Siebenunddreßigste Erzählung


Wie weise es ein Weib verstund, ihren Mann einem tollen Liebeswahn zu entreißen, der ihn quälte.

»Auf einer großen Besitzung in Frankreich lebte eine Frau, deren Namen ich nicht nennen will. Sie war tugendsam und weise, von allen geliebt und geehrt, und so vertraute ihr Mann ihr all seine Angelegenheiten an, die ob ihrer klugen Verwaltung sein Haus bald zu einem der reichsten und prächtigsten in ganz Anjou und der Touraine entwickelten.

Nachdem sie lange Zeit mit ihrem Mann so gelebt und ihn mit einer Reihe schöner Kinder beschenkt hatte, begann ihr Glück zu verblassen, maßen ihr Gatte wohl diese ehrenhafte Ruhe unerträglich fand, anderweitig Zerstreuung suchte und alsbald die Gewohnheit bekam sich vom Bett zu erheben, sowie sein Weib eingeschlafen war, und erst gegen Morgen zurückzukehren. Das mißfiel der Frau gar sehr. Sie ward gewaltig eifersüchtig (ohne es sich aber merken zu lassen) und vernachlässigte ihren Hausstand, sich selbst und ihre Familie, maßen ihr die Frucht ihrer Mühen, die Liebe ihres Mannes, verloren gegangen war. Um seiner Liebe willen hätte sie keine Arbeit gescheut. Nun aber ließ sie alles gehen wie es ging, und bald machten sich die Folgen bemerkbar. Auf der einen Seite verschwendete der Mann das Geld, auf der andern kümmerte sie sich um nichts mehr, und so wurde die Lage bald so verwickelt, daß man den Hochwald abschlug und die Güter mit Schulden belastete.

Einer ihrer Verwandten, der die Ursache kannte, machte sie auf ihren Fehler aufmerksam und erklärte ihr: wenn sie auch nur um ihres Gatten willen ihren Hausstand liebe, so dürfte sie diesen doch um ihrer armen Kinder willen nicht vernachlässigen. So nahm sie aus Mitleid mit diesen ihre Arbeit wieder auf und versuchte obendrein, mit allen Mitteln ihres Mannes Liebe wieder zu erringen.

Und schon tags darauf gab sie wohl acht, wann er sich von seinem Bett erhob. Alsbald stand auch sie auf, nahm ihren Nachtkittel um, ließ das Bett machen und erwartete unter Gebeten die Rückkehr ihres Mannes. Als der wieder in ihr Zimmer trat, ging sie ihm entgegen, küßte ihn und reichte ihm ein Waschbecken, damit er sich die Hände wüsche. Er entgegnete erstaunt ob dieser Neuerung, er käme vom Abtritt, und so läge kein besonderer Grund vor, sich zu waschen. Darauf entgegnete sie, wenn es auch nichts Besonderes wäre, so sei es doch angemessen, wenn er sich die Hände wüsche, nachdem er an einem schmutzigen Ort geweilt habe. Dergestalt wollte sie ihm sein häßliches Leben vor Augen führen und verächtlich machen.

Er aber änderte sich nicht und so setzte die Dame diese Art ein Jahr lang fort. Als sie nun just sah, daß ihr Mittel nichts half, geschah es eines Tages, daß ihr Mann länger verweilte als er es sonst zu tun pflegte. Während sie seiner harrte, ergriff sie der Wunsch, ihn zu suchen, und als sie so von Zimmer zu Zimmer ging, fand sie ihn in einer entlegenen Kleiderkammer neben der häßlichsten, gemeinsten und schmutzigsten Magd des Hauses eingeschlafen liegen. Da bedachte sie, ihn wohl davon zu heilen, daß er seine tugendsame Frau um solcher dreckiger Vettel willen hinterging. Flugs nahm sie Stroh und steckte es inmitten der Stube an. Und als sie inne ward, daß der Qualm ihren Mann eher ersticken denn erwecken würde, packte sie ihn beim Arm und schrie: ›Feuer! Feuer!‹

Daß ihr Mann vor Scham schier verzweifelte, als er wahrnahm, daß sein ehrbares Weib ihn bei solcher Schlumpe gefunden hatte, ist wohl nicht wundersam. Die Frau aber sprach:

›Ein Jahr lang suchte ich Euch geduldig auf den rechten Weg zu bringen und Euch durch jene Waschung zu zeigen, wie sehr Ihr einer inneren Reinigung bedürfet. Wenn Ihr Euch nun aber nicht bessert, weiß ich nicht, ob ich Euch ein zweites Mal solcher Gefahr entreißen würde wie eben jetzt. Bedenket immerhin, welche Verzweiflung die Liebe auslösen kann. Hätte ich nicht Gott vor Augen gehabt, so hätte ich nie soviel Geduld finden können.‹

Alsbald versprach ihr Mann, voll Freude, daß er so leichten Kaufes davonkam, ihr nie wieder Grund zu Klagen geben zu wollen. Dem traute die Dame und jagte mit ihres Mannes Zustimmung alle fort, die ihr im Hause nicht paßten. Und fortan lebten sie in herzlichem Einvernehmen, das schier nach dem vergangenen Unheil noch gewachsen und mehr gefestigt schien.

Sollte nun Gott euch je solchen Mann bescheren, meine Damen, so verzweifelt nicht, bis ihr alle Mittel erprobt habt, um ihn zu bessern. Denn ein Weib sollte sich schier glücklicher schätzen, den Mann erst durch Geduld erworben zu haben, als wenn sie ihn durch Zufall und von Haus aus gleich viel vollkommener erhielte.«

»Ich könnte nicht so langmütig sein,« erklärte Parlamente. »Das mag tugendhaft sein, aber ein derartiger Schimpf führt zur Entfremdung, zur Verachtung und damit zum Ende aller Liebe. Was man liebt, will man auch hochschätzen.« – »Eine ungeduldige Frau kann aber ihren Mann zur Wut reizen,« meinte Emarsuitte. – »nd was hätte denn jener Ehemann tun können?« fragte Parlamente. – »Er hätte sie«, entgegnete jene, »tüchtig durchprügeln, ins Mägdebett verweisen und seine Liebste ins Ehebett nehmen können.« – »Ich glaube nicht,« überlegte Parlamente, »daß einer ehrenhaften Frau solch zornige Mißhandlung nähergehen könnte als jene Mißachtung. Darum verstehe ich auch recht gut, daß sie nur um ihrer Kinder willen versuchte, ihn wieder auf den rechten Weg zu bringen.«

»Findet ihr es denn so geduldig, daß sie Feuer ansteckte?« fragte Nomerside. – »O ja,« versicherte Longarine, »und sie beging nur einen Fehler, indem sie ihn aufweckte. Ich hätte ihn getötet und alsdann mich selbst, denn solche Rache und mein Tod danach scheint mir erfreulicher als ein Leben neben einem Mann, der mich entehrt.« – »Freilich,« spottete Hircan, »ihr liebt die Manner nur um euretwillen. Sind sie gut, so ist alles recht, begehen sie aber nur einen kleinen Fehler, dann wird das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. So wollt ihr allezeit die Herrinnen spielen: meinetwegen, wenn nur alle Ehemänner dem zustimmen würden.« – »Wenn kein Teil Mißbrauch treibt, ist die Ehe doch eine wunderschöne Einrichtung,« rief Oisille. »Aber lassen wir nun den Streit und sehen wir, wem Dagoucin seine Stimme gibt.« – »Ich gebe sie Longarine,« sprach der.

»Das freut mich sehr,« entgegnete Longarine. »Denn ich weiß eine Geschichte, die zu der Euren paßt. Ich will euch eine Frau vorführen, die weit lobenswerter handelte als die eben beschriebene. Sie ist um so achtenswerter, als sie in einer Stadt lebte, wo doch ansonsten die Tugend nicht so blüht wie auf dem Lande.«

Achtunddreißigste Erzählung


Bemerkenswerte Milde einer Frau aus Tours gegen ihren mißratenen Mann.

»Zu Tours lebte eine schöne, ehrengeachtete Bürgersfrau, die ob ihrer Tugenden von ihrem Mann nicht nur geliebt, sondern gar gefürchtet wurde. Mochte der sich nun langweilen, wie es so manchen schwachen Seelen geht, denen das tägliche Brot nicht behagt, kurz und gut, er verliebte sich in eine Pächtersfrau und verließ nun oft seine Heimatsstadt, um sich auf jenem seinem Gutshofe allemal zwei bis drei Tage aufzuhalten. Kehrte er dann zurück, so war er dermaßen auf dem Hund, daß sein armes Weib Mühe hatte, ihn wieder auf die Beine zu bekommen. Kaum aber konnte er japsen, so kehrte er unfehlbar zu jenem Gutshofe zurück, wo er über seine Liebesfreuden seine körperlichen Leiden vergaß.

Da ihn nun sein Weib immer in solch elendem Zustande von dort zurückkehren sah und um sein Leben und seine Gesundheit besorgt war, so begab es sich eines Tages selbst dorthin. Dort fand es die Pächtersfrau, in die der Mann verliebt war, und dieser klagte es ohne Zorn, vielmehr mit gar freundlichem Gesicht: sie wisse wohl, ihr Mann käme oft hierher zu ihr; doch behandle sie ihn sicher schlecht, denn er kehre allemal in einem jämmerlichen Zustande heim. Das leugnete die Pächterin denn auch nicht, teils um der lieben Wahrheit willen, teils aus Ergebenheit zu ihrer Herrin; und sie erhielt so die Verzeihung dieser Dame.

Doch ließ sich nun selbige das Zimmer und Bett zeigen, darin ihr Mann zu schlafen pflegte, fand es kalt, schmutzig und schlecht eingerichtet und ward darob von Mitleid erfüllt. Flugs ließ sie ein gutes Bett mit Laken, Kissen und Decken herbeischaffen, so wie ihr Mann das liebte; ließ ferner die Stube neu tapezieren und schmücken, gab gutes Tischzeug und Geschirr für Essen und Trinken, zudem ein Fäßchen Wein, Süßigkeiten und Eingemachtes, und bat schließlich die Pächterin, ihren Mann nicht wieder in so kläglicher Verfassung heimzulassen.

Bald kam auch der Ehemann wieder auf den Gutshof, wie es so seine Gewohnheit war, und erstaunte baß, als er die ärmliche Stube so schön hergerichtet fand. Aber seine Augen wurden immer größer, als die Pachtfrau ihm in einem silbernen Becher zu trinken brachte, und er fragte sie schließlich, woher all dieser Reichtum käme. Da gestand ihm das arme Weib unter Tränen, daß seine Frau sich seiner schlechten Behandlung hier erbarmt hätte und darum die Stube eingerichtet und ihr seine Gesundheit ans Herz gelegt hätte.

Als er nun inne ward, wie gütig seine Frau ihm alles Böse mit Wohltaten vergalt, da sah er sein schweres Unrecht ein, gab der Pächterin ein Schmerzensgeld und hieß sie künftighin in Ehren zu leben. Sodann kehrte er zu seinem Weibe zurück, beichtete seine Schuld und gestand, daß er ohne solch große Milde und Güte ihrerseits nie von diesem Leben gelassen hätte. Und fortan lebte er friedlich mit ihr und ließ die Vergangenheit vergessen sein.

Glaubt mir, meine Damen, es gibt nur wenig Männer, die sich nicht auf die Dauer mit Geduld und Liebe von der Frau zurückgewinnen lassen. Die müßten härter denn Steine sein, maßen diese doch von dem weichen, schwachen Wasser mit der Zeit gehöhlt werden.«

»Die Frau hatte kein Herz, noch gar Blut in den Adern!« rief Parlamente aus. – »Was wollt Ihr?« erwiderte Longarine, »sie befolgte Gottes Gebot, Böses mit Gutem zu vergelten.« – »Vielleicht war sie in einen Pfaffen verliebt und wollte ihren Mann öfter auf dem Gut sehen,« spottete Hircan. – »Wie boshaft ihr alle seid,« entsetzte sich Oisille, »wie kann man jede gute Handlung so mißdeuten!« – »Ich finde, er hatte vielmehr Grund zu seinem Weib zurückzukehren, als er fror, denn später, als es ihm dort gut ging,« erklärte Simontault.

