Einundzwanzigste Erzählung


Von der wundersam tugendhaften Liebe eines vornehmen Mägdeleins zu einem Bastard, von dem Widerstand einer Königin gegen solche Ehe und der Antwort des Mägdeleins an die Königin.

»In Frankreich lebte eine Königin, die in ihrer Umgebung etliche junge Damen aus angesehenen Familien aufzog. Unter diesen befand sich auch eine Verwandte der Königin namens Rolandine, welche aber ob einer Mißhelligkeit zwischen ihrer Herrin und ihrem Vater nicht eben gut behandelt wurde. Das Mägdelein war weder über die Maßen hübsch, noch auch häßlich, doch besaß sie so viel Tugend und Anmut, daß mehrere hochgestellte Herren sie zum Weibe begehrten. Alle aber erhielten scharfe Ablehnungen, denn ihr Vater war dermaßen geizig, daß er darob das Wohl seiner Tochter vergaß. Und ihre Herrin, wie gesagt, war ihr so wenig zugetan, daß alle, die es auf der Königin Gunst abgesehen hatten, sich von ihr fernhielten. So blieb sie lange unvermählt, und mit der Zeit ward sie so betrübt, daß sie – weniger aus Lust, zu heiraten, denn aus Scham, noch unvermählt zu sein – sich ganz Gott zuwandte, die Eitelkeiten des Hoflebens mißachtete und nur in Gebeten und Handarbeiten ihre Tage verbrachte.

Als sie sich dem dreißigsten Lebensjahre näherte, kam ein Edelmann an den Hof, der an Tugend und Anstand kaum seinesgleichen hatte; er war der natürliche Abkömmling eines edlen Hauses, doch fehlte es ihm an Besitz und zudem an Schönheit, so daß ihn um seiner äußeren Vorzüge willen wohl kaum eine Dame gemocht hätte. Derart war auch er unvermählt geblieben, und wie sich nun oft die vom Unglück Verfolgten zusammenfinden, lernte er die arme Rolandine kennen. Sie schütteten einander ihr Herz aus und faßten bald innigste Zuneigung zueinander, also daß sie sich allerorten trafen, um sich gegenseitig zu trösten.

Da man Rolandine immer so zurückgezogen gekannt hatte und sie nun allezeit mit jenem Bastard plaudern sah, gab es bald entrüstete Gemüter, die ihre Amme darauf aufmerksam machten, daß jene Unterhaltungen nicht so weitergehen könnten. Und die gab die Vorhaltungen Rolandine weiter und erklärte, alle Welt wäre aufgebracht, daß sie sich so viel mit einem Manne abgäbe, der weder reich genug sei, um ihn zu heiraten, noch schön genug, um ihn zu lieben. Da man Rolandine bisher viel mehr ihre Zurückhaltung denn ihre Weltlichkeit vorgeworfen hatte, so erwiderte sie ihrer Amme: ›Ach, Mütterchen, bisher konnte ich noch keinen Gatten finden, der meiner Abstammung würdig war, und die Mißgeschicke anderer Mädchen habe ich gemieden. Was kann es nun, da ich jenen tugendsamen Jüngling getroffen habe, für ein Unrecht sein, wenn ich mir ehrbare Dinge erzählen und die Langeweile vertreiben lasse?!‹ Maßen die gute Alte ihre Herrin mehr liebte als sich selbst, so sprach sie darauf: ›Ich sehe, daß Ihr die Wahrheit sprecht. Da man aber Eure Ehre angreist, müßt Ihr Euch, und wäre es Euer leiblicher Bruder, enthalten, mit ihm zu plaudern.‹ Und Rolandine entgegnete weinend: ›Wenn Ihr es mir ratet, will ich es ja tun; aber wahrlich, es ist seltsam, daß ich auf dieser Welt keinen Trost haben darf.‹

Als der Bastard wie gewöhnlich kam, um mit ihr zu plaudern, hielt sie ihm des längeren entgegen, was ihre Amme ihr eben gesagt hatte, und bat ihn weinend, sich einige Zeit fernzuhalten, bis das Geschwätz sich gelegt habe. Das tat er ihr zuliebe. Doch während jener Trennungszeit, da ihnen jeder Trost fehlte, begannen sie ein ihnen ganz fremdes Leid zu verspüren. Das Mägdelein flehte allezeit zu Gott, fastete und machte Wallfahrten; denn die Liebe, die sie bis zur Stunde noch niemals empfunden hatte, ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Doch auch des Bastards Liebesqualen waren nicht geringer. Nur war er bereits von Anfang an entschlossen, sie zu heiraten, da er die Ehre dieser Verbindung bedacht hatte, und so suchte er nach Mitteln und Wegen, um sie zu erringen. Vor allem wollte er die Amme auf seine Seite bringen, und das tat er, indem er ihr die elende Lage ihrer Herrin vorstellte, maßen man ihr doch jeden Trost nähme. Und die gute Alte dankte ihm unter Tränen für seine Fürsorge. Alsdann besprachen sie, wie es sich machen ließe, daß beide miteinander reden könnten: Rolandine sollte Kopfschmerzen vorschützen, so daß man ihr allen Lärm fernhielte, und wenn dann ihre Gefährtinnen davongegangen wären, würden sie allein bleiben, also daß er die Möglichkeit hätte, mit ihr zu plaudern. Voller Freuden richtete sich der Bastard nach dem Rate der Amme, und so konnte er nun nach Herzenslust mit seiner Freundin zusammen sein.

Aber die Freude dauerte nicht lange. Die Königin, die Rolandine nicht wohlwollte, fragte, was sie so viel in ihrem Zimmer triebe. Jemand erwiderte, sie sei dort, weil sie sich krank fühle. Jemand anderes aber, der ihr wohl gram war, erklärte, sicherlich vertriebe die Freude an des Bastards Geplauder Rolandine den Kopfschmerz. Maßen nun die Königin Herzenssünden nur bei sich verzeilich fand, so ließ sie jene rufen und verbot ihr, mit dem Jüngling anderwärts zu reden als vor ihr oder im Saale.

Das Mägdelein ließ sich nichts merken und erwiderte, wenn sie gewußt hätte, daß dieser oder ein anderer der Königin mißfiele, so hätte sie nie mit ihm geplaudert. innerlich aber bedachte sie Auswege, von denen die Königin nichts erfahren konnte, und richtete folgendes ein: alle Mittwoche, Freitage und Samstage blieb sie zum Fasten auf ihrer Stube allein mit ihrer Amme, also daß sie die Möglichkeit hatte, während die andern zu Abend aßen, mit ihrem Geliebten zu sprechen. Doch trotz aller Vorsicht bemerkte ein Diener, wie jener an einem Fastentage bei ihr eintrat und berichtete es, so daß die Königin davon erfuhr und derart in Zorn geriet, daß der Bastard nicht mehr ins Damenzimmer zu kommen wagte. Um aber seiner Freuden nicht ganz verlustig zu gehen, schützte er bisweilen eine Reise vor und kam dann abends, in einer Mönchskutte wohl verborgen und völlig unkenntlich, in eine Kirche oder Kapelle des Schlosses. Und dorthin kam dann auch die junge Dame mit ihrer Amme und plauderte mit ihm.

Da er nun ihrer großen Liebe inne ward, zagte er fürder nicht mehr und sagte zu ihr: ›Ihr sehet, in welche Gefahren ich mich Eurethalben stürze, maßen die Königin uns jedes Gespräch verbietet. Andererseits hat Euer Vater Euch so viel Ehevorschlage verweigert, daß ich fürwahr nicht weiß, wer überhaupt noch in Betracht kommen kann. Ich bin nun zwar arm, doch Ihr seid reich, und wenn ich das Glück hätte, von Euch zum Gatten erwählt zu werden, so würde ich Euch allezeit ein ergebener Diener und treuer Freund sein und Ihr würdet nicht einen gestrengen Herrn in mir bekommen, sondern die zufriedenste und verhätscheltste Frau der Welt werden.‹

Da Rolandine ihn das Gleiche sprechen hörte, was sie ihm ihrerseits sagen wollte, so entgegnete sie mit zufriedener Miene: ›Ich bin sehr froh, daß Ihr nun selbst damit anfangt. Mein Vater hat mein Wohl bisher so wenig bedacht, daß ich mich jetzt wohl ohne ihn verheiraten kann, obwohl er allerdings das Recht hat, mich zu enterben. Doch bin ich selbst reich genug mit dem was ich besitze, wenn ich dazu einen Gatten wie Euch erhalte. Zum Zeichen aber, daß unsere Freundschaft auf Tugend und Ehre gebaut ist, versprecht mir, keinerlei eheliche Rechte von mir zu beanspruchen, ehe mein Vater nicht gestorben ist oder seine Einwilligung gegeben hat.‹

Das sagte ihr der Bastard gerne zu. Alsdann tauschten sie als Zeichen der Ehe ihre Ringe, küßten sich in der Kirche und nahmen Gott zum Zeugen ihres Bundes. Und niemals kam es seitdem je zu weitergehenden Vertraulichkeiten. Das schuf ihnen große Befriedigung, und obgleich sie sich oft lange Zeit nicht sahen, waren sie in ihrer Zuversicht glücklich. Kam der Edelmann aber von Reisen oder Kriegen zurück, so sahen sie sich, wie bisher in der Kirche, bis eines Tages der König in ein Lustschloß übersiedelte, das so abseits lag, daß man nur die Kirche dieses Schlosses besuchen konnte. Die war derart ungünstig gebaut, daß man nirgends im Verborgenen beichten konnte, ohne erkannt zu werden. Doch mochte ihnen so eine Möglichkeit entgehen, so fand Amor bald andere Wege. Denn zufällig kam eine Dame an den Hof, die mit dem Bastard nahe verwandt war.

Diese Dame wurde mit ihrem Sohne derart im Schlosse untergebracht, daß die Stube dieses jungen Prinzen in einem Vorbau lag und man von seinem Fenster aus Rolandine sehen und sprechen konnte, maßen beider Fenster just im Winkel einander gegenüber lagen. In diesen Gemächern, die ob dem Königssaale waren, wohnten alle Gefährtinnen Rolandines. Als selbige nun mehrmals den jungen Fürsten am Fenster erschaute, ließ sie durch ihre Amme den Bastard darauf aufmerksam machen. Der besah sich die Sache genau und heuchelte alsbald großes Gefallen an einem Buch, das in des Prinzen Zimmer lag. Und wenn nun alle zum Essen gingen, ersuchte er den Kammerdiener, ihn ruhig einzuschließen, da er weiterlesen wolle und schon aufpassen würde. Weil man nun seine Verwandtschaft zu dem Prinzen kannte, ließ man ihn lesen, so viel er wollte. Von der anderen Seite kam dann Rolandine ans Fenster, die ein schmerzendes Bein vorgeschützt hatte, um ihr Verweilen zu begründen, und meist im voraus aß. Sie hatte sich ein seidenes Bett an das Fenster rücken lassen, wo sie allein bleiben wollte, und wenn sie sah, daß niemand mehr da war, so plauderte sie mit ihrem Gatten, ohne daß man durch den Bettvorhang ihrer gewahr werden konnte. Kam aber jemand, so hustete sie oder gab Zeichen, worauf der Bastard sich zurückzog.

Eines Tages nun trat die Mutter des jungen Fürsten in dessen Zimmer ans Fenster, wo jenes dicke Buch lag, und alsbald grüßte ihr von drüben eine von Rolandinens Gefährtinnen zu. Die Dame fragte, wie es dieser ginge, und jene erwiderte, sie könne sie hier sprechen, und rief sie herbei. Nachdem die Dame mit Rolandine etwas geplaudert hatte, zogen sich beide zurück. Die Dame aber besah sich das Buch, das von den Rittern der Tafelrunde handelte, und sagte zu dem Kammerdiener: ›Ich begreife gar nicht, wie die jungen Leute mit so dummem Zeug ihre Zeit verbringen können.‹

Der Diener entgegnete, ihm schiene es noch verwunderlicher, daß erwachsene Männer, die für klug und gesetzt gälten, daran schier noch mehr Freude fänden als Jünglinge. Und als Erklärung erzählte er, wie ihr Verwandter oft vier und fünf Stunden beim Lesen dieses schönen Buches zubrächte. Alsbald verstand die Dame, was dahintersteckte und hieß den Kammerdiener, sich irgendwo zu verbergen und aufzupassen. Das tat er denn und erkannte, daß Rolandine und das Fenster an jenem Buche so anziehend waren. Zudem hörte er manch liebevolles Wort, da sie sich unbelauscht glaubten. Als er am nächsten Tage Bericht abstattete, ließ seine Herrin den Bastard rufen, machte ihm lebhafte Vorwürfe und verbot ihm, wiederzukommen. Abends aber sprach sie mit Rolandinen und drohte ihr, die Königin in Kenntnis zu setzen, wenn diese Torheit so weiter ginge. Rolandine war gar nicht überrascht und stritt alles glatt ab. Der Bastard aber fürchtete, daß die Sache herauskäme, und blieb lange Zeit dem Hofe fern. Doch schickte er heimlich Briefe an seine Geliebte, erst durch einen Mönch, dann durch einen jungen Pagen, der die Farben seines Gewandes immer wechselte. Einst wäre der fast auf der Straße ergriffen worden, da ein Edelmann ihn erkannte. So trat er flugs in das Haus einer alten Frau, die beim Kochen war, und verbrannte die Briefe im Herde. Als nun der Edelmann ihn durchsuchte, fand er nichts.

Immerhin bediente sich der Bastard des Pagen fürder nicht mehr. Vielmehr schickte er das nächstemal einen alten Diener, der die Furcht vor dem Tode, so ihm seitens der Königin drohte, in den Wind schlug und es übernahm, die Briefe zu überbringen. Nachdem er das Schloß betreten hatte, wartete er bei einer Tür am Fuße einer großen Treppe, wo alle Damen vorbei mußten. Doch ein Schloßdiener, der ihn früher einmal gesehen hatte, erkannte ihn alsbald und benachrichtigte den Haushofmeister der Königin, der flugs herunterkam, um ihn ergreifen zu lassen. Als der fürsichtige Diener des Bastards inne ward, daß man ihn beobachtete, wandte er sich zur Mauer, als wolle er das Wasser lassen, zerriß die Briefe in möglichst kleine Stücke und und warf sie hinter die Türe. Unmittelbar darauf wurde er ergriffen und genau durchsucht, und da man nichts fand, auf seinen Eid befragt, ob er keine Briefe bei sich gehabt habe. Ob man ihm aber auch mit allen Strafen drohte, alle nur denkbaren Überredungsmittel anwandte, – es war nichts aus ihm herauszubekommen. So stattete man der Königin Bericht ab. Doch kam einer der Hofleute auf den Gedanken, man solle hinter der Tür nachschauen, neben der er gefaßt worden wäre. Das geschah, und so wurden die gesuchten Brieffetzen gefunden.

Nun ließ man des Königs Beichtvater holen. Der stellte die Zettel wieder zusammen und las den ganzen Brief vor. Und so kam die vollzogene Heirat an den Tag, denn der Bastard nannte Rolandine stets ›seine Frau‹. Die Königin geriet alsbald in gewaltigen Zorn. Sie ließ nochmals den Diener ausfragen, und da er andauernd schwieg, so steckte man ihn gar in einen Sack und warf ihn ins Wasser. Da er aber auch so nichts gestand, war der König ob seiner Treue gerührt und nahm ihn in seinen Dienst. Die Königin aber ließ Rolandinen rufen, nannte sie nicht mehr ›Base‹, sondern ›Unglückliche‹, und warf ihr vor, welche Schande sie auf ihr Haus geladen habe, indem sie sich ohne Erlaubnis ihrer Herrin vermählte. Rolandine aber verstand wohl, daß alles dies nur bezweckte, sie zu demütigen, und erwiderte mit froher, zuversichtlicher Miene:

›Hohe Frau, Ihr wisset vielleicht selbst nicht, wie Ihr mich und meinen Vater mit Ungnade überschüttet. Ich war darob so verzweifelt, daß ich Nonne geworden wäre, wenn meine Gesundheit es erlaubt hätte. Da ich nun jenen gefunden hatte, der mir Trost spendete, entschloß ich mich, die Ruhe zu suchen, die Ihr mir stets vorenthieltet, und so schlossen wir diesen Ehebund. Doch sind nie größere Vertraulichkeiten zwischen uns ausgetauscht worden denn Küsse, da ich stets hoffe, die Zustimmung meines Vaters noch zu erringen. So geruht uns zu verzeihen und erlaubt uns in Frieden miteinander zu leben.‹

Die Königin weinte bei diesen Worten vor Zorn und rief: ›Unglückliche, statt Demut und Reue zu zeigen, sprecht Ihr keck und ohne eine Träne. Fürwahr, Ihr seid widerspenstig, und wenn der König und Euer Vater auf mich hören, werden sie Euch an einen Ort bringen lassen, der Euch eine andere Sprache lehren dürfte!‹

Rolandine aber versetzte darauf: ›Wie sollte ich weinen, hohe Herrin, da meine Ehre und mein Gewissen mir keine Vorwürfe machen? Und möget Ihr mir auch die schwerste Strafe zuteil werden lassen, so werde ich doch allezeit mehr Freude darüber empfinden, daß ich schuldlos bin, als Ihr darüber, mich also gestraft zu haben.‹

Die Königin war so voller Grimmes, daß sie nicht mehr an sich zu halten vermochte. Sie befahl, Rolandine ihr aus den Augen zu tun und in ein entlegenes Zimmer zu sperren. Doch ließ man die Amme bei ihr, durch die sie den Bastard von allem benachrichtigen und zudem um seinen Rat befragen ließ. Der vermeinte, die Dienste, die er dem Konig erwiesen hatte, seien wohl einer Gunst wert. Deshalb ging er alsbald zu Hofe, suchte den König auf, erzählte ihm den wahren Sachverhalt und bat ihn, ihm die Gnade zu erweisen und die Königin soweit zu besänftigen, daß die Ehe anerkannt würde. Der König aber antwortete nur mit der Frage: ›Könnt Ihr mir versichern, daß Ihr sie geheiratet habt.‹ Und der Bastard antwortete: ›Jawohl, Majestät, zunächst nur unter Gelöbnissen und Geschenken, doch wenn Ihr geruhen wolltet, es zu erlauben, dann kann sie auch in aller Form statthaben.‹

Der König neigte den Kopf und kehrte ohne jedes weitere Wort in das Schloß zurück. Dort rief er den Hauptmann der Wachttruppen und hieß ihn, den Bastard zu ergreifen. Der hatte aber einen Freund, der in des Königs Gesicht wohl zu lesen verstand und jenem daher riet, sich eiligst davonzumachen und in einem nahegelegenen Hause – das besagtem Freunde gehörte – zu verbergen. Sollte, wie er fürchte, der König ihn suchen lassen, so wolle er ihn benachrichtigen, so daß er aus dem Reiche flüchten könne, und wenn man sich hier beruhigt hätte, so würde er ihn davon alsbald in Kenntnis setzen. Der Bastard befolgte auch flugs diesen Rat, also daß der Hauptmann seiner nicht habhaft werden konnte.

Der König und die Königin berieten nun, was man über jene unglückliche Dame beschließen solle, so die Ehre hatte, ihrem Hause anzugehören. Auf Rat der Königin wurde endlich festgestellt, daß man sie zu ihrem Vater zurücksenden müsse, den man zudem von dem ganzen Sachverhalt in Kenntnis setzte. Der Vater aber wollte sie nach alledem nicht sehen und schickte sie nach einem Waldschlosse, daß er dermalen unter Umständen hatte erbauen lassen, die wohl wert wären, nach dieser Geschichte berichtet zu werden. Alldort hielt er sie lange Zeit gefangen, doch ließ er ihr sagen: falls sie ihr Eheversprechen widerriefe, wolle er sie freilassen. Doch sie blieb fest und trug freudig alle Entbehrungen dem Erwählten zuliebe.

Nun aber konnte man sehen, wie die Manner sind! Der Bastard war nach Deutschland geflüchtet, wo er viele Freunde hatte. Dort erwies er durch seine Leichtfertigkeit, daß er nicht aus wahrer Liebe, sondern aus Geldgier und Ehrgeiz Rolandine nachgestellt hatte. Denn alsbald verliebte er sich in eine reiche deutsche Edelfrau, also daß er nachließ, der zu schreiben, die seinetwegen so viel erduldete, obgleich er stets die Möglichkeit hatte, ihr Briefe zustellen zu lassen. Als Rolandine nur noch kalte, schwülstige Briefe erhielt, schöpfte sie Verdacht und ließ ihn durch einen Diener beobachten. Als der ihr die Wahrheit mitteilte, wurde sie vor Leid schwer krank. Doch hielt ihre Liebe auch dieser Versuchung stand und sie war entschlossen, ihm bis zum Tode getreu zu bleiben. Da erbarmte sich ihrer die himmlische Güte; denn wenige Tage später fand der Bastard den Tod, da er der anderen Frau nachstellte.

Kaum hatte sie von Augenzeugen seiner Beisetzung diese Nachricht erhalten, so bat sie ihren Vater um eine Unterredung. Der kam alsbald zu ihr, nachdem er sie bis dahin nie während ihrer Gefangenschaft gesehen hatte und hörte sie ausführlich an. Statt sie aber zu töten, wie er ihr oft gedroht hatte, schloß er sie in seine Arme und sprach unter heißen Tränen: ›Du bist gerechter als ich, denn meine Schuld war es, daß dies solchen Verlauf nahm. Da nun Gott alles so gefügt hat, will ich versuchen, das Vergangene wieder gutzumachen.‹ Alsbald nahm er sie mit in sein Haus und behandelte sie als seine geliebte Tochter. Und als ein Edelmann gleichen Wappens und Namen sie umwarb, der edel und tugendhaft war und Rolandine hoch verehrte, gab der Vater seine Einwilligung und die Ehe wurde vollzogen.

Zwar wollte ihr Bruder ihr auf Grund ihres früheren Ungehorsams nichts gönnen und gab ihr nach dem Tode des Vaters so wenig, daß sie schier Not litt, maßen ihr Gatte ein jüngerer Sohn war. Doch auch da erbarmte sich Gott ihrer: der Bruder starb plötzlich und so fiel ihr die ganze Erbschaft zu. So hatte sie nun ein großes, angesehenes Haus, wo sie fromm und ehrsam mit ihrem Mann lebte; und nachdem sie zwei Söhne erzogen hatte, die Gott ihr bescherte, gab sie fröhlich Dem ihre Seele wieder, in dem sie allezeit ihren Trost gefunden hatte.

So, und nun, meine Damen, mögen die Herren kommen, die uns immer als treulos hinstellen möchten, und uns einen gleich treuen, standhaften Ehemann zeigen.« »Wahrlich,« sprach Oisille, »Ihr habt uns die Geschichte einer hochherzigen Frau erzählt, Parlamente, die ebenso beständig war, als ihr Gatte treulos.« – »Ich meine, überlegte Longarine, »daß zwei zusammen wohl solches Leid ertragen können; fällt die Last aber auf einen allein, dann muß sie unerträglich werdend – »So solltet ihr also Mitleid mit uns haben,« – rief Guebron, »denn wir tragen die Last der Liebe, und ihr helft mit keinem Finger, sie uns leichter zu machen.«

»Ach, Guebron,« entgegnete Parlamente, »wie verschieden sind doch die Lasten, die auf Männern und Frauen ruhen. Die Liebe der Frau stützt sich auf Gott und ihre Ehre. Wer diese gerechte und vernünftige Grundlage antastet, kann nur feige und schlecht sein. Die Liebe der meisten Männer aber ist auf Genußsucht begründet, und leider sind die meisten Frauen zu unerfahren, um genügend dawider zu kämpfen. Enthüllt ihnen aber Gott jene Bosheit, dann handeln sie nur ehrenhaft, wenn sie schnell die Beziehungen abbrechen. Die kürzesten Torheiten sind allemal die besten.« »Was für ein herrlicher Grundsatz!« rief Hirean. »Die tugendhaften Frauen dürfen in allen Ehren anständige Männer verlassen, umgekehrt aber geht es nicht. Als ob die Herzen verschieden wären! Schlimmer ist nur die besser verhehlte Bosheit.« – Parlamente antwortete etwas erzürnt: »Ihr scheint die Menschen höher zu stellen, deren Bosheit zutage tritt.« – »Lassen wir diesen Streit,« beschwichtigte Simontault, »genau besehen, taugt keines von beiden Herzen etwas. Hören wir lieber, wem Parlamente das Wort erteilt.« – »Ich gebe es Guebron,« sprach diese. Guebron hub also an: »Ich habe schon von Franziskanern erzählt. Nun will ich etwas berichten, was mit zween Benediktinern vorgefallen ist. Damit will ich niemandes gute Meinung von achtbaren Geistlichen beeinträchtigen. Doch sollt ihr nur nicht für unmöglich halten, daß unter großer Frömmigkeit nicht auch bisweilen schlimme Sinnengier verborgen liegt. Darum höret, was sich unter Franz, dem ersten seines Namens, zutrug.«

Zwölfte Erzählung


Wie unziemlich und schamlos ein Herzog zum Ziele zu kommen suchte und wie seine Niedertracht gerechte Strafe erntet.

»Vor einiger Zeit lebte zu Florenz ein Herzog, der mit Margarete, der natürlichen Tochter Kaiser Karls des Fünften, vermählt war. Maßen sein Weib zum ehelichen Leben noch zu jung war, so war er zwar voll Zärtlichkeit zu ihr, doch wandte er seine Liebesgunst anderen Frauen in der Stadt zu, die er nächtlings besuchte, derweile sein Weib schlief. Ausnehmend gefiel ihm aber eine schöne, tugendliche Dame, die Schwester eines Edelmannes, dem der Herzog über die Maßen zugetan war, also daß er ihm in seinem Schlosse die höchste Achtung verschaffte und ihm zudem nichts von dem verschwieg, was in seinem Herzen vorging.

Da nun der Herzog inne ward, daß jene Schwester äußerst sittsam war und er ihr deshalb seine Liebe nicht gestehen konnte, so ging er nach mancherlei vergeblichen Versuchen zu dem Edelmann und sprach: ›Gäbe es nur etwas in der Welt, so ich nicht für Euch zu tun bereit wäre, so würde ich nicht wagen, Euch meinen Wunsch zu äußern oder gar um Eure Unterstützung zu bitten. Doch würde ich selbst mein Weib, meine Mutter oder Tochter für Euch dahingeben, wenn es gälte, Euer Leben zu retten. Ich bin nun gewiß, daß Eure Liebe zu mir nicht minder groß ist, und darum will ich Euch ein Geheimnis entdecken, dessen Verschweigen mich schon schier umgebracht hat. Nur der Tod oder Eure Hilfe kann mich retten.‹

Als der Edelmann gewahrte, daß sein Herr sich keineswegs verstellte und daß sein Antlitz in Tränen gebadet war, packte ihn gewaltiges Mitleid und er entgegnete: ›Was ich bin, bin ich durch Euch, o Herr; Euch danke ich alles, was ich besitze; so sprecht zu mir als Euerem Freunde, der gewißlich alles für Euch tun wird, was in seiner Macht steht.‹

Alsbald enthüllte ihm der Herzog seine Liebe zu jener Schwester und versicherte ihm, seine Leidenschaft sei so gewaltig, daß er nicht sehe, wie er ohne ihre Tröstung weiter leben könne. Wohl wisse er, daß mit Bitten und Geschenken nichts zu erreichen sei. Und so bäte er ihn, ein Mittel zu finden, wie er dies Glück erringen könne, das ihm ohne seine Hilfe verschlossen sei. Dem Bruder lag aber die Ehre seiner Schwester und seines Hauses mehr am Herzen als die Befriedigung der Lüste seines Herrn. So versuchte er, ihm Einwendungen zu machen, und beschwor ihn, seiner Dienste allerorten gewiß zu sein, jedoch solch grausames Verlangen an ihn nicht zu stellen. Denn er könne doch nicht sein eigen Blut entehren, und solcher Dienst ginge ihm wider Herz und Ehrgefühl. Den Herzog entflammte grimme Wut. Er zerbiß sich schier einen Fingernagel und rief zornentbrannt: ›Schon gut. Wenn Ihr keine Freundschaft empfindet, so weiß ich, was ich zu tun habe.‹

Da packte den Edelmann die Angst, denn er kannte recht gut seines Herrn Grausamkeit, und so stieß er hervor: ›Wenn Ihr denn wollt, Herr, so werde ich mit ihr reden und Euch Antwort bringen.‹ Der Herzog erwiderte kurz: ›Wie Ihr für mein Leben einstehen werdet, will ich es mit dem Euren halten–‹ und ging hinweg. Der Edelmann verstand sehr wohl, was das heißen wollte, und bedachte während zweier Tage–dieweil er sich beim Herzog nicht sehen ließ–wie er sich stellen könne: einerseits war er seinem Herrn verpflichtet, maßen er ihm alles verdankte; andrerseits sah er die Ehre seines Hauses und seiner Schwester vor sich. Daß diese zu solcher Schande nicht zu bestimmen war, wußte er recht wohl. Nur List oder Gewalt vermochten sie zu kirren und der bloße Gedanke solchen Schimpfes empörte ihn schon. So kam er zu dem Entschluß, lieber sein Leben daranzusetzen, als seiner Schwester, die vor allen Frauen Italiens tugendhaft war, solche Niedertracht zuzufügen. Besser schon war’s, sein Vaterland von solchem Gewaltherrscher zu befreien, der unter Zwang sein Haus besudeln wollte. Er war ganz sicher, daß er und die Seinen ihres Lebens nicht sicher wären, wenn der Herzog nicht ins Jenseits befördert wurde. So entschied er sich denn, auf einen Schlag sein Leben zu retten und den Schimpf zu rächen, sprach erst gar nicht mit seiner Schwester, und erklärte nach diesen zwei Tagen dem Herzog: Nicht ohne große Mühe habe er sich endlich jene gefügig gemacht, so daß sie wohl bereit wäre, auf seine Wünsche einzugehen, sofern er nur fest versprechen wolle, alles so geheimzuhalten, daß nur er, der Bruder, etwas davon wisse.

Der Herzog hatte so auf diesen Bescheid gehofft, daß er dem Edelmann ohne weiteres Glauben schenkte, ihm um den Hals fiel und Himmel und Erde versprach. Alsdann bat er ihn, die Sache zu beschleunigen, und so setzten sie einen Tag fest. Der Herzog war überglücklich. Und als die so ersehnte Nacht kam, da er die Unbesiegliche zu erobern hoffte, begab er sich so früh als möglich allein zu dem Edelmann und verfehlte auch nicht, sich nach Möglichkeit herrlich zu kleiden und sein Hemd wohl zu parfümieren.

