Dreiundzwanzigste Erzählung


Wie durch die Bosheit eines Franziskaners in der gleichen Familie der Hausvater, sein Weib und sein Kind eines gewaltsamen Todes starben.

»In Périgord lebte ein Edelmann, dessen Verehrung des Heiligen Franziskus so weit ging, daß er jedweden Mönch dieses Ordens für heilig hielt. Ihnen zu Ehren hatte er daher in seinem Hause eine Stube und Kleiderkammer eingerichtet, um sie darin gastlich aufnehmen zu können; von ihnen ließ er sich in allem, selbst den kleinsten Einzelheiten seines Hausstandes beraten, sintemalen er vermeinte, solchermaßen allezeit am besten zu fahren.

Nun war eines Tages sein schönes, kluges und tugendsames Weib mit einem Knaben niedergekommen. Des Edelmannes Liebe zu ihr trieb darob schier neue Blüten, und um sie zu feiern, lud er einen Schwager zu sich ein. Da aber des Festmahles Stunde nahte, kam ein Franziskaner an, dessen Name ich aus Achtung vor der Kirche verschweigen will. Als der Edelmann seinen Seelsorger, vor dem er kein Geheimnis hatte, eintreten sah, war er voller Freuden. Nachdem alle zusammen eine Weile geplaudert hatten, setzten sie sich zu Tisch. Und während sie also die Abendmahlzeit verzehrten, blickte der Edelmann auf sein Weib, das ob seiner Schönheit und Anmut gar wohl begehrenswert war, und richtete ganz laut an den biederen Pater die Frage: »Ist es wahr, daß ein Ehemann eine Todsünde begeht, so er sein Weib in der Zeit des Wochenbettes heimsucht?«

Der Pater war ein hinterhältiger und heuchlerischer Mann; daher antwortete er: »Das halte ich ohne Frage für eine der größten Sünden, die einem Hausstande widerfahren können. Selbst die heilige Jungfrau Maria ist dafür ein Beispiel, maßen sie vor der gesetzlichen Reinigungsfrist den Tempel nicht betreten mochte, obgleich sie dessen doch nicht bedurfte. So solltet auch Ihr unbedingt auf eine kleine Lust verzichten, zumal obendrein die Ärzte sagen, daß daraus für die Nachkommenschaft großer Schaden erwachsen kann.«

Als der Edelmann diese Worte vernahm, ward er unwillig; denn er hatte gehofft, der Pater würde ihm die Erlaubnis erteilen. Doch sprach er nicht weiter davon. Indessen hatte der Pater bereits einiges über den Durst getrunken und als er jene Frau beschaute, da sagte er sich, wenn er der Ehemann wäre, hätte er niemand um die Erlaubnis gefragt, sein Weib heimsuchen zu dürfen. Und wie ein kleiner Brand bisweilen allmählich ein ganzes Haus ergreift, so entflammte bald der Pater in brünstigem Verlangen, also daß er plötzlich begehrte, seine Lust an ihr zu stillen, wie er es schon seit dreien Jahren in seinem Herzen verborgen trug. Nachdem daher die Tafel aufgehoben war, nahm er den Edelmann bei der Hand, führte ihn zum Bett seiner Frau und sprach:

»Ich kenne gar wohl die innige Zuneigung, die zwischen Euch und Euerm Weibe herrscht, und weiß, wie sie Euch ob Eurer Jugend quälen mag. Und da ich Mitgefühl habe, will ich Euch ein Geheimnis unserer heiligen Lehre enthüllen: Wenn das Gesetz auch streng ist gegen den Mißbrauch zügelloser Ehemänner, so sollen gewissenhafte Menschen wie Ihr jenes Glückes doch nicht völlig beraubt werden. So mußte ich Euch vor anderen die Strenge des Gesetzes verkünden. Nun aber mag ich Euch auch seine Milde nicht vorenthalten: so wisset, mein Sohn, nicht alle Männer, nicht alle Frauen sind einander gleich. Zuerst aber muß ich von Euerm Weibe wissen, ob nunmehro, da drei Wochen seit ihrer Niederkunft verflossen sind, auch alle Blutungen ein Ende genommen haben.«

Als die Frau erwiderte, sie sei gänzlich rein, fuhr der Pater fort: »So möget Ihr sie ohne Bedenken heimsuchen. Doch sollt Ihr mir zweierlei versprechen.« Das tat der Edelmann, und nunmehro erklärte der Franziskaner: »Zum ersten dürft Ihr mit niemandem darüber reden und nur im geheimen kommen; zum andern kommet keinesfalls vor zwei Uhr nachts, auf daß die Verdauung Eures Weibes ob Eurer Torheit nicht leide.«

Der Edelmann verschwor sich also hoch und teuer, daß der Mönch seiner sicher wurde, maßen er ihn zwar für dumm, aber auch für wahrhaftig hielt. Darauf plauderten sie noch eine Weile, bis sich der Mönch zurückzog und ihnen unter Segenssprüchen eine gute Nacht wünschte. Aber im Fortgehen nahm er den Edelmann bei der Hand und sprach: »Kommet mit fort und haltet nicht weiter die arme Frau wach.« Darum küßte der Edelmann sein Weib und sagte: »Meine Liebe, laß deine Stube offen.« Das vernahm der biedere Pater gar wohl. Alsdann ging jeder in sein Zimmer. Nachdem sich aber der Mönch allein sah, dachte er weder an Schlaf noch Ruhe; und als er um die Zeit der Frühmesse kein Geräusch mehr im Hause vernahm, schlich er sachte in die Stube, in der des Hauses Herr erwartet wurde. Die Tür war offen, das Licht blies er schlauerweise aus, und dann schlüpfte er unverweilt zu der Frau ins Bett, ohne ein Wörtlein zu reden.

Die vermeinte, es sei ihr Mann, und sprach: »Wahrlich, Ihr haltet das Versprechen gar schlecht, das Ihr gestern abend unserm Beichtiger gabet; denn Ihr solltet doch erst um zwei Uhr zu mir kommen! Dem Mönche aber lag mehr an tätigen Erfolgen denn an beschaulichen Betrachtungen. Und da er fürchtete erkannt zu werden, so gab es keinerlei Antwort, die jene Frau etwa aufgeklärt hätte, sondern beeilte sich nur, sein schlimmes Begehr zu stillen, das seit langem sein Leben vergiftete. Und als dann die Zeit nahte, wo der Ehemann kommen sollte, erhob er sich flugs vom Lager und kehrte in sein Zimmer zurück. Doch hatte ihm vorher die Lüsternheit allen Schlaf geraubt, so ließ ihn nun die Angst, so jeder niedrigen Tat folgt, keine Ruhe finden. Alsbald ging er zum Türhüter und sprach: »Der Herr hieß mich unverweilt im Kloster einige Fürbitten abhalten; darum gebt mir schnell mein Pferd und öffnet das Tor, ohne daß man uns hört, denn die Sache ist wichtig und geheim.« Und der Pförtner, der sehr wohl wußte, daß es seinem Herrn erwünscht war, wenn man sich dem Franziskaner zu Diensten zeigte, öffnete sachte das Tor und ließ ihn hinaus.

Just um diese Zeit erwachte der Edelmann, und da er die erlaubte Stunde nahen sah, erhob er sich im Nachtgewande und legte sich bei seinem Weibe nieder, maßen ja nicht Menschenwort, sondern Gottes Geheiß ihm das gestattet hatte. Als nun sein Weib ihn neben sich sprechen hörte, ward es baß erstaunt und sagte zu ihm, der doch nichts von alle dem Vergangenen wußte: »Heißt das etwa Euer Versprechen halten und meine und Eure Gesundheit schonen, daß Ihr nicht nur vorzeitig hierherkommt, sondern gar noch einmal wiederkehret? Bedenket doch, bitte, was Ihr tut!« Der Edelmann war ob dieser Worte schier verwirrt und sprach ergrimmt: Was redest du für Zeug? Seit drei Wochen habe ich dich nicht in den Armen gehabt und nun wirfst du mir vor, ich käme zu oft! Wenn du weiter so sprichst, muß ich annehmen, daß meine Gesellschaft dich stört, und mich also gegen meinen Willen zwingen, anderweitig die Freuden zu suchen, die ich nach Gottes Gebot bei dir finden sollte.« Sein Weib aber vermeinte, er spotte ihrer, und entgegnete: »Ihr glaubet mich zu täuschen, aber Ihr täuschet Euch selbst. Denn wenn Ihr gleich vorhin auch nichts gesprochen habt, so habe ich Euch doch gar wohl erkannt.«

Alsbald ward der Edelmann inne, daß jemand sie beide hintergangen hatte, und verschwor sich hoch und teuer, daß er zuvor nicht bei ihr gewesen wäre. Darob ergriff sie solches Weh, daß sie ihn unter heißen Tränen anflehte, eilends festzustellen, wer das gewesen sein mochte, maßen doch nur ihr Bruder und der Franziskaner im Hause schliefen. Unverweilt trieb ein jäher Argwohn den Edelmann in des Mönches Zimmer. Das fand er leer. Und um sich weiter zu versichern, daß jener sich geflüchtet habe, rief er den Torhüter herbei und fragte ihn, was aus dem Mönche geworden sei. Und der erzählte ihm die Geschichte. Nun war der Edelmann seiner Bosheit gewiß, kehrte ohne Säumen in die Stube seines Weibes zurück und rief: »Ohn‘ jeden Zweifel war es der biedere Beichtvater, der dich umfangen und solch arge Dinge angerichtet hat.«

Sein Weib hatte jederzeit ihre Ehre über alles hochgehalten. Darum verfiel sie nun in grenzenlose Verzweiflung, vergaß alle Menschlichkeit und Milde, wie sie einer Frauennatur zugehört, und beschwor ihn auf den Knien, diese Schande blutig zu rächen. Und alsbald schwang sich der Edelmann auf ein Roß und jagte dem Mönch nach, derweile sein Weib einsam, ohne Rat noch Trost, mit ihrem neugeborenen Kind im Bett zurückblieb. Unter diesen Umstanden erschien ihr dies Erlebnis so gräßlich und schauderhaft, daß sie gar nicht bedachte, in ihrem Nichtwissen eine Entschuldigung zu finden. Vielmehr übermannte sie die Verzweiflung über diese ungeheuerliche Sünde, so die Liebe ihres Gatten und die Vaterschaft des nächsten Kindes in Frage stellen konnte, und der Tod dünkte ihr besser denn ein weiteres Leben. Sie fand keinen Trost mehr in der Hoffnung auf Gott, ward schier von Sinnen, ergriff in tobendem Grimm einen Strick und erwürgte sich mit eigner Hand. Aber es ward noch schlimmer: in ihrem grauenhaften Todeskampf bäumte sich ihr Leib, also daß ihr Fuß auf den Kopf des jungen Kindes niederschlug, und ungeachtet seiner Unschuld mußte dies dergestalt seiner beklagenswerten, jammerbedeckten Mutter in den Tod nachfolgen. Doch schrie es im Tode so gewaltig, daß eine Magd, die in einer nahen Stube schlief, eilig aufsprang und mit einem Licht herbeikam. Kaum ward die ihrer erhängten Herrin und des erstickten Kindes ansichtig, da lief sie angsterfüllt zu jenem Schwager und wies ihm den herzzerreißenden Anblick.

Der ward von wildem Schmerze ergriffen, denn er liebte seine Schwester über die Maßen. So fragte er die Magd, wer dies Verbrechen begangen habe, und die erwiderte, kein andrer denn ihr Herr habe die Stube betreten, doch sei er alsbald davongeeilt. Nun begab sich der Schwager in des Edelmannes Stube, und da er ihn nicht fand, ward er seiner Schuld gewiß, warf sich ohne weitere Fragen auf ein Roß und folgte ihm nach. Doch unterwegs sah er ihn zurückkehren und hielt daher an, um ihn zu stellen. Der Edelmann war voller Harm, denn es war ihm nicht gelungen, den Mönch einzuholen. Da schrie ihm sein Schwager entgegen: »Feiger Hund, setz dich zur Wehr. Heut noch soll mein Degen mich, so Gott will, an dir rächen!« Der Edelmann wollte ihm Erklärung geben; doch schon blitzte seines Schwagers Degen so dicht vor seinen Augen, daß er mehr an Verteidigung, denn an Auseinandersetzungen denken konnte. Und alsbald stachen sie so wild aufeinander los, daß beide ob ihrer Wunden und des Blutverlustes schwach wurden und sich zur Erde niedersetzen mußten.

Als der Edelmann etwas zu Atem gekommen war, fragte er: »Welcher Grund trieb Euch zu diesem Kampfe, da wir doch allezeit in so herzlicher Freundschaft lebten?« Der Schwager entgegnete: »Und was trieb Euch, meine Schwester, dies beste Weib der Erde, zu Tode zu bringen, und noch dazu so schändlich, daß Ihr sie unter dem Vorgeben, bei ihr zu ruhen, an ihrem Bettpfosten erwürgtet?« Als der Edelmann das vernahm, stöhnte er mehr tot denn lebendig: »Habt Ihr wirklich Eure Schwester also vorgefunden?« Und da jener es ihm bestätigte, fuhr er fort: »So vernehmet, warum ich das Haus verlassen hatte.« Und alsbald erzählte er von der Arglist des boshaften Franziskaners. Darob fiel der Schwager aus allen Wolken, und zumal erschütterte ihn, daß er so ohne Vernunft den andern niedergestochen hatte. So bat er ihn um Verzeihung und sprach: »Vergebt mir, ich habe Euch schweres Unrecht getan.« Der Edelmann aber erwiderte: »Wenn ich Euch ein Unrecht angetan habe, so ist es gebüßt; denn ich bin so schwer verletzt, daß ich nicht lebendig davonkommen werde.«

Der Schwager hob ihn, so gut es ging, aufs Roß und geleitete ihn nach Haus. Doch verschied er schon am nächsten Tage, nachdem er allen Verwandten und Freunden erklärt hatte, daß er selbst seinen Tod verschuldet habe.

Um nun aber Gerechtigkeit walten zu lassen, riet man dem Schwager, die Gnade des Königs Franz des Ersten anzurufen. Daher begab er sich nach ehrenvoller Beisetzung des Edelmannes, seines Weibes und Kindes am Karfreitag zu Hofe und wandte sich an François Olivier, der in der Tat seine Begnadigung erwirkte. Das war der gleiche Olivier, der damals Kanzler von Alençon war und später ob seiner großen Verdienste vom Könige zum Kanzler von Frankreich ernannt wurde.

Ich glaube, nach dieser nur allzuwahren Geschichte wird es sich wohl jeder von Euch zweimal überlegen, ehe er solche Gäste in sein Haus aufnimmt. Wisset denn, es gibt kein gefährlicheres Gift, als solches, das lange Zeit verborgen blieb.«

»Gott, was war dieser Mann für ein Dummkopf,« rief Hirean, »daß er solchen Eheschleicher vor seinem schönen Weibe bewirtete.« – »Ich kannte eine Zeit,« erklärte Guebron, »wo in jeglichem Hause ein Zimmer für die biederen Pater bereitstand. Jetzt allerdings hat man die Gesellschaft durchschaut und fürchtet sie mehr denn die schlimmsten Abenteurer« – »Eine Frau sollte einen Pater nur in ihr Zimmer lassen, derweile sie im Bette liegt,« – meinte Parlamente, »sofern sie der letzten Ölung begehrt. Wenn ich also je einen zu mir rufen ließe, so wisset, daß es mit mir zu Ende geht.« – »Wenn alle so dächten,« warf Emarsuitte ein, »dann ging es den Patern schlimmer denn ausgestoßenen Sündern, maßen sie dann kein Weib mehr zu Gesicht bekämen.« – »Seid unbesorgt,« lachte Saffredant, »die wissen schon auf ihre Kosten zu kommen« – »Es ist doch unerhört!« erklärte Simontault, »erst binden sie uns durch die Ehe an die Frauen und dann suchen sie durch ihre Bosheit dies selbe Band und Gelöbnis zu sprengen.« – »Das ist ja gerade der Jammer,« klagte Oisille, »daß sie mit den Sakramenten spielen wie mit Bällen. Alle sollte man sie lebendig verbrennen.« – »Nun, gerade Ihr solltet sie eher preisen denn schmähen,« entgegnete Saffredant. »Doch nun sagt, wem Ihr das Wort erteilt.« – »Ich gebe es Dagouein, denn er ist in tiefe Betrachtung versunken, gleich als ob er etwas Schönes in Vorbereitung hätte.« Dagoucin aber hub an: »Das, woran ich eben dachte, kann und wage ich nicht auszusprechen. Doch will ich von jemandem berichten, dem seine Grausamkeit Schaden statt Nutzen schuf. Mancher dringt zu sehr darauf, hinter Amors Maske zu blicken, und sieht sich dann betrogen gleich jenem kastilianischen Edelmann, dessen Geschichte ihr nunmehr hören sollt.«

Vierunzwanzigste Erzählung


Auf welch artigen Einfall ein Edelmann kam, um einer Königin seine Liebe zu erweisen, und was daraus entstand.

