Der siebente Tag

Frau Oisille verfehlte nicht, den anderen am folgenden Morgen heilsame Geistesnahrung zu reichen, indem sie ihnen von den rühmlichen Taten der tugendsamen Streiter und Apostel Jesu Christi vorlas. Dann begab man sich in die Kirche, wo just die Messe begann. Aber nachher kehrten sie während des Essens wieder zu jenen frommen Geschichten zurück und plauderten darüber mit so viel Freude, daß sie schier dabei ihr anderes Vorhaben vergaßen. Deshalb meinte endlich Nomerfide: »Frau Oisille hat uns so mit frommen Gedanken umgarnt, daß wir die Zeit versäumen, in der wir uns sonst in unsern Stuben auf unsere Erzählungen vorbereiteten.« Ob ihrer Worte erhob sich die Gesellschaft eilends. Und nachdem jeglicher ein wenig in seiner Stube geweilt hatte, fanden sich alle pünktlich wie tags zuvor auf der Wiese ein.

Als sie es sich bequem gemacht hatten, sprach Oisille zu Saffredant: »Obgleich ich sicher bin, daß Ihr nichts zum Lobe der Frauen sagen werdet, muß ich Euch doch bitten, die Geschichte zu erzählen, die Ihr uns gestern versprachet.« Aber Saffredant entgegnete: »Ich muß bestreiten, daß ich in den Geruch eines Lästerers kommen kann, wenn ich die Wahrheit sage, oder der sittsamen Damen Gunst verliere, wenn ich berichte, was Törinnen begehen. Ich weiß aus Erfahrung, daß jenen so etwas ganz fern liegt. Wäre es mir aber mit ihrer Gunst so ergangen, dann wäre ich nicht mehr am Leben.«

Damit heftete er den Blick auf die Frau, die sein Glück und Unglück in der Hand hatte. Emarsuitte errötete, wie wenn er sie gemeint hätte. Aber jene, für die es bestimmt war, verstand ihn doch sehr wohl. Alsbald versicherte ihm Oisille, er dürfe dreist die Wahrheit sagen, und daher hub er folgendermaßen an:

Einundsechzigste Erzählung


Mit welch erstaunlicher Hartnäckigkeit eine Burgunderin einen Kanonikus zu Autun mit ihrer frechen Liebe verfolgte.

»Unweit Autun lebte eine bildschöne Frau. Sie war groß, hatte lichte Haut und war unvergleichlich wohlgestaltet. Ihr ehrenwerter Mann schien gar jünger als sie selbst, worob sie nur zufrieden sein konnte. Bald nach der Vermählung kamen beide für eine Angelegenheit nach Autun. Und derweile nun der Ehemann seinen Sachen nachging, betete sie in der Kirche für sein Heil. Maßen sie diese heilige Stätte so oft besuchte, verliebte sich ein reicher Kanonikus in sie und setzte ihr derart zu, daß ihm die Ärmste zu Willen war. Ihr Mann aber schöpfte keinen Argwohn und sorgte mehr für sein Gut denn für sein Weib.

Als nun die Abreise nahte und sie zu dem Hause, das sieben Meilen von der Stadt entfernt lag, zurückkehren sollten, ward die Frau recht betrübt. Doch versprach ihr der Kanonikus, sie oft zu besuchen. Das tat er denn auch, indem er Reisen vorschützte, die ihn an jenem Hause vorbeiführten, wo er dann allemal abstieg. Der Ehemann war nicht so dumm und merkte die Sache. Daher richtete er es künftig so ein, daß die Frau stets wohl verborgen war, wenn der Kanonikus ankam. Aber ihr behagte des Mannes Eifersucht keineswegs, also daß sie wohl bedachte, wie sie dem abhelfen könne. Denn sie vermeinte in der Hölle zu sein, wenn sie ihren Gott nicht erblickte.

Eines Tages also, da ihr Mann außer dem Hause war, gab sie allen Dienstleuten verschiedenerlei Aufträge, so daß sie allein blieb. Flugs packte sie dann alles Notwendige zusammen, ging – einzig begleitet von ihrer Liebestollheit – zu Fuß davon und kam noch rechtzeitig genug in Autun an, um von ihrem Kanonikus erkannt zu werden. Der barg sie, wohl abgesperrt, länger denn ein Jahr, trotz der Drohungen und Flüche, die der Ehemann ihm zuteil werden ließ. Da dieser nun weiter keinen Ausweg fand, klagte er beim Bischof, dessen Erzdechant einer der ehrenwertesten Männer Frankreichs war: also daß er alle Wohnungen der Laienpriester aufs sorgfältigste untersuchte, bis er die Vermißte fand. Die warf er in den Kerker, derweile er dem Kanonikus eine schwere Buße auferlegte.

Der Ehemann war sehr froh, als er vernahm, daß sein Weib von dem Erzdechanten und seinen wackeren Leuten wiedergefunden sei. Und da sie ihm zuschwor, in alle Zukunft voller Sittsamkeit mit ihm zu leben, so nahm er sie wieder zu sich. Er glaubte ihrem Eid, behandelte sie zuvorkommend wie bisher und gab ihr nur zwei alte Kammerfrauen zur Gesellschaft, die sie nie allein lassen durften.

Aber trotz all seiner Liebe erschien ihr ob ihrer Neigung zu dem Kanonikus diese Ruhe wie die schlimmste Qual. Obgleich sie selbst so schön und ihr Mann voll Gesundheit, Lebenskraft und Leistungsfähigkeit war, so hatte sie doch keine Kinder von ihm; denn ihr Herz weilte immer sieben Meilen fern von ihrem Körper. Aber sie barg das so wohl in ihrer Seele, daß ihr Mann vermeinte, sie habe gleich ihm alles Vergangene vergessen. Das stimmte nun keineswegs.