Als nun alles zur Ruhe gegangen war, begab er sich mit dem Bruder zu den Gemächern der Dame und betrat so eine gar sorglich ausgestattete Stube. Der Edelmann half ihm aus seinen Kleidern, ließ ihn alsdann ins Bett steigen und sprach: ›Nun will ich flugs diejenige holen, die nur voll Schamesröte in dies Zimmer kommen wird. Doch hoffe ich, daß sie noch in dieser Nacht Eurethalben in Ruhe sein wird.‹ Damit verließ er ihn und eilte in sein Gemach, wo er nur einen seiner Diener fand. ›Wärest du beherzt genug, mir zu einem Ort zu folgen, wo ich mich an meinem Todfeind rächen will?‹ Und jener, der doch nicht wußte, worum es sich handelte, entgegnete stracks: ›Bei Gott, Herr, und ginge es gegen den Herzog selber.‹

Ohne Weilen, also daß jener keine weitere Waffe mit sich nehmen konnte als den Dolch, so er bei sich trug, kehrten die beiden zum Herzog. Als der sie kommen hörte, vermeinte er, nun nahe die also Geliebte, tat den Bettvorhang auf und blickte hinaus, um sie zu erschauen. Doch nicht die Teure gewahrte er, die ihm neues Leben bringen sollte, sondern dräuenden Tod: denn vor ihm blinkte ein nackter Degen in des Edelmannes Faust, der den Herzog aufspießte. Der war in seinem Hemd ohne Waffen, doch nicht allen Mutes bar. So richtete er sich auf, umfaßte den Edelmann und fragte: ›Haltet Ihr so Euer Versprechen?!‹ Und da er nichts zu seiner Verteidigung hatte, denn seine Nägel und Zähne, so biß er jenem in den Daumen und rang so kräftig mit ihm, daß beide zur Erde rollten.

Nun war der Edelmann seiner Sache nicht mehr sicher und rief den Diener zur Hilfe. Doch der wußte, als er die zwei so eng umschlungen sah, nicht, wie zupacken. So zog er beide an den Füßen in die Mitte des Zimmers und versuchte alsdann, dem Herzog die Gurgel zu durchschneiden, während dieser ihn abwehrte, bis ihn durch den Blutverlust die Kräfte verließen. Da warfen ihn die beiden aufs Bett, machten ihm mit Dolchstichen vollends den Garaus, zogen alsdann die Vorhänge zu und schlossen am Ende die Stube von außen ab. Weiter bedachte nun der Edelmann, daß der Sieg über seinen Feind dem Staat nur nützen könne, wenn er noch fünf oder sechs Männer aus des Herzogs Umgebung ihm nachschickte. So hieß er seinen Diener, jene, einen nach dem andern, herbeizulocken, um sie das Los ihres Herrn teilen zu lassen. Der Diener aber war weder kühn noch stark und entgegnete: ›Mir scheint, Ihr tätet besser, Euer Leben in Sicherheit zu bringen, statt dem anderer nachzustellen. Denn bevor wir mit so vielen fertig geworden sind, ist der Tag angebrochen. Zudem wissen wir ja gar nicht, ob sie sich nicht verteidigen werden.‹

Dem Edelmann lähmte schon das böse Gewissen den Mut. Darum pflichtete er seinem Diener bei und begab sich mit ihm zu einem Bischof, der die Torwachen der Stadt und die Postpferde unter sich hatte. Dem erklärte er: ›Heute abend bekam ich die Nachricht, daß einer meiner Brüder im Sterben liegt. Deshalb erbat und erhielt ich vom Herzog Urlaub. Heißt also bitte die Wachen, mir zwei gute Pferde zu geben und das Stadttor zu öffnen.‹

Weniger ob seiner Bitte als wegen des Herzogs Geheiß gab ihm der Bischof allsogleich eine diesbezügliche Bescheinigung. Daraufhin verließ der Edelmann die Stadt und flüchtete nach Venedig, wo er die erhaltenen Bißwunden heilen ließ. Dann begab er sich nach der Türkei.–Als inzwischen die Diener den Herzog am nächsten Tage nicht zurückkehren sahen, vermuteten sie, daß er bei einer Dame weile. Doch es wurde immer später, also daß sie schließlich nach ihm suchten. Die arme Herzogin, die ihn bereits heiß liebte, war schier verzweifelt, als sie vernahm, daß man ihn nicht finden konnte.

Doch der Edelmann, der so in des Herzogs Gunst stand, blieb gleichermaßen unsichtbar, und daher begann man sein Haus zu durchsuchen. Man fand vor seinem Zimmer Blutspuren, drang ein, fand nichts, folgte aber den Blutspuren und kam so zu der verschlossenen Stube, in der des Herzogs Leiche lag. Ohne Säumen erbrachen die Diener das Schloß und erblickten eine gewaltige Blutlache, hinter dem Vorhange aber, auf der Lagerstatt, des Dahingeschiedenen durchbohrten Leib.

Gramumfangen trugen sie den Leichnam ins Schloß alsbald kam auch der Bischof und erzählte, daß der Edelmann bei Nacht in Eilen abgefahren sei unter dem Vorgeben, seinen Bruder besuchen zu müssen. So war klar ersichtlich, daß er den Mord begangen, seine Schwester aber zuvor nichts davon gewußt hatte. Diese war zwar zunächst tief erschrocken. Dann aber liebte sie ihren Bruder um so heißer, der ihre Keuschheit unter Einsatz seines Lebens vor des Herzogs Grausamkeit bewahrt hatte. Also beharrte sie mehr denn je in strengster Tugend und Sittsamkeit. Und obgleich man ihr gleich ihrer Schwester Hab und Gut konfiszierte so beide in tiefste Armut stürzte, wurden ihnen ob ihrer Ehrbarkeit die zwei reichsten Männer Italiens als Gatten zuteil, und sie lebten fortan in Glück und Ansehen.

Ihr sehet, meine Damen, wie man den kleinen Gott Amor fürchten muß, der sich ein Vergnügen daraus macht, Fürsten und Arme, Starke und Schwache zu peinigen und zu verblenden, bis sie schier Gott und Gewissen vergessen und gar ihr eigenes Leben darangeben. Und hinwiederum mögen sich die hohen Herren hüten, Untergebenen zu nahe zu treten, maßen sie nicht wissen können, ob nicht Gott diese zum Werkzeug seiner Rache macht.«

Diese Geschichte löste großen Streit aus, da die einen fanden, der Edelmann habe nur seine Pflicht getan, die andern dagegen, er habe großes Unrecht begangen, indem er seinen Wohltäter tötete. Während zumal die Herren ihn einen Verräter hießen, nannten die Damen ihn einen treuen Bruder und tugendhaften Bürger und erklärten leidenschaftlich, daß der Herzog seinen Tod gar wohl verdient habe. Dagoucin rief daher: »Streitet doch um Gottes willen nicht also um vergangene Dinge und sorget lieber dafür, daß eure Schönheit nicht mehr solcher Mordtaten veranlaßt!« Doch Parlamente entgegnete: »Das Gedicht von der unerbittlichen Schönen erweist, daß solches reizvolle Leiden doch nicht den Tod nach sich zu ziehen braucht.«–»Gebe Gott,« erwiderte Dagoucin, »daß alle Damen hier wissen, wie falsch diese Ansicht ist. Sicher würden sie alsdann nicht unerbittlich sein wollen und ergebene Diener durch ungnädigen Verweis in den Tod stürzen.«–»So wollt Ihr also, daß wir Ehre und Gewissen aufs Spiel setzen, um jenen das Leben zu retten«–»Keineswegs, denn wer wahrhaft liebt, wird mehr für die Ehre seiner Geliebten fürchten als sie selbst, und wer das Gegenteil erstrebt, ist eben kein wahrhaft ergebener Freund.«

Nun mischte sich Emarsuitte ein und sprach: »So seid ihr alle: erst redet ihr von Ehre, und dann kommt es umgekehrt. Und nur wenn alle hier die Wahrheit sagen wollen und sie beeiden, will ich ihnen glauben!« Hircan schwor, nie je eine Frau, außer der seinen, geliebt zu haben, der er nicht gottverbotene Dinge zugemutet habe. Das gleiche versicherte Simontault. Guebron aber sagte: »Wahrlich, ihr verdientet, daß eure Frauen den andern glichen. Ich meinesteils kann schwören, daß ich eine Frau so tief geliebt habe, daß ich lieber gestorben wäre als ihr etwas Ehrloses zuzumuten. Denn ich liebte sie ob ihrer Tugend, und die hätte ich nicht beschmutzt sehen mögen.« Darob begann Saffredant zu lachen und rief: »Ich dachte, die Liebe zu Euerem Weibe und der gesunde Menschenverstand hätten Euch überhaupt gehindert, Euch irgendwo sonst zu verlieben. Ich sehe, ich habe mich geirrt: Ihr redet in Wendungen, mit denen wir die Schlauesten zu blenden pflegen und die Tugendhaftesten einfangen. Denn wie können uns diese Gehör verweigern, wenn wir von Ehre und Tugend reden?! Aber auch unter denen, die sich zeigen wie sie sind, gibt es sicher mehr Gunstbeglückte, als die Damen wohl zugeben mögen. Zudem mag es vielleicht auch oft geschehen, daß die Damen ihr Herz schon zu fest vergeben haben und sich dann nicht mehr imstande sehen oder für berechtigt halten, zurückzuhufen, wenn sie merken, daß ihr Weg nicht zur Tugend führt, sondern geradeswegs zum Laster.«–»Wahrlich, ich habe Euch verkannt,« entgegnete Guebron, »denn ich vermeinte, Ihr stelltet die Tugend über die Lust.«–»Gibt es etwa eine größere Tugend, als in der gottgebotenen Form zu lieben?« fragte Saffredant. »Die Frau ist doch ein Weib und nicht ein Götzenbild! Drum ist’s besser, sie zu gebrauchen denn sie zu mißbrauchen.«

Die Damen stellten sich auf Seiten Guebrons und verwiesen Saffredant seine Worte. Der meinte deshalb: »Wenn man mich so behandelt, will ich gern schweigen.«–»Ihr seid selbst daran schuld,« entgegnete Longarine. »Welche anständige Frau mag nach Euern Worten noch Eure Dienste leiden? Doch sehen wir nun zu, wem Dagoucin das Wort erteilen wird.« Der sprach: »Ich gebe es Parlamente, denn sicherlich weiß sie mehr denn jede andere, was sittsame und vollkommene Freundschaft ist.«

Und Parlamente Hub an: »Da mir das Wort erteilt wurde, will ich euch die Geschichte einer nahen Freundin erzählen, die niemals Geheimnisse vor mir hatte.«

Dreizehnte Erzählung


Wie ein Schiffshauptmann sich unter dem Scheine von Frömmigkeit in eine junge Dame verliebte, und was daraus entstand.

»In der Regentschaftszeit der Mutter Franz‘ des Ersten lebte am dortigen Hofe eine sehr fromme Dame, die mit einem gleichgesinnten Edelmann vermählt war. Obgleich der nun ebenso alt war als sie jung und schön, so liebte sie ihn doch wie den schönsten Jüngling der Welt, und um ihn jeder Betrübnis fernzuhalten, führte sie ein Leben gleich einer bejahrten Frau, ohne allen Putz, Tanz und jugendliche Kurzweil, und suchte Freude und Erbauung nur in gottergebenem Tun. Darob schenkte ihr Gatte ihr soviel Liebe und Vertrauen, daß sie ihn und sein ganzes Haus regierte.

Besagter Edelmann eröffnete ihr nun eines Tages, daß er seit seiner Jugend den Wunsch hege, nach Jerusalem zu reisen, und fragte sie nach ihrer Ansicht. Sie hatte keinen andern Wunsch, als ihm Freude zu schaffen, und erwiderte deshalb: »Da Gott uns keine Kinder schenkte, uns hingegen mit Reichtum segnete, so bin ich gern damit einverstanden, einen Teil unseres Geldes für diese Reise zu verwenden. Dort wie überall will ich Euch folgen und Euch nimmer verlassen.« Der Edelmann war voller Freuden und träumte sich schon auf dem Kalvarienberge. Derweile sie nun dies beschlossen, kam ein Rittersmann zu Hofe, der oft gegen die Türken gekämpft hatte und nun eine Unternehmung gegen eine ihrer Städte betreiben wollte, von deren Eroberung er sich großen Gewinn für die Christenheit versprach. Der alte Edelmann fragte ihn wegen seiner Reise aus, und als er von seinem Vorhaben hörte, erkundigte er sich, ob jener alsdann auch gen Jerusalem zu ziehen vorhabe, maßen er und seine Frau die Absicht hätten, sich dorthin zu begeben. Der Hauptmann war ob dieses Wunsches voller Freuden und versprach ihm, sie dorthin zu bringen und die Angelegenheit geheim zu halten. Eilends berichtete der Edelmann diese Antwort seiner Frau, die nicht minder denn er diese Reise zu machen begehrte.

Alsdann sprachen sie dieserthalben oft mit dem Hauptmann. Der achtete just weniger auf die Worte jener Frau als auf sie selber, und war bald ganz toll in sie verliebt, also daß er oft Marseille und Archipel, Schiff und Pferd–kurz alles durcheinander warf. Doch begriff er, daß er sich nichts merken lassen durfte. Darob ward er oftmals krank. Dann sorgte sich die Dame um ihn, an dem doch diese Reise hing, und ließ sich nach seinem Befinden erkundigen. Und sobald er das erfuhr, ward er ohne alle Arzenei gesund. Doch er stand mehr in dem Rufe, ein kecker Frauenjäger denn ein guter Christ zu sein, und so verwunderten sich manche, daß jene Dame ihn so bereitwillig empfing. Und als man gar merkte, daß er in die Kirchen, Messen und zur Beichte lief, begriffen die Leute, daß er damit nur ihre Gunst zu erwerben hoffe, und machten ihm daraufhin anzügliche Bemerkungen. Alsbald fürchtete der Hauptmann, daß der Dame etwas zu Ohren käme und ihn das mit ihr auseinanderbrächte. Daher sagte er zu dem Edelmann und ihr, er habe nun beim König bald seinen Zweck erreicht und müsse demnächst abreisen. Doch habe er ihnen zuvor noch einiges zu sagen, und damit alles mehr geheim bliebe, wolle er nicht vor andern darüber sprechen und bäte sie, ihn rufen zu lassen, wenn sie allein wären.

Das war dem Edelmann recht, und nunmehr ging er allabendlich früh zu Bett und ließ auch sein Weib sich alsdann in ihr Nachtgewand kleiden. Waren nun alle zur Ruhe gegangen, so ließen sie den Hauptmann rufen und plauderten über die Reise nach Jerusalem. Zumeist schlief derweile der alte Herr den Schlaf des Gerechten, und wenn ihn der Hauptmann also in seinem Bett sah, sich selbst aber auf einem Stuhl neben der schönsten und ehrsamsten Frau der Welt, so ward sein Herz beklommen, und zwischen Furcht und Begierde, sich zu erklären, blieb ihm oft das Wort im Halse stecken. Dann sprach er schnell, damit sie nichts merkte, von den heiligen Stätten Jerusalems, so noch Christi Liebeswerk bezeichneten. Seine verliebten Blicke blieben ihr unbemerkt; vielmehr hielt sie ihn angesichts seines andächtigen Gehabes für einen gar heiligen Mann und fragte ihn, wie er zu diesem gottesfürchtigen Wandel gekommen sei. Alsbald eröffnete er ihr, er habe als armer Edelmann eine häßliche, alte, aber sehr reiche Verwandte geheiratet, ohne sie zu lieben, vielmehr um zu Geld und Ansehen zu kommen. Nachdem er ihr Geld vertan habe, sei er aufs Meer nach Abenteuern ausgezogen und habe unter schweren Mühen und Kämpfen sich Achtung verschafft. Nun er sie aber kennen lernen durfte, seien ihre heiligen Worte und edlen Beispiele ihm zu Herzen gegangen, also daß er nun ein neues Leben führen wolle und entschlossen sei, nach seinem beabsichtigten Eroberungszuge sie und ihren Gatten nach Jerusalem zu führen, um seiner Sünden Vergebung zu erflehen. Zwar habe er die meisten schon abgelegt, doch das Verhältnis zu seinem Weibe müsse noch gebessert werden, und er hoffe, sich auch mit ihr wieder auszusöhnen.

Diese Worte gefielen der Dame gar wohl, und zumal, daß sie ihn nach solcher Vergangenheit zu gottgefälligem Wandel geführt hatte, freute sie über die Maßen. So verbrachten sie alle Abende in langem Geplauder. Nie wagte er etwas zu sagen, doch brachte er ihr wohl bisweilen ein Kruzifix von Notre-Dame de Pitié und bat sie, allemal seiner zu gedenken, so sie es anschaue. Und als die Zeit seiner Abreise kam und er von dem Edelmann Abschied nahm, sank dieser wiederum in tiefen Schlummer. Da er sich nun zu der Dame wandte und gewahrte, wie Zähren ob seiner ehrenhaften Freundschaft in ihren Augen schimmerten, flammte die Glut seiner Leidenschaft so gewaltig in ihm auf, daß er gleichsam bewußtlos umsank, um nichts verlauten zu lassen. Und als er endlich Lebewohl sagte, rannen ihm nicht nur aus den Augen, sondern aus allen Poren große Tropfen. Die Dame war darob schier verwundert, denn solchen Abschiedsschmerz hatte sie noch nie gesehen. Doch änderte sie ihre Ansicht über ihn nicht und begleitete ihn mit Gebeten und Segenswünschen.

Kaum war ein Monat vergangen, da fand sie bei ihrer Heimkehr von einem Spaziergange einen Edelmann daheim vor, der ihr einen Brief des Hauptmannes überbrachte. Der Bote ersuchte sie, das Schreiben ohne Zeugen zu lesen und fügte hinzu, er habe der Abfahrt des Hauptmannes beigewohnt, der im Begriffe stand, für König und Christentum zu kämpfen. Er selbst verträte in Marseille des Hauptmanns Angelegenheiten und wolle dorthin zurückkehren.

Die Dame trat in eine Fensternische, öffnete den Brief, der zwei dichtbeschriebene Bogen umfaßte, und las das folgende Gedicht:

›Lang‘ sann ich drob und schwieg auch lang‘ –
Doch quält mich übermächt’ger Drang,
Und nimmer werd‘ ich sonsten ruhig sein!
Fürwahr, ich leide grimme Todespein:
Das Wort, das ich bisher verschwiegen hab,
In mir vergrub, gleich wie in einem Grab,
Ich sprech‘ es nun, da mir die Kräfte schwinden;
Und stürb‘ ich auch,–ich kann’s nicht mehr verwinden!

Fast mag ich mich auch jetzt noch nicht entschließen
Aus Sorg‘, es könnte Dich verdrießen,
Das Stammeln des zu hören, der von Bangen
In Deiner Gegenwart stets war gefangen;
So daß Du sprächest: ›Besser war’s, zu sterben,
Als gar zu wünschen, daß ich vom Verderben
Mit zarter Hand Euch rette!‹ O die Not.
Gern stürbe ich wohl zehnfach grausen Tod!!
Für Dich nur bleibe ich annoch am Leben,
Dieweil ich das Versprechen hab‘ gegeben,
Nach meiner Reise glücklichem‘ Gelingen
Dich und den‘ Gatten wohl dorthin zu bringen,
Wohin ihr strebt um euer Heil zu retten:
Zum Berge Zion und den heiligen Stätten.
Denn wenn ich sterbe–wer wird euch geleiten?
Gar zuviel Schmerz wird euch mein Tod bereiten,
Durch den dann euer Plan von hinnen schwand,
Daran euch innig-heißes Sehnen band.

Und um zu leben, tu‘ mein Herz ich auf,
Und laß den Worten meiner Beichte freien Lauf:
Von meiner glühen Liebe sollen sie Dir sagen –
Die brennt mich, daß ich’s fürder nicht kann tragen;
Nichts mag an Größe ihr, an Stärke gleichen,
Nichts ihrer Flamme zehren Brand erreichen. –
Was wirst Du sagen, kühnes Wort? Ich bebe!
Was wirst Du sagen? Sprich, damit ich lebe!
Jedoch, Du kläglich Wort, so arm an Bildern,
Wie denn vermöchtest Du ihr je zu schildern,
Mit welcher unbegreiflich wilden Qual ich rang,
Seitdem mein Herz in Liebesbanden sank, –
Wie denn beschreiben jene Allgewalt
Der Liebe, die in meiner Seele wallt…
Nie kannst Du das, wohl muß ich dies bedenken.
Drum sollst Du Dich auf weniges beschränken
Und also sprechen: ›Namenloses Bangen,
Dir zu mißfallen, hielt mich stets umfangen.
Doch nun vor Gott und Himmel will ich schwören,
Wie ich Dich liebe, und Du magst es hören!
Doch Ehrbarkeit sei stets das Fundament–
Das dämpft des Sehnens Glut, die in mir brennt.
Viel lieber möchte ich auf dieser Fahrt vergehn,
Denn Deine Tugend jemals angetastet sehn.
Wie man zu Engeln fleht, will ich Dich allzeit lieben,
Fernhalten mich von allen bösen Trieben.
Nur, daß Du stets vollkommen bist und rein
Kann meiner Liebe fester Grundbau sein:
Ich teile nicht der Tugendlosen Sitten,
Die für ihr Gehren süßen Lohn erbitten.
Nichts andres wünsche ich, denn Leib und Leben
Im Dienst für Dich mit Freuden hinzugeben.
Und kehr‘ ich lebend wieder, hab‘ Vertrauen,
Den gleichen wünschelosen Knecht zu schauen.
Doch sterb‘ ich, bist Du eines Ritters bar,
Wie nie ein treuerer zu finden war!
So trägt mich nun die Woge wild von hinnen
Und lange Zeit der Trennung mag verrinnen.
Doch führt das Meer auch meinen Leib weit fort von hier,
Mein Herze hängt untrennbar fest an Dir!

Nun komme was da will! Das Schicksal waltet –
Der Würfel fiel: doch nimmermehr erkaltet
Die Glut des Willens, die mich loh durchdringt.

Damit nun etwas den Beweis erbringt,
Wie unerschütterlich mein Sinn, nimm diesen Stein,
Den Diamant, so fest, so klar und rein!
O wolle doch zu meinem Glück den Reifen
An Deinen zarten weißen Finger streifen!
Ich selber sei der Stein, den ich Dir sandte,
In den ich all mein Hoffen, all mein Sinnen bannte,
Auf daß durch Taten, rühmliches Geschehen
Ich fürder mag den Weg der Tugend gehen
Und eines Tags in Dienstbarkeit und Treuen
Mich meiner Herrin Gunst wohl mag erfreuen!‹

Als die Dame dies Gedicht gelesen hatte, verwunderte sie sich zwar noch weit mehr über des Hauptmannes Ergebenheit, doch argwöhnte sie wiederum nichts. Und da sie den großen Diamanten und den schwarzemaillierten Ring besah, war sie weidlich in Verlegenheit, was sie damit beginnen sollte. Die ganze Nacht dachte sie darüber nach. Und während sie sich einerseits freute, in Ermangelung eines Boten jeder harten Antwort an den Hauptmann bis zu seiner Rückkehr enthoben zu sein, bedachte sie–zumal sie nur Schmuck zu tragen pflegte, den ihr Mann ihr geschenkt hatte–den Ring in der Gewissensfrage des Hauptmanns zu verwenden. So entsandte sie einen ihrer Diener zu der verlassenen Frau, ließ ihr den Stein überbringen, als käme er von einer Nonne aus Tarascon und fügte folgenden Brief bei:

›Madame! Bevor Euer Gatte sich einschiffte, hat er allhier auf der Durchreise gebeichtet und als guter Christ das Abendmahl genommen. Zugleich vertraute er mir an, daß die Reue, Euch nicht also geliebt zu haben, als es seine Pflicht war, schwer auf ihm laste. So übergab er mir diesen Diamanten für Euch nebst der Bitte, ihn als Zeichen seiner Liebe zu bewahren. Sollte Gott ihn wohl und gesund zurückkehren lassen, so will er Euch fürder ein liebevoller Gatte sein und dafür soll dieser Ring als Zeugnis dienen. Ich bitte Euch, ihn allezeit wohl in Euer Gebet einzuschließen, gleichwie ich es mein Lebelang tun werde.‹

Als die gute Alte Ring und Brief erhielt, weinte sie vor unbeschreiblicher Freude über die Liebe ihres Mannes und vor Trauer, ihn nun nicht bei sich zu sehen. Mehr denn tausendmal küßte sie den Stein, benetzte ihn mit ihren Zähren und pries Gott, der ihr am Ende ihrer Tage die Zuneigung ihres Gatten wiedergeschenkt habe, die sie schon seit langem verloren zu haben vermeinte. Der Nonne aber sandte sie voll Dankes eine über die Maßen freundliche Antwort, und über diese und den Bericht des Boten konnte die Dame ein Lächeln nicht unterdrücken. Doch war sie froh, sich des Diamanten auf eine Weise entledigt zu haben, die zugleich jene Frau mit ihrem Manne wieder in ein so löbliches Einvernehmen setzte und es schien ihr, als habe sie ein Königreich erobert.

Bald aber kam die Kunde, daß der arme Hauptmann geschlagen und getötet worden war, maßen jene ihn verraten hatten, die ihm zu Hilfe kommen sollten. Die Bewohner von Rhodos nämlich sollten seine Unternehmung geheimhalten, und da sie es ausplauderten, wurde er nebst achtzig seiner Leute nach der Landung niedergemacht. Unter diesen befanden sich auch ein Edelmann Johann und ein Türke, dessen Taufpatin jene Dame gewesen war; sie hatte diese beiden dem Hauptmann selbst mitgegeben. Der Edelmann fiel, der Türke aber rettete sich, trotzdem er von fünfzehn Pfeilen durchbohrt war, durch Schwimmen zu einem französischen Schiff und überbrachte als einzig Überlebender den Bericht jener Niederlage.

Ein Gefährte und Freund des Hauptmanns nämlich, der ihn selbst dem König empfohlen hatte, fuhr mit allen Schiffen davon, als er sah, daß jener ans Land gegangen war. Da nun der Hauptmann sich verraten und vor mehr denn viertausend Türken sah, wollte er sich zurückziehen. Doch der falsche Freund, der nach dem Tode seines Herren den Oberbefehl erhoffte, redeten den Offizieren ein, daß man die Schiffe und soviel Leute nicht daran wagen dürfe, um kaum hundert Mann zu retten, setzte seine Ansicht durch, und je mehr jener um Hilfe rief, je weiter fuhren die Schiffe davon. Als der Hauptmann dessen inne ward, wandte er sich gegen die Türken, und bis über die Knie im Sande watend, vollbrachte er so wackere Taten, daß er schier seine Gegner überwältigte. Endlich jedoch ward er aus der Ferne von so vielen Pfeilschüssen durchbohrt, daß der Blutverlust ihn schwächte. Nunmehr stürmten die Türken mit Säbelhieben auf die kleine ermattete Schar ein, die sich nach Kräften verteidigte. Der Hauptmann rief den Edelmann Johann und den Türken zu sich, stieß den Degen in den Sand, fiel vor dem Kreuz auf die Knie, küßte es und sprach: ›Herr, nimm die Seele deines Knechtes zu dir, der sein Leben deinem Ruhme weihte.‹

Als der Edelmann inne ward, daß jenen bei diesen Worten die Kräfte verließen, packte er den Kreuzknauf des Degens, um den Hauptmann zu schützen; ein Türke aber hieb ihm von hinten beide Schenkel durch. Da schrie er: ›Auf, Hauptmann, und fort zum Throne des Herrn, für den wir sterben!‹ und blieb so im Tode sein Gefährte, wie er es im Leben gewesen war. Der getaufte Türke aber sah nun, daß er niemandem mehr helfen konnte, vielmehr selbst bereits von fünfzehn Pfeilen getroffen war. So eilte er zu den Schiffen zurück. Doch wollte ihn der Verräter dort nicht aufnehmen, und nur, weil er ein trefflicher Schwimmer war, gelang es ihm, ein kleines Boot zu erreichen. Nach einiger Zeit war er auch wieder von seinen Wunden geheilt und so vermochte er diese Kunde zum Ruhme des Hauptmannes und zur Schmach jenes Verräters heimbringen. Der König und seine Umgebung erklärten diesen Schandbuben der schlimmsten Strafe noch für unwert; da er aber zurückkam, Ausflüchte fand und zugleich reiche Geschenke überbrachte, so entging er nicht nur jeder Strafe, sondern erhielt gar die Stelle seines verratenen Gefährten.

Diese traurigen Nachricht erweckte auch am Hofe, zumal bei der Regentin, tiefes Bedauern. Die Dame aber, die er so sehr geliebt hatte, vergaß ihre harten Worte, die sie für ihn vorbereitet hatte, und weinte und klagte, da sie seinen jammervollen, glaubensfreudigen Tod vernahm. Und ihr Gemahl tat gleich ihr, zumal nun alle Hoffnung auf jene Reise geschwunden war.–Ein junges Edelfräulein, das zu jenem Hause gehörte und den Edelmann Johann innig geliebt hatte, war just an dem Tage, da jene gefallen waren, zu ihrer Herrin gekommen und hatte ihr erzählt, jener sei ihr ganz in Weiß im Traume erschienen, um ihr Lebewohl zu sagen, da er mit seinem Hauptmann in das Paradies entschwände. Da sie nun erfuhr, daß sie die Wahrheit geträumt hatte, war sie in ihrem Schmerz kaum zu trösten.

Einige Zeit nachdem ging der Hof nach der Normandie, der Heimat des Hauptmanns. Dessen Wittib wollte sich gern der Regentin vorstellen lassen. Dieserthalben wandte sie sich nun just an die Dame, in welche ihr Mann so verliebt gewesen war. Dieweil sie nun in der Kirche des Augenblickes harrte, erging sie sich in Klagen und Lobsprüchen auf den Hingeschiedenen und sagte schließlich: ›Ach, edle Frau, mein Unglück ist doppelt so groß, als das jeder anderen in meinem Falle. Denn Gott entriß ihn mir gerade, als er mich mehr denn je liebte.‹ Und damit wies sie auf den Ring als Sinnbild seiner innigen Liebe und weinte bitterlich. Die Dame aber vermochte trotz alles Bedauerns ihr Lachen kaum zu unterdrücken in dem Gedanken, wie ihr kleiner Trug nun zum besten ausgeschlagen war. Darum konnte sie auch die Vorstellung nicht übernehmen, übertrug sie einer anderen Dame und zog sich in eine Seitenkapelle zurück, um ihres Lachreizes Herr zu werden.