»Am Hofe eines Königspaares von Kastilien, dessen Name nicht genannt sein soll, lebte ein Edelmann von unvergleichlicher Anmut und Tugend. Mehr aber noch denn seine Vorzüge bestaunte man seine Eigentümlichkeiten: niemals bemerkte man, daß er eine Dame liebte oder auch nur einer den Hof machte. Obgleich es so manche gab, die sehr wohl das Eis in Glut versetzen konnte, so gelang es doch keiner, diesen Edelmann, Elisor mit Namen, zu umgarnen. Auch die Königin, die zwar höchst tugendsam, doch keineswegs vor jener Flamme gefeit war, die um so wilder loht, je weniger man sie kennt, verwunderte sich ob dieses zurückhaltenden Edelmannes, und eines Tages fragte sie ihn geradezu, ob er wirklich so jeder Liebe fremd wäre, wie er sich stelle. Er entgegnete, sie würde diese Frage nicht an ihn stellen, wenn sie sein Herz so wohl kännte als sein Gesicht, und als sie ihn voll Neubegier zu einer Erklärung drängte, gestand er, daß er eine Frau liebe, die er für das tugendsamste Weib der Christenheit halte. Sie suchte durch Bitten und Befehle zu erfahren, wer das sei; doch war alles vergeblich, und so stellte sie sich ergrimmt und schwor, nie wieder mit ihm zu sprechen, wenn er es nicht sagen würde. Und da er inne ward, daß er ihre Gunst dauernd verlieren würde, wenn er fürder eine Wahrheit verhehlte, die ob ihrer Ehrenhaftigkeit von niemandem übel aufgenommen werden konnte, so sprach er voller Bangen:

›Hohe Frau, mir gebricht es an Kraft und Mut, Euch das zu sagen. Sobald Ihr aber wieder zur Jagd gehen werdet, will ich sie Euch zeigen, und Ihr möget dann selbst urteilen, ob sie nicht die schönste und vollkommenste Frau der Welt ist.‹ Ob dieser Antwort ging die Königin viel früher zur Jagd, als sie es sonst getan hätte. Elisor ward benachrichtigt und rüstete sich, wie gewöhnlich dort bei ihr seinen Dienst zu versehen. Doch hatte er einen spiegelblanken Stahlküraß vor die Brust geschnallt, den er sorglich mit einem schwarzen, goldbestickten Mantel bedeckte. Er ritt auf einem pechschwarzen Roß, das herrlich gesattelt und aufgezäumt war; das Geschirr war vergoldet und nach maurischer Art schwarz eingelegt; gleichermaßen schwarz war sein seidener Hut, der reichgestickt eine Inschrift trug von Amor, dem man gewaltsam die Augen verbunden hatte; und endlich Degen und Dolch waren gleichermaßen wundervoll geschmückt und mit ebenso sinnigen Inschriften geziert. Kurz und gut, er sah gar trefflich aus, und zumal zu Roß, das er überaus kunstvoll zu lenken verstand, also daß alle, die ihn erblickten, seinen Sprüngen und Kunststücken zuschauten. Nachdem er dieserart die Königin zu dem Ort geleitet hatte, wo die Netze aufgestellt waren, stieg er vom Pferd und trat zur Königin, um ihr beim Absteigen behilflich zu sein. Als sie nun dieserthalben den Arm reckte, öffnete er seinen Mantel, wies auf den Spiegelpanzer und sprach: »Geruhet hierher zu blicken« Und dann ließ er sie sachte zur Erde niedergleiten.

Als die Jagd beendet war, kehrte die Königin zum Schloß zurück, ohne mit Elisor ein Wort zu sprechen. Doch nach dem Abendessen rief sie ihn zu sich und warf ihm vor, daß er der größte Lügner sei, den sie je erblickt habe. Denn er habe ihr doch versprochen, ihr auf der Jagd jene zu weisen, die er über alles liebe, und das habe er nicht getan. Darum sei sie entschlossen, sich nicht mehr um ihn zu kümmern. Elisor fürchtete, die Königin habe vielleicht nicht verstanden, was er ihr damals gesagt hatte. So fragte er: »Was habe ich Euch denn gezeigt, als Ihr vom Roß stieget« Die Königin spielte die Unwissende und entgegnete: »Nichts. Nur einen Spiegelpanzer« –

»Und was sahet Ihr in diesem Spiegel« –

»Nichts weiter als mein Bild.« Darauf sprach Elisor: ›So habe ich auch mein Versprechen gehalten, denn nie trug ich ein anderes Bild in meinem Herzen, als jenes, das Ihr in jenem Spiegel erblicktet. Und wenn Ihr nun nicht geruhen möget, mir größere Gunst zu schenken als bisher, so nehmet mir doch nicht das Leben, indem Ihr mir verbietet, Euch fürder zu sehen. Denn dann würdet Ihr den ergebensten und treuesten Diener verlieren, den Ihr je besitzen könntet.‹

Mochte sich nun die Königin nur anders stellen wollen, als sie wirklich war, oder wollte sie seine Liebe prüfen, oder um seinetwillen einen andern nicht verlieren, oder endlich ihn sich für den Augenblick aufsparen, wo ihr augenblicklicher Günstling sich in Ungnade brachte – kurz, sie sagte mit weder zornigem noch zufriedenem Gesicht: ›Ich will Euch nicht fragen, welche Tollheit Euch auf den wagehalsigen Gedanken brachte, mich zu lieben. Denn ich weiß, der Mensch hat sein Herz nicht so in der Gewalt, daß er nach Belieben hassen und lieben kann. Doch nun Ihr mir Euer Inneres enthüllt habt, sagt mir auch, seit wann Euch diese Leidenschaft ergriffen hat.‹

Elisor blickte auf ihr schönes Antlitz und vermeinte, sie wolle ihm vielleicht einen Balsam für das Leiden gewähren, danach sie so sorglich fragte. Doch da er sie derart ernst erschaute, fühlte er sich wie vor einem gestrengen Richter und verschwor sich alsbald: schon in seiner frühesten Jugend habe diese Liebe in ihm Wurzel geschlagen, doch habe er erst seit sieben Jahren ernstlich darunter gelitten, wenngleich er auch so viele Freuden davon verspürt habe, daß eine Heilung sein Tod sei.

›Wenn Ihr,‹ entgegnete nun die Königin, ›solche Festigkeit bewiesen habt, so darf ich nicht minder geduldig sein, um mich von der Wahrheit zu überzeugen. Daher will ich Euch eine Prüfung auferlegen, nach der ich nicht mehr zweifeln kann. Dann will ich Euch so einschätzen, wie Ihr Euch erweist, und Ihr werdet mich so finden, wie Ihr es begehrt.‹

Elisor bat sie, ihm jede Prüfung aufzuerlegen, die sie nur wolle, denn keine Aufgabe dünke ihm zu schwer, um sie nicht auf der Stelle auszuführen und so seine Liebe zu beweisen. Sie aber antwortete: ›Wenn Ihr mich wahrhaft so sehr liebt, wird Euch gewißlich nichts zu schwer fallen. Darum heiße ich Euch, morgen von hier fort an einen Ort zu reisen, wo Ihr weder von mir Nachricht erhaltet noch ich von Euch, bis sieben Jahre verflossen sind. Da Ihr mich schon sieben Jahre liebt, so seid Ihr ja Eurer Liebe gewiß. Habe ich das aber durch solche siebenjährige Prüfung bestätigt, so kann ich wohl das glauben, wofür Euer Wort allein kein Beweis ist.‹

Als Elisor diesen grausamen Befehl vernahm, war er einerseits im Zweifel, ob sie ihn nicht einfach aus ihrer Nähe verbannen wollte; andererseits aber hoffte er durch diese Prüfung mehr zu erreichen als durch Worte und stimmte folgendermaßen zu: ›Was ich sieben Jahre hoffnungslos trug, vermag ich voller Hoffnung weitere sieben Jahre nur um so geduldiger zu ertragen. Doch welche Hoffnung gebt Ihr mir, den Ihr all seines bisherigen Glückes beraubt, zum Unterpfande, daß Ihr mich nach verstrichener Frist auch wirklich als getreuen und gradherzigen Diener anerkennen werdet?‹

Alsbald zog die Königin einen Ring vom Finger: ›Nehmt diesen Ring und brecht ihn in zwei Hälften; die eine Hälfte nehme ich, die andere Ihr; denn sollte in der langen Zeit Euer Gesicht aus meinem Gedächtnis entschwinden, so vermag ich Euch doch alsdann an der Ringhälfte zu erkennen, die der meinen gleicht.‹

Also tat Elisor und gab der Königin die eine Hälfte, während er die andere behielt. Dann nahm er Abschied von ihr und ging mehr tot denn eine Leiche von dannen in seine Wohnung, wo er alle Vorbereitungen für seine Reise traf. Und zwar sandte er all seine Dienerschaft heim und ging, von einem einzigen Knecht begleitet, an einen so verborgenen Ort, daß während der sieben Jahre keiner seiner Verwandten oder Freunde etwas von ihm vernahm. Was für ein Leben er damals führte, weiß niemand, und seine Leiden werden wohl nur die ermessen können, so selbst in Liebesqualen geschmachtet haben.

Just sieben Jahre später trat ein Klausner mit einem langen Bart an die Königin heran, als sie zur Messe ging. Indem er ihre Hand küßte, überreichte er ihr eine Bittschrift, die sie, ohne hineinzublicken, entgegennahm, gleichwie sie auch bei den Ärmsten zu tun pflegte. Während der Messe jedoch entfaltete sie das Schriftstück und fand darin die Hälfte jenes Ringes, so sie Elisor einstmalen gegeben hatte. Darob ward sie voll staunender Freude. Doch kaum hatte sie den Inhalt des Briefes gelesen, so hieß sie ihren Almosenier, jenen Klausner herbeizuschaffen. Der suchte ihn vergeblich allenthalben und erfuhr nur, daß jemand ihn hatte zu Pferd steigen sehen. Wohin er aber geritten war, wußte niemand. Indessen las die Königin den Brief zu Ende, der ein so wohlgelungenes Gedicht enthielt, daß es schier gewagt scheint, es zu übersetzen. Doch möget ihr, meine Damen, eben bedenken, daß die kastilianische Sprache jeglicher anderen überlegen ist in der Kunst, die Leidenschaft der Liebe zu schildern. Das Gedicht lautete etwa so:

Einst, da ich stolz und stark zum Mann erblühte,
Fand ich den Weg zu Amors heil’gen Hallen.
Dann bohrten der Entbehrung grimme Krallen
Sich in mein Herz, das sich voll Sehnens mühte,
So daß, was bergend Liebe sonst umwob,
Nun nackt vor meinem Auge sich erhobt.

Dieselbe Zeit, die meine Gluten weckte,
Schuf meiner Neigung auch erwünschtes Wissen,
Und mußt‘ ich jahrelang es auch vermissen,
Ich hab‘ es nun und weiß, was sich versteckte:
Jetzt kenn‘ ich den verborgnen Untergrund,
Auf dem so stolz und fest mein Lieben stund.

Ach! Eurer Schönheit sinnverwirrend Blenden
Ließ Eure Grausamkeit mich nicht gewahren!
Nun seh‘ ich bang den Abgrund voll Gefahren –
Ihr selbst befreitet mich aus Euren Händen
Und Eure Grausamkeit hat Eurer Schönheit Trug
Verscheucht, der einstmals meine Augen schlug.

Daß ich mich damals Eurem Wunsche fügte,
Drob kann ich mich nunmehr von Herzen freuen.
Ihr nanntet eine Frist, zu prüfen den Getreuen,
Und diese Frist, die Ihr mir gabt, genügte:
Sie bannte allen Wahn von schalem Glück,
Und nimmermehr kehr‘ ich zu Euch zurück.

Ein einz’ges Mal nur noch will ich Euch nahen,
Um so mein letztes Lebewohl zu sagen
Und Euch zu künden, wie in bangen Tagen,
So Herz und Seele neue Hoffnung sahen –
Was in den sieben schlimmen Jahren ich erkannt
In trüber Einsamkeit, dahin Ihr mich gebannt.

Da ward mir denn in tränenvollem Schweigen
Die wahre Liebe kund, die sonder Quälen
Zum Himmel drängt, mit Gott sich zu vermählen!
Zu ihr tät ich mich voller Inbrunst neigen,
Und Leib und Seele hab ich ihr geweiht –
Nicht Euch mehr, die Ihr also so grausam seid.

Als Euer Knecht bin ich Euch nichts gewesen,
Und dieses ›Nichts‹ selbst könnte mich entzücken.
Zum Lohne wolltet Ihr mich mit dem Tod beglücken:
Da ward zum wahren Leben ich erlesen!
Die sel’ge Liebe ist’s, die mich umfängt.
Daran mein Herz in festen Banden hängt.

So nehm ich Abschied denn von grausen Leiden,
Von Höllenqual, Verachtung, Wut und Hassen,
Die Eure Schönheit mich vergessen lassen:
Lebt Wohl, o Herrin, ich will von Euch scheiden!
Gebt alle Hoffnung auf und zügelt Eu’r Begehr –
Ihr seht mich für der nun und nimmermehr!‹

Diesen Brief las die Königin unter Verwunderung und Tränen; ihre Betrübnis war unbeschreiblich, denn der Verlust eines Dieners voll solch erhabener Liebe bedünkte ihr so unersetzlich, daß sie sich trotz ihres Reichtums, ihrer königlichen Macht ärmer vorkam als das ärmste Weib dieser Erde. Und als sie nach der Messe in ihr Gemach zurückgekehrt war, gab sie sich einer Trauer hin, wie ihre Grausamkeit sie gar wohl verdiente. Wald, Berge und Felsenklüste ließ sie durchstreifen, um den Klausner zu entdecken; aber Der, so ihn ihren Händen entrissen hatte, behütete ihn wohl, also daß er nicht wieder darein zurückfiel. Und so war der Klausner eher ins Paradies eingegangen, als die Königin Nachrichten über ihn erhielt.

So sehet ihr, daß kein liebevoller Diener Geständnisse machen soll, die ihm nur schaden und nichts nützen können. Noch weniger aber, meine Damen, sollt ihr so schwere Prüfungen verlangen, daß ihr darob eure Diener verlieret.«

Wahrlich,« rief Guebron, »mein Lebelang hatte ich jene Dame für die tugendhafteste der Welt gehalten. Nun aber scheint mir, daß sie die törichtste und grausamste aller Zeiten war.« – »Maßen alle Männer so arg lügen,« meinte Parlamente, »scheint mir diese Prüfung nicht unangebracht.« – »Die Damen sind immer überklug,« erklärte Hirean, »denn sie könnten in sieben Tagen feststellen, was jene in sieben Jahren erfahren wollte.«

– »Hier gibt es, glaube ich, Damen unter uns, die mehr als sieben Jahre geliebt wurden, ohne ihre Freundschaft zum Lohne gegeben zu haben,« rief Longarine. – »Bei Gott,« versicherte Simontault, »doch die sind vom alten Schlag, heute gibt es nicht mehr dergleichen.« – »Übrigens erging es jenem Edelmann nicht gar so schlimm,« warf Oisille ein, »da er doch durch jene Dame in Gottes Schoß zurückkehrte.« – »Er hatte wahrlich Glück, Gott auf seinem Wege zu finden,« neckte Saffredant, »denn ich hätte mich nicht erstaunt, wenn er sich in dieser Not dem Teufel überantwortet hätte.«

Nun fragte Emarsuitte: »Habt Ihr Euch denn allen Teufeln ergeben, als Eure Dame Euch so quälte?« – »Gewiß,« versetzte jener. »Da aber der Teufel inne ward, daß alle seine Höllenqualen denen nicht das Wasser reichten, die ich durch sie erdulden mußte, ließ er wieder von mir ab. Doch sagt mir,« wandte er sich zu Oisille, »wollt Ihr wirklich jene Frau ob ihrer Strenge loben?« – »Freilich,« entgegnete diese, »denn sie wollte, glaube ich, weder geliebt sein, noch lieben.« – »Warum denn aber,« fragte Simontault, »gab sie ihm jene Hoffnung?« – »Ganz recht!« rief Longarine. »Denn wer abbrechen will, gibt keine Handhaben.« – »Vielleicht opferte sie ihn für einen schlechteren,« meinte Nomerfide. – »Keineswegs,« versicherte Saffredant, »sie hob ihn vielmehr auf für den Fall, da sie jenes anderen überdrüssig würde.«

»Ich fürchte,« unterbrach hier Oisille, »je mehr wir darüber reden, desto Schlimmeres kramen die Herren über uns aus, die nicht schlecht behandelt sein wollen. Drum gebet nun Eure Stimme weiter, Dagoucin.« – »Ich gebe sie Longarine, denn sicher wird sie etwas Neues erzählen und weder Mann noch Weib auf Kosten der Wahrheit schonen.«

»Da ihr mich für so wahrheitsliebend haltet,« hub diese an, »so will ich euch keck und kühn einen Fall erzählen, der einem erhabenen Fürsten begegnet ist. Wisset, daß man sich der Lüge und Heuchelei nur im äußersten Notfalle bedienen darf, da das häßliche Laster sind, die zumal Prinzen und hohe Herren beschmutzen. Doch wie auch alle Menschen sind auch diese der Liebe untertan, und in deren Dienste können sie jene Mittel nicht umgehen. Und deshalb kann ich euch wohl die Listen eines Prinzen berichten, durch die es ihm gelang, Menschen zu hintergehen, die sonst selbst alle Welt hinters Licht führen.«

Fünfundzwanzigste Erzählung


Welch schlauer List sich ein hoher Fürst bediente, um sich an dem Weibe eines Pariser Advokaten zu verlustieren.

