Zehntes Kapitel.

Wie Herr Ralph Nickleby für seine Nichte und Schwägerin sorgt.

Am zweiten Morgen nach Nicolaus‘ Abreise saß Käthchen Nickleby in einem ziemlich verblichenen Lehnsessel, der auf einer sehr staubigen Erhöhung stand, in Fräulein La Creevys Zimmer, um von derselben ihr angefangenes Porträt vollenden zu lassen. Damit übrigens zu dessen höchster Vervollkommnung nichts fehle, hatte Fräulein La Creevy den Haustürrahmen heraufbringen lassen, um aus demselben für Fräulein Nicklebys Antlitz eine helle salmenfleischrote Farbe zu entnehmen, auf die sie ursprünglich bei der Porträtierung eines jungen Offiziers verfallen war, und die von Fräulein La Creevys Hauptgönnern und Freunden als etwas ganz Neues in der Kunst betrachtet wurde, was auch wirklich der Fall war.

»Ich denke, ich habe es jetzt«, sagte Fräulein La Creevy. »Ganz derselbe Schatten. Gewiß, es wird das lieblichste Bild werden, das ich je gemalt habe.«

»Dann ist es jedenfalls nur Ihre Kunst, die es dazu macht«, versetzte Käthchen lächelnd.

»Nein, nein, das gebe ich nicht zu, meine Liebe«, entgegnete Fräulein La Creevy. »Gewiß – der Gegenstand schon ist allerliebst –, obgleich natürlich einiges auf die Behandlungsweise ankommt.«

»Und zwar nicht wenig«, bemerkte Käthchen.

»Da haben Sie allerdings recht, meine Liebe«, erwiderte Fräulein La Creevy – »in der Hauptsache recht, obgleich ich nicht einräumen kann, daß dies in dem gegenwärtigen Falle besonders in Betracht kommt. Ach, die Kunst hat ihre großen Schwierigkeiten, meine Teure.«

»Ich zweifle nicht daran, und es muß wohl so sein«, sagte Käthchen, auf das Steckenpferd ihrer gutmütigen kleinen Freundin eingehend.

»Ach, sie übersteigen alle Begriffe«, erwiderte Fräulein La Creevy. »Sie haben keine Ahnung davon, was es für Mühe kostet, dem Auge den gehörigen Ausdruck zu geben und die Nase in das geeignete Verhältnis mit dem Kopfe zu bringen, von Zähnen gar nicht zu reden.«

»So etwas läßt sich kaum mit Geld bezahlen«, meinte Käthchen.

»Da haben Sie vollkommen recht«, entgegnete Fräulein La Creevy; »und dann sind die Leute auch so unvernünftig und schwer zu befriedigen, daß man unter zehn Porträts kaum eins mit Vergnügen malen kann. Das eine Mal sagen sie: »Ach, was für ein ernstes Gesicht haben Sie mir gemacht, Fräulein La Creevy«; ein andermal heißt es: »Aber Fräulein La Creevy, was ist das für ein schmunzelnder Mund?« während doch ein gutes Porträt entweder ernst oder heiter sein muß, sonst ist es überhaupt kein Porträt.«

»Wirklich?« fragte Käthchen lachend.

»Gewiß, meine Liebe, denn die Sitzenden sind immer entweder das eine oder das andere«, versetzte Fräulein La Creevy. »Betrachten Sie die Porträts in der königlichen Akademie – alle die schönen Bilder von Herren in schwarzen Samtwesten mit den auf runden Tischen oder Marmorplatten ruhenden Händen sind bekanntermaßen ernsthaft; und Damen, die mit Sonnenschirmchen, Schoßhündchen oder kleinen Kindern spielen, müssen nach denselben Kunstregcln lächelnd gehalten werden. In der Tat gibt es«, fuhr Fräulein La Creevy in einem vertraulichen Flüstern fort – »nur einen zweifachen Porträtstil – den ernsten und den heitern; des ersteren bedienen wir uns immer bei Geschäftsmännern, des letztern bei Damen oder bei Herren, die sich nicht viel darum kümmern, ob sie gescheit aussehen oder nicht.«

Käthchen schien durch diese Belehrung sehr erheitert zu werden, während Fräulein La Creevy weiter malte und in einem fort mit unveränderter Selbstgefälligkeit plauderte.

»Es scheint, daß Sie viele Offiziere malen müssen«, sagte Käthchen, indem sie eine kleine Pause in der Unterhaltung benutzte, um sich im Zimmer umzusehen.

»Viele, mein Kind?« fragte Fräulein La Creevy, von ihrer Arbeit aufsehend. »Ah, Sie meinen die Charakterporträts – es sind keine wirkliche Militärpersonen.«

»Nicht?«

»Du mein Himmel, nein. Es sind nur Schreiber, Ladendiener und dergleichen, die sich eine Uniform mieten und sie in einem Tuch eingeschlagen herschicken, um sie beim Sitzen anziehen zu können. Einige Künstler halten sich einen Scharlachrock und berechnen für seine Benutzung nebst dem Karmin acht Schilling extra. Ich gebe mich jedoch nicht mit derartigen Spekulationen ab, da ich sie nicht für recht halte.«

