Vierzigste Erzählung


Ein Edelmann erschlägt einen andern, weil er nicht weiß, daß es sein Schwager ist.

»Jener Vater Rolandines hatte mehrere Schwestern, von denen einige reich verheiratet, andere im Kloster waren. Eine aber, die unvergleichlich viel schöner war als alle anderen, blieb unvermählt im Hause, und ihr Bruder liebte sie mehr denn Weib und Kind. So oft jemand um sie anhielt, zeigte er sich abgeneigt, weil er die Trennung fürchtete und zudem zu sehr am lieben Gelde hing. Und so verbrachte sie in Ehrbarkeit einen großen Teil ihres Lebens daselbst, ohne sich zu vermählen.

Nun lebte bei ihrem Bruder ein junger Edelmann, der von Jugend an dort aufgewachsen war und mit der Zeit so an Schönheit und Tugend zunahm, daß er ganz unvermerkt seinen Herrn beherrschte. Wollte selbiger etwas von seiner Schwester, so schickte er stets den Edelmann, und so entstand allmählich zwischen den beiden eme herzliche Freundschaft. Doch aus Scheu vor dem Schloßherrn und um der Ehre seiner Schwester willen begnügten sie sich mit Plaudern, bis eines Tages der Bruder erklärte, er hätte gern sein Geld darangegeben, daß jener junge Edelmann aus gleich edlem Hause wäre, maßen er niemanden lieber als ihn zum Schwager gehabt hätte. Das wiederholte er so oft, daß die beiden endlich darüber sprachen und zu dem Entschluß kamen: wenn sie sich heimlich vermählen würden, könnten sie leicht des Schloßherrn Verzeihung erringen. Und also taten sie und vollzogen die Ehe, ohne daß jemand sonsten darum wußte, als der Priester und einige Frauen.

Nachdem sie derart eine Reihe von Jahren gelebt hatten, so glücklich eines der schönsten Ehepaare der Christenheit nur leben konnte, beneidete sie wohl Fortuna ob ihrer Zufriedenheit und ließ ihnen einen Feind erstehen. Der erspähte sie, just als sie ihr Glück in vollen Zügen genossen, und da er von jener Ehe nichts wußte, so hinterbrachte er dem Schloßherrn: jener Edelmann, dem er so sehr vertraue, besuche auffällig oft die Gemächer der Schwester zu Zeiten, da Männer sie nicht betreten dürften. Der Bruder wollte ihm anfangs nicht glauben. Aber jener stellte nun, gleich als läge ihm die Ehre des Hauses allzusehr am Herzen, einen Aufpasser hin, der die Nichtsahnenden wirklich überraschte.

So wurde also eines Abends der Bruder benachrichtigt, daß der Edelmann bei seiner Schwester weile. Flugs ging er hin und fand die beiden von Liebe Verblendeten beieinander im Bett ruhen. Der Zorn raubte ihm die Worte: er zog den Degen und stürzte auf den Edelmann zu, um ihn zu erstechen. Der aber war behende, entwich ihm, und da er zu Tür nicht hinauskonnte, sprang er aus dem Fenster in den Garten. Die arme Dame warf sich im Hemd vor ihrem Bruder auf die Knie und rief: ›Schont meines Gatten Leben: ich habe mich ihm vermählt, und wenn Euch das kränkt, so straft mich allein, denn es geschah auf meinen Wunsch!‹

Der Bruder aber war vor Zorn außer sich und erklärte: ›Und mag er hunderttausendmal dein Gatte sein, ich werde ihn als einen Diener strafen, der mein Vertrauen getäuscht hat!‹ Und damit lief er zum Fenster und schrie hinaus, man solle jenen töten, was auch alsbald vor beider Augen geschah. Als aber die Schwester dies grauenhafte Bild sah, das sie durch keine Bitten hatte verhindern können, da redete sie wie von Sinnen und sprach:

›Ich habe weder Vater noch Mutter und bin alt genug, mich nach eigenem Willen verheiraten zu können. Ich nahm den, von dem Ihr selbst oft sagtet, daß Ihr ihn mir zum Manne wünschtet. Trotzdem habt Ihr nun so meinen Liebsten getötet. So bitte ich Euch denn bei Eurer Liebe zu mir, laßt mich ihm in den Tod folgen, damit ich sein Geschick teile, wie wir all unser Glück geteilt hatten!‹

Der Bruder ward, trotzdem er vor Zorn raste, doch so weit von Mitleid ergriffen, daß er sie, ohne auf ihre Bitte zu antworten, verließ. Mochte er nun bei ruhiger Überlegung und ob der Kunde von jener Vermählung sein Verbrechen bereuen; mochte er fürchten, daß seine Schwester um Recht und Rache flehen könne – kurz, er ließ ihr jenes Schloß inmitten des Waldes bauen, sperrte sie dort ein, und verbot jedem mit ihr zu sprechen.

Nach einiger Zeit quälte ihn aber sein Gewissen. Er wollte sie wieder für sich gewinnen und schlug ihr eine Heirat vor. Sie aber ließ ihm sagen, er habe ihr eine so schlimme Suppe eingebrockt, daß sie auf weitere Gänge verzichte und hoffe dadurch, daß sie allein lebe, ihn vor einem weiteren Morde zu behüten. Zwar sei sie selbst zur Rache zu schwach, doch rechne sie auf den Richter droben, der kein Verbrechen ungestraft lasse und dem sie nun ihr einsames Leben weihen wolle.

Also tat sie, blieb ihr ganzes Leben dort und ward nach ihrem Tode wie eine Heilige verehrt. Bald verfiel auch das Haus ihres Bruders derart, daß von sechs Söhnen fünf im Elend starben. Und schließlich, wie ich erzählt hatte, starb auch der letzte und die ganze Erbschaft fiel an jene Rolandine, die in dem gleichen Gefängnis gelebt hatte wie ihre Tante.

So bitte ich Gott, daß an diesem Beispiele euch allen die Lust vergeht, meine Damen, euch zu eurem Vergnügen ohne Zustimmung eurer Verwandten zu vermählen. Solch ernsten Schritt soll man nicht leichtfertig und ohne guten Rat unternehmen, sonst kann man ebensoviel Leid als Lust erleben.«

»Dennoch scheint mir die Freude, den Geliebten zu heiraten, so groß, daß sie den Kummer überwiegen muß, ihn durch den Tod zu verlieren,« meinte Nomerfide. »Denn das ist doch der Lauf der Welt. Zudem war sein Tod der kürzeste und somit der beste. Denn ich kann nur die glücklich preisen, die nicht lange in den Vorhallen des Todes zu weilen brauchen und geradeswegs aus dieser irdischen in die ewige Seligkeit einziehen.« – »Und scheint Euch denn die Schande nichts,« fragte Longarine, »und jene Gefangenschaft, die sie erdulden mußte?« – »Ich finde,« erwiderte diese, »wer vollkommen und nach Gottes Geboten liebt, kennt keine Schande. Was aber jene Gefangenschaft betrifft, so kann sie, die darin einzig Gott und dem Gedenken ihres Mannes lebte, selbige nur als Freiheit empfunden haben. Zudem ist kein Gefängnis eng, wenn die Gedanken sich in weitem Fluge ergehen können.« – »Aber wie konnte auch der Schloßherr also den Edelmann vor seiner Schwester rühmen!« rief Longarine. »Das gleicht der Torheit und Grausamkeit jenes Mannes, der einem vor Durst Ersterbenden die Güte seiner Quelle rühmt und ihn tötet, weil er davon trinkt.«

»Ich finde es vielmehr verwunderlich,« sprach Saffredant, wie man es schlimm finden kann, daß ein schlichter Edelmann ohne List oder Gewalt eine Frau aus großem Hause heiratet, maßen doch der geringste Mann immer noch mehr wert ist als die vornehmste Frau.« – »Das geschieht für die Öffentlichkeit,« sagte Dagoucin, »damit nicht durch Nichtachtung des Adels die Monarchie untergraben werde.« – »Es gibt auch manche Liebesehen,« widersprach Guebron, »die zustande kamen, obgleich die Familien nicht gleich wert waren. Aber man hat sie bereut, obgleich Herz und Anlagen gleich schienen: solch unerwünschte Liebe führt zu Eifersucht und wilden Wutausbrüchen.« – »Mir scheint einzig lobenswert,« schnitt Parlamente ab, »daß alle Menschen sich Gottes Willen unterwerfen, Ruhm, Geiz und Wollust verachten und in Züchten und Ehren nach den Sitten und Gesetzen in die Ehe treten. Gibt es auch kein Leben ohne Leid, so wird diesen doch keine Reue zuteil.«

Alsbald schwuren Hircan, Guebron, Simontault und Saffredant, daß sie sich nur so verheiratet hätten und es nie bereuen würden. So waren alle zufrieden und begaben sich zur Messe, wo die Mönche ihrer harrten. Danach speisten sie und sprachen dabei noch gar mancherlei über die Ehe. Doch redeten sie so hin und wieder, daß sich das nicht im einzelnen berichten läßt. Drob nahte die Stunde der Nacht schneller als sie es erwarteten. Nur Oisille merkte, daß es Zeit wurde, sich zurückzuziehen, und gab darum das Zeichen zum Aufbruch. Und so gingen alle in ihre Stuben, zumal die Eheleute, die statt zu schlafen, einen Teil der Nacht von vergangenen Liebesstunden plauderten und die gegenwärtigen auskosteten. Derart verging gar sanft die Nacht, bis der Morgen anbrach.

Der fünfte Tag

Als der Tag graute, bereitete Frau Oisille das geistige Frühmahl, das gar schmackhaft geriet und Geist und Körper der aufmerksamen Zuhörer erquickte. Sobald dann die Meßglocke erklang, setzte die ganze Gesellschaft die erhaltenen Belehrungen in Taten um, lustwandelte sodann etwas und begab sich schließlich zu Tisch in der Erwartung, diesen Tag nicht minder erfreulich zu gestalten: Saffredant äußerte gar, er wünschte, die Brücke bliebe noch einen ganzen Monat unvollendet, so viel Freude fände er an den Genüssen, die alltäglich gespendet würden. Der Abt hingegen suchte den Bau nach Möglichkeit zu beeilen, da ob jener erlauchten Gesellschaft die Pilger nicht so lange an den heiligen Stätten weilen mochten, als sie es sonst zu tun pflegten.

Nachdem dann alle eine Weile geruht hatten, eilten sie zur gewohnten Kurzweil, und sowie sie sich gelagert hatten, fragten sie Parlamente, wem sie das Wort erteile. Die sprach: »Mir scheint, Saffredant würde einen guten Anfang machen. Wenigstens sieht sein Gesicht nicht nach Tränen aus.« Und alsbald hub jener an:

»Ihr würdet recht grausam sein, meine Damen, wenn ihr mit dem Franziskaner kein Mitleid hättet, dessen Geschichte ich euch erzählen will. Nach den bisher berichteten Fällen könntet ihr vielleicht glauben, diese Mönche machten sich nur über arme Frauen her, da sie bei diesen des Erfolges sicher sind und nichts fürchten. Nun sollt ihr aber erkennen, wie sehr ihre Lüsternheit sie verblendet und Furcht und Überlegung raubt. So vernehmt denn einen Fall, der sich in Flandern zutrug.«

Einundvierzigste Erzählung


Von der neuartigen, seltsamen Buße, die ein Franziskaner als Beichtvater einem Mägdelein auferlegte.

»In dem Jahre, da Margarete von Österreich im Auftrage ihres Neffen, des Kaisers, nach Cambral kam, um mit Luise von Savoyen, der Mutter des allerchristlichen Königs, über den Frieden zu verhandeln, kam auch in Margaretens Gefolge die Gräfin von Aiguemont dorthin und erfreute sich des Ruhmes, für die schönste Frau Flanderns zu gelten. Diese kehrte nach Beendigung jener Verhandlungen wieder in ihr Schloß zurück, und da nun die Adventszeit nahte, ließ sie ein Franziskanerkloster um Abordnung eines Beichtvaters für sie selbst und ihr Haus ersuchen. Der Abt wählte den würdigsten aus, der nur irgend hierfür in Betracht kommen konnte, maßen sein Kloster von den Familien Aiguemont und Piennes, denen die Gräfin angehörte, mit Wohltaten überhäuft wurde. Und so wurde der angesehenste Prediger jener Brüderschaft entsandt, der auch während der ganzen Adventszeit zur großen Zufriedenheit der Gräfin seines Amtes waltete.