»Zu Paris lebte ein Advokat, der ob seiner überlegenen Gewandtheit sehr gesucht war und es zu einem selten großen Vermögen gebracht hatte. Maßen er nun von seiner ersten Frau mit Kindern nicht beschenkt worden war, so erhoffte er dies Glück von einer zweiten und wählte trotz seines Alters und seiner Klapprigkeit ein Mägdelein jener Stadt, die achtzehn oder neunzehn Jahre alt, gar schön und lieblich von Aussehen und anmutig von Wuchs und Gestalt war. Die verhätschelte er über die Maßen und erzeigte ihr seine Liebe, soviel er konnte; doch beschenkte sie ihn so wenig mit Kindern als die erste und auf die Dauer wurde ihr die Sache langweilig. Wie es ihrer Jugend geziemte, suchte sie alsbald außer dem Hause Zerstreuung und besuchte Tanzfeste und Gelage; doch blieb sie so zurückhaltend, daß ihr Mann keinen Argwohn hegen konnte, maßen sie allezeit vertrauenswürdige Begleitung hatte.

Eines Tages nun traf sie auf einem Feste einen hohen Fürsten, der mir selbst diese Geschichte erzählte mit der Bitte, seinen Namen zu verschweigen. Doch kann ich immerhin versichern, daß er seinesgleichen an Schönheit und Anmut niemals hatte und kaum je hierzulande haben wird. Als nun dieser Prinz der jungen Dame ansichtig ward und wahrnahm, daß ihre Augen und ihr Gebahren geradezu zur Liebe herausforderten, sprach er sie also bezaubernd und liebenswürdig an, daß sie gern mit ihm plaudern mochte. Auch verbarg sie ihm nicht, daß ihr Herz seit langem liebesbereit wäre und er folglich nicht nötig habe, sie zu etwas zu überreden, das sie bei seinem bloßen Anblick ihm zu gewähren geneigt sei.

Als dem Fürsten dergestalt unschuldsvoll und ohne Scheu ein Glück in den Schoß fiel, das wohl ein langes Werben verdient hätte, dankte er Gott Amor für seine Huld und steuerte sein Schifflein alsbald so gewandt, daß sie in kurzem darüber einig waren, wie sie sich ungesehen von anderen treffen könnten. Der Fürst fand sich natürlich pünktlich ein und war wohl verkleidet, um die Dame seines Herzens nicht bloßzustellen. Da aber oft lästige Burschen nachts in den Straßen umherschwärmten und er mit diesen nicht in Berührung kommen wollte, nahm er einige Edelleute als Begleitung mit, zu denen er Vertrauen haben konnte. Die ließ er am Eingang jener Straße, wo die Dame wohnte, zurück und gab ihnen folgende Weisung: ›Wenn ihr mich in der nächsten Viertelstunde keinen Lärm schlagen hört, so ziehet euch zurück und holt mich erst zwischen drei und vier Uhr nachts wieder hier ab.‹ Also taten sie, und, maßen alles ruhig blieb, gingen sie alsbald heim.

Indessen war der Fürst geradesweges zum Hause des Advokaten gegangen und hatte die Tür, wie versprochen, offen gefunden. Als er aber die Stiege emporklomm, begegnete er dem Ehemann, der eine brennende Kerze in der Hand trug, also daß er früher zu sehen war als er jenen erblicken konnte. Dem jungen Fürsten aber verlieh die Not Einsicht und Kühnheit; daher ging er unverweilt auf ihn zu und sprach: ›Herr Advokat, Ihr wißt, welches Vertrauen ich und mein Haus in Euch setzen, also daß ich Euch für einen treuergebenen Diener halte. Im Augenblick nun möchte ich Euch einerseits im geheimen sprechen, um Euch einige Angelegenheiten ans Herz zu legen, zum andern aber um einen Schluck zu trinken bitten, da mich der Durst plagt. Doch erzählet bitte niemandem, daß ich bei Euch war, maßen ich weiter an einen Ort gehe, wo ich unerkannt bleiben will.‹

Die Ehre, also zwanglos diesen Prinzen bei sich empfangen zu dürfen, beglückte den Advokaten über die Maßen. Flugs führte er ihn in sein Zimmer und hieß seinem Weibe, die besten Früchte und Süßigkeiten herzurichten und herbeizubringen. Das tat sie mit Freuden; doch ob sie gleich mit ihrem Häubchen und losen Übergewand noch schöner anzuschauen war als sonst, so tat der Fürst doch stets als ob er sie kaum bemerke, und plauderte mit ihrem Mann über seine Angelegenheiten, die jenem wohlvertraut waren. Als jedoch diese Dame ihm die Süßigkeiten hinreichte, die sie auf den Knien trug, und ihr Mann derweile zur Anrichte ging und Wein eingoß, da flüsterte sie jenem zu: beim Fortgehen möge er rechterhand in eine Kleiderkammer schlüpfen, wohin sie alsbald nachkommen wolle. – Nachdem er also ausgetrunken hatte, dankte er dem Advokaten und lehnte mit liebenswürdigem Nachdruck seine Begleitung ab. Dann wandte er sich der jungen Frau zu und sagte: ›Und nun will ich Euch nicht länger Eueren wackeren Mann rauben, der mir ein so ergebener Diener ist. Wie glücklich seid Ihr, ihn den Euren zu nennen; preiset darob Gott und seit ihm ein gehorsames Weib. Anderenfalls müßte ich Euch wahrlich für bedauernswert halten.‹

Nach diesen erbaulichen Worten ging er von dannen, schloß hinter sich die Tür, damit ihm niemand folge, und trat in die Kleiderkammer. Und nachdem ihr Gatte fest eingeschlafen war, kam die schöne Frau auch dorthin und führte den Prinzen in eine wohleingerichtete Stube. Doch das schönste Bild darinnen boten jene zwei, gleichermaßen, ob sie mit Gewändern angetan waren oder nicht. Und ich brauche wohl nicht zu zweifeln, daß die Frau ihm jegliches Versprechen hold erfüllte.

Als dann die Zeit kam, die der Fürst seinen Edelleuten bezeichnet hatte, ging er von dannen und traf jene am vereinbarten Fleck. Und da dies Leben eine gute Zeit währte, wählte der Prinz einen wesentlich kürzeren Weg: er ging nämlich durch ein Kloster, dessen Prior ihm derart behilflich war, daß auf sein Geheiß der Pförtner dem Prinzen um Mitternacht das Tor öffnete, und gleichermaßen, wenn er zurückkehrte. Und da er von dort nur wenige Schritte zu gehen hatte, brauchte er auch weiter keine Begleitung. Obgleich nun dieser Zustand lange Zeit so blieb, versäumte der Fürst doch nie als gottesfürchtiger Mann, auf dem Rückwege lange in der Kirche betend zu verweilen. Darob ward er von den Mönchen, die ihn gelegentlich der Frühmette dort stets knien sahen, als ein gar frommer Herr betrachtet.

Nun hatte der Prinz eine Schwester, die jenes Kloster oft besuchte. Und da sie ihren Bruder über alles liebte, so hieß sie alle gottergebenen Freunde, ihn in ihr Gebet einzuschließen. Als sie diese Bitte einst auch jenem Prior nahe legte, erwiderte der: ›Ach, hohe Frau, wen empfehlt Ihr mir da? Wie gern möchte ich selbst von jenem Herrn ins Gebet eingeschlossen werden. Denn wer sollte wohl frommer sein als dieser?!‹ Und da die Prinzessin ihn nach dem Grunde dieser Ansicht fragte, erzählte er ihr endlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, wie ihr Bruder alltäglich die Frühmette höre und so durch seine Demut die Mönche schier in den Schatten stelle.

Die Schwester wußte nicht recht, was sie glauben sollte, denn einerseits kannte sie ihres Bruders Lebenslust, andrerseits auch seine recht gewissenhafte Frömmigkeit. Doch so viel Gottesfurcht war ihr verdächtig. Darum ging sie zu ihm, erzählte ihm das Urteil des Priors über ihn, und als er ein Lächeln nicht unterdrücken konnte, verstand sie, daß etwas dahinterstecke. Also drängte sie ihn, bis er ihr die Wahrheit gestand, und sie war es, die mir alles so erzählte, wie ihr es nun gehört habt.

So möget ihr daraus erkennen, daß nicht Advokat noch Mönch schlau genug sein können, maßen Amor, wenn es nottut, die Betrüger doch hinters Licht führt. Daher sollen wir armen Geschöpfe ihn von Herzen fürchten.«

»Ich glaube zu wissen, wer das war,« überlegte Guebron. »In diesem Falle kann man ihm das Lob nicht versagen, daß er die Ehre der Frauen schont und übles Aufsehen scheut, zum Unterschied von andern großen Herren, die sich, um ihren Lüsten zu fröhnen, über alles hinwegsetzen, und darum oft in noch schlechterem Rufe stehen als sie es verdienen.« – »Freilich,« – versicherte Oisille, »manche Herren könnten sich ein Beispiel an ihm nehmen.« – »Aber bedenkt einmal,« meinte Nomerfide, »wie tief von Herzen ihm jene Gebete im Kloster kommen mochten.« – »Das kann man kaum beurteilen,« warf Parlamente ein, »denn vielleicht war seine Reue jedesmal nachher so tief, daß er wohl Verzeihung finden konnte« – »Wie kann man solche Freuden bereuen!« rief Hircan. »Ich selbst habe gar oft gebeichtet, doch nie bereut.« – »So solltet Ihr lieber nicht beichten,« erklärte Oisille. – »Warum?« entgegnete jener. »Die Sünde mißfällt mir sehr, doch behagt mir das gehabte Vergnügen nicht minder.« – »Ihr und Euresgleiches verzichtet fürwahr gern auf Gott und Gesetz,« klagte Parlamente, »wenn nur Eure Genußsucht gestillt wird.« – »Ich wünschte allerdings,« versicherte Hircan, »daß Gott an unsern Freuden gleichen Gefallen fände als etwa ich; dann würde ich ihn desto öfter zu beglücken suchen.« –

Doch Guebron unterbrach ihn: »Laßt doch theologische Betrachtungen, auf daß Longarine ihr Wort weiter geben kann.« – »Ich gebe es Saffredant,« sprach jene, »doch mag er uns etwas recht Schönes bescheren und weder darauf bedacht sein, die Frauen schlecht zu machen, noch das Gute wahrheitswidrig zu fälschen.«

»Das kann geschehen,« hub alsbald Saffredant an. »Denn ich habe hier die Geschichte von einer törichten und einer klugen Frau. Entnehmet daraus, was ihr möget. Doch werdet ihr immerhin erkennen, daß die Liebe ein Herz nicht wandelt, und bei Schlechten schlechte, bei Guten gute Taten auslöst.«

Sechsundzwanzigste Erzählung


Wie ein hoher Herr durch einen spaßhaften Streich die Liebesgunst einer Frau in Pampeluna zu erlangen sucht.

»Zur Zeit Ludwigs des Zwölften lebte ein Herr von Avannes, ein junger Edelmann, der des Herzogs von Albret Sohn und der Bruder des Königs Johann von Navarra war, bei welchem er auch zumeist wohnte. Im Alter von fünfzehn Jahren war er bereits so anmutsvoll und schön, daß er zur Liebe schier geboren schien. Also empfanden alle, die ihn sahen, und zumal die sehr achtbare Frau eines reichen Mannes zu Pampeluna in Navarra. Die war zwar nur dreiundzwanzig Jahre alt, doch da ihr Mann etwa fünfzig alt war, so kreidete sie sich so schlicht wie schier eine Wittib, besuchte ohne ihren Gatten nie ein Fest und zog ihn dem schönsten Mann der Welt vor. Und da ihr Mann ihre Tugend genügend erprobt hatte, so ward er ihrer so sicher, daß er ihr alle seine Angelegenheiten anvertraute.

Eines Tages nun wurde dieses Ehepaar zu der Hochzeit einer Verwandten geladen. Dorthin hatte sich auch der Herr von Avannes begeben, um den Gastgeber zu ehren, zumal er den Tanz liebte und darin seinesgleichen nicht fand. So ward er nach dem Essen von jenem reichen Mann gebeten, mit seinem Weib zu tanzen. Das tat der junge Prinz mit Freuden, und ob seiner Jugend fand er am Hüpfen und Springen viel mehr Vergnügen denn am Anblick schöner Frauen. Jene aber, die er führte, bestaunte vielmehr seine Schönheit, obwohl sie sich klugerweise nichts merken ließ.

Als die Stunde der Abendmahlzeit kam, verabschiedete sich der Prinz von der Gesellschaft und der reiche Mann gab ihm auf seinem Maultier das Geleit zum Schloß. Unterwegs sagte er zu ihm: ›Ihr habt mir und den Meinen heute so viel Ehre angetan, daß ich undankbar wäre, wenn ich Euch nicht in jeder Beziehung zu Diensten stünde. Nun weiß ich einerseits, daß solch edle junge Herren oft durch geizige oder strenge Väter in Geldverlegenheit kommen; andrerseits gab Gott mir zwar ein Weib, wie ich es wünschte, doch keine Kinder. Wolltet Ihr mir daher bisweilen Eure kleinen Sorgen anvertrauen, so würde ich Euch gern helfen, soweit mir meine hunderttausend Taler es gestatten.‹

Ob dieses Anerbietens war der Herr von Avannes hocherfreut, denn er besaß just solchen Vater, wie jener angedeutet hatte. Daher dankte er ihm herzlichst und hieß ihn seinen wahlverwandten Vater. Und von Stund an schloß der reiche Mann den Prinzen in sein Herz, und morgens und abends erkundigte er sich besorgt, ob er nicht irgend etwas brauche. Zudem verhehlte er auch seinem Weibe diese Zuneigung keineswegs, also daß diese ihren Mann darob nur doppelt liebte. Dem Prinzen aber konnte nun an nichts mehr fehlen. Oftmals kam er zu jenem und aß und trank bei ihm; und wenn er ihn nicht antraf, dann gab die Frau ihm, wessen er bedurfte und obendrein riet sie ihm zur Sittsamkeit und Tugend. Und er achtete und liebte sie mehr denn irgendeine Frau auf Erden. Doch ließ sie ihn nie merken, daß sie ihm anders als in geschwisterlicher chriftlicher Liebe zugetan war.

Also lebte der Herr von Avannes, bis er siebzehn Jahre alt wurde, herrlich und in Freuden. Alsdann aber begann er mehr als bisher den Frauen nachzuschauen. Zwar hätte er am liebsten diese tugendsame Frau geliebt, doch bangte ihm, etwa ihre Freundschaft zu verlieren, und so suchte er sich anderwärts zu vergnügen. Er wandte sich also einem zieren Weiblein aus der Umgegend von Pampeluna zu, die auch in der Stadt ein Haus hatte und dort mit einem jungen Mann vermählt war, der vor allem Hunde, Pferde und Vögel liebte. Ihr zu gefallen, veranstaltete der Prinz allerlei Kurzweil und Feste, die jene Frau gern besuchte. Doch da ihr Mann sie so schlecht behütete, wachten ihre Eltern eifersüchtig über ihrer Ehre, maßen sie ihre Schönheit und Leichtfertigkeit kannten und wichen ihr nicht von der Seite. Also konnte auch der Herr von Avannes nur hier und da ein kurzes Wort erhalten, das sie ihm in einem Balle zuwarf, und daraus entnahm er, daß es ihr nur an Zeit und Gelegenheit fehlte, ihrer Liebe zu fröhnen.

Deshalb eröffnete er dem reichen Manne, er wolle allein eine Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau in Montserrat machen, und bat ihn, sein Gefolge bei sich im Hause zu behalten. Der Mann sagte ihm das zu. Sein Weib aber, in dessen Herzen Amor als Prophet wachte, durchschaute den Prinzen, und so sagte sie zu ihm: »Die ›Liebe Frau‹ wohnet sicher in dieser Stadt; daher seid auf Euer Wohl bedacht!« Er errötete tief und gestand ihr die Wahrheit. Alsdann ging er davon, kaufte ein Paar schöner spanischer Rosse und verkleidete sich bis zur Unkenntlichkeit als Pferdeknecht. Als jener Edelmann, der Gatte der lockeren Frau, dieser Rosse ansichtig ward, kaufte er sie unverweilt. Und da er sah, wie trefflich der Pferdebursche mit ihnen umging, forderte er ihn auf, bei ihm in Dienst zu treten. Der Herr von Avannes sagte ›ja‹, und voller Freuden übertrug ihm alsbald der Edelmann die Sorge für all seine Pferde und erklärte dann seiner Frau, er ginge nun zum Schloß und bäte sie, sich um den Knecht und die Pferde zu kümmern.

Die Dame wollte ihm gleichermaßen gefällig sein wie auch ihre Zeit einigermaßen verbringen. So besichtigte sie die Pferde und schaute sich auch den Pferdeknecht an, der ihr gar wohlgestaltet schien. Doch erkannte sie ihn nicht. Da er dessen gewahr wurde, grüßte er sie nach spanischer Sitte mit einem Handkusse, doch preßte er ihre Hand so stark, daß sie ihn erkannte, da er beim Tanze gar manches Mal das gleiche getan hatte. Von Stund an suchte sie nur noch mit ihm allein zu sein. Das ließ sich bereits am selbigen Abend ermöglichen. Denn da ihr Mann zu einem Feste geladen war, heuchelte sie ein Unwohlsein, und ihr Mann, der seine Freunde nicht im Stiche lassen wollte, bat sie nur, auf seine Hunde und Pferde zu achten. Kaum war er daher fort, so sah sie im Stalle nach Ordnung, schickte alle Knechte für Aufträge fort und war so alsbald mit dem angeblichen Stallburschen allein. Doch fürchtete sie überrascht zu werden und bat ihn: ›Gehet in meinen Garten und erwartet mich in dem Häuschen am Ende des Parkweges.‹

Er eilte dorthin. Sie aber besichtigte erst noch sorglich die Hunde, legte sich dann ins Bett, als ob sie sehr müde wäre, und bald verließen alle ihre Frauen das Zimmer. Nur eine blieb, zu der sie Vertrauen hatte und sagte: ›Geh‘ in den Garten und hole den, der am Ende des Parkweges wartet.‹ Das geschah und alsdann wurde sie hinausgeschickt, um des Ehemannes Kommen abzupassen. Herr von Avannes aber entledigte sich flugs seiner Kleidung, seines falschen Bartes und der künstlichen Nase und stieg, nun nicht mehr als zager Knecht sondern als selbstbewußter Herr, ohne weitere Aufforderung zu ihr ins Bett.