Fräulein La Creevy warf sich bei diesen Worten in die Brust, als ob sie sich viel darauf zugut täte, daß sie derartige, Kunden anködernde Kunstgriffe verschmähe, und malte dann wieder emsig fort, indem sie nur hier und da den Kopf aufrichtete, um irgendeine Schattierung, die sie eben angebracht hatte, mit einem unaussprechlichen Wohlbehagen zu betrachten, oder hin und wieder Fräulein Nickleby zu verstehen gab, mit welchem besonderen Teil ihres Gesichts sie eben beschäftigt wäre, »nicht damit Sie ihn in eine malerische Haltung bringen sollen, meine Liebe«, bemerkte sie ausdrücklich, »sondern es ist nur unsere Gewohnheit, den Sitzenden zu sagen, bei welcher Partie wir sind, damit sie, wenn sie einen besondern Ausdruck in derselben angebracht wissen wollen, diesen noch beizeiten hineinlegen können.«

»Und wann«, sagte Fräulein La Creevy nach einem langen Schweigen, was in dem gegenwärtigen Fall ungefähr einen Zeitraum von anderthalb Minuten bezeichnet, »wann hoffen Sie Ihren Onkel wiederzusehen?«

»Das weiß ich nicht zu sagen«, versetzte Käthchen, »denn wir harren bereits seit einigen Tagen vergebens auf seinen Besuch. Ich hoffe jedoch, daß er sich bald zeigen wird, denn die Ungewißheit ist schlimmer als alles andere.«

»Ich glaube, er hat Geld, nicht wahr?« fragte Fräulein La Creevy.

»Dem Vernehmen nach ist er sehr reich«, antwortete Käthchen. »Ich weiß dies freilich nicht mit Bestimmtheit, aber ich glaube es selber auch.«

»Ah, Sie können sich darauf verlassen, daß er es ist, sonst würde er nicht so grob sein«, bemerkte Fräulein La Creevy, die eine seltsame kleine Mischung von Schlauheit und Einfalt war. »Wenn einer ein Bär ist, so kann man im allgemeinen annehmen, daß er ziemlich unabhängig lebt.«

»Ei hat allerdings eine etwas rauhe Außenseite«, sagte Käthchen.

»Etwas rauh?« rief Fräulein La Creevy; »ein Igel ist ein Federbett gegen ihn. Ich habe in meinem ganzen Leben keinen solchen widerhaarigen alten Brummbart gesehen.«

»Ich vermute, daß dies nur so seine Art ist«, bemerkte Käthchen schüchtern. »Ich habe, glaube ich, gehört, daß er in früheren Jahren manche bittere Erfahrung gemacht hat, wodurch er sauertöpfisch wurde. Ich möchte nicht gern Schlimmes von ihm denken, solange ich nicht weiß, daß er es verdient.«

»Nun, das ist lobenswert«, versetzte die Porträtmalerin, »und behüte Gott, daß ich Sie zu einem Unrecht veranlasse. Aber könnte er jetzt nicht, ohne daß es ihm selbst wehe täte, Ihnen und Ihrer Mutter ein kleines Jahrgehalt auswerfen, das Sie beide nährte, bis sich eine passende Partie für Sie fände, und auch dann noch Ihrer Mutter eine sorgenfreie Lage bereitete? Was würden ihm z.B. hundert Pfund jährlich ausmachen?«

»Das weiß ich nicht«, sagte Käthchen mit großem Nachdruck, »aber mir würde es so viel ausmachen, daß ich lieber sterben, als sie annehmen wollte.«

»Ei, ei, was Sie da sagen«, versetzte Fräulein La Creevy.

»Es würde mir mein ganzes Leben verbittern, wenn ich von ihm abhängig sein müßte«, fuhr Käthchen fort. »Sogar das Betteln kommt mir weniger erniedrigend vor.«

»Wohl«, rief Fräulein La Creevy; »doch ich gestehe, meine Liebe, daß dies sonderbar genug klingt in Bezug auf einen Verwandten, über den eine unbeteiligte Person vor Ihren Ohren kein böses Wörtchen sagen soll.«

»Sie haben recht, es klingt allerdings sonderbar«, erwiderte Käthchen in einem weniger aufgeregten Tone. »Ich – ich – meinte übrigens damit nur, ich könnte es, da mir die Gefühle und Erinnerungen besserer Tage noch so lebhaft vor der Seele stehen, nicht ertragen, von der Gnade eines anderen zu leben – nicht vorzugsweise von der seinigen, sondern überhaupt.«

Fräulein La Creevy warf einen forschenden Blick auf ihre Gefährtin, als könne sie nicht recht glauben, daß nicht Ralph selbst der Gegenstand ihrer Abneigung wäre. Da sie aber einen schmerzlichen Ausdruck in den Zügen ihrer jungen Freundin bemerkte, so unterließ sie die Erwiderung.

»Ich wünsche nichts von ihm«, fuhr Käthchen fort, während Tränen über die Wangen flossen, »als daß er sich für mich soweit einsetzt, um mich durch seine Empfehlung – nur durch seine Empfehlung – in den Stand zu setzen, daß ich im buchstäblichen Sinne des Worts mein Brot verdienen und bei meiner Mutter bleiben kann. Ob wir je wieder glücklich sein werden, hängt von dem Schicksal meines lieben Bruders ab. Sorgt aber mein Onkel in der angedeuteten Weise für mich, und schreibt uns Nicolaus nur, daß er gesund und heiter ist, so will ich ja gern zufrieden sein.«

Sie hatte kaum zu sprechen aufgehört, als sich ein Rasseln hinter der spanischen Wand vernehmen ließ, die zwischen ihr und der Tür stand, und unmittelbar darauf pochte jemand an das Getäfel.

»Herein, wer es immer sein mag«, rief Fräulein La Creevy.