Mir nun scheint, alle Frauen, denen man derartige Geschenke macht, sollten bestrebt sein, sie in gleicher Weise zu guten Zwecken zu verwenden. Denn Wohltaten schaffen dem Wohltäter die reinsten Freuden. Jener Dame aber mag ihr Trug nicht vorgeworfen werden, da er ein wertloses Ding derart wertvoll zu machen verstand.«

»Soll das heißen,« fragte Nomerfide so vor sich hin, »daß ein schöner Diamant für zweihundert Taler nichts wert ist? Wäre mir der in die Hände gefallen, so hätte weder sein Weib und sonst wer etwas von ihm zu sehen bekommen. Sie hatte zudem der Ärmsten wohl die vielen Tränen ersparen können.«–»Ganz recht,« sprach Hircan, »leider haben viele Frauen die Gewohnheit, gegen ihre Natur des bloßen äußeren Eindruckes wegen zu handeln (denn wir wissen, alle Frauen sind geizig). Mir scheint, sie war nicht würdig den Ring zu tragen, da sie ihn fortgab.« – »Nun, nun,« rief Oisille, »nicht so eilig im Urteil. Ich glaube zu wissen wer es ist.« – »Ich kenne sie nicht,« meinte Hircan, »doch ob eines solchen Mannes Dienste hätte sie sich geehrt fühlen und den Ring tragen müssen. Vielleicht aber hielt ein Unwürdigerer ihren Finger, so daß sie ihn nicht daran stecken konnte.«

»Wirklich, sie hätte ihn behalten können,« sagte Emarsuitte, »da niemand es wußte.« – »Bei Gott,« rief Saffredant, »denn wer klug ist, wird nicht abgefaßt, nur wer sich aus Dummheit verrät, fällt herein.« – »Laßt das Streiten,« unterbrach Oisille, »Gott wird die Frau schon richten. Und um ein Ende zu machen, Parlamente, gebt Euer Wort einem andern.« – »So will ich es Simontault geben. Doch soll er uns nach diesen zwei traurigen Geschichten eine heitere zum besten geben.« – »Ich danke Euch,« sprach Simontault, »doch stellt mich, bitte, nicht immer als einen Spaßmacher hin. Das gefällt mir gar nicht. Und zur Rache will ich eine Frau beschreiben, die sich eine Weile vor verschiedenen Leuten keusch und züchtig stellt; am Ende aber zeigt sie ihre wirkliche Natur, wie euch die folgende wahrhafte Geschichte erweisen wird.«

Vierzehnte Erzählung


Schlauheit eines Verliebten, der bei einer Mailänder Dame unter der Maske ihres getreuen Dieners dessen sauer verdienten Liebeslohn einheimst.

»Zu Mailand lebte während der Regentschaftszeit des Großmeisters von Chaumont ein Edelmann, ein Freiherr von Bonnivet, der ob seiner Verdienste später zum französischen Admiral ernannt wurde. Er genoß des Großmeisters Zuneigung nicht minder denn die aller Welt angesichts seiner Vorzüge, erfreute sich auch auf allen Festen der größten Beachtung der Damen, und galt mehr denn irgendein Franzose für schier unübertrefflich schön, anmutig, unterhaltsam und vor allem kühn und waffengewandt.

Als er nun eines Tages maskiert auf dem Karneval mit einer der huldreichsten Damen der Stadt tanzte, machte er ihr in der Pause mit seiner unvergleichlichen Gewandtheit einen Liebesantrag. Sie aber entsprach dem keineswegs, schnitt ihm kurz das Wort ab und erklärte, sie liebe nur ihren Mann und er brauche sich keine Hoffnungen zu machen. Diese Antwort schreckte ihn nicht ab: bis Mittfasten setzte er ihr zu; sie ihrerseits beharrte auf ihrem Standpunkte. Nun mochte er ihr jedoch keinen Glauben schenken, da ihr Mann just so reizlos war, als sie schön. Daher entschloß er sich, ihrer Verstellung mit gleichen Schlichen zu begegnen, ließ alsbald von ihr ab und spürte ihr nach, bis er festgestellt hatte, daß sie einen ehren- und tugendhaften Edelmann liebte. Diesen umwarb der edle Herr von Bonnivet nunmehr mit soviel listiger Anmut, daß der ihn bald nächst jener Dame am innigsten in sein Herz schloß, ohne ihn zu durchschauen. Um ihm nun sein Geheimnis zu entlocken, gab der Freiherr vor, ihm seines zu enthüllen, erzählte ihm, er liebe eine Dame, auf deren Gegenliebe er nie gehofft habe, und bat ihn, ja nichts auszuplaudern und sich ein Herz und eine Seele mit ihm zu fühlen. Um ihm nun diesen Beweis von Vertrauen zu erwidern, berichtete ihm der arme Edelmann des langen und breiten die Geschichte seiner Liebe zu jener Dame, an der Bonnivet sich rächen wollte.

Von nun an kamen sie alltäglich zusammen und tauschten – der eine wahrheitsgetreu, der andere mit Lügen – ihre jeweiligen Herzenserfolge aus. Der Edelmann gestand, daß er jene Dame drei Jahre lang getreulich liebe, ohne anderes zu erhalten als gute Worte und allerlei Verheißungen für die Zukunft. Alsbald gab ihm Bonnivet die nötigen Ratschläge, wie er zum Ziele kommen könne, und in der Tat bewilligte sie ihm schon nach wenigen Tagen eine Zusammenkunft, und nun hing es nur noch von Bonnivets Erfindungsgabe ab, wie diese zustande kommen könne. Auch dafür wußte der einen Rat, und so konnte ihm der Edelmann eines Tages vor dem Abendessen mitteilen: ›Ich bin Euch über die Maßen dankbar; denn durch Eure Mithilfe darf ich hoffen, heute nacht das so jahrelang ersehnte Ziel zu erreichen.‹ – ›So laßt mich wissen, was Ihr vereinbart habt, damit ich sehe, ob kein Trug dahintersteckt, und ich Euch, wenn’s nottut, beistehen kann.‹ Darauf berichtete ihm der Edelmann: unter dem Vorgeben, daß man für ihren kranken Bruder jederzeit Arzenei holen müsse, wolle sie es einrichten, daß das Haustor offen bliebe. So könne er zum Hofe gelangen, dort aber müsse er statt der Haupttreppe eine kleine Stiege rechterhand betreten und so zu dem Gang kommen, der zu den Stuben ihres Schwagers und Schwiegervaters führe. Wenn er nun zur dritten Tür käme, solle er zuschauen, ob sie verschlossen wäre, und in diesem Fall sich schleunigst davonmachen, sintemalen dann ihr Mann bereits zurückgekehrt sei, den sie eigentlich erst in zwei Tagen erwarte. Fände er die Tür unverschlossen, so solle er lautlos hereinkommen und flugs den Riegel vorschieben in der Gewißheit, daß sie allein sei. Vor allem aber müsse er Filzschuhe anhaben und dürfe zudem nicht vor zwei Uhr nachts kommen, denn ihre Verwandten pflegten lange zu spielen und nicht vor ein Uhr schlafen zu gehen.

›Geht, lieber Freund,‹ sprach nun Bonnivet, ›Gott wird Euch geleiten, darum werde ich ihn anflehen. Kann Euch im übrigen mein Beistand etwas nützen, so will ich gern für Euch tun, was ich vermag.‹ Der Edelmann aber versicherte ihm unter heißen Dankesworten, in dieser Angelegenheit fühle er sich ganz sicher. Und damit ging er fort, um alle nötigen Vorbereitungen zu treffen.

Aber auch Bonnivet blieb nicht untätig, denn nunmehr war die Stunde der Rache gekommen. Alsbald kehrte er in seine Wohnung zurück, ließ sich Haar und Bart kürzen, so daß sie denen des Edelmannes glichen und ihn bei Berührung nicht verraten konnten, und besorgte sich sodann Filzschuhe sowie Kleider ähnlichen Schnittes, wie jener sie trug. Und da er mit dem Schwiegervater sehr gut stand, so ging er ohne Furcht weit früher hin, denn falls er zufällig gesehen wurde, so wollte er geradeswegs zu dessen Zimmer gehen, als hätte er mit ihm etwas zu bereden. So kam er gegen zwölf Uhr in das Haus der Dame, wo noch viele Leute aus und ein gingen. Unerkannt schritt er an ihnen vorbei, kam schließlich zu dem Gange, versuchte die erste, die zweite, endlich die dritte Tür, die er unverschlossen fand. Sachte stieß er sie auf, trat ein, schob den Riegel vor und sah sich nun in einem ganz in weiß ausgeschlagenen Gemach, darinnen ein mit allerfeinstem, geblümtem Leinen gedecktes Bett stand. Dies und im Bette die Dame im Schmucke eines perlen- und edelsteingeschmückten Häubchens und Nachtgewandes gewahrte er durch die Spalte eines Vorhanges, ohne daß jene ihn erblicken konnte. Ein großes Wachslicht beleuchtete das Zimmer schier taghell. Um nun nicht erkannt zu werden, verlöschte er zuvorderst dies Licht, kleidete sich dann stracks aus bis aufs Hemd und legte sich ihr zur Seiten nieder.

Die Dame vermeinte, es sei ihr langergebener Freund, und nahm ihn in allen Hulden in ihre Arme. Er hinwiederum hütete sich, ein Wort zu reden, maßen doch dies Glück nicht ihm galt, und war nur darauf bedacht, an ihr Rache zu nehmen und ohne jede Gnade und Rücksicht ihre ehrbare Keuschheit zu demütigen. Wider Erwarten sagte ihr seine Rache also zu, daß sie seine vermeintliche langjährige Ergebenheit bis ein Uhr nachts unentwegt belohnte. Da nun die Stunde des Abschieds schlug, fragte er sie im Flüsterton, ob sie gleichermaßen mit ihm zufrieden sei als er mit ihr. Und sie, die immer in ihrem Wahne beharrte, entgegnete, sie sei nicht nur mit ihm zufrieden, sondern über die Ausdauer seiner Liebe freudig überrascht, maßen er eine Stunde lang selbiger gepflogen habe, ohne Zeit für ein Wort zu finden. Darob begann er laut zu lachen und rief: ›Werdet Ihr mich nun künftig wieder abweisen, wie Ihr es bisher zu tun beliebtet?‹

Als sie nunmehr seine Stimme erkannte, ward sie vor Scham schier verzweifelt, nannte ihn tausendmal einen Bösewicht, Verräter und Truggesellen und wollte aus dem Bett springen, um sich mit einem Messer zu entleiben, da sie das Unglück erlebt habe, von einem Manne entehrt zu werden, der sie nicht liebe und nun aus Rache aller Welt seinen Erfolg ausposaunen würde. Er aber hielt sie umfangen und versicherte ihr mit sanften Worten, daß er sie mehr liebe denn der andere und alle Zeit auf ihre Ehre bedacht sein wolle, so daß kein Makel auf sie fiele. Und die Ärmste war töricht genug, es ihm zu glauben. Nun berichtete er ihr all seine Mühen und Schliche und bewies ihr seine größere Liebe damit, daß der andere doch ihr Geheimnis ausgeplaudert habe. Sie könne sich nun überzeugen, wie falsch man die Franzosen beurteile: die seien viel gewandter, ausdauernder und verschwiegener als die Italiener.

Dann bat sie ihn, in der Folgezeit sie niemals auf Festen oder sonsten wo ohne Maske zu treffen, denn sie fühle sich so beschämt, daß sie fürchte, sich zu verraten. Das versprach er ihr und ersuchte sie obendrein, ihren Freund liebevoll aufzunehmen, wenn er um zwei Uhr käme: dann aber möge sie sich allmählich von ihm freimachen. Nur widerstrebend mochte sie das zusagen, und ohne ihre große Liebe zu ihm hätte sie jenem gewiß nichts mehr zugebilligt. Als er nunmehr von ihr Abschied nahm, beglückte er sie nochmals so sehr, daß sie ihn gern noch länger bei sich behalten hätte. Doch er mußte fort, zog sich eilends an, schlüpfte aus dem Zimmer und ließ die Tür angelehnt, wie er sie gefunden hatte. Um aber dem andern nicht zu begegnen, so stieg er zum nächsten Treppenabsatz hinauf, bis er kurz darauf jenen eintreten sah. Dann ging er heim und schlief nach der geleisteten Arbeit so fest, daß ihn die neunte Morgenstunde noch im Bett fand.

Just als er aufstand, kam der Edelmann zu ihm und erzählte von seinen Erfolgen, die sich nicht so günstig gestaltet hatten, als er zuvor hoffen konnte. Da er nämlich in das Zimmer der Dame getreten sei, habe jene im Nachtgewand fiebernd, mit fliegenden Pulsen, flammendem Gesicht und beginnendem Schweißausbruch mitten in der Stube gestanden. Ob ihres Zustandes habe sie ihn gebeten, wieder fortzugehen, maßen sie nur um seinetwillen ihre Kammerfrauen noch nicht gerufen habe. Nun fühle sie sich so schlecht, daß sie mehr an Sterben denn an Liebe, mehr an Gott denn an Kupido dächte, und sie bedaure daher sein Kommen, weil sie in dieser Welt ihn wohl nicht mehr entlohnen könne und wenigstens hoffen wolle, im Jenseits an ihn zu denken. Vor Betrübnis sei alsbald all seine Freude zu Eis erstarrt und klagevoll sei er eilends davongegangen. Nunmehr habe er sich heute gleich frühzeitig nach ihrem Befinden erkundigt und gehört, daß sie in der Tat sehr krank sei.

All‘ das erzählte er unter soviel Tränen, daß man hätte meinen können, seine Seele schwömme weg. Bonnivet war dagegen nicht minder zum Lachen aufgelegt. Doch tröstete er jenen, so gut er konnte, meinte: ›Was lange währt, wird endlich gut,‹ und solche Verzögerung sichere ihm nur größere Freuden für die Zukunft zu. Und damit trennten sie sich. Die Dame aber blieb zwar einige Tage im Bett; als sie aber dann wieder ganz gesund war, gab sie ihrem ersten Liebhaber den Laufpaß unter dem Vorgeben, Todesangst und Gewissensbisse hätten ihr zu sehr zugesetzt. Dagegen blieb sie Bonnivet getreu, dessen Liebe freilich, wie üblich, nicht länger dauerte denn die Schönheit der Blumen auf dem Felde.

Mir scheint nun wohl, die Schliche jenes Edelmanns wogen die Heuchelei der Dame reichlich auf, die erst die Prüde spielte und sich dann so liebestoll gebärdete.«

»Möget Ihr nun von den Frauen sagen, was Ihr wollt«, entgegnete Emarsuitte, »der Edelmann hat nicht schön gehandelt. Wenn eine Frau jemanden liebt, heißt das etwa, daß ein andrer das Recht hat, sie mit List zu nehmen?!« – »Glaubt mir,« meinte Guebron, »solche Ware wird allemal von dem davongetragen, der am meisten dafür darangibt. Doch geschieht das dann keineswegs aus Liebe zu den betreffenden Damen, sondern einzig aus Eigenliebe und Genußsucht« – »Weiß Gott,« rief Longarine, »ich muß nach eigener Erfahrung gestehen, alle fangen höchst ehrenhaft an und am Ende läuft alles auf dasselbe hinaus. Am besten gibt man den Männern gleich bei den ersten Worten den Laufpaß; denn erkennt man erst, daß sie es nur auf lästerliche Dinge absehen, dann hat die Abweisung schon nicht mehr den Wert.«

»Wie denn,» fragte Emarsuitte, »man soll sie erst gar nicht anhören?« Parlamente entgegnete: »Meine Ansicht ist, man soll tun, als ob man nichts versteht, und zu unzweideutigen Erklärungen keinen Glauben zeigen. Verschwören sie sich aber hoch und teuer, so soll man sie auf diesem schönen Weg lassen und ihnen zum Tal nicht entgegenkommen.« – »Aber heißt es nicht seinen Nächsten aburteilen,« meinte Nomerfide, »wenn wir gleich das Schlechte voraussetzen?« – »Denkt, wie ihr wollt,« erwiderte Oisille, »aber es spricht so viel dafür, das es so sei, daß ihr das Feuer fürchten müßt, wenn Ihr nur einen Funken wahrnehmt. Sonst ist euer Herz verbrannt, ehe ihr etwas merkt.« – »Euer Urteil ist zu hart,« sprach nun Hircan, »denn würden alle Frauen so grausam sein, so würden wir bald statt sanfter Bitten List und Gewalt anwenden.« – »Mir scheint am besten, jeder zeigt sich wie er ist,« meinte Simontault. – »Sofern dadurch gleichermaßen für unsere Ehre als für unsere Lust gesorgt wird,« rief Saffredant. Dagoucin aber konnte nun nicht mehr schweigen und sprach: »Wer lieber sterben als Wünsche äußern möchte, wird nicht dieser Ansicht sein.« – »Sterben?« fragte Hircan. »Der müßte erst geboren werden, der dafür zu sterben bereit ist. Sehen wir nun, wem Simontault das Wort gibt.« – »Ich gebe es Longarine, denn ich sah, wie sie mit sich selbst sprach. Sicherlich wiederholte sie schnell noch einmal ihre Rolle. Zudem ist sie sehr wahrheitsliebend.« – »Wenn ihr mich dafür haltet,« sagte Longarine, »so will ich euch eine Geschichte erzählen, die zwar nicht den Frauen zum Lob gereicht, wohl aber erweist, daß sie gerade so klug und verschlagen sind wie die Männer. Sollte die Geschichte etwas lang geraten, so habe, bitte, Geduld.«

Fünfzehnte Erzählung


Eine Dame am königlichen Hofe sieht sich von ihrem Manne zugunsten anderer vernachlässigt, weshalb sie gleiches mit gleichem vergilt.

»Zum Hofe Franz‘ des Ersten gehörte ein Edelmann, dessen Name ich wohl kenne, doch nicht nennen will. Der war arm, maßen er kaum fünfhundert Pfund als Rente hatte, doch stand er beim König derart in Gunst, daß dieser ihn mit einem Mägdelein vermählte, dessen Reichtum manchen Granden wohl befriedigt hätte. Da sie nun noch recht jung war, bot eine der vornehmsten Hofdamen ihr an, ihr vorderhand Gesellschaft leisten zu wollen. Damit war jene gern einverstanden. Nun war aber der Edelmann ob seiner Ehrenhaftigkeit und seiner Anmut von allen Damen des Hofes umschwärmt, und zumal von einer, die sich der Gunst des Königs vornehmlich erfreute, dem Weibe des Edelmannes jedoch weder an Jugendfrische noch an Schönheit glich. Der aber vernachlässigte ob seiner Liebe zu jener Frau seine Gattin, also daß er kaum einmal im Jahre ihr Lager teilte, ja, daß er nie mit ihr sprach, noch irgendeine Aufmerksamkeit erwies. Und derweile er von ihrem Gelde in Mengen ausgab, ließ er ihr nicht das geringste zukommen, also daß sie weder ihrem Stande gemäß noch gar ihren Wünschen entsprechend gekleidet war. Darob machte die Hofdame ihm oft Vorhaltungen und sprach: ›Euer Weib ist schön, reich und edelgeboren. Ihr aber beachtet gar nicht, was sie bis jetzt durchmacht. Ich fürchte, wenn sie zu voller Blüte erwachsen sein wird und im Spiegel oder durch Schmeichler ersieht, welche Schönheit Ihr verachtet, dann wird sie aus Ärger etwas tun, das ihr andernfalles nie in den Kopf kommen würde.‹

Des Edelmannes Sinn aber war anderswo, darum lachte er sie aus und änderte sein Leben nicht.

Drei bis vier Jahre später nun erblühte jene wirklich zu einer der größten Schönheiten Frankreichs. Und je mehr sie sich liebenswert fühlte, desto mehr schmerzte sie die Nichtachtung ihres Mannes, bis sie in tiefe Traurigkeit verfiel. Nachdem sie ihn nun in jeder Weise vergeblich umworben hatte, vermutete sie in ihrer Liebe, daß ein anderes Band ihn fessele. Und da sie suchte, entdeckte sie bald die Wahrheit. Darob ward sie derart trübsinnig, daß sie nur noch schwarze Kleider trug und keinerlei frohe Gesellschaft mehr aufsuchen wollte. Vergeblich suchte die Hofdame sie umzustimmen; und als ihr Mann davon erfuhr, lachte er nur und änderte nichts.

Langweile verdirbt alle Freuden, wird aber durch Abwechslung zerstreut. So hier. Eines Tages geschah es, daß ein hochgestellter Mann, ein naher Verwandter der Hofdame, der diese häufig besuchte, auf dies seltsame Leben der jungen Frau aufmerksam ward und voll Mitleid beschloß, sie zu trösten. Und da er Ihrer tugendhaften Schönheit inne ward, trieb es ihn bald mehr, ihre Gunst zu erringen denn von ihrem Manne zu plaudern, außer etwa um ihr zu zeigen, wie wenig er ihrer Liebe wert sei. Die Dame hinwiederum, die sich von ihrem Manne so zurückgesetzt fühlte, fand an dem Umgange des Fürsten immer mehr Gefallen, als sie ihn so liebevoll werben sah. Obgleich sie allezeit auf ihre Ehre bedacht war, behagte es ihr doch über die Maßen, mit ihm zu plaudern und sich geliebt zu fühlen.

Das dauerte so lange, bis der König es merkte und unwillig wurde, da er seinen Günstling nicht entehrt wissen wollte. So ersuchte er den Fürsten, seinen Verkehr dort einzustellen, widrigenfalls er in Ungnade fallen würde. Das sagte ihm der Fürst zu, da ihm an des Königs Gunst mehr lag denn an allen Frauen dieser Welt, und er versprach, ihm zuliebe dem Hause fernbleiben zu wollen und sogleich an diesem Abend Abschied zu nehmen. Das tat er auch, sowie er die Dame nach Hause zurückgekehrt wußte. Ihr Mann bewohnte das Zimmer über ihr, und da er am Fenster stand sah er den Prinzen bei seiner Frau eintreten. Indem nun jener den Befehl des Königs übermittelte, sagte er ihr unter Tränen und Klagen Lebewohl. Das dauerte bis Mitternacht, und schließlich sprach die Dame, in deren Herzen die Liebe zu erblühen begann:

›Ich preise Gott, der Euch von dieser Neigung fortriß. Denn wie klein und schwach muß sie gewesen sein, da Ihr sie für eines Menschen Wort dahingebet. Ich meinesteils habe niemand deshalb befragt, denn meine Neigung wuchs an Eurer Schönheit und Ehrenhaftigkeit und ward so stark in mir, daß ich keinen Gott oder König neben Euch kannte. Da Eure Liebe aber in Eurem Herzen noch Furcht neben sich duldet, so konntet Ihr kein vollkommener Freund sein, und einen unvollkommenen mag ich nicht. Ich liebe aus ganzem Herzen, und so muß ich Euch Lebewohl sagen, da Euer Bangen nicht meine ungehemmte Freundschaft verdient.‹

Weinend ging der Prinz davon, und da er sich umschaute, gewahrte er wiederum den Ehemann am Fenster, so wie dieser bei seinem Kommen hinuntergeschaut hatte. Darum suchte er ihn tags darauf auf und erzählte ihm, weshalb er seine Frau besucht und was ihm der König befohlen hatte. Darob war der Edelmann voller Freuden und legte alsbald dem König seinen Dank zu Füßen.

Da er nun aber inne ward, daß sein Weib von Tag zu Tag schöner wurde, er hingegen immer mehr alterte, so begann er sein Benehmen zu ändern und übernahm die Rolle, die sein Weib bisher gespielt hatte. Das heißt, er umschmeichelte sie und ward für sie eifrigst besorgt; sie hingegen floh ihn um so mehr, je mehr er ihr nachstellte, und bemühte sich, ihm all ihre Leiden zurückzuzahlen. Und da sie nun gekostet hatte, wie es wohl tut, geliebt zu sein, so wandte sie sich einem wunderschönen Edelmann zu, der ob seiner Anmut und Unterhaltungsgabe bei allen Damen des Hofes in Gunst stand. Dem klagte sie vor, wie es ihr ergangen war, und weckte sein Mitgefühl, bis er schließlich nichts unterließ, um ihr Trost zu spenden. Sie aber entflammte, um sich auch für den Verlust des Prinzen zu entschädigen, in so heftiger Liebe zu dem Edelmann, daß sie all ihren Kummer vergaß und nur noch darauf bedacht war, dieser Neigung alle Hindernisse fernzuhalten. Das gelang ihr so gut, daß auch ihre Freundin nichts davon merkte. Denn vor dieser sprach sie kein Wort mit ihm. Allemal vielmehr, wenn sie ihm etwas sagen wollte, besuchte sie hierzu einige Damen am Hofe, unter denen eine war, der sich ihr Mann sehr zugetan zeigte.

Eines Abends nun, nach dem Essen, begab sich die Ehefrau, als es schon dunkel war, ohne Begleitung zu jenen Damen und traf dort ihren Geliebten. Sie setzte sich in seine Nähe, stützte sich auf den Tisch und plauderte mit ihm, dieweil sie tat, als ob sie in einem Buch läse. Doch hatte ein Aufpasser ihres Mannes diesen davon in Kenntnis gesetzt, also daß er in kluger Berechnung flugs auch dorthin ging. Als er das Zimmer betrat, sah er sie lesend am Tisch sitzen, tat aber, als ob er sie nicht bemerke, und schritt geradeswegs nach einer andern Ecke zu den Damen hin. Seine arme Frau aber begriff, daß er sie abgefaßt hatte; darob verlor sie schier den Verstand, entschlüpfte möglichst unbemerkt und floh davon, als wäre ihr Gemahl mit dem gezückten Degen hinter ihr her. So kam sie zu ihrer alten Freundin, die sich schon zurückgezogen hatte, blieb bei ihr, bis sie ausgekleidet war, und begab sich alsdann in ihr Gemach. Dort teilte ihr eine Zofe mit, daß ihr Mann sie zu sich bitten ließe. Sie erwiderte ohne Umschweife, sie würde nicht kommen, da ihr Gatte so seltsam und hart geworden sei, daß sie einen üblen Streich von ihm befürchte. Am Ende aber bekam sie Angst, es könne ihr, wenn sie sich weigere, noch schlimmer ergehen. Darum ging sie doch, und ihr Mann sagte kein Wort, bis sie zu Bett lagen. Da vermochte sie sich nicht mehr zu beherrschen und begann sachte zu weinen. Und als er sie fragte, warum, erwiderte sie, daß sie seinen Zorn fürchte, maßen er sie mit einem Edelmann zusammen lesend gefunden habe.

Alsbald erklärte er ihr: nie habe er etwas dagegen gehabt, daß sie mit andern Männern plaudere, und daher auch nichts Schlimmes darin gefunden, daß sie mit jenem sprach. Maßen sie nun aber davongeflohen sei, als ob sie auf schlimmen Wegen von ihm ertappt worden wäre, so habe er daraus entnommen, daß sie jenen Edelmann liebe. Also verbot er ihr nunmehr, mit irgendeinem Mann in Gesellschaft oder daheim zu sprechen, und drohte, sie gleich das erstemal, wo er sie wieder abfassen sollte, ohne jede Barmherzigkeit zu töten. Damit war sie gern einverstanden, indem sie bedachte, sie würde nicht ein zweites Mal so dumm sein.

Sintemalen nun aber die verbotenen Früchte zumeist verlocken, so vergaß die Dame jene Drohung so rasch, daß sie noch am gleichen Abend, kaum daß sie in ihr Gemach zurückgekehrt war, jenen Edelmann zu sich rufen ließ. Ihr Gatte jedoch ward von Eifersucht also gepeinigt, daß er nicht zu schlafen vermochte, vielmehr ein Manteltuch umtat und mit einem Diener zu ihrem Gemach ging, als ihm zu Ohren gekommen war, daß der andere nächtlicherweile dorthin kommen sollte. Er pochte an die Tür, und sie, die alles, nur ihn nicht erwartete, erhob sich, zog Strümpfe an, nahm einen Mantel um; und als sie ihre Kammerfrauen schlafen sah, schlüpfte sie schnell hinaus und schritt geradeswegs zu der Tür, wo es geklopft hatte. Auf ihre Frage: ›Wer dort?‹ nannte er ihr den Namen des Geliebten. Doch war sie nicht recht sicher, öffnete nur die Klappe und sprach: ›Seid Ihr, der Ihr sagt, so reicht mir Eure Hand, auf daß ich sie erkenne.‹ Doch alsbald erkannte sie die Hand ihres Mannes, warf flugs wieder die Klappe zu und schrie: ›Wehe, das ist Eure Hand.‹ Und ihr Mann sagte zornbewegt: ›Fürwahr, dies ist die Hand eines Menschen, der sein Versprechen zu halten weiß! Darum versäumt nicht zu kommen, wenn ich Euch rufen lasse.‹

Damit ging er in sein Zimmer zurück. Auch sie kam wieder in ihr Gemach, aber sie war mehr tot denn lebendig und sagte laut zu ihren Frauen: ›Steht auf, Ihr habt allzuviel mir zuliebe geschlafen. Euch glaubte ich zu täuschen, und nun habe ich mich selbst betrogen.‹ Und sie sank ohnmächtig inmitten des Zimmers nieder. Die Kammerfrauen sprangen bei ihrem Rufe auf, erschraken nicht minder über ihre Ohnmacht denn über jene Worte und liefen nach Heiltränken, um sie wieder zu sich zu bringen. Als sie nun endlich reden konnte, rief sie aus: ›Seht mich an, ich bin die unglücklichste Frau auf Gottes Erdboden.‹ Und alsdann erzählte sie die Geschichte und bat sie um ihre Hilfe, maßen sie fest überzeugt war, daß es ihr heute noch ans Leben ginge. Just, da jene sie trösteten, kam ein Kammerdiener von ihrem Gemahl und überbrachte ihr dessen Geheiß, unverzüglich hinaufzukommen. Weinend und schreiend fiel sie zweien Frauen um den Hals, klammerte sich an sie und flehte sie an, sie vor dem Tode zu retten. Der Kammerdiener versicherte ihr jedoch auf seinen Kopf, daß ihr kein Leid geschehen würde. Da sie nun inne ward, daß aller Widerstand vergeblich war, ließ sie sich in die Arme jenes Dieners sinken und sprach: ›Wenn es denn sein muß, so trage diesen todgeweihten Leib zur Schlachtbank.‹ Der trug sie also, halb bewußtlos vor Jammer, zu seinem Herrn, dem sie zu Füßen fiel und stöhnte: ›Habt Erbarmen. Ich schwöre Euch bei Gott, die Wahrheit zu sagen.‹ Alsbald entgegnete jener, gleich als ob ihn die Verzweiflung zu allem fähig mache: ›Bei Gott, Ihr werdet sie mir sagen!‹, und jagte alle Leute hinaus.

Und da er seine Frau als fromm erkannt hatte, sagte er sich, daß sie auf ein Kreuz keinen Meineid schwören würde. So ließ er sie auf ein sehr schönes Kruzifix, das er sich geliehen hatte, einen Eid leisten, daß sie alle seine Fragen wahrheitsgemäß beantworten wolle. Da sie nun aber die erste Todesfurcht überwunden hatte, so beschloß sie, zwar lieber zu reden denn zu sterben, –doch nichts zu sagen, das ihren Geliebten in Gefahren bringen konnte. Und nachdem sie seine Fragen angehört hatte, sprach sie:

›Ich will keineswegs mich rechtfertigen noch meine Liebe zu jenem Edelmann beschönigen. Doch muß ich Euch sagen, wie jene Neigung entstand. Nie hat ein Weib je seinen Mann mehr lieben können denn ich Euch. Doch mochtet Ihr nichts von mir wissen und behandeltet mich ohn‘ jede Achtung. In meiner Verzweiflung ward ein Prinz auf mich aufmerksam; doch verließ er mich, da er mehr auf seinen König denn auf seine Liebe hören mochte, just, da ich seinen liebevollen Trost zu empfinden begann. Nach ihm begegnete ich jenem Edelmann, dessen Anmut und Ehrenhaftigkeit erübrigten, daß er mich um meine Gunst bat. Auf mein Ersuchen also, nicht das seine, legte er mir voll Sittsamkeit und in allen Ehren seine Liebe zu Füßen. Wohl traf ich ihn bisweilen hier und dort, wohl küßte ich ihn bisweilen herzlicher denn Euch, doch Weiteres ist niemals zwischen uns geschehen. Wollt Ihr aber, der Ihr mein ganzes Unglück verschuldet habt, an mir Rache nehmen, weil ich also lebte, während Ihr selbst mir alle Zeit ein Beispiel gabt, das bei weitem ehrloser war? Denn Ihr wisset doch selbst, daß Eure Geliebte sich nicht mit dem allein zufrieden gab, das weder gegen Gott noch das Gewissen sich verstößt. Und nun entscheidet selbst, wer von uns mehr Strafe, wer mehr Entschuldigung verdient, zumal ich jung und unerfahren bin, von Euch vernachlässigt, von dem schönsten Edelmann Frankreichs geliebt wurde und ohne Hoffnung bin, je Eure Liebe zu erringen.‹

Da ihr Mann sie also offen und dabei voll Anmut und in aller Sicherheit vor jeder Strafe sprechen hörte, ward er vor Verblüffung schier sprachlos und fand endlich nur zu sagen, daß Mannesehre und Frauenehre nicht einerlei seien. Maßen sie aber beschworen habe, daß nichts ernstlicheres zwischen ihr und dem Edelmann vorgefallen sei, so wolle er ihr nichts weiter antun unter der Bedingung, daß sie die Vergangenheit auch vergangen sein ließe. Da sie dies versprach, gingen sie einträchtiglich zusammen schlafen.