Dort fand er eine Aufnahme, wie sie nur die liebestollste Frau dem schönsten Manne ihrer Zeit bereiten konnte. Und so blieb er bei ihr, bis der Ehemann heimkehrte, worauf er flugs seine Maske wiedernahm und die Stätte der Lust verließ, die er durch schlaue List erobert hatte. Der Ehemann hatte indessen erfahren, wie sorglich sie sich um alles gekümmert hatte. Sie lehnte seinen Dank bescheiden ab, und als jener sich erkundigte, was sie von dem neuen Stallknecht hielte, entgegnete sie: ›Fürwahr, er versteht seinen Dienst besser als der beste Knecht; doch muß man ihn bisweilen anfeuern, weil er etwas schläfrig ist.‹

So lebten fürder Mann und Frau in besserer Eintracht als bisher; denn während sie früher Zerstreuungen außer dem Hause gesucht hatte, ward sie nun häuslich und trug oft nur ein Übergewand über ihrem Hemd, statt sich stundenlang zu putzen. Darob verlor der Mann alle Eifersucht und lobte sie gar, ohne zu ahnen, daß der Teufel nur von Beelzebub ausgetrieben war.

Doch die zarte Gesundheit des Herrn von Avannes vermochte dies Leben auf die Dauer nicht zu ertragen. Er wurde bleich und mager, so daß er bald auch ohne Maske unkenntlich war. Und die tolle Liebe jener Frau brachte ihn so von Sinnen, daß er seine Kräfte in einer Weise ausgab, der selbst ein Herkules nicht standzuhalten vermocht hätte. So wurde er schließlich krank, und da die Dame ihn nur gesund zu schätzen wußte, so nahm er auf ihren Rat Abschied von seinem Dienstherrn. Den erhielt er auch, wenn auch nur mit tiefem Bedauern und gegen das Versprechen, zurückzukehren, wenn er wieder gesund wäre. So ging der Herr von Avannes davon. Und da er nur eine Straße zu durchmessen hatte, begab er sich zu Fuß zum Hause seines ›wahlverwandten Vaters‹. Dort fand er nur dessen Frau, deren Liebe ob seiner ›Wallfahrt‹ nicht geringer geworden war. Als sie ihn aber also mager und farblos hereinwanken sah, rief sie aus: ›Ich weiß nicht, wie es um Euer Gewissen steht, aber Euer Körper ist auf der Wallfahrt nicht gefestigt worden. Und ich glaube fast, die Nachtstunden haben Euch mehr mitgenommen als die des Tages. Wäret Ihr selbst nach Jerusalem gepilgert, so würdet Ihr vielleicht etwas atemloser sein, doch nicht so schwach und abgemagert. Nun merket Euch das ein für allemal und betet nicht mehr Bildnisse an, die, statt Tote zu erwecken, Lebenden das Mark aussaugen. Ich würde Euch gern noch mehr sagen. Aber mag Euer Fleisch auch gesündigt haben, so ist es nun schwer genug gestraft, und ich will Euch aus Barmherzigkeit nicht neues Leid zufügen.‘

Als der Herr von Avannes ihre Worte vernahm, war er gleichermaßen betrübt und beschämt und erwiderte: ›Einst hörte ich, daß die Reue der Sünde auf dem Fuße folgt – jetzt habe ich es am eigenen Leibe erfahren. Vergebet mir aber ob meiner Jugend.‹ Die Dame lenkte schnell ab, ließ ihn sich in ein schönes Bett legen, und dort verbrachte er vierzehn Tage. Während dieser Zeit lebte er einzig von Stärkungsmitteln, und das Ehepaar leistete ihm so wohl Gesellschaft, daß er immer einen von ihnen neben seinem Bett hatte. Die Frau aber liebte ihn unvermindert weiter, denn sie hoffte, daß er diese Torheiten überwände und dann ehrbar lieben würde, also daß er dann ihr gehörte. So redete sie in jenen zwei Wochen so viel von tugendsamer Liebe, daß er endlich die begangene Tollheit verabscheute. Alsbald begann er nun sie anzuschauen, die der anderen an Schönheit überlegen war, und angesichts ihrer Anmut und Tugend konnte er sich nicht verwinden, ihr eines Tages zu sagen: ›Ich sehe ein, daß Ihr recht habt. Doch wollt Ihr mir auf dem Wege zur Tugend all‘ Eure Hilfe und Euren Beistand leihen?‹

Die Dame war ob seiner Worte tief beglückt und rief: ›Ich will Euch gern versprechen, mit allen mir von Gott verliehenen Gaben Euch beizustehen, sofern Ihr der Tugend dienen wollt, so wie es einem edlen Herrn, wie Ihr seid, geziemt.‹ Da sprach der Prinz: ›So bedenket denn, wie Gott, der den Menschen unsichtbar war, irdische Gestalt annahm, um also unser Herz für das Unsichtbare zu gewinnen. Auch die Tugend, die ich erstrebe, ist unsichtbar und nur etwa durch ihre Erfolge zu erkennen. Darum kleidete sie sich in Eure Gestalt als die vollkommenste, die sie finden konnte. So seid ihr für mich der Inbegriff der Tugend, und so will ich ihr nun mein Leben lang in Züchten und Ehren dienen und das Laster von mir weisen.‹

Ob dieser Worte war die Dame voll glückseligen Staunens; doch ließ sie ihre Zufriedenheit nicht merken und sprach: ›Auf Eure theologischen Betrachtungen kann ich nichts erwidern; doch möchte ich Euch bitten, solche Worte zu lassen, maßen ihr andere Frauen gering schätzet, die darauf lauschten. ich bin so unvollkommen, daß die Tugend gut daran täte, mich nach ihrem Bilde zu gestalten. Nur habe ich eine große Zuneigung zu Euch, soweit eine gottesfürchtige und sittsame Frau das haben kann. Doch sollt ihr nichts davon erfahren, ehe nicht Euer Herz zur Geduld bereit ist, wie tugendsame Liebe das erheischt. inzwischen seid überzeugt, daß niemandem Euer Wohl, Leben und Ehre so am Herzen liegt wie mir.‹

Angstvoll und mit einer Zähre im Auge bat sie der Herr von Avannes, ihn zur Bestätigung ihrer Worte zu küssen. Das lehnte sie ab, weil sie nicht um seinetwillen die Landessitte verletzen wollte. Darüber kam ihr Mann herein, und alsbald sagte der Prinz zu ihm: ›Ich hänge so an Euch und Eurer Frau, daß ich Euch bitte, mich ganz als Euern Sohn zu betrachten.‹ Des freute sich der gute Alte, und jener sprach: ›So laßt Euch von mir küssen.‹ Und als das geschehen war, fuhr er fort: ›Wenn ich nicht Angst hätte, gegen die Sitte zu verstoßen, so möchte ich wohl desgleichen mit Eurer Frau, meiner Mutter, tun.‹ Und der Mann hieß seinem Weibe, also zu tun. Das geschah denn auch, ohne daß man ihr ansehen konnte, ob sie es gern tat oder nur auf Wunsch ihres Gatten. Und alsbald griff das Feuer, das bereits ihre Worte entzündet hatten, ob jenes heißersehnten Kusses wild um sich in dem Herzen des jungen Prinzen.

Nun begab er sich bald darauf zum Schloß und erzählte Wunderdinge von seiner Wallfahrt nach Montferrat. Bei dieser Gelegenheit erfuhr er, daß sein Bruder, der König, nach Olly und Taffares reisen wolle. Und da er einsah, daß diese Reise gar lange dauern würde, ward er tief betrübt und beschloß, vor der Abfahrt noch einen Versuch zu machen, ob jene Dame ihm denn weiter keine Gunst gewahren wolle. Darum bezog er ein altes baufälliges Holzhaus in der Stadt und der gleichen Straße, wo sie wohnte. Dort legte er um Mitternacht Feuer, und alsbald erhob sich ein groß Geschrei, das auch zum Hause jenes reichen Mannes drang. Der fragte zum Fenster hinaus, wo es brenne. Und als er vernahm, das sei Herrn von Avannes Haus, eilte er unverweilt mit seinen Leuten dorthin und fand den jungen Prinzen im Hemd auf der Straße. Darob erfaßte ihn solches Bedauern, daß er ihn in seine Arme nahm, mit seinem Mantel bedeckte und flugs zu seiner Frau führte, die im Bett lag und zu der er sagte: ›Meine Liebe, ich vertraue dir diesen Gefangenen an; behandle ihn so wohl, als ob ich selbst es wäre.‹

Kaum war er fort, da sprang der Herr von Avannes, der gar wohl als Ehemann behandelt sein mochte, leichtfüßig zu ihr ins Bett und hoffte, diese günstige Gelegenheit könnte vielleicht ihre züchtige Zurückhaltung zum besseren bekehren. Da täuschte er sich aber; denn kaum war er auf der einen Seite hineingeschlüpft, so schlüpfte sie zur andern hinaus, nahm ihr Übergewand um, trat zum Kopfende des Bettes und sprach: ›Vermeintet Ihr, solche Gelegenheiten könnten ein keusches Herz betören? Sie erproben im Gegenteil erst seine Tugend. Glaubet mir, wenn anders ich gewollt hätte, konnte ich schon bessere Gelegenheit finden. Ich mag aber nicht und bitte Euch, jede Hoffnung, Ihr könntet mich anders finden als ich gesagt habe, aufzugeben.‹

Indessen kamen ihre Mägde, denen sie hieß, allerlei eingemachte Früchte zu bringen. Doch er hatte nun weder Hunger noch Durst, maßen er ob seines mißlungenen Versuches tief verzweifelt war und obendrein fürchtete, nunmehr des vertrauten Verkehrs mit ihr verlustig zu gehen.

Alsbald kehrte auch der Ehemann zurück, nachdem er des Feuers Herr geworden war, und bat Herrn von Avannes so eindringlichst, bei ihm die Nacht zu verbringen, daß dieser einwilligte. Doch verbrachte er sie mehr unter Tränen denn mit Schlafen. Als der Morgen kam, nahm er von ihnen Abschied, derweile sie noch im Bett lagen. Und als er die Frau zum Abschied küßte, ward er inne, daß sie mehr Bedauern als Unzufriedenheit gegen ihn empfand. Das goß wieder neues Öl ins Feuer. Und nach dem Mittagessen zog er mit dem König nach Taffares davon.

Aber je mehr sich nun die Dame um der Tugend willen mühte, ihre Liebe zu verbergen, um so mehr litt sie darunter. Alsbald wurde der Kampf zwischen Liebe und Ehre ihrem Herzen unerträglich. So ward sie von einem dauernden Fieber ergriffen, also daß ihre Glieder vor Kälte erstarben, ihr inneres aber wie in Flammen stand. Die Ärzte, in deren Händen ja der Menschen Wohl niemals wirklich ruht, begannen ob ihrer Krankheit in Sorge zu geraten und rieten dem Mann, seine Frau darauf vorzubereiten, daß sie ihres Seelenheils gedenken möchte – so wie man mit Menschen tut, an deren Leben man verzweifelt. Und der Mann, der seine Frau über alles liebte, ward tief betrübt, und um Trost zu suchen, schrieb er eilends an Herrn von Avannes.

Der kam unverweilt mit Eilpost herbei. An der Tür erblickte er die Diener in tiefer Trauer um ihre Herrin. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen, bis der gute alte Herr hinauseilte und ihn sprachlos vor Tränen umarmte. Dann führte er ihn in das Zimmer der armen Kranken. Die wendete ihm ihren sehnsüchtig-klagenden Blick zu, reichte ihm die Hand, zog ihn, so stark ihre verfallenen Kräfte es erlaubten, an sich, herzte und küßte ihn und sprach alsdann:

›Nun ist die Stunde gekommen, da alle Verstellung weichet und ich Euch die lang verhehlte Wahrheit künden muß. So wisset: Habt ihr mich geliebt – nicht minder hing ich an Euch. Doch Gott und meine Ehre verboten mir, mich Euch zu offenbaren. Zudem hätte ich damit nur Euer Verlangen erhöht. Und das ist nun die Ursache meines Todes geworden. Doch sterbe ich in Frieden, da ich Euch meine Gefühle wenigstens noch enthüllen konnte. Und nun bitte ich Euch, werbet nicht nur um tugendhafte Frauen, maßen ihr Herz in glühenderer Leidenschaft aufflammt. Heißet aber auch die Tugend nicht grausam und haltet sie wert, wie Euer Leben. – Und jetzt lebet wohl, nehmet Euch meines Mannes an und offenbaret ihm die ganze Wahrheit, auf daß er erkenne, wie sehr ich Gott und ihn geliebt habe.‹

Nach diesen Worten umarmte und küßte sie ihn nochmals, so heiß es ihre schwächen Kräfte erlaubten. Und der Prinz, dessen Herz vor Trauer und Mitgefühl schier stille stand, vermochte kein Wort zu sprechen. Er wankte zu einer Lagerstatt, die im Zimmer stand, und fiel, da er darauf lag, mehrmals in Ohnmacht. Inzwischen rief die Frau ihren Mann herbei, tröstete ihn, legte ihm Herrn von Avannes Wohl ans Herz und nahm dann unter Küssen von ihm Abschied. Alsbald gab man ihr die letzte Ölung, so sie voll Freuden empfing, da sie ihrer ewigen Seligkeit sicher war. Und als sie ihre Kräfte schwinden fühlte, hub sie mit lauter Stimme an zu sagen: ›Herr, in deine Hände…‹

Bei diesem Rufe richtete sich der Herr von Avannes auf seinem Lager empor und sein klagender Blick gewahrte, daß jene ihre Seele verklärt dem Schöpfer zurückgab. Und als ihm so zum Bewußtsein kam, daß sie tot war, stürzte er zu ihrer Leiche (während er ihr bei Lebzeiten nur zagend zu nahen wagte), umarmte und küßte die Verstorbene und war nur mit Mühe von ihr fortzureißen. Darob war der Ehemann voll Verwunderung; denn nie hatte er gewußt, daß jener ihr so zugetan gewesen war. So sagte er: ›Nun ist es genug!‹ und nahm ihn mit fort. Und nachdem beide lange Zeit zusammen geweint hatten, erzählte Herr von Avannes die Geschichte dieser Freundschaft und wie sie bis zu ihrem Tode jedes Liebeszeichen unter der Maske unerbittlicher Strenge verborgen hatte. Nun verdoppelte sich des Ehemannes Schmerz, eine so ergebene Frau verloren zu haben. Und fortan widmete er sein Leben ganz dem Herrn von Avannes (der damals erst achtzehn Jahre alt war). Der zwar ging alsdann zu Hofe. Doch lange Zeit mochte er keine Frau sehen oder sprechen, und zwei Jahre lang trug er nur schwarze Kleidung. Hier könnt ihr denn also den Unterschied sehen zwischen einem tugendhaften und einem lasterhaften Weibe, und wie verschieden die Wirkungen dieser zwei Liebesformen sind.«

»Wahrlich, Saffredant,« erklärte Oisille, »Eure Erzählung war vortrefflich, und wer, wie ich, die Personen kannte, weiß sie noch um so höher zu schätzen.« – »Bedenket aber immerhin,« entgegnete dieser, »daß die Frau sich tugendhafter zeigen wollte als sie innerlich war, und ob der Unterdrückung ihres natürlichen Triebes dahinstarb.« – »Ihre Tugend war eben so groß,« rief Parlamente, »daß ihre Vernunft stets ihr Begehren überwand.« – »Malt sie so rosenrot, als Ihr möget,« spottete Hircan, »ich finde, hier überwog nur die Hoffahrt die Triebe der Wollust und die Verstellung wob darum ein dichtes Mäntelchen. Schaut recht hin, so werdet ihr finden, daß die Natur die Frauen uns sehr gleich gemacht hat. Nur fürchten sie, die ersehnte Lust zu genießen und vertauschen ein Laster gegen ein schlimmeres, das nur besser aussieht: Ruhmsucht und Grausamkeit; sie hoffen, sich ob ihrer Widerstandskraft gegen das Laster unsterblich zu machen und gleichen am Ende schon nicht mehr den Tieren an Grausamkeit, sondern gar den Teufeln an selbstbewußter Bosheit!«

»Wie schade,« meinte Nomerfide, »daß Ihr eine so anständige Frau Euer Eigen nennt, sintemalen Ihr die Frauen stets als lasterhast hinstellen wollt.« – »Ich bin sehr froh,« entgegnete jener, »daß mein Weib sich nichts zuschulden kommen läßt. Doch in bezug auf Keuschheit sind wir beide Kinder von Adam und Eva. So sollen wir unsere Blöße auch nicht mit Feigenblättern bedecken, sondern lieber unsere Schwächen eingestehen.« – »Das gebe ich gern zu,« sprach Parlamente, »doch wenn wir aus Eigenliebe sündigen, so schadet das den andern nichts und unser Körper wird nicht besudelt. Eure Lust aber ist es, die Frauen zu entehren, gleichwie männermordender Krieg Eure Ehre ist: beides aber widerspricht Gottes Gebots.« – »Sehr wohl!« rief Guebron. »Aber der Herr sprach: ›Wer das Weib unseres Nächsten ansiehet und begehret seiner, der bricht schon die Ehe in seinem Herzen; und wer seinen Nächsten haßt, begeht einen Mord.‹ Sind die Frauen davon ausgeschlossen?« – »Bitte, laßt doch solche Betrachtungen,« unterbrach Saffredant. »Das artet ja in wahre Predigten aus. Ich will Emarsuitte das Wort geben und bitte sie, etwas für unsere Vergnüglichkeit zu sorgen.«

»Dazu war ich bereis entschlossen, als ich heute hierherkam,« hub jene an. »Einst hörte ich die Geschichte zweier Diener einer Prinzessin, und die ist so lustig, daß mir jetzt schon alle Trübsal über eine andere, ernste Erzählung schwindet. Diese werde ich also lieber morgen erzählen, denn heute fände ich doch nicht die nötige gesetzte Stimmung dazu.«

Siebzehnte Erzählung


Der König Franz beweist dem Grafen Wilhelm seine Großmut, als dieser ihm nach dem Leben trachtet.