Der Klopfende leistete der Aufforderung Folge und ließ, als er ins Zimmer trat, nichts Geringeres als die Gestalt und Züge des Herrn Ralph Nickleby erkennen.

»Ihr Diener, meine Damen«, sagte Ralph, sie abwechselnd anblickend. »Sie sprachen so laut, daß ich nicht imstande war, mich bemerklich zu machen.«

Wenn Ralph Nickleby einen ungewöhnlich boshaften Gedanken in seinem Herzen barg, so war es seine Gewohnheit, seine Augen einen Augenblick fast ganz unter den dicken, buschigen Brauen zu verbergen und sie dann in ihrer vollen Schärfe hervorbrechen zu lassen. Da er es auch in dem gegenwärtigen Moment so machte und das Lächeln zu unterdrücken suchte, das seine dünnen, zusammengekniffenen Lippen mit boshaften Falten umzog, so fühlten beide, daß er wenigstens einen Teil, wo nicht das Ganze der Unterhaltung behorcht hatte.

»Ich war im Begriff, die Stiegen hinaufzugehen, wollte aber zuerst unten vorsprechen, weil ich halb und halb vermutete, dich hier zu treffen«, sagte Ralph zu Käthchen, indem er einen verächtlichen Blick auf das Porträt warf. »Ist dies das Porträt meiner Nichte, Madame?«

»Ja, Herr Nickleby«, entgegnete Fräulein La Creevy sehr lebhaft »und unter uns gesagt, Sir, es wird ein recht hübsches Porträt werden, obgleich es die Künstlerin selbst sagt.«

»Nehmen Sie sich nicht die Mühe, es mir zu zeigen, Madame«, versetzte Ralph zurücktretend; »ich habe kein Auge für Ähnlichkeiten. Ist es wohl bald fertig?«

»Bald«, erwiderte Fräulein La Creevy, indem sie, den Pinselstiel in den Mund nehmend, ein wenig nachsann. »Noch zwei Sitzungen werden –«

»Machen Sie’s gleich in einer ab, Madame«, sagte Ralph; »sie wird übermorgen keine Zeit mehr haben, um sie an dergleichen Torheiten zu verschwenden. Arbeit, Madame – Arbeit ist die Seele des Lebens; wir alle müssen arbeiten. Haben Sie Ihre Zimmer schon wieder vermietet, Madame?«

»Ich habe ihr noch nicht gekündigt, Sir«.

»So tun Sie es schnell, Madame. Meine Schwägerin braucht sie in der nächsten Woche nicht mehr, oder wenn es auch der Fall wäre, so wird es an der Bezahlung fehlen. – Nun, meine Liebe, wenn du bereit bist, so wollen wir keine Zeit mehr verlieren.«

Mit einer geheuchelten Freundlichkeit, die ihm sogar noch übler stand als sein gewohntes Benehmen, winkte Herr Ralph Nickleby der jungen Dame, vorauszugehen, verbeugte sich ernst gegen Fräulein La Creevy, schloß die Tür und folgte Käthchen die Treppe hinauf, wo ihn Frau Nickleby mit vielen Hochachtungsbezeugungen empfing. Ralph unterbrach sie jedoch in ihrem Redefluß mit einer ungeduldigen Handbewegung und ging auf den Zweck seines Besuches über.

»Ich habe einen Platz für Ihre Tochter gefunden«, sagte Ralph.

»Herrlich«, versetzte Frau Nickleby; »doch ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet. Ich sagte erst gestern morgen beim Frühstück zu Käthchen: verlaß dich drauf, daß dein Onkel, nachdem er für Nicolaus so gut gesorgt hat, uns nicht verlassen wird, bis ihm mit dir ein gleiches gelungen ist. Ja, dies waren, soviel ich mich erinnern kann, meine Worte. Liebes Käthchen, warum dankst du nicht deinem –«

»Ich bitte, lassen Sie mich fortfahren, Madame«, unterbrach Ralph den Gießbach ihrer Beredsamkeit.

»Liebes Käthchen, laß deinen Onkel fortfahren«, sagte Frau Nickleby.

»Ich harre in der gespanntesten Erwartung, Mama«, erwiderte Käthchen.

»Nun, meine Liebe, wenn du so gespannt darauf bist, so wirst du besser tun, deinen Onkel sagen zu lassen, was er zu sagen hat, ohne ihn zu unterbrechen«, sagte Frau Nickleby mit manchem kleinen Nicken und Kopfschütteln. »Die Zeit deines Onkels ist kostbar, meine Liebe, und wie sehr es auch dein Wunsch sein mag – und es muß natürlich, teuren Verwandten gegenüber, die man noch so wenig kennt, wie wir deinen Onkel, unser Wunsch sein –, das Vergnügen, ihn bei uns zu haben, zu verlängern, so dürfen wir doch nicht selbstsüchtig sein, sondern müssen in Erwägung ziehen, was er für wichtige Geschäfte in der City hat.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Madame«, sagte Ralph mit einem kaum bemerklichen Hohnlächeln. »Der Umstand, daß man in dieser Familie nicht an Geschäfte gewöhnt ist, führt, wie ich sehe, zu einer großen Verschwendung von Worten, so daß man, wenn einmal von einem wirklichen Geschäft die Rede ist, gar nicht zu demselben kommen kann.«

»Ich fürchte, es ist nur zu wahr«, versetzte Frau Nickleby mit einem Seufzer. »Ihr armer Bruder –«