Sobald sie sicher war, daß ihr Mann sie mehr liebte denn je und immer weniger beargwöhnte, stellte sie sich krank; und sie spielte diese Rolle so gut, daß ihr Mann voll tiefen Schmerzes ward und ihr in jeder Weise zur Seite stand. Bald aber schien es ihm und den andern, daß es mit ihr zu Ende ginge und ihre Kräfte schwanden. Und da sie nun inne ward, daß ihr Mann just so laut klagte, als er sich eigentlich hatte freuen sollen, bat sie ihn, ihren letzten Willen abfassen zu dürfen. Das gestand er ihr unter Tränen zu. Und alsbald vermachte sie alles ihm, da sie ja keine Kinder hatte, und bat ihn zugleich ob ihrer Fehler um Vergebung. Sodann ließ sie den Pfarrer kommen, beichtete, nahm das heilige Abendmahl und zeigte sich so demütig, daß alle ob ihres glorreichen Endes weinten. Als dann der Abend kam, bat sie ihren Mann, ihr die letzte Ölung geben zu lassen, da sie so schwach sei, daß sie fürchte, es könne sonst zu spät werden. Das geschah alles flugs, und jeder mußte sie ob ihrer frommen Ergebenheit preisen.

Alsdann erklärte sie, nun sei sie ruhig und zufrieden und wolle ein wenig ruhen; das gleiche solle ihr Mann tun, der dessen nach so viel Wachen und Tränen bedürfe. Also tat er und schlief bald ein, gleichermaßen auch die Dienerschaft. Und die beiden Alten, die sie während ihrer Gesundheit so bewacht hatten, vermeinten sie höchstens durch den Tod verlieren zu können, und legten sich ebenfalls nieder.

Da sie nun auch diese schnarchen hörte, erhob sie sich im Hemd, schlüpfte aus dem Zimmer und lauschte, ob niemand im Hause sich rühre. Sowie sie dann ihrer Sache sicher war, entwich sie durch eine Gartenpforte, die nicht verschlossen war, und lief die ganze Nacht hindurch, im Hemd und barfüßig, auf Autun zu, um ihren Heiligen zu finden, der sie vor dem Tod bewahrt hatte. Maßen aber der Weg recht weit war, ward sie vom Tag überrasch. Alsbald schaute sie den Weg zurück und gewahrte zwei Reiter, die eilig dahersprengten. Sie war sicher, daß jenes ihr Mann sei, der sie suche, verkroch sich bis zum Hals in einem Sumpf und verbarg ihren Kopf zwischen Wurzeln. So ritt ihr Mann vorbei, und sie hörte, wie er zu seinem Knecht sagte: ›Wehe, was für ein arges Weib! Wer konnte denken, daß sie unter dem Mantel heiliger Sakramente solche Verworfenheit verhüllen würde.‹ Und der Knecht erwiderte: ›Da Judas, als er das Abendmahl nahm, sich nicht scheute, seinen Herrn zu verraten, wie kann Euch da der Verrat einer Frau erstaunen?‹ So zogen sie weiter, und die Frau blieb fröhlicher zwischen Sumpf und Wurzeln, da sie ihn damit hinterging, als sie daheim ergeben in einem guten Bett gelegen hätte.

Der Ehemann durchsuchte vergebens ganz Autun, und war schließlich sicher, daß sie sich dort nicht befand. So kehrte er den gleichen Weg wieder zurück und klagte unaufhörlich über diesen großen Verlust; im übrigen aber drohte er ihr, im Fall er sie wiederfände, mit dem Tod. Darob aber sorgte sie sich so wenig wie um die Kälte, die ob des Wetters und ihres Versteckes ihren Körper plagte. Wer da weiß, wie das höllische Feuer alle wärmt, die davon durchglüht werden, vermag zu schätzen, wie wundersam die Ärmste, die geradeswegs aus einem warmen Bett kam, einen ganzen Tag in solcher Kälte verbringen konnte. Jedenfalls verlor sie den Mut nicht, weiterzupilgern. Kaum brach die Dunkelheit herein, so machte sie sich flugs wieder auf den Weg und kam just nach Autun, als man das Tor schließen wollte. Alsbald ging sie eiligst zu dem Haus ihres Heiligen, der schier seinen Augen nicht trauen wollte. Da er aber genau zusah und fand, daß sie aus Fleisch und Knochen bestand und kein Geist war, ward er hoch beglückt. Und in schönster Eintracht verbrachten sie nun vierzehn oder fünfzehn Jahre zusammen.

Eine gute Weile hielt sie sich wohl verborgen. Mit der Zeit aber verlor sie alle Furcht, ja schlimmer noch, sie rechnete sich ihren Freund zum Ruhm an und stellte sich daher in der Kirche über die meisten ehrengeachteten Frauen der Stadt, auch die von Beamten und anderen. Zudem hatte sie von dem Kanonikus mehrere Kinder, unter anderen ein Mägdelein, das einen reichen Kaufmann heiratete. Bei der Hochzeit trat sie so prunkhaft auf, daß alle Damen sich darob entrüsteten. Aber sie konnten nichts dagegen tun.

Da begab es sich, daß einst die Königin Claudia, die Gemahlin des hochseligen Königs Franz, durch Autun kam. In ihrer Begleitung befand sich die Frau Regentin und deren Tochter, die Herzogin von Alençon. Zu dieser kam eine Kammerfrau namens Perrette und sagte: ›Hohe Frau, höret mich bitte an, so werdet Ihr ein gutes Werk tun, und schier ein besseres, als wenn Ihr täglich die Messe besucht.‹ Und die Herzogin schenkte ihr Gehör, maßen sie wußte, daß sie stets gute Ratschlage erteilte.

Alsbald erzahlte ihr Perrette, sie habe sich als Hilfe bei der Wäsche ein Mägdelein bei der Stadt angenommen, und als sie dieses über Neuigkeiten ausfragte, habe die Kleine berichtet, daß alle wohlanständigen Frauen der Stadt empört seien, weil das Weib jenes Kanonikus sich derart überhöbe. Und dann habe sie die Lebensgeschichte dieser Frau geschildert. Flugs begab sich die Herzogin zur Königin und Regentin und erzählte ihnen den Fall.