»Ihr scheint nicht so zu denken wie jener reiche Pariser,« lächelte Saffredant, »der neben seinem Weibe im Bett erfroren wäre, wenn nur ein Tüchlein gefehlt hätte. Aber zu der Magd ging er im dicksten Winter barfuß und ohne Mütze, ohne sich je zu erkälten, obgleich jene schrecklich häßlich war und sein Weib bildschön.« – »Wißt Ihr nicht,« fragte Guebron, »daß Gott die Toren, Verliebten und Trunkenen immer schützt? Vielleicht war jener alles auf einmal. Doch um nun zum Schluß zu kommen, wem gibt Longarine ihre Stimme?« – »Ich gebe sie Saffredant.« Alsbald hub dieser an:

»Ich hoffe auch zu erweisen, daß Gott die Verliebten keineswegs schützt. Zudem, mag auch ein Laster gleichermaßen bei Mann und Weib zu finden sein, eine Frau findet viel feinere und knifflichere Listen als ein Mann, und dafür sollt ihr nun ein Beispiel hören.«

Achtundzwanzigste Erzählung


Ein Schreiber glaubt jemanden zu überlisten, wird aber selbst hineingelegt, und daraus entstehen allerlei spaßhafte Folgen.

»Als der König Franz, der erste seines Namens, mit seiner Schwester, der Königin von Navarra, zu Paris weilte, hatte diese einen Schreiber, der wahrlich keinen Heller zur Erde fallen ließ, ohne ihn aufzuheben. Solchermaßen suchte er jedes Präsidenten oder Rates Bekanntschaft und verkehrte angelegentlichst bei Kaufleuten und reichen Männern.

Nun kam auch eines Tages ein Kaufmann aus Bayonne nach Paris. Der hieß Bernard du Ha und war hierher gereist, weil er außer seinen Geschäften auch des Rates und der Hilfe des Stadtrichters bedurfte, der ein Landsmann von ihm war. Nun besuchte jener Schreiber oftmals den Richter, der seiner Herrschaft treu ergeben war. Als er derart eines Feiertages wieder zu ihm ging, fand er weder ihn noch sein Weib, wohl aber besagten Bernard du Ha, der just auf einer Laute spielte und den Mägden die Sprünge des Gascogner Tanzes lehrte. Der Schreiber wollte ihn überzeugen, daß er damit nicht recht täte und der Richter und sein Weib sicher unzufrieden sein würden. Und nachdem er ihm so bange gemacht hatte, daß jener ihn bat, die Sache totzuschweigen, fragte er: ›Was gebt Ihr mir dafür, daß ich reinen Mund haltet?‹

Bernard du Ha war aber gar nicht so ängstlich als er tat, und wie er nun sah, daß jener ihn betrügen wollte, versprach er ihm eine unübertreffliche baskische Schinkenpastete, wie er nie eine bessere gesehen habe. Der Schreiber bat ihn hocherfreut, ihm die Pastete am Sonntag zuzustellen. Und als ihm das zugesagt wurde, eilte er beglückt zu einer Dame, die er für sein Leben gern geheiratet hätte, und sagte zu ihr: ›Ich werde, wenn es Euch recht ist, am Sonntag zu Euch zum Essen kommen. Ihr braucht aber nur für Brot und Wein zu sorgen, denn ich habe einen dummen Gascogner übertölpelt, der nun für den Rest sorgen muß. So werden wir den besten baskischen Schinken der Welt zu essen bekommen!‹

Flugs lud die Dame noch zwei oder drei hochachtbare Nachbarinnen ein und versprach ihnen ein ganz neues Gericht. Und als nun der Schreiber den Kaufmann am Sonntag suchte, traf er ihn auf der Wechslerbrücke, grüßte ihn gar anmutsvoll und rief: ›Wo zum Teufel steckt Ihr denn? Ich habe Euch wie eine Stecknadel gesucht!‹ Bernard du Ha entgegnete, mancher hätte sich oft schon mehr Mühe gegeben, ohne am Ende mit solch trefflichem Bissen belohnt zu werden; und damit zeigte er ihm unter dem Mantel die Pastete, die so groß war, als sollte ein ganzes Heer damit gespeist werden. Darüber ward der Schreiber so voller Freuden, daß er sein häßliches großes Maul spitzte, als bisse er bereits in den Schinken hinein. Hastig riß er die Pastete an sich, lud den Kaufmann nicht einmal mit ein und rannte zu dem Weiblein, um es kosten zu lassen, wieviel besser solche Guyenner Leckerbissen wären als die Pariser.

Und als sie sich nun zum Essen setzten und die Suppe zu löffeln begannen, da rief er: ›Laßt dies fade Essen stehen und versucht lieber diesen herrlichen Gaumenkitzel.‹ Damit versuchte er die Pastete aufzuschneiden. Doch sie war so hart, daß das Messer abglitt. Und nach mehreren vergeblichen Versuchen gewahrte er, daß es ein Gascogner Holzschuh war, den man sorglich geschwärzt, mit Kohle beschmiert und mit Eisenstaub und wohlriechenden Gewürzen bestreut hatte.

Als der Schreiber sich also genasführt sah von dem, den er selbst zu betrügen vermeinte, fiel er aus allen Wolken und war um so betretener, als er so gerade die geutzt hatte, der er eine Freude schaffen wollte. Und obendrein mußte er sich nun mit einem mageren Süpplein begnügen. Auch die Damen waren herzlich enttäuscht und hätten ihm gern einen Vorwurf gemacht, wenn sein Gesicht nicht noch enttäuschter gewesen wäre. So mußte der Herr Schreiber mit etwas Brühe mäßig gespeist und zorngeschwellt von dannen ziehen.

Doch da Bernard du Ha also sein Versprechen nicht gehalten hatte, wollte der Schreiber auch seines brechen und ging flugs zu dem Richter, um jenen schlecht zu machen. Bernard war ihm aber zuvorgekommen und hatte dem Richter die geheimnisvolle Geschichte bereits erzählt. So belehrte denn der Richter den biederen Schreiber mit dem schönen Spruch: ›Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.‹

Das mögen sich die Überklugen merken. Denn: ›Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.‹ Und um nun keine Zeit zu verlieren, will ich gleich meine Stimme Nomerfide geben, die uns sicher auch keine zu lange Geschichte erzählen wird.«

»Gut,« meinte diese, »euern Wunsch kann ich erfüllen. Ich meine, es ist eigentlich nicht erstaunlich, wenn sich Prinzen und wohlerzogene Menschen mit List aus gefährlichen Lagen retten; vielmehr erweist sich die Erfindungsgabe in Liebeslagen am eindringlichsten bei beschränkten Menschen, und so will ich euch von den Streichen eines Priesters erzählen, der nur Liebesgedanken im Kopfe hatte, maßen er ansonsten so ungebildet war, daß er kaum eine Messe sagen konnte.«

Neunundzwanzigste Erzählung


Ein Bauerntölpel, dessen Weib mit dem Pfarrer der Liebe pflegt, läßt sich leichtlich hinters Licht führen.

»In dem Dorfe Arcelles in der Grafschaft Maine heiratete ein reicher Bauer auf seine alten Tage ein schönes junges Weib. Das beschenkte ihn zwar nicht mit Kindern, doch tröstete sie sich dafür mit etlichen guten Freunden. Und wenn es ihr an Edelleuten und sonstigen ansehnlichen Herren fehlte, so nahm sie zur Kirche ihre Zuflucht und erkor zum Genossen ihrer Sünden den Mann, der sie eigentlich ihrer Sünden ledig sprechen sollte: den Herrn Pfarrer, der als fürsorglicher Hirte oft sein verirrtes Schaf aufsuchte.

Der alte, schwerfällige Ehemann argwöhnte nicht das geringste. Doch da er ein grober, handfester Kerl war, so hielt sein Weib solche geheimen Freuden wohl verborgen, denn es fürchtete, er könne solch einen Liebhaber einfach totschlagen, wenn er ihn abfinge.

Eines Tages nun war er draußen beschäftigt, und da sein Weib vermeinte, er würde erst spät wiederkehren, ließ es den Herrn Pfarrer holen, um ihm zu beichten. Während sie nun just in die schönsten Betrachtungen über außereheliche Sünden versunken waren, kam der Ehemann heim, und zwar so überraschend, daß der Pfarrer nicht mehr aus dem Hause entwischen konnte. Und um sich zu verbergen, stieg er auf Rat der Frau auf den Bodenspeicher und deckte die Falltür mit einer Kornschwinge zu.

Inzwischen trat der Ehemann ins Haus, und maßen sein Weib jedem Argwohn aus dem Wege gehen wollte, setzte es ihm flugs das Essen vor und gab ihm so reichlich zu trinken, daß er darob und nach der Feldarbeit auf einem Stuhl vor dem Herde einschlief. Der Pfarrer begann sich bald in seinem Speicher zu langweilen, und als er keinen Laut mehr in der Stube vernahm, öffnete er die Klappe, machte einen langen Hals und sah also, daß der gute Alte schlief. Doch beim Hinunterschauen stützte er sich versehentlich auf die Kornschwinge, also daß diese und er mit ihr hinunterpurzelten und neben dem schlafenden Bauern niederfielen. Der wachte von dem Lärm auf, doch der Pfarrer war schon auf den Beinen, ehe jener aus den Augen sehen konnte, und sagte: ›Gevatter, hier ist Eure Kornschwinge; und übrigens schönen Dank!‹ Und flugs machte er sich davon. Der arme Bauer fragte sein Weib ganz verblüfft: »Was soll das heißen« Und die antwortete: »Ach, der Pfarrer hatte Eure Kornschwinge entliehen, und eben brachte er sie zurück.« Da brummte der Mann unzufrieden: »Dann braucht er doch nicht solchen Lärm zu machen. Ich glaubte schier, das Haus fällt zusammen.« Also rettete sich der Pfarrer, indem er den Bauern überlistete, der sich am Ende nur über den Lärm ärgerte. Damals, meine Damen, verschonte also Gott seinen Diener, um ihn länger auf Erden zu lassen und zu strafend »Glaubet nur ja nicht,« erklärte Guebron, »daß die Menschen niederen Standes ohne Ränke sind; vielmehr sind sie schier verschlagener als wir. Seht nur die Spitzbuben, Mörder, Schwarzkünstler, Falschmünzer und ähnliches Gesindel an, die immer neuen Trug ersinnen: alle sind es arme Leute und Arbeiter« – »Ich finde das auch gar nicht so merkwürdig,« versicherte Parlamente. »Vielmehr wundere ich mich, daß sie überhaupt von Liebesgefühlen gequält werden und daß ein so zartes Gefühl seinen Weg in so unedle Herzen findet.« »Ach, edle Frau,« rief Saffredant, »vergeßt Ihr denn das Verslein von Johann de Meun:

›Verliebte Launen findet man
Beim Adel wie beim schlichten Mann.‹

Auch sind die eben beschriebenen Liebesgefühle nicht die gleichen, wie wir sie unter dem Harnisch tragen. Der niedere Stand genießt zwar nicht unsere Ehren und Reichtümer, dafür aber manch andere Annehmlichkeiten. Ihr Essen ist frugaler, aber nährt sie besser, als uns die schmackhafte Küche. Ihre Betten sind härter, aber sie schlafen darauf besser. Ihre Frauen sind nicht geputzt und geschminkt wie die unseren, die wir vergöttern, dafür aber ergötzen sie sich öfter und genußreicher an ihnen wie wir und brauchen dabei nur das Geschwätz – neugieriger Vögel zu fürchten. Was wir besitzen, fehlt ihnen wohl, was uns aber fehlt, das haben sie im Überfluß« – »Um Gottes willen, laßt die Bauern bei ihren Glücksgütern,« unterbrach Nomerfide, »sonst werden wir vor der Vesperstunde nicht fertig. Hircan wird unsern Tag beschließen.«

»Mit einer tieftraurigen Geschichte,« sprach der. »Zwar ist es mir gar nicht erwünscht, etwas Schlechtes von einer Frau zu erzählen, weil die boshaften Männer das verallgemeinern und dann alle schelten. Der Vorfall aber, der mir gerade in den Kopf kommt, ist so seltsam, daß ich meine Scheu überwinde; und vielleicht macht es die Frauen einsichtiger, wenn sie diesen Fall von Unüberlegtheit erfahren.«

Dreißigste Erzählung


Ein merkwürdiger Fall menschlicher Schwäche, wo das Bestreben, die Ehre zu retten, aus dem Regen in die Traufe führt.