Als aber tags darauf eine alte Kammerfrau sie angstvoll fragte: ›Wie ist es denn gegangen?‹ erwiderte sie lachend: ›Es gibt keinen besseren Ehemann als den meinen, denn er hat meinem Eid getraut.‹ Also vergingen fünf bis sechs Tage. Der Ehemann ließ sie aufs schärfste Tag und Nacht beobachten; sie aber verstand es einzurichten, daß sie ihren Freund an dunklem stillverborgnen Ort doch sprechen konnte. Und also merkte niemand etwas, bis eines Tages ein Knecht erzählte, er habe drunten im Stall ein Fräulein mit einem Edelmann betroffen. Alsbald ergriff den Gatten wieder grimmer Argwohn. Er beschloß, den Edelmann umzubringen, und berief hierzu seine Verwandten und Freunde in großer Zahl um sich. Doch einer dieser Verwandten war mit jenem so eng befreundet, daß er ihn von allem in Kenntnis setzte, was gegen ihn im Werk war. Da nun jener bei Hofe sehr beliebt und stets wohl begleitet war, so brauchte er seinen Gegner nicht zu fürchten. Statt daß man ihn also allein abfing, traf er sich mit seiner Herrin in einer Kirche. Sie aber wußte nichts von dem Vorgefallenen, da man vor ihr nicht darüber sprach. Daher erzählte ihr der Edelmann, was ihr Mann gegen ihn vorhabe, und erklärte ihr, daß er trotz seiner Schuldlosigkeit nunmehr entschlossen sei, in die Ferne zu reisen, um die Gerüchte verstummen zu machen.

Als nun der Fürstin, jener alten Freundin der Dame, solches zu Ohren kam, da versicherte sie hoch und heilig, der Ehemann tue großes Unrecht, solch ehrenwertes Weib zu beargwöhnen. Doch angesichts seiner hohen Stellung und der entstandenen Gerüchte riet auch sie zu der Reise und versicherte zugleich, daß sie jener Nachrede keinen Glauben schenken würde. Dem wohnten gleichermaßen jene Dame und der Edelmann bei, und alle beiden waren voll Freuden über das Vertrauen und die gute Meinung jener Fürstin, die überdies dem Edelmann riet, vor seiner Abreise mit dem Ehemann zu sprechen.

Das tat er auch alsbald. Er fand ihn in einem Saalgange zunächst dem Gemach des Königs, verneigte sich ehrerbietig vor ihm und sprach voller Zuversicht also: ›Mein Lebelang war ich bereit, mein Herr, Euch zu Diensten zu sein. Zum Lohn laßt Ihr mir, wie ich höre, auflauern, um mich zu töten. So bedenket, bitte, daß Ihr zwar mehr Macht habet denn ich, daß ich aber nichtsdestotrotz nicht minder Edelmann bin denn Ihr und keineswegs für nichts und wieder nichts mein Leben hingeben mag. Bedenket weiter, daß Ihr ein ehrbares Weib Euer Eigen nennt und daß ich jedem, der das Gegenteil sagt, erklären werde, daß er ein gemeiner Lügner ist. Ich meinesteils tat nichts, das Euch zu üblem Vorhaben veranlassen könnte. Wollt Ihr also, so verbleibe ich Euer ergebener Diener. Wenn nicht, so vermag ich mit der Gunst des Königs sehr wohl zufrieden zu sein!‹

Da der andere seine Worte vernahm, entgegnete er: in der Tat habe er einigen Verdacht gegen ihn gehegt. Doch nun sei er von seiner Ehrbarkeit überzeugt und wünsche mehr seine Freundschaft denn seine Feindschaft. Alsdann sagte er ihm unter Händeschütteln Lebewohl und umarmte ihn wie einen lieben Freund. So kann man sich die Überraschung der Herren vorstellen, die ihm abends auflauern sollten und ihn nun also geehrt sahen. Jeder glaubte etwas anderes daraus zu entnehmen. – Kurz, der Edelmann trat seine Reise an. Doch da er reicher an Schönheit war denn an Geld, so gab seine Geliebte ihm einen Ring, der wohl dreitausend Taler wert war und den er für eintausendfünfhundert verpfändete. Einige Zeit darauf bat der Ehemann jene Fürstin, seine Frau zu bestimmen, daß sie eine Weile zu einer Schwester reise. Das schien der alten Dame höchst verwunderlich, und daher bat sie ihn, den Grund zu nennen. Doch das tat er nur zum Teil.

Nachdem schließlich die junge Frau von ihrer Beschützerin und dem Hofe Abschied genommen hatte, ohne zu weinen oder sich allzu betrübt zu zeigen, reiste sie dorthin, wo ihr Mann es wünschte. Ein Edelmann begleitete sie, dem ihr Gatte aufs dringendste eingeschärft hatte, sorglich und zumal auf den Straßen darauf zu achten, daß sie nicht mit jenem rede, den er im Verdacht hatte. Sie wußte aber von diesem Befehl, jagte ihrer Begleitung Tag für Tag neue Schrecken ein und verlachte sie alsdann ob ihrer Aufsicht. So kam zum Beispiel einmal ein Franziskaner zu Pferde des Weges, als sie gerade aufbrachen. Sie war gleichfalls beritten, und so plauderte sie mit ihm vom Mittag bis zum Abend, und als sie dann eine gute Meile vor ihrem Ziele waren, sprach sie zu ihm: ›Für den Trost, den Ihr mir gespendet habt, nehmt hier diese zwei Taler, die ich in Papier gewickelt habe, da Ihr ja Geld nicht berühren würdet. Doch bitte ich Euch, sprengt in scharfem Trabe feldeinwärts, wenn Ihr mich jetzt verlaßt.‹

Als der nun eine gute Strecke davongeritten war, sagte sie zu ihrem Begleiter: ›Meint Ihr, Ihr erfüllt Eure Pflicht, da Ihr zuseht, wie der einen ganzen Nachmittag mit mir plaudert, auf den Ihr just achthaben sollt? Ihr verdient wahrlich, daß Euer vertrauensseliger Herr Euch Hiebe gibt statt Eures Lohnes.‹ Da der Edelmann, dem ihre persönliche Obhut anvertraut war, diese Worte vernahm, ward er zornig, spornte sein Pferd, rief, ohne zu antworten, zwei seiner Leute zu sich und jagte hinter dem Franziskaner her, der zwar die Flucht ergriff, doch, maßen sein Pferd schlechter war, eingeholt wurde. Nun wußte der Ärmste doch aber gar nicht, was das sollte, schrie um Gnade und lüpfte voll Demut seine Kapuze. Da erkannten sie an seiner Tonsur, daß es gewißlich nicht der Gesuchte war und ihre Herrin sie genarrt hatte. Doch sie zog diese Leute noch weiter auf und rief, da sie zurückkamen: ›Ihr verdient wahrlich, daß man euch eine Dame anvertraut; erst laßt ihr sie reden, ohne zu wissen mit wem, dann entehrt ihr einen Diener Gottes, weil ihr auf jedes Wort hereinfallt.‹ – Und unter solchen spöttischen Scherzen kam sie endlich zu ihren Schwägerinnen, und diese gleichwie der Gatte der einen ließen ihr wenig Freiheit.

Indessen vernahm ihr Mann, daß der Ring für fünfzehnhundert Taler verpfändet sei, und geriet darob in Zorn. Um aber die Ehre seiner Frau zu decken, schrieb er ihr, sie möge ihn einlösen, er wolle die fünfzehnhundert Taler bezahlen. Ihr lag an dem Ring nichts und da ihr Geliebter das Geld dafür also behalten konnte, schrieb sie ihm: ihr Mann dränge sie, den Ring einzulösen. Damit er aber nicht glauben sollte, es sei böser Wille von ihr, so sandte sie ihm einen Diamanten, der von der alten Fürstin stammte und den sie mehr liebte denn den Ring. Der Edelmann hinwiederum sandte ihr gern den Pfandschein zu und war über die Maßen zufrieden, außer den fünfzehnhundert Talern noch einen Diamanten zu besitzen und obendrein der Gunst seiner Freundin sicher zu sein, obgleich er allerdings, solange ihr Mann noch lebte, keine Möglichkeit mehr hatte, mit ihr persönlich oder schriftlich in Verbindung zu stehen.

Nachdem der Ehemann aber gestorben war, bedachte jener, was sie ihm einst versprochen hatte, und betrieb darum eifrigst die Ehe mit ihr. Doch mußte er erfahren, daß sie während ihrer langen Abwesenheit einen andern lieber gewonnen hatte. Darob war er tief betrübt, begann die ehrenhaften Frauen zu meiden und suchte zweifelhaften Umgang. Dort war er auch bald ein gerngesehener Gast; und also beendete er seine Tage.

In dieser Geschichte, die unser weibliches Geschlecht freilich nicht schont, suchte ich den Ehemännern zu erweisen, daß hochherzige Frauen eher zu zorniger Rache denn zu sanftmütiger Milde neigen. Jene Frau widerstand lange, doch schließlich wurde sie zur Verzweiflung gebracht. Doch sollte es eine ehrenhafte Frau nie so weit kommen lassen, und je ernster die Lage ist, um so mehr zum Guten wirken. Glücklich die, so nach Gottes Willen reich sind an Keuschheit, Milde, Sanftmut und Geduld.«

»Mir scheint,« erklärte nun Hircan, »daß jene Frau sich mehr vom Ärger denn von Liebe leiten ließ, verehrte Longarine. Denn hätte sie den Edelmann wirklich geliebt, so hätte sie ihn nicht für einen andern fahren lassen. Sicherlich war sie rachsüchtig und wetterwendisch.« – »Ihr machts Euch bequem,« entgegnete Emarsuitte, »wißt Ihr nicht, welch Herzeleid es schafft, keine Gegenliebe zu finden?« – »Nein, das habe ich wirklich noch nicht erlebt. Denn wenn mir so wenig Entgegenkommen gezeigt wird, schicke ich Liebe und Dame zu allen Teufeln.« – »Nun freilich,« rief Parlamente, »Ihr liebt ja auch nur Euer Vergnügen. Eine anständige Frau wird ihren Mann nicht also fallen lassen.« – »Auf alle Fälle hat die Dame jener Geschichte eine Zeitlang vergessen, daß sie Weib war,« meinte Simontault, »denn ein Mann hätte sich wahrlich nicht besser rächen können.« – »Alle sind sie Frauen,« entgegnete Saffredant, »zieht ihnen die schönsten Kleider an und guckt darunter: stets werdet ihr das Weib wiederfinden.« Nun fiel Nomerfide ein: »Wenn man euch zuhören wollte, verginge der ganze Tag unter Zank und Streit. Wir wollen aber Geschichten erzählt bekommen, und darum bitte ich Longarine, jemandem das Wort zu erteilen.« Longarine blickte auf Guebron und sagte zu ihm: »Wenn Ihr etwas von einer tugendhaften Dame wißt, so gebt uns das, bitte, jetzt zum besten.«

Und Guebron hub also an: »Da ich nunmehr an der Reihe bin, will ich einen Vorfall berichten, der sich in Mailand zugetragen hat.«

Sechzehnte Erzählung


Eine Mailänderin erprobt die Kühnheit und Hochherzigkeit ihres Freundes, dem sie sich alsdann in Liebe ergibt.

»Unter der Regentschaft des Großmeisters Chaumont lebte zu Mailand eine Dame, die in jener Zeit für eine der ehrenhaftesten Frauen ihrer Heimat galt. Sie war die Wittib eines italienischen Grafen und wohnte bei ihren Schwägern unbeschreiblich zurückgezogen, ohne je von einer Wiederverheiratung etwas hören zu wollen. Eines Tages nun richteten ihre Schwäger dem Herrn von Chaumont ein Fest, an dem sie entgegen ihrer Gewohnheit teilnehmen mußte. Und da die Franzosen sie erblickten, priesen sie ihre Schönheit und Anmut, und zumal einer, dessen Name ich zwar verschweigen möchte; doch kann ich ruhig sagen, daß es in Italien keinen liebenswerteren Franzosen gab denn ihn. Alle Vorzüge des Geistes und Körpers, die einen Edelmann zieren, waren ihm zu eigen.

Obzwar er nun die Wittib schwarz verschleiert fern der jugendlichen Gesellschaft bei etlichen alten Damen in einer Ecke sitzen sah, begann er, maßen ihn weder Mann noch Weib je schreckte, alsbald mit ihr plaudern, nahm seine Maske ab und ließ für sie Tanz und Lustbarkeiten im Stich. Den ganzen Abend wich er ihr nicht von der Seite und fand so viel Ergötzen bei ihr wie bei den jüngsten und lebhaftesten Hofdamen, also daß er beim Aufbruch sicher war, sich keine Minute gelangweilt zu haben. Zwar hatten sie nur der Sitte gemäß über allgemeine Dinge geplaudert, doch ward der Wittib wohl bewußt, daß er den Wunsch hegte, näher mit ihr in Berührung zu kommen. Darob beschloß sie, sich fürder tunlichst vor ihm in acht zu nehmen, also daß er sie niemals mehr auf Lustbarkeiten oder Festen traf.

Alsbald forschte er ihren Lebensgewohnheiten nach und erfuhr, daß sie oftmals Kirchen und Klöster besuchte. Nunmehr ließ er ihre Schritte wohl bewachen und erreichte so, daß sie niemals im geheimen ausgehen konnte, ohne daß er ihr zuvorkam. Solange er sie sehen konnte, blieb er in der Kirche und warf ihr so liebesheiße Blicke zu, daß ihr seine Neigung nicht verborgen bleiben konnte.

Um das zu vermeiden entschloß sie sich, eine Zeitlang Krankheit vorzuschützen und die Messe daheim zu hören. Darob war der Edelmann überaus betrübt, maßen er keine andere Möglichkeit hatte, sie zu sehen. Als sie aber vermeinte, er habe die Sache aufgegeben, besuchte sie von neuem die Kirchen, und kaum ward der Edelmann dessen inne, so nahm auch er seine Andachtsübungen wieder auf. Damit sie nun aber nicht weitere Hindernisse einrichte und ihm die Gelegenheit zu einer Erklärung nähme, benutzte er eines Morgens den Umstand, daß sie sich in einer kleinen Kapelle allein wähnte, und trat, derweile sie die Messe hörte, dicht an den Altar. Und als der Priester die Monstranz erhob, wandte er sich zu ihr und sprach mit sanfter, gefühlvoller Stimme: ›Wohledle Frau, ich nehme Den zum Zeugen, den der Priester soeben mir zur Verdammnis erhebt, dafür, daß Ihr an meinem Tode schuld seid. Denn Ihr enthebt mich der Möglichkeit, mit Euch zu sprechen, obgleich Ihr wohl wißt, was ich im Sinne trage, und obgleich Euch meine schmachtenden Blicke und meine todesbange Gebrochenheit wohl die Wahrheit gekündet haben.‹ Die Dame jedoch tat, als ob sie nichts verstünde und erwiderte: ›Man soll Gott mit Nichtigkeiten nicht behelligen, und die Dichter sagen selbst, daß die Götter der Lügeneide Verliebter lachen. Deshalb sollen ehrenhafte Frauen ihnen nicht weichherzig Glauben schenken.‹ Und damit erhob sie sich und kehrte alsbald heim.

Der Edelmann ergrimmte begreiflicherweise ob ihrer Worte. Doch sagte er sich, daß diese harte Antwort ihm leichter einging, denn ihm eine Liebeserklärung gefallen wäre. Drei Jahre lang blieb er seiner Neigung getreu und unablässig verfolgte er die Wittib mit Briefen und wie er sonst noch konnte. Aber während dieser ganzen drei Jahre antwortete sie ihm nur dadurch, daß sie ihn floh, wie der Wolf den Jagdhund, der ihn fangen will, und alles dies nicht aus Haß, sondern einzig, weil sie für ihre Ehre und ihren Ruf fürchtete. Des war er sich gar wohl bewußt, und darum wuchs sein Eifer. Und so wurde unter viel Mühen, Weigerungen, Pein und Verzweiflung die Dame endlich angesichts seiner großen Liebe von Mitleid ergriffen und gestand ihm zu, was er so lange gewünscht und erhofft hatte. Nachdem sie über die Mittel und Wege einig geworden waren, mußte der Edelmann sich dem Wagnis unterziehen, in ihr Haus zu schleichen. Und da ihre Verwandten im gleichen Hause wohnten, setzte er allemal sein Leben daran. Doch war er nicht minder gewandt als schön, und so wußte er es stets klug einzurichten, daß er zur verabredeten Stunde in ihr Zimmer kam, wo sie ihn in ihrem Bett erwartete.

Einmal aber, just als er sich entkleidete, um sich ihr zur Seite niederzulegen, vernahm er vor der Tür das Geräusch flüsternder Stimmen und klirrender Degen, die an die Wand stießen. Die Dame schien vor Schrecken halbtot zu sein und ächzte: ›Euer Leben und meine Ehre sind nunmehr in größter Gefahr. Denn ich höre draußen meine Brüder, die Euch sicherlich suchen und töten wollen. Darum kriecht bitte unter die Bettstatt, auf daß sie Euch nicht finden und ich sie ob der zwecklosen Störung anfahren kann.‹ Der Edelmann jedoch kannte keine Furcht und erwiderte: ›Welchen wackern Mann könnten Eure Brüder wohl erschrecken? Und wäre selbst Eure ganze Sippe da, so würde sie gewiß schon bei meinem vierten Degenstich davonlaufen! Drum bleibet in Eurem Bett und lasset mich die Tür verteidigen.‹ Und alsbald wickelte er seinen Mantel um seinen linken Arm, ergriff seinen Degen und riß die Tür auf, um zu schauen, wer dort draußen also klirrte. Doch erblickte er nur zwei Zofen, die mit zwei Degen diesen Lärm vollführt hatten und nun riefen: ›Verzeiht, edler Herr, wir handeln so auf Befehl unserer Gebieterin. Nunmehr werden wir Euch weiter nicht stören.‹

Als der Edelmann gewahrte, daß es Frauen waren, schickte er sie zu allen Teufeln, warf die Tür vor ihrer Nase zu und schlüpfte alsbald zu der Dame ins Bett. Deren Liebesdurst hatte durch den Zwischenfall keine Einbuße erlitten, und da der Edelmann es unterließ, sie nach dem Grund jenes Überfalles zu fragen, so dachte sie nur daran, ihr Begehr zu stillen. Als aber der Morgen nahte, bat er sie um eine Erklärung für ihr Verhalten, zum ersten, weshalb sie sich so lange hatte drängen lassen, zum andern, was jener Streich zu bedeuten habe. Sie aber entgegnete lachend:

›Einst war ich entschlossen, nie wieder zu lieben, und bin dabei seit meiner Witwenschaft geblieben. Doch machtet Ihr, als Ihr auf jenem Fest mit mir plaudertet, daß sich mein Sinn änderte und ich in gleicher Liebe entbrannte wie Ihr. Zwar wollte meine Ehre mir dies Gefühl nicht gestatten, und darum eilte ich von Kirche zu Kirche, um vor Euch zu fliehen. Erst vor den Beweisen Eurer Ergebenheit willigte ich endlich ein. Um nun aber sicher zu sein, daß ich es wirklich mit einem hochgemuten Edelmann zu tun hatte, stellte ich Euch auf jene letzte Probe, und fürwahr: hättet Ihr für Euer Leben gefürchtet oder Euch aus irgendwelchem Grunde unter das Bett verkrochen, so wäre ich in ein anderes Zimmer gegangen und hätte Euch nie wieder gesehen. Da ich Euch nun aber gleichermaßen schön und mutig erkannt habe, so will ich Euch bis zum Ende meiner Tage anhangen, und bin gewiß, daß ich mein Leben und meine Ehre keiner besseren Hand anvertrauen kann.‹

Und gleich als ob der Menschen Wille unerschütterlich wäre, schworen und versprachen sie sich ewige Treue. Daß aber dergleichen in Menschenherzen nicht bestehen kann, wissen die am besten, so erprobt haben, wie lange solche Treue währt.

Darum, meine Damen, hütet euch vor uns, wie ein kluger Hirsch vor dem Jäger. Denn all unser Glück und unsern Ruhm setzen wir darein, euch einzufangen und das zu rauben, das euch teurer ist als das Leben.«

»Seit wann seid Ihr Prediger geworden?« meinte alsbald Hircan spöttisch zu Guebron. »Ich kenne Zeiten, wo Ihr nicht also sprachet.« – »Fürwahr,« entgegnete der, »ich sprach gegen alles, so ich mein Lebelang getrieben habe. Doch nun meine Zähne stumpf geworden sind und nicht mehr schnappen können, warne ich das arme Wild und mache damit in meinem Alter vielleicht manche Jugendsünde wieder gut.« – »Vielen Dank für Eure guten Ratschläge,« spottete auch Nomerfide. »Aber sicherlich habt Ihr zu Eurer Geliebten anders gesprochen. Liebt Ihr denn die Frauen nicht mehr? Oder wollt Ihr nun nicht mehr leiden, daß wir geliebt werden? Ich meine, wir wollen versuchen, so tugendhaft zu sein, als jene Frauen, die Ihr in Eurer Jugend verfolgtet! Leider wollen die Alten immer klüger sein als die Jungen.« – »Wenn nun aber die Treulosigkeit eines Eurer Ritter Euch die Schlechtigkeit der Männer erwiesen hätte, – würdet Ihr mir alsdann Glauben schenken?«

Oisille unterbrach Guebron und sagte zu ihm: »Meines Erachtens war der Edelmann, dessen Kühnheit Ihr so lobt, vielmehr liebestoll. Und bekanntlich treibt diese Gier auch die feigste Memme zu Taten, die mutige Herzen zweimal bedenklich machen würden.« Doch Saffredant bestritt das: »Wenn er die Italiener nicht für größere Maulhelden denn Draufgänger hielt, hatte er wohl allen Grund, bedenklich zu werden.« – »Gewiß wenn seines Herzens Glut nicht alle Furcht verjagt hätte.« – »Mir scheint,« warf Hircan ein, »da Euch jener nicht mutvoll genug erscheint, wollt Ihr das Stücklein eines anderen hören lassen, der mehr des Lobes verdient.« – »Ich kenne in der Tat jemanden, der jenen an Mut übertrifft.« – »Wenn dem so ist,« rief Guebron, »so ergreift, bitte, das Wort und berichtet uns, wie Ihr versprachet, von jenem hochgemuten, kühnen Mann.«

Und Oisille hub an: »Wenn jemand ob seines Wagemutes gepriesen wird, der sein Leben und die Ehre seiner Geliebten retten sollte, was ist dann ein Mann wert, der ohne Hintergedanken, aus purer Waghalsigkeit solche Taten vollbrachte, wie ich sie Euch nunmehr berichten will!«

Zehnte Erzählung


Von Amadours und Florindens Liebe, darinnen viel von Trug und Heuchelei die Rede ist, zumal jedoch von Florindens preislicher Keuschheit.

»In der Grafschaft Arande in Aragon lebte eine Dame, die als noch ganz junge Frau ihren Gatten, den Grafen von Arande, verloren hatte. Bei ihr waren ihre zwei Kinder, ein Sohn und ihre Tochter Florinde. Besagte Wittib gab sich jede Mühe, ihre Kinder in allen Tugenden zu erziehen, wie sie den Sproßen so hochansehnlicher Familien geziemen, also daß sich der Ruf von der Achtbarkeit ihres Hauses bald über ganz Spanien verbreitete. Oft kam sie nach Toledo, wo der König seine Residenz hatte, und wenn sie Saragossa, in dessen Nähe ihr Schloß lag, besuchte, so weilte sie lange bei der Königin und am Hofe, wo sie sich einer Schätzung ohnegleichen erfreute.

Einstmals machte sie sich wieder nach dorthin auf, so wie es ihre Gewohnheit war, um dem König in seinem Schlosse Jaffière in Saragossa ihre Aufwartung zu machen. Auf ihrem Wege kam sie durch ein Städtchen, das dem Vizekönig von Katalonien gehörte. Dieser kam zumeist wegen der Kämpfe mit Frankreich nicht von der Grenze bei Perpignan fort. Damals aber war gerade Frieden und der Vizekönig war mit allen Offizieren herbeigeeilt, um dem König zu huldigen.

Als der Vizekönig erfuhr, daß die Gräfin von Arande durch sein Gebiet kam, eilte er ihr ob ihrer alten Freundschaft und wegen ihrer Verwandtschaft mit dem König entgegen. In seiner Begleitung befanden sich etliche ehrenwerte Edelleute, die sich in den langen Kämpfen so männiglich Ruhm und Ehre erworben hatten, daß ihr Umgang nur jeden beglücken konnte. Darunter befand sich auch ein junger Mann von achtzehn oder neunzehn Jahren namens Amadour, der trotz seiner Jugend ein so sicheres Auftreten und so klugen Sinn besaß, daß er wohl unter Tausenden einzig wert gewesen wäre, einen Staat zu leiten. Dazu gesellte sich solch gewaltige unmittelbare Schönheit und eine so fesselnde Gabe zur Unterhaltung, daß man im Zweifel sein konnte, wem der Vorzug gebühre: seiner Schönheit, seinem Anstand oder seinem Verstand. Zu alledem kam noch eine Kühnheit, die er allenthalben auch in Frankreich und Italien bewiesen hatte, denn auch dort hatte er gekämpft, wenn daheim Frieden war. So erfreute er sich allgemeiner Achtung unter Freund und Feind. Dieser Edelmann also wohnte auch jener Begegnung mit der Gräfin bei. Doch als er die Schönheit und Anmut ihrer Tochter wahrnahm – die damals erst zwölf Jahre zählte –, da dünkte ihm das schönste Wesen dieser Welt erblickt zu haben, dessen Zuneigung alle Güter und Freuden einer andern Frau wohl aufzuwiegen vermochte. Nachdem er sie lange betrachtet hatte, beschloß er, ihr seine Liebe zu weihen. Doch war er sich wohl klar, wie sehr ihre edle Abkunft und ihre Jugend seinen Plänen im Wege standen, so daß er nur hoffen konnte, mit der Zeit und viel Geduld zum Ziele zu kommen. Um nun der Hauptschwierigkeit die Spitze abzubrechen – das war die weite Entfernung beider Wohnorte und die seltene Möglichkeit, Florinden zu sehen –, so beschloß er, sich zu verheiraten. Inzwischen war solchergestalt die Gräfin nach Saragossa gekommen und vom König und dem ganzen Hof herrlich aufgenommen worden. Oft besuchte sie auch der Gouverneur von Katalonien, und stets begleitete diesen dann Amadour, in der Hoffnung, mit Florinde plaudern zu können. Und um dort eingeführt zu werden, wandte er sich an die Tochter eines bejahrten Rittersmannes, der seiner Eltern Nachbar war. Dieses Mägdelein, Aventurade, war neben Florinde aufgezogen worden, so daß sie alles wußte, was in deren Herzen vorging. Ob ihrer edlen Abkunft nun und da sie dreitausend Dukaten Rente als Mitgift zu erwarten hatte, beschloß er, sich um ihre Hand zu bewerben. Dem war sie wohlgeneigt; doch da jener arm war, ihr Vater dagegen so reich, so bedachte sie, daß nur die Fürsprache der Gräfin von Arande hier helfen könne. Deshalb wandte sie sich an Florinde und sagte zu ihr: ›Seht Ihr dort den kastilianischen Edelmann, der so oft mit mir plaudert? Ich glaube, er beabsichtigt, mich zu heiraten. Doch wißt Ihr, wie mein Vater ist. Sicherlich würde er dem nie zustimmen, wenn die Frau Grafin und Ihr selbst nicht Fürbitte einlegt.‹

Florinde liebte das Mägdelein wie sich selbst; darum versprach sie ihr, diese Sache in die Hand zu nehmen, als ob es ihre eigene wäre: Und infolgedessen stellte Aventurade ihr Amadour vor. Als der Florindens Hand küßte, glaubte er zu vergehen, und er, der ob seiner Plauderkunst berühmt war, ward so stumm, daß Florinde sich baß erstaunte. So sagte sie schließlich: ›Euer Ruf ist uns allen wohlbekannt, und es ist jedem eine Freude, Euch irgendwie gefällig sein zu können. Wenn ich Euch daher jemals helfen kann, möget Ihr auf mich rechnen.‹

Doch Amadour sah nur ihre Schönheit und war so hingerissen, daß er kaum ein Wort fand, ihr zu danken. Und ob sich gleich Florinde über sein Schweigen verwunderte, so vermutete sie nur Blödigkeit dahinter und natürlich keine Liebe und ging davon, ohne weiter Worte zu verlieren. Als Amadour inne ward, welch schöne Seele ihr trotz ihrer Jugend schon zu eigen war, sprach er zu der, die er heimführen wollte: ›Erstaunt Euch nicht, daß ich so alle Sprache verloren habe. Florindens Anmut und kluger Sinn haben mich derart verwirrt, daß ich schier nichts zu sagen wußte. Doch Ihr, Aventurade, die Ihr alle ihre Geheimnisse kennt, sagt mir doch: hat sie nicht schon aller Fürsten und Edelleute Herz bezaubert?‹

Aventurade liebte ihn bereits mehr denn alles in der Welt. So mochte sie ihm nichts verbergen und bestätigte, daß alle Herren Florinden zu Füßen lägen, daß sie aber, der Sitte gemäß, mit wenigen in Berührung käme und sich nur zwei spanische Prinzen um ihre Hand bewürben, der Sohn des Infanten, Heinrich von Aragon, und der junge Herzog von Cardonne. Augenscheinlich gäbe sie dem Sohn des Infanten den Vorzug. ›Doch‹, fuhr sie fort, ›überzeugt Euch selbst. Der junge Prinz ist einer der schönsten Fürsten der Christenheit und sie würden ein herrliches Paar bilden. Zudem, obgleich noch beide so jung sind – der Prinz zählt erst fünfzehn Jahre –, besteht und wächst die Liebe zwischen ihnen schon seit drei Jahren. Und wenn Ihr ihrer Gunst recht sicher sein wollt, so rate ich Euch, sucht seine Freundschaft.‹ Amadour war herzlich froh, daß die Dame seines Herzens überhaupt liebesfähig war, denn also konnte er hoffen, mit der Zeit zum Ziele zu kommen – wenn auch nicht als Gatte, so doch als ergebener Freund. Daher befolgte er alsbald den Rat, suchte den Umgang des Prinzen und erwarb bald dessen Gunst. Denn er verstand sich wohl auf all die Zeitvertreibe, die der Prinz liebte, zumal auf Reitkunst, Handhabung aller Art Waffen und sonstige edle Kurzweil. Als nun der Krieg in der Languedoc begann und Amadour mit dem Vizekönig dorthin fortmußte, ward er tiefbetrübt. Denn nun war ihm jede Möglichkeit, Florinden zu sehen, abgeschnitten. So beauftragte er einen seiner Brüder, der bei der spanischen Königin Hausmeister war, die Ehe mit Aventurade zu betreiben und den Beistand aller Freunde und selbst des Königspaares anzurufen. Und wirklich gelang es dem Hausmeister, zu erreichen, daß der geizige alte Herr vor Amadours Tugenden seine Geldgier meisterte, da alle, zumal die Grafenfamilie von Arande, so voller Lobes über ihn waren. Und als die Hochzeit bestimmt war, ließ der Hausmeister seinen Bruder vom Kriegsschauplatze heimrufen.