In der Weihnachtsnacht ließ dann die Gräfin den Beichtiger rufen, um das Abendmahl zu nehmen, beichtete ihm in einer wohlverschlossenen Kapelle, auf daß die Beichte um so geheimer vor sich ginge, ließ dann die Ehrendame beichten, und diese schickte hierauf ihre junge Tochter zu jenem wackeren Beichtvater. Als selbige alles gesagt hatte, was sie wußte, und er so hinter ein kleines Geheimnis gekommen war, wandelte ihn die kecke Lust an, ihr eine ungewöhnliche Buße aufzuerlegen, und so sprach er:

›Meine Tochter, deine Sünden sind so schwer, daß ich dir zur Sühne auferlegen muß, meinen Strick auf dem bloßen Leib zu tragen.‹ – Das Mägdelein sagte gehorsam: ›So gebt ihn mir, auf daß ich ihn nach Euerm Geheiß umlege.‹ – ›Nein, meine Tochter,‹ entgegnete jener, ›das genügte nicht, wenn es von deiner Hand geschähe; das müssen meine Hände sein, die dir auch dann Absolution erteilen. Die werden dich das erstemal gürten, und so wirst du alsbald deiner Sünden ledig.‹

Nun begann das Mägdelein zu weinen und erklärte, sie wolle es nicht tun. – ›Wie,‹ rief der Mönch, ›bist du eine Ketzerin, die eine Buße abweist, wie Gott und unsere heilige Mutter, die Kirche, sie vorschreibt?‹ – ›Ich habe gebeichtet,‹ schluchzte das Mägdelein, ›wie die Kirche es befiehlt, und will gern Buße tun, um Absolution zu erhalten. Doch will ich nicht, daß Eure Hände mich berühren, denn sonst werde ich die Buße verweigern.‹ – ›Wenn es so ist,‹ sprach der Beichtvater, ›dann gebe ich dir auch keine Absolution.‹ Alsbald erhob sich das Mägdelein in tiefer Verwirrung, denn es war sehr jung, und so fürchtete es, durch diese Ablehnung eine Sünde begangen zu haben. Als nun nach der Messe die Gräfin das Abendmahl nahm, fragte die Ehrendame, die alsdann an der Reihe war, ihr Töchterlein, ob es bereit sei. Das Mägdelein gestand ihr unter Tränen, daß der Pater ihr die Beichte nicht abgenommen habe. ›Was hast du denn aber dort so lange geweilt?‹ fragte die Mutter. – ›Ich wollte die auferlegte Buße nicht erfüllen,‹ schluchzte das Mädchen, ›und so gab er mir keine Absolution.‹

Nun sprach die Mutter so klug auf sie ein, daß sie bald erfuhr, welch seltsame Buße der treffliche Beichtvater ihr hatte auferlegen wollen. Drob ließ die Mutter sie bei einem andern Mönch beichten, worauf beide das Abendmahl nahmen. Sobald aber die Gräfin von der Kirche zurückkehrte, trug ihr die Ehrendame ihre Klage ob jenes Paters vor. Des war die Gräfin gar betreten, sintemalen sie ihn bisher so wohl beurteilt hatte. Doch konnte ihr Zorn sie auch nicht hindern, über diese neuartige Buße zu lachen, so hielt sie solches nicht ab, den Franziskaner in die Küche schleppen und wohl mit Ruten bestreichen zu lassen, bis er die Wahrheit gestand. Alsdann sandte sie ihn mit gefesselten Händen und Füßen zu seinem Prior zurück und ließ bitten, ihr künftig jemanden zu schicken, der geeigneter sei, Gottes Wort zu verkünden.

Bedenket wohl: wenn die Mönche in einem so hochedlen Hause wie diesem keine Angst haben, ihre Frechheit zu enthüllen – was mögen sie bei armen Leuten tun, wo sie doch vor allem zu tun haben und ihnen alles so leicht gemacht wird. Mir scheint es ein Wunder, daß sie meist ungerupft davonkommen. Doch wandelt eure Entrüstung in Mitleid, meine Damen, und bedenkt, daß der gleiche Teufel, der Mönche verblendet, auch geeigneten Falles Damen nicht verschont.«

»Ich finde, das war ein recht schlimmer Mönch,« entrüstete sich Oisille, »und die äußeren Umstände – Weihnachtsnacht, Kirche und Beichte – erschwerten noch seine Sünde.« – »Meint Ihr,« neckte Hircan, »daß die Franziskaner keine Menschen sind und es sich nicht entschuldigen läßt, maßen er sich doch in tiefer Nacht allein mit einem schönen Mägdelein sah?« – »Er hätte wohl bedenken sollen,« warf Parlamente ein, »daß in jener Nacht die Geburt Jesu Christi gefeiert wurde.« – »Ihr überseht, daß einer Geburt eine Empfängnis vorhergeht,« rief Saffredant. »Immerhin war sein Tun sündhaft, und er hat seine Strafe verdient.« – »Vielleicht wäre es besser gewesen, ihm nur Vorwürfe zu machen, statt die Sache an die große Glocke zu hängen,« meinte Guebron. »Denn hat ein Mönch erst die Scham verloren, dann wird er sich schwerlich bessern. Mit der Scham verliert man meist auch das Gewissen.« – »Dem kann ich nicht beistimmen,« entgegnete Parlamente. »Mir scheint es verdienstlich, solchen Menschen die Maske abzureißen, auf daß wir uns so vor Verführungen unserer Töchter hüten, die oft nicht genügend gewarnt sind. – Doch wem wird nun Hircan das Wort geben?« – »Euch selbst, die Ihr fragt,« sprach der, »maßen kein verständiger Mensch es Euch verweigern wird.«

»Wenn ich dergestalt an der Reihe bin,« hub Parlamente an, »so will ich einen Fall berichten, für den ich persönlich bürgen kann. Wenn die Tugend in einem schwachen Geschöpfe von einem starken und mächtigen Feinde angegriffen wird, so ist ihr Sieg bekanntlich um so preislicher. Denn wenn ein Starker einen Starken überwindet, so ist das nicht weiter verwunderlich. So täte ich der Wahrheit, die ich in so armem Gewande erkannte, daß sie gar unbemerkt blieb, unrecht, wenn ich nicht die Geschichte jenes Mägdeleins erzählte, das also rühmenswerte Taten vollbrachte.«

Zweiundvierzigste Erzählung


Wie ein Mägdelein den hartnäckigen Nachstellungen eines französischen Fürsten widerstand und über ihn obsiegte.

»In einer der größten Städte der Touraine wohnte ein Fürst aus edlem Hause, der dort seit frühester Jugend aufgewachsen war. Von seiner Vollkommenheit, Anmut, Schönheit und Tugend vermag ich nur zu sagen, daß er in dieser Zeit seinesgleichen nicht fand. Mit fünfzehn Jahren begann er sich an Jagden zu ergötzen, doch schöne Frauen erregten seine Aufmerksamkeit noch nicht. Da erblickte er eines Tages in einer Kirche ein Mägdelein, das früher im Schlosse gelebt hatte. Doch war es nach der Mutter Tod gleich seinem Bruder vom Vater nach Poitou gebracht worden. Das Mägdelein hieß Françoise, und eine Halbschwester von ihr war mit dem Vorsteher der fürstlichen Hofkellerei verheiratet. Als der Vater starb, ließ er Françoise all seinen Besitz bei jener Stadt. Dorthin zog sie sich anfangs zurück; da sie aber sechzehn Jahre alt wurde und sich verheiraten wollte, so mochte sie nicht allein dort bleiben und suchte bei der Schaffnerin, ihrer Halbschwester, Unterkunft.

Als nun der junge Fürst sah, wie schön sie trotz ihres dunklen Haares war und wie ihre Anmut so wenig ihrem Stande glich (maßen sie eher einer Edelfrau gleichsah), so schaute er sie lange an. Und er, der bisher nie geliebt hatte, fühlte in seinem Herzen ein ungewohntes Lustgefühl auskeimen, also daß er sich nach ihr erkundigen ließ, als er wieder heimkam. So erfuhr er, daß sie früher oft ins Schloß gekommen war und bei seiner Schwester mit Puppen gespielt hatte. Selbiger rief er sie alsbald wieder ins Gedächtnis zurück und die Schwester ließ das Mägdelein holen, bewirtete es trefflich und bat es, öfters wiederzukommen.

Das tat sie auch, und wenn der Fürst sie bei Festen und Gesellschaften mit Wohlgefallen ansah, so bedachte er, sie recht herzlich zu lieben, und in anbetracht ihrer schlichten Abkunft vermeinte er um so leichter zum Ziele zu gelangen. Da er aber keine Möglichkeit sah, mit ihr ungestört zu reden, so entsandte er einen Edelmann aus seinem Gefolge zu ihr, um für ihn zu sprechen. Sie aber entgegnete in ihrer Klugheit und Gottesfurcht: sie könne nicht glauben, daß ein so schöner und edler Fürst, wie ihr Herr es sei, Freude daran fände, ein so einfaches Mädchen wie sie anzuschauen, zumal es im Schlosse so viele schöne Frauen gäbe, daß er nicht in der Stadt zu suchen brauche. Darum meine sie, der Edelmann sage das aus sich, ohne Auftrag seines Herrn.

Als der Fürst diese Antwort erhielt, flammte ob des Widerstandes seine Liebe um so heller auf. Flugs schrieb er einen Brief und bat sie darin, den Worten jenes Edelmannes Glauben zu schenken. Sie verstand sehr wohl zu lesen und zu schreiben. Doch nachdem sie den Brief durchgelesen hatte, wollte sie trotz der Bitten des Edelmannes keine Antwort schreiben, denn, erklärte sie, einem Mädchen so niederer Abkunft gezieme es nicht, an einen so hohen Fürsten Briefe zu richten. Doch ließ sie ihn bitten, er möge nicht glauben, sie wäre so dumm, zu vermeinen, daß er wirklich in sie verliebt wäre. Sollte er aber annehmen, daß er sich ob ihres einfachen Standes leichtlich an ihr verlustieren könne, so täusche er sich; denn ihr Herz sei so ehrenrein als das der edelsten Prinzessin der Christenheit; sie hielte ihre Tugend und ihr Gewissen für ihren reichsten Schatz auf Erden, und müßte sie auch sterben, so würde sie doch nie ihre Ansicht ändern.

Der Fürst war ob jener Antwort wenig beglückt. Doch da er sie weiter liebte, so sorgte er stets dafür, in der Kirche in ihrer Nähe zu sitzen, und während des Gottesdienstes heftete er dann unentwegt seine Augen auf ihre Schönheit. Als sie dessen inne ward, ging sie in eine andere Kapelle, und da stets, wohin sie sich auch setzte, der Fürst in ihrer nächsten Nähe die Messe anhörte, so wollte sie überhaupt diese Kirche nicht mehr besuchen und begab sich täglich zu der entferntesten, die sie finden konnte.

Wenn es aber Feste im Schlosse gab, dann wollte sie auch nicht mehr daran teilnehmen und schützte gegenüber den dringenden Bitten der Prinzessin Krankheit vor. Als so der Fürst einsah, daß er mit ihr nicht sprechen konnte, wandte er sich an den Schaffner und versprach ihm für seine Mithilfe eine große Belohnung. Darauf ging der gern ein, teils um dem Fürsten gefällig zu sein, teils weil er sich die Belohnung nicht entgehen lassen mochte, und berichtete nun täglich, was das Mägdelein sagte und tat; zumal aber, wie sie nach Möglichkeit versuchte, dem Fürsten aus dem Wege zu gehen.

Mochte diesem nun in dem glühenden Wunsche, sich mit ihr zu vergnügen, solche bequeme List beigefallen sein: kurz und gut, eines Tages begab er sich hoch zu Roß auf den Hauptplatz der Stadt vor das Haus des Kellermeisters, bei dem Françoise wohnte, und erging sich dort in allerlei Reitkünsten, die jene wohl sehen konnte. Plötzlich aber ließ er sich in einen großen Schmutzhaufen abwerfen, und obwohl er recht weich gefallen war, erhob er ein großes Wehgeschrei und bat, ihn in ein Haus zu nehmen, auf daß er die Kleider wechseln könne.