»Damals, als unter Ludwig dem Zwölften Georg von Amboise Legat in Avignon war, lebte in Languedoc eine Dame, deren Name ich um ihrer Familie willen verschweigen will. Sie war sehr jung Witwe geworden, besaß nur einen Sohn, mehr denn viertausend Taler Rente und war aus Liebe zu ihrem verstorbenen Manne und dem Kinde entschlossen, sich nicht wieder zu verheiraten. Daher verkehrte sie, um jede Versuchung zu vermeiden, nur mit frommen Menschen, lebte ganz einem gottergebenem Wandel und floh so sehr jede Geselligkeit, daß sie selbst einer Hochzeit oder einem Orgelkonzert nur mit Gewissensbissen beiwohnte. Als ihr Sohn sieben Jahre alt wurde, ließ sie ihn von einem gottergebenen Manne in Gottesfurcht und Sittsamkeit erziehen. Doch als das fünfzehnte Jahr nahte, lehrte ihn die Natur, die geheimnisvolle Lehrerin, allerlei anderes, davon jener Lehrer nichts sagten; denn der Knabe war viel zu wohlgenährt und unbeschäftigt, und so schaute er bald nach Dingen, die ihm wohlgefielen, so etwa nach einem Mägdelein, das in der Stube der Mutter jenes Knaben schlief. Davon ahnte natürlich niemand etwas und darum nahm man sich vor ihm so wenig in acht wie vor einem kleinen Kinde und zudem redete man ja fast nur von Gott.

Dieser Jüngling begann also dem Mägdelein heimlich nachzustellen. Das ging zu seiner Herrin und sagte es ihr, aber die Mutter vermeinte, sie täte das nur, um gegen den Jungen zu hetzen. Als nun aber das Mägdelein ihr dieserthalben weiter zusetzte, sprach sie: Ich werde feststellen, ob das wahr ist, und ihn gehörig züchtigen, wenn Ihr recht habt. Habt Ihr aber unrecht, so treffen Euch die Folgen.‹

Um nun die Probe zu machen, hieß sie dem Mägdelein, es solle dem Sohne zu verstehen geben, daß er nachts zu ihr käme, maßen es nahe der Tür ihr Bett stehen hatte. Das Mägdelein tat also, und als der Abend kam, legte sich die Dame an ihrer Stelle in jenes Bett; denn sie war entschlossen, ihn gegebenen Falles so derb zu strafen, daß ihm die Lust, Frauen heimzusuchen, verginge. Während sie dies bedachte, kam ihr Sohn in die Stube und schlüpfte in das Bett. Mochte sie nun geglaubt haben, daß er doch nichts Unehrenhaftes tun würde, oder wollte sie erst Beweise seiner lasterhaften Gesinnung abwerten, in der Meinung, ein so junger Mensch wäre zu solch schändlicher Wollust noch nicht entwickelt genug – kurz, sie ließ ihn gewähren, bis plötzlich des Fleisches Schwäche sie übermannte, bis sie ihre Eigenschaft als Mutter vergaß und ihr Zorn sich in schändliche Sinnenfreude verwandelte. Und so wie ein gestauter Strom alles fortreißt, wenn das Hindernis fortfällt, so riß plötzlich die Begier all die stolze Zurückhaltung hinweg, die sie ihrem Körper auferlegt hatte, Und als sie erst den ersten Schritt gemacht hatte, war sie schnell beim letzten angelangt und so ward sie noch in dieser Nacht von ihrem Sohne schwanger, den sie hatte hindern wollen, andere Frauen mit Kindern zu beschenken.

Kaum aber war die Sünde begangen, da ergriff sie die Qual namenloser Reue, die sie ihr ganzes Leben auch nie wieder verließ. Doch setzte sie gleich so brennend ein, daß sie aussprang – derweile ihr Sohn immer nur vermeinte, es sei jenes Mägdelein –, in eine Kammer eilte und in Gedanken an ihren löblichen Entschluß und sein klägliches Scheitern die ganze Nacht unter Weinen und Klagen einsam verbrachte. Doch die Hoffahrt in ihrem Herzen ward nicht geheilt, sondern verleitete sie zu neuen Torheiten in dem Streben, jene Sünde gutzumachen.

Am nächsten Tage nämlich ließ sie den Erzieher ihres Sohnes kommen und sagte zu ihm: »Mein Sohn ist nun so weit erwachsen, daß er aus dem Hause muß. Ein Verwandter von mir gehört zum Gefolge des Großmeisters von Chaumont, der wird ihn gern zu sich nehmen. Deshalb gehet mit ihm über die Alpen dorthin, und um mir den Abschiedsschmerz zu erleichtern, reiset mit ihm ab, ohne daß er mir Lebewohl sagt.« Und damit gab sie ihm das nötige Reisegeld, und am selben Morgen noch reiste der Jüngling sehr erfreut von dannen; maßen er sich nämlich nunmehr an einer Freundin verlustiert hatte, wollte er gern auch das Kriegshandwerk erlernen.

Lange Zeit lebte nun die Dame in Trübsinn und Trauer, und nur die Furcht vor Gottes Strafe hinderte sie, die unselige Frucht ihres Leibes abzutreiben. Um die Wahrheit zu verhüllen, stellte sie sich krank. Doch als die Zeit der Niederkunft nahte, bedachte sie, daß sie von allen ihren Freunden zu einem Bastardbruder von ihr das meiste Vertrauen haben konnte, den sie immer mit Wohltaten überhäuft hatte. Den ließ sie holen, erzählte ihm ihr Mißgeschick (doch verschwieg dessen Urheber) und bat ihn, ihre Ehre zu retten. Also tat er: wenige Tage vor der Niederkunft riet er ihr einen Luftwechsel an und forderte sie auf, bei ihm sich zu erholen. Mit nur wenigen Dienern kam sie also zu ihm ins Haus. Dort war bereits eine Wehmutter, die angeblich der Frau des Bruders beistehen sollte und sie nicht kannte. Mit deren Hilfe gebar sie eines Nachts ein Kind, eine wunderschöne Tochter. Und der Edelmann gab es einer Amme und ließ es unter seinem Namen großziehen.

Nachdem die Dame dort einen Monat geblieben war, kehrte sie wieder nach Hause zurück und lebte noch sittenstrenger denn zuvor unter Fasten und Kasteiungen. Inzwischen war ihr Sohn groß geworden, und da in Italien kein Krieg mehr war, übersandte er seiner Mutter die Bitte, wieder heimkommen zu dürfen. Sie aber fürchtete in das alte Übel zurückzuverfallen und wollte es nicht zugeben. Doch als er immer weiter drängte und sie doch gar nichts vorschieben konnte, ließ sie ihm sagen, er dürfe nur vor sie treten, wenn er eine Frau zu eigen hätte, die er herzlich liebe. Reich brauche sie nicht zu sein, aber edler Abkunft.

Indessen ward ihr Bruder, der Bastard, inne, daß seine angenommene Tochter groß und vollendet schön geworden war, und so bedachte er, es sei gut, sie auswärts unterzubringen, wo sie unbekannt wäre. So sandte er sie auf Rat der Mutter zur Königin von Navarra. Und da das Mägdelein, das inzwischen zwölf oder dreizehn Jahre alt geworden war, sich als so wunderschön und tugendhaft erwies, schloß die Königin sie in ihr Herz und wünschte sie mit einem angesehenen Mann zu vermählen. Maßen sie aber arm war, fand sie nur Verehrer, keine Brautwerber.

Da kam eines Tages ihr natürlicher Vater, jener junge Edelmann, über die Alpen her zum Hofe der Königin, und kaum hatte er das Mägdelein erblickt, so liebte er es schon. Und da er ob des Geheißes seiner Mutter sicher war, daß diese ihm nichts dawider sagen würde, hielt er bei der Königin um des Mägdeleins Hand an; und die willigte gern ein, da sie seinen Reichtum und seine Ehrenhaftigkeit kannte.

Nachdem die Ehe vollzogen war, schrieb er seiner Mutter, nun könne sie seine Rückkehr nicht mehr verwehren, denn er führe ihr eine wahrhaft vollkommene Schwiegertochter zu. Aber als die Dame sich erkundigte, wen er geheiratet habe, ward sie inne, daß es ihrer beider Tochter war. Hierob ward sie so verzweifelt, daß sie fast gestorben wäre; denn sie sah nun, daß sie das Unheil um so schlimmer machte, je mehr sie es verhüten wollte. Und da sie nicht wußte, was tun, so ging sie zu dem Legaten von Avignon, beichtete ihm ihre grauenhafte Sünde und erbat sich seinen Rat. Der ließ etliche Doktores theologiae rufen, um ihr Gewissen zu beruhigen, unterbreitete ihnen ohne Namensnennung den Fall und eröffnete alsdann der Dame: sie dürfe ihren Kindern nie enthüllen, wie es mit ihnen stände. Denn jene hätten in ihrer Unwissenheit keine Sünde begangen; sie hingegen müsse nun ihr Lebelang büßen, ohne es sich aber merken zu lassen.

Alsbald kehrte denn also die Dame wieder heim, und bald kamen dann auch ihre Kinder, die sich in so heißer Liebe zugetan waren, daß ihre Zuneigung kaum je ihresgleichen finden dürfte; immerhin war sie ja aber auch zugleich seine Tochter, seine Schwester und sein Weib, und er hinwiederum ihr Vater, Bruder und Gatte. Und ihre Liebe ließ niemals nach; die arme Mutter aber, die unter Kasteiungen lebte, konnte nie mit ansehen, daß jene sich herzten, ohne von dannen zu eilen und bitterlich zu weinen.

Das ist ein Beispiel dafür, wie es denen ergeht, die aus eigener Kraft Liebe und Natur und alle gottgegebenen Kräfte zu überwinden vermeinen.«

»Wahrlich,« rief Parlamente, »mit jedem Schritt zum Selbstvertrauen entfernt sich der Mensch vom Gottvertrauen.« – »Wer weise ist,« sprach Guebron, »der erkennt sich selbst als seinen schlimmsten Feind« – »Nie sollte eine Frau wagen, bei einem Mann zu schlafen,« versicherte Longarine, »mag er ihr auch noch so nahe verwandt sein; denn Pulverfässer sind eben feuergefährlich.« »Das kann auch nur ein ruhmsüchtiges Weib tun,« bestätigte Emarsuitte, »das sich für heilig hält und vermeint, sündhafte Begierden könnten ihm nichts antun.« – »Wäre es möglich,« fragte Oisille, »daß es Toren gibt, die so etwas glauben können?«

»Schlimmer noch,« erzählte Longarine. »Sie sagen, man müsse sich an die Keuschheit gewöhnen. Und um ihre Kräfte zu erproben, kosen sie mit den schönsten Frauen und prüfen, ob ihr Fleisch allen Küssen und Berührungen abgestorben ist. Fühlen sie, daß sie solches wollüstig erregt, so ziehen sie sich zurück, fasten und kasteien sich grausam; und ist ihr Fleisch endlich also zermürbt, daß es weder bei Kosen noch Küssen in Erregung kommt, so unterziehen sie sich jener blödsinnigen Verführung, schlafen mit Frauen und suchen sie ohne Lüsternheit zu umfangen. Aber auf einen, dem es glückte, kamen so viele Unterlegene, daß der Erzbischof von Mailand, wo diese Übung betrieben wurde, die Geschlechter trennte und die Frauen m die Männerklöster, die Männer in Frauenklöster steckte.«

»Wahrhaftig, das heißt schon dem Irrsinn die Krone aufsetzen,« rief Guebron, »seine Sündlosigkeit erstreben und dazu solche Versuchung selbst suchen.« – »Manche fliehen im Gegenteil jede Versuchung,« meinte Saffredant, »aber die Lüsternheit folgt ihnen auf den Fersen. Der Heilige Hieronymus verbarg sich in der Wüste und geißelte sich vergebens: dennoch konnte er die Glut nicht stillen, die in seinem Marke tobte.«

»Aber merkt ihr denn nichts unterbrach Hircan, »solange wir erzählten, überhörten die Mönche hinter der Hecke die Vesperglocke; seit wir von Gott reden, sind sie fortgegangen und läuten nun zum zweiten Male.« – »So wollen wir ihnen flugs folgen,« sprach Oisille, »und Gott für diesen fröhlichen Tag danken.« Alsbald hörten sie also die Messe, speisten hernach und besprachen mancherlei Ereignisse, ob diese erzählenswert sein könnten. Und schließlich, nachdem sie auch den Abend froh verbracht hatten, legten sie sich zu sanfter Ruhe nieder in der Hoffnung, ihr unterhaltsames Beginnen fortzuführen. Und so endete der dritte Tag.