Die ließen kurz und bündig die unselige Frau kommen. Aber selbige verbarg sich keineswegs, zeigte sich auch nicht beschämt oder verlegen, sondern stellte sich kecklich den Damen vor, also daß selbige vor ihrer Frechheit gar betreten wurden und anfangs nichts zu sagen wußten. Dann aber hub die Frau Regentin an, ihr Vorhaltungen zu machen, die jede vernünftige Frau zu Tränen gebracht hätte. Nicht so jene; vielmehr sprach sie voll kühnen Selbstvertrauens: ›Ich bitte Euch, erlauchte Damen, rühret nicht an meiner Ehre! Ich habe gottlob mit dem Herrn Kanonikus so wohl und sittsam gelebt, daß mich niemand darob tadeln kann. Man soll nur nicht glauben, daß ich gegen Gottes Gebot lebe, denn seit dreien Jahren hat er mich nicht mehr berührt und wir leben keusch und voller Liebe mitsammen gleich zweien Engelein, ohne Zank oder Streit, und wer uns trennte, beginge eine große Sünde, maßen der Gute nunmehro schier neunzig Jahre alt ist und ohne mich – die fündundvierzig ist – nicht leben könnte!‹ Ihr könnt Euch denken, wie den Damen darob zumute wurde und was sie ihr für Vorwürfe machten. Da sie aber ihre Verranntheit sahen, die trotz ihres Alters und der ehrenvollen Zusprache nicht zu beheben war, so ließen sie, schon um sie zu demütigen, den Erzdechanten rufen, der sie zu einem Jahr Kerker bei Wasser und Brot verurteilte. Sodann wurde der Ehemann zu den Damen berufen, der ob ihrer Ermahnungen damit zufrieden war, sie nach Ablauf ihrer Strafe zu sich zu nehmen. – Als nun der Kanonikus inne ward, daß jene im Kerker saß, entschloß er sich, sie nie wieder zu sich zu nehmen, und dankte vielmehr den Damen, daß sie ihm jenen Teufel von den Schultern gejagt hatten.

Die Frau aber zeigte solche Reue, daß ihr Mann schließlich gar nicht das Jahr abwartete, sondern sie schon nach vierzehn Tagen vom Erzdechanten freibat. Und fortan lebten sie in Frieden und Eintracht miteinander.

So erkennet, wie des heiligen Petrus Fesseln sich durch schlechte Priester in des Satans Ketten verwandeln – also daß gar die heiligen Sakramente noch mithelfen, statt die Teufel zu verjagen. Denn mit den besten Dingen richtet man just das schlimmste Unheil an, wenn man sie mißbraucht«

»Wahrlich, das war ein unseliges Weib.« rief Oisille. »Doch ward ihr auch eine gerechte Strafe zuteil, da sie vor Richterinnen, wie jene Damen es waren, trat.« – »Mir scheint,« erklärte Parlamente, »daß das Gefängnis und die Unmöglichkeit, fürder den Kanonikus zu sehen, für sie ärgere Strafen waren als die Vorwürfe der beiden Damen.« – »Ihr vergesset das Wichtigste,« meinte Simontault, »darum sie zu ihrem Manne zurückkehrte: der Kanonikus war nämlich inzwischen neunzig Jahre alt geworden, ihr Mann aber jünger als sie. So gewann die Gute nach jeder Seite hin. Wäre der Kanonikus noch jung gewesen, dann hätte sie ihn nicht so fahren lassen.« – »Mir scheint sogar, sie tat recht klug, ihre Sünden nicht zuzugeben,« sagte Nomerfide. »Seine Vergehen soll man Gott allein gestehen und sie vor den Menschen mit aller Kraft ableugnen.« – Aber Longarine widersprach: »Eine Sünde läßt sich nur schwer so verhehlen, daß sie nicht ans Licht kommt.« – »Was sagt ihr aber von jenen Frauen, die alsbald jede Torheit, die sie begehen, ausplaudern?« fragte Hirean. – »Das schiene mir seltsam,« entgegnete jene. »Es bewiese nur, daß ihr Vergehen ihnen nicht mißfällt. Was aber Gott nicht selbst gnädig verhüllt, läßt sich auf die Dauer vor den Menschen nicht verleugnen. Gar manche machen sich eine Freude daraus, mit ihren Lastern zu prunken, andere aber klagen sich selbst an, indem sie sich verschnappen« – »Das hieße, sich recht ungeschickt selbst fangen,« meinte Sassredant. »Wißt Ihr aber eine diesbezügliche Geschichte, so erzählt sie bitte, und ich werde Euch mein Wort geben.«

»So höret denn,« hub jene an.

Zweiundsechzigste Erzählung


Eine Dame erzählt in dritter Person ein eigenes Liebeserlebnis und verschnappt sich zuletzt.

»Zu Zeiten des Königs Franz‘ des Ersten lebte eine Dame königlicher Abstammung, die mit Ehren, Tugend und Schönheit geziert war. Zudem wußte sie gar anmutig Geschichten zu erzählen und herzlich über die Berichte anderer zu lachen. Wenn sie irgendwo war, besuchten sie alle Vasallen und Nachbarn, weil sie außerordentlich beliebt war. So kam unter anderm einmal eine Dame zu ihr, die den andern zuhörte, während jeder erzählte, was ihm just einfiel. Ihr schien, sie dürfe nicht zurückbleiben, und so sagte sie schließlich: ›Edle Frau, ich habe auch eine hübsche Geschichte zu erzählen, wenn Ihr versprecht, sie nicht weiter zu sagen.‹ Und alsbald fuhr sie fort:

›Die betreffende Geschichte ist nämlich völlig wahr, das kann ich auf mein Gewissen nehmen. Also da war eine verheiratete Dame, die mit ihrem Mann sehr ehrsam lebte, obgleich er alt und sie jung war. Da nun ein Edelmann aus der Nachbarschaft bedachte, daß sie mit solchem Greise verehelicht sei, verliebte er sich in sie und setzte ihr gar manches Jahr zu. Doch erhielt er keine andere Antwort, als wie sie einer sittsamen Frau geziemte. Eines Tages aber vermeinte der Edelmann, sie würde vielleicht nicht so hart bleiben, wenn er sie unter gelegneren Umständen fände. Und nachdem er lange gegen die Furcht vor der Gefahr gekämpft hatte, siegte seine Liebe zu ihr, und so spähte er alsbald nach einer passenden Gelegenheit.