Zwar boten alle das ihre an. Doch äußerte jemand, das Haus des Kellermeisters sei am nächsten und zudem am anständigsten, und so brachte man ihn dorthin. Er fand das Zimmer gar wohl eingerichtet, und alsbald entkleidete er sich bis aufs Hemd, maßen seine sämtlichen Gewänder kotdurchtränkt waren. Dann legte er sich ins Bett, und derweile alle fortgingen um frische Kleidungsstücke zu holen, rief er seine Wirtsleute und fragte sie, wo Françoise sei. Die vermochten sie nur mit Mühe zu finden. Denn kaum hatte das Mägdelein gesehen, daß man den jungen Fürsten in ihr Haus brachte, so hatte es sich im entlegensten Winkel verborgen. Endlich fand ihre Schwester sie dort und bat sie, ohne Furcht mit dem edlen und tugendhaften Prinzen zu sprechen. Sie entgegnete:

›Wie könnt Ihr, teure Schwester, die ich meiner Mutter gleich halte, mir raten, mit einem hohen Herrn zu sprechen, dessen Absichten ich doch, wie Ihr wißt, so genau kenne.‹ Die Schwester aber bestürmte sie und versprach ihr, sie nicht allein zu lassen, so daß sie endlich mit ihr ging. Doch war sie so bleich und entstellt, daß sie wahrlich keine Lüsternheit mehr erwecken konnte. Als sie nun der junge Fürst neben dem Bett sah, nahm er ihre kalte, zitternde Hand und sprach:

›Françoise, haltet Ihr mich für derart wild und grausam, daß Ihr vermeint, ich könnte Frauen mit meinen Blicken verzehren? Warum fürchtet Ihr mich so sehr, da ich doch nur Eure Ehre und Euren Vorteil im Auge habe? Ihr habt mich geflohen, aber das hat Euch nichts genützt, wir Ihr seht. Auf die Gefahr hin, mir den Hals zu brechen, ließ ich mich vom Pferd abwerfen, bloß um das Vergnügen zu erleben, mit Euch plaudern zu können. Da ich nun die Gelegenheit so mühsam erkauft habe, gestattet mir, bitte, zu versuchen, durch meine große Liebe die Eure zu erringen.«

Und nachdem er lange Zeit auf ihre Antwort gewartet hatte und sah, daß ihre Augen voller Tränen standen und ihr Blick zur Erde gerichtet war, zog er sie, so nahe er konnte, an sich, um sie zu umarmen und zu küssen. Sie aber sagte:

»Nein, edler Herr, nein. Was Ihr wünschet, kann nicht geschehen. Denn bin ich auch neben Euch nur ein armseliger Wurm, so möchte ich doch lieber sterben, als für die schönsten Freuden der Welt meine Ehre dahingeben. Schon der Gedanke, jene, die Euch hier eintreten sahen, könnten das mißdeuten, macht mich zittern. Doch da Ihr mir die Ehre antut, mit mir zu sprechen, so gestattet, daß ich Euch antworte, wie die Ehre es mich heißt. Ihr wißt recht wohl, daß eine Kosestunde mit einem Mädchen niederen Standes Euch nur den Stoff abgibt, um von Euern Liebesabenteuern später zu erzählen. Da mich nun Gott nicht zur Prinzessin gemacht hat, die Ihr heiraten könntet, noch mir den Stand verlieh, um Euch Herrin und Freundin zu sein, so erniedrigt mich, bitte, nicht zu jenen armen unglücklichen Geschöpfen. Ich achte und ehre Euch als einen der glücklichsten Fürsten der Christenheit: so bewahret mir Eure Gunst, und mein Lebelang will ich zu Gott um Glück und Heil für Euch flehen. Einen andern Dienst aber kann ich Euch nicht erweisen.«

Als nun der junge Fürst diese sittsame Antwort hörte, mußte er das Mägdelein ob ihrer ehrbaren Gesinnung hochschätzen, obgleich sie doch seinem Wunsch entgegentrat. So suchte er sie glauben zu machen, daß er sie allein ewig lieben würde. Das vermochte er ihr nicht einzureden; doch fand er so viel Freude und Gefallen an ihrem Geplauder, daß er vorgab zu schlafen, als man ihm meldete, die Kleider wären vom Schloß angekommen, und so blieb er im Bett liegen, bis die Stunde kam, wo er zum Abendessen bei seiner hochedlen Mutter sein mußte. Da verließ er das Haus des Kellermeisters und war von der Ehrbarkeit des Mägdeleins tief durchdrungen.

Oft sprach er hierüber in der Folgezeit mit dem Edelmann, der mit ihm zusammen wohnte. Der meinte, vielleicht ließe sich mit Geld mehr erreichen als mit Liebesworten, und riet ihm, dem Mägdelein eine recht große Summe anzubieten. Des Prinzen Geld wurde aber noch von seiner Mutter verwaltet, und so besaß er selbst nur wenig für kleine Ausgaben. Daher lieh er sich überall zusammen, bis er fünfhundert Taler hatte, und schickte damit den Edelmann zu ihr. Sie aber erwiderte angesichts dieses Geschenkes: ›Bitte, sagt Euerm Herrn, daß mein Herz so anständig empfindet, daß es allein seiner Schönheit und Anmut sich ergeben hätte, wenn dies möglich gewesen wäre. Gegen meine Ehre aber kann dies Geld erst recht nichts ausrichten; darum bringt es ihm zurück – lieber will ich weiter in Armut leben, wenn nur die Ehre rein bleibt.‹

Angesichts dieser harten Abweisung vermeinte der Edelmann, vielleicht mit Drohungen etwas zu erreichen. Aber sie lachte ihm ins Gesicht und rief: ›Droht denen mit dem Fürsten, die ihn nicht kennen. Ich weiß, daß er klug und tugendsam ist, daß solche Worte nicht von ihm stammen und daß er sicherlich nicht dafür einstehen wird. Doch wären Eure Drohungen auch wahr, so könnte weder Leiden noch Tod mich in meinem Entschluß erschüttern.‹

Diese Antwort brachte der Edelmann entrüstet heim, und da er den Fürsten unbedingt zum Erfolge führen wollte, riet er ihm allerlei Mittel, um ihr zuzusetzen, maßen es doch eine Schande wäre, solch Mädchen nicht zu gewinnen. Der Prinz aber wollte sich nur zu anständigen Wegen verstehen, zumal er fürchtete, seine Mutter könnte von Gerüchten etwas erfahren, und so unternahm er nichts, bis sein Edelmann ihm einen Weg vorschlug, der so einfach schien, daß er darob mit dem Kellermeister sprach.

Der war bereit, seinem Herrn in jeder Weise zu Diensten zu sein. Daher forderte er eines Tages sein Weib und seine Schwägerin auf, die gelesenen Trauben in seinem Haus unweit des Waldes zu besichtigen. Das sagten beide zu. Und als der Tag kam, ließ er es den Prinzen wissen, und der befahl, heimlich sein Maultier bereitzuhalten, damit er, allein mit dem Edelmann, dorthin eilen könne, sowie es Zeit sei. Doch wollte Gott, daß seine Mutter just an diesem Tag ihren Schreibtisch neu schmückte und herrichtete und ihre Kinder mithelfen ließ. So war der Prinz über die verabredete Zeit hinaus beschäftigt.

Indessen hatte des Kellermeisters Weib auf Geheiß ihres Mannes sich krank gestellt und ihm dies mitgeteilt, als er schon zu Pferd saß und seine Schwägerin hatte hinten aufsitzen lassen. So brachte er diese allein nach jenem Haus. Als aber die vereinbarte Zeit überschritten war, meinte er: »Ich glaube, wir können nun wieder heimkehren.« – »Warum etwa nicht?« fragte Françoise. – »Ich erwartete den Fürsten, der kommen wollte,« entgegnete der Schaffner. Als also die Schwägerin seiner Bosheit inne ward, sagte sie: »Wartet nicht, ich weiß bestimmt, daß er heute nicht kommt.« Und ihr Schwager glaubte ihr und führte sie wieder heim.

Kaum aber war sie zu Hause, so ließ sie ihrem grimmigen Zorn freien Lauf und warf dem Schwager ins Gesicht: er sei ein Satansknecht und täte gar noch mehr, als ihm geheißen würde, maßen sicherlich er und jener Edelmann auf diesen Einfall gekommen seien, nicht aber der junge Fürst. Er aber wolle Geld einstreichen und stachle ihn noch in seinen Torheiten auf, statt ihm ein ehrbarer Diener zu sein. Da sie ihn aber nun in seiner Schlechtigkeit erkannt habe, wolle sie auch fürder nicht mehr in seinem Haus bleiben.

Und alsbald ließ sie ihren Bruder kommen, damit er sie auf ihr Landgut heimbrächte, was auch unverzüglich geschah. – Da nun der Kellermeister seinen Streich mißlungen sah, begab er sich nach dem Schloß, um zu erfahren, warum der Fürst nicht gekommen sei. Doch traf er ihn unterwegs, just wie er auf seinem Maultier mit dem Edelmann angeritten kam. Der Fürst fragte sogleich: ›Ist sie noch da?‹ Und so erzählte der Schaffner, was geschehen war.

Darob war jener sehr betrübt, maßen somit sein letztes und äußerstes Mittel fehlgeschlagen war. Und da er fürder jeden Ausweg abgeschnitten fand, suchte er Françoise in einer Gesellschaft auf, wo sie ihm nicht entweichen konnte, und machte ihr heftige Vorwürfe, daß sie so hart gegen ihn sei und zudem gar noch ihren Schwager verlassen wolle. Doch sie entgegnete, ihr Schwager sei ihr ein zu gefährlicher Schutz, und er sei wohl seinem Schaffner sehr zugetan, maßen dieser ihm nicht nur Leib und Eigen, sondern gar Seele und Gewissen hingäbe.

Da erkannte der Fürst, daß alles vergebens war. So entschloß er sich, ihr fürder nicht mehr nachzustellen, und bewahrte ihr sein Lebelang seine Achtung. Einer seiner Diener wollte später das Mägdelein ob ihrer Ehrbarkeit heiraten; das aber verlangte vor allem die Zustimmung des Prinzen, dem es trotz allem herzlich zugetan war. So ließ Françoise bei ihm anfragen, und so wurde mit seiner Billigung diese Ehe geschlossen, in der sie bis an ihr Ende ehrengeachtet lebte. Der Fürst aber überhauste sie mit Wohltaten und Gunstbezeigungen.