Inzwischen hatte sich der König vor dem ungünstigen Klima nach Madrid zurückgezogen und ließ dort auf Drängen seiner Ratgeber und der Gräfin die Heirat der Herzogin Medina-Coeli mit dem jungen Grafen von Arande anberaumen, um so einerseits diese Häuser miteinander zu vereinen, andrerseits seine Zuneigung zu der Gräfin zu beweisen. Zu dieser Hochzeit nun kam Amadour und vollzog alsbald auch die seine mit Aventurade, von der er weitaus mehr geliebt wurde, als er sie liebte, maßen diese Ehe nur der Deckmantel und Stützpunkt war, der ihm den Zutritt dahin ermöglichen sollte, wo er in Gedanken bereits dauernd weilte. Nach seiner Vermählung besuchte er das Haus der Gräfin von Arande so keck und ohne Zwang, daß man bald vor ihm ohne Zurückhaltung sprach wie vor einer Frau. Trotz seiner zweiundzwanzig Jahre erwies er sich so scharfsinnig, daß die Gräfin ihn alles wissen ließ, was sie je vorhatte, und ihre beiden Kinder hieß, seines Rates wohl zu pflegen und ihn stets zu befolgen. Trotz dieser Erfolge blieb er sehr zurückhaltend und Florinde merkte daher von seiner Neigung nichts. Und ob ihrer Liebe zu Amadours Frau, Aventurade, verheimlichte sie nie etwas vor ihm und enthüllte ihm sogar ihre Gefühle zu dem Prinzen. Er wiederum sprach alsdann unaufhörlich mit ihr über diese Sache, da er sie dadurch um so sicherer zu gewinnen vermeinte und zudem froh war, auf diese Weise lange mit ihr plaudern zu dürfen.

Doch einen Monat nach seiner Hochzeit mußte er zum Kriege zurück und verblieb mehr denn zwei Jahre fern von seinem Weibe. Derweile schrieb er ihr oft und zumal Empfehlungen an Florinde, die sie ihrerseits erwiderte, ja zuweilen schrieb sie selbst einige Zeilen unter Aventurades Briefe mit darunter. Doch verspürte sie nichts dahinter und war ihm nur wie einem Bruder zugetan. Bisweilen kam er auch besuchsweise heim. Doch ob er Florinden so kaum zwei Monate in den ganzen Jahren sah, nahm seine Liebe nur immer zu.

Als er solchergestalt wieder einmal zu seiner Frau kam, weilte die Gräfin auf einem ihrer Güter, da ihr Sohn dem König nach Andalusien gefolgt war. Voll Freude, ihn nach dreijähriger Abwesenheit wiederzusehen, ließ sie ihn wie ihren Sohn halten und holte wieder in allem seinen Rat ein. Auch Florinde sorgte liebevoll für ihn, ohne seine Absichten zu ahnen. Und da ihr sein Umgang angenehm war, so legte sie sich auch vor ihm keinen Zwang auf. Amadour hingegen hatte große Mühe, dem Scharfblick derer zu entgehen, die sich auf den Blick Verliebter wohl verstehen. Um sich nun auf die Dauer nicht zu verraten, begann er einer gar schönen Frau, Pauline mit Namen, Aufmerksamkeiten zu erweisen, deren Anmut schon viele in Fesseln geschlagen hatte. Die hatte oft von seinen Liebesabenteuern in Barcelona und Perpignan sprechen hören. So sagte sie eines Tages zu ihm, daß sie ihn tief bemitleide, weil er nach so herrlichen Erfolgen eine so häßliche Frau wie Aventurade geheiratet habe.

Amadour verstand sehr wohl, daß sie geneigt war, die Trösterin zu spielen, und da er vermeinte, sie dadurch leichter über die Wahrheit zu täuschen, sagte er ihr tausend Liebenswürdigkeiten. Doch sie war erfahren genug in Liebesdingen, um mehr als Worte zu verlangen. Und da sie wohl begriff, daß er keineswegs von Liebe zu ihr erfüllt war, so begann sie zu vermuten, daß sie nur den Deckmantel spielen sollte. Sie merkte nun wohl auf. Amadour wiederum verstellte sich so wohl, daß sie nicht über den bloßen Argwohn hinauskam. Doch seine Verlegenheit wuchs. Und da nun Florinde sich so oft vor Paulinen zwanglos mit ihm unterhielt und er diese Fälle besonders fürchtete, benutzte er eine Gelegenheit, da er in einer Fensternische mit Florinden plauderte, und sprach: ›Ich bitte Euch, ratet mir, was besser ist – reden oder sterben.‹ Florinde entgegnete sogleich: ›Stets werde ich meinen Freunden raten, zu reden, denn nur wenige Worte lassen sich nicht wieder gutmachen, der Tod aber ist unwiderruflich.‹ – ›So wollt Ihr mir versprechen, über meine Worte weder betrübt zu sein noch ungehalten, bevor Ihr mich bis zum Ende angehört habt?‹ – ›Sprecht immerhin; denn wenn Ihr mich überrascht, könnt auch Ihr nur mich wieder beruhigen.‹

Darauf hub er also an: ›Nie bisher mochte ich aus zweien Gründen von meiner tiefen Verehrung zu Euch sprechen: zum ersten, weil ich sie Euch durch langjährige Ergebenheit zu beweisen gedachte; zum zweiten, weil ich befürchtete, Ihr möchtet darin eine große Überhebung erblicken. Ja, wäre ich selbst fürstlicher Abkunft, so hätte doch der hohe Adel Eures Herzens keinen andern Herrn verdient als den Prinzen. So vernehmet denn, daß ich schon zu Zeiten Eurer frühesten Jugend Euch derart ergeben war, daß ich alles daran setzte, um Eure Gunst zu erwerben, und darum das Mägdelein ehelichte, dem Ihr am meisten zugetan waret. Darum auch bewarb ich mich um des Prinzen Wohlwollen und tat so alles, was Euch nur irgend gefallen mochte. Doch versteht mich recht: ich gehöre nicht zu den Männern, die hierdurch unehrenhaften Gewinn erhoffen und lästerliche Liebesgunst erstreben – viel eher möchte ich Euch tot sehen, denn entehrt. Als Entgelt für meine Ergebenheit erbitte ich nur, daß Ihr mir eine wohlgewogene Herrin bleibet und mir Eure Gunst bewahret, gleichwie bisher, voll Vertrauen auf mich und meinen Rat. Seid sicher, daß ich für Euch und Eure Ehre wenn nötig mein Leben daran zu setzen bereit bin und wohl die schwierigsten Aufgaben leichtlich Euch zu Liebe bewältigen würde. Solltet Ihr mich aber abweisen, so würde ich Waffenruhm und Ehre fahren lassen, die mir dann zu nichts mehr nutze sind. So gewähret mir diese Bitte, gegen die Eure Tugend und Euer Gewissen nichts einwenden kann.‹

Ob dieser unerwarteten Erklärung wechselte die junge Dame die Farbe und senkte tief erschrocken die Augen. Doch faßte sie sich und erwiderte: ›Da Ihr nichts anderes begehret, denn das, was Ihr schon besitzt, wozu diese lange Rede? Fast fürchte ich, unter Euren ehrenhaften Worten steckt irgendein Trug, um meine jugendliche Unerfahrenheit hinters Licht zu führen. Daher bin ich in Verlegenheit, was ich antworten soll. Denn ich mag nicht das Gegenteil von dem tun, was ich bisher pflegte, ich mag nicht Eure ehrenhafte Freundschaft zurückweisen, nachdem ich Euch bisher vor allen das meiste Vertrauen geschenkt hatte. Sie steht auch mit nichts in Widerspruch, da sie auf eine Ehe nicht abzielt. So hält mich nur eine gewisse Furcht zurück, die darin ihren Grund hat, daß für Eure Worte so gar keine Veranlassung vorlag. Denn da Euer Wunsch schon erfüllt ist, was drängt Euch dann, ihn mir des langen und breiten vorzutragen?‹

Amadour entgegnete ohne Besinnen: ›Wie klug Ihr sprecht und wie Ihr mich schon durch diese Bestätigung Eures Vertrauens ehrt! Unwürdig wäre ich jeder weiteren Gunst, wenn ich mich damit nicht zu genügen wüßte. Doch vernehmt nur, daß ich vorsorglich auch darauf sehe, daß niemand meine Zuneigung errät, um unerschüttert meiner Ergebenheit zu Euch pflegen zu können. Nun hat Pauline Argwohn gegen mich geschöpft, da sie begriffen hat, daß ich sie nicht lieben mag. Und da Ihr oft so ohne Zwang mit mir sprächet, fürchtete ich, sie könne irgend etwas bei mir erspähen und darauf ein Urteil aufbauen. Drum flehe ich Euch an: redet mich nicht vor ihr und ähnlichen Lästerzungen so unerwartet an. Denn lieber möchte ich sterben, als mich vor einer lebenden Seele verraten.‹

Florinde war bei diesen Worten über die Maßen erfreut. In ihrem Herzen keimte ein ganz ungewohntes Gefühl auf. Und da sie seine ehrenhaften Gründe einsah, so gewährte sie ihm gern die Zusage seiner Bitte und beglückte damit Amadour, wie nur ein Verliebter ihm nachfühlen kann. Doch beachtete sie seinen Rat am Ende allzusehr; denn da sie nun nicht nur vor Paulinen scheu wurde, sondern allenthalben, zog sie sich immer mehr von ihm zurück. Derweile sie sich also fernhielt, begann ihr sein Verkehr mit Paulinen zu mißfallen, und diese erschien ihr nun so schön, daß sie nicht mehr zweifelte, daß Amadour sie liebte. Um ihre Traurigkeit zu betäuben, suchte sie allerweilen Aventurade auf, die auch auf Paulinen eifersüchtig geworden war, und tröstete sie nach Möglichkeit, gleich als ob sie unter dem gleichen Leiden litte.

Amadour fiel Florindens Zurückhaltung auf. Ihm schien, daß nicht nur sein Rat da mitspräche, sondern noch irgendein törichtes Mißverständnis. So sprach er eines Tages nach dem Vespergottesdienst zu Ihr: ›Warum seid Ihr so gar zurückhaltend geworden?‹ – Sie entgegnete: ›Ich vermeinte, Ihr wünschtet es so.‹ Alsbald ahnte er den wahren Zusammenhang, und um sicher zu sein, sagte er flugs: ›Ich habe nun erreicht, daß Pauline nichts mehr argwöhnt.‹ Darauf erwiderte sie: ›Was könntet Ihr auch besseres für Euch und mich tun: Ihr schafft Euch Freuden und könnt noch obendrein Lob beanspruchen.‹ Da ward er inne, daß sie vermeinte, ihm schaffe der Umgang mit Pauline Genuß und in tiefem Schmerze vermochte er seinen Zorn schier nicht zurückzuhalten: ›Fürwahr, das heißt, Euern Diener quälen und mit Steinen werfen. Wie mußte ich mich überwinden, um diese langweilige Frau zu umschmeicheln, für die ich nichts übrig habe. Da Ihr nun mißverstanden habt, was ich Euch zu Liebe tat, so werde ich künftig nie wieder mit ihr sprechen, mag kommen was will. Und um meinen Grimm zu bergen gleich meinen Gefühlen, will ich von hier fortgehen, bis Euer Wahn verflogen ist. Zudem hoffe ich, bald zum Kriege zurückgerufen zu werden. Dort werde ich alsdann so lange bleiben, bis Ihr inne werdet, daß nichts mich hier hält denn Ihr allein.‹

Mit diesen Worten verließ er sie ohne ihre Antwort abzuwarten und ließ sie über die Maßen betrübt und niedergeschlagen zurück. Und aus seiner Abweisung begann in ihr eine gewaltige Liebe zu erwachsen. Sie sah alsbald ihr Unrecht ein und schrieb eiligst an Amadour, er möge zurückkehren. Also tat er nach einigen Tagen, da sein Zorn sich gelegt hatte. Dann sorgte er dafür, daß sie ihre Eifersucht fallen ließ, und schließlich siegte die Liebe über den Verdacht und beide gaben sich froher denn je dem Genusse hin, miteinander zu plaudern.

Da kam die Nachricht, daß der König das ganze Heer nach Salces beorderte, und da Amadour allezeit der erste zur Stelle war, so wollte er auch diesmal nicht seinen Ruf schmälern. Doch war sein Kummer groß, Florinde zu verlassen; denn er bedachte, daß er sie vielleicht nicht mehr sehen würde, wenn sie sich während seiner Abwesenheit vermählte, sofern ihr die Gräfin von Arande nicht seine Frau als Ehrendame zuwiese. Darum betrieb er diese Angelegenheit durch seine Freunde so wohl, daß am Ende die Gräfin und Florinde ihm versprachen, Aventurade allenthalben mit sich zu nehmen. Auch sofern sich Florinde nach Portugal verheiraten sollte, wie man beabsichtigte, sollte jene ihr folgen. Nachdem er dessen sicher war, reiste er ab. Und alsbald widmete sich Florinde allerhand wohlgefälligen Werken, auf daß sie sich den Ruf eines unvergleichlichen Weibes erwürbe und dadurch eines so vollkommenen Freundes würdig wäre.

Als Amadour nach Barcelona kam, ward er wie gewöhnlich von den Damen über alle Maßen gefeiert. Doch fanden sie ihn ganz verändert und vermeinten, daß nie eine Ehe je einen Mann also gefangen genommen hätte. Er aber blieb nur so lange dort, als irgend nötig war, eilte dann nach Salces und erwarb in den blutigen Kämpfen daselbst unvergleichlichen Ruhm. Als der Herzog von Nagières mit zweitausend Mann nach Perpignan kam, ernannte er Amadour zu seinem Hauptmann, und der erfüllte mit seinen Truppen so eifrig seinen Dienst, daß man bei jedem Scharmützel vor allem den Ruf vernahm: ›Nagières! Nagières!‹

Da nun der König von Tunis hörte, daß schon seit langem Spanien mit Frankreich kämpfte, vermeinte er, das wäre wohl die geeignetste Zeit, dem König von Spanien etwas am Zeuge zu flicken. So entsandte er eine große Anzahl von Schnellseglern, um die unverteidigten Küsten Spaniens auszurauben und zu verheeren. Als die Bewohner von Barcelona eine Menge Segler vorüberfahren sahen, benachrichtigten sie den König in Salces, und der entsandte unverzüglich den Herzog von Nagieres nach Palamons. Da die auf den Schiffen merkten, daß dieser Ort so gut verteidigt war, taten sie, als führen sie weiter. Aber um Mitternacht kehrten sie zurück, landeten eine große Übermacht, überfielen unversehens den Herzog und nahmen ihn gefangen. Amadour hatte als wachsamer Krieger ihr Nahen wohl vernommen, eilends möglichst viel Mannschaften um sich geschart und leistete lange schier unüberwindlichen Widerstand. Da aber am Ende der Herzog bereits gefangen und Palamons von den Türken in Brand gesteckt war, also daß auch die Häuser in Flammen standen, in denen er sich verteidigte, so sah er ein, daß es zwecklos war, noch mehr Leute zu opfern, und daß er zudem durch Loskaufen Aussicht hatte, Florinden wiederzusehen. So ergab er sich dem türkischen Feldherrn Derlin. Der führte ihn zu seinem Herrn, wo er in Ehren empfangen und gar wohl bewacht wurde. Denn sie vermeinten in Amadour den Achilles des spanischen Heeres in ihrer Hand zu haben. Und also blieb er fast zwei Jahre als Gefangener am Hofe des Königs von Tunis.

Die Nachricht von diesen Ereignissen drang auch zur Gräfin von Arande, in deren Hause die arme Aventurade damals schwer krank darniederlag. Die Gräfin argwöhnte bereits die Neigung Amadours zu ihrer Tochter, verbarg aber ihre Gedanken in Ansehung seiner edlen Gesinnung. Als sie nun die traurige Kunde vernahm, rief sie ihre Tochter zur Seite und teilte ihr die Botschaft mit. Doch Florinde wußte sich wohl zu beherrschen und entgegnete: das wäre ein großer Verlust für ihr Haus und doppelt schrecklich für sein armes Weib, weil dasselbe gerade so krank sei. Und da sie ihre Mutter sehr weinen sah, ließ sie auch einige Zähren fallen, um sich nicht durch allzu übertriebene Verstellung zu verraten. Seitdem begann die Gräfin oft über Amadour zu sprechen, ohne je aus Florindens Zurückhaltung einen Schluß ziehen zu können.

Während diese nun Wallfahrten, Bittgottesdienste und Fasten veranstaltete, gelang es Amadour, seine Freunde und durch einen zuverlässigen Boten auch Florinden zu benachrichtigen, daß er gesund sei und sie wiederzusehen hoffe. Das war ihr eine schier unentbehrliche Beruhigung, und da sie nun die Möglichkeit hatte, ihm zu schreiben, so besorgte sie dies so eifrig, daß es Amadour nicht mehr an Tröstungen mangelte.

Indessen wurde aber die Gräfin nach Saragossa zum König beschieden. Bei diesem weilte der junge Herzog von Cardonne, der das Königspaar so eifrig bestürmt hatte, daß es um Florindens Hand für ihn anhielt. Gehorsam gab die Gräfin ihre Einwilligung, zumal sie nicht daran zweifelte, daß ihre noch so junge Tochter sich ihr fügen würde. Nachdem alles festgesetzt war, eröffnete sie ihr, daß sie diesen Entschluß als den gegebenen gefaßt habe. Da die Tochter inne ward, daß ein Widerspruch zwecklos war, entgegnete sie, Gottes Wille möge allezeit geschehen, und sah ein, maßen sich ihre Mutter so seltsam zu ihr stellte, daß es besser war zu gehorchen, als auf ihre eigenen Wünsche zu achten. Als sie noch obendrein vernahm, daß der Sohn des Infanten tödlich erkrankt war, da beherrschte sie sich zwar über die Maßen, aber die verhaltenen Tränen riefen schließlich einen Blutsturz hervor, der ihr Leben in Gefahr brachte. Und um ein Ende zu machen heiratete sie kurz und gut den Herzog, obgleich ihr schier der Tod lieber gewesen wäre. Dann begab sie sich mit ihrem Gemahl in das Herzogtum von Cardonne und nahm Aventurade mit, der sie oft ihr Herz über die Strenge der Mutter und den Verlust des Prinzen ausschüttete. Von Amadour jedoch sprach sie nur, um sein armes Weib zu trösten. Und im übrigen beschloß sie, gottgefällig und ehrsam zu leben und ihr Leid so wohl zu bergen, daß niemand merken konnte, wie ihr Mann ihr mißfiel.

So lebte Florinde lange Zeit kläglicher, als wäre sie tot gewesen. Doch ließ sie Amadour ihren Schmerz wissen, und dieser kannte ihr hochgemutes Herz und ihre Liebe zu dem Prinzen genügend, um für ihr Leben zu fürchten und sie ohne Grenzen zu betrauern. Als er nun hörte, daß der König von Tunis beschlossen habe, ihn töten zu lassen, sofern er nicht bereit wäre, seinen Glauben abzuschwören und in seine Dienste zu treten, da bestimmte er seinen Herrn dahin, ihn auf Ehrenwort heimzulassen und im übrigen ein Lösegeld zu bestimmen. Das wurde so hoch festgesetzt, daß ein wenig bemittelter Mann wie Amadour es voraussichtlich nie aufzubringen vermochte, und alsdann entließ ihn sein Herr auf Ehrenwort, ohne den Konig erst weiter zu fragen.

Amadour eilte zunächst zum Königshof, dann aber auf der Suche nach dem Lösegeld geradewegs nach Barcelona, wo der junge Herzog von Cardonne mit seiner Mutter und Florinden zufällig weilte. Sobald Aventurade die Kunde von Amadours Kommen erhielt, teilte sie die Nachricht Florinden mit. Die tat, als freute sie sich für jene. Doch fürchtete sie, die Freude bei seinem Anblick könnte sie sichtbarlich erröten machen, so daß die andern, so ihn nicht kannten, das übel deuten würden. Daher harrte sie an einem Fenster, bis sie ihn kommen sah, und eilte ihm dann auf einer Stiege entgegen, die so dunkel war, daß man ihre Gesichtsfarbe nicht erkennen konnte. Also umarmte sie ihn, führte ihn alsdann zu ihrer Schwiegermutter, die ihn noch nicht kannte, – und kaum war er zwei Tage da, so liebte ihn das ganze Haus gleich wie die Familie der Gräfin von Arande.

Von den Gesprächen Florindens mit Amadour und ihren gemeinsamen Klagen über das erlittene Leid mag hier nichts berichtet werden. Schon war sie bereit, ihre Liebe und ihr Vertrauen zu ihm sich zum Troste zu nehmen; aber sie wagte nicht, es ihm zu sagen. Immerhin verstand er es wohl und verlor keinen Augenblick, ihr seine leidenschaftlichen Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Da, als sie fast im Begriff war, ihn schon nicht mehr als ergebenen Diener, sondern als herzlieben Freund anzuerkennen, trat ein wunderbarer Zufall ein: der König ließ plötzlich Amadour für einen wichtigen Auftrag zu sich rufen, und diese plötzliche Nachricht erschreckte seine Frau Aventurade derart, daß sie auf einer Stiege ohnmächtig wurde und sich zu Tode stürzte. Ob dieses Unglücksfalles war Florinde schier trostlos. Sie versank in tiefe Trauer, als ob sie ihre liebste Verwandte verloren hatte. Aber schlimmer noch erging es Amadour. Denn nicht nur verlor er eine wunderschöne Frau – er wurde nun auch aller Möglichkeit beraubt, Florinden künftig wiederzusehen. Und darob verfiel er in eine so schwere Krankheit, daß er zu sterben vermeinte.

Unaufhörlich besuchte ihn die alte Herzogin von Cardonne und suchte ihn durch philosophische Betrachtungen über den Verlust seines Weibes zu trösten. Doch das half wenig. Als er begriff, daß Aventurade bereits beerdigt war und der Ruf seines Königs keinen Aufschub mehr gestattete, ward er so verzweifelt, daß er schier den Verstand verlor. Einen ganzen Nachmittag verbrachte Florinde bei ihm, um ihn zu beruhigen und ihm zu versichern, daß sie wohl Mittel und Wege finden würde, ihn öfter zu sehen als er vermeine. Und da er am nächsten Morgen abreisen sollte, aber noch so schwach war, daß er sich im Bette kaum zu rühren vermochte, so bat er sie, am Abend nochmals zu ihm zu kommen, wenn die andern fort wären. Das sagte sie zu, ohne zu argwöhnen, wohin die Verzweiflung in der Liebe führen könne. Indem er nämlich keine Hoffnung mehr hatte, sie je wieder zu erblicken, so gewann die lange unterdrückte Glut die Oberhand und er beschloß, alles aufs Spiel zu setzen und in jener Stunde den, wie er meinte, verdienten Lohn zu ernten. Er ließ die Bettvorhänge schließen, so daß er kaum zu sehen war, und klagte so, daß alle glaubten, er würde die nächsten vierundzwanzig Stunden nicht überleben. Und nachdem alle ihn verlassen hatten, ging Florinde, zumal auch ihr Gemahl sie darum bat, zu dem Kranken, in der Hoffnung, ihn damit zu trösten, daß sie ihn ihrer Zuneigung versicherte und ihm soviel Liebesbeweise versprach als die Ehrbarkeit gestattete. So setzte sie sich zu Häupten seines Lagers auf einen Stuhl und begann ihre Trostesrede, indem sie ihre Tränen mit den seinen vereinte.

Da Amadour sie voll Trauer und Mitleides sah, vermeinte er, daß ihre Pein ihm sein Vorhaben wohl erleichtern könne. So erhob er sich von seinem Bette. Florinde wollte ihn daran hindern, da sie glaubte, daß er zu schwach sei. Er aber warf sich auf die Knie und sprach: ›Muß ich denn fürder immerdar Euern Anblick vermissen?‹ Und damit sank er in ihre Arme, als ob alle Kräfte ihn verlassen hätten. Die arme Florinde umhalste und stützte ihn gar lange, derweile sie ihm unablässig Trost zusprach. Doch der Heiltrank, den sie ihm also spendete, um sein Leid zu mindern, spornte vielmehr seine Kräfte. Und während er sich halb tot stellte und schier keinen Ton mehr hervorbrachte, strebte er zu erreichen, was Frauenehre verbietet.

Als Florinde seiner schlimmen Absichten inne ward, traute sie kaum ihren Sinnen, da er doch allezeit so geziemend geredet hatte, und fragte ihn, was er da wolle. Doch Amadour wußte gar wohl, daß sein Flehen nur eine keusche Ablehnung finden würde. Daher erwiderte er nichts und setzte alle Kräfte daran, zu dem gewünschten Ziele zu kommen. Florinde hingegegen war so überrascht, daß sie vielmehr fürchtete, er habe den Verstand verloren, und deshalb rief sie laut nach einem Edelmann, der im Nebenzimmer wachte. Von Verzweiflung übermannt warf sich Amadour darob so jäh auf sein Lager, daß der Edelmann vermeinte, er sei dahingeschieden. Indes war Florinde aufgestanden und rief: ›Schnell, holt mir guten Weinessig!‹ Und während der Edelmann davoneilte, Hub sie an: ›O Amadour, welch arger Wahn hat Euch nur eben betört? Was fiel Euch bei – was wolltet Ihr beginnen?‹ Amadour aber war vor Leidenschaft schier von Sinnen und entgegnete: ›Verdient denn etwa all meine langjährige Ergebenheit so grausamen Lohn?‹ – ›Und wo bleibt denn die Ehrbarkeit,‹ rief Florinde, ›von der Ihr allezeit so viel gepredigt habt?‹ Doch Amadour erwiderte: ›Ach, edle Frau, fürwahr, man kann Eure Tugend nicht höher stellen, als ich es tat: da Ihr noch ledig waret, überwand ich mein Herz, und nie konntet Ihr von meinem Begehren etwas verspüren. Doch nun Ihr Frau seid und Eure Ehre wohl gedeckt ist, welches Unrecht begehe ich jetzt, da ich erbitte, was mein ist? Denn ich habe doch in Liebe Euer Herz erobert. Der Mann, der zuerst Euer Herz besaß, kämpfte so schlecht um Euern Besitz, daß er das Recht auf Euch verloren hat. Der andere, der Euern Leib besitzt, ist Eures Herzens nicht würdig. Ich aber habe fünf oder sechs Jahre lang so viele Qualen und Mühen für Euch erduldet, daß mir sehr wohl das Recht zusteht, Euer Herz und Euern Leib zu besitzen. Und wenn ich vor meiner Abreise den verdienten Lohn von Euch erhielte, so würde mir das wohl die Kraft geben, den Schmerz der langen Trennung zu ertragen. Beliebet Ihr aber meinen Wunsch abzuweisen, so werdet Ihr alsbald vernehmen, in welch unglückselig grausamen Tod Ihr mich getrieben habt.‹

Florinde ward gleichermaßen überrascht und betrübt, als sie ihn solche Worte sprechen hörte, die sie nie von ihm erwartet hattet Und weinend sprach sie: ›Wehe, wo sind Eure tugendsamen Worte vergangener Tage, wo Euer Rat, lieber zu sterben, denn die Ehrbarkeit zu verleugnen? Gewißlich habt Ihr Euch selbst verloren, da Ihr Gott, Euer Gewissen und meine Ehre so ganz vergessen konntet. Doch nun preise ich die himmlische Vorsehung, die mir in Euern Worten Euer Herz enthüllte. Schier war ich bereit, Euch ganz und von Herzen zu lieben, indem ich fest auf Eure tugendsame Freundschaft vertraute. Doch meine Zuversicht war auf Sand gebaut und jetzt ist alles zusammengebrochen. Nun gebet alle Hoffnung auf und glaubet auch nicht, daß ich je meine Ansicht ändern werde. Ich sage Euch das voll unbeschreiblichen Schmerzes; aber Ihr habt mir das Herz gebrochen und meine Enttäuschung ist so groß, daß gewißlich mein Leben darob ein frühes Ende nehmen oder von Jammer erfüllt sein wird. Und nunmehr lebt wohl für immer.‹ Amadours Schmerz war schier unbeschreiblich. Und da er wohl begriff, daß er sie dauernd verlieren würde, sofern er nicht den schlechten Eindruck seiner Worte zu verwischen vermochte, so hielt er sie fest, als sie davongehen wollte, und sprach voll listiger Verstellung: ›Allezeit war es mein Wunsch, eine ehrbare Frau zu lieben; und da ich stets nur schlechte Erfahrungen gemacht hatte, so wollte ich Euch erproben, ob Ihr wirklich so tugendhaft wäret, als ich in meiner Liebe vermeinte. Nun bin ich dessen gewiß und preise Gott, der mir solch Glück beschieden hat. Vergebt mir nun mein törichtdreistes Unterfangen, da Ihr wohl sehen könnt, daß alles Euch zu Ehren und mir zur tiefen Befriedigung ausschlug.‹

Florinde hatte nun zwar begonnen, die Schlechtigkeit der Männer zu erkennen. Aber wie sie früher daran nicht recht glauben wollte, so war sie auch diesmal bereit, lieber das Gute zu vermuten denn das Böse, und so erwiderte sie: ›Gebe Gott, daß Ihr die Wahrheit sprecht. Doch bin ich seit meiner Ehe klarsichtig genug geworden, um zu verstehen, daß Euch blinde Leidenschaft zu Euerm Tun getrieben hat. Hätte Gott mich nicht beschützt, gewiß hattet Ihr nicht locker gelassen. Wer die Tugend sucht, begeht nicht solche Wege. Laßt dies nun genug sein: ich habe leichtfertig auf Euch vertraut und es war Zeit, daß ich die Wahrheit einsah und mich so von Euch freimachte.‹

Damit verließ sie ihn und beweinte die ganze Nacht hindurch diese Enttäuschung, zumal ihre Liebe sie immer wieder zur Reue trieb. Denn das Herz mag sich nicht fügen, wenn auch der Verstand beschließt, alle Liebesgedanken zu bannen. Und da sie begriff, daß nur seine Liebe an allem schuld gewesen war, so entschloß sie sich zwar, ihm weiter von Herzen zugetan zu bleiben, doch um ihrer Tugend willen es ihn nie je fürder merken zu lassen.