Als nun eines Tages der Ehemann jener Dame nach einem seiner Güter reiste und ob der Hitze sehr frühzeitig ausbrach, schlich sich der junge Tor in jenes Haus, wo die Frau noch schlafend im Bett lag und überzeugte sich, daß die Zofen bereits das Zimmer verlassen hatten. Und ohne überhaupt einen Riegel vorzuschieben, sprang er gestiefelt und gespornt in das Bett der Dame. Die erwachte und war natürlich vor Schrecken starr. Aber er schnitt ihr alle Vorwürfe ab, nahm sie mit Gewalt und erklärte ihr: wenn sie die Sache bekanntgäbe, so würde er sagen, sie habe ihn rufen lassen. Darob erschrak die Dame so, daß sie nicht zu schreien wagte.

Bald darauf kam eine der Kammerzofen in die Stube. Deshalb erhob sich der Edelmann in Hast, und niemand hätte ihn bemerkt, wenn sich nicht sein Sporn in die Bettdecke eingehakt hätte, also daß selbige hinuntergerissen wurde und die Dame ganz nackend im Bett liegen blieb.

Und obgleich nun die Dame in dritter Person erzählt hatte, fuhr sie also fort: »Nie war wohl eine Frau verblüffter als ich, wie ich mich plötzlich so splitternackt sah!«

Alsbald konnte die andere Dame, die bisher ganz ernsthaft zugehört hatte, ihr Lachen nicht unterdrücken und rief: »Ich sehe, Ihr versteht es vortrefflich, Geschichten zu erzählen.« Die Ärmste versuchte ihre Ehre wieder herzustellen, aber die war nun schon so zerstört, daß sich nichts wieder gutmachen ließ.

Sicherlich hätte jene Dame die Geschichte längst vergessen gehabt, wenn sie ihr im Grunde so mißfallen hätte. Wie ich nun sagte: die Sünde enthüllt sich meist selbst, wenn sie nicht mit dem Mantel bedeckt wird, der, wie David sagt, die Menschen glücklich macht.

»Weiß Gott, das war die dümmste Frau, von der ich je gehört habe,« rief Emarsuitte. »Sie läßt gar andere auf ihre Kosten lachen« – »Ich finde das nicht so seltsam,« meinte Parlamente. »«Denn es sagt sich doch etwas noch leichter als es getan wird.« – »Aber was hat sie am Ende verbrochen?« verwunderte sich Guebron. »Auch der vielgerühmten Lucretia ging es doch nicht anders.« – »Freilich, auch dem Gerechtesten kann einmal etwas zustoßen,« erwiderte Parlamente. »Aber die Entrüstung über den Vorfall bleibt im Gedächtnis, und um das zu verlöschen, tötete sich Lucretia. Jene Törin aber wollte die andern damit unterhalten« – »«Mir scheint sie recht ehrsam,« sprach Nomerside, »da sie doch alle Bitten des Edelmannes abgelehnt hatte und erst der List und Gewalt erlag.« – »Wie denn, Ihr meint also, ihre Ehre sei reingeblieben?« – entrüstete sich jene. »Wie manche lehnt ab, was ihr Herz längst billigt. Nur eine Frau, die bis zum Schluß aushält, ist rühmenswert.« – »Und wenn nun ein Jüngling ein schönes Mägdelein abwiese fragte Dagoucin. – »Wahrlich, wenn ein junger gesunder Mann so etwas täte, fände ich das höchst löblich«, erklärte Oisille. »Aber ich kann das nicht recht glauben.« – »Dennoch kenne ich welche, die solche Abenteuer mieden, so doch alle ihre Gefährten suchten.« – »So nehmet, bitte, meinen Platz ein und erzählet uns davon,« rief Longarine. »Aber vergesset nicht, daß wir hier sind, um die Wahrheit zu reden.«

»Das will ich gern versprechen,« hub Dagoucin an, »und keine Schönfärberei soll die Wahrheit entstellen.«

Vierte Erzählung


Wessen ein Edelmann sich gegen eine flandrische Prinzessin kecklich unterfing und welche Schmach und Schande ihm daraus erwuchs.

»In Flandern lebte einst eine Frau alleredelster Abkunft, die schon zwei Gatten verloren hatte und sich in ihrer Witwenschaft auch keiner Kinder erfreute. Sie hatte sich zu einem Bruder zurückgezogen, der ihr sehr zugetan war – einem hochgestellten Mann und Gemahl einer Tochter des Königs. Dieser junge Fürst war dem Vergnügen sehr ergeben und liebte Jagd, Kurzweil und Tanz, gleichwie es seiner Jugend geziemte. Sein Weib dagegen war grämlich und verabscheute des Gatten Frohsinn. Darum ließ jener auch gern seine Schwester teilnehmen, die bei aller Tugend und Ehrbarkeit doch fröhlich und äußerst gesellig war. Nun verkehrte bei dem Fürsten ein Edelmann, des Anstand, Schönheit und Liebenswürdigkeit alle seine Gefährten überstrahlte. Da dieser inne ward, wie fröhlich die Schwester seines Herrn sich erging, bedachte er zu erproben, ob es ihr wohl mißfallen würde, wenn er ihr seine ergebenste Freundschaft zu Füßen legte. Das tat er auch. Doch strafte die Antwort sein Erwarten Lügen und war der Wohlanständigkeit jener Prinzessin gar geziemend angepaßt. Trotzdem verzieh ihm die Prinzessin angesichts seines Ansehens und seiner Schönheit sein dreist Gebaren und gab ihm zu verstehen, daß sie wohl gern die Unterhaltung mit ihm pflegen mochte, sofern er künftig solche Reden ließe. Das versprach er auch, um nicht des Vergnügens und der Ehre eines Gespräches mit ihr verlustig zu gehen.