Was läßt sich da noch sagen, meine Damen? Könnten wir so niedrig denken, daß unsere Diener uns übertreffen? Lasset uns diesem Beispiele folgen und uns selbst besiegen. Das ist der preislichste Sieg, den wir erringen können!«

»Ich finde die Tugend dieses Mägdeleins nicht so groß,« erklärte Hircan. »Vielleicht liebte sie einen andern und mißachtete darob den ganzen Adel.« Sogleich erwiderte Parlamente, daß jene augenscheinlich nie einem andern geneigt gewesen sei, den sie über alles, aber nicht mehr denn ihre Ehre liebte. – »Solche Vorstellungen lasset fallen,« rief Saffredant, »und macht Euch zunächst klar, wie die Frauen zu dem Begriff ›Ehre‹ gekommen sind. Als die Bosheit der Menschen noch nicht so groß war da war die Liebe schlicht und stark und Heuchelei kannte man nicht. Als aber Arglist, Geiz und sündhaftes Verlangen in die Menschenherzen einzogen, da vertrieben sie Gott und die Liebe und setzten an ihre Stelle Eigenliebe, Heuchelei und Trug. Da nun die Damen, denen die Liebe fehlte, inne wurden, wie verhaßt den Männern Heuchelei war, so gaben sie ihr den Namen ›Ehre‹, die sie nun vorschieben, wenn sie keine Liebe fühlen. Und daraus machten sie ein so grausames Gesetz, darob jetzt selbst die Frauen, die wahrhaft lieben, ihr Gefühl verbergen und aus der Tugend ein Laster machen müssen!«

»Immerhin findet man,« entgegnete Dagoucin, »daß geheime Liebe die preislichste ist.« – »Geheim!« spottete Simontault, »geheim für schlechte Beobachter, klar aber zum mindesten für die zwei, um die es sich handelt.« – »Keineswegs,« widersprach jener. »Ich meine es so: die liebende Frau möchte ihre Gefühle lieber von einem Dritten erkannt wissen als von dem Geliebten, und diesen liebt sie um so stärker, je weniger sie es zeigt.« – »Wie dem auch sein mag,« schnitt Longarine ab, man muß die Tugend achten; doch scheint mir jener Fürst noch löblicher zu sein, da er trotz seiner Liebe und Macht sich gegen die Grundsätze ehrenhafter Freundschaft nicht verstoßen wollte. Denn wer Übles tun kann und nicht tut, der ist wahrhaft zu preisen.« – »Dabei fällt mir die Geschichte einer Dame ein, die mehr die Augen der Menschen scheute denn Gott, Ehre und Liebe.« – »So bitte ich Euch,« sprach Parlamente, »erzählet uns das. Und dazu erteile ich Euch das Wort.« Alsbald hub jener also an:

»In Rücksicht auf die Familie will ich den Namen der Dame ändern und sie Camilla nennen. Diese also sagte oft, daß jede, die einzig mit Gott zu tun habe, glücklich sei, sofern sie nur ihre Ehre vor den Menschen ohne Makel und rein erhielte. Doch werdet ihr sehen, meine Damen, daß trotz ihrer Klugheit und Heuchelei am Ende ihr Geheimnis enthüllt wurde. Und so vernehmet denn diese Geschichte, die bis auf die Namen der vollen Wahrheit entspricht.«

Zweiunddreißigste Erzählung


Wie ein Ehemann sein ehebrecherisches Weib härter als mit dem Tode bestraft.

König Karl, der achte seines Namens, entsandte einen Edelmann Bernage, von Civrai, unweit Amboise, nach Deutschland. Selbiger reiste Tag und Nacht, um möglichst schnell vorwärtszukommen, und gelangte so eines Abends spät zu einem Schlosse, wo er um Unterkunft bat. Das wurde ihm nur zögernd zugestanden. Maßen nun aber der Schloßherr vernahm, daß jener im Dienste eines so angesehenen Herrschers stand, suchte er ihn auf, bat ihn ob der Hartnäckigkeit seiner Dienstleute um Verzeihung und entschuldigte sich damit, daß er wegen der Mißgunst etlicher Verwandten seines Weibes sein Haus so wohl verschlossen halten müsse. Nun enthüllte ihm Bernage seinen Auftrag und sogleich bot ihm jener an, ihm bei seinem König nach Möglichkeit behilflich zu sein. Sodann nahm er ihn in seine Gemächer, brachte ihn trefflich unter und bewirtete ihn aufs beste.

Als nun die Stunde des Nachtessens nahte, führte er ihn in einen Saal, der rings mit Teppichen behängt war, und kaum wurde das Fleisch aufgetragen, da erblickte der Bote ein unbeschreiblich schönes Weib, das hinter einem Vorhang hervortrat. Nur war ihr Haupthaar geschoren und sie selbst nach deutscher Sitte ganz schwarz gekleidet. Sie setzte sich, nachdem sich alle die Hände gewaschen hatten, an das Ende des Tisches und sprach mit niemandem, noch auch redete jemand sie an. Der Herr von Bernage bewunderte oft ihre unvergleichliche Schönheit; doch schien ihr Gesicht bleich zu sein und ihr Wesen von tiefer Trauer überschattet. Nachdem sie ein wenig gegessen hatte, bat sie um etwas zu trinken. Alsbald brachte ihr der Diener ein seltsames Trinkgefaß: einen Totenkopf, dessen Öffnungen mit Silber verschlossen waren. Daraus trank die Frau zwei oder drei Schluck. Und nachdem sie ihr Mahl beendet und ihre Hände gewaschen hatte machte sie vor dem Schloßherrn eine tiefe Verbeugung und entschwand wieder hinter dem Vorhang, ohne mit jemandem ein Wort gesprochen zu haben.

Der Edelmann war über diesen seltsamen Anblick so erschüttert, daß er in trauriges Nachdenken versank. Der Schloßherr bemerkte das und so sagte er: ›Ich sehe, Ihr seid über diesen Zwischenfall baß erstaunt. Da ich Euch nun aber als einen so ehrenwerten Mann kennen gelernt habe, will ich Euch die Erklärung geben, damit Ihr nicht meint, ich sei ohne Grund so grausam.

Diese Dame ist mein Weib, das ich über alle Maßen geliebt habe, und auch sie zeigte mir so viel Zuneigung, daß ich zehntausendmal für ihre Bequemlichkeit mein Leben aufs Spiel gesetzt hätte, zumal ich sie gegen den Willen ihrer Eltern geheiratet hatte. So lebten wir lange Zeit in Glück und Freuden. Als ich aber einst in einer Ehrensache eine Reise machen mußte, vergaß sie ihre Tugend und Liebe zu mir und vergaffte sich in einen jungen Edelmann, den ich bei mir aufgezogen hatte.

Das vermeinte ich nach meiner Rückkehr zu bemerken, doch ob meiner großen Liebe mißtraute ich ihr nicht, bis mir ein Zufall die Augen öffnete. Nun wandelte sich meine Liebe in wütende Verzweiflung. Ich umspähte sie, und so tat ich eines Tages, als verließe ich das Haus, und verbarg mich in ihrem Zimmer, wo sie heute noch wohnt. Kaum glaubte sie mich fort, so begab sie sich in ihr Gemach und ließ den Jüngling rufen. Der trat mit einer Ungezwungenheit zu ihr, wie nur ich es mir hätte erlauben dürfen. Als ich aber sah, daß er sich neben ihr aufs Bett legen wollte, sprang ich hervor, packte ihn und stach ihn tot.

Da mir nun die Missetat meines Weibes zu schwer erschien, als daß ihr Tod sie hinreichend hätte sühnen können, so verhängte ich eine Strafe über sie, die mir weit härter erschien: also sperrte ich sie in das Gemach, in dem sie sich ihrer sündigen Lust hingegeben hatte, und gab ihr den so lieben Gefährten ihrer Schande zur Gesellschaft – denn ich hing in einen Schrank die Gebeine ihres Herzliebsten hin gleich kostbaren Wertstücken. Auf daß sie aber seiner auch beim Essen und Trinken nie vergesse, ließ ich ihr bei Tisch den Schädel jenes Buben anstatt eines Bechers vor mir darreichen, so daß sie ihren Todfeind, mich selbst, lebend, jenen aber zugleich tot erblickt, den sie mir vorgezogen hatte. Im übrigen wird sie gleich mir gehalten, außer daß sie geschoren ist, denn der Haarschmuck geziemt einer Ehebrecherin nicht, noch der Schleier einem schamlosen Weib. So zeigt sie augenscheinlich, daß sie Ehre, Keuschheit und Schamgefühl verloren hat. Und nun, wenn Ihr geruhen wollt, werde Ich Euch zu ihr führen.‹

Damit war Bernage einverstanden. So stiegen sie hinunter in ein sehr schönes Gemach, wo die Frau einsam vor dem Kaminfeuer saß. Der Schloßherr zog einen Vorhang zur Seite, und so konnte man die Gebeine des Getöteten erblicken. Bernage hätte gern mit der Frau gesprochen, doch wagte er es aus Scheu vor dem Ehemann nicht. Der bemerkte es und sagte: ›Wollt Ihr etwas mit ihr reden, so überzeugt Euch, wie gefällig sie sprechen kann.‹

Alsbald hub Bernage an: ›Edle Frau, wenn Eure Geduld Euern Qualen gleicht, so muß ich Euch für das glücklichste Weib der Erde halten.‹ Und jene entgegnete mit einer Träne im Auge und unbeschreiblicher Demut: ›O Herr, meine Schuld ist so groß, daß alle Leiden, die der Herr dieses Schlosses (ich wage nicht, ihn meinen Gemahl zu nennen) über mich verhängt, klein sein werden im Verhältnis zu der Reue über meinen Frevel.‹

Damit begann sie bitterlich zu weinen. Der Schloßherr nahm den Edelmann beim Arm und führte ihn hinaus. Und am Tage darauf setzte dieser seine Reise fort. Doch als er von dem Schloßherrn Abschied nahm, sprach er zu ihm: ›Meine Zuneigung zu Euch, und die ehrenvolle herzliche Aufnahme, die Ihr mir zuteil werden ließet, zwingen mich, Euch zu sagen, daß Ihr angesichts der großen Reue Eures Weibes mit ihm Erbarmen haben solltet. Zudem seid Ihr jung und habt keine Kinder. Wie wäre es schade, wenn ein Haus wie das Eure an Erben fiele, die Euch nicht wohl wollen.‹

Der Schloßherr, der eigentlich entschlossen war, nie wieder mit seinem Weibe zu reden, dachte über diese Worte des Herrn Bernage lange nach. Und schließlich sah er ein, daß jener die Wahrheit sagte, und versprach ihm, Nachsicht zu üben, wenn sie in ihrer Demut beharre. So reiste Bernage von dannen, erledigte seinen Auftrag, und als er daheim dem König von allem berichtete und so auch jene Frau erwähnte, entsandte der König den Hofmaler Johann von Paris dorthin, um ihre Schönheit lebend festzuhalten. Das geschah unter Einwilligung des Ehemannes. Und dieser erbarmte sich dann auch nach langer Buße seines Weibes und zeugte mit ihm eine stattliche Zahl schöner Kinder.

Ich aber glaube, meine Damen, wenn alle Frauen, denen gleiches begegnete, aus solchen Gefäßen trinken müßten, dann würden gar viele goldene Becher in Totenschädel verwandelt werden. So behüte uns Gott, der die Strauchelnden stützt.«

»Ich finde diese Strafe ganz richtig,« meinte Emarsuitte, »denn so läßt sich jedes Verbrechen sühnen, nach dem Tode aber nicht mehr.« – »Vermeint Ihr wirklich solche Schande wieder gutmachen zu können?« rief Longarine. – »Freilich,« entgegnete Emarsuitte. »Genießt denn Magdalena heute nicht schier mehr Bewunderung als ihre jungfräuliche Schwester?« – »Mir scheint, ob ihrer Liebe zu Christus und ihrer Reue wird sie gepriesen,« sprach Longarine, »doch behält sie den Namen einer Sünderin.« – »Mir dünkt am wichtigsten, daß Gott und mein Mann mir verzeihen,« versicherte Emarsuitte. – »Ich wundere mich nur,« überlegte Dagoucin, »daß jene Frau nicht vor Kummer starb.« – »Wie könnt Ihr nur noch an die Liebe und die Reue von Frauen glauben,« entrüstete sich Simontault. »Ich begnüge mich mit der Liebe, die ich in mir selbst fühle; aber wenn es mir gelänge, geliebt zu werden, so würde ich schier vor Zufriedenheit sterben!« – »Hütet Euch also davor wie vor der Pest!« meinte Guebron. »Und nun möchte ich wissen, wem Frau Oisille das Wort erteilt.« – »Ich gebe es Simontault,« sprach diese, »denn er verschont niemanden.«

»So sagt doch gleich, ich bin eine Lästerzunge,« entgegnete der. »Sicher würdet ihr alle keine unserer Geschichten glauben, wenn sie nicht so zuverlässig belegt wären. Doch selbst Wunder werden mißbraucht. Und dafür will ich einen Vorfall erzählen, der die Klugheit eines Fürsten preist und einen schändlichen Geistlichen gebührend brandmarkt.«

Dreiunddreißigste Erzählung


Von den Greueln eines blutschänderischen Priesters, der seine Schwester schwängert und sie dann als Heilige hinstellt, und von seiner wohlverdienten Strafe.

