Zwei Liebende geben alle Hoffnung einer Ehe verloren und gehen darob ins Kloster: der Jüngling nach Saint-François, das Mägdelein nach Saint-Claire.
»Der Markgraf von Mantua war bekanntlich mit einer Schwester des Herzogs von Ferrara vermählt. Nun lebte in dem Hause der Herzogin eine junge Dame mit Namen Pauline, die von einem Edelmann des Markgrafen geliebt wurde. Die Größe seiner Gefühle setzte alle Welt in Erstaunen, zumal er arm war und in Anbetracht seiner Anmut und der Gunst seines Herrn wohl eine reiche Dame heiraten sollte. Doch Pauline schien ihm der größte Schatz der Welt, den er durch die Ehe zu erwerben gedachte. Maßen hinwiederum die Markgräfin eine reiche Heirat für Paulinen im Auge hatte, verabscheute sie den Edelmann nach Kräften, hinderte die beiden oft, miteinander zu reden, und hielt ihnen vor, wie elend es ihnen gehen würde, wenn sie miteinander vermählt wären. Das vermochte den Edelmann in seinem Vorsatze nicht zu erschüttern. Pauline ihrerseits barg zwar nach Möglichkeit ihre Neigung, doch baute sie nicht minder fest darauf.
Während so manche Zeit verging und beide auf eine Wendung zum Besseren hofften, brach ein Krieg aus, in dem der Edelmann gefangengenommen wurde und mit ihm ein französischer Edelmann, der gleichermaßen wie jener verliebt war, aber in eine Französin. Da sie sich als Leidensgefährten erkannten, tauschten sie auch ihre Herzensgeheimnisse aus. Der Franzose gestand aber nicht, wo sein Herz gefangen lag, hingegen wußte er als Manne des Markgrafen gar wohl, daß jener Paulinen liebte, und riet ihm zu seinem Besten, diesen Plan aufzugeben. Worauf der Edelmann sich verschwor: Wenn der Markgraf ihm nicht als Entschädigung für diese Gefangenschaft seine Freundin zum Weibe gäbe, wolle er Franziskaner werden und fürder Gott allein dienen. Das wollte sein Gefährte nicht glauben, da er außer jener Ergebenheit für Paulinen keinerlei besondere Zeichen von Frömmigkeit bei ihm bemerkt hatte.
Nach neun Monaten wurde der französische Edelmann in Freiheit gesetzt und erreichte, daß auch sein Gefährte frei kam. Alsdann betrieb er bei dem Markgrafen und dessen Gemahlin die Ehe desselben mit Paulinen, doch erreichte er nichts; denn sie hielten ihm die Armut der beiden und den Widerspruch der beiderseitigen Verwandten vor und verboten am Ende gar, daß sie miteinander redeten. Als der Liebende sah, daß er gehorchen mußte, bat er die Markgräfin um die Erlaubnis, von Pauline Abschied nehmen zu dürfen. Das wurde ihm verstattet. Und zur vereinbarten Stunde hub er also an: ›Ihr seht, Pauline, wie alle wider uns kämpfen und uns also im Herzen verwundet haben, daß nun unsere Körper dahinwelken werden. Sie wollen uns reich verheiraten – als ob nicht der wahre Reichtum in der Zufriedenheit liegt. Sicherlich wären sie nicht so hart zu uns gewesen, uns selbst das Sprechen miteinander zu verbieten, wenn wir uns nicht hätten heiraten wollen. So aber kann ich ihnen fürder nicht mehr dienen. Wie ich mich nun schon seit längerem entschlossen habe, werde ich Mönch werden – nicht, weil ich bezweifle, daß man sich in einem andern Stand auch aufrechterhalten kann. Doch will ich in mich gehen, und wenn Gott mir die Erkenntnis der geistigen Dinge gnädig verleiht, will ich allezeit für Euch beten. Gedenket bitte auch Ihr meiner in Euren Gebeten, und maßen Ihr mich nun als Euren Bruder betrachten dürft, gestattet mir, Euch zu küssen.‹
Als die arme Pauline, die sonst recht streng gegen ihn gewesen war, seines namenlosen Leides inne ward und seinen Wunsch in diesem Augenblick sehr ehrbar fand, schlang sie ohne weitere Antwort ihre Arme um seinen Hals und weinte so ergriffen und bitterlich, daß Kraft und Besinnung von ihr schwand und sie bewußtlos in seinen Armen niedersank. Und vor Mitleid, Liebe und Leid ward auch er ohnmächtig. So mußte eine Gespielin, welche die beiden niederstürzen sah, um Beistand rufen, und nur mit allerlei Duftwässern brachte man sie wieder zu sich.