»Mein armer Bruder, Madame«, fiel Ralph mit Härte ein, »hatte gar keinen Begriff von einem Geschäft und kannte, wie ich zuverlässig glaube, nicht einmal die Bedeutung des Worts.«

»Ich fürchte, Sie haben recht«, sagte Frau Nickleby, ihr Schnupftuch an die Augen drückend. »Wenn er nicht mich gehabt hätte, so weiß ich nicht, was aus ihm geworden wäre.«

Welches seltsame Geschöpf ist nicht der Mensch? Der leichte Köder, den Ralph bei der ersten Begegnung so geschickt hingeworfen hatte, hing noch immer an der Angel. Bei jeder kleinen Entbehrung und Unbequemlichkeit, die Frau Nickleby im Laufe der vierundzwanzig Stunden des Tages an ihre beschränkten und veränderten Verhältnisse erinnerte, knüpfte sich ein mürrischer Rückblick auf ihre tausend Pfund, bis sie sich endlich ganz in die Überzeugung hineingearbeitet hatte, daß sie von allen Gläubigern ihres seligen Mannes am übelsten behandelt worden und daher am meisten zu beklagen sei. Und doch war sie nicht selbstsüchtiger als andere und hatte ihren Mann viele Jahre lang innig geliebt. So reizbar wird man durch plötzliche Verarmung! Ein anständiges Auskommen würde mit einemmal ihren Gedanken wieder die alte Richtung gegeben haben.

»Das Jammern hilft nichts, Madame«, sagte Ralph. »Von allem nutzlosen Treiben ist es das nutzloseste, einem Tag, der entschwunden ist, Tränen nachzuschicken.«

»Es ist so«, schluchzte Frau Nickleby, »es ist so.«

»Da Sie die Folgen der Hintansetzung eines rührigen Lebens an Ihrer eigenen Börse und Person so schwer empfinden, Madame«, fuhr Ralph fort, »so hoffe ich, Sie werden Ihren Kindern die Notwendigkeit unermüdlichen Arbeitens ans Herz legen.«

»Natürlich, natürlich«, entgegnete Frau Nickleby. »Traurige Erfahrungen, wie Sie wissen, Schwager – liebes Käthchen, führe das in deinem nächsten Briefe an Nicolaus an, oder erinnere mich daran, wenn ich ihm schreibe.«

Ralph hielt eine Weile inne, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Mutter vollkommen auf seiner Seite wäre, wenn auch die Tochter gegen seinen Vorschlag etwas einzuwenden haben sollte, fuhr er fort:

»Die Stelle, die ich ihr zu verschaffen Sorge trug, Madame, ist bei – bei einer Putz- und Kleidermacherin, mit einem Worte.«

»Bei einer Putzmacherin?« rief Frau Nickleby.

»Einer Putz- und Kleidermacherin, Madame«, wiederholte Ralph. »Ich brauche einer Frau, die so viel Lebenserfahrung hat, nicht erst zu sagen, daß sich Kleidermacherinnen in London ein schönes Geld verdienen, Equipagen halten und zu großem Reichtum gelangen.«

Das Wort »Putz- und Kleidermacherin« hatte Frau Nicklebys Gedanken mit gewissen geflochtenen, mit Wachstuch ausgelegten Weidenkörben in Verbindung gebracht, die sie, wie sie sich erinnerte, in den Straßen hatte hin- und hertragen sehen. Aber als Ralph fortfuhr, verschwand dieser Eindruck und machte den Träumen von großen Häusern in dem Westend Londons, zierlichen Equipagen und Kapitalbriefen Platz – Bilder, die sich mit solcher Raschheit folgten, daß sie, noch ehe er ausgesprochen hatte, mit dem Kopf nickte und, augenscheinlich sehr zufrieden, ihre Zustimmung zu erkennen gab.

»Was dein Onkel sagt, ist vollkommen richtig, Käthchen«, sagte Frau Nickleby. »Ich kam, als wir kaum verheiratet waren, mit deinem armen Vater nach der Stadt, und ich erinnere mich noch recht gut, daß mir eine junge Dame einen Spadrihut mit weißem und grünem Besatz und grünem, seidenem Futter in ihrem eigenen Wagen, der in vollem Galopp anfuhr, ins Haus brachte; – ich weiß zwar nicht ganz bestimmt, ob es ihr eigener Wagen oder eine Mietkutsche war, aber ich erinnere mich noch recht gut, daß das Pferd beim Umwenden tot niederfiel, und daß dein armer Vater meinte, es hätte vierzehn Tage keinen Hafer zu fressen bekommen.«

Diese Anekdote, so schlagend sie auch die Wohlhabenheit der Putzmacherinnen darlegte, schien übrigens keinen besonderen Anklang zu finden, denn Käthchen ließ den Kopf sinken, und Ralph zeigte unzweideutige Spuren der äußersten Ungeduld.

»Die in Frage stehende Dame –« fiel Ralph hastig ein – »heißt Mantalini – Madame Mantalini. Ich kenne sie; sie wohnt in der Nähe von Cavandish-Square. Wenn Ihre Tochter geneigt ist, sich um die Stelle zu bewerben, so will ich sie gleich mit hinnehmen.«

»Hast du deinem Onkel nichts zu sagen, meine Liebe?« fragte Frau Nickleby.