»In Dijon im Herzogtum Burgund trat ein deutscher Graf, Wilhelm, ein Sproß des sächsischen Fürstenhauses in den Dienst des Königs Franz des Ersten. Seine Familie stand dem Hause Savoyen außerordentlich nahe, und da der Graf ob seines Anstandes und seiner Kühnheit daheim schier seinesgleichen nicht hatte, so fand er beim König die gnädigste Aufnahme, also daß er sogar dem Dienst um die Person des Königs selbst beigeordnet wurde. Ein alter Ritter und ergebener Diener seines Herrn jedoch, der Statthalter von Burgund de la Trimouille, pflegte voll Angst und Sorge um das Wohl seines Königs dauernd Späher in der Nähe des Feindes zu haben, um zu wissen, was vorfiel, also daß er über alles genau unterrichtet war.

Diesem wurde nun eines Tages unter anderem gemeldet, daß der Graf Wilhelm eine Summe Geldes in Empfang genommen und noch mehr in Aussicht gestellt bekommen habe, damit er den König irgendwie zu Tode brachte. Der Herr de la Trimouille teilte dies alsbald dem König mit und nicht minder dessen Mutter Luise von Savoyen, die ohne Rücksicht auf ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem Grafen ihren Sohn allsogleich bat, jenen schleunigst davonzujagen. Der König entgegnete jedoch, sie möge sich die Worte sparen; es sei ausgeschlossen, daß ein so ehrenwerter edler Krieger solche Gemeinheit begehen könne.

Einige Zeit darauf kam eine weitere Nachricht, die jene erste bestätigte. Sogleich bat der Statthalter in seiner treuen Anhänglichkeit um die Erlaubnis, den Deutschen fortzuschicken. Wiederum jedoch ersuchte ihn der König dringend, nichts dergleichen zu tun, und bedachte übrigens, wie er auf andere Weise die Wahrheit ergründen könne.

Als er nun einmal zur Jagd ging, versammelte er um sich die wackersten Degen seines Heeres und hieß den Grafen Wilhelm, ihm dicht zur Seite zu bleiben. Nachdem sie eine gute Weile dem Hirsch nachgejagt waren und der König inne ward, daß alle Leute zurückblieben und allein der Graf ihm folgte, verließ er den Weg, bis er mit jenem allein im tiefsten Walde anlangte. Hier zog er seinen Degen und sprach: ›Scheint Euch dieser Degen gut und schön?‹ Der Graf besah ihn sich und entgegnete alsdann, daß er keinen trefflicheren je gesehen habe. ›Ihr habt recht,‹ sagte alsbald der König, ›und sollte ein Edelmann beschlossen haben mich zu töten, und die Kraft meines Armes, meinen Mut und die Güte dieses Degens erkennen, so dürfte er sich, meine ich, die Sache zweimal überlegen. Doch hielte ich ihn für einen elenden Bösewicht, wenn er seinen Plan nicht auszuführen wagte, wenn er ohne Zeugen Auge in Auge mit mir stände.‹ Der Graf machte ein verwundertes Gesicht und antwortete: ›Majestät, die Schändlichkeit solchen Tuns wäre an sich schon groß, die Narrheit eines derartigen Wagnisses aber fürwahr noch größer.‹ Der König steckte lachend den Degen in die Scheide, hörte dann die Jagd nahe kommen und vereinigte sich alsbald wieder mit ihr. Doch sprach er mit niemandem über die Sache und war überzeugt, daß der Graf keinesfalls der Mann war, der für solches Unternehmen den nötigen Mut besaß, mochte er auch sonst ein noch so wackerer und kühner Haudegen sein.

Der Graf hinwiederum mochte befürchten, daß man ihn nunmehr beargwöhnen oder gar entlassen könne. So begab er sich tags darauf zu Robertet, dem Finanzsekretär des Königs, und erklärte ihm: er könne leider mit dem Gehalt und den Zulagen, die ihm der König zugebilligt habe, kaum ein halbes Jahr auskommen; wenn ihm der König also nicht das Doppelte geben könne, so sei er gezwungen, den Dienst aufzugeben. Zudem bat er Robertet, ihn des Königs Antwort baldmöglichst wissen zu lassen. Der versprach ihm, auf der Stelle anzufragen, und war um so lieber dazu bereit, da er die Warnungen des Statthalters gelesen hatte. Kaum also war der König erwacht, so trug er ihm die Sache vor. Anwesend waren Herr de la Trimouille und der Admiral Bonnivet, die von des Königs kühnem Streiche nichts wußten. Dieser aber sprach: ›Ihr wolltet den Grafen Wilhelm fortschicken. Nun schickt er sich selbst fort, wie ihr seht. Saget ihm also: Wenn er mit den Bedingungen nicht zufrieden ist, die er bei seinem Dienstantritte angenommen hatte und mit denen gar manche Edelleute trefflichster Abkunft recht wohl auskommen, so möge er anderwärts sein Glück versuchen; ich werde ihm darin nicht im Wege sein und mich sogar freuen, wenn er Bedingungen findet, wo er leben kann wie er es verdient.‹

Robertet eilte sich nicht minder, dem Grafen diese Antwort zu überbringen. Der entgegnete sofort, unter diesen Umständen sei er entschlossen, fortzugehen. Und gleich als ob ihn die Angst jagte, blieb er nicht einmal mehr vierundzwanzig Stunden: schon als der König sich zur Tafel setzte, bat er diesen, sich verabschieden zu dürfen, und heuchelte dabei das tiefste Bedauern, aus seiner Umgebung scheiden zu müssen. Sodann nahm er auch von der Königin-Mutter Abschied, darob sie sich schier mehr freute denn ob seiner Ankunft seinerzeit als Freund und Verwandter des Hauses. Und so kehrte er in sein Land zurück.

Da nun der König seine Mutter und seine Umgebung über diese plötzliche Abreise baß erstaunt sah, erzählte er ihnen, was er dem Grafen für einen Schrecken eingejagt hatte und fügte hinzu: selbst wenn jener in bezug auf jene Verdächtigungen schuldlos gewesen sei, so habe er doch durch diese Angst erwiesen, daß er in der Umgebung eines Herrn, dessen Mut er so wenig gewachsen sei, nichts zu suchen habe.

Ich meinesteils kann keinen andern Beweggrund dafür finden, daß der König sich so kühn jenem gefürchteten Kämpen entgegenstellte, als daß er sich fern von seiner Begleitung auf eine Stufe mit seinem vermeintlichen Gegner stellen und so seinen eigenen Mut erproben wollte.«

»Offenbar hatte er recht,« erklärte Parlamente, »denn alles Lob der Welt ersetzt nicht die erprobte Zuversicht zu den von Gott verliehenen Gaben.«–»Schon längst«, bestätigte Guebron, »versicherten uns die Dichter, daß der Weg zum Tempel des Ruhmes durch den der Tüchtigkeit führt. Ich kenne beide Helden jener Erzählung und weiß gar wohl, daß der König einer der kühnsten Männer seines Reiches ist.«–»Wahrlich,« rief Hircan, »damals, als der Graf Wilhelm nach Frankreich kam, hätte ich des Königs Degen mehr gefürchtet denn den der heldenhaftesten italienischen Edelleute des Hofes.«

»Ihr wißt recht wohl,« brach Emarsuitte das Gespräch ab, »daß unser Lob sein Verdienst doch nicht genugsam rühmen würde und wir damit den ganzen Tag verbringen könnten. Drum, edle Frau, gebt Euer Wort einem Herrn, der uns noch mehr von Mannesmut erzählen kann.« Alsbald sprach Oisille zu Hircan: »Ihr habt die Frauen so schlecht gemacht, daß Ihr sicherlich etwas zum Lobe der Männer zu sagen wißt. So gebe ich Euch das Wort.«

»Das wird mir ein Leichtes sein,« entgegnete Hircan. »Denn vor kurzem noch rühmte man mir eines Edelmannes Liebe, Festigkeit und Geduld so sehr, daß ich seine Geschichte nicht vergessen konnte.«

Wie sich die Gesellschaft zusammenfand.

In den ersten Septembertagen, der Zeit, da der Besuch in den Badeorten der Pyrenäen beginnt, befanden sich in Cauterets mehrere Personen verschiedener Nationalität; aus Frankreich, Spanien und anderwärts waren sie gekommen, die einen, um die Quellen zu trinken, die andern, um zu baden, wieder andere für Moorbehandlung, die in wunderbarer Weise selbst aufgegebene Kranke zu heilen vermag. Doch davon soll hier nicht erzählt werden. Zur Sache gehört nur, daß die Kranken dort über drei Wochen blieben, bis ihre Heilung genügend vorgeschritten war, um ihre Abreise zu ermöglichen. Aber gerade da traten so ungewöhnlich schwere Regengüsse ein, daß man meinen konnte, Gott habe sein Noah gegebenes Versprechen, die Welt nicht mehr durch Wasser zu vernichten, vergessen; alle Hütten und Wohnhäuser von Cauterets wurden dermaßen überschwemmt, daß ein Bleiben unmöglich wurde.

Wer aus Spanien gekommen war, kehrte, so gut es eben die Verhältnisse erlaubten, über die Berge heim, und wer sonst die Wege gut kannte, kam mit heiler Haut davon. Die französischen Herren und Edelfrauen hingegen, die da vermeinten, sie könnten ebenso leicht nach Tarbes zurückkehren, wie sie gekommen waren, fanden die kleinen Bäche derart angeschwollen, daß sie selbst Furten kaum passieren konnten. Die bearner Gade vollends, die auf dem Hinwege kaum zwei Fuß Tiefe aufgewiesen hatte, war nunmehr so wasserreich und reißend, daß sie abbogen und nach Brücken suchten. Doch die waren aus Holz gewesen und fortgerissen worden. Wohl versuchten einige der Reisenden, gemeinschaftlich der Strömung zu trotzen. Aber sie wurden so schnell fortgeschwemmt, daß die übrigen den Mut verloren. Da man sich über die Wahl des Weges, der nun einzuschlagen war, nicht einig wurde, trennte sich die Gesellschaft. Einige gingen über die Bergeshöhen und gelangten durch Aragonien und die Grafschaft Roussillon nach Narbonne; andere brachen nach Barcelona auf, um auf dem Seewege heimzukehren. Eine wohlerfahrene Wittib aber (sie hieß Oisille) entschlug sich aller Furcht vor den schlechten Wegen und beschloß, nach Notre-Dame von Serrance aufzubrechen; denn sie war sicher, daß die Mönche dort Möglichkeiten finden würden, den Gefahren zu entgehen – sofern es überhaupt solche Möglichkeiten gab. Unzugängliche Orte und gewaltige Steigungen mußte sie überwinden, also daß sie trotz ihres Gewichtes und Alters große Strecken Fuß zurücklegen mußte. Aber schließlich kam sie zum Ziel. Nur blieb fast ihr gesamter Troß an Dienern und Pferden auf der Strecke liegen, und so gelangte sie mit nur einem Knecht und einer Magd in Serrance an, wo sie gastlich bei den Mönchen Aufnahme fand.

Zwei französische Edelleute, die den Badeort nur aufgesucht hatten, um die Damen zu begleiten, denen sie den Hof machten, waren auch dabei, als die Gesellschaft sich trennte. Da die Gatten mit ihren Frauen einen eigenen Weg einschlugen, beschlossen die beiden Herren, ihnen von weitem zu folgen, ohne etwas darüber verlauten zu lassen.

Doch eines Abends kamen die beiden Ehemänner mit ihren Frauen zum Haus eines Mannes, der mehr Bandit als Bauer war, und suchten dort Unterkunft. Die jungen Edelleute mieteten sich im Nachbarhause ein.

Plötzlich, um Mitternacht, vernahmen sie nebenan gewaltigen Lärm. Schnell sprangen sie auf, und mit ihnen die Diener. Sie fragten ihren Wirt, was der Lärm bedeute. Der arme Kerl zitterte selbst vor Angst und erklärte, das sei schlimmes Gesindel, das von dem Gefährten, jenem Banditen, sein Beuteteil verlange. Nun griffen die Edelleute flugs zu den Waffen und eilten mit ihren Dienern den Damen zu Hilfe. Denn lieber wollten sie für sie sterben, als ihren Tod überleben. Als sie in das Gasthaus kamen, fanden sie schon die erste Tür erbrochen und die beiden Ehemänner nebst ihren Dienern in mutigem Verteidigungskampfe. Doch die Banditen waren bei weitem in der Übermacht, die Herren selbst schon verwundet, ein Teil der Diener gefallen, so daß sie zu weichen begannen. Durch die Fenster erblickten die beiden Edelleute die Frauen, so erbärmlich weinten und erschrecklich jammerten und schrien. Da schwoll ihr Herz vor Mitleid und Liebe, und wie zwei wütende Bären vom Berge herab stürzten sie sich auf die Banditen und hieben dergestalt wild auf sie ein, daß ihrer ein großer Teil fiel, der Rest ohne Zaudern davonlief. Auch der Wirt war gefallen, und die Wirtin, die, wie sie hörten, noch schlimmer war als er, wurde durch einen Degenstich ihm ins Jenseits nachbefördert. In der niederen Stube fanden sie den einen Ehemann im Sterben. Der andere war gut davongekommen, nur sein Gewand war von Dolchstichen zerfetzt und sein Degen zerbrochen. Er dankte ihnen für ihre Hilfe, umarmte sie und bat, ihn nicht mehr zu verlassen. Dazu waren sie gern bereit.

Alsdann begruben sie den toten Edelmann, trösteten nach Vermögen sein Weib und machten sich aufs Geradewohl wieder auf den Weg. Wollt ihr nun die Namen erfahren, so wisset: der Ehemann hieß Hircan, seine Frau Parlamente, die verwitwete Dame Longarine, die beiden jungen Herren Dagoucin und Saffredant. Nachdem sie einen ganzen Tag im Sattel verbracht hatten, erblickten sie gegen Abend einen Glockenturm. So gut es ging, doch nicht ohne Beschwer, gelangten sie zu dem Kloster und wurden vom Abt und den Mönchen gastlich empfangen. Die Abtei hieß Saint-Savin; der Abt stammte aus einer angesehenen Familie. Er brachte sie trefflich unter, führte sie alsdann in seine Wohnung und fragte sie nach ihren Erlebnissen. Als er alles gehört hatte, versicherte er ihnen, sie seien nicht die einzigen, denen es so ergangen sei. In einem anderen Zimmer befänden sich zwei Damen, die einer fast noch schlimmeren Gefahr knapp entronnen seien, denn eine halbe Meile von Pierrefite seien die ärmsten von einem Bären angefallen worden. Vor dem seien sie so schnell davongejagt, daß die Pferde tot unter ihnen zusammenbrachen, als sie hier angelangt wären. Viel später wären auch noch zwei ihrer Mägde eingetroffen und hätten erzählt, daß der Bär die ganze übrige Dienerschaft getötet habe.

Daraufhin suchten alle die beiden Damen in ihrem Zimmer auf und fanden sie in Tränen aufgelöst. Sie hießen Nomerfide und Emarsuitte. Nach vielen Umarmungen wurden alle Erlebnisse ausgetauscht. Der Abt wies sie in trostreichen Worten darauf hin, daß sie sich ja nun also wiedergefunden hätten, und so gewannen sie allmählich die Fassung wieder. Voll Hingebung wohnten sie tags darauf der Frühmesse bei und priesen Gott für ihre Rettung. Doch plötzlich stürzte ein Mann, nur mit einem Hemd bekleidet, in die Kirche und schrie laut um Hilfe. Sofort eilte Hircan mit den andern Edelleuten zu ihm, um zu sehen, wer ihn verfolge und erblickte zwei Männer mit gezückten Degen. Die wollten vor so vielen Kämpen eilends flüchten. Doch jene drangen auf sie ein, also daß sie ihr Leben lassen mußten. Und als nun Hircan zurückkehrte, erkannte er in dem Mann im Hemd einen seiner Gefährten, namens Guebron. Der erzählte, er habe in einem Landhäuschen bei Pierrefite Unterkunst gefunden. Als er im Bett lag, seien drei Männer in sein Zimmer gedrungen. Einzig geschützt durch seinen Degen habe er den einen der drei tödlich getroffen und sich dann, während die beiden ihren Gefährten plünderten, klargemacht, daß sein Heil vor diesen wohlgewappneten Burschen nur in der Flucht lag, um so mehr, als er unbekleidet leichtfüßiger war. Dann pries er Gott und seine Rächer.

