragen.«

»Sei nicht böse, Fanny«, sagte Fräulein Price. »Ich komme, um dir eine Mitteilung zu machen, über die du dich, wie ich hoffe, freuen wirst.«

»Was mag das sein, Thilda?« fragte Fräulein Squeers, indem sie die Lippen aufwarf und eine Miene annahm, als ob nichts in Feuer, Wasser, Luft und Erde imstande wäre, ihr auch nur eine Spur des angedeuteten Gefühls zu entlocken.

»Als wir gestern abend dein Haus verließen«, fuhr Fräulein Price fort, »hatte ich mit Johann einen schrecklichen Streit.«

»Das kann mir keine Freude machen«, entgegnete Fräulein Squeers, obgleich sie ein wohlgefälliges Lächeln nicht zu unterdrücken vermochte.

»Lieber Gott, wie könnte ich auch so schlecht von dir denken?« erwiderte ihre Gefährtin; »das ist es nicht.«

»So?« sagte Fräulein Squeers, ihr Gesicht wieder in düsterere Falten legend. »Was weiter?«

»Nachdem wir uns lange herumgezankt und erklärt hatten, daß wir uns nie wieder sehen wollten«, fuhr Fräulein Price fort, »vertrugen wir uns wieder, und Johann ging diesen Morgen hin, um für den nächsten Sonntag das erste Aufgebot zu bestellen. Wir feiern daher in drei Wochen unsere Hochzeit, und ich teile es dir mit, damit du für das Brautjungfernkleid sorgen kannst.«

Dies war Galle und Honig in einem Becher – Galle, weil sie ihre Freundin so bald verheiratet sehen sollte, und Honig, weil ihr dadurch die Gewißheit wurde, daß die Müllerstochter keine ernsthaften Absichten auf Nicolaus unterhielt. Im ganzen wurde jedoch das Bittere durch das Angenehme so weit überwogen, daß Fräulein Squeers sich bereit erklärte, das Brautjungfernkleid machen zu lassen, und zugleich die Hoffnung ausdrückte, Thilda möchte glücklich sein. Man könne freilich nicht voraussehen, ob dies der Fall sein würde, und sie möchte ihr raten, nicht allzusehr darauf zu bauen; denn die Männer wären gar wunderliche Geschöpfe, und viele Frauen befänden sich in einer so traurigen Lage, daß sie sich von ganzem Herzen die schöne Zeit ihrer Mädchenjahre zurückwünschten. Diesen leidigen Trostsprüchen fügte Fräulein Squeers noch einige andere bei, die auf eine nicht minder edle Weise berechnet waren, ihrer Freundin Mut zu machen und ihre Freudigkeit zu erhöhen.

»Um auf etwas anderes zu kommen, Fanny«, sagte Fräulein Price, »ich möchte ein paar Worte wegen des jungen Nickleby mit dir sprechen.«

»Er ist mir gleichgültig«, fiel Fräulein Squeers schnippisch ein; »ich verachte ihn zu sehr.«

»O, das kann unmöglich dein Ernst sein«, versetzte ihre Freundin. »Sei aufrichtig, Fanny – du liebst ihn noch immer?«

Ohne eine direkte Erwiderung zu geben, brach Fräulein Squeers in einen Strom boshafter Tränen aus und rief, daß sie ein elendes, vernachlässigtes, unglückliches, mit Füßen getretenes Wesen sei.

»Ich hasse alle Welt«, schloß Fräulein Squeers ihren leidenschaftlichen Erguß, »und wollte, daß alle Menschen tot wären – ja, das wollte ich.«

»Barmherziger Himmel!« rief Fräulein Price, nicht wenig erschrocken über dieses Zugeständnis menschenfreundlicher Gesinnungen; »doch nein, du kannst unmöglich so im Ernst sprechen!«

»Es ist mein voller Ernst«, versetzte Fräulein Squeers, indem sie mit knirschenden Zähnen feste Knoten in ihr Taschentuch knüpfte; »und ich wollte, daß auch ich tot wäre.«

»Ach, du wirst in fünf Minuten ganz anders denken«, sagte Mathilda. »Wieviel besser würde es sein, ihn wieder in Gnaden aufzunehmen, als dich in dieser Weise selbst zu quälen; und wäre es nicht viel hübscher, ihn unter guten Bedingungen dir wieder ganz zu eigen zu machen, mit ihm zu scherzen, zu kosen und auf die angenehmste Weise mit ihm zu leben?«

»Ich weiß nicht, wie das alles sein würde«, schluchzte Fräulein Squeers. »O Thilda, wie hast du so ehrlos und niederträchtig handeln können? Ich würde es nimmermehr geglaubt haben, wenn ich es nicht selbst gesehen hätte.«

»Aber, aber!« rief Fräulein Price kichernd, »sollte man nicht glauben, ich hätte zum mindesten jemand umgebracht?«

»Es war fast eben so schlecht«, versetzte Fräulein Squeers leidenschaftlich.