»Als der Graf Karl von Angoulême, der Vater des Königs Franz des Ersten, – ein gar gottesfürchtiger Fürst – , zu Cognac weilte, wurde ihm erzählt: in einem nahen Dorfe, Cherves, gäbe es eine Jungfrau, die in bewunderungswürdiger Sittenstrenge lebe. Trotzdem sei sie schwanger und verheimliche das keineswegs, sondern verkünde vielmehr dem Volke, sie habe nie einen Mann erkannt, also daß sie sich ihren Zustand nur durch die Einwirkung des Heiligen Geistes erklären könne. Tatsächlich glaubte ihr das Volk ohne Zögern und pries sie als eine zweite Jungfrau Maria, maßen sie jeder von Kind auf kannte und wohl wußte, wie tugendhaft und weltabgewandt sie allezeit gelebt hatte. Sie fastete öfter noch als die Kirche es vorschrieb und versäumte nicht den kleinsten Gottesdienste; so war alle Welt ob ihres Lebenswandels erbaut und jeglicher kam, um dies Wunder zu schauen, und war beglückt, wenn er ihr Gewand berühren durfte.

Ihr Bruder, der Pfarrer jener Gemeinde, war ein schon bejahrter Mann von gleichermaßen strengem Lebenswandel. Auch er ward von den Ortsbewohnern hochgeehrt und schier als ein Heiliger betrachtet. Der verfuhr gar streng mit dem Mägdelein und sperrte es in einem Hause ein. Aber das Volk war damit unzufrieden, und der Lärm, den es darob erhob, drang, wie gesagt, endlich auch zu den Ohren des Grafen. Alsbald entschloß sich dieser, den Mißbrauch, der mit des Volkes Glauben getrieben wurde, zu beseitigen und entsandte seinen Kanzler und einen Almosenier, um die Wahrheit zu ergründen.

Diese beiden hochehrenwerten Männer begaben sich also an Ort und Stelle und zogen unter der Hand Erkundigungen ein. Als sie sich auch an den Pfarrer wandten, zeigte sich dieser ob der ganzen Sache recht unwillig und bat sie, einem Verhör beizuwohnen, das er am Tage darauf anzustellen vorhabe. So geschah es. Der Pfarrer las am andern Morgen die Messe, der seine Schwester kniend beiwohnte, obgleich sie schon gewaltig entstaltet war. Und als er nun am Ende des Gottesdienstes den »Leib des Herrn« nahm, sprach er vor allen zu seiner Schwester also: »Unselige, sieh hier den Leib des Herrn, der für dich litt und starb, und künde nun, ob du wahrhaft Jungfrau bist, wie du mir allezeit versichert hast!‘

Sie sagte ohne Scheu und Zagen: »Ja.« »Wie dann«, fuhr jener fort, »willst du erklären, daß du schwanger und Jungfrau zugleich bist?« Sie entgegnete: »Ich kann es mir nur durch die Empfängnis des Heiligen Geistes erklären, der über mich nach seinem Gefallen bestimmen mag; doch nimmer vermag ich meine Jungfrauenschaft zu leugnen, maßen ich nie nach einer Ehe trachtete.«

Alsbald hub der Pfarrer an:

»So reiche ich dir nunmehr den köstlichen Leib Jesu Christi. Nimm ihn und sei in Ewigkeit verflucht, wenn es anders ist als du gesagt hast. Diese Herren, so vom Herrn Grafen entsandt wurden, sollen Zeugen sein.« Und das Mägdelein, das kaum dreizehn Jahre alt war, schwur folgenden Eid: »So nehme ich vor euch, ihr Herren, und vor dir, mein Bruder, den Leib Jesu Christi und will in Ewigkeit verdammt sein, wenn je ein andrer Mann mich berührt hat denn mein Bruder.« Und mit diesen Worten empfing sie den Leib des Herrn.

Die Boten des Grafen gingen ob jenes Anblickes ganz verwirrt von dannen und vermeinten, hinter solchem Eid könne sich kein Trug bergen. Solchermaßen statteten sie auch dem Grafen Bericht ab und wollten ihn zu gleichem Zutrauen überreden. Jener aber war klug. Er dachte eine Weile nach, ließ sich noch einmal den Eid wiederholen, erwog ihn sorglich und sprach alsdann: »Sie erklärte, nie habe ein anderer Mann sie berührt denn ihr Bruder. In der Tat glaube ich auch, daß jenes Kind von dem Bruder stammt, der unter solch schlimmem Truge seine Schändlichkeit verbergen will. Wir aber glauben, daß Christus bereits auf Erden war und also ein anderer nicht zu erwarten ist. Darum gehet hin und werfet den Pfarrer ins Gefängnis. Sicherlich wird er alsdann die Wahrheit gestehen.«

Sein Befehl wurde ausgeführt, trotzdem die Bevölkerung ob des vermeintlichen Unrechts, das man dem heiligen Mann antat, gewaltigen Lärm erhob. Kaum saß aber der Pfarrer im Kerker, da gestand er alsbald seine Schändlichkeit ein. Denn er hatte seiner Schwester all ihre Worte eingelernt, auf daß sie so das Leben verhülle, das er mit ihr führte, und sie also nicht nur eine Entschuldigung fänden, sondern noch gar einen Sinn durchblicken ließen, auf Grund dessen sie von aller Welt hoch geehrt würden. Als man ihm aber vorwarf, lästerlicherweise den Leib des Herrn durch diesen Eid mißbraucht zu haben, da versicherte er, so etwas habe er nicht gewagt, sondern ein ungesegnetes Brot verwendet.

Alles dies ward dem Grafen von Angoulême berichtet, und der befahl, der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Also wartete man, bis das Mägdelein mit dem Kinde, einem schönen Sohne, niedergekommen war, und alsdann wurden Bruder und Schwester verbrannt. Und das ganze Volk war tief erschüttert, als es inne ward, welche Scheußlichkeit sich unter dem Mantel der Heiligkeit verborgen hatte und welch widerliches Laster unter dem Glanze eines löblichen Lebens verhüllt war.

So ließ sich der Glaube des getreuen Grafen nicht durch äußere Zeichen und Wunder betören, maßen er sicher war, daß ein Heiland, der da spricht ›Es ist vollbracht‹, keines Nachfolgers bedarf.«

»Einst hörte ich sagen,« meinte Hircan, »daß alle Menschen doppelt gestraft werden, die ihre Grausamkeit und Drangsalierung mit einem Auftrag des Königs zu decken suchen. Das gleiche gilt von den Heuchlern. Eine Weile haben sie Glück; aber wenn Gott seinen Mantel von ihnen nimmt und also ihr Tun enthüllt, dann wirkt ihre niedrige Gemeinheit um so widerlicher, als sie sich hinter so erhabener Hülle verborgen hatte.« – »Mir scheint,« erklärte Nomerfide, »die Toren (sofern man sie nicht tötet) leben länger als die Weisen, wohl weil sie alles frei heraus tun, was ihnen beifällt. Unterdrückte Laster vergiften das Herz.« – Aber Parlamente entgegnete: »Wie schön wäre es, wenn unsere Seele so von Tugend durchdrungen wäre, daß wir sie offen zeigen könnten.« – »Das wird erst sein,« betrübte sich Hircan, »wenn wir kein Fleisch mehr über dem Gebein tragen. Doch laßt uns nun wissen, Simontault, wem Ihr das Wort erteilt.« – »Ich gebe es Nomerfide,« sprach dieser. »Maßen sie ein vergnügliches Herz besitzt, wird sie uns sicher nichts Trauriges bescheren.«

»Wenn ihr den Wunsch habt, zu lachen,« hub Nomerfide an, »so kann ich euch gern Gelegenheit dazu geben. Und auf daß ihr wohl erkennen möget, wie ein mißverstandenes Wort durch Angst und Unkenntnis oft Unheil anrichten kann, will ich euch berichten, wie es zween armen Franziskanern von Niort erging, die einen Metzger mißverstanden und darob schier aus Furcht starben.«

Vierunddreißigste Erzählung


Wie zwei Franziskaner ob übergroßer Neubegier vor Entsetzen schier verstarben.

»Das Dorf Grip zwischen Niort und Fors gehört dem Herrn von Fors. Dorthin kamen einst von Niort her spät abends zwei Mönche und fanden bei einem Metzger Unterkunft. Maßen nun zwischen ihrer Stube und der ihres Wirtes nur eine schlechtgefügte Bretterwand war, so überkam sie die Lust, zu erlauschen, was jener mit seinem Weib im Bett sprach. Alsbald legten sie ihre Ohren just dort an die Wand, wo das Kopfende des Bettes war, und vernahmen, wie der Metzger in vertrautem Gespräch über sein Hauswesen sagte:

›Meine Liebe, morgen müssen wir früh aufstehen und unsere Franziskaner in Augenschein nehmen. Einer davon ist weidlich fett; den wollen wir schlachten und einsalzen, auf daß wir ein gut Geschäft damit machen.‹ Er meinte seine Schweine. Aber die Frater bezogen diesen Entschluß auf sich und harrten voll schrecklichen Bangens auf das Morgengrauen.

Tatsächlich war einer von ihnen feist, der andere mager. Der Feiste wollte alsbald seinem Gefährten beichten, denn er vermeinte, der Metzger habe alle Gottesfurcht verloren und könne gleichermaßen wie einen Ochsen wohl jegliches lebende Wesen abschlachten. Und da sie nun in ihrem Zimmer gut eingesperrt waren und nur durch ihres Wirtes Stube hinaus konnten, so waren sie ihres Todes gewiß und empfahlen ihre Seelen Gott.

Der jüngere aber war noch nicht so furchtgebannt wie der andere und schlug ihm vor, man sollte versuchen aus dem Fenster zu entweichen. Schlimmeres als der Tod könnte ihnen so auch nicht begegnen. Der Feiste stimmte zu und jener öffnete das Fenster. Als er nun sah, daß es nicht hoch über der Erde war, sprang er leichtfüßig hinab und floh, ohne seinen Gefährten zu erwarten.

Der versuchte auch sein Glück. Aber er plumpste, statt zu springen, so gar schwerfallig zur Erde nieder, daß er sich am Bein verletzte. Maßen er sich nun also verlassen sah und inne ward, daß er seinem Gefährten nicht folgen konnte, blickte er nach einem Unterschlupf aus und gewahrte endlich einen Schweinestall, zu dem er sich denn auch mühsam hinschleppte. Als er aber dessen Tür öffnete, entwischten zwei große Schweine, an deren Stelle sich der Mönch in dem Stall verkroch, worauf er die Tür hinter sich verschloß. Denn er hoffte, er würde auf sein Geschrei Hilfe finden, wenn er Leute vorbeikommen hörte.

Als nun der Morgen dämmerte, schärfte der Metzger seine zwei großen Schlachtmesser und hieß seinem Weib, ihm beim Schlachten der fetten Schweine zu helfen. Und als er zu dem Schweinestall kam, öffnete er die Tür und rief: ›Kommt nur heraus, ihr Herren Franziskaner, heute will ich fette Blutwurst von euch machen!‹ Der Mönch, der auf seinem Bein nicht auftreten konnte, kroch auf allen Vieren aus dem Stall und rief jammernd um Gnade. Wenn er nun aber vor Angst bebte, so taten das der Metzger und sein Weib nicht minder, denn sie vermeinten, der heilige Franziskus sei auf sie ergrimmt, weil sie ein Tier ›Franziskaner‹ hießen. So warfen sie sich flugs vor dem armen Frater auf die Knie und baten den heiligen Franziskus und den ganzen Orden um Vergebung. Und nun flehte also auf der einen Seite der Mönch um Erbarmen, auf der anderen der Metzger, und schier eine Viertelstunde lang begriff keiner, was vorlag.

Endlich ward der wackere Pater inne, daß der Metzger ihm nichts zuleide tun wollte, und erzählte ihm nun, weshalb er sich in diesem Stall verkrochen habe. Alsbald wandelte sich da die Verzweiflung seines Wirtes in ein groß Gelächter, in das nur der Pater nicht einstimmen mochte, maßen ihm sein Bein so wehe tat. Aber der Metzger führte ihn wieder ins Haus und verband ihn sorglich.