Am nächsten Morgen reiste Amadour voll Jammers ab; doch in seinem hochgemuten Herzen verzweifelte er nicht völlig, sondern nährte aufs neue den Wunsch, Florinden wieder zu sehen und ihre Gunst zurückzugewinnen. Auf dem Wege zum König suchte er die Gräfin von Arande auf, die vor Trauer über die Trennung von ihrer Tochter krank war. Sie nahm ihn wie ihren eigenen Sohn auf und er erzählte ihr (doch nicht alles), was er von Florinden wußte, sprach auch von ihrer herzlichen Freundschaft zu ihm und bat sie, ihm häufig Nachrichten zu senden und jene bald zu sich zu rufen. Dann brach er wieder auf, erledigte seine Aufträge bei der Königin und zog von neuem in den Krieg. Aber man erkannte ihn schier nicht, so war er verändert: er kleidete sich nur noch in Schwarz und trug noch mehr Trauer zur Schau, als der Tod seines Weibes erfordert hätte. So verbrachte er drei oder vier Jahre, ohne zum Hofe zurückzukehren.

Da die Gräfin derart vernommen hatte, daß ihre Tochter so bedauernswert niedergedrückt sei, ließ sie sie zu sich rufen. Als diese nun hörte, daß Amadour ihrer Mutter so viel von ihrer Freundschaft zu ihm erzählt hatte und die Mutter so auf seine Einsicht und Tugend baute, da trat das Gegenteil von dem ein, was Amadour erwartet hatte: sie geriet in große Pein, ihre Verwandschaft auf seiner Seite zu sehen. Doch da er fern war, ließ sie sich nichts merken und schrieb auf der Mutter Wunsch auch bisweilen an ihn, doch so, daß er wohl merken konnte, daß es nicht von Herzen geschah. Und so verdrossen ihn diese Briefe gleichermaßen, wie sie ihn früher erfreut hatten. Nachdem er aber so viele Taten vollbracht hatte, daß man sie gar nicht alle beschreiben kann, faßte er einen großen Plan, nicht mehr, um ihr Herz zurückzugewinnen (denn das schien ihm verloren), wohl aber, um seine Feindin zu besiegen, da sie sich nunmehr so stellte. Daher ließ er sich vom Gouverneur zum König senden, um einige Maßnahmen gegen Leucate bei Narbonne zu besprechen. Und in der kühnen Absicht, sich zuerst deshalb bei der Gräfin Rats zu erholen, begab er sich geradewegs nach Arande, wo, wie er wohl wußte, Florinde weilte. Doch sandte er zuvor einen Freund zur Gräfin, kündete ihr sein Kommen an und bat, dies geheimzuhalten und der Vorsicht halber zu gestatten, daß er des Nachts mit ihr beraten dürfe. Die Gräfin war voller Freuden, benachrichtigte sogleich Florinden und hieß sie, sich im Zimmer ihres Gatten umzukleiden, damit sie bereit sei, wenn sie gerufen würde, sowie alle zur Ruhe gegangen wären.

Florinde war noch keinesweges von ihrer früheren Angst frei, ließ sich aber nichts merken und bat nur in der Kapelle Gott, ihr Herz vor aller Versuchung zu hüten. Und da sie sich ihrer Schönheit trotz ihrer Leiden gar wohl bewußt war, nahm sie einen Stein und zerschlug damit derart ihr Gesicht, daß Mund, Augen und Nase ganz entstellt waren. Damit man aber nichts argwöhnen konnte, ließ sie sich vor der Kapelle mit dem Gesicht auf einen Stein niederfallen. Auf ihr Geschrei kam die Gräfin herbei, und ließ sie sogleich, als sie ihren kläglichen Zustand sah, sorglich verbinden. Alsdann bat sie Florinde, in ihrem Kabinett so lange mit Amadour zu plaudern, bis die Gesellschaft davongegangen sei. Das tat sie auch, weil sie vermeinte, es wäre noch jemand bei ihm. Da sie sich aber mit Amadour allein hinter verschlossenen Türen sah, ward sie ebenso niedergedrückt, wie Amadour erfreut. Denn dieser dachte nun durch Liebeswerben oder Gewalt sein Ziel zu erreichen. Nachdem er also einige Worte geplaudert hatte und sah, daß sie noch immer so dachte wie zuvor und selbst für den Tod nicht ihre Ansicht ändern mochte, da sprach er, außer sich vor Verzweiflung: ›Bei Gott, solch kleinliche Bedenken sollen mich nicht um meinen Lohn bringen. Da Liebe, Geduld und demütige Bitten mir nichts nutzen, so will ich meine Kraft versuchen, um das Gut zu erringen, das ich ansonsten verlieren würde.‹

Als Florinde ihn so wild erregt sah, daß seine Augen wild funkelten, sein Antlitz purpurrot wurde und seine kraftvollen Fäuste ihre zarten Hände packten; als sie zudem begriff, daß er ihre Arme und Beine so wohl festhielt, daß sie weder sich verteidigen noch fliehen konnte, da suchte sie ihre Rettung darin, die Wurzel seiner früheren Liebe aufzuspüren, auf daß er um derentwillen sein grausames Vorgehen aufgäbe. Und sie sprach: ›O Amadour, da Ihr nun wie ein Feind mit mir handelt, so flehe ich Euch bei Eurer ehrenhaften Liebe, die ich früher in Euerm Herzen vermeinte, an, hört mich zuerst, bevor Ihr mich so quält.‹ Und da er ihr zuhörte fuhr sie fort: ›Was drängt Euch nur, etwas zu ertrotzen, davon Ihr keine Befriedigung haben werdet, ich aber ungeahntes Leid? Seit meiner Jugend und der Blütezeit meiner Schönheit (die Eure Leidenschaft noch hätte entschuldigen können), kennet Ihr so wohl meinen Willen, daß ich schier nicht begreifen kann, wie Ihr, nun ich alt und häßlich geworden bin, das Herz haben könnt, mich so zu peinigen. Wenn auch nur noch etwas von Eurer Liebe in Euch blieb, so muß das Mitleid doch Eure Glut ersticken. Hat sich aber all Eure Liebe in Haß gewandelt, also daß Ihr mich aus Rache so unglücklich machen wollt, so wißt, daß ich es nicht dazu kommen lassen werde. Dann werde ich Euch wider meinen Willen Eure Bosheit ins Gesicht werfen und Ihr werdet Eures Lebens nicht mehr sicher sein.‹

Doch Amadour unterbrach sie: ›Muß ich sterben, so werde ich dadurch meiner ewigen Qualen ledig. Doch die Entstellung Eures Angesichts soll mich nicht hindern, Euch zur Meinen zu machen. Denn könnte ich selbst nur Euer Gebein haben, so sollte dies mein Eigen sein.‹ Da Florinde nun sah, daß Tränen und Bitten nichts halfen und er voll Grausamkeit auf seinem argen Vorhaben bestand, so griff sie zu einem Mittel, dem sie schier den Tod vorgezogen hätte, und rief mit klagender Stimme so laut sie konnte nach ihrer Mutter. Als die solchen Ruf vernahm, überkam sie die Ahnung der Wahrheit und sie lief eilends in das Kabinett. Doch Amadour war keineswegs so bereit zu sterben, als er behauptet hatte. Rechtzeitig hatte er seine Beute losgelassen, also daß die Gräfin beim Eintritt ihn weit genug von Florinden fand. So fragte sie: ›Was geschah soeben, Amadour? sagt mir die Wahrheit!‹ Doch der war um eine Antwort nicht verlegen und entgegnete mit bleichem und starrem Antlitz: ›Ach, edle Frau, in welchen Zustand ist Frau Florinde geraten! Ich bin noch voller Erstaunens; denn wie Ihr wißt, glaubte ich mich ihrer Wohlgeneigtheit sicher, und nun sehe ich, daß davon keine Rede mehr ist. Schon da ich sie anblickte, mochte sie es nicht leiden, doch vermeinte ich, das sei nur gleichsam ein Traum, und bat, ihre Hand nach Landessitte küssen zu dürfen, und das wies sie mir hart ab. Gewißlich tat ich Unrecht und bitte darob um Vergebung, ich ergriff nämlich mit Gewalt ihre Hand und küßte sie. Doch wollte sie sicherlich meinen Tod und rief Euch. Vielleicht vermeinte sie, daß ich noch anderes im Sinne hätte. In jedem Falle ruht die Schuld auf mir. Doch verbleibe ich alle Zeit Euer und ihr ergebenster Diener und bitte Euch, mir wenigstens Eure Gunst zu bewahren, da ich die ihre verloren habe.‹

Die Gräfin glaubte ihm nur halb, trat zu ihrer Tochter und befragte diese: ›Weshalb riefst du mich so laut?‹ Doch Florinde erwiderte nur, ihr habe gebangt; und trotz aller Fragen blieb sie bei dieser Antwort, denn da sie nun den Händen ihres Feindes entronnen war, glaubte sie ihn genügsam damit bestraft, daß sein Unterfangen mißlungen war. Und nachdem die Gräfin lange mit Amadour gesprochen hatte, ließ sie ihn noch in ihrer Gegenwart mit Florinden reden, um sein Benehmen zu beobachten. Doch er verlor nicht mehr viele Worte, sondern dankte ihr nur, daß sie ihrer Mutter nicht die Wahrheit verraten hatte, und bat sie sodann: da er nunmehr ihr Herz verloren habe, möge sie wenigstens keinem andern seinen Platz einräumen. Darauf entgegnete sie: ›Bezüglich des ersteren wißt, daß ich nimmermehr gerufen hätte, wenn mir eine andere Verteidigung möglich gewesen wäre. Im übrigen sorgt Euch nicht, daß ich einen andern lieben werde. Denn da ich in dem Herzen des tugendhaftesten Mannes nicht die Ehrbarkeit fand, die ich erhoffte, so kann ich sie auch nirgend anders zu finden erwarten.‹

Damit entließ sie ihn. Die Mutter konnte aus dieser Zurückhaltung nichts herauslesen und vermeinte nun, Florinde hasse in ihrer Torheit alles, was sie selbst schätzte. Und so stand sie von nun an sieben Jahre lang mit ihrer Tochter auf dem Kriegsfuße. Um ihre Strenge zu fliehen, hing sich Florinde nun an ihren Mann und wich ihm nicht von der Seite. Doch da alles nichts nützte, wollte sie Amadour überlisten, tat einige Tage freundlich zu ihm und riet ihm, einer Frau seine Freundschaft zu Füßen zu legen, die bei ihr von ihrer Liebe für Amadour gesprochen hätte.

Besagte Dame, mit Namen Lorette, lebte in der Umgebung der Königin. Sie war so froh, einen solchen Freund erworben zu haben, daß sie allenthalben damit prahlte, bis man anfing darüber zu reden. So drang die Kunde auch zur Gräfin von Arande, die nunmehr Florinde gegenüber ihr Benehmen änderte. Da diese nun aber vernahm, daß Lorettes Gatte, ein Hauptmann, derart von Eifersucht entflammt war, daß er sich entschlossen hatte, Amadour zu töten, gleichgültig wie, – da gab sie letzterem davon Kunden denn ob sie sich auch verstellte, sie mochte Amadour nichts Böses tun. Der aber kehrte leichtlich zu seiner verlorenen Liebe zurück und entgegnete daher: wenn sie geruhen würde, täglich drei Stunden mit ihr zu plaudern, so würde er gern nimmermehr ein Wort mit Lorette reden. Dazu war Florinde keineswegs bereit, und so erklärte er ihr: ›Warum denn wollt Ihr mich vor dem Tode bewahren, da Ihr mir keine Lebensfreude gewähren möget? Ist’s, um mich ärger zu quälen als tausend Todesarten es vermöchten? So wißt: wenn mich auch der Tod flieht, ich werde ihn suchen bis ich ihn finde, denn nur dann werde ich Ruhe finden!‹

Zu jener Zeit kam die Nachricht, daß der König von Granada einen gewaltigen Krieg gegen Spanien begonnen hatte. So wurde der spanische Königssohn, Philipp, mit dem Connetable von Kastilien und dem Herzog von Alba gegen die Mauren entsandt. Auch der Herzog von Cardonne und der Graf von Arande mochten nicht weilen und erbaten von dem König eine Stelle im Heere, und der unterstellte sie Amadour. Dieser vollbrachte in selbigem Kriege so tollkühne Taten, daß ihn sicherlich Verzweiflung dazu getrieben haben muß. Doch mußte er das endlich mit dem Leben bezahlen. Als nämlich einmal die Mauren zu flüchten vorgaben und die Spanier sie verfolgten, hielten der Connetable und der Herzog von Alba den Kronprinzen zurück, da sie die Kriegslist durchschauten. Trotz alles Verbotes aber setzten der Graf von Arande und der Herzog von Cardonne über den Fluß. Und da die Mauren nur wenige Mann hinter sich sahen, drehten sie um, erschlugen mit einem Säbelhieb den Herzog und verwundeten den Grafen so schwer, daß er für tot auf dem Platze blieb.

Dieser Verlust nun brachte Amadour derart in rasende Wut, daß er das Getümmel durchbrach und die Körper der beiden zum Lager zurückzutragen ermöglichte. Dort war der Kronprinz so tief bekümmert, als wären seine leiblichen Brüder gefallen. Doch zeigte sich bei Besichtigung der Wunden, daß der Graf noch am Leben war; so sandte man ihn in einer Tragbahre nach seinem Schlosse, wo er noch lange krank lag. – Amadour indessen hatte, da er die beiden Körper deckte, so wenig an seine eigene Sicherheit gedacht, daß er sich plötzlich von einer großen Zahl von Mauren umringt sah. Doch wollte er sich so wenig ergeben, als sich seine Freundin ihm hatte ergeben mögen, – noch auch seinen Gott verraten, wie er sie verraten hatte: denn er wußte, daß er entweder grausam getötet würde oder seinen Glauben abschwören müßte, falls er dem König von Granada in die Hände fiel. So entschloß er sich, den Feinden auch nicht den Ruhm zu gönnen, daß sie ihn getötet oder gesangen genommen hätten, küßte das Kreuz seines Degenknaufes, empfahl seine Seele Gott und durchbohrte sich mit solcher Macht, daß es eines zweiten Degenstoßes nicht mehr bedurfte.

Also starb der arme Amadour, tief betrauert, gleichwie man seine Taten bewundert hatte. Die Todeskunde durchlief ganz Spanien und erreichte Florinde in Barcelona, wo ihr Gemahl hatte beerdigt sein wollen. Kaum waren die Beisetzungsfeierlichkeiten beendet, da ging sie ohne jemandem weiter etwas zu sagen, als Nonne in ein Kloster und traute sich so dem an, der sie von Amadours Liebesglut und ihres Gatten quälender Ehegemeinschaft befreit hatte. All ihre Treue galt nun Gott allein, und nach langem Klosterleben starb sie so freudig, wie eine Gattin ihrem geliebten Gemahl entgegeneilt.

Sicherlich,« endete alsdann Parlamente ihre Erzählung, »ist dieser Bericht vielen zu lang erschienen. Wäre ich aber dem gefolgt, der ihn mir übermittelt hat, so wäre er noch länger geraten. So bitte ich euch denn, meine Damen, nehmt euch an Florindes Tugend ein Beispiel, aber seid nicht ganz so grausam wie sie und traut nicht, gleich ihr, so sehr der Ehrbarkeit der Männer, daß ihr in der Erkenntnis des Gegenteils sie in gräßlichen Tod treibt und euch selbst in ein trostloses Leben.«

Dann wandte sie sich an Hircan und fragte ihn: »Findet Ihr nicht, daß diese Frau bis zum Äußersten getrieben war und tugendlich widerstanden hat?« – »Nein,« erwiderte der, »denn welch geringeren Widerstand kennt eine Frau, als Schreien? Ich weiß nicht, was sie an einem Orte getan hätte, wo man ihren Ruf nicht hören konnte. Und wäre Amadour mehr liebesdurstig und weniger ängstlich gewesen, dann hätte er sich durch so weniges nicht abstecken lassen. Nie wird ein Mann sein Ziel verfehlen, der genügsam liebt und wiedergeliebt wird. Doch ist Amadour zu loben, daß er einen Teil seiner Pflicht erfüllte.« – »Welche Pflicht?« fragte Disille. »Heißt es etwa seine Pflicht tun, wenn man mit Kraft ertrotzen will, was die Achtung verbietet?«

Nun ergriff Saffredant das Wort und sprach: »In den Stuben knien wir vor unsern Herrinnen wie vor unsern Richtern; zum Tanze führen wir sie voll zarter Vorsicht. Aber wir wirken alsdann so furchtsam, daß der Zuschauer uns schier bedauert, uns für blöde hält und die Damen preist, die kühn von Ehrbarkeit reden und uns Liebe und Scheu abnötigen. Unter vier Augen aber, wenn nur die Liebe das Wort hat, wissen wir sehr wohl, wer Mann, wer Weib ist, die ›Herrin‹ wird zur ›Freundin‹, der ›Diener‹ zum ›Freund‹. Daher sagt das Sprichwort:

›Durch treuen Dienst kann dir’s gelingen, Vom Knechte es zum Herrn zu bringen.‹

Die Frauen besitzen nur soviel Ehre, als die Männer ihnen geben oder nehmen können. Und sehen jene, wie wir ruhig dulden, so schulden sie uns auch von Rechts wegen jede Entschädigung, soweit sie die Ehre nicht verletzt.« »Ach, Ihr redet nicht vom wahren Glücke,« rief Longarine, »das in Zufriedenheit besteht. Denn wenn mich auch alle Welt tugendhaft nennt und ich weiß, daß das Gegenteil wahr ist, so kann solch‘ Lob nur meine Scham vermehren. Schmählen sie mich aber und ich fühle mich schuldlos, so erwächst mir daraus nur Zufriedenheit.« – »Ei,« meinte Guebron, »mir scheint trotz allem Amadour ein tugendhafter, edler Mann gewesen zu sein, wie es gleiche wenig gibt. Und waren auch die Namen verändert, so vermeine ich ihn doch zu erkennen. Da Parlamente ihn aber verschweigt, so will ich das gleiche tun. Seid sicher, sein Herz kannte keine Furcht und war alle Zeit gleich stark in Liebe als in Kühnheit.« Nun unterbrach Oisille: »Mir scheint dieser Tag froh vergangen zu sein. Wenn wir fürder desgleichen tun, werden wir die Zeit trefflich kürzen. Doch merket nun wohl – die Sonne sinkt und lange schon schlug die Glocke zur Vesperstunde. Doch wollte ich euch nicht daran mahnen, denn meine Begierde war groß, diese Erzählung zu Ende zu vernehmen.«

Alsbald erhoben sie sich, eilten zur Abtei und fanden dort die Mönche seit einer Stunde in Erwartung. So wohnten sie dem Gottesdienst bei, speisten und plauderten dann über das Gehörte oder durchsuchten ihr Gedächtnis nach erzählenswerten Erlebnissen. Sodann trieben sie tausenderlei Spiele und Kurzweil auf der Wiese, gingen endlich zur Ruhe und beschlossen also in fröhlicher Zufriedenheit den ersten Tag.

Tags darauf erhoben sich alle mit dem lebhaften Wunsche, den Ort ihrer gestrigen frohen Kurzweil wieder aufzusuchen. Jeder hatte nun schon seine Geschichte bereit und brannte darauf, sie zum besten zu geben. So versammelten sie sich zunächst bei Frau Oisille, hörten dann die Messe, speisten, ruhten danach ein wenig in ihren Stuben und eilten schließlich zur vereinbarten Stunde auf die Wiese. Das Wetter schien ihr Vorhaben zu begünstigen. Kaum hatten sie sich auf dem Rasenteppich niedergelassen, so erklärte Parlamente: »Da ich gestern den Abend mit meiner Erzählung als zehnte beschloß, so habe ich das Recht zu bestimmen, wer den heutigen Tag einleiten soll. Maßen gestern Frau Oisille als die Älteste und Gesetzteste begann, so erteile ich heute das Wort der Jüngsten (ich sage nicht: der Törichtesten), und ich bin sicher, daß wir nicht wieder über die Zeit hierbleiben werden, wenn wir ihrem Beispiel folgen. Also nunmehr seid Ihr an der Reihe, Nomerfide, bitte laßt uns nicht den Tag mit Tränen beginnen.«

»Dieser Bitte bedurfte es nicht,« entgegnete Nomerfide, »denn der Entschluß stand schon bei mir fest, euch zu berichten, was mir im vergangenen Jahre eine Bürgersfrau aus Tours erzählt hat. Die Dame versicherte mir, den Kanzelreden jenes Franziskaners beigewohnt zu haben, von dem ich jetzt sprechen will.«

Elfte Erzählung


Kitzliche Aussprüche eines Franziskanermönches gelegentlich seiner Predigten.

»Unweit des Städtchens Bleré in der Touraine liegt ein Dorf Saintkaner aus seinem Kloster zu Tours berufen wurde, um während der Advents- und Fastenzeit alldort zu predigen. Der war mehr wortreich denn gelehrt, und da er bisweilen nicht wußte, wie die vorgeschriebene Stunde ausfüllen, so tischte er denn mancherlei Geschichtchen auf, die seiner Gemeinde nicht allzu erbaulich erschienen. Eines Gründonnerstags nun sprach er just vom Osterlamm und wie man es zur Nachtstunde essen müsse. Da erblickte er einige junge, schöne Damen, die erst eben aus Amboise angelangt waren und hier die Ostertage verbringen wollten. Um sich vor diesen einen schönen Abgang zu verschaffen, richtete er an die weibliche Zuhörerschaft die Frage, ob sie wohl wußten, wie sie sich des Nachts an ungekochtem Fleische ergötzen dürften, und fuhr dann fort: ›So will ich es euch erklären.‹ Die jungen Männer, die mit ihren Frauen, Schwestern und Nichten zugleich aus Amboise gekommen waren und die Scherze des Mönches nicht kannten, wurde unruhig. Doch wandelte sich ihr Zorn in Lachen, als sie zuhörten und vernahmen: um das Osterlamm zu essen, müßte man die Lenden wohl gegürtet, Füße an seinen Schuhen und eine Hand an seinem Stock haben. Da der Franziskaner sie nun lachen sah und recht wohl wußte, weshalb, so verbesserte er sich eilends: ›Ja doch, ja doch! Schuhe an seinen Füßen und einen Stock in der Hand. Ist das nicht gehupft wie gesprungen?‹ Natürlich gab es ein gewaltiges Gelächter, selbst die Damen konnten es nicht unterdrücken, zumal er noch andere erbauliche Ratschläge an sie richtete. Und da nun die Stunde zu Ende ging und er die Weiblichkeit nicht unzufrieden lassen mochte, so sprach er zu ihnen: ›Vielleicht, meine Damen, geht ihr nun zu den Basen klatschen und fragt: ›Was ist das für ein edler Bruder, der da so keck draufzuredet? Wohl ein Saufhannes?‹ So wißt – ihr braucht euch nicht zu verwundern, daß ich so ohne Scheu rede, denn ich stamme aus Anjou, zu euern Diensten.‹

Also beschloß er seine Predigt und ließ seine Zuhörer in einer Stimmung, die mehr zum Lachen über seine Anzüglichkeiten neigte, denn zur Rührung über die Leidensgeschichte unseres Herrn. übrigens waren seine sonstigen Festreden aus gleichem Teig gebacken. So wißt ihr ja, daß diese Mönche sich allemal bezüglich ihrer Ostereier wohl in Erinnerung bringen. Sie erhalten dann nicht nur Eier, sondern gar vielerlei: Leinzeug, Wolle, Würste, Schinken, Speckseiten und anderes Gutes. Als nun der Mittwoch nach Ostern da war und jener seine Bitten ohne jede Zurückhaltung vorbrachte, verstieg er sich zu folgenden Worten:

›Meine Damen, es drängt mich, eure Freigebigkeit zu bedanken, mit der ihr unser armes Kloster überschüttet habt. Doch leider bedachtet ihr nicht genug, was uns nottat, denn ihr habt uns zumeist Würste geschenkt, mit denen unser Kloster schon so reich versehen war, Gott sei Dank! Was sollen wir nun mit all diesen anfangen? Wißt ihr was? Mir scheint das Beste, ihr tut eure Schinken zu unsern Würsten, dann würdet ihr eine wahre Wohltat begehen.‹

Dann fuhr fort, anstößige Dinge zu erörtern, machte ganz unvermittelt Zote auf Zote und rief schließlich voller Verwunderung: ›Gott soll mich bewahren, ihr Männer und Frauen von Saint-Martin, wie könnt ihr nur um nichts und wieder nichts so anstellen und gar über mich alleweil klatschen: ›Wie schrecklich! Wer hätte glauben können, daß dieser edle Pater die Tochter seiner Wirtsfrau geschwängert hat.‹ Wahrhaftig, daran ist doch nichts Erstaunliches, daß ein Mönch solch Mädel schwanger macht! Wie meint ihr, meine Schönsten: wäre es nicht viel erstaunlicher, wenn das Mädel den Mönch geschwängert hätte?‹

Das war die treffliche Kost, damit jener biedere Hirt seine fromme Herde speiste. Zumal die Frechheit ist bemerkenswert, mit der er von der Kanzel herab seine Sünde gar noch besprach, da er dorten doch nur seinen Nächsten belehren und Gott zum Preise reden durfte.«

»Wahrlich ein prächtiger Mönch!« meinte Saffredant. »Der gleicht fürwahr dem guten Bruder Anjibault, dem man alle die kitzlichen Aussprüche aufhalst, die sich nur unter Herren erzählen lassen.«–»Ich«, entgegnete Oisille, »finde so etwas keineswegs lächerlich, zumal an solchem Orte.«–»Ihr vergeßt,« warf Nomerfide ein, »daß zu jener doch nicht fernen Zeit die Dorfleute, ja sogar die meisten Stadtbewohner–die sich doch viel besser dünken–jene Prediger weitaus höher schätzten als die andern, die schlicht und lauter das Evangelium kündeten.« – »Jedenfalls tat er gar nicht so dumm daran, für die Würste um Schinken zu bitten,« meinte Hircan, »denn an diesen ist mehr daran. Und mochte hier und dort ein frömmelndes Geschöpf seine Worte zweideutig verstehen–wie wahrscheinlich er selbst auch–so fuhr er nebst seinen Gefährten darum nicht schlechter und das Dirnlein auch nicht, das also auf seine Kosten kam.«–»Aber begreift Ihr denn nicht,« rief Oisille erregt, »daß dieser freche Kerl ganz nach Belieben den Sinn seiner Worte verdrehte, als ob er mit seinesgleichen zu tun hätte, und also schamlos die armen Weiblein aufforderte, bei ihm zu lernen, wie man sich an ungekochtem Fleisch zur Nachtzeit gütlich tun könne?« – »Ihr vergeßt,« entgegnete Simontault, »daß er jene jungen Frauen vor sich sah, in deren … Kochtopf er gerne seine … Nase–nicht wahr?–gesteckt hätte, um ihnen zu zeigen, wie gut blutwarmes, schier zuckendes Fleisch schmeckt.«–»Genug! Genug!« rief Parlamente dazwischen, »vergeßt Euch nicht … Wo bleibt denn Eure sonstige Zurückhaltung?«–»Verzeiht, dieser schamlose Mönch brachte mich auf Abwege. Damit wir nun nicht weiter darein verfallen, mag Nomerfide, die an allem schuld ist, einem andern das Wort erteilen, der uns unsere Fehler vergessen lassen mag.«–»Das ist nicht schön von Euch,« sprach diese, »daß Ihr mir Eure Schuld mit aufladen wollt. So mag denn Dagoucin das Wort haben, der unser Unrecht wieder gutmachen wird. Denn er wird um’s Leben nicht etwas Unpassendes sagen.«

Dagoucin dankte ihr für ihre gute Meinung und hub also an: »Die Geschichte, die ich euch erzählen will, soll euch zeigen, wie die Liebe selbst die hochgemutetsten Herzen verblenden kann und wie sich eine Bosheit selbst durch Wohltaten nicht wieder gutmachen läßt.«

Einleitende Betrachtungen

Wenn man ein Werk, das mehr als dreieinhalb Jahrhunderte alt ist, in ungeminderter Jugendfrische vor sich sieht, so mag einen wohl der Gedanke beschleichen, welchen Vorzügen es am letzten Ende seine Lebenskraft verdankt. Wir leben in einer Zeit, die uns jährlich mit Bergen von Büchern und anderen Kunsterzeugnissen beschenkt, deren größter Teil in unglaublicher Eile lautlos, sang- und klanglos in den Orkus verschwindet oder sich höchstens nach einiger Zeit noch als Einschlagpapier bemerkbar macht. Wir sehen Tagesgrößen auftauchen, sehen sie vergehen ohne mit der Wimper zu zucken. Wir sind voll Zweifelsucht, wenn wir jemanden ›unsterblich‹ nennen hören. Ja wir spotten über die ›Unsterblichkeit‹, die einem Spaßvogel zufolge ›selten länger als vier Jahre dauert und von vielen Besitzern dieses Titels gar oft überlebt wird‹.

Wir leben uns in die Vorstellung hinein, daß unsere Zeit so ›schnellebig‹ ist, daß sie die solidesten Größen über den Haufen – lebt, und wir lassen uns mit großer Selbstzufriedenheit beweisen, daß vor dem Glanze unseres Jahrhunderts, unserer unvergleichlichen Fortschritte und Errungenschaften auch der widerstandsfähigste Ruhm vergangener Zeiten verblaßt, um neuen Erscheinungen Platz zu machen.

Alles das sind billige Trostesworte, die unsere unproduktive Gegenwart über ihre Unfähigkeit täuschen sollen, Scheingründe, die gleichermaßen erlauben, die tägliche Mittelware der Jetztzeit als Non plus Ultra, als geniale Taten, als Schöpfungen aus Meisterhand zu preisen und demgegenüber doch ihre schnelle Vergänglichkeit zu begründen. Und was man sich von seinem Schneider nicht gefallen läßt, das läßt man sich von den Literaturhandwerkern mit Schmunzeln bieten: der fadenscheinige Rock wird durch empfehlende Worte in das unzerreißbare Prachtgewand umgedeutet, sein Zerfall ist der übermäßigen Abnutzung zuzuschreiben.

Wie schade, daß der ruhige Beurteiler auf Schritt und Tritt darüber belehrt wird, wie viele gute alte Sachen heute noch, nach manchem Dezennium unserer ›schnell-lebigen‹ Zeit, wie neu aussehen und die Bewunderung – nicht einiger weniger Liebhaber von verstaubten Antiquitäten – vielmehr eines großen Kreises ernstdenkender Menschen auslöst. Die Herren des Tageserfolges blicken mit innerem Neid, über den sie nur einige Dutzend wohlreklamierter Auflagen mühsam hinwegtäuschen, auf die Cervantes, Boccaccio, Dante, Goethe, Dickens und wie sie noch alle heißen, die bis heute ihren Wert nicht verloren haben und trotz aller ›Konkurrenz‹ ihren festen Platz behaupten.