»Und alles das, weil ich zufällig gut genug aussehe, um die Leute höflich gegen mich zu machen?« entgegnete Fräulein Price. »Niemand gibt sich sein Gesicht selber, und es ist ebensowenig meine Schuld, wenn ich das meine sehen lassen darf, als es die Schuld anderer Leute ist, wenn man ihnen das nicht nachrühmen kann.«

»Halt dein Maul«, schrie Fräulein Squeers in ihrem schrillsten Tone, »oder du zwingst mich, dich daraufhin zu schlagen, Thilda, was mir hinterdrein doch wieder leid tun würde.«

Wir brauchen nicht zu sagen, daß der Ton der Unterhaltung einigen Einfluß auf die Stimmung der jungen Dame übte, und daß, als Folge davon, der Wortwechsel eine Beimischung von Tätlichkeiten erhielt. In der Tat steigerte sich die Heftigkeit des Streites zusehends und wurde endlich so ungestüm, daß beide Teile in Tränen ausbrachen und gleichzeitig ausriefen, daß sie sich’s nimmermehr gedacht hätten, je einmal einer solchen Behandlung sich aussetzen zu müssen. Dieses führte zu Erörterungen und Gegenvorstellungen, was allgemach einen Ausgleich herbeiführte, und der Schluß war, daß sie sich in die Arme fielen und aufs neue ewige Freundschaft schworen. Wir bemerken hierbei, daß diese rührende Zeremonie nicht die erste, sondern bereits die zweiundfünfzigste im Laufe desselbigen Jahres war.

Da nun das gute Einvernehmen wieder völlig hergestellt war, so kam man auf die Anzahl und die Beschaffenheit der Kleider zu sprechen, die Fräulein Price für ihren Eintritt in den heiligen Stand der Ehe notwendig haben mußte, und Fräulein Squeers wies augenfällig nach, daß in dieser Hinsicht bedeutend mehr getan werden müsse, als der Müller tun konnte oder wollte, wenn man nicht allen Anstand außer Augen zu lassen beabsichtige. Die junge Dame leitete dann mittels eines leichten Übergangs das Gespräch auf ihre eigene Garderobe und führte, nachdem sie ihre Hauptraritäten der Länge nach aufgezählt hatte, ihre Freundin die Stiegen hinauf, damit sie sich persönlich überzeugen könne. Hier wurden nun die Schätze von zwei Kommoden und einem Wandschranke zur Schau gestellt und die kleineren Putzartikel anprobiert, bis es für Fräulein Price Zeit wurde, wieder nach Hause zurückzukehren. Da indes die letztere über die gesehene Pracht ganz entzückt und von Bewunderung einer Rosaschärpe ganz hingerissen war, erklärte Fräulein Squeers in der besten Laune von der Welt, daß sie ihre Freundin noch eine Strecke begleiten wolle, um noch länger das Vergnügen ihrer Gesellschaft zu genießen. Sie verließen daher miteinander das Haus, und während des Spazierganges sprach Fräulein Squeers ein langes und breites über die hohen Eigenschaften ihres Vaters, wobei sie zugleich, um ihrer Freundin einen schwachen Begriff von der ungemeinen Wichtigkeit und Überlegenheit ihrer Familie zu geben, dessen Einkommen verzehnfachte.

Es war gerade die der Erholung gewidmete Zeit zwischen dem Mittagessen und dem Beginne des Unterrichts, die Nicolaus gewöhnlich zu einem Spaziergang benutzte, auf dem er in melancholischem Brüten über seine unglückliche Lage verdrießlich durch das Dorf zu schlendern pflegte. Fräulein Squeers wußte das recht gut, mußte es aber wahrscheinlich vergessen haben; denn als sie den jungen Mann auf sich zukommen sah, ließ sie allerlei Anzeichen von Überraschung und Bestürzung blicken und beteuerte ihrer Freundin, es sei ihr, als ob sie in die Erde sinken müßte.