Doch wuchs nur mit der Zeit seine Neigung zu ihr, also daß er seines Versprechens vergaß. Zwar wagte er nicht neuerdings kecke Worte, denn ihre tugendsame Abweisung war ihm noch recht frisch in Erinnerung. Vielmehr gedachte er, sie einmal gelegenen Ortes zu stellen, so daß sie (eine junge Wittib feurigen Temperaments) womöglich sich seiner und ihrer zugleich erbarme. Zu diesem Behufe sagte er seinem Herrn, auf seinem Gute wäre eine gar herrliche Jagd, und wenn es ihm behage, dort einmal einige Hirsche im Mai zu jagen, so könne er eines wundervollen Zeitvertreibes sicher sein. Der Fürst nahm seine Einladung gerne an, da er den Edelmann schätzte und zudem die Jagd liebte, und kam zu ihm aufs Schloß, das also schön und wohlgerichtet war, wie das des reichsten Mannes im Lande. Der Fürst und seine Gemahlin bezogen alsdann den einen Flügel des Hauses, in dem andern aber brachte der Edelmann die Dame seines Herzens unter.

Das Gemach der Prinzessin war so herrlich mit Stoffen und Wandteppichen ausgestattet, daß man unmöglich eine Falltür entdecken konnte, die sich in der Wand neben dem Bett befand und zu der Stube seiner greisen Mutter führte. Diese hustete viel, und um die Prinzessin nicht zu stören, hatte sie ihr Zimmer mit dem des Sohnes vertauscht. Allabendlich brachte die Greisin der Prinzessin Süßigkeiten, um ihr zu Gefallen zu sein. Und diese erlaubte hinwiederum dem Edelmann, da er sich also ihres Bruders Gunst und Hochschätzung erfreute, bei ihrer Morgen- und Abendtoilette zugegen zu sein. Der Anblick, der sich ihm so bot, vermochte seine Leidenschaft nur zu erhöhen.

Nachdem er dergestalt eines Abends bis zu später Stunde mit der Prinzessin geplaudert hatte, ging er in seine Stube erst, als sie der Schlaf zu übermannen anfing. Dort legte er sich sein reichstes, wohlparfümiertes Hemd an, nahm dann eine gleich prächtige Nachtmütze und wiegte sich nun in der Gewißheit, daß kein Weib der Welt solcher Pracht und Anmut zu widerstehen vermöchte. So war er auch seines Erfolges sicher, stieg ins Bett in der Erwartung und Hoffnung, sich bald eines köstlicheren und vergnüglicheren Lagers erfreuen zu können, und schickte die Dienerschaft fort. Alsdann verschloß er hinter ihnen die Tür und lauschte, ob sich droben im Gemach der Prinzessin noch etwas rege.

Kaum war er sicher, daß alle zur Ruhe gegangen waren, so machte er sich sacht ans Werk, öffnete vorsichtig die Falltür, die wohlgefügt und tuchbeschlagen war, so daß sie lautlos arbeitete, und stieg zum Alkoven der Prinzessin empor, die eben in Schlummer gesunken war. Und ohne sich an die Achtung zu kehren, die er ihr und ihrer Abkunft schuldete, ohne ihre Erhörung zu erbitten oder ihr anheimzustellen, legte er sich neben ihr nieder und sie ward seines Kommens erst inne, als sie sich in seinen Armen spürte. Doch sie war stark, riß sich los und fiel mit Schlagen, Beißen und Kratzen über ihn her, derweile sie ihn fragte, wer er sei. Voll Angst, sie könnte Leute herbeirufen, suchte er ihr mit der Decke den Mund zu schließen. Aber das gelang ihm nicht; und als sie gewahrte, daß er an Kräften nicht sparte, sie zu schänden, nahm auch sie alle zusammen, um ihn abzuwehren, und schrie zugleich so laut als möglich nach ihrer Ehrendame, einer bejahrten, tugendsamen Frau, die im Nebenzimmer schlief. Die kam alsbald im Hemd angelaufen.

Als sich der Edelmann also entdeckt sah, fürchtete er gar sehr, von der Ehrendame erkannt zu werden und entschlüpfte eiligst durch die Falltür. Und gleich groß wie seine Hoffnung und Zuversicht auf dem Hinwege war nun seine Verzweiflung über diesen schmählichen Abzug. Beim Kerzenschein besah er im Spiegel sein Gesicht, das aus zahllosen Biß- und Kratzwunden blutete, sah, wie dies Blut in Strömen auf sein schönes Hemd floß und ihm alle Pracht raubte, und er stöhnte darob: ›Wehe, du Schönheit, wie hast du mir üblen Lohn gebracht. Dein eitles Locken trieb mich zu unmöglichem Unterfangen, und nun fand ich statt neuen Glückes nur schlimmres Leid. Erfährt sie, daß ich so mein Versprechen brach, dann gehe ich des Verkehrs mit ihr verlustig. Wie konnte ich nur meiner Vorzüge entraten und ihren keuschen Leib durch Kraft zu nehmen suchen, statt ihr Herz durch Liebe zu gewinnen und hierzu ergeben und demütig ihr zu dienen. Denn ohne Liebe ist alle Kraft und Stärke des Mannes machtlos.‹

Also verbrachte er die Nacht in Tränen und unbeschreiblichem Gram und Schmerz. Und als er am Morgen sein Gesicht so gar zerfetzt sah, stellte er sich krank. Die siegreiche Prinzessin aber war sicher, daß einzig nur der Mann von allen am Hofe so böser Tat fähig war, der schon einmal die Keckheit gehabt hatte, ihr seine Liebe zu erklären. Und um Gewißheit zu haben, daß es ihr Wirt gewesen war, durchsuchte sie mit ihrer Ehrendame das ganze Zimmer in allen Winkeln. Doch da sie nichts fand, rief sie gar zornig: ›Ich will bestimmt wissen, daß es der Herr des Schlosses war, und morgen soll sein Kopf mir für meine Keuschheit haften.‹ Als die Ehrendame ihren Grimm gewahrte, sprach sie: ›Hohe Frau, wohl steht Euch diese Ehrsamkeit an. Doch mag es Eure Ehre nur lieben, wenn Ihr dem Manne das Leben schenkt, das er selbst ob allzugroßer Liebe zu Euch wagte. Oft wähnt man seinen Wert zu heben und vermindert ihn; so bitte ich Euch, erzählet mir den wahren Hergang.‹