Unter den Unvergänglichen vergangener Zeiten findet sich auch die Königin von Navarra mit ihrem ›Heptameron‹, den zweiundsiebzig Erzählungen, die – oberflächlich betrachtet – doch unserer Denk- und Anschauungsweise so himmelweit fernliegen. Gleich Boccaccios ›Dekameron‹ werden diese Erzählungen – Gott behüte! – nicht in der Schule gelesen: darauf sollen jene aufmerksam gemacht werden, die zwischen unvergängllchem Ruhme und Schulunterricht einen bequemen Zusammenhang bilden wollen, um solch lästige Erscheinungen leichtlich zu erklären! Ich glaube fast versichern zu können, daß beide Werke in der Schule sogar nicht einmal erwähnt werden! Und doch ist die Zahl ihrer Bewunderer Legion, doch werden beide in allen Sprachen der Welt unermüdlich gelesen.

Wenden wir uns zunächst der Person jener königlichen Verfasserin zu. Margarete von Valois wurde am elften April Vierzehnhundertzweiundneunzlg geboren. Sie war die Schwester des französischen Königs Franz, ›seines Namens der erste‹, und ging zwei Ehen ein: die erste mit dem letzten Herzog von Alençon, die zweite mit dem König von Navarra, Heinrich d’Albret. Sie sei nicht verwechselt mit den beiden Sprossen gleichen Namens und gleichen Hauses: die zweite Margarete des Hauses Valois nämlich, bekannter unter dem abgekürzten Schmeichelnamen Margot, war Franz‘ des Ersten Tochter, nachmals Herzogin von Savoyen. Die dritte endlich war Margarete, die Schwester der Könige Karls des Neunten und Heinrichs des Dritten; diese wurde bekannt als letzte ihres Stammes, denn mit ihr ging die Krone Frankreichs auf die Bourbonen über: sie war die erste Gemahlin Heinrichs von Bourbon, auch eines Königs von Navarra, desselben, der als Heinrich der Vierte seinen protestantischen Glauben opferte, weil ›Paris wohl eine Messe wert war‹. Diese Margarete ist besonders abzutrennen, denn auch sie hat sich schriftstellerisch betätigt: sie hat Memoiren hinterlassen.

Auch das ›Heptameron‹ bildet eine Art Memoiren der ersten Margarete ihres Namens. Allerdings liegen die bewegten Kämpfe jener Zeit, die Frankreichs Schicksale ununterbrochen erschütterten, weit im Hintergrunde ihrer Erzählungen. Nur hier und da schimmert ein zeitgeschichtliches Moment durch und gibt dem Leser diesen oder jenen Anhaltspunkt. Aber am letzten Ende ahnen wir wenig von den großen politischen und sozialen Verschiebungen jener Epoche. Mehr schon von den religiösen und wissenschaftlichen, die ihrem Werke fast unabsichtlich eine eigenartige Färbung verleihen.

In den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts fällt der Anbeginn der Renaissance. Die Klassiker des Altertums tauchen aus der Versenkung auf, in die sie der Untergang des römischen Reiches und dessen Folgeerscheinungen, in die sie auch das erstarkende und sich ausbreitende Christentum verstoßen hatte. Das umfaßte nun bereits den größten Teil Europas und hatte gar mit dem neuen Glaubensfeinde, dem Islam, männiglich die Waffen gekreuzt. Nun sollte es den inneren Feind bekämpfen, die Reformation.

Der Geschichtskenner weiß, wie dieser mit der Renaissance die Wege geebnet wurden. Die Wissenschaft vergangener Jahrhunderte, die auf die etwas stagnierenden christlichen Anschauungen wirkte wie der Hecht im Karpfenteich, erregte die Gemüter, weckte neue Interessen, neue Anschauungen, jähen Wissensdurst; der geistige Horizont wurde plötzlich unermeßlich weit, und an den Lehren des Tages wetzte und schärfte sich das Urteil. Die Buchdruckerkunst erschien darum begreiflicherweise den Herrn Mönchen als eine Erfindung des Teufels, der seit einiger Zeit bereits zu großer Berühmtheit gelangt war. Sein Inventar bestand schon nicht mehr bloß in Schwanz, Hörnern und Pferdefuß, und in seinem irdischen Gefolge befand sich eine ganze Armee von Hexen und Schwarzkünstlern, die ob angeblicher Teufelskünste die verschiedensten Vergehen und Krankheiten mit dem Feuertode, im Vorzugsfalle mit ›milderen‹ Todesstrafen büßen mußten.

Derweile beschäftigten sich die gebildeten Adelskreise, mit einigen Kirchengrößen zusammen, eifriger wissenschaftlicher Studien und wirkten zugleich fördernd auf die geistige Bewegung ein. So die Königin von Navarra. Nicht nur beherrschte sie selbst eine Reihe von Sprachen – Italienisch, Spanisch, Lateinisch, Griechisch und sogar Hebräisch –, nicht nur umgab sie sich mit Dichtern und Schriftstellern, die sich in der nun erst gefestigten französischen Sprache mit Behagen ergingen: sie begeisterte sich auch für die Wissenschaften, drängte mit Budé, dem Bibliothekar, und Duchâtel, dem königlichen Vorleser, ihren Bruder Franz den Ersten zur Gründung des Collège de France und umgab sich in ihrem Hofe zu Pau und Nérac mit ernsten Gelehrten, die in dem ungebundenen, lebensfrohen Treiben der Edelleute und Edelfrauen den sittlichen Untergrund bilden, über dem sich das lockere weltliche Treiben des Hoflebens abspielt.

Gleich ihrem fast abgöttisch von ihr bewunderten Bruder dichtete auch sie. Das mag den Leser nicht beunruhigen. Es war nur eine Vorstufe zu dem Entschlusse, einen französischen ›Dekameron‹ dem italienischen des allbewunderten Boccaccio zur Seite zu stellen. Der Plan hierzu entstand erst mit reiferem Alter in ihr, und zu ihrer Zerstreuung sammelte sie allmählich, zumeist auf der Reise, diese ihre Memoiren von merkwürdigen Ereignissen ihrer Zeit. Der Tod nahm ihr die Feder aus der Hand: als sie am einundzwanzigsten Dezember Fünfzehnhundertneunundvierzig starb, waren erst zweiundsiebzig Erzählungen beendet und so aus dem ›Dekameron‹ (den Erzählungen von zehn Tagen) ein ›Heptameron‹ (Zyklus von sieben Tagen) geworden. Mancher wird mit Bedauern die Schlußzeilen lesen: ›Hier enden die Erzählungen der seligen Königin von Navarra, soweit man solche auffinden konnte.‹ Das ›Heptameron‹ ist ein Meisterwerk, das sich würdig dem ›Dekameron‹ zur Seite stellen läßt, ›obgleich‹ der Verfasser des letzteren ein zünftiger Dichter, die Verfasserin des anderen eine dilettierende Königin war. Sie war sicher eine Poetin von ganzer Seele, das kann man aus so manchem Beispiel herauslesen, selbst aus den rührenden Briefen, die sie an ihren geliebten Bruder geschrieben hat, als er Fünfzehnhundertfünfundzwanzig die unglückliche Schlacht bei Pavia erleben mußte und in Gefangenschaft geriet.

Und sie war noch mehr! Erasmus von Rotterdamm, einer jener Gelehrten, mit denen sie im Briefwechsel stand, schrieb einmal an sie: ›Seit langem schon schätze und bewundere ich an Euch die seltenen Gaben, damit Gott Euch begnadet hat, Eure Klugheit, die eines Philosophen würdig wäre, Eure Keuschheit, Mäßigung, Barmherzigkeit, Seelenstärke und jene nachahmenswerte Nichtachtung alles Vergänglichen.‹ Wer weiß, was Erasmus von Rotterdamm war, braucht nicht zu befürchten, daß sich hinter solchem Lobe leere höfische Schmeichelei birgt. Erasmus war gleich vielen seiner Zeit nicht auf den Mund gefallen, und zwischen solchen Lobsprüchen und den damals üblichen – sagen wir höflich Polemiken gab es einen weiten Raum, darinnen er leicht auch schlichtere Worte finden konnte.

Aber sie war eine lachende Philosophin. Keine galante Frau, wie sie deren so viel schildert und, wie es nachmals ihre Namensvetterin, die dritte Margarete ihres Namens, gewesen sein dürfte. Alle Biographen der königlichen Dichterin sind darin einig. So fällt auch der Verdacht fort, daß sie etwa eigene Liebesabenteuer und Jugendsünden in ihre Geschichten verwoben habe. Aber nichtsdestoweniger sind die Geschichten auf wahrem Untergrunde aufgebaut, der sich in vielen Fällen nachweisen läßt. Nach der siebzigsten Erzählung fällt sie sogar so weit aus der Rolle, daß sie den Namen der Heldin in der anschließenden Besprechung nennt. Manche lassen sich selbst aus dem Zusammenhang erraten. Der Leser mag sich daraufhin zum Beispiel einmal die fünfundzwanzigste Erzählung betrachten. Jedenfalls ist die Absicht der Verfasserin, was ihr bei dem Werke vorschwebte, ganz unzweifelhaft in jener Stelle des Vorwortes (eine etwas unglückliche beziehungsweise heute mißverständliche Bezeichnung) angegeben, die da sagt:

›(Bezüglich des ›Dekameron‹) hörte ich jene hohen Frauen (die Gemahlin des Königs Franz und die Prinzessin Margarete – also sie selbst) mit andern Hofleuten darüber beratschlagen, wie man gleiches zustandebringen könne, in einem nur von Boccaccio verschieden: jegliche dieser Novellen sollte ausschließlich wahre Vorfälle behandeln … Sie entschlossen sich, jedweder solle zehn Geschichten schreiben, und zudem wolle man – unter Ausschluß aller, die den Wissenschaften und der Schriftstellerei oblägen – die fähigsten Erzähler wählen, bis sie insgesamt zehn an der Zahl waren. Denn der Herr Dauphin wollte keinesfalls, daß Kunstinteressen sich einmischten und die schöne Phrase irgendwie die geschichtliche Wahrheit beeinflusse. Seitdem … geriet jenes Vorhaben in Vergessenheit, wir aber können es wohl durchführen … So wollen wir … Geschichten erzählen, die wir entweder selbst erlebt oder von vertrauenswürdiger Seite gehört haben.‹

Schon damit kann kein Zweifel obwalten, daß alle beschriebenen Vorfälle der Wahrheit entsprechen, und manches, das uns heutzutage unglaublich oder doch zum mindesten sehr merkwürdig erscheint – als zum Beispiel einige jähe Todesfälle aus Scham oder getäuschter Liebe –, wird in ungenügender Beobachtung der tiefsten Ursachen oder in einigen anderen Momenten ihre Erklärung finden müssen, auf die weiter unten eingegangen werden soll.

Hervorstechend ist der Zug von Fröhlichkeit, der die meisten Erzählungen durchdringt und seine Erklärung in der lustigen Lebhaftigkeit der Verfasserin findet. Übrigens war ja das Hofleben der damaligen Zeit überhaupt ein eigenartiges Gemisch von Sentimentalität und ausgelassener Fröhlichkeit, und selbst die ernsten Ereignisse, Kriege und Waffentaten, bekommen dadurch eine Färbung, die uns beim Lesen jener Geschehnisse zumeist entgeht. Uns erscheint jene Zeit gewöhnlich blutrünstiger, rauher, als sie eigentlich war. Der – verklärende Schimmer, der darüber lag und sie uns vielleicht menschlich näher brächte, ist in den Folianten verloren gegangen und vom Staube verdeckt worden. Deshalb müssen wir denen besonderen Dank wissen, die es, wie die Königin von Navarra, verstanden haben, uns auch diese Seite vergangener Lebensart zum Bewußtsein zu bringen. Jene Menschen waren wahrscheinlich viel mehr ›Menschen‹ als wir es sind, die als Erziehungsprodukte und lebende Maschinen unter unsern leblosen Geschwistern umherhasten. Wer sich das so recht klarmachen würde, dürfte wohl leicht auf modernen Luxus verzichten wollen und gar die Schrecken jener Zeit mit in den Kauf nehmen, die im Untergrunde drohen – nicht aus blindem romantischen Drange, sondern aus der begreiflichen Sehnsucht nach ›Menschwerdung‹!

Diese Leute vergangener Zeit bestanden nicht nur äußerlich aus Fleisch und Blut. Sie erbebten unter den Leidenschaften, die wir stolz mit Füßen treten, bis sie just am falschen Fleck wieder auftauchen (wie sagt doch Horaz: naturam expellas furca, tamen semper recurrit!) und uns noch unglücklicher machen. Darum steht, ehrlicher als in den tränendrüsenkitzelnden Werken unserer süßlichen Barden, die Liebe im Mittelpunkte dieser Erzählungen. Und neben diesem Hauptthema die Gegenstimme: die Geistlichkeit, insonderheit die Mönche, die auf der einen Seite das offizielle Liebesband knüpfen, auf der andern es selbst zu sprengen und zu beschmutzen suchen; die auf der einen Seite alle Fleischeslust abgeschworen haben und auf der andern ihr in grotesker oder abstoßender Form huldigen und zum Opfer fallen.

Auf diese Herren hat es die Königin besonders abgesehen. Unermüdlich bringt sie neue Beispiele ihrer Fehltritte, häuft die kitzlichsten Aussprüche neben die – peinlichsten Situationen und stellt mit ihren wahrhaftigen Berichten schier die Phantasie des Dichters Boccaccio in den Schatten. Ein tiefinnerer Grund dafür mag ihre Neigung zur Reformation gewesen sein. Brantôme, der Verfasser der ›galanten Frauen‹ und ›berühmten Frauen‹, sagt geradewegs von ihr: ›Sie galt für eine Anhängerin Luthers; zwar hat sie sich niemals offen dazu bekannt – aber wenn sie tatsächlich der Reformation geneigt war und es nur verborgen hielt, so geschah dies um Franz‘ des Ersten willen, der jener Bewegung abhold war.‹

Man braucht nur die zweiundzwanzigste Erzählung zu lesen, um zu begreifen, wieviel Grund zu dieser Annahme vorliegt: Ein Prior, der im original direkt ›reformateur‹ genannt wird, genießt, offenbar deshalb, Margaretens besondere Gunst. Als er in höherem Alter sein Amt schändet, ist sie tief verwirrt – denn offenbar hat sie große Hoffnungen auf ihn gesetzt –, und nachdem sein Opfer, die Nonne, als Entgelt für ihre Leiden Äbtissin geworden ist, betont die Königin ausdrücklich auch von ihr, daß sie viele Verbesserungen einführte.

Wir verstehen heute sehr gut, daß der Blick, den die beginnende Renaissance für solche Krebsschäden des Gemeinwohles zu schärfen begann, mit Unlust auf einer Institution ruhte, die nicht zum wenigsten durch ihre Übergriffe und Verworfenheit der Reformation die Wege ebnete. Die Sittenlosigkeit der Geistlichkeit war so schlimm, daß nicht nur eine Königin von Navarra, die sich für Luthers Lehre interessierte, daran ihren Spott übte. Die ganze damalige Literatur begann sich bereits auf dieses Thema zu werfen, wie vor noch nicht zu langer Zeit unsere Witzblätter die böse Schwiegermutter mitnahmen. Die Werke der späteren Dichter, besonders jene Gedichte, die unter dem unauffälligen Namen ›Contes‹, bisweilen auch ›Nouvelles‹ segeln, sind voll davon. Aber sie schlagen schon oft übers Ziel. Der Witz, den man in Damengesellschaft nicht erzählen darf, wird den braven Mönchen aufgebürdet, und bald ersetzt das gut Erfundene die wahrhaften Vorfälle, soweit nicht bekannte Themen in verschiedenen Varianten wiederholt werden. In letzterem Falle dient oft genug das ›Heptameron‹ als willkommene Fundgrube. Dieses aber wie auch jene Gedichterzählungen sind eine unerschöpfliche Quelle für Kulturstudien, wenn sie gut gesichtet und richtig ausgewählt werden.

Wir sehen, wie man gegen die heilige Institution der Ehe schon damals Sturm zu laufen begann. Naive Seelen oder solche, die so scheinen wollen, behaupten heute, die Ehe habe sich für uns fortgeschrittene Menschen überlebt und bedürfe dringend einer Reform, sofern sie nicht überhaupt ganz zum alten Eisen geworfen würde. Wieviel bescheidener und – urteilsfähiger würden doch solche Streiter für den neuen Glauben sein, wenn sie etwas unter den Dokumenten vergangener Zeiten Bescheid wüßten. Es hat schon mehr Epochen gegeben, in denen die Mängel oder Schattenseiten dieser Institution zutage traten. Aber man war so klug, die Menschen und nicht ihre Einrichtung dafür zu tadeln. Wenn eine bewährte Sache plötzlich an allen Ecken und Enden versagt, so ist es noch sehr fraglich, ob man ihr die Schuld geben soll.

Die Königin von Navarra ist darin hellsichtiger und gerechter. Sie läßt die Spötter zu Worte kommen, aber sie gibt auch den Verteidigern Gelegenheit, ihre wohlbegründete Ansicht zu sagen, und eine unparteiische Persönlichkeit versucht dann, das Richtige zu präzisieren. So hält sie es auch mit den Mönchen. Nur ist ihr Urteil in diesem Falle zu sehr unter dem Eindruck der unerträglichen Mängel. Immerhin läßt sie, gleich vielen Zeitgenossen und Nachfolgern, den moralischen Unterschied verschiedener Orden deutlich genug hervortreten. Die Franziskanermönche scheinen sich schon damals eines besonders schlechten Rufes erfreut zu haben: das ›Heptameron‹ schiebt ihnen alle üblen Streiche in die – Sandalen, und nur in einem Falle geht es auch den Benediktinern an die Kehle, aber da läßt die Verfasserin bereits verstehen, daß es sich um einen besonderen Fall handelt. Allzu herrlich scheint es ja in den andern Orden auch nicht hergegangen zu sein. Dafür dienen die verschiedenen poetischen und sonstigen Belege zum Beweis, die andern Orts zusammengestellt wurden. Daß aber die Franziskaner bezüglich schlechten Rufes auch in späterer Zeit den Vogel abschossen, dafür zeugt vor allem ein niedliches Gedicht des Abbé Bretin, das dem Leser hier nicht vorenthalten werden soll1:

Die Gärtnerin.

Einst wandelt Barbara, die schöne Gärtnerin,
Dürrzweige sammelnd auf dem Weg dahin.
Beim Bücken hebt ein tück’scher Ast
Den Rock ihr auf, und in der Hast
Bemerkt sie nicht, daß der am Tragkorb hängen bleibt.

Dieweil so bös‘ Geschick ihr seine Possen treibt,
Gehn auch zwei Kapuziner ohne Arg
Selbander dieses Wegs. Da sieht von ohngefähr
Des Jüngern Aug‘ – als ob’s ein Trugbild wär‘ –
Manch schönes Rund, das sonst der Rock verbarg.
Zum andern spricht er drauf: »Daß Euer Ehrwürden verzeih‘:
Wer hätte je geglaubt, daß eine Magd so schamlos sei.«
– »Ich seh‘, ich seh‘! Dein Auge mußt du senken.«
– »Doch einen Ausweg sollte man bedenken!«

Und heil’ger Eifer treibt den Jüngling an –
Dies fremde Bild tät frommen Sinn erschrecken. –
Nicht wußt er schier, was er begann:
Er eilt zu Barbara, die Blöße zu bedecken.

Bewegten Herzens tritt er ihr zur Seiten
Und löst den Rock und läßt ihn niedergleiten.
»O Schwester« spricht er, »nicht will ich Euch schelten. Nein –
Doch müßt‘ solch holde Pracht stets wohl verborgen sein!«
Und sie entgegnet: »Dank sei Euch vielmehr.
Ihr tatet Eurem heil’gen Stand‘ all Ehr!«

Da sieht sie fernher einen Franziskaner schreiten
Und reckt den Arm, erblaßt, weil sie erschrickt,
Und ruft: »Wie kamt Ihr doch bei Zeiten –
Verloren wär‘ ich, hätt‘ mich der zuerst erblickt!«

(1797.)

Eine Erklärung ist wohl überflüssig – jedenfalls aber zugleich der Beweis erbracht, welch wertvolle Kulturdokumente fast unverwertet in den Archiven schlummern. Die Werke Bretins, Grécourts und so weiter werden als unsittlich und was weiß ich noch alles der Öffentlichkeit vorenthalten, und darum ist ein Schöpfen aus diesen Quellen dem armen Wahrheitssucher recht schwer gemacht. Glücklicherweise ist dies Schicksal den deutschen ›Heptameron‹-Ausgaben nur kurze Zeit beschieden gewesen. Das Reichsgericht hat eingesehen, daß ein solches Werk nicht so einfach vom Standpunkt der Moral beurteilt werden kann, maßen es kulturelle Gesichtspunkte behandelt und ›ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild der Sittenzustände jener Zeit‹ wiedergibt und seine Spitze ›gegen die damals unter den Adligen und Geistlichen herrschende Sittenlosigkeit richtet, die satyrisch gegeißelt werden soll‹. (Damals ist übrigens nicht so übel!) Damit ist der doppelte Wert dieses Werkes genügend gekennzeichnet. In Erzählungen, deren Inhalt und Wahl für den poetischen Scharfblick der Verfasserin zeugt, und neben ihnen (in den zur Rahmenerzählung gehörigen Diskussionen) enthüllt sich ein Sittengemälde, das uns gern auf lederne Geschichtswerke verzichten läßt. Man sollte überhaupt viel mehr Wert darauf legen, in dieser Form das wissensdurstige Publikum mit den Sitten und Anschauungen vergangener Zeiten bekannt zu machen. Daß es einige erlesene Mitbürger gibt, die darin nur das Anstößige suchen, meistens recht wenig dabei auf ihre Kosten kommen und sich um das wahrhaft Interessante selbst betrügen, kann daran nicht hindern. Es soll alte Herren geben, die für ähnliche Zwecke Balletts besuchen – jeder macht es eben, wie er kann.

Von obigen Gesichtspunkten geleitet hat der Herausgeber der Rahmenerzählung eine nicht mindere Sorgfalt angedeihen lassen. Hier soll nicht verschwiegen werden, daß jeder Herausgeber, und der Übersetzer im besonderen, nicht ganz objektiv im Urteil über das vorgelegte Werk ist. Man sollte das ohne falsche Scham eingestehen. Der Übersetzer zumal ist ein Stück Autor, und autorenhafte Eitelkeit blendet ihm ebensosehr den Blick, als habe er das ganze Werk selbst geschrieben. Addiere man hierzu noch den Umstand, daß alles, womit sich jemand sehr eingehend beschäftigt, dem Betreffenden so familiär wird, daß er die Schwächen zu übersehen beginnt und auch am Unscheinbaren Reize entdeckt, so ist es begreiflich, daß des Lesers Urteil sich oft nicht mit dem des Herausgebers deckt, und deshalb sollte dieser mit seinen Ansichten recht vorsichtig umgehen.

Das kann uns nicht hindern, auf einige Gesichtspunkte hinzuweisen, die dem Leser bei oberflächlicher Durchsicht wahrscheinlich entgehen werden und deren Erkenntnis schon eine etwas liebevolle Beschäftigung mit dem Buch verlangt. Das sind die Ansichten und Bemerkungen, die in den (zur Rahmenerzählung gehörigen) Diskussionen über die gehörten Erzählungen auftauchen. Der mit weitergehenden Interessen ausgestattete Leser wird vielleicht mit Überraschung entdecken, daß zum Beispiel nach der sechsunddreißigsten Erzählung von ›Affekthandlungen‹ gesprochen wird und über diese Frage, bei der unsere Vorkämpfer des Fortschrittes – mit besonders verächtlichem Blicke auf das geistesdunkle Mittelalter – stolz auf die heutigen Errungenschaften verweisen, ganz moderne Ansichten äußern und zitieren. Derartige Überraschungen können hier natürlich nicht samt und sonders aufgezählt werden, und denen, die an so etwas Freude finden, wird dieser Hinweis genügen.

Aber auch die Psychologie kommt nicht zu kurz: wie scharfsinnig (und wohlbelesen) läßt die Verfasserin so manchen psychologischen Vorgang auf seinen wahren Kern hin prüfen und verurteilen, wie witzig fertigt sie das trügende äußere Gebaren, die pharisäerhafte Selbstzufriedenheit und rein äußerliche Tugendhaftigkeit ab. Solche Laster sind heute ja keineswegs ausgestorben, stehen vielmehr in schönster Blüte. Und wozu der moderne Romancier ein dickes Buch braucht, um mit sogenannter psychologischer Sonde die Mängel und Schwächen bloßzulegen, da begnügt sich Margarete von Navarra mit wenigen Zeilen – aber die tun auch ihre Schuldigkeit. Daß sie zwischendurch auch einmal danebenhaut, mag ihr darob verziehen werden. Das passiert in den besten Familien, und auch die damalige Zeit litt an falschen Vorstellungen, die zwar andere sein mögen als heute, aber sehr wohl danebengestellt werden können. Daß die Königin auch in Fragen objektiv zu bleiben bemüht ist, die ihre eigne Abkunft berühren, beweist etwa jener Streit über Standesunterschiede, der sich der vierzigsten Erzählung anschließt.

Im übrigen stecken natürlich auch die Erzählungen selbst voll Kulturdokumenten. Für die liebe Reinlichkeit, die damals herrschte, mag jener Edelmann ein Beispiel sein, der im Besuche des Abtritts (ich bitte ergebenst um Entschuldigung ob dieses Details) keinen absonderlichen Grund findet, seine Hände zu waschen. (Vielleicht ist dieser mein Hinweis von sehr subjektiven Anschauungen geleitet: es soll Menschen in unserer kulturreichen, hygienischen Zeit geben, die …) Man findet diesen feinen Zug in der siebenunddreißigften Erzählung. – Die Mägde erfreuen sich oft des Titels Kammerfrauen, Kammerzofen und ähnliches. Unsere Stubenmädchen heißen so, weil sie die Stuben reinigen. Jene haben ihre Beinamen, weil sie mit in der Stube der Herrschaft schlafen. Was damals alles in einer Stube, ja, in einem Bette zusammenschlief, mag manchem schwer in den Kopf hinein wollen:

Die Größe besonders der herrschaftlichen Betten gestattete oft bis zu fünf (!) Personen bequem darin Platz zu finden. Die siebenundvierzigste Erzählung gibt unter anderem dafür ein interessantes Beispiel. Noch heute können ja Reisende in südlichen Ländern – sofern sie aus Neugier oder anderen Gründen auf die Hotels mit dem Schema F verzichten – derlei Betten, wenn auch nicht gerade für fünf Menschen, kennen lernen. Und wenn man heute noch im modernen Italien Familien findet (anderorts übrigens auch), die nicht nur ihre zahlreichen Angehörigen, sondern gar Schweine und Hühner in einer Schlafstube vereinigen, dann wird das Mittelalter uns doch nicht so ganz fern erscheinen. Die liebe Sitte, mit Hunden, Katzen und Kanarienvögeln in einem Zimmer zu schlafen, findet sich ja sogar heute noch in allerbesten Kreisen.

So wird das Bemühen, das Mittelalter unserm Vorstellungskreise menschlich näherzurücken, gar nicht so schwer. Man sollte nur die Augen mehr aufsperren und nicht die Unterschiede – eventuell unter Zuhilfenahme von etwas Ignoranz oder Fälschung – allzu krampfhaft betonen. Bleibt uns vor allem nur das Hexenwesen und die Zauberei, wovon ja auch im ›Heptameron‹ einiges zu finden ist. Dies unerschöpfliche Thema soll hier nur mit einem Beispiele gestreift werden: denn erstens gibt es Menschen, denen die Haare zu Berge stehen, wenn man darüber überhaupt nur ein ernstes Wort redet, und dann ist hier wirklich nicht genügend Platz dazu. Die Unbelehrbaren mögen also gleich ein paar Seiten weiter blättern. Die Vernünftigen seien auf die allererste Geschichte aufmerksam gemacht.

›Ein Mann‹, heißt es da, ›fabriziert mit einem Schwarzkünstler Holzpuppen, die später in Wachs ausgeführt werden sollen. Zwei derselben haben die Arme erhoben, bei drei anderen hängen sie herab. Diese Figuren müssen unter den Altar gestellt werden und dort muß ihnen eine Messe mit gewissen Worten gelesen werden. Sie stellen bestimmte Personen dar, von denen die mit gesenkten Armen dem Tode überliefert werden sollen (das heißt ihre Urbilder), von denen mit erhobenen Armen will man Gunst und Geneigtheit erzwingen.‹

Nachdem der Leser diesen anscheinenden Unsinn genügend belächelt hat, schilt er des weiteren über die Torheit des Mittelalters, das es fertig bekommt, die beiden zum Tode zu verurteilen, die sich mit so kindlichen Spielereien abgegeben haben. Gebe der Himmel, es wären wirklich nur so kindliche Torheiten gewesen. Man muß sich leider eines anderen belehren lassen.

Die ›Kunst‹, mit Wachsbildnissen Schaden zu stiften, ist uralt. Ein ganzer geschichtlicher Überblick würde allein den Umfang des gesamten ›Heptameron‹ weit übertreffen. Daher sollen hier zunächst nur wenige Andeutungen gegeben werden.

Ovid singt in den Heroiden:

›Devovet absentes simulacraque cerea figit,
Et miserum tenues in jecur urget acus.‹

(Zu deutsch: Er behext Abwesende; er stellt Wachsbildnisse her und sticht mit feinen Nadeln in die Leber der Unglücklichen. Ep. 6. Hyps. 91/92.)

Horaz in den Satiren:

›Lanea et effigies erat, altera cerea: maior
Lanea, quae poenis compesceret inferiorem;
Cerea suppliciter stabat, servilibus utque
Iam peritura modis.‹

(Zu deutsch: Es gab eine Puppe aus Wolle, eine andere aus Wachs; die größere, aus Wolle, schien die kleinere züchtigen zu sollen; die aus Wachs war in flehender Stellung, gleich als ob sie bereit sei, elendiglich zu sterben. Lib. 1. Sat. 8, V. 29 – 33.)

In diesen zwei Zitaten sind schon mehr Einzelheiten gegeben als im ,Heptameron‘: man erfahrt bei den Versen Ovids, daß man die lästigen Mitmenschen durch Nadelstiche in die Grube beförderte, bei Horaz, daß nicht immer Wachs verwendet wurde, daß dieses sich aber für Ermordungszwecke besonders eignet. Machen wir, da wesentliche Einzelheiten noch fehlen, einen Sprung in das gesegnete Mittelalter.

Anno Dreizehnhundertdreiunddreißig-vierunddreißig fand ein großer Prozeß gegen Robert d’Artois statt, der beschuldigt war, gegen die Frau und den Sohn von Philipp dem Sechsten solches Verbrechen vorbereitet zu haben. In den Akten, die sich im Trésor des Chartes finden, entdeckte man sehr witzige Einzelheiten, die hier, gleich übersetzt, auszugsweise wiedergegeben werden sollen. Der liebe Robert wollte sich einen Mönch kaufen, welcher ihm die beiden Bildnisse taufen sollte. Der Mönch hatte dafür keine Sympathie und seine Aussage kostete nicht zum wenigsten dem angehenden Hexenmeister die letzten Jahre seines irdischen Aufenthaltes. Hier einiges aus den Mitteilungen des Mönches Heinrich:

›(Robert erzählte ihm, daß er von Freunden einen volt oder voust zugeschickt bekommen habe.) Bruder Heinrich fragte ihn: „Was nennet Ihr also?“ – „Das ist ein Bildnis,“ entgegnete Robert, „so aus Wachs besteht und solches man taufet, auf daß man jene zu Tode bringet, welche man will.“ – „Hier nennet man selbige nicht voust,“ sagte der Mönch, „man heißet sie manies.“

(Der Mönch ist für seinen Beruf ziemlich gut orientiert. Diese manies bestanden aber zumeist aus Teig. Ihr Name ist wohl eine Entstellung des Wortes Mumie, etwa heute Unterbewußtsein. Volt und voust sind die Wortstämme, aus denen das französische envouter (behexen! entstand.)