Alsbald schämte sich Pauline über die Maßen, da sie ihre Liebe immer verhehlt hatte und nun gewahrte, wie sie deren leidenschaftliche Glut verraten hatte. Doch mochte das Mitleid mit dem armen Edelmann als Entschuldigung dienen. Weil es ihr jedoch unmöglich war, ein Lebewohl auf immerdar zu sagen, so ging sie eilig mit zusammengebissenen Zähnen und gepreßten Herzens hinaus, warf sich in ihrem Zimmer schier entseelt aufs Bett und verbrachte die Nacht in so jämmerlichen Klagen, daß die Dienerschaft glauben konnte, sie habe Eltern, Freunde und all ihr Liebstes auf Erden verloren.
Am Tage darauf befahl der Edelmann sich Gott, nahm nur weniges Geld an sich, verteilte seine sonstige Habe an seine Diener und ging ohne Begleitung davon zum Kloster Observance. Dort bat er, eingekleidet zu werden. Aber der Pförtner, der ihn von Ansehen kannte, vermeinte zuerst, er spaße. Denn ob seiner Vorzüge paßte wohl niemand weniger zum Mönche als er. Als man jedoch die Zähren gleich Bächen über seine Wangen fließen sah, nahm man ihn freundlich auf und kleidete ihn auf seinen demütigen Wunsch schließlich ein. Und als der Markgraf und seine Gemahlin das erfuhren, waren sie so verwundert, daß sie es kaum glauben mochten.
Pauline verbarg indessen nach Möglichkeit ihr Leid, also daß man vermeinte, sie habe ihren edlen Diener bald vergessen. Und so vergingen fünf oder sechs Monate. Da wurde ihr von einem Geistlichen ein Lied gezeigt, das ihr Freund bald nach seinem Eintritt in das Kloster verfaßt hatte. Es lautete etwa so:
Was wird sie sagen,
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?
Wehe, von Bangen,
Trübsal umfangen
Wird sie schweigen vor tiefem Leid.
Wird gar allein
Und einsam sein.
Wird – zum schwersten schon bereit –
All‘ ihr wildes Weh bedenken,
Und ihr Sinnen wird sich lenken
Hin zur Klostereinsamkeit.
Was wird sie sagen,
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?
Doch was sagt ihr,
Die uns allhier
Stets unser inniges Glück verwehrt,
Wenn ihr gewahrt,
Auf welche Art
Unsere Liebe bleibt unversehrt?
Bittre Reue wird euch plagen,
Weinen werdet ihr und klagen,
Weil ihr also schuldig seid!
Was wird sie sagen?
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?
Selbst wenn sie sehr
Bäten nunmehr,
Uns zu vermählen froh beglückt, –
Nie lockt ihr Wort
Uns mehr hier fort,
Bis der Tod uns still entrückt.
Da ihr grausam Widerstreben
Uns gedrängt ins Klosterleben
Harr’n wir drin nun alle Zeit.
Was wird sie sagen?
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?
Inniges Lieben
Hat mich getrieben
Aus des Lebens eitlem Wahn.
Sei nun mein Hort,
Daß ich hinfort
Gott in Inbrunst zugetan.
Unser Wähnen mag verklingen –
Still verklärt wird es uns bringen
Selige Zufriedenheit.
Was wird sie sagen?
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?
Irdisches Glück,
Weiche zurück,
Schling‘ um uns kein ehern Band!
Ruhmesbegehr
Lockt uns nicht mehr –
Teufelswerk, du bist erkannt!