»O, sehr viel«, versetzte Käthchen, »aber nicht jetzt. Ich möchte lieber unter vier Augen mit ihm sprechen. Es wird ihm Zeit ersparen, wenn ich ihm meinen Dank und das, was ich ihm zu eröffnen habe, auf dem Wege sage.«

Käthchen eilte mit diesen Worten hinaus, um die in ihren Augen quellenden Tränen zu verbergen und sich zum Ausgehen anzukleiden, während Frau Nickleby unter vielen Zähren ihren Schwager mit der umständlichen Beschreibung eines Klaviers aus Rosenholz und einer Garnitur Sessel mit gedrechselten Beinen und grünen Sitzpolstern unterhielt, die sie in den Tagen ihrer Wohlhabenheit besessen hätte, wobei sie anmerkte, daß von den letzteren jedes Stück zwei Pfund fünfzehn Schillinge gekostet hätte, daß aber bei der Versteigerung diese Raritäten fast um nichts losgeschlagen worden wären.

Diese Erinnerungen wurden endlich durch Käthchens Rückkehr abgeschnitten, und Ralph, der während der ganzen Zeit ihrer Abwesenheit ärgerlich dagesessen hatte, verlor nun keine Zeit mehr, sondern verließ ohne viele Zeremonien das Haus.

»Jetzt lauf, so schnell du kannst«, sagte er, indem er den Arm seiner Nichte nahm. »Du wirst dann in den Schritt kommen, dessen du dich jeden Morgen, wenn du ans Geschäft gehst, bedienen mußt.«

Mit diesen Worten führte er Käthchen mit tüchtig ausholenden Schritten nach Cavendish-Square.

»Ich bin Ihnen für Ihre Güte sehr verbunden«, sagte das Mädchen, nachdem sie eine Weile schweigend fortgeeilt waren.

»Das hör‘ ich gern«, sagte Ralph. »Ich hoffe, du wirst deine Schuldigkeit tun.«

»Ich will suchen, mich beliebt zu machen, Onkel«, versetzte Käthchen; »in der Tat, ich –«

»Fange mir nicht zu weinen an«, brummte Ralph, »ich kann dieses Geplärre nicht leiden.«

»Ich weiß wohl, daß es töricht ist, lieber Onkel –«, begann das arme Käthchen.

»Ja, das ist es«, erwiderte Ralph, ihr ins Wort fallend, »und sehr affektiert außerdem. Bleib mir mit derartigen Komödien vom Leibe.«

Das war vielleicht nicht die beste Art und Weise, die Tränen eines jungen und gefühlvollen Mädchens zu trocknen, die im Begriffe stand, eine ganz neue Laufbahn unter kalten und teilnahmlosen Fremden anzutreten; aber der Zweck wurde trotzdem erreicht. Käthchens Gesicht übergoß sich mit Glut, und ihre Brust wogte einige Augenblicke ungestüm; dann aber schritt sie mit festerem und entschlossenerem Schritte weiter.

Es lag ein seltener Gegensatz in dem Benehmen der beiden; das furchtsame Landmädchen schlüpfte schüchtern durch das Gedränge, das in den Straßen auf und nieder wogte, und hielt sich fest an ihren Begleiter, als fürchte sie, ihn in den Volksmassen zu verlieren, während der ernste, eherne Geschäftsmann mürrisch seines Weges ging, sich mit den Ellbogen Bahn brach und hin und wieder mit einem Vorübergehenden, der sich vielleicht überrascht nach seiner schönen Begleiterin umsah und sich über diese so übel zusammenstimmende Paarung wunderte, einen verdrossenen Gruß wechselte. Der Gegensatz wäre aber noch weit schneidender gewesen, wenn man in den Herzen, die so nahe beieinander schlugen, hätte lesen und die reine Unschuld des einen mit der heillosen Schurkerei des andern hätte vergleichen können. Wie gerne wäre man bei den arglosen Gedanken des holden Mädchens geweilt, und wie hätte man erstaunen müssen, wenn man unter den schlauen Anschlägen und Berechnungen des alten Mannes keine Spur von einem Gedanken an Tod oder Grab gefunden hätte. Aber es war so; und was noch auffallender ist, obgleich es alle Tage vorkommt – das junge, warme Herz pochte unter tausend Ängsten und Sorgen, während das des alten, weltlich gesinnten Mannes rostend in seiner Zelle lag und nur wie der Pendel einer Uhr ging, ohne je ein Pochen der Hoffnung, der Furcht, der Liebe oder der Teilnahme für irgendein lebendiges Wesen zu fühlen.

»Onkel«, sagte Käthchen, als sie dachte, daß sie dem Orte ihrer Bestimmung nahe wären, »ich muß eine Frage an Sie stellen. Werde ich zu Hause wohnen?«

»Zu Hause?« versetzte Ralph. »Wo ist das?«

»Ich meine bei meiner Mutter, der Witwe«, entgegnete Käthchen mit Nachdruck.

»Dein Aufenthalt wird im eigentlichen Sinne in Madame Mantalinis Haus sein«, erwiderte Ralph; »denn du wirst bei ihr essen und vom Morgen bis in die Nacht, vielleicht auch hin und wieder bis zum andern Morgen dort bleiben.«

»Aber ich meine des Nachts«, sagte Käthchen; »ich kann sie nicht verlassen, Onkel. Ich muß ein Plätzchen haben, das ich Heimat nennen kann, und das ist da, wo sie ist, wie armselig es auch sein mag.«

»Sein mag?« wiederholte Ralph in der Ungeduld, die durch diese Bemerkung veranlaßt wurde, seine Schritte noch mehr beschleunigend. »Sein muß, willst du sagen. Von einem Mögen zu sprechen! Ist das Mädchen toll?«

»Das Wort entfuhr meinen Lippen, ohne daß ich den Sinn hineinlegen wollte, den Sie darin finden«, versetzte Käthchen.