Der vierte Tag

Frau Oisille stand ihrer guten Gewohnheit zufolge früher auf als die anderen und erwartete die Gesellschaft, so sich nach und nach einfand. Die faulen Herren entschuldigten sich mit der Erklärung: »Ich habe eine Frau und darum konnte ich nicht so früh kommen.« So Hircan und Parlamente, die recht spät und weit nach Beginn der Vorlesung kamen. Dann aber waren alle höchlichst erbaut, besuchten andächtig die Messe und setzten sich zu Tisch. Dort neckte Hircan wieder seine Frau ob ihrer Faulheit. Nach dem Mahl bedachten sie ihre Erzählungen und ruhten, und zur gewohnten Stunde fanden sich alle pünktlich an Ort und Stelle ein. Alsbald wandte sich Oisille an Hircan und fragte ihn, wem er seine Stimme für die erste Geschichte dieses Tages gäbe. Der erwiderte: »Hätte meine Frau nicht gestern begonnen, so würde ich ihr das Wort geben. Denn heute hat sie mir bewiesen, daß sie mich mehr liebt als Gott und sein Wort, maßen sie Euern Vortrag versäumte, um mir Gesellschaft zu leisten. Da ich also das Wort nicht der verständigsten Frau unter uns geben kann, so erteile ich es dem gesetztesten Mann, nämlich Guebron, und ersuche ihn, die Mönche ja nicht zu schonen.« Und Guebron Hub also an: »Das braucht mir niemand anzuempfehlen, denn ich hatte mir bereits dergleichen vorgenommen. Unlängst nämlich vernahm ich Herrn von Saint-Vincent, den damaligen Gesandten des Kaisers, einen beherzigenswerten Vorfall berichten.«

Einunddreißigste Erzählung


Mit welch scheußlicher Grausamkeit ein Franziskaner seine schändliche Geilheit zu befriedigen suchte und wie er dafür gestraft wurde.

»In den Landen Kaiser Maximilians von Österreich stund ein hochgeachtetes Franziskanerkloster unweit von dem Hause eines Edelmannes, der die Mönche über die Maßen verehrte und sie mit Gaben überhäufte, um an ihren Wohltaten, Fasten und Kasteiungen teilzuhaben. Zu jener Brüderschaft gehörte nun auch ein hochgewachsener, schöner Mönch, der des Edelmannes Beichtvater wurde und bald in dessen Hause mehr zu sagen hatte als jener selbst. Maßen aber dieser Franziskaner die Edelfrau unvergleichlich schön und klug fand, verliebte er sich in sie, also daß er Essen und Trinken vergaß und aller Vernunft bar wurde.

Eines Tages entschloß er sich kurz und gut, zum Ziele zu gelangen. Dieserthalben begab er sich in des Edelmannes Haus, und da jener nicht daheim war, fragte er die Frau, wohin er gegangen sei. Die entgegnete, ihr Mann sei auf eines seiner Güter gereist und würde zwei bis drei Tage fernbleiben; wenn er ihn aber dringend sprechen müsse, wolle sie einen Eilboten an ihn senden. Das lehnte der Franziskaner ab und begann alsbald im Hause hin und her zu laufen wie ein Mensch, der etwas Wichtiges im Sinne hat. Als er das Zimmer verlassen hatte, sagte die Frau zu einer der beiden Mägde, die bei ihr waren: »Geh‘ zu dem guten Pater und frag‘ ihn, was er will; er sieht so unzufrieden aus.«

Die Magd ging zu ihm auf den Hof und fragte ihn, ob er etwas wünsche. Er sagte ja, zog sie in eine Ecke und stieß ihr einen Dolch in die Kehle, den er im Ärmel verborgen hatte. Kaum hatte er dies vollbracht, so kam ein Knecht auf den Hof geritten, der die Pacht eines Gutshofes brachte. Sobald der vom Pferd stieg und den Mönch grüßte, so umfaßte ihn dieser, als wolle er ihn umarmen, stach ihm von hinten den Dolch ins Herz und verschloß alsdann das Tor.

Als nun die Dame sah, daß ihre Magd nicht zurückkam, verwunderte sie sich, was jene bei dem Mönch verweile, und hieß ihrer andern Zofe: »Sieh nach, wo das Mädel bleibt.« Die ging. Doch kaum war sie die Treppe hinabgestiegen und des Paters ansichtig, so zog er auch sie in einen Winkel und ermordete sie gleich den anderen. Maßen er nun allein im Hause war, begab er sich zu der Dame und erklärte ihr: er sei schon längst in sie verliebt, und nun sei die Stunde der Erfüllung gekommen.

Daran hatte die Frau nie je gedacht, und so erwiderte sie: »Ehrwürdiger Vater, ich glaube, Ihr würdet mich als erster steinigen, wenn ich so Schändliches im Sinne hätte.« Der Pater aber sprach: »Geht in den Hof und sehet, was ich getan habe.« Als sie dort die Leichen ihrer Mägde und des Knechtes erblickte, erschrak sie so furchtbar, daß sie gleich einer Bildsäule erstarrte und keinen Laut hervorbrachte. Der Schandbube wollte aber mehr denn einen flüchtigen Genuß. Daher nahm er sie nicht gewaltsam, sondern erklärte ihr: »Bangt Euch nicht, Gnädigste, denn Ihr seid in der Hand eines Mannes, der Euch liebt.« Und damit öffnete er seine Kutte, zog daraus einen kleineren Mönchskittel hervor, gab ihr den und eröffnete ihr, sie müsse ihn anziehen oder sie würde das Schicksal jener Ermordeten teilen.

Mehr tot als lebendig entschloß sie sich, seinem Gebot zu gehorchen, um einerseits ihr Leben zu retten, und zudem in der Hoffnung, daß ihr Mann vielleicht inzwischen heimkehren würde. Auf Geheiß des Mönches löste sie zunächst ihre Haare, doch so langsam als möglich, um Zeit zu gewinnen. Kaum hingen die lose herab, da schnitt der Mönch sie eiligst ab, ohne ihre Schönheit weiter zu beachten, ließ sie dann sich bis aufs Hemd entkleiden, zog ihr die kleinere Kutte an, nahm die seine wieder um und eilte dann flugs mit seinem so lange erstrebten »Mönchlein« davon.

Gott aber erbarmte sich solcher schuldlosen Pein, da er die Tränen jener Frau gewahrte. Und so kehrte der Edelmann, dessen Angelegenheiten sich unerwartet schnell erledigt hatten, auf dem gleichen Wege heim, auf dem jene davongingen. Als der Franziskaner seiner von ferne gewahr wurde, erklärte er ihr: »Da kommt Euer Mann. Wenn Ihr ihn anblickt, wird er Euch meinen Händen entreißen wollen; daher gehet vor mir her und wendet das Gesicht von ihm ab. Würdet Ihr ihm auch nur das kleinste Zeichen geben, so bekämet Ihr den Dolch eher in die Kehle, als er Euch aus meiner Hand befreien könnte.«

Der Edelmann ritt vorbei ohne sein Weib zu erkennen. Er fragte den Franziskaner, woher er käme, und der erwiderte: »Von Eurem Hause, wo Eure Frau Euer harrt. Es geht Ihr sehr gut.« Des Edelmannes Diener aber, der hinterher kam und stets mit dem Gefährten jenes Paters, einem Bruder Johann, zu plaudern pflegte, sprach seine Herrin an, da er sie für diesen Johann hielt. Das arme Weib wagte nicht den Kopf zu wenden und sprach keinen Ton. Um nun das Gesicht zu sehen, ritt er über den Weg hinüber. Da blinzelte sie ihm mit tränenfeuchten Augen zu. Schnell eilte der Knecht seinem Herren nach und sagte: »Ach Herr, als ich auf die andere Seite des Weges ritt, erblickte ich das Gesicht des anderen Mönches: das war nicht Bruder Johann, sondern er glich Eurer Gemahlin, die mir mit tränenden Augen jammervolle Blicke zuwarf.«

Der Edelmann erwiderte, er träume wohl, und beachtete seine Worte nicht. Doch der Knecht bestand auf seiner Angst und bat um die Erlaubnis, jenen nachzueilen, derweile sein Herr hier warten solle, ob er recht hätte. Der Edelmann war damit einverstanden und hielt an, um des Knechtes Antwort abzuwarten. Als nun aber der Mönch den Knecht kommen sah und hörte, daß der nach dem »Bruder Johann« rief, argwöhnte er, daß jener die Dame erkannt habe, hob seinen eisenbeschlagenen Stock empor und hieb dem Knecht damit so gewaltig in die Seite, daß er vom Pferde stürzte. Und flugs sprang der Pater auf seine Brust und schnitt ihm die Gurgel durch.

Der Edelmann sah seinen Diener stürzen. Doch vermeinte er, das sei durch Ungeschick geschehen, und eilte herbei, um ihm aufzuhelfen. Kaum sah ihn der Mönch kommen, da schlug er ihn gleich dem Knecht nieder und sprang auf ihn zu. Der Edelmann war aber gewaltig stark. Daher gelang es ihm, jenen so zu umfassen, daß er ihn unschädlich machte und ihm den Dolch aus der Faust schlug. Den hob sein Weib unverweilt auf, gab ihn dem Ehemann und hielt mit aller Kraft den Franziskaner an der Kapuze fest, während ihr Mann jenem etliche Dolchstiche versetzte, bis er um Gnade bat und seine Schandtat eingestand. Der Edelmann wollte ihn aber nicht töten. So hieß er sein Weib nach Haus zu laufen und Leute mit einem Karren herbeizurufen. Also tat sie: nachdem sie die Kutte abgestreift hatte, lief sie im Hemd mit geschorenem Kopf bis zu ihrem Haus.

Alsbald kamen ihre Leute angelaufen, eilten flugs zu ihrem Herrn, um ihm beim Heimschaffen des gefangenen Wolfes zu helfen, und schleppten ihn in des Edelmannes Haus. Der ließ ihn sodann dem Kaiser in Flandern vorführen, wo der Bösewicht seine Niedertracht zugab. Und ob seines Geständnisses und durch eine örtliche Untersuchung stellte sich heraus, daß eine Menge Edelfrauen und Mägdelein in jenes Kloster in ganz gleicher Weise verschleppt worden waren, wie der Franziskaner es in diesem Falle getan hatte. So wurde alles geraubte Gut nebst den Frauen, die dort waren, säuberlichst hinausgeschafft, das Kloster mit den Mönchen darin zugesperrt und zum ewigen Gedächtnis an diese Untaten niedergebrannt. So kann man erkennen, daß nichts grausamer ist als verbrecherische Liebe, gleichwie nichts preislicher ist als die zarten Gefühle eines tugendsamen Herzens.

Ich bedaure sehr, meine Damen, daß ich um der lieben Wahrheit willen nichts zum Lobe der Franziskaner zu sagen weiß, obgleich ich sie im Grunde schätze. Beginge heute einer von ihnen eine rühmenswerte Tat, so wäre ich der erste, sie zu feiern.«

»Das nenne ich wahrlich grausame Liebe,« erklärte Oisille. – »Ich verstehe nur nicht,« meinte Simontault, »warum er sie nicht mit Gewalt nahm, als er sie im Hemd sah und so in der Hand hatte.« – »Er war eben kein Fresser, sondern ein Feinschmecker,« lächelte Saffredant, »und um sich nun täglich an ihr zu berauschen, wollte er nicht vorzeitig daran naschen und sich den Appetit verderben.« – »So liegt es wohl nicht,« widersprach Parlamente. »Aus Angst, abgefaßt zu werden, wollte er sicherlich sein Lämmlein an einen sichern Ort schleppen, gleich dem Wolf, um es dann in Gemütsruhe zu genießen.« – »Jedenfalls wurde er gebührend gestraft,« sprach Oisille, »und ich bete zu Gott, daß es allen ähnlichen Frevlern gleichermaßen gehen möge. Doch wem gebt Ihr nun Eure Stimme, Guebron?« – »Euch, edle Frau, denn sicher wißt Ihr etwas Schönes zu berichten.«

»So will ich denn«, hub Oisille an, »einen Vorfall erzählen, der sich zu meiner Zeit zutrug und mir von einem Augenzeugen berichtet wurde. Da der Tod auch allem Unglück ein Ende macht, so ist er oft nicht die größte Strafe für einen Übeltäter. Schlimmer ist eine dauernde Qual, die schwer genug ist, um das Ende herbeizusehnen, doch nicht schwer genug, um es zu beschleunigen. In diesem Sinne handelte ein Ehemann mit seinem Weibe, wie ihr alsbald hören werdet.«

Erste Erzählung


Ein Weib in Alençon hat zwei Verehrer, den einen zur Lust, den andern für sein Geld. Den ersten, der den Betrug merkt, läßt sie töten und erwirkt Begnadigung für sich und ihren flüchtigen Mann. Der wendet sich dann, um eine Summe Geldes zu retten, an einen Schwarzkünstler. Ihr Treiben wird entdeckt und bestraft.