Und statt sinnlichem Begehren
Wird uns Jesus nun bescheren
Himmlische Glückseligkeit!
Was wird sie sagen?
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?
Komm‘ denn hierher.
Folge nunmehr
Deines treuen Freundes Spur.
Magst ohne Zagen
Die Kutte tragen,
Meidest Menschenfeindschaft nur.
Und aus liebeheißem Streben
Wird gleich Phönix sich erheben
Neue Liebe – Gott geweiht!
Was wird sie sagen,
Wie mag sie’s tragen,
Wenn mich nun als Mönch erschaut
Die holde Braut?
Als sie abseits in einer Kapelle des langen und breiten dies Lied gelesen hatte, begann sie bitterlich zu weinen und feuchtete das Papier mit ihren Zähren. Hätte sie nicht gefürchtet, ihre Gefühle zu verraten, so wäre sie unverzüglich in ein Kloster gegangen. Doch die Klugheit riet ihr, sich noch einige Zeit zu verstellen, und sie tat dies so wohl, daß man sie schier nicht wiedererkennen konnte. Und so verbrachte sie weitere fünf bis sechs Monate, während deren sie ihre Absicht geschickt verhehlte und sich fröhlich zeigte wie nie.
Eines Tages nun ging sie mit ihrer Herrin in das Kloster Observance, um die große Messe zu hören. Und als dort der Priester mit dem Diakonus zum Hochaltar schritt, kam ihr armer Freund, der seine Probezeit noch nicht beendet hatte, als Kirchendiener vor ihnen her, mit niedergeschlagenen Augen, zwei Stäben in der Hand und in einem seidenen Gewände, das seine Schönheit und Anmut viel mehr hob denn minderte. Des war Pauline so betroffen, daß sie hustete, um die Röte zu verbergen. Ihr Freund erkannte ihre Stimme schier besser als den Klang der Glocken; doch wagte er den Kopf nicht zu wenden, und erst als er an ihr vorbeischreiten mußte, nahmen wider seinen Willen seine Augen den gewohnten Weg. Und indem er Pauline klagevoll anschaute, flammte das Feuer, das er erloschen glaubte, so gar wild in ihm auf, daß er in dem Bestreben, es niederzukämpfen, der Länge nach zu Boden stürzte. Doch fürchtete er, daß die Ursache bekannt würde, und gab an, das Steinpflaster sei an dieser Stelle geborsten, und das sei daran schuld gewesen.
Als Pauline inne ward, daß das Gewand sein Herz nicht gewandelt hatte, und zudem bedachte, er nun schon so lange fort sei, daß jeder meinen könne, sie habe ihn vergessen, entschloß sie sich nunmehr, ihren Wunsch zur Tat werden zu lassen. Und da sie bereits seit vierzehn Monaten alles nötige vorbereitet hatte, bat sie die Markgräfin um die Erlaubnis, die große Messe zu Sainte-Claire zu hören. Da jene nicht wußte, was sie vorhatte, gewährte sie ihr das gern.
Alsbald begab sie sich zunächst zum Franziskanerkloster, ließ ihren Freund herausrufen, und da sie ihn in einer Kapelle traf, sagte sie zu ihm: ›Hätte es meine Ehre erlaubt, so wäre ich gleich nach Euch in ein Kloster eingetreten. Nun ich aber jetzt die Böswilligen irregeführt habe, will ich das gleiche Gewand, das gleiche Leben erwählen wie Ihr. Ist es gut, so wird mich das glücklich machen; ist es schlecht, so unterscheidet es sich doch nicht von dem Euren. Und so wollen wir denn den sterblichen Leib vergessen, den alten Adam abstreifen und nur noch Christus in uns tragen.‹
Ihr heiliger Wunsch beglückte jenen so, daß er sie unter Freudentränen darin bestärkte und ihr sagte, wie froh er sei, sie nun bisweilen wiedersehen zu können, da es ihnen ja auf dieser Welt doch nurmehr verstattet sei, miteinander zu sprechen. Sie würden nun immer vollkommener werden, ein Herz und eine Seele, die von Gottes Güte geschirmt und geleitet würden. Und mit diesen Worten und Freudentränen küßte er ihre Hände. Doch sie neigte ihr Angesicht, also daß sie sich den heiligen Kuß wahrer, christlicher, brüderlicher Liebe gaben.