Sein Gefährte aber, der ihn in der Not verlassen hatte, lief die ganze Nacht hindurch, bis er gegen Morgen zu dem Schloß des Herrn von Fors kam. Dort führte er ob des Metzgers Klage, sintemalen er ihn im Verdacht hatte, seinen Gefährten getötet zu haben, da dieser nicht nachgekommen sei. Der Herr von Fors entsandte unverweilt Leute nach Grip, um die Wahrheit zu erkunden, und so stellte sich heraus, daß ein Grund für Tränen nicht vorlag. Der Schloßherr aber berichtete flugs die ganze Geschichte seiner geliebten Herrin, der Frau Herzogin von Angoulême, der Mutter Franz‘ des Ersten.

Der Fall erweist, daß es nie gut ist, den unbefugten Lauscher zu spielen und so andere mißzuverstehen.«

»Habe ich nicht gesagt,« rief Simontault, »Nomerfide wird uns zum Lachen bringen.« – »Wie ganz anders waren doch die Weisen alter Zeiten als wir,« meinte Guebron, »sie empfanden weder Freude noch Trauer. Zum mindesten bargen sie beides in ihrem Herzen und ließen es sich nicht merken. Denn sie hielten es für eine große Tugend, sich selbst und ihre Leidenschaften zu besiegen.« – »Eine schlechte Leidenschaft besiegen, scheint mir auch löblich,« erklärte Saffredant. »Eine natürliche zu bekämpfen scheint mir aber zwecklos, maßen sie keinen Schaden tut.« – »Mir scheint, nicht alle Philosophen waren weise,« sprach Saffredant. »Manche besaßen ihre Tugend nur dem Anscheine nach.« – »Gewiß,« versicherte Guebron, »denn als zum Beispiel Diogenes des Plato Bett mit Füßen trat, um solch wollüstigem Luxus und der Sinnenfreude jenes Mannes seine Verachtung zu zeigen, da erwiderte Plato, Diogenes täte dies aus Eigendünkel.« – »Um die Wahrheit zu sagen,« – entgegnete Parlamente, »so können wir ohne ein gut Teil Stolz uns gar nicht überwinden. Und je mehr unsere innere Sündhaftigkeit von dem Mantel äußerer Tugenden verhüllt ist, um so schwerer ist ihr beizukommen.«

»Dann sind wir Männer dem Heile weit näher,« rief Hircan, »denn wir verbergen die Früchte unserer Sündhaftigkeit nicht und können so leichter zu deren Wurzel gelangen. Ihr aber schafft so viel äußerliche, wohlgefällige Werke, daß die Wurzel der Hoffahrt euch unter diesem schönen Schutze ganz unbemerkt bleibt.« – »Seht einmal, wo wir hineingeraten sind,« spottete Simontault. »Von einer großen Torheit kamen wir auf philosophische und theologische Betrachtungen. Überlaßt solchen Streit weisen Männern, die mehr damit anzufangen wissen. Und nun wollen wir hören, wem Nomerside ihr Wort weitergibt.« – »Ich gebe es Hircan,« sprach diese, »und empfehle ihm an, die Ehre der Damen hochzuhalten.«

»Das kommt wie gerufen,« meinte Hircan, »denn die Geschichte, die ich im Sinne habe, dürfte euch gefallen, meine Damen. Ich will euch erweisen, daß Mann wie Weib von Natur zum Laster neigt und nur mit Gottes Hilfe davor bewahrt werden kann. Und um etwas euren kecken Mut zu dämpfen, den ihr zu entfalten pflegt, wenn jemand eure Ehre angreift, will ich euch folgenden höchst wahrhaften Vorfall berichten.«

Fünfunddreißigste Erzählung


Wie gar wohlweislich ein Mann seinem Weibe die Liebe zu einem Franziskaner austreibt.

»Zu Pampeluna lebte ein ehrengeachtetes schönes und tugendsames Weib, das ob seiner Keuschheit und Frömmigkeit nicht seinesgleichen hatte und seines geliebten Mannes volles Vertrauen genoß. Die Dame war in den Dreißigern, wo Frauen bereits den Ruhm der Schönheit gegen den der Frömmigkeit zu vertauschen beginnen, besuchte daher unermüdlich alle Gottesdienste und suchte auch ihren Mann und ihre Kinder dazu zu zu überreden.

Am ersten Fastensonntag nun hörte sie die Predigt eines Franziskanermönches, der ob seines strengen Lebenswandels gleich einem Heiligen geschätzt wurde und bleich und mager geworden war. Doch war er trotzdem unvergleichlich schön geblieben. Demutsvoll lauschte die Dame seiner Rede; ihre Augen wichen nicht von seinem verehrlichen Antlitz, und Ohren und Seele waren weit geöffnet. So drang die Milde seiner Worte ihr bis ins Herz, seine Schönheit aber prägte sich so tief in ihre Seele, daß sie wie verzückt wurde.

Nach der Predigt gab sie sorglich acht, wo der Mönch die Messe las, und wohnte derselben bei; sie nahm die geweihte Asche aus seinen Händen, die weiß und schön waren gleich den ihren, doch blickte sie mehr darauf, denn auf die Asche und vermeinte wahrscheinlich, daß eine so rein geistige Liebe ihrem Gewissen nichts anhaben könne. – Fortan besuchte sie tagtäglich seine Predigten und nahm auch ihren Mann stets dazu mit, und beide waren so voll Lobes über den Mönch, daß selbst bei Tisch und sonsten von nichts anderem mehr die Rede war.

Aber unter solchem geistlichen Deckmantel entflammte diese höchst fleischliche Liebe die arme Dame um so leichter, als sie sich davon hatte überrumpeln lassen und ihrer Leidenschaft erst inne ward, als sie deren berauschendes Glück schon verspürte. Das Schlimme war nur, daß der Urheber ihrer Liebesqualen nicht das geringste davon ahnte.

Bald schob die Dame alles Zagen beiseite, einem so weisen Mann ihre Torheit zu enthüllen und einem solchen Tugendhelden ihre lästerliche Niedrigkeit gewahr werden zu lassen, und so schrieb sie, anfangs allerdings recht verhüllt, an den Mönch über ihre Gefühle zu ihm, gab einem kleinen Pagen diesen Brief und hieß ihn, was er damit tun solle. Vor allem aber befahl sie ihm an, zu sorgen, daß ihr Mann ihn nicht zu den Franziskanern gehen sähe.

Der Page suchte den kürzesten Weg und kam so just in die Straße, wo der Ehemann in einem Laden saß. Der sah ihn vorbeigehen und trat zur Tür, um festzustellen, wo er hinwolle. Als der Page das merkte, barg er sich verlegen in einem Hause. Sein Herr durchschaute das, folgte ihm, packte ihn beim Arme und fragte ihn, wohin er ginge. Als der Page mit toderschrockenem Gesicht Entschuldigungen stammelte, drohte ihm der Edelmann mit Schlägen, so daß der arme Page endlich rief: ›Ach Herr, wenn ich es Euch sage, wird mich die Frau töten.‹

Nun argwöhnte der Edelmann irgendeinen Liebesandel dahinter und versicherte daher dem Pagen, ihn reich zu belohnen, wenn er die Wahrheit rede, andernfalls aber ihn für immer einzusperren. Der Knabe zog ersteres vor, und so erzählte er die Geschichte und zeigte den Brief seiner Herrin an den Mönch. Das alles schmerzte den Edelmann sehr, doch verhehlte er seinen Zorn; und um nun seinem Weibe auf die Schliche zu kommen, schrieb er eine Antwort, gleich als ob der Prediger ihr für ihren guten Willen dankte und sie seines Entgegenkommens versicherte.

Der Page versprach, alles nach der Anordnung seines Herrn auszuführen, und brachte also der Dame den untergeschobenen Brief; über den war sie so außer sich vor Freude, daß ihr Mann es ihrem Gesicht anmerkte. Und in der Tat ward sie in dieser Fastenzeit blühender und frischer, als sie es beim Karneval gewesen war. So kam die Karwoche, ohne daß sie abließ, brieflich dem Mönche ihre tolle Liebe zu gestehen, und der Ehemann sandte ihr weiter entsprechende Antworten.

Doch nach Ostern schrieb er ihr, er bäte sie, ihn wissen zu lassen, wie er sie im geheimen sehen könne. Alsbald redete sie ihrem Mann zu, seine Güter außer der Stadt zu besuchen. Das tat er anscheinend, doch verbarg er sich im Hause eines Freundes. Inzwischen schrieb sein Weib an den Pater, nun sei die Zeit gekommen, um sie zu sehen, denn ihr Mann sei fortgereist. Da nun aber der Edelmann seines Weibes Herz bis auf den Grund prüfen wollte, ging er zu dem Mönch und bat ihn um Gottes willen um seine Kutte. Der erwiderte, die Regel verbiete so etwas und er könne sie nicht für eine Maskerade hergeben. Der Edelmann versicherte ihm aber, hier handle es sich um sein Wohl und Heil, und da der Franziskaner ihn als einen ehrengeachteten, frommen Mann kannte, lieh er sie ihm endlich, worauf jener sich das Gesicht bis auf die Augen mit der Kapuze verdeckte, zudem einen falschen Bart und eine falsche Nase vornahm, also daß er dem Pater ähnlich sah, und Korksohlen in die Sandalen legte, bis er auch seine Größe erreichte.

In diesem Gewande trat er abends in das Gemach seines Weibes, das demütig des Mönches harrte. Und die Törin wartete gar nicht, bis er zu ihr nahe kam, sondern stürzte wie sinnlos auf ihn zu und wollte ihn küssen. Er aber senkte – aus Angst, erkannt zu werden – den Kopf, schlug das Kreuz, tat, als ob er vor ihr flüchtete, und rief fortwährend: ›Versuchungen! Versuchungen!‹

Die Dame entgegnete: ›Wehe, mein Vater, Ihr habt gar recht. Denn keine Versuchung ist stärker als die der Liebe. Doch versprachet Ihr mir Heilung. So erbarmt Euch nun meiner, da wir Zeit und Gelegenheit haben.‹ Und wieder versuchte sie ihn zu küssen, und wieder wich ihr er nach allen Seiten aus, schlug große Kreuze und rief immerzu: ›Versuchungen! Versuchungen!‹ Als er aber merkte, daß sie ihm zu nahe auf den Leib rückte, holte er aus der Kutte einen derben Stock hervor und verprügelte sie derart, daß ihr die Versuchung verging. Und dann verließ er sie unerkannt, brachte dem Pater flugs seine Kutte zurück und versicherte ihm, daß sie ihm Glück gebracht habe.

Da er nun tags darauf heimkehrte, als käme er von seinen Gütern, fand er sein Weib im Bett und erkundigte sich darob, als wenn er ihr Leiden nicht kennte. Sie erwiderte, sie habe sich erkältet und könne weder Arme noch Beine regen. Der Ehemann konnte sich das Lachen schier nicht verkneifen, stellte sich aber sehr betrübt, und, wie um sie zu erfreuen, kündigte er ihr an, er habe zum Abendessen den heiligen Kanzelredner geladen. Unverweilt entgegnete sie: ›Gott behüte Euch, solche Leute zu Gaste zu laden, denn sie bringen überall, wohin sie kommen, Unheil.‹ – ›Wieso, meine Liebe?‹ fragte jener, ›du priesest ihn doch immer so sehr, und mir wenigstens scheint: wenn es je einen Heiligen gab, so ist dieser einer.‹

Die Dame widersprach: ›Zum Predigen und in der Kirche sind sie recht gut, aber daheim sind es Teufel. Bitte, laßt ihn mich nicht sehen. Denn so, wie es mir eben geht, würde ich sicher sterben.‹ – ›Wie du willst,‹ meinte der Mann, ›ich jedenfalls werde ihn bewirten.‹ – ›Tu das meinetwegen, aber laß mich beiseite,‹ rief sie, »denn ich hasse diese Menschen gleichwie den Satan.‹ –

Nachdem der Ehemann den Franziskaner bewirtet hatte, sagte er zu ihm: ›Ich glaube, Gott schätzt Euch also hoch, daß er Euch sicher keinen Wunsch versagen wird. Darum bitte ich Euch, erbarmt Euch meines armen Weibes, das seit acht Tagen von einem bösen Geist besessen ist, also daß sie alle Welt kratzt und beißt. Weder Kreuz noch Weihwasser kann ihr helfen. Doch scheint mir, wenn Ihr die Hand auf sie legen wolltet, so würdet Ihr den Teufel austreiben. Tut mir also bitte den Gefallen.« Der wackere Pater erwiderte: »Mein Sohn, wer glaubt, kann alles erreichen. Glaubet Ihr fest daran, daß Gottes Güte alles gewähren kann, wenn man auf seine Huld bauet?« – »Das glaube ich fest!« – »So überzeugt Euch und laßt uns nun, im Glauben fest, dorthin gehen, um dem brüllenden Leu zu widerstehen und ihm die Beute zu entreißen, die Gott durch das Blut Jesu Christi gebührt.«

Alsbald führte der Edelmann den Pater zu seinem Weib, das auf einem niederen Bett lag. Die Dame ward betroffen, da sie jenen erblickte, denn sie vermeinte, es sei der gleiche, der sie geschlagen hatte, und darob ergrimmte sie gar gewaltig. Doch sintemalen ihr Mann dabeistund, senkte sie die Augen und schwieg. Und der Edelmann sprach: »Solange ich da bin, setzt ihr der Teufel nicht zu. Sobald ich aber fort bin, spritzet Weihwasser auf sie, dann werdet Ihr sogleich den bösen Geist sein Wesen treiben sehen.« Und damit ließ er jenen mit seinem Weib allein, aber blieb hinter der Tür stehen, um ihr Gehabe anzuschauen.