»Ich will’s hoffen«, entgegnete Ralph.

»Aber meine Frage, Onkel – Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet.«

»Nun, ich sah etwas der Art voraus«, antwortete Ralph, »und habe deshalb, obgleich es ganz und gar nicht nach meinem Sinne ist, Vorkehrungen getroffen. Ich sprach von dir als einer Arbeiterin außer dem Haus, und so kannst du denn zu dieser Heimat, die eine armselige sein mag, jede Nacht deine Zuflucht nehmen.«

Hierin lag doch einiger Trost. Käthchen ergoß sich in hundert Dankesbezeugungen für ihres Onkels Besorgtheit, die auch von Ralph hingenommen wurden, als ob er sie vollkommen verdient hätte, bis sie endlich, ohne auf eine weitere Unterhaltung einzugehen, an dem Hause der Kleidermacherin anlangten. Eine schöne steinerne Treppe führte zu der Tür, über der eine große Tafel Madame Mantalinis Namen und Geschäft angab. In dem Haus befand sich ein Laden, der an einen Rosenölhändler vermietet war. Madame Mantalinis Magazin befand sich im ersten Stock, ein Umstand, der dem putzliebenden Publikum durch die gelegentliche Zurschaustellung einiger der elegantesten Damenhüte nach der neuesten Mode und einiger kostbarer Gewänder im schönsten Geschmack, die sich hinter mit prachtvollen Vorhängen behängten Fenstern befanden, angezeigt wurde.

Ein in Livree gekleideter Diener öffnete die Tür und führte sie auf Ralphs Frage, ob Madame Mantalini zu Hause wäre, durch eine schöne Hausflur über eine breite Treppe nach dem aus zwei geräumigen Zimmern bestehenden Magazin, das eine unermeßliche Fülle von modernen Kleidern und Kleiderstoffen zur Schau bot, die zum Teil an Gestellen oder über den Spiegeln hingen, zum Teil nachlässig auf den Sofas und auf dem Teppich des Bodens umherlagen oder sich auf irgendeine andere Weise mit dem verschiedenartigsten kostbaren Mobiliar mischten, das hier verschwenderisch zur Schau ausgestellt war.

Sie mußten weit länger warten, als es Herrn Ralph Nickleby angenehm war. Dieser betrachtete den bunten Tand um sich her mit großer Gleichgültigkeit und war endlich im Begriff, die Klingel zu ziehen, als plötzlich ein Herr den Kopf durch die Tür steckte, ihn aber ebenso schnell wieder zurückzog, als er bemerkte, daß jemand zugegen war.

»He, wer ist da?« rief Ralph.

Auf den Ton von Ralphs Stimme erschien der Kopf wieder, und ein Mund, der eine lange Reihe schneeweißer Zähne zeigte, sprach in einer gezierten Weise die Worte: »Der Teufel! Wie, Nickleby? O der Teufel!« Unter diesen Rufen trat der Herr näher und schüttelte Nicklebys Hand mit großer Wärme. Er war in einen prächtigen Morgenrock mit einer Weste und türkischen Beinkleidern von dem gleichen Zeuge gekleidet, trug ein rosenrotes seidenes Halstuch und hellgrüne Pantoffel und hatte eine schwere goldene Uhrkette über die Brust hängen. Er trug außerdem einen Backen- und Schnurrbart, beide schwarz gefärbt und zierlich gekräuselt.

»Zum Teufel, Sie werden doch nichts von mir wollen – Gott verdamm mich?« sagte der Herr, Ralph auf die Schulter klopfend.

»Noch nicht«, versetzte Ralph sarkastisch.

»Ha! ha! zum Teufel!« rief der Herr und drehte sich auf seiner Ferse, um mit noch größerer Eleganz lachen zu können, als er plötzlich Käthchen Nicklebys ansichtig wurde, die in der Nähe stand.

»Meine Nichte«, sagte Ralph.

»Ich erinnere mich –« versetzte der Herr, indem er sich gleichsam zur Strafe für seine Vergeßlichkeit mit dem Zeigefinger an die Nase schlug – »der Teufel, ich erinnere mich jetzt des Zwecks Ihres Besuches. Kommen Sie nur mit mir, Nickleby. Wollen Sie mir folgen, meine Beste? Ha! ha! sie folgen mir alle, Nickleby, und, zum Teufel, sie taten es immer.«

Der Herr plapperte in dieser geckenhaften Weise fort und führte die beiden nach einem Besuchszimmer im zweiten Stock, das kaum weniger elegant ausgestattet war als der Saal im ersten; und eine silberne Kaffeekanne, eine Eierschale und eine gebrauchte Porzellantasse dabei schienen anzudeuten, daß der Bewohner eben gefrühstückt hatte.

»Setzen Sie sich, meine Beste«, sagte der Herr, indem er Fräulein Nickleby so lange musterte, bis sie ganz aus der Fassung kam, und dann, entzückt über diese gelungene Heldentat, grinsend sein Gesicht verzog. »Diese verwünschten hochgelegenen Zimmer benehmen einem den Atem; der Henker hole solche Himmelswohnungen! Ich fürchte, ich muß ausziehen.«

»Ich würde das unter allen Umständen tun«, versetzte Ralph, bitter umherblickend.