Dann raffte sich Pauline auf und eilte zum Kloster Sainte-Claire, wo sie aufgenommen wurde und den Schleier nahm. Als die Markgräfin das vernahm, ward sie so betroffen, daß sie es kaum glauben mochte. Dann ging sie tags darauf zum Kloster, um sie umzustimmen. Doch Pauline erwiderte ihr: zwar habe sie vermocht, ihr den Gemahl aus Fleisch und Bein, den Mann, den sie am meisten auf dieser Welt geliebt habe, zu nehmen. So möge sie sich damit begnügen und ihr nicht den zu rauben suchen, der unsichtbar und unsterblich sei.
Da erkannte die Markgräfin ihren festen Vorsatz und schied mit Küssen und Bedauern von ihr. Und fortan lebten Pauline und ihr ergebener Freund in heiliger Frömmigkeit, und sicherlich konnte der, so der Barmherzigkeit Hüter ist, am Ende ihres Lebens zu ihnen gleichwie zu Magdalenen sagen, daß ihre Sünden vergeben seien, da sie viel geliebt hätten, und sie in Frieden dorthin zu sich nehmen, wo der Menschen Verdienst und Wohltat Belohnung findet.
Ihr müßt gestehen, daß ein Mann größere Liebe nicht zeigen kann; und sie wurde so wohl erwidert, daß ich wünschte, alle Männer möchten das erleben.«
»Dann gäbe es noch mehr Narren und Närrinnen als heutzutage,« meinte Hircan. – »Ist es etwa Narrheit,« rief Oisille, »seine ehrsame Jugendliebe alsdann Gott zuzuwenden?« Doch Hircan erwiderte lachend: »Wenn Trübsinn und Verzweiflung lobenswert sind, will ich jene beiden gerne preisen.« – »Was nennt Ihr denn vollkommene Liebe,« fragte Saffredant. »Meint Ihr, der Mann müsse zaghaft die Damen von ferne anbeten?« – »Ich nenne vollkommene Liebe«, – sprach Parlamente, »wenn der Mann in dem geliebten Gegenstande eine Vollkommenheit sucht und selbst so großherzig ist, daß er eher stürbe, denn Unehrenhaftes verlangt. Da unsere Sinne leicht irren, neigen wir dem zu, das Anmut und Lieblichkeit zeigt. Und finden wir das Gesuchte dort nicht, so geben wir uns gleich Kindern mit Kleinigkeiten ab. Wird der Mensch größer, so liebt er lebende Puppen. Dann aber lehrt ihn die Erfahrung, daß es auf der Erde vollkommenes Glück nicht gibt und daß nur der Glaube uns das höchste Gut zeigen kann.«
»Verstünde ich Latein,« entgegnete Simontault, »so würde ich mit Johannes sagen: ›Wer seinen Bruder nicht liebt, den er siehet, wie kann der Gott lieben, so er nicht siehet.‹ Nur die sichtbaren Dinge können uns den Wert des Unsichtbaren erweisen.« – »Jedenfalls wünscht jeder Mensch, der nicht von Lust leben kann, seine Liebe zu zeigen und Gegenliebe zu erfahren,« rief Saffredant. »Auch die innigste Neigung vergeht endlich, wenn sie unerwidert bleibt. Derart habe ich schon wunderbare Dinge erlebt.« – »So tretet bitte an meine Stelle,« entgegnete Emarsuitte, »und erzählet uns von solchen, die dem Leben wiedererstanden sind, weil sie erfuhren, daß ihre Dame ihre Wünsche enttäuschte.«
»Ich fürchte den Damen zu mißfallen,« sagte nunmehr Saffredant, »wenn ich, ein stets ergebener Diener, ohne ausdrücklichen Wunsch von ihren Fehlern spreche. Doch will ich jetzt gehorchen und der Wahrheit gemäß berichten.«