Kaum sah sich die Frau mit dem Pater allein, da schrie sie wie eine Tobsüchtige und nannte ihn »Bösewicht, Schmutzian, Mörder und Betrüger«. Der Franziskaner war nun sicher, daß sie besessen sei, und wollte ihren Kopf ergreifen, um darauf Gebete zu sprechen. Da kratzte und biß sie ihn derart, daß er genötigt wurde, zurückzuweichen. Und so spritzte er von weitem männiglich Weihwasser auf sie und sprach herrliche Beschwörungen und Gebete.

Als nun der Mann inne ward, daß jener seine Pflicht genügend erfüllt hatte, kam er wieder herein und dankte ihm dafür, daß er sich so viel Mühe gegeben hatte. Und kaum war er in der Stube, da ließ sein Weib die Schimpfworte und Flüche und küßte aus Angst vor dem Gatten demütig das Kruzifix. Der heilige Mann aber, der sie also tobend gesehen hatte, glaubte fest und sicher, daß auf sein Gebet hin der Herr Christus den Teufel verjagt habe, und so ging er froh davon und pries Gott ob seiner Wundertat.

Und da der Ehemann seine Frau für ihre tolle Leidenschaft wohl gezüchtigt sah, wollte er ihr auch nicht weiter erklären, wie er vorgegangen sei. Er begnügte sich damit, durch seine Klugheit ihren Sinn bekehrt zu haben, also daß sie den Gegenstand ihrer geheimen Leidenschaft nun in den Tod haßte und ihre Torheit verabscheute. Fürder ließ sie denn auch ihre übertriebene Frömmigkeit und widmete sich mehr und besser denn je ihrem Mann und Ihrem Hausstand.

Hieraus, meine Damen, könnt ihr die ruhige Einsicht eines Mannes und die Schwäche einer sonst hochgeachteten Frau erkennen, also daß ihr, wenn ihr in jenen Spiegel schauet, sicherlich lieber auf Gottes Schutz als eure eignen Kräfte vertrauen werdet.«

Alsbald sagte Parlamente: »Ich freue mich, daß Ihr unter die Prediger gegangen seid, Hircan; hoffentlich bleibt Ihr dabei und haltet allen Frauen solche Reden.« – »Stets, wenn Ihr zuhören wollt, werde ich also sprechen,« entgegnete der. – »Also wenn Ihr fort seid, spricht er anders,« neckte Simontault. – »Mag er tun was er will,« schnitt Parlamente ab. »Ich hoffe vor allem, daß diese Geschichte denen von Nutzen ist, die da vermeinen, geistige Liebe sei ungefährlich. Sie ist gefährlicher als jede andere. Denn die Liebe hat schneller ein Herz ergriffen, als man es selbst merkt, und wer auf Gott darin bauen will, hat es am Ende doch mit dem Teufel zu tun. Ich meinesteils werde stets wünschen, daß jede Frau sich mit ihrem Gatten genügen lasse, so wie ich es tue.« – Darob fühlte sich Emarsuitte getroffen, wechselte die Farbe und erwiderte: »Entweder meint Ihr, jede habe ein so hartes Herz wie Ihr, oder aber Ihr haltet Euch für viel vollkommener als die andern.« – »Wir wollen nicht streiten,« lenkte Parlamente ein. »Laßt uns lieber hören, wem Hicean seine Stimme gibt.« – »Ich gebe sie Emarsuitte,« rief Hirean, »um sie mit meinem Weibe auszusöhnen.«

»Wenn ich somit an der Reihe bin,« hub diese an, »so will ich weder Mann noch Weib verschonen, um alle Gegensätze auszugleichen. Und da ihr euch nicht dazu verstehen könnt, die Tugend und den Wert der Männer zuzugeben, so will ich diesen Gegenstand in meiner Geschichte behandeln.«

Zweite Erzählung


Wie das Weib eines Maultiertreibers der Königin von Navarra zwar kläglich, doch in Züchten starb.

»Zu Amboise lebte einst ein Maultiertreiber, der bei der Königin von Navarra, der Schwester des Königs Franz, seines Namens der erste, in Diensten stand. Die Königin war damals gerade zu Blois mit einem Sohn niedergekommen, und dorthin machte sich der Treiber zu ihr auf, um seinen Lohn abzuholen, derweile sein Weib in ihrer Wohnung jenseits der Brücken verblieb.

Nun ward diese von einem Knechte ihres Mannes bis zur Verzweiflung geliebt, und eines Tages hatte dieser nicht mehr vermocht an sich zu halten und ihr von seinen Gefühlen gesprochen. Doch sie war eine durchaus ehrbare Frau: scharf wies sie ihn zurück und bedrohte ihn gar, sie wolle ihn von ihrem Mann züchtigen und fortjagen lassen, also daß er nicht mehr wagte, ihr mit dergleichen Worten zu nahen. Doch barg er die Glut wohl verwahrt in seinem Herzen, bis so eines Tages sein Herr die Stadt verließ. Als nun einmal auch seine Herrin zur Messe außer dem Hause war und er also allein verblieb, überkam ihn der Gedanke, durch Gewalt zu erlangen, was ihm trotz Flehen und Ergebenheit unerreichbar blieb. So brach er aus der Wand, die das Zimmer seiner Herrin von seiner Schlafkammer trennte, eine Bohle aus.

Maßen sowohl von dem Bette seiner Herrin und ihres Mannes als dem des Knechtes ein Vorhang niederhing und so die beiden Seiten der Wand bedeckt waren, vermochte man die entstandene Öffnung nicht zu gewahren, und also blieb seine Bosheit unbemerkt, bis seine Herrin mit einer jungen zwölfjährigen Magd sich schlafen legte. Das arme Weib lag kaum im ersten Schlaf, da schlüpfte der Knecht durch die Öffnung und legte sich, nur mit einem Hemd bekleidet und einen bloßen Degen in der Faust neben sie ins Bett. Doch nicht sobald hatte sie ihn verspürt, so schnellte sie vom Lager und überhäufte ihn mit all‘ den Vorwürfen, die sich einer ehrsamen Frau zu rechte geziemen. Doch seine Liebe glich viehischer Brunft. Eher hätte er wohl der Maulesel Sprache begriffen, denn ihre ziemlichen Vorstellungen. Und viehischer noch zeigte er sich, als die Tiere, mit denen er so lange zu tun gehabt hatte: denn als er inne ward, daß sie so schnell um einen Tisch herumlief, daß er sie nicht erhaschen konnte, und daß sie obendrein stark war und zweimal sich von ihm frei zu machen vermochte – da gab er die Hoffnung auf, sie jemals lebend zu besitzen, und versetzte ihr einen gewaltigen Degenstich in die Seite. Und er vermeinte, der Schmerz werde erzwingen, was Angst und Gewalt nicht erreicht hatten.

Aber es kam umgekehrt. Gleichwie ein wackerer Fechter nur hitziger kämpft, um Rache zu üben und die Ehre zu retten, dafern er sein Blut spritzen sah – also gab ihres Herzens Keuschheit dem armen Weibe die doppelte Kraft, zu laufen und jenem Elenden zu entschlüpfen. Und unterdes machte sie ihm ohn‘ Ermatten Vorstellungen, um ihn zur Einsicht zu bringen. Doch in ihm loderte wilde Glut und er war allem Zuspruch taub. Er versetzte ihr noch etliche Degenstiche, und sie hinwiederum lief, um ihnen zu entgehen, so schnell als ihre Beine sie tragen konnten. Und da sie endlich den Tod nahen fühlte, weil sie all ihr Blut verloren hatte, hob sie ihre Augen zum Himmel empor, faltete ihre Hände und empfahl Gott ihre Seele. Ihn nannte sie ihre Kraft, Tugend, Ausdauer und Keuschheit und flehte ihn an, ihr Blut gnädig anzunehmen, da sie es seinem Gebote getreu vergossen habe und voll Demut vor seinem göttlichen Sohne, der, so glaube sie fest, mit dem seinen alle Sünden vor dem göttlichen Zorne abgewaschen und getilgt habe. Und mit den Worten: ›Herr, nimm meine Seele zu Dir, die durch deine Gnade erlöset wurde.‹ sank sie auf ihr Gericht zur Erde nieder. Dort versetzte ihr der Elende noch manchen Hieb, und als sie stille wurde und alle Kraft ihrem Körper entflohen war, da raubte ihr der Bösewicht, was sie nicht mehr zu verteidigen vermochte. Alsbald aber, nachdem er seine freventliche Begierde gestillt hatte, entfloh er in Hast, und trotz aller Nachforschungen konnte er fürder nimmermehr gefunden werden.

Das Mägdlein, das bei der Frau gelegen hatte, war derweile vor Angst unter die Bettstatt gekrochen. Als sie merkte, daß der Mann fort war, eilte sie zu ihrer Herrin, und als sie diese so stumm und regungslos liegen sah, rief sie durchs Fenster die Nachbarsleute um Hilfe herbei. Die mochten die Frau wohl und schätzten sie mehr, denn manch andere Frau in der Stadt. So kamen sie ohne Zaudern herbei und brachten auch sogleich Wundärzte mit. Die fanden fünfundzwanzig tödliche Stichwunden an diesem Körper, und all ihr Mühen, der Frau zu helfen, blieb fruchtlos.

Immerhin blieb sie noch eine Stunde am Leben, wenngleich sie nicht mehr zu sprechen vermochte. Doch bedeutete sie durch Zeichen mit ihren Augen und Händen, daß sie noch bei Bewußtsein war. Als sie ein Geistlicher nach ihrem Glaubensbekenntnis befragte, gab sie durch untrügliche Zeichen, wie die Sprache sie nicht deutlicher hätte geben können, zu verstehen: ihre Zuversicht ruhe in Jesu Christo, den sie in seiner Herrlichkeit zu erblicken erhoffe. Und so überlieferte sie fröhlichen Angesichts und mit himmelwärts gerichtetem Blicke ihren keuschen Leib der Erde, ihre Seele aber ihrem Schöpfer.

Da sie nun aufgehoben und eingesargt war, und da ihre Leiche vor der Tür stund, um das Totengeleite zu erwarten, kam ihr armer Mann herbei und erblickte also die irdischen Reste seines toten Weibes, bevor er von ihrem Hinscheiden vernommen hatte. Und als er gar die Umstände erfuhr, ward seine traurige Verzweiflung verdoppelt, also daß er schier sein Leben ließ.

So ward dies Opfer seiner Keuschheit in der Kirche Saint-Florentin beigesetzt und keine ehrbare Frau der Stadt verfehlte, ihr die letzten Ehren zu erweisen, maßen sich alle glücklich schätzten, zu einer Stadt zu gehören, die eine so tugendsame Frau ihr eigen nennen konnte. Und als die Dirnen und leichtfertigen Weiber inne wurden, welche Ehren man ihrem Leichnam erwies, da entschlossen sie sich, ihren Lebenswandel zum Besseren zu wenden.