Das tat die Prinzessin ausführlich, und die Ehrendame fragte sodann: ›So hat er also gewißlich nichts von Euch davongetragen, denn Kratzwunden und Schläge?‹ – ›Gewißlich nichts sonst. Und wenn er keinen guten Wundarzt findet, wird sein Gesicht wohl morgen die Spuren tragen.‹ – ›So lobet Gott‹, entgegnete die Ehrendame, ›und überlaßt ihn der Qual der Reue. Statt höchsten Lohnes erntete er nur schlimmste Schmach. Würdet Ihr ihn durch eine Klage bei Euerm Bruder zum Tode bringen, so könnte er wohl verbreiten, Ihr wäret ihm zu Willen gewesen. Und viele werden sagen, ohne großes Entgegenkommen von Eurer Seite wäre solch Unterfangen nicht möglich gewesen. Im ersten Falle wird er schweigen, im andern Falle kann man Eure Ehre allenthalben in den Schmutz ziehen.‹

Die Prinzessin erkannte wohl, wie richtig diese Erwägungen waren und daß man sie im Hinblick ihres freundlichen Umganges mit dem Edelmanne wohl falsch beurteilen könne. So fragte sie die Ehrendame um Rat, wie sie sich künftig verhalten solle und die sprach: ›Seid froh, in diesem Falle Eure Ehre gerettet zu haben, und weiset künftig jede Aufmerksamkeit zurück, denn oft fällt eine Frau zum zweiten Male in eine Schlinge, der sie das erstemal entgangen ist, maßen die Liebe blind macht und oft auf abschüssige Wege führt. Sprecht auch mit niemandem von diesem Vorfall und stellt Euch ahnungslos, wenn jener ihn gar andeuten sollte. Damit er aber nun nicht vermeint, Euch sei dies Unterfangen etwa im Grunde genehm gewesen, so brecht allmählich den Verkehr mit ihm ab. Dann wird er verstehen, wie Ihr seine Torheit verachtet und wie erhaben Eure Großmut ist, da Ihr keinerlei Rache übt.‹ Und die Prinzessin beschloß, diesen Rat zu befolgen und schlief ebenso fröhlich ein, als der Edelmann trübselig wachte.

Tags darauf wollte der Fürst von dannen gehen und fragte nach seinem Wirte. Man sagte ihm, er sei so krank, daß er nicht ans Licht kommen noch mit jemand reden dürfe. Voll Schreckens und Verwunderung wollte der Fürst ihn aufsuchen. Doch da es hieß, er schliefe gerade, vermied er es, ihn zu wecken und verließ so mit seiner Gemahlin und der Schwester das Schloß, ohne Abschied von ihm zu nehmen. Als die Prinzessin vernahm, daß der Edelmann sich entschuldigen ließ, und ihnen nicht das Geleit gab, war sie überzeugt, daß er ihr den Schimpf angetan hatte und nun sein Gesicht nicht zu zeigen wagte, weil sie es ihm so zerkratzt hatte.

Obgleich dann sein Herr oftmals nach ihm schickte, kehrte er doch erst zum Hofe zurück, als alle Wunden geheilt waren, mit Ausnahme derer, die Liebe und Schmerz ihm im Herzen geschlagen hatten. Als er endlich kam und vor seiner siegreichen Feindin erschien, vermochte er seine Röte nicht zu verbergen. Und trotzdem er sonst so keck war, verlor er nun oft aus Verlegenheit alle Haltung, so daß sie alle Zweifel aufgab und sich allgemach von ihm zurückzog. Zwar tat sie es sehr feinfühlig, aber er spürte es wohl. Doch ließ er sich nichts merken, aus Angst, es könne ihm noch schlimmer ergehen. Und so barg er seine Liebe in seinem Herzen und trug die verdiente Entfremdung in Geduld.

Diese Geschichte, meine Damen, mag alle abschrecken, die mehr begehren, als ihnen zukommt. Doch mag die Tugendhaftigkeit der Prinzessin und ihrer Ehrendame wohl auch den Herzen der Frauen Kraft verleihen, Wenn jemand gleichen Fall erleben sollte, weiß er nun, was tun.«

»Mir scheint der Edelmann so mutlos,« meinte Hircan, »daß man sein Angedenken wahrlich nicht zu pflegen braucht. In solchem Falle durfte man nicht vor alt, nicht vor jung zurückweichen. Ganz sicherlich war seine Liebe nicht zu groß, da er noch Angst vor Tod und Schande kannte.« – »Und was«, fragte Nomerfide, »hätte jener den beiden Frauen gegenüber denn beginnen sollen« – »Die Alte mußte er töten. Hätte sich die Junge dann allein gesehen, so wäre sie schon halb besiegt gewesen.« – »Töten!« rief Nomerfide aus. »So wollt Ihr aus dem Liebenden einen Mörder machen! Wenn Ihr so denkt, sollte man wohl besorgen, je in Eure Hände zu fallen.« – »Wenn ich erst einmal so weit wäre, würde ich mich wahrlich für entehrt halten, falls ich nicht ganz zum Ziele käme.«

Nun mischte sich Guebron ein: »So scheint es Euch seltsam, daß eine Prinzessin, die in aller Tugend aufgezogen wurde, sich eines einzelnen Mannes erwehrte? Wie mag euch da eine einfache Frau in Erstaunen versetzen, die den Händen zweier Männer zu entgehen wußte.« – »Guebron,« sprach Emarsuitte, »ich gebe Euch das Wort zur fünften Erzählung. Denn ich glaube, Ihr wißt uns von diesem armen Weibe Unterhaltsames zu berichten.«

»Wenn denn die Wahl auf mich fällt,« erklärte Guebron, »so will ich euch einen Vorfall mitteilen, dessen Wahrhaftigkeit ich an Ort und Stelle nachgeprüft habe. Ihr werdet daraus entnehmen, daß sich Tugend und gerader Sinn nicht nur bei Prinzessinnen findet und Liebe und feine List auch denen zu eigen ist, bei denen man es oft am wenigsten vermutet.«

Vierundfünfzigste Erzählung


Von einer gar wohlgemuten Dame, die nur lachte, als sie sah, wie ihr Mann die Magd küßte, und erklärte, sie lache über einen Schatten, maßen sie den wahren Grund nicht nennen wollte.