Nach der Messe und dem Mittagsmahl erfuhren sie, daß die Gave noch unpassierbar war, und gerieten in tiefe Sorge. Doch der Abt drang in sie, zu bleiben, bis das Wasser gesunken sei, und das nahmen sie für diesen Tag an. Als sie abends schlafen gehen wollten, kam ein Mönch, der berichtete, er sei der Überschwemmungen wegen über die Berge gekommen und habe nie je so ungangbare Wege erlebt. Doch etwas Trauriges sei ihm widerfahren, denn er habe einen Edelmann, Simontault, getroffen. Der hätte das Sinken des Wassers nicht abwarten, sondern den Übergang erzwingen wollen. Im Vertrauen auf sein gutes Pferd hieß er seine Diener, ihn zu umkränzen und die Strömung zu hemmen. Aber in einem scharfen Strudel wurden diese auf Nimmerwiedersehen fortgerissen, weil sie schlecht beritten waren. Als der Edelmann sich allein sah, kehrte er um, und Gott wollte, daß er zwar reichlich Wasser schlucken mußte, doch endlich todesmatt auf allen Vieren das steinige Ufer erklimmen konnte. Dort stand ihm ein Hirt bei, der ihn gegen Abend fand, als er durchnäßt dasaß und traurig über den Untergang all dieser Leute brütete. Der Hirt begriff bei seinem Anblick und seinen Worten seine Hilfsbedürftigkeit, nahm ihn mit in seine Hütte und trocknete ihn vor einem armseligen Feuer nach Möglichkeit. Und am gleichen Abend kam auch der Mönch herzu und wies ihm den Weg nach Notre-Dame de Serrance, wo er bestmögliche Unterkunft und zudem in einer alten Wittib, namens Oisille, eine Leidensgefährtin finden konnte.

Voller Freuden hörte die Gesellschaft von der guten Frau Oisille und dem wackeren Simontault berichten. Sie lobten alle Gott, der sich mit den Dienern begnügt und die Herrschaften gerettet hatte, und zumal Parlamente lobte ihn von Herzen, denn einstmals war sie diesem Ritter gar wohlgewogen gewesen. Schnell erkundete man den Weg nach Serrance, obgleich der Greis ihn als gar beschwerlich geschildert hatte, und gleich am nächsten Tage brachen sie, mit allem wohl versehen, auf. Mehr zu Fuß als zu Roß und schweißbedeckt erreichten sie schließlich das Kloster, und aus Furcht vor ihrem Beschützer, dem Herrn von Béarn, wagte der Abt ihnen eine Unterkunft nicht zu verweigern, obgleich er sonst nicht gerade gutherzig war. Er bemühte sich, freundlich zu erscheinen, und führte sie schließlich zu der wackeren Oisille und dem edlen Simontault. Die Freude all dieser Gefährten, die sich auf so schier wunderbare Weise wiedergetroffen hatten, war derart groß, daß ihnen die Nacht zu kurz schien für die Lobgesänge, die sie Gott zum Preise seiner erzeigten Gnade anstimmten. Kaum hatten sie gegen Morgen etwas der Ruhe gepflegt, so eilten sie schon zur Messe und flehten den, der sie vereint hatte, um die Gunst an, die Reise ihm zum Ruhme glücklich vollenden zu dürfen.

Nach der Mahlzeit erfuhren sie durch ausgeschickte Boten, daß die Fluten eher geschwollen denn gefallen waren, und beschlossen nun, zwischen zwei nahestehenden Felsen eine Brücke zu schlagen. Noch heute gibt es dort Planken für Fußgänger, die trockenen Fußes von Oleron her die Gave überschreiten wollen. Gern stellte ihnen der Abt die nötigen Arbeiter. Denn so sparte er die Kosten und hatte zu hoffen, daß dann mehr Pilger und Bauern das Kloster besuchen würden. Selbst gab er keinen Heller her, denn sein Geiz war unerbittlich.

Da nun die Arbeiter versicherten, die Brücke könne vor zehn oder zwölf Tagen nicht fertig werden, so begann die Gesellschaft, so Männer als Frauen, sich zu langweilen. Aber Hircans Weib, Parlamente, war nie müßig oder trübselig. Sie erbat von ihrem Gatten die Erlaubnis zu reden und sagte zu Oisille, der alten Dame: »Ich bin baß erstaunt, daß Ihr, edle Frau, die Ihr also erfahren seid und gleichsam Mutterstelle bei den Damen hier vertretet, keinerlei Kurzweil bedenkt, um all die Langeweile für die Dauer unseres Aufenthaltes zu bannen. Sicherlich laufen wir Gefahr, krank zu werden, wenn wir keine vergnügsame und tugendliche Beschäftigung finden.« Und Longarine, die junge Wittib, fügte hinzu: »Schlimmer noch: wir werden unheilbar verdrießlich werden. Denn jeder von uns hat Grund zu schlimmster Trübsal, wenn er seine Verluste erwägt.« Emarsuitte warf lachend dazwischen: »Nicht jede hat gleich Euch den Gatten verloren, und der Verlust der Dienerschaft ist nicht zum Verzweifeln, maßen sie zu ersetzen ist. Immerhin teile ich die Ansicht, daß man eine Kurzweil ausdenken sollte, die uns die Zeit möglichst vergnüglich vertreibt.« Ihre Gefährtin Nomerfide stimmte bei, denn, meinte sie, ein Tag ohne Zeitvertreib könne sie umbringen, und alle die Edelleute schlossen sich der Bitte an, Frau Oisille möge ihnen Vorschläge machen. Worauf jene erwiderte:

»Was fordert ihr doch für schwierige Dinge von mir, meine Kinder. Eine Kurzweil soll ich finden, um euch die Langeweile zu vertreiben. Aber mein Leben lang habe ich danach gesucht und nur eines gefunden: heilige Bücher zu lesen. Darin fand ich wahre und vollkommene Geistesfreude, so Ruhe und körperliche Frische zeitigt. Fragt ihr mich, was mich im Alter so froh und gesund erhält, so erwidere ich: sowie ich aufgestanden bin, nehme ich die Heilige Schrift und lese und erblicke darin den Willen Gottes, der seinen Sohn auf die Erde sandte, um dies heilige Wort und frohe Botschaft zu künden, nämlich die Vergebung der Sünden und Tilgung aller Schuld durch seine Liebe, sein Leiden und seinen Opfertod. Diese Betrachtung gibt mir so viel Freude, daß ich meinen Psalter nehme und, so demütig ich kann, die schönen Psalmen und Gesänge spreche, die der Heilige Geist in Davids und der andern Dichter Herz entstehen ließ. So viel Befriedigung gewinne ich daraus, daß alles Leid, das mir Tag um Tag widerfahren mag, als Segen erscheint, denn gläubig trage ich in meinem Herzen den, der mir es schickt. Und gleichermaßen ziehe ich mich abends nach dem Essen zurück, um meine Seele mit Belehrungen zu speisen; und schließlich lasse ich alle Ereignisse des Tages an meinem Geiste vorüberziehen, bitte für alle Fehler um Verzeihung, danke für die erwiesenen Gnaden und lege mich in der Liebe, der Furcht und dem Frieden des Herrn zur Ruhe nieder, da ich gegen alle Übel gewappnet bin. Das, meine Kinder, ist meine Kurzweil, und befriedigendere habe ich trotz langen Suchens nicht gefunden. Wolltet ihr allmorgendlich eine Stunde also lesen und während der Messe inbrünstig beten – sicher würdet ihr in dieser Öde all die Schönheit finden, so die Städte bieten können. Denn wer Gott kennt, findet alles in ihm schön, alles außer ihm häßlich. Drum befolgt meinen Rat, wenn ihr froh leben wollt.«

Nun nahm Hircan das Wort und sprach: »Alle, die wir die Heilige Schrift gelesen haben, edle Frau (und sicher gibt es keine Ausnahme unter uns), alle gestehen wir gern, daß Ihr wahr sprachet. Doch schaut, wir sind noch nicht so gebrechlich, um Zeitvertreib und körperliche Übung entbehren zu können. Daheim haben wir Jagd und Vogelfang, die alle dummen Gedanken vertreiben und fernhalten. Die Frauen haben ihren Hausstand, ihre Arbeit und bisweilen eine Tanzgelegenheit, an der sie in allen Ehren teilnehmen. So muß ich, wenigstens in der Männer Namen, sagen: Ihr, als älteste unter uns allen, lest uns morgens vor, welch Leben unser Herr Jesus Christus führte und welch erhabene und wundervolle Werke er für uns vollbrachte. Doch nach dem Mittagsmahle bis zur Vesperstunde müssen wir eine Kurzweil treiben, die unserm Leibe behagt und unserer Seele nicht schadet. Und solchermaßen werden wir den Tag froh verbringen.«

Frau Oisille entgegnete, sie gäbe sich so viel Mühe, alle Eitelkeiten des Lebens zu vergessen, daß sie gewißlich nichts Geeignetes finden würde. Man solle die Stimmenmehrheit entscheiden lassen und Hircan seine Meinung zuerst äußern. Der sprach: »Ich meinesteils wäre schnell entschieden, wenn es gälte, eine Kurzweil zu finden, die einer Gefährtin gleichermaßen vergnüglich wäre wie mir. Drum will ich vorderhand schweigen und hören, was die andern meinen.« Parlamente, sein Weib, wurde rot, denn sie bezog die Bemerkung auf sich. Halb zornig, halb lachend rief sie: »Hircan, – vielleicht weiß jene, die Ihr durch Eure Worte am meisten zu betrüben vermeintet, recht wohl, wie sie Euch das vergelten kann, wenn es ihr beifällt! Doch wir wollen nun Zeitvertreibe, daran nur zwei zugleich teilnehmen können, beiseite lassen und von gemeinsamen Beschäftigungen reden.« Nun wandte sich Hircan an alle Damen: »Da meine Frau so wohl den Sinn meiner Worte verstanden hat, so wird sie, meine ich, auch besser als jeder andere zu sagen wissen, was uns allen Freude schaffen würde. Drum bin ich von Stund‘ an ohnbedingt ihrer Meinung.« Alle stimmten zu, und Parlamente, die sah, daß das Los auf sie gefallen war, hub also an:

»Hielte ich mich für fähig, gleich den Alten, die der Künste viele ersannen, ein neues Spiel zu erfinden, ich tät’s, um die übertragene Aufgabe zu erfüllen. Doch maßen ich mich angesichts meiner Kenntnisse und Gaben kaum der Dinge erinnern kann, die schon von andern geleistet wurden, so bin ich froh, dem Beispiel derer folgen zu können, die schon eine der euren ähnliche Aufgabe lösten. Sicher gibt’s zum Beispiel keinen unter euch, der nicht Boccaccios ›Hundert Novellen‹ las, von deren Übersetzung ins Französische der Allerchristliche König Franz, seines Namens der erste, der Herr Dauphin, dessen hohe Gemahlin und die Prinzessin Margarete so viel des Lobes gesagt haben, daß davon Boccaccio sicherlich wieder auferstanden wäre, wenn er es in seinem Grabe vernommen hätte. Dermalen hörte ich jene hohen Frauen und andere Hofleute darüber beratschlagen, wie man gleiches zustande bringen könne, in einem nur von Boccaccio verschieden: jegliche dieser Novellen sollte ausschließlich wahre Vorfälle behandeln. Vor allen entschlossen sich jene Damen und mit ihnen der Herr Dauphin, jedweder wolle zehn Geschichten schreiben und zudem wollte man – unter Ausschluß aller, die den Wissenschaften und der Schriftstellerei oblägen – die fähigsten Erzähler wählen, bis sie insgesamt zehn an der Zahl wären. Denn der Herr Dauphin wollte keinesfalls, daß Kunstinteressen sich einmischten und die schöne Phrase irgendwie die geschichtliche Wahrheit beeinflusse. – Seitdem haben große Ereignisse den König in Anspruch genommen, der Friedensschluß mit dem König von Engelland, die Niederkunft der hohen Gemahlin des Dauphin und andere wichtige Vorfälle beschäftigten den Hof, und so geriet jenes Vorhaben in Vergessenheit. Wir aber können es wohl durchführen, während wir die Herstellung der Brücke erwarten. Und wenn es euch behagt, vom Mittag bis vier Uhr diese schöne Wiese aufzusuchen, die an den Ufern der Gave sich hinbreitet, und wo also dichtbelaubte Bäume stehen, daß der Sonne Strahl nicht durchzudringen vermag, noch des Haines Kühle zu verjagen: so wollen wir hier, behaglich hingelagert, jedweder eine Geschichte erzählen, die wir entweder selbst erlebt oder von vertrauenswürdiger Seite gehört haben. In zehn Tagen kann das Hundert voll sein. Und wenn es Gott fügt, daß unser Werk Gnade finden könnte vor jenen Herrschaften, so wollen wir es ihnen nach unserer Rückkunft unterbreiten. Ich kann die Versicherung geben, daß ihnen dieses Geschenk genehm wäre. Sollte indessen jemand unter uns eine bessere Kurzweil finden, so will ich mich dem gern anschließen.«

Doch die ganze Gesellschaft vermeinte, unmöglich besseres ersinnen zu können, und man konnte schier den nächsten Tag nicht erwarten, um zu beginnen. So verbrachten alle diesen Tag guter Dinge und plauderten untereinander von ihren Erlebnissen. Kaum brach dann der neue Morgen an, so eilten sie zur Stube der Frau Oisille. Die gute Dame war schon in Gebete versunken. Man lauschte ihren Worten eine gute Stunde, dieweil sie las, besuchte dann andächtig die Messe und ging um zehn Uhr zu Tisch. Danach kehrte jeder in sein Zimmer zurück, um dem seinigen vorzusehen, und pünktlich um zwölf Uhr fanden sich alle auf der Wiese ein, wie vereinbart war. Dort war es also schön und vergnüglich, daß es eines Boccaccio bedürfte, um die Wahrheit zu treffen – genug, es war schier ohnegleichen. Als alle auf dem grünen Pflanzenbette hingelagert waren, das sich weich und zart hinbreitete und jeglichen Pfühl entbehrlich machte, hub Simontault also an:

»Wer von uns wird die Oberleitung über uns alle übernehmen?« – »Da Ihr zuerst sprachet,« meinte Hircan, »so möget Ihr auch die Leitung haben; denn im Spiel sind wir alle einander gleichgestellt.« – »Gebe Gott,« rief Simontault, »daß mir so Herrliches beschieden wurde, euch allen hier befehlen zu dürfen.« Parlamente verstand ihn recht wohl und hüstelte, damit Hircan die ihr aufsteigende Röte nicht merkte. Der sprach zu Simontault: »So beginnt mit einer schönen Geschichte, und alle werden Eueren Worten lauschen.« Darob hub jener an:

»Meine Damen, für langes Liebeswerben bin ich schlecht gelohnt worden. So will ich aus Rache für jene, die so grausam war, von üblen Streichen plaudern, die armen Männern von den Frauen gespielt wurden. Ich werde wahrhaftig sein und die lautere Wahrheit berichten.«

Achtzehnte Erzählung


Eine schöne junge Dame erprobt die Treue eines ihr ergebenen Jünglings, bevor sie ihm ihre Liebesgunst gewährt.

»In einer schönen Stadt Frankreichs lebte ein Jüngling aus edlem Hause, der die Hochschule besuchte, um sich alles Wissen anzueignen, das ihn zu Ehre und Ansehen führen könnte. Obgleich er bald also gelehrt war, daß er trotz seiner siebzehn oder achtzehn Jahre alle andern an Kenntnissen überstrahlte, so fand Amor doch die Möglichkeit, sich neben all dieser Gelehrtheit einen Platz in seinem Herzen zu sichern, und um leichter zum Ziele zu kommen, barg er sich hinter dem Angesicht und den Blicken der schönsten Frau des ganzen Landes, die ob eines Prozesses in jene Stadt gekommen war. Bevor Amor aber versuchte, den Jüngling durch die Anmut jener Dame völlig zu besiegen, eroberte er zuerst ihr Herz, indem er ihr des Edelmannes Vollkommenheit enthüllte. Denn wahrlich: an Schönheit, Anstand, Klugheit und Beredsamkeit hatte dieser nirgends seinesgleichen. Unter diesen Umständen war es nicht verwunderlich, daß bald alles Denken und Sinnen der beiden von Liebe zueinander durchglüht war. Doch ob seiner Jugend ging der Jüngling seinem Ziele nur zaghaft und zögernd nach. Zwar bedurfte es bei der Dame auch keinerlei stürmischen Drängens; immerhin hütete sie sich in fraulicher Schamhaftigkeit sehr, ihre Bereitwilligkeit zu verraten. Am Ende aber ward die Festung, hinter der sich ihre Ehrenhaftigkeit verschanzte, also verheert, daß die Ärmste ihrer inneren Überzeugung folgte und kapitulierte. Nur wollte sie seine Geduld und Festigkeit erproben und sicherte ihm zu: falls er ihre schweren Bedingungen erfülle, wolle sie ihm ganz gehören – andernfalls aber würde er sie nie im Leben mehr wiedersehen. Und zwar wolle sie, daß beide sich, bis aufs Hemd entkleidet, in ein Bett legten und zusammen plauderten, ohne daß er weiteres von ihr verlange als höchstens noch hie und da einen Kuß.