Das, meine Damen, ist gewiß eine wahrhafte Geschichte, die unsere Herzen auf dem Wege der Keuschheit und Tugend zu stützen vermag. Sollten wir Frauen edler Abkunft nicht vor Scham vergehen, wenn wir in uns jene Weltlust verspüren, der jenes arme Weib entgehen wollte und darum lieber solch grausamen Tod erlitt? Wahrlich, Gottes Gnade wird nicht durch Adel oder Reichtum erworben, sondern durch gottgefälliges Leben. Oft wählt der Herr den Niedriggeborenen, um die zu beschämen, so die Welt für hochstehend und ehrwürdig erachtet.«

In der ganzen Gesellschaft gab es wohl keine Dame, der nicht aus Mitgefühl mit dem kläglichen und doch so heldenmütigen Tode des armen Weibes eine Träne im Auge blinkte. Und jegliche bedachte wohl bei sich, daß sie im gleichen Falle schwerlich diesem Beispiele gefolgt wäre. Da nun die Frau Oisille wahrnahm, wie die Zeit unter Lobessprüchen auf die also Dahingeschiedene verstrich, wandte sie sich an Saffredant: »Wenn Ihr nicht schnell durch einen lustigen Scherz die Gesellschaft zum Lachen bringt, dann wird keine hier meinen Fehler verzeihen, daß ich sie zu Tränen gerührt habe. Drum gebe ich Euch das Wort.«

Gern hätte Saffredant etwas Gefälliges erzählt, das den Damen, und zumal einer, von Herzen behagt hätte. Doch erklärte er, man täte unrecht, ihn zu wählen. Ältere und Erfahrenere müßten zuerst sprechen. Doch sei das Los nun einmal auf ihn gefallen, so wolle er sich lieber beeilen, seine Aufgabe zu erledigen; denn je mehr gute Erzählungen vor ihm gehört würden, um so mehr würde die seine abfallen.

Sechsunddreißigste Erzählung


Als ein Präsident von dem üblen Verhalten seines Weibes erfährt, schafft er derart Ordnung, daß er Rache nimmt, ohne daß etwas bekannt wird.

»Zu Grenoble lebte ein Präsident, der, wie ich ohne Namensnennung verraten kann, kein Franzose war. Er nannte ein schönes Weib sein eigen, und beide lebten miteinander in friedlichster Eintracht. Als aber die Frau ihren Mann altern sah, entflammte sie in Liebe zu einem Sekretarius von einnehmender Schönheit. Ging morgens der Präsident zum Gerichtsgebäude, so trat alsbald der Sekretarius in ihre Stube und nahm seinen Platz ein. Das bemerkte ein alter Diener, der schon seit dreißig Jahren in des Präsidenten Haus war und da er sich seinem Herrn treu ergeben fühlte, konnte er nicht schweigen und hinterbrachte es ihm.

Der Präsident war ein gesetzter Mann. Darum schenkte er ihm nicht so ohne weiteres Glauben und entgegnete, jener wolle wohl seine häusliche Eintracht stören. Wären seine Behauptungen wahr, so solle er sie beweisen; gelänge ihm das nicht, so wäre ja leicht festgestellt, daß er alles erlogen habe, um sein Einvernehmen mit seinem Weibe zu trüben. Der Diener aber verschwor sich hoch und teuer, ihm den Beweis vor Augen zu führen. Und als nun wieder eines Morgens der Präsident zum Gerichtshof gegangen und der Sekretarius in seines Weibes Stube geschlüpft war, ließ der Diener seinen Herrn durch einen Gefährten rufen und bewachte derweile die Tür, damit der Sekretarius nicht entwische.

Kaum bemerkte der Präsident, daß einer seiner Leute ihm ein Zeichen gab, so schützte er ein Unwohlsein vor, hob die Sitzung auf und eilte hastig heim. Vor der Tür fand er seinen alten Diener, der ihm versicherte, der Sekretarius sei erst vor kurzem eingetreten. So sprach sein Herr: ›Bleib hier stehen, denn du weißt, daß es nur noch einen Zugang durch eine Kammer gibt, zu der ich allein den Schlüssel besitze.‹ Dann trat er in die Stube und fand sein Weib und den Sekretarius zusammen im Bett liegend vor.

Der junge Mann warf sich ihm, nur mit einem Hemd bekleidet, alsbald zu Füßen und bat ihn um Verzeihung, derweile die Frau in bittere Tränen ausbrach. Der Präsident aber sprach zu ihr: ›Die Schwere Eures Vergehens möget Ihr selbst beurteilen. Doch ich will mein Haus nicht entehrt wissen noch meine Töchter durch Euch herabgesetzt sehen. Deswegen laßt Euer Jammern und hört was ich sage: Ihr, Nicolas‹ – so hieß der Sekretarius, verhaltet Euch lautlos.‹ So geschah es. Dann öffnete er die Tür, rief seinen alten Diener und sagte: ›Hast du mir nicht versprochen, mir mein Weib in den Armen des Sekretarius zu zeigen? Daraufhin kam ich hierher und hätte schier meine Frau getötet. Aber ich habe nichts von dem gefunden, davon du sprachest. Ich habe vergeblich alle Winkel durchsucht, und du selbst magst dich auch davon überzeugen.‹

Damit ließ er den Diener alles durchstöbern und selbst unter die Betten schauen. Und da der nichts fand, sagte er ganz verblüfft zu seinem Herrn: ›Den muß wahrhaftig der Gottseibeiuns davongetragen haben, denn ich sah ihn eintreten, herausgekommen ist er nicht, und hier ist er auch nirgends.‹ Alsbald erwiderte sein Herr: ›Welch unseliger Gedanke von dir, unsern häuslichen Frieden so stören zu wollen. Packe darum deine Sachen und geh fort. Ich will dir ob deiner früheren Dienste deinen Lohn auszahlen und sogar noch mehr, aber mach‘, daß du schleunigst fortkommst und binnen vierundzwanzig Stunden die Stadt verlassen hast.‹ Dann gab er ihm den fünf- bis sechsfachen Jahreslohn und bedachte angesichts seiner Treue auch weiter für ihn zu sorgen.

Als der Diener weinend hinausgegangen war, ließ der Präsident den Sekretarius aus seinem Versteck hervorkommen, führte ihm und der Frau ihre Schlechtigkeit eindringlichst vor Augen und verbot beiden, sich etwas merken zu lassen. Dann hieß er seinem Weibe, sich künftighin prächtiger als sonst zu kleiden und an allen Gesellschaften und Festen teilzunehmen. Desgleichen befahl er dem Sekretarius, mehr denn sonst dem Vergnügen nachzugehen. Wenn er ihm aber sage: ›Scher‘ dich fort!‹, so möge er sich wohl hüten noch länger als drei Stunden in der Stadt zu verweilen. Alsdann kehrte er in den Gerichtshof zurück als sei nichts geschehen.

Vierzehn Tage lang gab er nun, ganz gegen seine Gewohnheit, seinen Nachbarn und Freunden Festgelage, nach denen Musik für die Damen zum Tanz aufspielte. Als er eines Tages bemerkte, daß seine Frau nicht tanzte, hieß er den Sekretarius mit ihr tanzen, und der tat das voller Freuden, denn er vermeinte, sein Herr habe seinen Fehltritt vergessen. Kaum aber war der Tanz aus, da trat der Präsident an ihn heran, als ob er ihm irgendeinen Auftrag fürs Haus gäbe, und sagte ihm ins Ohr: ›Pack dich und komme nie wieder!‹ So war der Sekretarius zwar tief betrübt, die Dame seines Herzens verlassen zu müssen, aber im Grunde herzlich froh, mit dem Leben davonzukommen.

Nachdem nun der Präsident solchergestalt allen Verwandten und Freunden die Überzeugung beigebracht hatte, daß er seinem Weibe in inniger Liebe zugetan sei, pflückte er eines schönen Tages im Mai einen Salat in seinem Garten, nach dessen Genuß sein Weib binnen vierundzwanzig Stunden verstarb. Und er heuchelte solche Trauer, daß niemand die Ursache dieses Todesfalles argwöhnen konnte. So hatte er sich an seinem Feinde gerächt und die Ehre seines Hauses gerettet.

Ich will nun zwar nicht behaupten, daß der Präsident ob dieser Handlungsweise ein sehr gutes Gewissen haben sollte. Aber ich wollte die große Geduld und Klugheit eines Mannes der Leichtfertigkeit einer Frau gegenüberstellen. So zürnt mir nicht, meine Damen. Denn die Wahrheit zeigt, daß Laster und Tugenden so bei Männern zu finden sind wie bei Frauen.«

»Wenn alle Gattinnen, die ihre Untergebenen lieben, solchen Salat essen müßten,« meinte Parlamente, »so wüßte ich gar manche, die ihre Gärten weniger gern haben sollten als sie es tun, und sicher alle Kräuter ausreißen würden, um das Gift zu fliehen, das mit dem Tode der liebestollen Mutter ihren Kindern die Ehre rettet. Doch scheint mir, jene Frau erlitt eine wohlverdiente Strafe und ihr Mann waltete seiner Rache mit bewunderungswürdiger Klugheit.« – »Und mit großer Arglist und Bosheit!« rief Longarine. »Solch lange und grausame Rachgier zeigt, daß er Gott und sein Gewissen nicht mehr vor Augen hatte.« – »Und was hättet Ihr in diesem Fall getan?« fragte Hircan. – »Mir wäre es lieber gewesen,« entgegnete jene, »daß er sie im ersten Zorn getötet hätte. Denn die Gelehrten sagen, daß solche Sünde verzeihlich ist, maßen in der ersten Aufwallung der Mensch keine Gewalt über sich hat. Darum hätte man ihm dann wohl verzeihen können.«

»Freilich,« sprach Guebron, »aber der Makel wäre auf seinen Töchtern und der Familie hängen geblieben.« – »So durfte er sie überhaupt nicht töten,« erklärte Longarine, »denn da der große Zorn verraucht war, hätte sie als geachtete Frau weiter neben ihm leben können und alles wäre vergessen worden.« – »Meint Ihr,« fragte Saffredant, »daß sein Grimm verflogen war, weil er ihn verhehlte? Ich an seiner Stelle wäre an dem Tage, wo der Salat gepflückt wurde, genau so zornig gewesen als am Anfang. Denn die Wut dauert an, bis sie sich entladen hat. Aber ich freue mich sehr, zu hören, daß die Kirchenlehrer solche Aufwallungssünden verzeihlich finden; denn ich bin der gleichen Ansicht.« – »Man muß seine Worte sorglich wägen, wenn man mit so gefährlichen Leuten spricht, wie Ihr es seid,« lächelte Parlamente. »Was ich sagte, bezog sich auf Fälle, wo eine Leidenschaft so stark ist, daß sie unversehens all unsere Sinne ergreift und von Vernunft nicht mehr die Rede ist.« – »Ganz recht,« antwortete Saffredant, »daran halte ich mich auch und ziehe den Schluß, daß ein sehr verliebter Mann leichter Verzeihung finden kann, als einer, der bei ruhigem Verstande sich etwas zuschulden kommen läßt. Denn wer in den Banden der Liebe liegt, hat keine Einsicht mehr. Und nun laßt uns hören, wem Emarsuitte das Wort erteilt.« – »Ich gebe es Dagoucin,« sprach diese, »denn ich hoffe, er wird nichts gegen die Frauen sagen.« Und der hub also an:

»Gebe Gott, sie wären mir alle so wohlgeneigt, als ich ihnen. So will ich zeigen, wie ich allezeit ihren edlen Taten nachspürte, um ihre Tugend preisen zu können. Doch soll man nicht eines Menschen Tugend loben, indem man eine einzelne hervorhebt, so daß sie schier den Lastern als Deckmantel dient. Nur wer aus reiner Liebe zur Tugend preisliche Werke vollbringt ist lobenswert. Das hoffe ich euch an der Sittsamkeit und Geduld einer jungen Dame zu erweisen, die in ihrem edlen Wirken nichts anderes erstrebte als Gottes Ruhm und das Heil ihres Mannes.«