»Zwischen den Pyrenäen und den Alpen lebte ein Edelmann namens Thogas, der ein Weib, Kinder, ein schönes Haus und soviel Habe und Freuden hatte, daß er wohl zufrieden hätte leben können, wenn ihn nicht immer ein rasender Kopfschmerz gequält hätte. Darob rieten ihm die Ärzte, sich der ehelichen Freuden zu enthalten. Die Frau war damit einverstanden, da sie nur für ihres Mannes Gesundheit besorgt war. So ließ sie sich ein Bett im gegenüberliegenden Winkel der gleichen Stube aufschlagen, so daß jeder der beiden Ehegatten den andern sehen konnte, wenn er den Kopf hervorstreckte.

Selbige Dame hatte zwei Mägde und diese hielten ihren Herrschaften oft die Kerzen, wenn selbige im Bett lesen wollten; und zwar saß die jüngere bei dem Herrn, die ältere bei der Frau. Da nun der Edelmann inne ward, daß seine Magd jünger und schöner war als ihre Herrin, so ergötzte er sich wiederholt daran, sie anzublicken, ließ sein Buch und begann mit ihr zu plaudern. Das hörte seine Frau gar wohl, doch fand sie es durchaus angemessen, daß die Dienerschaft ihrem Mann die Zeit vertreiben half. Denn sie war seiner Liebe sicher.

Als sie nun eines Abends wieder lange Zeit im Bett lasen, blickte die Dame nach der jungen Magd; doch konnte sie nur ihren Rücken wahrnehmen und ihren Mann gar nicht sehen. Dafür aber erblickte sie auf der weißen Wand neben dem Ofen sein Schattenbild, das sie sehr wohl erkannte, und daneben das der Magd, deren Köpfe sich bald einander näherten, bald entfernten, derweile beide kicherten. Das war so deutlich, als sähe sie die beiden selbst. Und der Edelmann, der darauf nicht achtete, war ganz sicher, daß sein Weib ihn nicht sehen konnte und küßte die Magd. Die Dame duldete das stillschweigend. Als sie aber sah, daß sich selbiges des öfteren wiederholte, fürchtete sie, daß jemand anderes das bemerken könne. Deshalb begann sie laut zu lachen, also daß die beiden Schatten erschreckt auseinanderfuhren.

Alsbald fragte sie der Edelmann, warum sie gelacht habe und ob er daran nicht teilnehmen könne. Sie aber entgegnete: »Lieber Freund, ich bin so dumm und lache über einen Schatten.« Und nie gestand sie ihm ob seiner Fragen die Wahrheit. Denn für sie hatte er nur ein Schattenbild geküßt.

An diesen Fall erinnerte ich mich, als Ihr von der Dame sprachet, so die Freundin ihres Mannes liebte.«

»Weiß Gott,« rief Emarsuitte, »in solchem Fall hätte ich der Magd die Kerze auf der Nase verlöscht.« – »Ihr seid sehr heftig,« lächelte Hircan. »Denkt Euch nur, daß Euer Mann Euch dann mit der Magd zusammen verprügelt hätte! Um einen Kuß soll man nicht solch Aufhebens machen. Besser vielleicht hätte die Frau ganz still bleiben sollen, auf daß ihr Mann es sich wohl sein ließ und von seiner Krankheit geheilt würde.« – »Sie fürchtete doch gerade, daß diese Kurzweil ihn nur kranker mache,« widersprach Parlamente. – »Meiner Ansicht nach,« erklärte Oisille, »sollten alle Frauen an den Freuden und Leiden ihrer Männer teilnehmen, mit ihnen lachen, mit ihnen traurig sein.« – »Wahrscheinlich liebte sie mehr ihre Ruhe als ihren Mann,« spottete Longarine, »da sie sich die Sache so wenig nahe gehen ließ.« – »Sie ließ sich ja sehr wohl nahe gehen, was sein Gewissen und seine Gesundheit betraf,« entgegnete Parlamente. – »Sprecht nicht von Gewissen, sonst muß ich lachen,« sagte Simontault. »Nicht um die Welt möchte ich erleben, daß meine Frau sich um mein Gewissen kümmert.« – »Dann solltet Ihr jene zum Weibe haben,« lachte Nomerfide, »die nach ihres Gatten Tode bewies, daß sie das Geld mehr liebte als das gute Gewissen.« – »Bitte, erzählt uns das,« bat Saffredant. »Ich gebe Euch das Wort.«

»Solch kurze Geschichte wollte ich eigentlich gar nicht erzählen,« hub jene an, »Da sie aber hierher paßt, so werde ich sie mitteilen.«

Fünfundfünfzigste Erzählung


Mit welcher List eine Spanierin die Mönche um das Vermächtnis ihres Gatten brachte.

»Zu Saragossa lebte ein Kaufmann. Als der seinen Tod nahen fühlte und inne ward, daß er seine Habe nun nicht mehr behalten könne (die er vielleicht mit schlechten Mitteln erworben hatte), da wollte er sich von seinen Sünden loskaufen und vermachte alles dem Bettelorden, ohne zu bedenken, daß sein Weib und seine Kinder darob nach seinem Tode Hungers sterben würden. Er bestimmte also, daß man einen guten spanischen Gaul, der den Hauptteil seines Vermögens ausmachte, möglichst hoch verkaufen und den Erlös an die Klöster verteilen solle, und bat sein Weib, dies unmittelbar nach seinem Tode auszuführen.