Ihm schien, daß nichts dem Glücke gleichkommen könne, das ihm alsdann in Aussicht stand, und so sagte er zu; also daß er an besagtem Abende ihre Bedingung erfüllte und trotz aller Zärtlichkeit von ihrer Seite nicht um die Welt sein Versprechen brach. Und obgleich er schier die Qualen des Fegefeuers durchmachte, war seine Liebe und seine Hoffnung dennoch so stark (maßen er fest erwartete, hierdurch einen dauernden Liebesbund zu schaffen), daß er sich in Geduld faßte und sich schließlich erhob, ohne den geringsten Versuch zu kühneren Schritten gemacht zu haben.

Die Dame war begreiflicherweise mehr verblüfft denn zufrieden mit diesem Erfolge und kam flugs auf den Gedanken, daß seine Liebe wohl gar nicht so groß sei als sie vermeinte, oder daß er in ihr enttäuscht worden sei. Daher beachtete sie seine Geduld und Ehrenhaftigkeit keineswegs und beschloß vielmehr, ihn auf eine andere Probe zu stellen, bevor sie ihr Versprechen hielte. Zu diesem Zwecke bat sie ihn, einem Mägdelein ihrer Umgebung, das jünger war als sie und wirklich schön, eifrigst den Hof zu machen, damit es schiene, als ob seine häufigen Besuche in ihrem Hause jenem Mädchen gälten und nicht ihr.

Maßen der Jüngling überzeugt war, daß sie ihn nicht minder liebe als er sie, so gehorchte er ihr aufs Wort und zwang sich, ihr zu Gefallen dem Mägdelein Liebesgeständnisse zu machen. Und da er so schön und wohlberedt war, geschah es, daß das Mädchen seinen Worten traute und ihm ihr ganzes Herz schenkte, gleich als ob er sie wirklich liebte. Als die Herrin sah, wie glatt das ging, ohne daß jener aufhörte, sie zu bestürmen, bewilligte sie ihm für ein Uhr nachts eine Zusammenkunft, sintemalen sie seine Ergebenheit und Liebe hinreichend erprobt hätte und ihn nunmehr für seine Geduld belohnen wolle.

Der war außer sich vor Freuden und erschien natürlich zur vereinbarten Stunde am Platze. Die Dame aber wollte die Kraft seiner Gefühle des ferneren erproben und sagte zu jenem Mägdelein: ›Ich weiß wohl, wie ein gewisser Herr Euch zugetan ist, und glaube, daß Ihr seine Gefühle nicht minder heiß erwidert. Da nun mein Mitgefühl groß ist, will ich euch Gelegenheit geben, euch nach Belieben miteinander zu ergetzen.‹ Das Mädchen wußte sich vor Freuden nicht zu beherrschen und entgegnete, sie sei gern bereit. Alsbald horchte sie auf den Rat ihrer Herrin, entkleidete sich und legte sich allein in das Bett eines Zimmers, dessen Tür ihre Herrin offen ließ und in dem sie zudem noch eine Kerze ansteckte, auf daß des Mägdeleins Schönheit so recht offenbar würde. Hierauf tat die Dame, als verließe sie die Stube, und verbarg sich nahe dem Bett so wohl, daß man sie nicht erblicken konnte.

Der bedauernswerte Jüngling kam inzwischen in der Hoffnung, gemäß ihres Versprechens seine Herrin zu finden zur angegebenen Stunde so sachte als möglich in die Stube hinein. Nachdem er die Tür wohl verschlossen hatte, schlüpfte er aus seinen Kleidern und gefütterten Stiefeln und glitt in das Bett, wo er die Ersehnte zu finden vermeinte. Kaum aber streckte er seine Arme aus, um seine Herrin zu umsahen, da schlang ihm das Mägdelein die ihren um den Hals, maßen sie ihn nun ganz zu besitzen glaubte, und sagte ihm so viel liebe Worte und enthüllte ihm so viel Schönheit, daß der verschlossenste Einsiedler darob seine Paternoster verlernt hätte. Der Jüngling aber hatte nicht sobald begriffen, daß jenes weder die Geliebte noch ihre Stimme war, so trieb die gleiche Liebe, die ihn so flink ins Bett gelockt hatte, ihn auch Hals über Kopf wieder hinaus, und voll Entrüstung – gleichermaßen über die Dame wie über das Mägdelein – sprach er zu diesem: ›Weder Eure Tollheit noch die Eurer Herrin, die Euch boshafterweise in jenes Bett steckte, können mich anderen Sinnes machen; sorget daher Eurerseits, sittsam zu bleiben, ich meinesteils werde Euch Eure Tugend nicht rauben.‹ Und damit stürmte er über die Maßen zornig aus der Stube und kam lange Zeit hindurch nicht mehr in das Haus seiner Geliebten.

Maßen jedoch die Liebe immer neue Hoffnungen gibt, so sagte er sich, daß eine geduldige, langerprobte Treue nur desto größere und nachhaltigere Freuden mit sich bringt. Und in der Tat war die Dame von der Größe und Festigkeit seiner Liebe so beglückt (indem sie doch seine letzten Worte mitangehört hatte), daß es sie sehnlichst verlangte, ihn wiederzusehen und ob der Pein jener Prüfungen um Verzeihung zu bitten. Als sie ihn daher endlich wiedersah, sprach sie so viel gute und liebe Worte zu ihm, daß er nicht nur bald alle überstandenen Leiden vergaß, sondern ihrer sogar in Freuden gedachte, sintemalen sie diesen Liebesbund gefestigt hatten und also zum besten ausgeschlagen waren. Und von Stund an genoß er ohne Hindernis noch Mißklang alle Freuden, die er sich nur wünschen konnte.

Nun nennet mir bitte eine Frau, die gleich ausdauernd, geduldig und ehrlich in Liebe gewesen ist wie jener Jüngling! Solchen Verführungen gegenüber erscheinen doch die Versuchungen des heiligen Antonius schier unbedeutend. Denn gegen so viel Keuschheit und Geduld vor Frauenhuld und Liebesglück vermögen selbst Teufel nichts auszurichten.« »Wie schade,« rief Oisille, »daß er es nicht mit einer Frau zu tun hatte, die ihm an Tugend gleich war – das wäre fürwahr der vollkommenste Liebesbund geworden, von dem ich je gehört habe.« Alsbald fragte Guebron: »Welche Prüfung haltet ihr in diesem Fall für die schwerste?« – »Die letzte, scheint mir,« entgegnete Parlamente, »denn der Unwille ist die allerschlimmste Versuchung.« Longarine hingegen meinte, die erste, die da verlangte, daß er gleichermaßen seine Liebe und sich selber überwand, sei schwerer gewesen. Darauf entgegnete Simontault: »Darüber könnt ihr nicht mitreden; denn das muß man selbst erprobt haben. Ich nun finde die erste Probe verrückt, die zweite dumm. Denn als er sein Versprechen hielt, litt sie größere Qual als er. Sie ließ ihn jenes Versprechen geben, um sich tugendhafter zu stellen als sie war, und war sicher, daß starke Liebe sich an solche Schwüre nicht kehrt. Im zweiten Falle war er reichlich dumm, das Mägdelein zu lassen, die ihn liebte und mehr wert war als ihre Herrin, die ihm doch anderes zugeschworen hatte. Zudem hatte er in seinem Unwillen eine recht gute Entschuldigung.«

Dagoucin suchte das Gegenteil zu beweisen, aber Saffredant unterbrach ihn und sagte: »Und wer sagt uns denn, daß er nicht zu jenen bekannten kühlen Naturen gehörte?! Hircan hätte in den Lobsprüchen erwähnen müssen, ob er sich denn wacker zeigte, als er das Gewünschte erlangt hatte. Dann erst könnten wir beurteilen, ob Tugend oder Unvermögen ihn so weise erscheinen ließ.« – »Beruhigt Euch,« meinte der, »ich kenne ihn recht gut und kann Euch versichern, daß Unvermögen oder Kälte keine Rolle bei ihm spielte.« – »Dann«, rief Simontault, »mußte er seinen Schwur brechen. Denn wäre die Dame auch ob solcher Kleinigkeit etwas in Zorn geraten, so wäre sie doch leicht wieder von ihm beruhigt worden.« – »Vielleicht aber wollte sie ihn damals gar nicht,« entgegnete Emarsuitte. – »War er denn nicht stark genug,« rief Saffredant, »sie zu überwältigen, da sie ihm doch genügend Handhaben gegeben hatte!« – »Heilige Maria,« entsetzte sich Nomerfide, »ist das eine Art! Soll man etwa so die Gunst einer Frau erringen, die man für ehrbar und tugendhaft hält?!« Doch Saffredant fuhr fort: »Meines Erachtens kann man einer Frau, die man also begehrt, gar keine größere Ehre antun, als daß man sie mit Gewalt nimmt. Ein Zöflein läßt sich lange bitten, andere wollen zuvor viele Geschenke, noch andere sind zu dumm, als daß man sich ihretwegen auch nur den Kopf zerbricht. Eine Frau aber, die zu klug ist, als daß man sie täuschen könnte, zu ehrenhaft, als daß Worte oder Geschenke etwas verschlagen, – die verdient, daß man kein Mittel unversucht läßt, das zum Siege führen könnte. Hört ihr daher, daß jemand eine Frau mit Gewalt genommen hat, so seid sicher, daß ihm jede andere Möglichkeit verschlossen war; darum schätzt ihn nicht minder ein, maßen er doch um seiner Liebe willen sein Leben wagte.«

Nun mußte Guebron lachen und erklärte: »Einst sah ich Festungen erstürmen, da weder Drohungen noch Geld zum Ziel führte. Eine Feste, die in Verhandlungen eintritt, ist schon halb genommen.« – »Mir scheint,« sprach Emarsuitte, »daß alle Liebe auf solche Torheiten hinausläuft. Und doch gibt’s Menschen, die lieber und in allen Ehren harren, ohne solche bedauerlichen Wünsche zu hegen.« – »Kennt Ihr diesbezüglich eine Geschichte, so gebe ich Euch das Wort,« sagte Hircan.

»Wohl kenne ich eine,« entgegnete Emarsuitte, »und will sie folglich gern erzählen.«

Neunzehnte Erzählung


Zwei Liebende geben alle Hoffnung einer Ehe verloren und gehen darob ins Kloster: der Jüngling nach Saint-François, das Mägdelein nach Saint-Claire.

»Der Markgraf von Mantua war bekanntlich mit einer Schwester des Herzogs von Ferrara vermählt. Nun lebte in dem Hause der Herzogin eine junge Dame mit Namen Pauline, die von einem Edelmann des Markgrafen geliebt wurde. Die Größe seiner Gefühle setzte alle Welt in Erstaunen, zumal er arm war und in Anbetracht seiner Anmut und der Gunst seines Herrn wohl eine reiche Dame heiraten sollte. Doch Pauline schien ihm der größte Schatz der Welt, den er durch die Ehe zu erwerben gedachte. Maßen hinwiederum die Markgräfin eine reiche Heirat für Paulinen im Auge hatte, verabscheute sie den Edelmann nach Kräften, hinderte die beiden oft, miteinander zu reden, und hielt ihnen vor, wie elend es ihnen gehen würde, wenn sie miteinander vermählt wären. Das vermochte den Edelmann in seinem Vorsatze nicht zu erschüttern. Pauline ihrerseits barg zwar nach Möglichkeit ihre Neigung, doch baute sie nicht minder fest darauf.

Während so manche Zeit verging und beide auf eine Wendung zum Besseren hofften, brach ein Krieg aus, in dem der Edelmann gefangengenommen wurde und mit ihm ein französischer Edelmann, der gleichermaßen wie jener verliebt war, aber in eine Französin. Da sie sich als Leidensgefährten erkannten, tauschten sie auch ihre Herzensgeheimnisse aus. Der Franzose gestand aber nicht, wo sein Herz gefangen lag, hingegen wußte er als Manne des Markgrafen gar wohl, daß jener Paulinen liebte, und riet ihm zu seinem Besten, diesen Plan aufzugeben. Worauf der Edelmann sich verschwor: Wenn der Markgraf ihm nicht als Entschädigung für diese Gefangenschaft seine Freundin zum Weibe gäbe, wolle er Franziskaner werden und fürder Gott allein dienen. Das wollte sein Gefährte nicht glauben, da er außer jener Ergebenheit für Paulinen keinerlei besondere Zeichen von Frömmigkeit bei ihm bemerkt hatte.

Nach neun Monaten wurde der französische Edelmann in Freiheit gesetzt und erreichte, daß auch sein Gefährte frei kam. Alsdann betrieb er bei dem Markgrafen und dessen Gemahlin die Ehe desselben mit Paulinen, doch erreichte er nichts; denn sie hielten ihm die Armut der beiden und den Widerspruch der beiderseitigen Verwandten vor und verboten am Ende gar, daß sie miteinander redeten. Als der Liebende sah, daß er gehorchen mußte, bat er die Markgräfin um die Erlaubnis, von Pauline Abschied nehmen zu dürfen. Das wurde ihm verstattet. Und zur vereinbarten Stunde hub er also an: ›Ihr seht, Pauline, wie alle wider uns kämpfen und uns also im Herzen verwundet haben, daß nun unsere Körper dahinwelken werden. Sie wollen uns reich verheiraten – als ob nicht der wahre Reichtum in der Zufriedenheit liegt. Sicherlich wären sie nicht so hart zu uns gewesen, uns selbst das Sprechen miteinander zu verbieten, wenn wir uns nicht hätten heiraten wollen. So aber kann ich ihnen fürder nicht mehr dienen. Wie ich mich nun schon seit längerem entschlossen habe, werde ich Mönch werden – nicht, weil ich bezweifle, daß man sich in einem andern Stand auch aufrechterhalten kann. Doch will ich in mich gehen, und wenn Gott mir die Erkenntnis der geistigen Dinge gnädig verleiht, will ich allezeit für Euch beten. Gedenket bitte auch Ihr meiner in Euren Gebeten, und maßen Ihr mich nun als Euren Bruder betrachten dürft, gestattet mir, Euch zu küssen.‹

Als die arme Pauline, die sonst recht streng gegen ihn gewesen war, seines namenlosen Leides inne ward und seinen Wunsch in diesem Augenblick sehr ehrbar fand, schlang sie ohne weitere Antwort ihre Arme um seinen Hals und weinte so ergriffen und bitterlich, daß Kraft und Besinnung von ihr schwand und sie bewußtlos in seinen Armen niedersank. Und vor Mitleid, Liebe und Leid ward auch er ohnmächtig. So mußte eine Gespielin, welche die beiden niederstürzen sah, um Beistand rufen, und nur mit allerlei Duftwässern brachte man sie wieder zu sich.

Alsbald schämte sich Pauline über die Maßen, da sie ihre Liebe immer verhehlt hatte und nun gewahrte, wie sie deren leidenschaftliche Glut verraten hatte. Doch mochte das Mitleid mit dem armen Edelmann als Entschuldigung dienen. Weil es ihr jedoch unmöglich war, ein Lebewohl auf immerdar zu sagen, so ging sie eilig mit zusammengebissenen Zähnen und gepreßten Herzens hinaus, warf sich in ihrem Zimmer schier entseelt aufs Bett und verbrachte die Nacht in so jämmerlichen Klagen, daß die Dienerschaft glauben konnte, sie habe Eltern, Freunde und all ihr Liebstes auf Erden verloren.

Am Tage darauf befahl der Edelmann sich Gott, nahm nur weniges Geld an sich, verteilte seine sonstige Habe an seine Diener und ging ohne Begleitung davon zum Kloster Observance. Dort bat er, eingekleidet zu werden. Aber der Pförtner, der ihn von Ansehen kannte, vermeinte zuerst, er spaße. Denn ob seiner Vorzüge paßte wohl niemand weniger zum Mönche als er. Als man jedoch die Zähren gleich Bächen über seine Wangen fließen sah, nahm man ihn freundlich auf und kleidete ihn auf seinen demütigen Wunsch schließlich ein. Und als der Markgraf und seine Gemahlin das erfuhren, waren sie so verwundert, daß sie es kaum glauben mochten.

Pauline verbarg indessen nach Möglichkeit ihr Leid, also daß man vermeinte, sie habe ihren edlen Diener bald vergessen. Und so vergingen fünf oder sechs Monate. Da wurde ihr von einem Geistlichen ein Lied gezeigt, das ihr Freund bald nach seinem Eintritt in das Kloster verfaßt hatte. Es lautete etwa so:

Was wird sie sagen,
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?

Wehe, von Bangen,
Trübsal umfangen
Wird sie schweigen vor tiefem Leid.
Wird gar allein
Und einsam sein.
Wird – zum schwersten schon bereit –
All‘ ihr wildes Weh bedenken,
Und ihr Sinnen wird sich lenken
Hin zur Klostereinsamkeit.

Was wird sie sagen,
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?

Doch was sagt ihr,
Die uns allhier
Stets unser inniges Glück verwehrt,
Wenn ihr gewahrt,
Auf welche Art
Unsere Liebe bleibt unversehrt?

Bittre Reue wird euch plagen,
Weinen werdet ihr und klagen,
Weil ihr also schuldig seid!

Was wird sie sagen?
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?

Selbst wenn sie sehr
Bäten nunmehr,
Uns zu vermählen froh beglückt, –
Nie lockt ihr Wort
Uns mehr hier fort,
Bis der Tod uns still entrückt.

Da ihr grausam Widerstreben
Uns gedrängt ins Klosterleben
Harr’n wir drin nun alle Zeit.

Was wird sie sagen?
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?

Inniges Lieben
Hat mich getrieben
Aus des Lebens eitlem Wahn.
Sei nun mein Hort,
Daß ich hinfort
Gott in Inbrunst zugetan.

Unser Wähnen mag verklingen –
Still verklärt wird es uns bringen
Selige Zufriedenheit.