›… Alsdann öffnete Robert einen Schrein, daraus er ein Bildnis nahm mit einem kreppbedeckten Hute, welches Bildnis einem jungen Manne wahrhaftiglich gleich sah, und wohl ein und einen halben Fuß der Länge nach maß … und unter dem Hute schauten Haare hervor …‹

Weitere Einzelheiten aus einem Prozeß von dreizehnhundertsiebenundvierzig: Der Beklagte (Pepin) gibt an:

›… Mit Wachs, etwa zween Pfund, machte er ein Bildnis mit eigner Hand und stellete es in warmem Wasser her und sprach dabei die nötigen Worte … Er erklärte, nur er allein könne verhindern, daß die Person (die dargestellt war) stürbe, wenn ein anderer das Bild verletze …‹

Ein anderer gesteht in einem ähnlichen Prozeß: ›Er wollte die gefundenen Wachsbildnisse allmählich bei fünfzehn verschiedenen Graden zerschmelzen lassen, also daß die Personen an Entkräftung unter Qualen zugrunde gingen … er wollte diese Qual auf sechs Monate ausdehnen …‹

Alle obigen Schandtaten kamen nicht zur Ausführung. Fassen wir, bevor wir die Möglichkeit des Erfolges nach dem Stande modernen Wissens erwägen, den genauen Hergang zusammen: Man verfertigte Wachsbilder, denen man eine möglichste Lebensähnlichkeit gab, das heißt, man versah sie mit Haaren, oft auch Nägeln, Kleidern und so weiter. Man schrieb auf ihre Brust oder Stirn den Namen des Opfers und taufte sie mit Weihwasser, zumeist unter bestimmten Formeln, möglichst in der Kirche. Häufig knetete man in den Teig noch Dinge, die zum Körper des Opfers gehört hatten, zum Beispiel Nägel, Haare, Blut und so weiter oder fügte den Kleidern benutzte Stoffetzen bei. Die Einzelheiten, ›wann‹ solche Prozeduren vorgenommen wurden, gehören nicht hierher. Dann fügte man den Bildnissen je nach Wunsch die verschiedensten Schäden zu (in manchen Fällen umgekehrt wurden dieselben zur Heilung, zum Beispiel von Wunden, Brüchen und so weiter benutzt (siehe Paracelsus und andere) und der Effekt machte sich angeblich spontan bei dem Opfer bemerkbar).

Was sagt hierzu die Wissenschaft? Neben der großen Zahl derer, die einfach lächelten oder verächtlich den Rücken kehrten, befanden sich einige Gelehrte, die sich die Mühe gaben, darüber nachzudenken. Unter diesen gelang es einem eifrigen Forscher auf dem Gebiet des Hypnotismus, Albert de Rochas, festzustellen, daß in einer gewissen Phase hypnotischen Schlafes die Sensibilität des Körpers diesen verläßt und sich schichtweise außerhalb desselben lagert – sich ›exteriorisieren‹ läßt. Das erregte seine Aufmerksamkeit; er brachte vorsichtig ein Glas Wasser in eine dieser empfindlichen Schichten, und siehe da, das Wasser nahm diese offenbar irgendwie materielle, wenn auch unsichtbare Masse in sich auf und wurde selbst empfindlich, das heißt, die Berührung des Wassers wurde von den Hypnotisierten empfunden – und das nicht nur, solange dieselben schliefen, sondern auch nachdem sie erwacht waren, und zwar wenn die Berührung des Wassers in einem entfernten Zimmer vorgenommen wurde, so daß also Suggestion ausgeschlossen war.

Vom Horn zu den Hörnern ist nur ein Schritt: Albert de Rochas nahm statt Wasser – Wachs. Der Effekt wurde besser. Die Berührung einer Wachsfigur im Nebenzimmer wurde von der wachen Person gespürt, doch nur annäherungsweise. Man knetete einige Haare des Objektes hinein: die Berührungsstellen präzisierten sich. Nun wurde der Experimentator modern. Er machte eine photographische Aufnahme auf einer Platte, die man in der sensiblen Schicht ›gesättigt‹ hatte; und dann wagte er es, die Platte im Nebenzimmer an der Stelle, die eine der Hände zeigte, zu kratzen – sofort brach das wache, ahnungslose Objekt in ein Wehgeschrei aus und – horribile dictu – seine Hand wies nachher rote Male wie von Kratzwunden auf! Die Experimente wurden mit Patienten des Klinikers Doktor Luys wiederholt und Herr de Rochas durfte alsbald einigen aufgeregten Berichterstattern dankend quittieren, daß er mit dem Teufel im Bunde stehe2.

Dieser denkende Forscher war kein Wundertier, er hatte nur aus den verachteten Werken eines Paracelsus herausgelesen, daß der Wille eine große Rolle dabei spielt, und sich gesagt, daß es sich dabei irgendwie um eine Verwertung des ›Unterbewußtseins‹ handelt. Weiteres wird den Leser nicht interessieren. Daß diese Tatsachen dem großen Publikum nach Möglichkeit vorbehalten werden, ist ein wahres Glück, denn die Vergangenheit lehrt, welcher Unfug, richtiger welche Verbrechen damit begangen wurden. Und die Neuzeit lehrt ähnliches; denn Dynamit- und ähnliche Attentate wären nicht möglich, wenn die wissenschaftlichen Forschungsresultate der Allgemeinheit nicht allzu zugänglich gemacht würden. Etwas Nachdenken über dies Thema würde jene Schreier für die Popularisierung des menschlichen Wissens schnell und energisch ad absurdum führen. Aber mit dem Nachdenken ist das eben – so ’ne Sache.

Merkwürdiger ist es, daß die Vertreter der Wissenschaft vor diesem Resultat haltgemacht haben, schlimmer noch, daß sie es zumeist ignorieren. Der Leser mag überlegen, wovor sie Angst haben. Freilich, die Experimente sind gefährlich (und ich möchte jedem Leser um Gottes willen raten, seine Finger davon zu lassen!), aber so gefährlich sind sie nicht. Vielmehr gilt es, einen entscheidenden Schritt zu machen, und man mag nun überlegen, ob es ein Schritt ›vorwärts‹ ist. Denn er führt ja geradeswegs in die Anschauungen des Mittelalters! So tritt vor uns die bange Frage: führt denn also ein Schritt in die Erkenntnisse des Mittelalters vorwärts oder rückwärts? – Peinlich!!

Jedenfalls ließ sich hierdurch erweisen, daß uns von jener Zeit nicht so unübersteigbare Schranken trennen,daß vielmehr – zu hoffen ist, daß – der Abstand zwischen jetzt und damals in mancher Beziehung allmählich kleiner wird. Gerade Werke wie das ›Heptameron‹ der Königin von Navarra lehren uns, daß es damals sogar in Laienkreisen recht gebildete, kluge, scharfsichtige Menschen gab, die ganz gut wußten, was sie dachten und taten. Daß sie zu Gottes Ruhm eine Menge von Menschen töteten, die wir heute in die Nerven- oder Irrenanstalt sperren würden, daß sie eine nicht mindere Menge gar verbrannten, während wir sie heute mit Beil, Guillotine oder Strick ins Jenseits befördern! – das ist am Ende kein so trennendes Moment. Vielmehr vielleicht, daß jene Menschen, wie gesagt, mehr – Menschen waren als wir, daß sich in Fällen von Hysterie mehr katastrophale Erscheinungen bemerkbar machen (nebenbei, wie kann ein Arzt heute ernstlich glauben, wenn er zum Beispiel das ›Heptameron‹ gelesen hat, daß die Hysterie und Neurasthenie heute häufiger ist als früher!), darin liegt ein bemerkenswerter Unterschied. Aber wir glauben bei näherer Betrachtung der Weltgeschichte behaupten zu können, daß es sich damit verhält wie mit Ebbe und Flut: das Gefühlsleben der Völker schwillt an und schwillt wieder ab, und die Niveauunterschiede halten nicht an.

Daß der Gegensatz nicht allzu groß ist, beweist der Ruhm, dessen sich ein ›Dekameron‹ und ›Heptameron‹ auch heute erfreut. Selbst wer sich allen kulturgeschichtlichen Interessen fernhält, vermag sich damit manch genußreiche Stunde zu schaffen. Die scharfpointierten, oft spöttischen Bemerkungen werden auch dem ernsten Manne ein fröhliches Lächeln abnötigen, und wer sich über einige etwas sehr ›freie‹ Wendungen in den Gesprächen dieser Edelleute und Edelfrauen entrüsten möchte, mag sich bei dem Gedanken beruhigen, daß diese Dinge um dreihundertfünfzig Jahre und mehr noch zurückliegen, daß bereits wenige Dezennien später der Gesprächston ein viel gemessener wurde und die verhüllenden Feigenblätter der offiziellen Moral ihren deckenden Schutz über allzu unverhüllte Offenherzigkeiten hinbreiteten. Oder aber, er mag sich etwas über den modernen Gesprächston unserer Zeit orientieren: ich glaube, er kehrt beschämt zu den guten Alten zurück und denkt: die Wilden sind doch bessere Menschen.

Hier sei nun noch der Textbehandlung einiges gewidmet. Die Sprache des Originals ist jenes alte Französisch, das man als den Anfang der einheitlichen französischen Sprache betrachtet. Die Sprache, die vordem üblich war, ist (wie die Verfasserin selbst vor der siebzigsten Erzählung andeutet) nur dem Eingeweihten verständlich. Aber auch das Original des ›Heptameron‹ dürfte den meisten Nichtfranzosen noch recht erkleckliche Schwierigkeiten bereiten. Darauf sei hier hingewiesen, weil es für die Wahl des Übersetzungsstiles von ausschlaggebender Bedeutung war. Ein moderner Übersetzer hat sich den Virtuosenspaß erlaubt, ein stilistisch recht neuzeitliches Werk, das nur einige Archaismen aufweist, in altertümliches Deutsch zu übertragen. Da er den Erfolg für sich hatte, soll es ihm nicht zu allzuschwerem Vorwurf gemacht werden. Hier aber war dieser Stil eine unbedingte Notwendigkeit. Wenn man vor der Wahl steht, so ist ein Zweifel schon deshalb ausgeschlossen, weil jeder Versuch, in streng moderner Sprache das ›Heptameron‹ wiederzugeben, am Ende doch fehlschlagen wird und zu jener stillosen Halbheit führt, die unsere meisten deutschen Übersetzungen charakterisiert: Gallizismen, häßliche Konstruktionen und stimmungszerreißende Fremdworte. Alte Werke sind nun einmal nur in entsprechendem Stil wiederzugeben, und wer nicht daran gewöhnt ist, wird sich doch wohl bald hineinlesen und an manch putziger Wendung Freude finden, die allein unserm guten alten Deutsch vorbehalten ist zum Unterschiede von modernen, hypersensiblen und sonstigen ›Nuancen‹.

Eine andere Frage war, ob der Text völlig ungekürzt vorgelegt werden sollte. Diese Frage war ebenso unbedingt zu verneinen. Die bisherigen Ausführungen beweisen wohl, daß meine Wenigkeit, der Übersetzer, befleißigt war, jede feinste und kleinste Einzelheit, die nur irgendeinen Leser interessieren konnte, ans Tageslicht zu ziehen und zu erhalten. Aber wie der Gärtner hie und da ein welkes Blatt entfernen muß, um den Rosenstrauß zu voller Wirkung zu bringen, so muß auch der Herausgeber bei aller Hingabe sich klar sein, daß diese und jene Kleinigkeit das Bild beeinträchtigt statt zu heben: es gibt auch im ›Heptameron‹ verblaßte Stellen, endlose Reden, die nichts sagen, und in schwülstigen Wendungen hundertmal dasselbe, längst bekannte wiederholen. Und dabei weiter noch in manchem Dialog phrasenhaftes Gerank, das die Blüten verdeckt, das die Pointen schädigt. Dort mußte im reinen Interesse des Lesers hier und da ein Strichlein angebracht werden, um dafür zu sorgen, daß seine Aufmerksamkeit nicht ermüdet wird und er gar die Lust am Weiterlesen verliert.

Wir leben heute in einer Zeit (ich muß leider diese an sich nicht merkwürdige Behauptung in verschiedenem Zusammenhange wiederholen), die neben andern schönen Eigenschaften eine Neigung hat, das Alte ob des Staubes und Schmutzes zu preisen, der daran klebt. Gleich dem Liebhaber, der einen ehrwürdigen Schreibtisch nicht kaufen will, weil er zu gut erhalten ist, und lieber einen gefälschten erwirbt, weil er Wurmlöcher und zerstoßene Ecken hat, so begeistern sich eine große Zahl unserer Mitbürger (und nicht nur diese) für ein Buch, wenn es recht dreckig und zerrissen ist und eine alte Jahreszahl darinnen steht. Der Inhalt ist ziemlich Nebensache. Ja, schlimmer noch, die geduldige Herde des gutgläubigen Publikums wird auf jede Weise angefeuert, diesen Blödsinn mitzumachen, und die falschen Propheten suchen die Masse der Zuhörer zur Kunstheuchelei zu verführen und haben gar damit Erfolg. Ein Dürerbild ist ein Meisterwerk, auch wenn es verzeichnet ist, das schlechteste Gelegenheitswerk von Bach ein unübertreffliches Kunstdenkmal, nur weil Dürer oder Bach die Urheber waren. Den Leuten sagen, daß Dürer sich bisweilen in der Perspektive etwas geirrt, daß Bach auch einmal eine schwache Stunde gehabt hat, gilt für eine Profanation und den Beweis unbeschreiblicher Unbildung und Verständnislosigkeit.

Das sind traurige Gesichtspunkte, die für die Urteilsfähigkeit dieser Herrschaften ein klägliches Zeugnis ablegen. Man sollte sich doch damit zufrieden geben, daß ein welkes Blatt an einem sonst grünbelaubten Baume weder dessen Krankheit und Absterben, noch das Nahen des Winters ankündigt, daß es dem Laubschmuck nicht zur besonderen Zierde gereicht und daß man nicht zu schreien braucht, wenn der Wind es davonträgt oder der Gärtner es ablöst.

Solcher welken Blatter gibt es auch einige im ›Heptameron‹. Aber der Herausgeber vermeint, daß sie dem lebensfrischen Blütenkranze nicht zum Schmucke dienen, daß ein Weniger hier mehr bietet und daß der Leser ihm für die Entfernung des gottlob so wenigen Dank weiß! Denn ich glaube, die wenigsten werden sich dies oder ein ähnliches Buch kaufen in der Erwartung, sich hie und da durch unerträgliche Phrasen und Lamentationen durcharbeiten zu müssen. Viele essen mit Vergnügen die schön bereiteten Erdbeeren. Aber ehe dieselben Leute sich ihre tägliche wohlgehäufte Schüssel selbst zusammensuchen, überlegen sie sich die Sache doch noch eine Weile und überlassen es lieber anderen. Die wenigsten aber werden mit Überzeugung den Staub um seiner selbst willen lieben und preisen.

Der Leser mag ruhig sein: der Striche sind nicht viele und der unmaßgebliche Verfasser dieser Zeilen hält sie gar für einen Vorzug seiner Ausgabe. Er wird erfreut sein, wenn seine Leser ihm darin beipflichten. Ein Werk, das mit Recht als anmutig und unterhaltsam gepriesen wird, darf ohne Not an keiner Stelle seinen Ruhm beeinträchtigen und Gelegenheit geben, daß man mit müdem Gähnen nach der nächsten Seite blättert. Es soll den Frohsinn seiner Verfasserin widerspiegeln, und seine ernsten oder rührenden Betrachtungen sollen das Gleichgewicht bilden gegen allzuviel Ausgelassenheit.

So mögen die Erzählungen der Königin von Navarra die Stimmungen ausstrahlen, die deren fiktive Zuhörer daran rühmen, die Saiten der Seele zum Mitschwingen bringen, für die sie bestimmt waren.

St. Petersburg, Januar 1913.

Carl Theodor Albert Ritter von Riba.

  1. Vergleiche Ritter von Riba: ›Eheleute und Kirchenleute‹ Vergnügliche Kulturbilder aus galanter Zeit. (In Vorbereitung)
  2. Alberet de Rochas: L’extériorisation de la sensibilité. Etude expérimentale et historique. Ed. Chamuel. Paris 1895. – Leider ist das Werk vergriffen und eine deutsche Übersetzung gibt es meines Wissens nicht.

Achte Erzählung


Wie einer seine Frau statt ihrer Zofe heimsucht und alsdann den Nachbarn schickt, der ihn entehrt, ohne daß sein Weib davon weiß.

»In der Grafschaft Allez lebte Bornet, der Gatte einer ehrsamen Frau aus gutem Hause. Ihre Tugend und ihr guter Ruf lagen ihm nicht minder am Herzen, als wohl allen Ehemännern hier das Ansehen ihrer Gattinnen. So streng er aber auf die Sittsamkeit seines Weibes sah, so wenig trug er ob der eigenen Tugend Sorge: denn er stellte der Kammerzofe seiner Frau nach, indem er wohl darauf bedacht war, daß es ihm an Abwechslung nicht gebreche.

Er hatte einen Nachbar gleichen Schlages, der Sandras hieß und dem Schneiderhandwerk oblag. So enge Freundschaft verband die beiden, daß sie, abgesehen von ihren Frauen, alles gemeinsam hatten. So ließ er seinen Freund auch seine Wünsche bezüglich der Kammerjungfer wissen, und der fand den Gedanken nicht nur trefflich – er half ihm gar nach Kräften, zum Ziele zu kommen, und sonnte sich in der Hoffnung, an dem Leckerbissen teil zu haben. Da nun die Kammerzofe inne ward, wie er ihr mit Macht zu Leibe ging, und sie doch keineswegs bereit war, ihm zu Willen zu sein, so tat sie alles ihrer Herrin kund und bat: sie möge sie zu ihren Eltern heimkehren lassen, sintemalen sie derart bedrängt nicht weiterleben könne. Die Frau war in ihrer Liebe schon argwöhnisch geworden und freute sich nun baß, dem Mann diesen Trumpf voraus zu haben und ihm jetzo zeigen zu können, wie berechtigt ihr Verdacht gewesen war. Darum sagte sie: ›Halt aus, mein Kind, und tue allgemach, als wärest du bereit. Erkläre dich am Ende einverstanden, dich ihm in meiner Kleiderkammer hinzugeben, und sage mir dann ganz genau, in welcher Nacht er kommen wird. Doch sorge, daß man nichts erfährt.‹

Die Kammerzofe tat, wie ihr geheißen war. Darob war nun ihr Herr so froh, daß er den guten Freund alsbald prunkhaft freihielt. Der bat ihn, da er ihm so wohl geholfen hatte, die Nachblüte jener Nacht pflücken zu dürfen. Das ward ihm zugesagt und alsbald, da die Stunde kam, machte sich der Hausherr auf, sein Stubenmädchen zu umfangen. Doch sein Weib hatte gern ihr Herrenrecht dahingegeben und dienstbereit den Platz der Zofe eingenommen. Sie empfing ihren Mann nicht gleich einer Frau, sondern wie ein verschämtes Mägdelein, also daß der Mann den Tausch nicht merkte. So vermag ich nicht zu sagen, wes Vergnügen größer war: das seine, die Gattin zu hintergehen, oder das ihre, dem Gemahl ein Schnippchen zu schlagen.

Nachdem er nun so lange in ihren Armen geruht hatte, – nicht etwa, als er es wünschte, vielmehr – als er es vermochte, maßen er nun schon manch Ehejahr hinter sich hatte, machte er sich davon, traf draußen seinen Freund, der viel jugendkräftiger war als er, und hielt ihn wiederum frei voll Glückes über den Schatz, der alle seine Erwartungen übertroffen hatte. Der meinte schließlich: ›Ihr erinnert Euch doch noch Eures Versprechens?‹ – ›Gewiß. Geht und sputet Euch, damit sie nicht derweile aufsteht oder von meiner Frau gerufen wird.‹ Der Freund ging eilends hin und fand auch richtig noch die gleiche Kammerjungfer vor, die der Gatte so verkannt hatte. Und da sie vermeinte, es sei wiederum ihr Mann, mochte sie ihm nichts verweigern. Und er nahm die Gunst ohn alles Bitten, denn er wagte nicht zu sprechen. Dann ruhte er länger in ihren Armen, als ihr Mann es getan hatte, und darob war sie froh verwundert; denn an solche nächtlichen Freuden war sie schier nicht mehr gewöhnt. Doch schwieg sie still und genoß schon im voraus die Gardinenpredigten, die sie ihm tags darauf zu halten gedachte, und den Spott, den sie ihm auftischen wollte.

Da nun der Morgen graute, erhob er sich hochbeglückt und nahm ihr, da er vom Lager schied, im Scherz einen Ring vom Finger. Das war ihr Trauring, den die Frauen dort fast abergläubisch hüten, also daß jede hoch in Ehren steht, die ihn bis zum Tode bewahrt. Verliert sie ihn aber durch Zufall, so büßt sie alle Achtung ein, gleich als ob sie ihren Mann verraten hätte. – Die Frau war herzlich froh, daß jener den Ring nahm, denn nun vermeinte sie ihn sicher seines Verrates überführen zu können. Da nun der Freund zu dem Ehemann zurückkehrte, fragte ihn der: ›Nun, wie war’s?‹ und jener bestätigte ihm gern, wie trefflich er gewählt hatte, und daß er nur das Tagesgrauen gefürchtet hätte, sonst wäre er gern noch länger geblieben. Alsdann legten sich beide sachte zur Ruhe nieder.

Doch als sie sich am Morgen erhoben, bemerkte der Ehemann den Ring an seines Freundes Finger, der so sehr dem Trauringe seines Weibes glich, und fragte ihn, wer ihm den gegeben habe. Und als er gar vernahm, daß jener den Ring der Kammerfrau abgenommen hatte, fiel er aus allen Wolken, rannte schier mit dem Kopf gegen die Wand und rief: ›O du himmlische Güte! sollte ich mir da Hörner aufgesetzt haben, ohne daß meine Frau etwas davon weiß?‹ Der Freund aber meinte tröstend: ›Vielleicht gab Eure Frau ihren Ring gestern abend dem Mädchen zum Aufbewahren.‹

Flugs ging der Mann heim und fand dort sein Weib viel schöner, anmutiger und fröhlicher, als er von ihr gewöhnt war. Doch jene ergötzte sich gleichermaßen an dem Gedanken, ihrer Kammerzofe Tugend rein erhalten zu wissen, wie an der Freude, ihres Mannes Liebe bis zum Grunde genossen zu haben; und dabei hatte sie das alles nur eine durchwachte Nacht gekostet. Da nun der Ehemann ihr strahlendes Aussehen wahrnahm, dachte er bei sich: ›Wenn sie wüßte, was ich heut nacht für Freuden erlebt habe, würde sie mich nicht so froh empfangen.‹ Derweile er nun mit ihr über dieses und jenes plauderte, nahm er ihre Hand und gewahrte, daß der Ring fehlte, den sie nie vom Finger ließ. Darob geriet er außer Fassung, und mit zitternder Stimme fragte er sie: ›Was hast du mit dem Ringe gemacht?‹ Das war ihr gerade recht, daß er selbst die Strafpredigt einleitete, die sie ihm zu halten wünschte und sie sprach: ›Ei du ganz schlechter Kerl, wem vermeinst du wohl den Ring abgenommen zu haben?! Du glaubtest wohl, es war die Kammerzofe, für deren Liebe du zweimal mehr Kräfte hingegeben hast, als je für mich?! Schon das erstemal, da du gestern in meinen Armen ruhtest, schien mir, als hätte deine Glut alles Erlebte in den Schatten gestellt. Doch nachdem du fort warst und zum zweiten Male zu mir kamst, da glichest du einem Teufel außer Rand und Band. Du Tropf, verstehst du nicht, wie blind du warst, da du den gleichen Wuchs, die gleiche Schönheit über alle Maßen priesest, die du so lange schon für dich allein besitzt, ohne dich dessen sonderlich zu freuen? So war es also nicht der Kammerzofe Reiz, der dich entzückte: es war die Sündenlust und schmutziges Begehren, so dich entflammten und von Sinnen brachten. Und in dieser Brunst hättest du wohl eine geputzte alte Vettel für ein anmutiges Mägdelein gehalten. Doch nun ist’s Zeit, mein Lieber, daß du in dich gehst, dich mit mir begnügst, da du meine Reize und Zutunlichkeit erkanntest, als du mich für ein armes verführtes Ding hieltest. Ich spielte diesen Streich, um dich von deinem Abwege zu retten, auf daß wir unser Alter in herzlicher Freundschaft und inniger Eintracht verleben. Denn änderst du dich nicht, dann möchte ich lieber von dir gehen, denn ich mag dich nicht an Leib und Seele zugrunde gehen sehen. Willst du dich aber bessern und gottgefällig leben, so will ich deine Fehltritte verzeihen gleichwie Gott mir vergeben mag, wenn ich nicht in allen Dingen seinen Geboten folge.‹

Der arme Mann war ganz zerknickt und schier verzweifelt, als er inne ward, welch schönes, keusches und ehrenhaftes Weib er zugunsten einer anderen vernachlässigt hatte, die er gar nicht liebte. Und doppelt quälte ihn, daß er sie selbst zum schuldlosen Opfer und Spielzeug eines andern gemacht hatte, da sie ihm doch allein gehörte. So hatte er nur sich allein allen Schimpf und Spott zuzuschreiben. Doch da er seines Weibes Grimm ob seiner Seitensprünge mit der Kammerzofe gewahrte, so hütete er sich wohl, ihr gar noch zu eröffnen, welche üble Suppe er ihr obendrein eingebrockt hatte, bat sie um Verzeihung und gelobte Besserung. Zugleich gab er ihr den Ring zurück. Den hatte er zuvor dem Freunde abgenommen und ihn gebeten, reinen Mund zu halten. Doch so etwas raunt sich von Ohr zu Ohr, bis die Spatzen es auf den Dächern pfeifen. Bald war die Geschichte allenthalben bekannt, und der Ehemann hieß ›der Hahnrei seiner schuldlosen Frau‹.

Mir scheint nun, meine Damen, wenn alle Ehemänner, die ihre Frauen also kränken, die gleiche Strafe erleiden müßten wie jener, dann sollten Hircan und Saffredant eine nette Angst haben.«

»Ei, ei, Longarine,« meinte Saffredant, »gibt es denn außer Hircan und mir keine Eheleute unter uns?« – »Gewiß,« erwiderte diese, »doch keine, die solche Streiche begehen würden.« – »Wo habt Ihr denn gesehen, daß wir den Zofen unserer Frauen nachgestellt haben?« – »Laßt nur die, so es angeht, die reine Wahrheit sprechen; sicher erfahren wir dann von Zofen, die vorzeitig entlassen werden mußten.« Doch unterbrach sie Guebron: »Ihr seid gut; statt uns, wie Ihr versprachet, zum Lachen zu bringen, hetzt Ihr zwei arme Leute hintereinander.« – »Was macht das denn? Solange sie nicht mit dem Degen aufeinander losgehen, macht uns ihr Zorn nur noch mehr lachen.« – »Wie gut ist es,« entgegnete Hircan, »daß unsere Frauen nicht darauf hören, sonst könnte diese gute Dame die trautesten Ehebünde sprengen.« – »Gewiß,« meinte Longarine, »ich weiß doch, vor wem ich rede; eure Frauen sind ja derart tugendhaft und lieben euch so sehr, daß sie überzeugt wären, auf Rosen gebettet zu sein, auch wenn ihr sie über Kopf und Kragen betröget.«

Alle, auch die Betroffenen, begannen so zu lachen, daß man das Gespräch abbrach. Alsdann aber äußerte Dagoucin, der bisher kein Wörtlein hatte vernehmen lassen: »Wie töricht ist der Mann, der anderen nachjagt, wenn er schon gut versehen ist.« – »Recht schön,« meinte Simontault, »doch was soll einer tun, der seine rechte Hälfte noch nicht gefunden hat? Ist der etwa unbeständig, weil er danach sucht?« – »Da er nicht wissen kann, wo er die gleichwertige Hälfte finden mag, so soll er dort haltmachen, wo die Liebe ihn hingeführt hat. Denn gleicht euch jene Hälfte bis aufs Haar, dann liebt ihr eigentlich nur euch, nicht sie.«

»Mir scheint,« sprach Hircan, »wenn unsere Liebe nur auf Äußerlichkeiten aufgebaut ist, vermag sie nicht zu dauern. Denn Lust, Schönheit und dergleichen entflieht bald. Nur die Liebe dauert unerschüttert, die keine Nebenziele kennt und lieber den Tod wählte denn verzichtete.« – »Gewißlich, lieber Dagoucin,« meinte Simontault, »wart Ihr nie verliebt. Wie könntet Ihr sonst Platos Grundsätze feiern, die nie der Probe standhielten.« – »O doch,« entgegnete Dagoucin, »ich habe geliebt, liebe und werde mein Leben lang weiter lieben. Doch wage ich es nicht zu zeigen und selbst nicht daran zu denken. Denn je eifriger ich die Glut bergend schüre, um so lebhafter wächst mein Wunsch, zu wissen, ob meine Liebe vollkommen ist.« – »Fürwahr, ich glaube nicht,« meinte Guebron, »daß Ihr so glücklich wäret, wenn Ihr geliebt würdet.« – »Das will ich nicht bestreiten. Doch gliche auch diese Liebe der meinen, sie könnte meine Gefühle nicht vergrößern, noch auch sie verringern, wenn sie kleiner wäre.«

Nun bemerkte Parlamente, die allerlei herauszuhören vermeinte: »Merkt wohl auf, Dagoucin: ich kannte Männer, die lieber in den Tod gingen, als daß sie jemals darüber redeten.« – »Sie wahrlich muß man glücklich preisen,« sprach Dagoucin. den Ärmsten beizählen,« rief Saffredant, »die, wie die Kirche sagt, nicht durch Worte, sondern durch den Tod ihren Glauben bekannten. Ich habe dergleichen wohl oft gehört, doch nie gesehen. Und da ich selbst allen Qualen lebendig entronnen bin, so glaube ich nicht daran, daß jemand davon sterben kann.« – »Ach, Saffredant,« entgegnete Dagoucin, »wie könnt Ihr dann von Liebe reden! Ich sah gar manchen an seiner Liebe dahinsterben.« – »Wenn Ihr davon zu erzählen wißt,« sprach Longarine, »so ergreifet das Wort und berichtet uns als neunte Geschichte etwas recht Schönes darüber.«

»Recht gern. Wenn euch ein wahrer Vorfall, dem es nicht an Zeichen und Wundern gebrach, in dieser Überzeugung festigen kann, will ich euch einen berichten, der sich vor drei Jahren zutrug.«