»Sollen wir umkehren, oder uns geschwind in ein Bauernhaus flüchten?« fragte Fräulein Price. »Er hat uns noch nicht gesehen.«

»Nein, Thilda«, versetzte Fräulein Squeers; »es ist meine Pflicht, mich zu überwinden, und ich will es.«

Fräulein Squeers sagte dies mit einem Tone, als ob sie einen hohen, edlen Entschluß gefaßt hätte, und da sie außerdem den schweren Kampf ihrer Gefühle durch einiges Seufzen und Luftschnappen kundgab, so erlaubte sich ihre Freundin keine weitere Bemerkung. Sie gingen gerade auf Nicolaus zu, der mit zur Erde gesenktem Blicke einherschritt und der beiden Mädchen nicht eher gewahr wurde, als bis sie ihm ganz nahe waren, da er sonst vielleicht selbst irgendwo ein Versteck gesucht haben würde.

»Guten Morgen«, sagte Nicolaus mit einer Verbeugung und ging vorüber.

»Er geht«, flüsterte Fräulein Squeers. »Ach, ich ersticke, Thilda!«

»Ach, Herr Nickleby!« rief Fräulein Price, indem sie tat, als beunruhige sie die Drohung ihrer Freundin, obgleich ihrem Benehmen nur der boshafte Wunsch, mit anzuhören, was Nicolaus sagen würde, zugrunde lag; »ach, Herr Nickleby, kommen Sie doch zurück.«

Herr Nickleby kam zurück und fragte in ziemlicher Verwirrung, womit er den Damen zu Diensten sein könne.

»Halten Sie sich nicht mit Reden auf«, drängte Fräulein Price, »sondern unterstützen Sie sie auf der andern Seite. Wie ist es dir jetzt, meine Liebe?«

»Besser«, seufzte Fräulein Squeer«, indem sie den rötlichbraunen, mit einem grünen Schleier versehenen Biberhut auf Nicolaus Schulter legte. »Ach, diese törichte Schwäche!«

»Nenne sie nicht töricht, meine Liebe«, sagte Mathilda Price, deren leuchtende Augen sich nicht wenig über die Verwirrung des Hilfslehrers lustig machten; «du hast keinen Grund, dich ihrer zu schämen. Diejenigen sollten sich schämen, die zu stolz sind, um sich durch etwas anderes, als solche Auftritte, wieder gutmachen zu lassen.«

»Sie sind, wie ich sehe, willens, mich fortwährend zu necken«, sagte Nicolaus lächelnd, »obgleich ich Ihnen bereits gestern abend sagte, daß ich mir keiner Schuld bewußt bin.«

»Hörst du? – er sagt, er sei sich keiner Schuld bewußt, meine Liebe«, bemerkte Fräulein Price boshaft. »Vielleicht warst du zu eifersüchtig oder zu vorschnell gegen ihn? Er sagt, er sei unschuldig, und ich denke, das ist Entschädigung genug.«

»Sie wollen mich nicht verstehen«, versetzte Nicolaus; »jedenfalls aber bitte ich, mich bei Ihrem Scherz aus dem Spiele zu lassen; denn ich habe keine Zeit und bin in der Tat auch nicht in der Stimmung, in dem gegenwärtigen Augenblick die Zielscheibe oder den Genossen Ihrer Heiterkeit abzugeben.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Fräulein Price mit geheucheltem Erstaunen.

»Frage ihn nicht, Thilda«, rief Fräulein Squeers; »ich vergebe ihm.«

»Gütiger Gott!« sagte Nicolaus, als der braune Hut abermals auf seine Schulter sank; »die Sache wird ernsthafter, als ich vermutete. Erlauben Sie – wollen Sie die Güte haben, mich anzuhören?«

Mit diesen Worten hob er den braunen Kastorhut in die Höhe; als er jedoch mit unverhohlenem Erstaunen einem Blicke zärtlichen Vorwurfs von Fräulein Squeers‘ Seite begegnete, trat er einige Schritte zurück, um aus dem Bereiche seiner schönen Bürde zu kommen, und fuhr folgerdermaßen fort:

»Es tut mir sehr leid – gewiß aufrichtig leid, daß ich gestern abend zu einer Mißhelligkeit unter Ihnen Anlaß gab. Ich habe mir selbst schon die bittersten Vorwürfe darüber gemacht, daß ich so unglücklich war, jenes Zerwürfnis zu veranlassen, obgleich ich versichern kann, daß es ohne mein Wissen und ohne meinen Willen geschah.«

»Schon gut, aber das ist gewiß nicht alles, was Sie zu sagen haben«, rief Fräulein Price, als Nicolaus innehielt.