»Ah, Sie sind ein verdammt altmodischer Kerl, Nickleby«, sagte der Herr, »der verwünschteste, übellaunigste, alte Spitzkopf, der je in Gold und Silber gewühlt hat, hol mich der Teufel«.

Nach diesen Komplimenten zog der Herr die Klingel, glotzte, bis dem Rufe Folge geleistet wurde, Fräulein Nickleby an und befahl dann dem Diener, seiner Gebieterin zu sagen, daß sie sogleich herkommen möchte, worauf er abermals Käthchen zu beäugeln begann und nicht eher davon abließ, bis Madame Mantalini erschien.

Die Kleidermacherin war eine rüstige, schön gekleidete und gut aussehende Frau, aber viel älter als der Herr in den türkischen Beinkleidern, den sie vor sechs Monaten geheiratet hatte. Er hieß ursprünglich Muntle, hatte aber seinen Namen durch eine leichte Veränderung in Mantalini umgewandelt, da die Dame mit Recht annahm, ein englischer Name würde das Geschäft wesentlich beeinträchtigen. Er hatte eigentlich auf seinen Backenbart geheiratet, von dem er mehrere Jahre einen anständigen Unterhalt gezogen hatte, und eine Vermehrung dieses Kapitals durch den Zuwachs eines Schnurrbartes, mit dem er nach langer und geduldiger Pflege sein Gesicht verschönert, versprach, ihm eine ganz behagliche Unabhängigkeit zu sichern. Sein Anteil an den Beschwerlichkeiten des Geschäfts beschränkte sich zurzeit auf das Durchbringen des Geldes und, wenn dieses auf die Neige ging, hin und wieder auf eine Fahrt zu Herrn Ralph Nickleby, um sich von ihm nach Abzug der geeigneten Prozente Vorschüsse auf die Kundenrechnungen geben zu lassen.

»Mein Leben«, sagte Herr Mantalini, »was für eine teufelmäßig lange Zeit haben wir auf dich warten müssen?«

»Ich konnte nicht wissen, daß Herr Nickleby hier ist, mein Schatz«, versetzte Madame Mantalini.

»Dann muß der Diener ein doppelt verteufelter, höllischer Spitzbube sein, meine Seele«, entgegnete Herr Mantalini.

»Das ist deine eigene Schuld, mein Teurer«, sagte Madame Mantalini.

»Meine Schuld, du Freude meines Herzens?«

»Gewiß«, erwiderte die Dame. »Was kannst du erwarten, mein Teuerster, wenn du den Menschen nicht zurechtweisen willst.«

»Den Menschen zurechtweisen, du Wonne meiner Seele?«

»Ja, es tut wahrlich recht not, daß man ein ernstes Wort mit ihm spricht«, schmollte Madame Mantalini.

»Sei nur nicht ungehalten«, sagte Herr Mantalini, »beim Teufel, er soll gepeitscht werden, bis er nach Gott schreit.«

Mit diesem Versprechen küßte Herr Mantalini Madame Mantalini und kniff nach diesem Zärtlichkeitsergusse Madame Mantalini scherzhaft ins Ohr, worauf man sich denn herabließ, zu Geschäftssachen überzugehen.

»Nun, Madame«, sagte Ralph, der diesen Vorgängen mit einer Verachtung zugesehen hatte, wie sie nur wenige Menschen in ihren Blicken auszudrücken vermögen, »dies ist meine Nichte.«

»Ah, richtig, Herr Nickleby«, versetzte Madame Mantalini, indem sie Käthchen von dem Kopfe bis zu den Füßen und wieder zurück besichtigte, »können Sie französisch sprechen, mein Kind?«

»Ja, Madame«, entgegnete Käthchcn, ohne es zu wagen, ihre Blicke aufzuschlagen; denn sie fühlte, daß die Augen des widerlichen Mannes im Schlafrock auf sie gerichtet waren.

»Auch so geläufig, wie eine verteufelte Französin?« fragte der Herr Gemahl.

Fräulein Nickleby gab hierauf keine Antwort, sondern wandte dem Frager den Rücken zu, als ob sie willens sei, nur auf das zu antworten, was Madame Mantalini sie fragen würde.

»Wir haben dauernd zwanzig junge Mädchen in unserem Geschäft«, sagte Madame.

»Wirklich, Madame?« versetzte Käthchen schüchtern.

»Ja, und auch einige verdammt schöne darunter«, sagte der Herr.

»Mantalini!« rief seine Gattin in verweisendem Tone.

»Abgott meines Lebens!« entgegnete Mantalini.

»Willst du mir das Herz brechen?«

»Nicht um zwanzigtausend Hemisphären, bevölkert mit – mit – mit kleinen Ballettänzerinnen«, erwiderte Herr Mantalini in poetischem Schwung.

»Du wirst’s aber tun, wenn du fortfährst, in dieser Weise zu sprechen«, sagte seine Gattin. »Was wird Herr Nickleby denken, wenn er so etwas mit anhören muß.«

»O, nichts, Madame«, fiel Ralph ein. »Ich kenne seine liebenswürdige Weise und auch die Ihrige. Weiter nichts, als kleine Bemerkungen, die Ihrer täglichen Unterhaltung einen pikanten Beigeschmack geben – Liebeshändel, die die häuslichen Freuden versüßen, wenn diese langweilig werden wollen – das ist alles, das ist alles.«

Wenn eine eiserne Tür mit ihren Angeln in Streit geraten und den Entschluß fassen könnte, sich grimmig langsam zu öffnen und die Feinde, um die sie sich dreht, in Staub zu zermalmen, so könnten die Töne kaum unangenehmer sein als die Worte, die Ralph in rauher und bitterer Stimme aussprach. Selbst Mantalini fühlte ihren Einfluß und drehte sich erschrocken mit dem Ausruf um:

»Welch ein verteufelt abscheuliches Krächzen!«

»Achten Sie nicht auf das, was Herr Mantalini sagt«, bemerkte Madame gegen Fräulein Nickleby.