»Zu Lebzeiten des Herzogs Karl gab es in Alençon einen Prokurator Saint-Aignan, der eine liebreizende Frau jener Gegend geheiratet hatte. Doch war sie mehr schön denn sittsam: ob ihrer Reize und ihrer Leichtfertigkeit stellte ihr ein Prälat nach, dessen Name ich Standesrücksichten verschweigen will. Der wußte sich, um zum Ziele zu gelangen, gar wohl mit dem Ehemann zu stellen, also daß dieser von dem lästerlichen Umgange seiner Frau mit dem Prälaten nichts merkte, ja, daß er später seiner Ergebenheit für das Herrscherhaus vergaß, ins Gegenteil umschlug und endlich gar den Tod der Herzogin (Margarete) durch Zauberkraft betrieb.

Also lebte der Prälat lange Zeit im Ehebruche mit jener beklagenswerten Frau, die ihm mehr aus Geldgier denn aus Liebe ergeben war, zumal ihr Mann sie trieb, jenen an sich zu fesseln. Doch war in jener Stadt auch ein Jüngling, der Sohn des Stadtkommandanten, und den liebte sie bis schier zum Wahnsinn. Und oft mußte ihr der Prälat zu Diensten sein, indem er ihrem Mann Aufträge erteilte; dadurch fand sie Gelegenheit, den Sohn des Stadtkommandanten nach Gefallen zu sehen. Solchergestalt ging dies Treiben manche Zeit – des Vorteils wegen litt sie den Prälaten, zur Lust sah sie den Kommandantensohn, und diesem schwor sie, daß all ihr Liebesspiel mit jenem nur dem Zweck diene, für ihn freier zu sein. Jener habe nur Versprechungen empfangen und niemals fürwahr werde ein anderer denn er mehr erringen.

Als nun eines Tages ihr Mann zu dem Prälaten ging, bat sie ihn um Erlaubnis, aufs Land gehen zu dürfen, weil ihr die Stadtluft zuwider sei. Und als sie kaum auf ihrem Gutshofe angelangt war, da schrieb sie flugs dem Jüngling, er möge sie ja gegen zehn Uhr des Abends aufsuchen. Das tat der ärmste auch, doch fand er am Tore die Kammerzofe, die, statt ihn wie gewöhnlich hineinzulassen, ihm erklärte: ›Kehrt um, lieber Freund – Euer Platz ist besetzt.‹

Er vermeinte, der Gatte sei gekommen, und fragte, wie das käme. Als nun das gute Mädchen ihn so jung, schön und ehrenhaft vor sich stehen sah, so liebevoll und arg getäuscht, da erbarmte sie sich seiner. Sie berichtete ihm ihrer Herrin verräterisches Tun, da sie glaubte, es würde seine Liebe kühlen, wenn er das erführe. Sie erzählte, daß soeben der Prälat gekommen sei und ihr Lager teile; daß sie dessen Ankunst nicht erwartet hätte, maßen er erst tags darauf kommen sollte; daß der aber ihren Mann daheim festgehalten habe und noch spät abends aufgebrochen sei, um sie insgeheim zu sehen.

Der Sohn des Kommandanten war schier verzweifelt und konnt es gar nicht fassen. Er verbarg sich in einem Nachbarhause und wachte bis drei Uhr morgens; da sah er den Prälaten herausschlüpfen und erkannte ihn trotz seiner Verkleidung nur zu gut. Trostlos kehrte er nach Alençon zurück und alsbald kam auch seine treulose Freundin wieder dorthin. Die wollte ihn, gleichwie sie es gewöhnt war, weiter täuschen und suchte ihn auf. Doch er erklärte ihr: Maßen sie heilige Werkzeuge berührt habe, sei sie selbst zu heilig, um mit einem Sünder zu verkehren, der jetzt also tief in Reue versunken sei, um hoffentlich bald Vergebung zu finden.

Da sie erkannte, daß ihr Treiben durchschaut war, und da weder Entschuldigungen noch Schwüre noch Versprechen ihn zur Umkehr zu bringen vermochten, beklagte sie sich beim Prälaten. Und nach reiflicher Überlegung ging sie dann zu ihrem Mann und eröffnete ihm, sie könnte fürder nicht mehr in Alençon wohnen bleiben, weil des Kommandanten Sohn, auf den sie so große Stücke gehalten habe, unaufhörlich ihrer Tugend nachstelle. So möge er mit ihr nach Argentan übersiedeln, um allen Verdacht zu vermeiden. Und ihr Mann, der sich ganz von ihr leiten ließ, war ihr zu Willen.

Sie waren noch nicht lange in Argentan, da schrieb dies elende Weib an den jungen Mann, er sei ein ganz schlechter Kerl, denn sie habe erfahren, daß er öffentlich über sie und den Prälaten Übles rede, und sie werde dafür sorgen, daß er ihr das büße. – Der Jüngling hatte nie je außer mit ihr darüber gesprochen. Doch fürchtete er die Ungnade des Prälaten, und so reiste er mit zweien seiner Diener nach Argentan. Er fand die Dame in der Jakobinerkapelle beim Vespergottesdienst, kniete neben ihr nieder und sprach: ›Ich kam hierher, Madame, um Euch vor Gott zu schwören, daß ich niemals mit jemand anderem als Euch selbst über Euren Wandel gesprochen habe. Bös‘ war der Streich, den Ihr mir gespielt habt, und nicht die Hälfte der Vorwürfe habe ich Euch gesagt, die Ihr wohl verdient hättet. So aber jemand, sei es Mann oder Frau, behaupten will, ich hatte darüber gesprochen, den will ich vor Euch Lügen strafen, dafür bin ich hier!‹

Als sie erkannte, daß viel Volks in der Kirche war und daß er von zwei trefflichen Dienern begleitet war, zwang sie sich, gar anmutig mit ihm zu sprechen und versicherte ihm, ohne Zweifel sage er die Wahrheit. Sie habe ihn immer zu hoch geschätzt, um zu glauben, daß er Übles reden könne, und zumal über sie, die ihm so viel Freundschaft entgegenbrächte. Doch ihr Mann habe solcherlei vernommen, und so möge er vor ihm versichern, daß er mit niemandem gesprochen habe und auch keineswegs etwas dergleichen glaube.

Dazu war er gern bereit. Er vermeinte, sie wolle gleich von ihm begleitet werden und bot ihr den Arm. Doch sie entgegnete, es wäre nicht gut, wenn er mitkäme, denn ihr Mann würde glauben, sie hätte ihm seine Worte eingeschärft. Dann nahm sie einen seiner Diener beim Rockärmel und fuhr fort: ›Dieser hier mag mit mir gehen, und sowie es Zeit ist, schicke ich ihn zu Euch, um Euch zu rufen. Derweile ruht Euch in Eurem Gasthause aus.‹

Der junge Mann ahnte nichts Böses dahinter und ging. Indes gab sie dem Diener, den sie zurückbehalten hatte, ein reichliches Abendessen, und allemal, da er fragte, ob es nun nicht Zeit sei, den Herrn zu holen, erwiderte sie, er würde noch zu früh kommen. Um Mitternacht aber schickte sie heimlich einen ihrer Knechte, ließ den Jüngling kommen, und der eilte mutig und ahnungslos in das Haus besagten Saint-Aignans. Da jene Frau den andern Diener bewirtete, so hatte er nur noch einen bei sich. Kaum war er im Hause, so erklärte ihm der Knecht, der ihn gebracht hatte, die Dame wolle gern mit ihm vor ihrem Mann sprechen und erwarte ihn in einer der Stuben; doch habe sie nur einen ihrer Diener bei sich und darum täte er wohl daran, seinen andern Diener heimzuschicken. Also tat er und klomm sodann eine recht dunkle Stiege empor. Indessen hatte Prokurator Saint-Aignan in einer Kleiderecke Leute in den Hinterhalt gelegt und fragte nun, als er die Schritte hörte: ›Wer ist das?‹ Jemand antwortete, das sei ein Mann, der heimlich in sein Haus dringen wolle. Alsbald sprang ein gewisser Thomas Guérin hervor, ein gewerbsmäßiger Mörder, dessen gute Dienste sich der Prokurator teuer erkauft hatte. Der stach sogleich so oft und schnell auf den Jüngling ein, daß dieser trotz aller Gegenwehr sich nicht zu decken vermochte und tödlich getroffen niedersank. Der Diener, der mit der Dame sprach, sagte inzwischen: ›Ich höre meinen Herrn auf der Stiege sprechen; ich werde zu ihm gehen.‹ Doch sie hielt ihn zurück und entgegnete: ›Sorge dich nicht, er wird ja gleich kommen.‹ Als sodann sein Herr ausstieß: ›Ich sterbe –! Gott empfehle ich meine Seele!‹, da wollte er ihm zu Hilfe eilen. Doch sie hielt ihn wieder und meinte: ›Bleibe nur ruhig; mein Mann hat ihn ob seiner Jugendkeckheit gezüchtigt. Wir wollen sehen, was es da gibt.‹ Und sie trat an den Stiegenrand und fragte ihren Mann: ›Nun wie ist es? Erledigt?‹ Der erwiderte: ›Kommt her und seht! Soeben hab‘ ich Euch an dem gerächt, der Euch so schlimme Schande schuf!‹ Und nach diesem Worte zog er einen Dolch hervor und stach damit wohl zehn- oder zwölfmal in den Leib des Mannes, den lebend zu überfallen er nicht gewagt hätte.

Nachdem also der Mord vollbracht war und des Toten Diener davongeeilt waren, um dem armen Vater die Unglücksnachricht zu überbringen, bedachte Saint-Aignan, daß die Tat nicht geheim bleiben könne. Doch erwog er, daß die Diener des Ermordeten keine Augenzeugen waren und außer den Mördern nur eine alte Kammerfrau und eine junge Magd von fünfzehn Jahren die Tat mit angesehen hatten. So wollte er sich zunächst der Alten bemächtigen; doch die entschlüpfte zu den Jakobinern und war später die wertvollste Zeugin über dies Verbrechen. Die junge Magd blieb zwar noch einige Tage im Hause; aber der Prokurator ließ sie durch einen der Mörder verführen und dann in ein öffentliches Haus schleppen, auf daß sie nicht als glaubwürdige Zeugin auftreten könne. Um übrigens den Mord zu verbergen, ließ er den Leichnam des armen Opfers verbrennen und die Knochenreste in den Mörtel mischen, der bei Bauarbeiten in seinem Hause gebraucht wurde. Endlich schickte er eilends ein Gnadengesuch zu Hofe und gab darin an: zu wiederholten Malen habe er sein Haus einem Eindringling verbieten müssen, der augenscheinlich der Tugend seiner Frau nachstellte. Trotz dieses Verbotes habe sich jener nachts bei ihm eingeschlichen, um mit ihr zu reden. Maßen er ihn nun vor ihrer Stubentür fand, habe er ihn, von Zorn übermannt, getötet.

Trotz aller Eile kam sein Brief nicht schnell genug zur Kanzlei. Der Herzog und die Herzogin waren schon zuvor von dem armen Vater über die Tat unterrichtet worden und ließen den Kanzler wissen, daß er dem Gnadengesuche nicht entsprechen dürfe. Als der Elende sah, daß er nichts erreichen konnte, floh er nach Engelland und mit ihm sein Weib und etliche Verwandtschaft. Doch zuvor sagte er dem Mörder, der die Tat in Wirklichkeit vollbracht hatte, – der König habe in dringenden Briefen seine Festnahme und Hinrichtung angeordnet; doch er wolle ihm angesichts der erwiesenen Dienste das Leben retten, – und damit gab er dem Mörder zehn Taler und hieß ihn außer Landes zu gehen. Der tat es auch und ward nie je gefunden.