»Ich fürchte es selber auch«, stammelte Nicolaus mit einem halben Lächeln und einem Blick auf Fräulein Squeers. »Es ist allerdings etwas höchst Albernes, aber – nein, schon die bloße Andeutung einer solchen Vermutung läßt einen wie einen Pinsel aussehen, – doch – darf ich fragen, ob diese Dame annimmt, daß ich irgendeine – mit einem Worte, glaubt sie, daß ich in sie verliebt bin?«

»Er ist jetzt köstlich in der Klemme«, dachte Fräulein Squeers; »endlich habe ich ihn soweit. – Antworte für mich, meine Liebe«, flüsterte sie ihrer Freundin zu.

»Ob sie das glaubt?« erwiderte Fräulein Price. »Natürlich glaubt sie es.«

»Sie glaubt es?« rief Nicolaus mit einem Ungestüm, daß man es wohl einen Augenblick für Entzücken nehmen konnte.

»Gewiß«, versicherte Fräulein Price.

»Wenn es Herr Nickleby bezweifelt hat, Thilda«, sagte die errötende Fanny in sanftem Ton, »so mag er sich beruhigen. Seine Gefühle werden erwid–«

»Halten Sie inne«, unterbrach sie Nicolaus hastig; »ich bitte, hören Sie mich. Hier waltet die seltsamste Täuschung, der gröbste Irrtum ob, der je einem Menschen vorgekommen ist. Ich habe das Fräulein kaum ein halb Dutzend Male gesehen, aber wäre dies auch sechzigmal der Fall gewesen, oder wenn ich bestimmt wäre, sie sechzigtausendmal zu sehen, so würde das für mich gewiß ganz das gleiche sein. Es ist mir nie ein Gedanke, ein Wunsch oder eine Hoffnung, die in Verbindung mit ihr stünde, aufgestiegen, es müßte denn – ich sage das übrigens nicht, um ihre Gefühle zu verletzen, sondern um ihr die wahre Beschaffenheit der meinen klarzulegen – es müßte denn etwas der Art in dem Sehnen zu finden sein, das meinem Herzen so nahe wie mein Leben selber liegt, diesem verfluchten Orte eines Tages den Rücken kehren zu können und nie wieder einen Fuß in denselben setzen, oder daran denken – ja nicht einmal anders daran denken zu dürfen als mit Abscheu und Ekel.«

Nach dieser in der Tat ungemein offenen und geraden Erklärung, den er sich mit allem Ungestüm eines entrüsteten und aufgeregten Herzens entledigte, verbeugte sich Nicolaus leicht und entfernte sich, ohne Erwiderung abzuwarten.

Aber das arme Fräulein Squeers! Ihr Ärger, ihr Zorn, ihre Wut und die rasche Aufeinanderfolge bitterer, leidenschaftlicher Gefühle, die durch ihre Seele stürmten – nein, das läßt sich nicht beschreiben. Zurückgewiesen! Zurückgewiesen von einem Hilfslehrer, den man durch eine Zeitungsannonce und durch einen Jahrgehalt von fünf Pfunden, zahlbar in unbestimmten Raten, aufgelesen und hinsichtlich der Kost und Wohnung ganz wie die Knaben selbst gehalten hatte! Und das noch obendrein in Gegenwart eines kleinen Äffchens von Müllerstochter, die ihre achtzehn Jahre zählte und sich in drei Wochen mit einem Manne verheiraten sollte, der sie auf den Knien um ihr Jawort angefleht hatte! Sie hätte bei dem Gedanken an diese Demütigung in der Tat allen Ernstes ersticken mögen.

Aber ungeachtet des Sturmes in ihrem Innern blieb ihr doch eines klar, und dies war, daß sie Nicolaus mit der ganzen Engherzigkeit und Erbärmlichkeit, die eines Abkömmlings aus dem Hause der Squeers würdig war, haßte und verabscheute. Auch blieb ihr noch ein Trost übrig, daß sie nämlich jede Stunde des Tages seinen Stolz verwunden und ihn durch kleine Gehässigkeiten, Kränkungen oder Verkürzungen verletzen konnte, um so mehr, da diese, wenn sie schon auf den Gleichgültigen einen unangenehmen Eindruck üben, von einem so reizbaren Manne, wie Nicolaus, doppelt bitter empfunden werden mußten. Durch diese beiden Betrachtungen gestärkt, suchte Fräulein Squeers die Sache zu ihrem Vorteil zu drehen, indem sie gegen ihre Freundin bemerkte, Herr Nickleby ist ein so wunderlicher Mensch und von so ungestümer Gemütsart, daß sie glaube, sie werde ihn wohl aufgeben müssen; und so trennten sich die beiden Damen.