»Das geschieht, Madame«, sagte Käthchen mit ruhiger Verachtung.

»Herr Mantalini kommt mit den jungen Frauenzimmern im Hause durchaus in keine Berührung«, fuhr Madame Mantalini, mit einem Blicke nach ihrem Gatten, gegen Käthchen fort. »Hat er eine von ihnen gesehen, so muß es auf der Straße gewesen sein, wenn sie von oder zu ihrer Arbeit gingen, in keinem Falle aber im Haus; denn ich gestatte nicht, daß er je in das Arbeitszimmer kommt. An was für Arbeitsstunden sind Sie gewöhnt?« –

»Ich bin überhaupt vorderhand noch gar nicht an die Arbeit gewöhnt, Madame«, antwortete Käthchen schüchtern.

»Und eben deshalb wird sie jetzt um so fleißiger arbeiten«, fiel Ralph ein, damit dieses Geständnis die Verhandlung nicht beeinträchtige.

»Ich hoffe das«, entgegnete Madame Mantalini. »Unsere Stunden sind von neun bis neun, auch noch länger, wenn wir mit Arbeit überhäuft sind, was aber dann besonders bezahlt wird.«

Käthchen nickte mit dem Kopf, um anzudeuten, daß sie mit dem Gehörten zufrieden wäre.

»Die Kost«, fuhr Madame Mantalini fort, »das heißt, Mittagessen und Tee erhalten Sie hier. Ihr Lohn wird sich durchschnittlich auf etwa fünf bis sieben Schillinge für die Woche belaufen. Ich kann mich jedoch hierüber noch nicht mit Bestimmtheit aussprechen, bis ich gesehen habe, was Sie zu leisten imstande sind.«

Käthchen nickte abermals.

»Wenn Sie kommen wollen«, fügte Madame Mantalini bei, »so ist’s am besten, wenn Sie Montag morgens punkt neun Uhr anfangen. Ich will Mamsell Knag, der ersten Arbeiterin, den Auftrag geben, daß sie Ihnen für den Anfang leichtere Geschäfte anweist. Haben Sie noch etwas zu wünschen, Herr Nickleby?«

»Nichts mehr, Madame«, versetzte Ralph aufstehend.

»Dann glaube ich, daß wir alles verhandelt haben.«

Nach diesen Worten sah Madame Mantalini nach der Tür, als wünsche sie sich zu entfernen. Aber sie zögerte noch, und es schien, als sei sie nicht willens, ihrem Gemahl die Ehre, den Besuchenden das Geleit zu geben, allein zu überlassen. Ralph half ihr jedoch aus der Not, indem er sich unverzüglich verabschiedete. Madame Mantalini erkundigte sich vorher noch gnädigst, warum man so selten die Ehre seines Besuches hätte, und Herr Mantalini verteufelte im Hinuntergehen mit großer Zungengeläufigkeit die Stiegen, in der Hoffnung, Käthchcn zu veranlassen, sich noch einmal umzusehen – eine Hoffnung, die jedoch das Resultat hatte, unerfüllt zu bleiben.

»So«, sagte Ralph, als sie auf die Straße traten; »jetzt wäre für dich gesorgt.«

Käthchen wollte ihm abermals danken, aber er fiel ihr ins Wort.

»Ich hatte den Gedanken«, sagte er, »deine Mutter in einer hübschen Gegend auf dem Lande unterzubringen –« er hatte nämlich das Recht, für etliche Stellen in den Armenhäusern an der Grenze von Kornwall Bedürftige vorzuschlagen, was ihm bei dieser Gelegenheit mehr als einmal in den Sinn gekommen war – »da ihr aber beisammenbleiben wollt, so muß ich sehen, wie sich’s anders machen läßt. Sie hat noch ein wenig Geld?«

»Sehr wenig«, versetzte Käthchen.

»Auch wenig wird weit reichen, wenn man sparsam damit umgeht«, entgegnete Ralph. »Sie muß es eben so gut wie möglich strecken; die Hausmiete soll sie nichts kosten. Ihr zieht am nächsten Samstag aus?«

»Sie sagten uns, daß wir es tun sollten, Onkel.«

»Ja; ich habe gegenwärtig ein leeres Haus, wo ich euch unterbringen kann, bis es vermietet ist, und dann steht mir vielleicht noch ein anderes zu Gebot, wenn sich nicht etwa die Umstände ändern. Ihr müßt vorderhand dort euren Aufenthalt nehmen.«

»Ist es weit von hier, Sir?« fragte Käthchen.

»Ziemlich weit«, antwortete Ralph: »in einem andern Teil der Stadt – an dem östlichen Ende. Aber ich will euch Samstag abend, um fünf Uhr meinen Schreiber schicken, der euch hinführen kann. Adieu. Du weißt doch den Weg? Geradeaus!«

Ralph verließ seine Nichte an dem Eingang der Regentstraße mit einem kalten Händedruck und bog unter fortwährenden Entwürfen des Gelderwerbs in eine Nebengasse ein, während Käthchen traurig nach ihrer Wohnung zurückging.