Indessen ward der Mord sowohl durch das Zeugnis der Diener des Verblichenen einwandsfrei festgestellt, als durch die Aussage der Kammerfrau, die zu den Jakobinern entwischt war, und endlich durch die Knochenreste, die sich im Mörtel fanden. So wurde ein Prozeß angestrengt und in Abwesenheit Saint-Aignans und seiner Frau verhandelt. Beide wurden in contumaciam zum Tode verurteilt, ihre Güter eingezogen und fünfzehnhundert Taler dem Vater zugesprochen. Nun erkannte Saint-Aignan in Engelland wohl, daß er von Rechts wegen in Frankreich ein toter Mann war. Doch erwies er hohen Herren manch guten Dienst, und hierdurch und durch gute Beziehungen über die Verwandtschaft seines Weibes hinweg erwirkte er, daß der König von Engelland dem König hier unterbreiten ließ, er möge doch Gnade walten und auch die Güter wieder freigeben lassen. Der unterrichtete sich über diese unerhörte schmutzige Tat und übersandte die Akten dem König von Engelland mit dem Ersuchen, er möge wohl erwägen, ob ein derartiger Fall Gnade verdiene. Zudem habe der Herzog von Alençon in seinem Gebiet allein das Recht, Begnadigung zu üben. Trotz alledem gab sich der König von Engelland nicht zufrieden und betrieb die Sache so eifrig, daß der Prokurator schließlich wirkich begnadigt wurde und nach Hause heimkehrte.

Um nun seiner Schlechtigkeit die Krone aufzusetzen, trat Saint-Aignan zu einem Schwarzkünstler in Beziehung, des Name Gallery war. Durch dessen Kunst erhoffte er der Zahlung jener fünfzehnhundert Taler freizuwerden, die er dem Vater des Ermordeten als Buße schuldete. Zu diesem Behufe begab er sich mit seinem Weibe verkleidet nach Paris. Da nun jene Frau inne ward, daß er mit besagtem Gallery lange Zeit hindurch in einer Stube eingeschlossen verblieb und nicht sagen wollte, aus welchem Grunde, so bespähte sie ihn eines Morgens und gewahrte, wie ihm Gallery fünf Holzfiguren vorwies. Die Arme von dreien derselben hingen herab, bei zweien waren sie emporgehoben3. Der Zauberer aber sprach zum Prokurator:

›Wir bedürfen solcher Figuren aus Wachs, dergestalt, daß die mit hängenden Armen diejenigen darstellen, die wir zu Tode bringen wollen, die mit erhobenen Armen aber jene, deren Gunst und Zuneigung wir wünschen.‹

Und der Prokurator erwiderte:

›So sei diese hier für den König, dessen Wohlgeneigtheit ich erstrebe, und jene dort für Brinon, den Herrn Kanzler von Alençon.‹

Gallery erklärte: ›Die Bildnisse müssen unter den Altar gelegt werden, und dort müßt Ihr eine Messe über sie sprechen mit Worten, die ich Euch allsogleich ansagen will.‹

Dann wandte sich der Prokurator zu den Figuren mit hängenden Armen und bestimmte: die eine solle für Gilles du Mesmil sein, den Vater des Ermordeten – denn er wußte gar wohl, daß jener nicht aufhören würde, ihn zu verfolgen, solange er am Leben sei. Die erste der beiden Frauenfiguren mit hängenden Armen solle der Frau Herzogin von Alençon, der Schwester des Königs, gelten, weil sie ihrem alten treuen Diener Mesnil so zugetan war und andererseits in so vielerlei Beziehungen des Prokurators Bosheit kannte, daß dieser bei ihren Lebzeiten seines Lebens nicht sicher war. Die andere Frauenfigur endlich mit hängenden Armen sei für sein Weib, der er all dieses Ungemach verdanke und die sicherlich nicht von ihrem lästerlichen Leben lassen würde.

Derweile erspähte seine Frau alles durchs Schlüsselloch. Und da sie inne ward, daß er sie dem Tod bestimmte, beschloß sie, ihn zuerst ins Jenseits zu schicken. Alsbald gab sie vor, von einem Onkel Geld leihen zu wollen suchte diesen, der Rentmeister des Herzogs von Alençon war, auf und berichtete ihm alles, was sie von ihrem Mann gesehen und gehört hatte. Der Onkel war ein greiser, pflichtgetreuer Mann. Flugs ging er zum Kanzler, erzählte ihm die Geschichte, und sintemalen das Herzogspaar an diesem Tage nicht bei Hofe war, übermittelte der Kanzler den seltsamen Fall der Frau Regentin, der Mutter des Königs, und der Herzogin. Die ließ alsbald La Barre, den Profoß zu Paris, holen, und der veranlaßte umgehend die Festnahme des Prokurators und seines Hexenmeisters Gallery.

Beide gestanden ohne Folter noch Kreuzverhör ihr Vergehen. So wurde ihnen der Prozeß gemacht und die Sache dem König überantwortet. Zwar wollten einige Personen sie retten und sagten dem König, die beiden hätten nur seine Gunst erstrebt. Doch dem König war seiner Schwester Leben gleich teuer wie das seinige, und so bestimmte er, das Urteil solle lauten, als ob sie auf seine eigene Person einen Mordanschlag verübt hätten. Desohngeachtet beschwor ihn seine Schwester, die Herzogin von Alençon, dem Prokurator das Leben zu schenken und eine schwere körperliche Strafe über ihn zu verhängen. Also geschah es denn auch, und dieser und mit ihm Gallery wurden nach Marseille auf die Galeeren von Saint-Blanquart geschickt, allwo sie ihr Leben in strengster Gefangenschaft beendeten und Muße fanden, der Schwere ihrer Sünden inne zu werden. Das schlimme Weib aber beharrte auch in Abwesenheit ihres Mannes in ihrem lästerlichen Leben, ward schlimmer denn je und starb im Elend.

So bitte ich euch, verehrte Damen, schaut wohl, was für Jammer ein boshaftes Weib anrichten kann. Seit Adams Fall durch Eva haben alle Frauen das ihre getan, um die Männer zu quälen, zu töten und in Verdammnis zu stürzen. Auch ich werde nach allem, was ich schon erlebt habe, gewißlich dermaleinst an der Verzweiflung sterben, die ich einer von ihnen verdanke. Und doch bin ich toll genug, zu sagen, daß mir Höllenqualen von ihr köstlicher erscheinen, denn Paradieseswonnen von einer anderen.«

Parlamente tat, als verstände sie ihn nicht und meinte: »Dann dürstet Ihr wohl auch die Teufelin, die Euch zu solcher Hölle schleppte, nicht so sehr fürchten?« Doch er erwiderte erregt:

»Wäre sie gleich schwarz von Angesicht, wie schlimm zu mir, so würde sie gewißlich der Gesellschaft ebensoviel Furcht schaffen, als mir Lust, wenn ich sie anschaue. Doch läßt der Liebe Glut mich die der Hölle vergessen. – Und nun will ich abbrechen und der edlen Frau Oisille das Wort geben. Sicherlich wird sie meine Ansicht bestätigen, wenn sie alles sagen wollte, was sie von Frauen weiß.«

Alsbald wandten sich alle zu jener hin und baten sie, zu beginnen. Des war sie zufrieden und hub also an: »Der mir das Wort erteilte, meine Damen, hat durch den wahrhaften Bericht von einem beklagenswerten Weib so viel schlimme Vorwürfe auf die Frauen gehäuft, daß ich meines ganzen langen Lebens Erinnerungsbild überblicken muß, um ein Geschehnis zu finden, das so üble Meinung widerlegen kann. Doch nun ist mir eines beigefallen, das wohl verdient, dem Staube der Vergessenheit entrissen zu werden, und das will ich euch berichten.«

  1. Hierüber ist näheres in der einleitenden Betrachtung zu finden. (Anmerkung des Übersetzers.)

Siebenundzwanzigste Erzählung


Wie ein dummer Schreiber ob der Frechheit, mit der er lüstern dem Weibe seines Gefährten nachstellte, jämmerlich beschämt wird.

»Zu Amboise wohnte der Kammerdiener einer Fürstin, ein ehrenwerter Mann, der gern Bekannte zu Gaste sah, und zumal seine Gefährten. So bekam er auch einmal den Besuch eines der Schreiber seiner Herrin, eines häßlichen Kerls mit einem Kannibalengesicht, der zehn oder zwölf Tage bei ihm wohnen blieb. Obgleich der nun gleich einem Bruder und Freund behandelt wurde, vergaß er aller Ehrbarkeit, maßen er wohl solche nie besessen hatte; er stellte nämlich dem Weibe seines Wirtes, das keineswegs etwa liebestoll und begehrlich war, in schamloser und ungeziemlicher Weise nach. Als nun jene seiner Lüsternheit inne ward, entschloß sie sich, durch Verstellung seine Niedertracht zu entschleiern, statt sie durch nachdrückliche Ablehnung wohl verhüllt zu belassen. So tat sie, als wäre sie seinem Vorhaben geneigt. Und er kümmerte sich weder um ihr Alter (sie war an die Fünfzig), noch um ihren Mangel an Reizen, noch gar um den Ruf ihrer Wohlanständigkeit und Liebe zu ihrem Mann, und da er sie jetzt gewonnen glaubte, ließ er schon gar nicht mehr locker.

Eines Tages nun war ihr Mann im Hause beschäftigt und sie mit dem Schreiber allein in einer Stube. Da erklärte sie ihm mit gutgespieltem Bedauern, leider wüßte sie keinen sicheren Ort, um ungestört, so wie er es wolle, mit ihm zu kosen; und flugs riet er ihr, in das Dachgeschoß zu gehen. Alsbald erhob sie sich, doch hieß sie ihn, voranzugehen. Er grinste zuckersüß, gleichwie ein brünstiger Affe, und klomm eifrig die Stiege hinauf. Als er aber oben ihrer harrte und die Glut seines Begehrens – nicht etwa hell flammte wie Wachholderzweige, sondern trübe schwelte gleich einer schmutzigen Kohle, da vernahm er statt ihres Schrittes die Worte: ›Wartet ein weniges, Herr Schreiber, ich will erst meinen Mann fragen, ob es ihm recht ist, wenn ich mit Euch kose.‹

Stellt euch bitte sein Gesicht vor, als er heulend herbeilief – maßen er doch lachend schon so häßlich war – und sie bei Gott beschwor, doch ja nichts zu sagen und gar die Freundschaft zu seinem Gefährten zu zerstören. Sie aber entgegnete: ›Sicherlich liebt Ihr ihn so herzlich, daß Ihr nur Dinge wünscht, die auch ihm Freude machen. Deshalb will ich es ihm erzählen.‹ Und das tat sie trotz allen Jammerns und Bittens. Da floh er also beschämt von dannen, wie der Ehemann ob der List seines Weibes erfreut war. Ja, die Tugend seiner Frau beglückte ihn so, daß er der Lasterhaftigkeit seines Gefährten gar nicht weiter gedachte und ihn für genügend bestraft hielt mit der Schande, die nun über ihn selbst gekommen war.

So mag man sich als anständiger Mensch wohl hüten, Gäste bei sich aufzunehmen, deren Gewissen und Begriffsvermögen von Gott, Ehre und wahrer Liebe nichts wissen.«

»War Eure Erzählung auch kurz,« meinte Oisille, »so pries sie doch in selten anmutiger Weise die Ehrbarkeit der Frau« – »Bei Gott« rief Simontault, »dazu gehört wahrlich keine große Ehrbarkeit, einen so häßlichen Kerl abzulehnen. Wäre jener Schreiber jung und schön gewesen, dann hätte sie viel mehr ihre Sittsamkeit erweisen können. Da könnte ich Euch aber, wenn ich an der Reihe wäre, eine nicht minder vergnügliche Geschichte erzählen« – »Wenn´s weiter nichts ist,« entgegnete Emarsuitte, »so gebe ich Euch gern das Wort.« Und jener hub alsbald folgendermaßen an:

»Wer am Hofe oder in großen Städten lebt, hält sich meist für besonders klug. Doch gibt es allenthalben Menschen, die gar schlau und listig sind. Und wenn nun jene, die sich stolz für die klügeren halten, den kürzeren ziehen, ist der Spott um so größer, wie ich euch durch jene kürzlich vorgefallene Geschichte erweisen will.«

Zweiundzwanzigste Erzählung


Ein eifriger Prior sucht unter dem Deckmantel der Frömmigkeit mit allen Mitteln eine Nonne zu verführen, wodurch seine Bosheit am Ende entschleiert wird.