Wir müssen hier bemerken, daß Fräulein Squeers, als sie ihre Liebe (oder was immer bei ihr dieses Gefühl repräsentierte) auf Nicolaus warf, keinen Augenblick an die Möglichkeit dachte, daß er in dieser Sache mit ihr verschiedener Ansicht sein könnte. Sie glaubte sogar, der junge Mann müsse sich durch den Vorzug, den sie ihm angedeihen ließ, über die Maßen geehrt fühlen; denn sie war ja schön und ansprechend, ihr Vater war der Chef und Nicolaus der Gehilfe, ihr Vater hatte Geld und Nicolaus keins – lauter Gründe, die sich wohl hören ließen. Dabei hatte sie auch recht wohl erwogen, wie angenehm sie ihm seine Lage als Freundin und um wieviel unangenehmer als Feindin machen konnte; und ohne Zweifel würden manche weniger gewissenhafte Leute, als Nicolaus, schon aus diesem sehr augenfälligen Grunde ihre Verirrung ermutigt haben. Nicolaus hielt es jedoch für geraten, anders zu handeln, und Fräulein Squeers war darüber wütend.

»Er mag zusehen«, sagte die aufgebrachte junge Dame, als sie wieder auf ihr Zimmer kam und ihr Inneres durch einen Ausfall auf Phib erleichtert hatte. »Wenn die Mutter zurückkommt, so will ich sie noch mehr gegen ihn aufhetzen.«

Das war kaum nötig, aber Fräulein Squeers machte ihrem Worte keine Unehre. Der arme Nicolaus wurde neben der schlechten Kost, der schmutzigen Wohnung und dem unflätigen Elend, dessen Zeuge er ohne Unterlaß sein mußte, mit jeder Art Herabwürdigung, die Bosheit und der niedrigste Geiz zu ersinnen vermochten, behandelt.

Aber das war noch nicht alles. Es gab noch ein anderes, tieferschneidendes Peinigungssystem, dessen Ungerechtigkeit und Grausamkeit ihn fast zur Verzweiflung brachten.

Der arme Smike folgte, seit Nicolaus einmal des Nachts im Schulzimmer freundlich mit ihm gesprochen hatte, in rastloser Dienstfertigkeit dem Hilfslehrer fast immer auf der Ferse, suchte dessen kleinen Bedürfnissen, soviel es in seinen Kräften lag, zuvorzukommen und fühlte sich glücklich, wenn er nur in seiner Nähe war. Er konnte stundenlang neben ihm sitzen und ihm ruhig ins Gesicht sehen, während ein Wort aus Nicolaus‘ Munde seine kummervollen Züge erheiterte und sogar einen vorübergehenden Strahl von Glück in diesem hervorrief. Er war ein ganz anderes Wesen, denn sein Leben hatte jetzt einen Zweck, nämlich den, der einzigen Person, die ihn – wenn nicht gerade mit Liebe, so doch wie einen Menschen behandelt hatte, seine Anhänglichkeit zu zeigen, obgleich diese Person ihm sonst fremd war.

Über dieses arme Wesen ergoß man nun ohne Unterlaß alle Bosheit und alle üble Launen, die man an Nicolaus nicht auslassen konnte. Die härtesten Knechtesdienste hätte er nicht in Anschlag gebracht, da er an diese von lange her gewöhnt war. Ohrfeigen ohne alle Ursache waren gleichfalls eine Angelegenheit, die sich von selber verstand, denn viele schwere und mühevolle Jahre hatte er nichts anderes gekannt. Kaum hatte man aber bemerkt, daß er eine Anhänglichkeit an Nicolaus zeige, so wurden ihm vom Morgen bis zum Abend nichts anderes als Peitschenhiebe und Faustschläge oder Faustschläge und Peitschenhiebe zuteil. Squeers war eifersüchtig auf den Einfluß, den sein Gehilfe so bald erworben hatte; die Squeerssche Familie haßte ihn, und Smike mußte beides entgelten. Nicolaus sah dieses und knirschte mit den Zähnen bei jeder Wiederholung eines solchen feigen und unmenschlichen Angriffs.