Was wird sie sagen?
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?

Irdisches Glück,
Weiche zurück,
Schling‘ um uns kein ehern Band!
Ruhmesbegehr
Lockt uns nicht mehr –
Teufelswerk, du bist erkannt!

Und statt sinnlichem Begehren
Wird uns Jesus nun bescheren
Himmlische Glückseligkeit!

Was wird sie sagen?
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?

Komm‘ denn hierher.
Folge nunmehr
Deines treuen Freundes Spur.
Magst ohne Zagen
Die Kutte tragen,
Meidest Menschenfeindschaft nur.

Und aus liebeheißem Streben
Wird gleich Phönix sich erheben
Neue Liebe – Gott geweiht!

Was wird sie sagen,
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?

Als sie abseits in einer Kapelle des langen und breiten dies Lied gelesen hatte, begann sie bitterlich zu weinen und feuchtete das Papier mit ihren Zähren. Hätte sie nicht gefürchtet, ihre Gefühle zu verraten, so wäre sie unverzüglich in ein Kloster gegangen. Doch die Klugheit riet ihr, sich noch einige Zeit zu verstellen, und sie tat dies so wohl, daß man sie schier nicht wiedererkennen konnte. Und so verbrachte sie weitere fünf bis sechs Monate, während deren sie ihre Absicht geschickt verhehlte und sich fröhlich zeigte wie nie.

Eines Tages nun ging sie mit ihrer Herrin in das Kloster Observance, um die große Messe zu hören. Und als dort der Priester mit dem Diakonus zum Hochaltar schritt, kam ihr armer Freund, der seine Probezeit noch nicht beendet hatte, als Kirchendiener vor ihnen her, mit niedergeschlagenen Augen, zwei Stäben in der Hand und in einem seidenen Gewände, das seine Schönheit und Anmut viel mehr hob denn minderte. Des war Pauline so betroffen, daß sie hustete, um die Röte zu verbergen. Ihr Freund erkannte ihre Stimme schier besser als den Klang der Glocken; doch wagte er den Kopf nicht zu wenden, und erst als er an ihr vorbeischreiten mußte, nahmen wider seinen Willen seine Augen den gewohnten Weg. Und indem er Pauline klagevoll anschaute, flammte das Feuer, das er erloschen glaubte, so gar wild in ihm auf, daß er in dem Bestreben, es niederzukämpfen, der Länge nach zu Boden stürzte. Doch fürchtete er, daß die Ursache bekannt würde, und gab an, das Steinpflaster sei an dieser Stelle geborsten, und das sei daran schuld gewesen.

Als Pauline inne ward, daß das Gewand sein Herz nicht gewandelt hatte, und zudem bedachte, er nun schon so lange fort sei, daß jeder meinen könne, sie habe ihn vergessen, entschloß sie sich nunmehr, ihren Wunsch zur Tat werden zu lassen. Und da sie bereits seit vierzehn Monaten alles nötige vorbereitet hatte, bat sie die Markgräfin um die Erlaubnis, die große Messe zu Sainte-Claire zu hören. Da jene nicht wußte, was sie vorhatte, gewährte sie ihr das gern.

Alsbald begab sie sich zunächst zum Franziskanerkloster, ließ ihren Freund herausrufen, und da sie ihn in einer Kapelle traf, sagte sie zu ihm: ›Hätte es meine Ehre erlaubt, so wäre ich gleich nach Euch in ein Kloster eingetreten. Nun ich aber jetzt die Böswilligen irregeführt habe, will ich das gleiche Gewand, das gleiche Leben erwählen wie Ihr. Ist es gut, so wird mich das glücklich machen; ist es schlecht, so unterscheidet es sich doch nicht von dem Euren. Und so wollen wir denn den sterblichen Leib vergessen, den alten Adam abstreifen und nur noch Christus in uns tragen.‹

Ihr heiliger Wunsch beglückte jenen so, daß er sie unter Freudentränen darin bestärkte und ihr sagte, wie froh er sei, sie nun bisweilen wiedersehen zu können, da es ihnen ja auf dieser Welt doch nurmehr verstattet sei, miteinander zu sprechen. Sie würden nun immer vollkommener werden, ein Herz und eine Seele, die von Gottes Güte geschirmt und geleitet würden. Und mit diesen Worten und Freudentränen küßte er ihre Hände. Doch sie neigte ihr Angesicht, also daß sie sich den heiligen Kuß wahrer, christlicher, brüderlicher Liebe gaben.

Dann raffte sich Pauline auf und eilte zum Kloster Sainte-Claire, wo sie aufgenommen wurde und den Schleier nahm. Als die Markgräfin das vernahm, ward sie so betroffen, daß sie es kaum glauben mochte. Dann ging sie tags darauf zum Kloster, um sie umzustimmen. Doch Pauline erwiderte ihr: zwar habe sie vermocht, ihr den Gemahl aus Fleisch und Bein, den Mann, den sie am meisten auf dieser Welt geliebt habe, zu nehmen. So möge sie sich damit begnügen und ihr nicht den zu rauben suchen, der unsichtbar und unsterblich sei.

Da erkannte die Markgräfin ihren festen Vorsatz und schied mit Küssen und Bedauern von ihr. Und fortan lebten Pauline und ihr ergebener Freund in heiliger Frömmigkeit, und sicherlich konnte der, so der Barmherzigkeit Hüter ist, am Ende ihres Lebens zu ihnen gleichwie zu Magdalenen sagen, daß ihre Sünden vergeben seien, da sie viel geliebt hätten, und sie in Frieden dorthin zu sich nehmen, wo der Menschen Verdienst und Wohltat Belohnung findet.

Ihr müßt gestehen, daß ein Mann größere Liebe nicht zeigen kann; und sie wurde so wohl erwidert, daß ich wünschte, alle Männer möchten das erleben.«

»Dann gäbe es noch mehr Narren und Närrinnen als heutzutage,« meinte Hircan. – »Ist es etwa Narrheit,« rief Oisille, »seine ehrsame Jugendliebe alsdann Gott zuzuwenden?« Doch Hircan erwiderte lachend: »Wenn Trübsinn und Verzweiflung lobenswert sind, will ich jene beiden gerne preisen.« – »Was nennt Ihr denn vollkommene Liebe,« fragte Saffredant. »Meint Ihr, der Mann müsse zaghaft die Damen von ferne anbeten?« – »Ich nenne vollkommene Liebe«, – sprach Parlamente, »wenn der Mann in dem geliebten Gegenstande eine Vollkommenheit sucht und selbst so großherzig ist, daß er eher stürbe, denn Unehrenhaftes verlangt. Da unsere Sinne leicht irren, neigen wir dem zu, das Anmut und Lieblichkeit zeigt. Und finden wir das Gesuchte dort nicht, so geben wir uns gleich Kindern mit Kleinigkeiten ab. Wird der Mensch größer, so liebt er lebende Puppen. Dann aber lehrt ihn die Erfahrung, daß es auf der Erde vollkommenes Glück nicht gibt und daß nur der Glaube uns das höchste Gut zeigen kann.«

»Verstünde ich Latein,« entgegnete Simontault, »so würde ich mit Johannes sagen: ›Wer seinen Bruder nicht liebt, den er siehet, wie kann der Gott lieben, so er nicht siehet.‹ Nur die sichtbaren Dinge können uns den Wert des Unsichtbaren erweisen.« – »Jedenfalls wünscht jeder Mensch, der nicht von Lust leben kann, seine Liebe zu zeigen und Gegenliebe zu erfahren,« rief Saffredant. »Auch die innigste Neigung vergeht endlich, wenn sie unerwidert bleibt. Derart habe ich schon wunderbare Dinge erlebt.« – »So tretet bitte an meine Stelle,« entgegnete Emarsuitte, »und erzählet uns von solchen, die dem Leben wiedererstanden sind, weil sie erfuhren, daß ihre Dame ihre Wünsche enttäuschte.«

»Ich fürchte den Damen zu mißfallen,« sagte nunmehr Saffredant, »wenn ich, ein stets ergebener Diener, ohne ausdrücklichen Wunsch von ihren Fehlern spreche. Doch will ich jetzt gehorchen und der Wahrheit gemäß berichten.«

Zwangzigste Erzählung


Ein Edelmann wird unversehens von seiner Liebe zu einer Dame, die ihn allezeit abwies, geheilt, als er sie in den Armen ihres Stallknechtes findet.

»In der Dauphine lebte einst ein Abkömmling des Königshauses, der Herr von Ryant. Der war ein Edelmann von seltenem Anstande und hervorragender Ehrenhaftigkeit. Lange Zeit bereits hatte er sich um eine Wittib beworben und seine Liebe zu ihr war so groß, daß er niemals in sie drang, ihn mit ihrer Gunst zu belohnen, maßen er fürchtete, sie dann ganz zu verlieren. Und da er sich selbst für durchaus liebenswert hielt, glaubte er fest ihrer Versicherung, daß sie ihm über alles in der Welt zugetan sei und – wenn je irgend wem – dann ihm allein zu Willen sein würde. Doch vermochte sie ihn, seine Wünsche auf eine ehrenhafte Freundschaft zu beschränken, indem sie ihm drohte, anderenfalles ganz mit ihm abzuschneiden.

Damit gab sich der Ärmste in der Tat zufrieden und schätzte sich gar noch glücklich, ein so tugendsames Herz erobert zu haben. Es wäre zu umständlich, von all ihren Freundschaftsversicherungen und den langwährenden Besuchen bei ihr zu erzählen, noch gar von den Reisen, die er unternahm, einzig um sie zu sehen. Kurz, der arme Dulder trachtete nur danach, die Glut, die ihn verzehrte, noch zu schüren, und suchte so nach immer neuen Möglichkeiten, sein Martyrium zu erhöhen.

So hatte er eines Tages den Einfall, mit Eilpost zu der Frau zu gelangen, die er mehr liebte als sich selbst und die er über alle Frauen der Welt stellte. Kaum war er angelangt, so eilte er in ihr Haus und fragte nach ihr. Man erwiderte ihm, sie sei eben vom Vespergottesdienst gekommen und weile nun im Garten, um ihre Andacht zu beenden. Er stieg vom Roß, drang kurzerhand in den Garten und traf dort ihre Begleiterinnen, die ihm mitteilten, dass sie einsam auf einem Parkwege in jenem Gehege lustwandle. Mehr denn je hoffte er nunmehr seinem Glücke nahe zu sein und sachte, ohne jedes Geräusch, schlich er ihr nach, um sie womöglich allein zu treffen. Als er nun zu einer Laube aus zusammengebogenen Bäumen gelangte, einer Stätte, die gar unbeschreiblich schön anzuschauen war, schritt er unversehens hinein, gleich einem Menschen, den es drängt, die Geliebte endlich zu erblicken. Doch bei seinem Eintritt fand er sie, auf dem Rasen hingelagert, in den Armen eines ihrer Stallknechte, einem Kerle, der gleichermaßen hässlich, schmutzig und gemein war, wie der Edelmann schön, ehrenhaft und liebenswürdig.

Ich will nicht versuchen, die Verachtung auszumalen, die er empfand. Jedenfalls war sie groß genug, in einem Augenblicke all die Glut zu löschen, die so lange in ihm geschwelt hatte. Nur noch von diesem einen Gefühl beseelt, sprach er alsbald: ›Wohl bekomm‘ es Euch, Gnädigste. Da ich nunmehr Eure Niedrigkeit kenne, bin ich glücklich geheilt und all der Schmerzen ledig, die Eure vermeintliche Ehrenhaftigkeit mir schuf.‹ Und ohne ein Wort des Abschiedes ging er noch rascher von dannen, als er gekommen war.

Das elende Weib fand keine Antwort: Sie bedeckte ihr Gesicht mit der Hand, denn sintemalen sie ihre Schande nicht verhüllen konnte, wollte sie wenigstens ihre Augen verhüllen, um den Mann nicht zu sehen, der sie trotz ihrer langen Verstellung nun durch und durch erkannt hatte.

Somit bitte ich euch, meine Damen, führet einen Mann nicht an der Nase herum, noch quält ihn euch zur Lust, wenn ihr ehrliche Liebe wünscht. Denn die Heuchler werden mit gleicher Münze heimbezahlt und Gott schützt nur die, welche frei heraus lieben.«

»Wahrhaftig«, seufzte Oisille, »Ihr habt uns etwas Nettes für den Schluß des zweiten Tages aufgespart. Hatten wir nicht geschworen, die reine Wahrheit zu erzählen, so würde ich Euch nie geglaubt haben, daß eine Frau achtbaren Standes so gemein sein kann, einen so ehrenwerten Edelmann für solch einen schmutzigen Knecht fahren zu lassen.« – »Ach, edle Frau,« rief Hircan, »wenn Ihr genau den Unterschied kenntet zwischen einem Edelmann, der sein Lebelang im Harnisch herumlief und dem Kriege oblag, einerseits und einem wohlgenährten Knechte, der sich kaum zu rühren braucht – Ihr würdet diese arme Wittib entschuldigen.« – »Kaum«, entgegnete jene, »möget Ihr sagen, was Ihr wollt, für sie gibt es keine Entschuldigung.« – »Ich habe gar wohl von Frauen gehört,« versicherte Simontault, »die sich ob ihrer sittsamen Zurückhaltung allerwärts preisen lassen und im geheimen Menschen erkiesen, die den Mut, auszuplaudern nicht besitzen und zudem ob ihres schmutzigen Berufes auch keinen Glauben fänden.« – »Das behaupten wohl bisweilen eifersüchtige und argwöhnische Männer. Doch mag es auch einmal solch bedauernswertes Weib geben, so ist das noch kein Grund, darob andere zu beargwöhnen.« – »Wenn wir noch weiter so reden,« meinte Parlamente, »so werden die Herren nicht aufhören, auf uns herumzuhacken. Drum laßt uns lieber zum Vespergottesdienst gehen, damit man nicht wie gestern auf uns warten muß.« Dem stimmten alle bei. Man brach auf und unterwegs sagte Oisille: »Eigentlich sollte Saffredant um Verzeihung bitten, da er so schlimme Dinge über die Frauen erzählt hat.« – »Bei meinem Eide,« rief Saffredant, »ich erzählte nur die Wahrheit, wie sie mir berichtet wurde. Wollte ich gar eigne Erfahrungen berichten, so kämet ihr aus dem Kreuzeschlagen nicht mehr heraus.« – »So solltet Ihr Frauengesellschaft fliehen,« erwiderte Parlamente. Er aber srach: »Euern Rat hat keiner mehr befolgt, denn ich. Doch könnte ich noch Schlimmeres sagen, dann möchte ich gern die andern aufpeitschen, mich an der zu rächen, die mir so schlimmes Leid antat.«

Dabei betraten sie die Kirche, doch war keiner der Mönche anwesend. Diese hatten nämlich vernommen, daß man sich auf der Wiese vergnügliche Dinge erzählte, und sich daher hinter einer Hecke in einen Graben gelegt und insgeheim den schönen Berichten gelauscht, also daß sie die Glocke überhört hatten. Das kam nun heraus, denn bald kamen sie atemlos angelaufen, und als man sie nach dem Gottesdienst nach der Ursache ihres Ausbleibens befragte, mußten sie die Wahrheit gestehen Daraufhin erhielten sie die Erlaubnis, täglich hinter der Hecke zuzuhören.

Das Abendessen verlief unter fröhlichem Geplauder über alles, das draußen unbesprochen geblieben war. Dann bat Oisille, zur Ruhe zu gehen, um am nächsten Morgen frisch zu sein. Und nach längeren Betrachtungen darüber, daß eine Stunde vor Mitternacht drei Stunden danach wohl aufwöge, zogen sich alle zurück. Und so endete der zweite Tag jener Wechselberichte und Erzählungen.

Der dritte Tag

Obgleich die Gesellschaft am nächsten Morgen gar früh zu Frau Oisille kam, fand sie selbige doch schon bereit und seit einer halben Stunde dabei, ihre Vorlesung zu bedenken. So wußte sie alle höchlichst zu befriedigen. Alsdann wurde die Messe gehört, gar mäßig gespeist (um nicht durch Übermaß des Fleisches das Gedächtnis zu beeinträchtigen), ferner in den Stuben sorglich in den Tagebüchern nachgeblättert, bis die verabredete Zeit herankam. Da fanden sich alle pünktlich ein, und denen, so im Sinne hatten, einen närrischen Spaß zum besten zu geben, konnte man gar wohl an den fröhlichen Gesichtern ablesen, daß sie hofften, die andern tüchtig zum Lachen zu bringen.

Als alle sich gelagert hatten, wurde Saffredant gefragt, wem er das Wort erteilen wolle. Der sprach: »Da ihr meinen Bericht gestern so schlimm fandet und mir nichts einfällt, um die Scharte auszuwetzen, so gebe ich Parlamente das Wort. Sie ist gar klug, weiß manches zum Lobe der Frauen zu sagen und wird euch meine wahrhaftige Geschichte schnell vergessen machen.«

»Ich will nicht versuchen,« entgegnete Parlamente, »Eure Fehler wieder gutzumachen, werde mich aber wohl hüten, sie nachzuahmen. So will ich Euch an einem wahren Vorfall zeigen, daß die Frauen in einer Neigung noch keinen Grund sehen, ihre Ehrenhaftigkeit zu beeinträchtigen. Da die Heldin meiner Geschichte aus angesehenem Hause stammt, will ich die Namen ändern. So erkennet denn, daß die Liebe ein keusches Herz nicht zu ändern vermag, und höret in diesem Sinne die folgenden Begebenheiten.«