»Zu Paris lebte ein Prior des Klosters Saint-Martin-des-Champs, dessen Name ich in Anbetracht unserer früheren freundschaftlichen Beziehungen verschweigen will. Bis zu seinem fünfzigsten Jahre führte er ein gar sittenstrenges Leben, also daß sich der Ruf seiner Heiligkeit über ganz Frankreich verbreitete und hohe fürstliche Persönlichkeiten ihn voll Achtung empfingen. Alle Verbesserungen in der Kirche gingen von ihm aus und schufen ihm den Beinamen ›Vater des wahren Glaubens‹. So wurde er zum Visitator der großen Frauenklöster von Fontevrault ernannt und alle Nonnen erzitterten vor Angst, wenn er eines dieser Klöster besichtigte. Um seine Strenge zu beschwichtigen, ward er gleich wie ein König empfangen. Das lehnte er anfangs ab. Da er aber dem fünfzigsten Lebensjahre nahekam, begann ihm die anfangs so streng verbetene Ehrung zu behagen. Er betrachtete sich allmählich selbst für einen Segen für die Kirche und begehrte, mehr für seine Gesundheit zu sorgen.

Obzwar also die Vorschriften jeden Fleischgenuss verbieten, dispensierte er sich selbst davon (was er keinem andern gewährt hatte) unter dem Vorwande, dass auf ihm alle Last der Kirche ruhe. So ließ er es sich gar wohl ergehen, und bald wurde der magere Mönch recht feist. Doch änderte die neue Lebensweise auch sein Gemüt, maßen er begann, sich die Gesichtlein wohl zu beschauen, denen er früher keine Beachtung geschenkt hatte. Und der Anblick so mancher Schönheit, die durch den Schleier nur begehrenswerter wurde, weckte in ihm das Verlangen: um das zu stillen, suchte er nach schlauen Listen, und aus dem Hirten wurde ein Wolf, so daß er am Ende jegliche etwas beschränkte Nonne kurzer Hand verführte. Nachdem er dergestalt lange Zeit in Unzucht gelebt hatte, erbarmte sich Gottes Güte der armen verirrten Lämmer und verhinderte so, daß der Böse weiter triumphierte.

Nämlich einmal besichtigte der Prior das Kloster Gif, nahe bei Paris. Als er nun alle Nonnen dort beichten ließ, fand er unter ihnen eine mit Namen Marie Hérouẽt, deren Stimme so gar hold und süß erlang, dass sie ein gleich sanftes Angesicht und Herz zu künden schien. Dieser bestrickende Wohllaut entflammte in seiner Seele eine Liebesglut, die heißer war als jene Leidenschaft, die alle Nonnen insgesamt bisher in ihm entzündet hatten. Also beugte er sich nieder, derweile er mit ihr sprach, und gewahrte alsbald einen gar lieblichen roten Mund. Nun vermochte er nicht mehr an sich zu halten: er lüftete ihren Schleier, und da er in ein Paar Augen blickte, die wohl dem übrigen glichen, durchzuckte ihn eine so jähe Begier, daß er darob nicht mehr essen noch trinken mochte, wie sehr er sich auch zu verstellen suchte.

Selbst nachdem er zu seiner Abtei zurückgekehrt war, fand er keine Ruhe. Tag und Nacht suchte er nach Mitteln und Wegen, wie er sein Verlangen gleich wie sonst stillen könnte. Er erkannte wohl, wie schwer das sei. Denn jene war gar tugendhaft und feinfühlig, er hingegen reichlich alt und hässlich. So entschloss er sich, Überredung nicht zu versuchen und sie durch Angst zu bändigen. Alsbald begab er sich wieder in jenes Kloster, zeigte sich aber dort strenger denn je: über jegliche Nonne ergrimmte er gewaltig; der einen Schleier hing nicht tief genug, die andere trug den Kopf zu hoch, die dritte verneigte sich nicht demütig genug. So fürchteten ihn alle wie Gott beim Jüngsten Gericht. Und er durchschnüffelte, obgleich er die Gicht hatte, alle Winkel, bis er zur Vesperstunde, die er erwartet hatte, in den Schlafsaal gelangte. Die Äbtissin sagte: ›Ehrwürdiger Vater, es ist Zeit, den Vespergottesdienst zu halten.‹ Worauf er erwiderte: ›Gut, gut, haltet ihn; ich bin schon zu müde und will hier nur noch bleiben – nicht, um mich auszuruhen – sondern um mit der Schwester Marie zu reden, über die mir Schlechtes berichtet wurde: sie soll klatschsüchtig sein wie ein Weib der eitlen Welt.‹

Die Äbtissin war eine Tante ihrer Mutter. Darum bat sie ihn, sie gehörig ins Gebet zu nehmen, und ließ sie allein mit ihm und einem jungen Geistlichen, der zu seiner Begleitung gehörte. Alsbald hob er ihren Schleier auf und hieß sie, ihn anzublicken Sie erwiderte, die Vorschrift verbiete ihr, Männer anzuschauen. ›Schon gut,‹ antwortete er, ›aber vermeinet nicht, meine Tochter, daß Geistliche noch für Männer gelten.‹ Daher fürchtete Marie, sie könne sich durch Ungehorsam zur Schuld bringen, und blickte ihn an; doch fand sie ihn so häßlich, daß ihr bedünkte, dieser Anblick sei mehr eine Strafe denn eine Sünde. Nun hielt ihr der biedere Pater etliche erbauliche Reden und begann am Ende ihre Brust zu betasten. Aber sie stieß ihn zurück, wie es ihre Pflicht war. Da rief er höchlich ergrimmt: ›Darf etwa eine Nonne wissen, daß sie Brüste hat?‹ Doch sie entgegnete: ›Ich weiß, daß ich welche habe, und weder Ihr noch ein anderer wird sie berühren. Ich bin nicht mehr so jung und unwissend, um nicht darüber klar zu sein, was Sünde ist und was nicht!‹

Als er inne ward, daß sie mit Redensarten nicht zu fassen war, versuchte er ihr auf andere Weise beizukommen und sprach: ›Wehe, meine Tochter, ich muß Euch gestehen, daß ich unter einem Zwange leide, einer Krankheit, die nach Ansicht der Ärzte unheilbar ist, wenn ich mich nicht an einer geliebten Frau ergetze und mit ihr Kurzweil treibe. Wahrlich, ich möchte keinerlei Todsünde begehen. Doch wenn es darauf ankommt, weiß ich gar wohl, daß Hurerei einem Morde noch keineswegs gleich ist. Ist Euch also mein Leben lieb, so könnt Ihr Euch den Vorwurf der Grausamkeit ersparen und es mir retten.‹ Darauf fragte sie, was für eine Kurzweil er meine, und er entgegnete, sie könne auf sein Gewissen vertrauen, er würde nichts tun, was ihr oder ihm zur Last fiele. Und um den Anfang jener Kurzweil zu zeigen, umarmte er sie und versuchte sie aufs Bett zu werfen. Doch sie durchschaute seine Absicht und wehrte ihm so wohl mit Worten und Armen, daß er nur ihr Gewand berühren konnte.

Kaum sah er ein, daß seine Kniffe und Anstrengungen erfolglos waren, da ward er über die Maßen wütend, verlor nicht nur jede Gewissensregung, sondern gar jegliche Vernunft, griff unter ihren Rock und zerkratzte, was er nur erreichen konnte, mit solchem Ingrimme, daß das arme Mägdelein unter lautem Geschrei der Länge nach ohnmächtig zur Erde niederstürzte. Auf dies Geschrei kam die Äbtissin in den Schlafsaal gelaufen. Sie hatte sich erinnert, daß sie die Tochter ihrer Nichte allein bei dem wackeren Pater gelassen hatte, und da solches ihr Gewissen beschwerte, war sie vom Gottesdienst fortgegangen und zur Tür des Schlafsaales getreten, um zu horchen, was da vorginge. Nun stieß sie die Tür auf, die der junge Mönch hütete.

Als der Prior sie kommen sah, wies er auf ihre bewußtlose Nichte und rief: ›Ihr tatet nicht recht daran, daß Ihr mich nicht unterrichtet habt, wie schwach die Gesundheit der Schwester Marie ist. So ließ ich sie vor mir stehen, derweile ich sie ins Gebet nahm, und darob ward sie, wie Ihr sehet, bewußtlos.‹

Mit Essig und anderen Mitteln brachten sie die Nonne wieder zur Besinnung und fanden, daß sie sich durch den Sturz am Kopf verletzt hatte. Aber der Prior fürchtete, sie könnte ihrer Tante erzählen, was er ihr angetan hatte. Daher sagte er, sobald sie wieder zu sich kam: ›Meine Tochter, bei Strafe der ewigen Verdammnis befehle ich Euch, daß Ihr niemals von dem sprechet, was ich hier getan habe. Ihr wißt, daß maßlose Liebe mich überwältigte, und da Ihr nicht nachgeben wollt, so werde ich nie wieder davon reden. Wollt Ihr mich aber lieben, so ließe ich Euch zur Oberin einer der schönsten Abteien des Königreiches ernennen.‹ Sie entgegnete darauf, lieber wolle sie in ewiger Kerkerhaft umkommen denn je einen andern lieben als den, der für sie den Kreuzestod erlitten habe. Nie solle er fürder mehr mit dergleichen an sie herantreten, sonst würde sie es der Äbtissin sagen. Anderenfalls würde sie schweigen.

So ging denn der schlimme Hirt von dannen. Um sich aber recht zu verstellen und zudem die Geliebte nochmals zu sehen, wandte er sich zu der Äbtissin und sprach: ›Ehrwürdige Mutter, laßt Eure Töchter ein Salve Regina zu Ehren jener Jungfrau singen, auf die ich große Hoffnungen setze.‹ Das geschah; und während des Gesanges vergoß der alte Fuchs heiße Tränen, doch nicht aus Andacht, sondern aus Schmerz, daß seine frommen Wünsche sich nicht erfüllt hatten. Alle Nonnen vermeinten, das geschähe zu Ehren der heiligen Jungfrau, und hielten ihn für einen gar frommen Mann. Schwester Marie aber kannte nun seine Bosheit und betete innerlich zu Gott, er möge diesen Verächter der Keuschheit zermalmen. Dann machte sich der Heuchler wieder nach Saint-Martin davon.

Doch das arge Feuer brannte dort weiter in seinem Herzen und Tag und Nacht suchte er nach Auswegen, die ihn zum Ziele führen könnten. Maßen er nun vor allem die tugendhafte Äbtissin fürchtete, bedachte er, sie von dem Kloster zu versetzen. Also begab er sich zur Frau von Vendôme, die zu La Fère wohnte und ein Benediktinerkloster Mont d’Olivet erbaut hatte. Über dieses hatte er ebenfalls die Aufsicht. Darum gab er jener zu verstehen, die derzeitige Äbtissin von Mont-d’Olivet sei ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen. Alsbald bat ihn die Dame, ihr eine würdigere zu nennen, und sintemalen er das gerade gewünscht hatte, riet er ihr, die Äbtissin von Gif zu nehmen, die von allen Damen Frankreichs sicher am geeignetsten sei.

Alsbald ließ Frau von Vendôme jene mit dem Kloster Mont-d’Olivet betrauen und statt ihrer setzte der Prior in Gif eine Äbtissin ein, die ihm völlig ergeben war. Einige Zeit nach dieser Wahl begab er sich wieder nach Gif um nochmals den Versuch zu machen, ob er durch Bitten und Sanftmut die Schwester Marie Hérouẽt nicht gewinnen könne. Aber er mußte erkennen, daß es vergeblich war und kehrte daher wieder nach Saint-Martin zurück. Und um nun gleichzeitig sein Ziel zu erreichen und ob ihrer Grausamkeit an ihr Rache zu nehmen, ohne daß seine Arglist an den Tag käme, tat er folgendes Eines Nachts ließ er heimlich die Reliquien aus Gif stehlen und beschuldigte dessen den dortigen Beichtvater, einen ehrwürdigen Greis. Dafür befahl er, ihn ins Gefängnis von Saint-Martin zu sperren. Dann ließ er zwei Zeugen ein Schriftstück unterzeichnen, ohne daß sie es lesen durften, und darin stand geschrieben: ›Sie hätten gesehen, wie jener Beichtvater mit der Schwester Marie im Garten schmutzige, unzüchtige Handlungen begangen habe!‹ Weiter verlangte er von dem Beichtvater, diese Tatsachen einzugestehen. Der kannte aber die Vergehen des Priors gar wohl und bat daher, ihn dem Kapitel vorzuführen, wo er vor allen Geistlichen die volle Wahrheit aussagen wolle. Der Prior sagte sich, daß die Rechtfertigung jenes Beichtvaters seine eigene Verurteilung nach sich ziehen würde, und wollte darauf nicht eingehen. Und da jener fest blieb, behandelte er ihn so schlecht, daß er nach Ansicht der einen starb, nach Ansicht der anderen aber seine Kutte ließ und in die Fremde floh. Jedenfalls hat man ihn seitdem nie wieder gesehen.