Er hatte einige regelmäßige Lehrstunden für die Knaben angeordnet, und eines Abends, als er in der unheimlichen Schulstube auf und ab ging und ihm das übervolle Herz bei dem Gedanken, daß sein Schutz und sein Wohlwollen das Elend eines höchst beklagenswerten Wesens nur noch vermehrt hätte, fast brechen wollte, blieb er auf einmal unwillkürlich in einer dunklen Ecke, wo der Gegenstand seiner Gedanken saß, stehen.

Der arme Junge saß mit rotgeweinten Augen emsig über einem zerrissenen Buche und mühte sich vergeblich ab, mit einer Aufgabe zustande zu kommen, die ein mit gewöhnlichen Fähigkeiten versehenes Kind von neun Jahren mit Leichtigkeit hätte lösen können, die aber für das verwirrte Gehirn des zertretenen neunzehnjährigen Burschen ein versiegeltes und hoffnungsloses Geheimnis war. Trotzdem saß er da, geduldig das Blatt wieder und wieder durchbuchstabierend, obgleich er nicht durch einen knabenhaften Ehrgeiz (denn er war die gemeinsame Zielscheibe des Spottes für seine ganze ungeschlachte Umgebung), sondern nur durch den eifrigen Wunsch, seinem einzigen Freunde zu gefallen, beseelt wurde.

Nicolaus legte die Hand auf seine Schulter.

»Ich komme nicht damit zustande«, sagte Smike niedergeschlagen, indem er mit einem Schmerzensblicke aufsah. »Nein, es geht nicht.«

»Du mußt dich nicht allzusehr anstrengen«, versetzte Nicolaus.

Smike schüttelte den Kopf, schloß das Buch mit einem Seufzer, stierte ausdruckslos um sich her und legte das Gesicht auf seinen Arm. Er weinte.

»Um Gottes willen, höre auf«, sagte Nicolaus mit erregter Stimme: »ich kann es nicht mit ansehen.«

»Sie sind schlimmer gegen mich als je«, schluchzte der Knabe.

»Leider, leider«, entgegnete Nicolaus.

»Aber für Sie«, fuhr der arme Kerl fort, »könnte ich in den Tod gehen. Ich weiß gewiß, sie haben es darauf abgesehen, mich unter die Erde zu bringen.«

»Du wirst es besser haben, armer Junge«, erwiderte Nicolaus, indem er traurig den Kopf schüttelte, »wenn ich fort bin.«

»Fort?« rief der andere mit einem starren Blicke nach Nicolaus‘ Gesicht.

»Still!« versetzte Nicolaus. »Ja.«

»Sie wollen also gehen?« flüsterte der Knabe angelegentlich.

»Ich kann’s noch nicht sagen«, entgegnete Nicolaus; »ich sprach mehr vor mich selber hin als zu dir.«

»Sagen Sie mir«, flehte der Knabe, »o sagen Sie mir, wollen Sie wirklich gehen – wollen Sie?«

»Sie werden mich endlich dazu zwingen«, antwortete Nicolaus. »Doch die Welt liegt ja offen vor mir.«

»Sagen Sie mir«, drängte Smike, »ist die Welt auch so schlimm und abscheulich wie dieser Ort?«

»Behüte Gott!« sprach Nicolcius, den Lauf seiner eigenen Gedanken verfolgend. »Ihre schwerste und sauerste Arbeit wäre ein Glück gegen das Leben hier.«

»Würde ich Sie dort treffen?« fragte der Knabe ungewöhnlich schnell und leidenschaftlich.

»Ja«, versetzte Nicolaus, in der Absicht, ihn zu beschwichtigen.

»Nein, nein«, sagte der andere, Nicolaus‘ Hand ergreifend, »würde ich – würde ich, – sagen Sie mir’s noch einmal. Geben Sie mir die Versicherung, daß ich Sie gewiß finden würde.«

»Du würdest es«, erwiderte Nicolaus in derselben wohlwollenden Absicht, »und ich würde dir Beistand leisten und nicht neue Leiden über dich bringen, wie ich hier getan habe.«

Smike drückte leidenschaftlich die Hände des jungen Mannes an seine Brust und ließ einige abgebrochene, unverständliche Worte laut werden. In demselben Augenblicke trat Squeers in die Stube und schlich nach seiner gewohnten Ecke.