Nachdem der Prior sich so gesichert hatte, begab er sich in jenes Kloster, deren Äbtissin zu abhängig von ihm war, um sich ihm irgendwie zu widersetzen. Dort befahl er allen Nonnen, kraft seiner Autorität, vor ihm zu beichten und ließ eine nach der andern zu sich in ein Zimmer treten. Als nun Schwester Marie an der Reihe war, die den Schutz ihrer guten Tante nicht mehr zur Seite hatte, hub er also an: ›Ihr wißt, wessen Ihr verklagt seid und daß alle keusche Heuchelei Euch nichts hilft; denn wir wissen, was davon zu halten ist.‹ Schwester Marie entgegnete sehr zuversichtlich: ›Laßt den Kläger vor mich treten, so wollen wir sehen, ob er seine Behauptung aufrechterhält.‹ Er aber erklärte: ›Da der Beichtvater selbst es zugegeben hat, braucht Ihr andere Beweise!‹ Schwester Marie erwiderte: ›Ich schätze ihn zu hoch, als daß ich annehmen könnte, daß er solche gemeine Lüge zugegeben hat. Doch laßt ihn doch vor mich treten, so will ich ihn schon widerlegen.‹

Als der Prior sah, daß er sie auf keine Weise aus der Fassung bringen konnte, sprach er: ›Ich bin gleichsam Euer Vater und will daher Eure Ehre retten. Ich überlasse alles Euerm Gewissen und beschwöre Euch daher, mir bei der Strafe ewiger Verdammnis der Wahrheit gemäß zu versichern, ob Ihr noch Jungfrau waret, als Ihr hier eintratet.‹ Sie entgegnete: ›Ehrwürdiger Vater, damals war ich fünf Jahre alt. Das mag Euch ein genügender Beweis sein.‹ – ›Sehr wohl, meine Tochter. Und seitdem habt Ihr Eure Jungfrauenschaft nicht verloren?‹ Sie schwor, das sei nicht möglich gewesen, maßen niemand anderes als er selbst ihr zu nahe gekommen sei. Darauf entgegnete er, das könne er nicht so ohne weiteres glauben und es käme auf den Beweis an.

›Was für einen Beweis wollt Ihr haben?‹ fragte sie. – ›Den gleichen, den andere mir lieferten. Denn gleichwie ich Seelen prüfen muß, muß ich auch die Körper prüfen. Eure Äbtissinnen und Oberinnen sind alle durch meine Hand gegangen. Darum fürchtet nicht, daß ich Eurer Jungfrauenschaft nachstelle. Vielmehr leget Euch auf jenes Bett, hebet Eure Röcke hoch und bedecket damit Euer Gesicht.‹ Aber Schwester Marie entgegnete voller Zorn: ›Ihr habt mir so viel von Eurer tollen Liebe erzählt, daß ich fürchte, Ihr wollt mir viel eher meine Jungfrauenschaft nehmen denn sie besichtigen. Darum werde ich Euch nie zu Willen sein.‹ Alsbald erklärte er ihr, er werde sie wegen Ungehorsams exkommunizieren und vor dem ganzen Kapitel entehren, indem er ihr Vergehen enthülle – sofern sie nicht nachgäbe. Doch sie erwiderte furchtlos: ›Der, so die Herzen seiner Diener kennet, wird mir soviel Ehren spenden, als Ihr mir vor jenen Schande aufladet. Und da Eure Bosheit so weit gekommen ist, erschöpfet lieber Eure Grausamkeit gegen mich, statt Euer Begehr an mir zu stillen, denn Gott ist unser Richter.‹

Alsbald ließ er das ganze Kapitel versammeln und Schwester Marie vor allen niederknien. Sodann sprach er zu ihr mit gutgespielter Entrüstung: ›Schwester Marie, es mißfällt mir sehr, daß meine gutgemeinten Vorhaltungen so ergebnislos bleiben und Ihr also in Ungebühr verharret, daß ich mich gezwungen sehe, gegen meine Gewohnheit Euch eine Buße aufzuerlegen. Nachdem ich Euren Beichtvater bezüglich der ihm vorgeworfenen Vergehen ins Verhör genommen habe, gestand er mir, daß er sich an Euch vergangen hat, so wie die Zeugen dies angegeben hatten. Gleichwie ich Euch nun vorher geehrt und über die Novizen gesetzt habe, so verurteile ich Euch nunmehr, nicht nur der letzten unter ihnen ergeben zu sein, sondern zudem auch vor allen Schwestern auf den Knien Wasser und Brot zu genießen, bis Euere Reue genügend erscheint, um diese Strafe zu mildern.‹

Schwester Marie war von einer Gefährtin, die das Verfahren kannte, darauf aufmerksam gemacht worden, daß sie im Falle eines Widerspruches zu lebenslänglicher Kerkerhaft (in pace) verurteilt würde. Daher ertrug sie geduldig die Worte des Priors, hob die Augen zum Himmel empor und bat den, der ihr zu diesem Widerstände die Kraft verliehen hatte, er möge sie auch dies harte Geschick in Festigkeit tragen lassen. Der Prior aber gebot noch obendrein, während dreier Jahre kein Gespräch zwischen ihr und ihren Eltern und Verwandten zu erlauben, falls diese sie besuchen sollten, noch auch das Schreiben von Briefen, sofern sie nicht zur Durchsicht gegeben würden. Dann ging der elende Mensch von dannen und ließ sich lange Zeit nicht mehr dort sehen. Das arme Mägdelein aber erduldete seit jener Zeit die auferlegte Strafe.

Als ihre Mutter, die alle ihre Kinder herzlich liebte, fürder keine Nachricht mehr von ihr erhielt, ward sie beunruhigt und sprach ihrem Sohne gegenüber die Vermutung aus, daß jene Tochter vielleicht gestorben sei und die Nonnen es ihr verheimlichten um das Jahresgeld nicht zu verlieren; sie bat ihn daher, auf irgendeine Weise zu ermöglichen, daß er sie sähe. Der junge Edelmann ging unverweilt zum Kloster, wo man ihm die gewohnten Entschuldigungen vorbrachte: sie läge seit dreien Jahren im Bett und vermöge nicht sich zu rühren. Jener aber gab sich damit nicht zufrieden und schwor, er würde über die Mauer klettern und in das Kloster eindringen. Da ergriff die Nonnen die Angst, und sie brachten die Schwester an das Gitter, während die Äbtissin so dicht neben ihr blieb, daß sie alles hören konnte, was jene etwa sagen würde.

Schwester Marie aber war klug und hatte alles, was weiter oben berichtet war, ausgeschrieben, und obendrein noch vielerlei Verführungsversuche des Priors, die ich nicht berichten will, weil es zu lang wäre. Nachgetragen sei nur noch aus jener Zeit, da ihre Tante dort Äbtissin war, daß er diese Schwester durch einen jungen schönen Geistlichen hatte versuchen lassen, da er vermeinte, sie wiese ihn nur ob seiner Häßlichkeit ab und er könne sie einschüchtern, wenn sie an jenem Gefallen fände und sich ihm hingäbe. Als aber der Geistliche ihr dort – unter so schamlosen Gebärden, daß ich mich schämen würde, sie zu beschreiben – dieserart zusetzte, lief das arme Mägdelein angstvoll aus dem Garten, wo dies geschah, zu der Äbtissin, die mit dem Prior plauderte, und rief: ›Die uns visitieren, sind keine Geistlichen, sondern Teufel!‹ Der Prior hatte Angst, daß seine Bosheit an den Tag käme, und entgegnete lachend: ›Wahrlich, die Schwester Marie hat recht.‹ Dann nahm er sie bei der Hand und sagte vor der Äbtissin zu ihr. ›Ich hatte gehört, daß Schwester Marie den Eitelkeiten der Welt ergeben sei. Darum richtete ich Worte an sie, wie ich sie gelesen hatte (denn aus Erfahrung kenne ich nichts dergleichen); und da ich bedachte, nur mein Alter und meine Häßlichkeit wären an ihrem tugendhaften Gebahren schuld, befahl ich jenem jungem Mönche, gleichermaßen mit ihr zu sprechen. Nun habe ich ihre wahre Tugendhaftigkeit erkannt und wünsche daher, daß sie nach Euch die Erste sei, auf daß ihr Wille zur Tugend auch fürder wachse und gedeihe.‹

Dies alles hatte nebst vielem andern der wackere Prior in den drei Jahren, da er in jene Nonne verliebt war, sich zuschulden kommen lassen, und die Beschreibung dieser klaglichen Geschichte reichte sie ihrem Bruder durch das Gitter. Dieser brachte den Brief seiner Mutter, und selbige eilte verzweifelt nach Paris zu der Königin von Navarra, der einzigen Schwester des Königs. Als die Königin den Bericht gelesen hatte, war sie schmerzlich bewegt, denn sie hatte dem Prior stets vertraut und ihm auch ihre Schwägerinnen, die Äbtissinnen von Montivilliers und Caen, unterstellt. Aber diese Verbrechen erfüllten sie mit solchem Abscheu und Rachedurst, daß sie die Angelegenheit dem Kanzler des Königs übergab, der damals zugleich päpstlicher Legat in Frankreich war. Dann ließ sie den Prior holen, der sich nur mit seinem Alter von siebzig Jahren zu entschuldigen wußte und die Königin bat, ihm in Anbetracht sonstiger Verdienste den Prozeß zu ersparen. Auch wolle er gern jene Schwester Marie für eine Perle an Ehrsamkeit und Jungfräulichkeit erklären.

Die Königin war so verblüfft, daß sie ihn ohne Antwort stehen ließ. Er aber kehrte verwirrt in sein Kloster zurück, ließ sich vor niemandem mehr sehen und starb ein Jahr darauf. Die Schwester Marie aber wurde nach Verdienst geehrt und von Königs Gnaden zur Äbtissin von Gien bei Montargis ernannt, wo sie viele Verbesserungen schuf und gleich einer Gottbegnadeten ihr Leben verbrachte.

Diese Geschichte, meine Damen, erweist wieder die Wahrheit des Ausspruches Jesu Christi: ›Wer sich erhöhet, der soll erniedrigt werden, und wer sich erniedrigt, der soll erhöhet werden‹.«

»O wie viele Leute hat jener Prior getäuscht!« rief Oisille aus. Sichtlich glaubte man ihm mehr denn Gott selbst« – »Ich täte das nicht,« meinte Nomerside, »denn ich mag mit diesen Leuten nichts zu tun haben.« – »Es gibt auch gute unter ihnen,« entgegnete jene, »und man soll nicht alle verurteilen. Die besten sind aber die, so sich weltlichem Leben und den Frauen fernhalten.« – »Irrt Euch nur nicht,« bemerkte Emarsuitte. »Die man wenig sieht, kennt man schlecht und könnte sie darum wertschätzen. Denn bei näherer Bekanntschaft erweist sich erst ihr wahrer Charakter.« – »Ach, lassen wir das und sehen wir, wem Guebron das Wort erteilt,« unterbrach Nomerfide. – »Ich gebe es Frau Oisille,« sprach dieser, »auf daß sie etwas zum Ruhme der geistlichen Brüder berichte.« Und Oisille sprach:

»Wir haben geschworen, die Wahrheit zu erzählen, und davon mag ich nicht abgehen. Nun fiel mir bei der letzten Geschichte eine andere ein, die zwar auch sehr betrüblich ist, die ich aber erzählen möchte, da sie sich zu meiner Zeit und in meiner Gegend ereignete. Zudem möget ihr daraus entnehmen, daß ihr jene Heuchler nicht für frömmer zu halten braucht als andere Sterbliche, vielmehr euer Heil einzig in Dem ruht, der uns allein in seiner Allmacht zum ewigen Leben verhelfen kann. Erkennet, daß Satan sich oft in Engelsgestalt kleidet und uns so verblendet, und vernehmet darum die folgende wahrhaftige Geschichte.«