Als er im Grabe lag und die ersten Tränen getrocknet waren, ging die Frau, die gar nicht so dumm war, zu ihrem Knecht, der auch diese Verfügung des Verstorbenen gehört hatte, und sagte: ›Ich finde, ich habe an meinem Mann so viel verloren, daß ich nicht auch noch aller Habe verlustig gehen möchte. Drum will ich seinen Wunsch zum Guten wenden, denn ich muß für die Notdurft meiner Kinder sorgen. Aber niemand darf etwas erfahren.‹ Und als der Knecht ihr versprochen hatte, nichts zu verraten, fuhr sie fort: ›Geh und verkauf dies Pferd. Wenn dich jemand fragt, wieviel es kostet, so sage: ›Einen Dukaten.‹ Ich habe aber hier eine sehr schöne Katze – die verkaufst du mit, und nicht unter neunundneunzig Dukaten, so daß beide zusammen die hundert Dukaten bringen, für die mein Mann das Pferd allein verkaufen wollte.‹

Der Knecht führte alles pünktlich aus: als er den Gaul auf den Marktplatz brachte (die Katze trug er unterm Arm), da fragte ihn ein Edelmann, der dies Pferd längst kaufen wollte, was es koste. Der erwiderte: ›Einen Dukaten.‹ – ›Mach dich doch nicht über mich lustig.‹ – ›Aber gewiß, Herr, es kostet nur einen Dukaten. Allerdings muß man auch diese Katze für neunundneunzig Dukaten mitkaufen.‹

Der Edelmann fand den Preis angemessen, zahlte genau einen Dukaten für das Pferd, den Rest für die Katze und ging mit seinem Einkauf von dannen. Der Knecht aber brachte das Geld seiner Herrin, die fröhlich den Dukaten für das Pferd den Bettelmönchen gab, so wie es ihr Mann bestimmt hatte, und den Rest für sich und ihre Kinder zurückbehielt.

War diese Frau nun nicht klüger als ihr Gatte?« »Sicherlich liebte sie ihn sehr,« meinte Parlamente. »Aber da sie ihn sein Haus so schlecht bestellen sah, wollte sie seine Bestimmungen zum Besten der Kinder auslegen. Das halte ich für sehr klug.« – »Ist es keine Sünde, die letzten Wünsche der Verstorbenen nicht zu erfüllen?« fragte Guebron. – »Doch – falls der Sterbende bei vollem Verstand war.« – »Ist es nicht irrig, seine Habe der Kirche und den Bettelorden zu vermachen?« – »Nein, im allgemeinen nicht. Aber alles so hinzugeben und dadurch die Seinen dem Hungertode aussetzen, – das kann ich nicht billigen. Mir scheint, Gott fände es nicht minder wohlgefällig, wenn man für die armen Waisen sorgt, die man hinterläßt, statt sie in Hunger und Armut zu stoßen, also daß sie dann ihre Väter verfluchen.« – »Aber woher dieser Geiz, der heute allenthalben so eingewurzelt ist, daß die Menschen erst wenn der Tod naht daran denken, Almosen zu stiften? Ich glaube, sie hängen so an ihren Reichtümern, daß sie selbige gern mitnehmen würden, wenn sie könnten. Und dann, wenn die letzte Stunde naht, schlägt ihr Gewissen.«

»Mir scheint, Hircan,« unterbrach Nomerfide, »Ihr habt eine passende Geschichte im Sinne? Erzählt sie bitte, wenn sie sich auf Mönche bezieht.«

»Das will ich gern tun,« meinte Hircan, »obgleich ich nicht gern etwas zur Schande dieser Leute berichten mag. Da wir aber auch hochgestellte Leute nicht verschont haben, können sie sich gefallen lassen, wenn man sie gleichermaßen behandelt. Zudem sprechen wir nur von den lasterhaften und wissen wohl, daß es in jedem Stand auch ehrenwerte Menschen gibt, die dabei nicht getroffen werden sollen. Darum kann ich nun wohl mit der Geschichte beginnen.«

Einundfünfzigste Erzählung


Von der hinterlistigen Grausamkeit eines Italieners.

»Ein italienischer Herzog – seinen Namen will ich verschweigen –- hatte einen Sohn von achtzehn oder zwanzig Jahren, der in ein Edelfräulein leidenschaftlich verliebt war. Da er nun nicht so ungestört mit ihr sprechen konnte, wie er es wohl wünschte, bediente er sich der Vermittlung eines Edelmannes von seinem Gefolge, so wie es die Landessitte war. Dieser Edelmann war seinerseits in ein bildschönes ehrsames Mägdelein verliebt, das zum Gefolge der Herzogin gehörte. Diese junge Dame überbrachte die Liebeserklärungen jenes Prinzen, ohne sich etwas Böses dabei zu denken. Vielmehr machte es ihr Freude, ihm gefällig zu sein, da er doch nur ehrenhafte Absichten pflog, die sie ohne Bedenken ausrichten konnte.

Der Herzog aber sorgte sich mehr um seines Hauses Vorteil denn um sittsame Freundschaften und ließ seinem Sohn nachspüren aus Angst, er könne sich dort ehelich binden. So erfuhr er, daß jenes arme Mägdelein die Zwischenträgerin einiger Briefe gewesen war, und ergrimmte darob dermaßen, daß er beschloß, dem einen gehörigen Riegel vorzuschieben. Doch konnte er seine Wut nicht so wohl bergen, daß die junge Dame nicht davon benachrichtigt wurde. Da selbige nun des Fürsten Bosheit kannte, so ward sie von schrecklicher Furcht ergriffen und eilte zu der Herzogin mit der flehentlichen Bitte um Urlaub, auf daß sie in der Ferne weilen könne, bis dieser Zorn verraucht sei.

Ihre Herrin erwiderte, sie wolle erst ihres Mannes Sinn ergründen, ehe sie diesen Urlaub erteile. Nachdem sie aber die bösen Absichten des Herzogs durchschaut hatte, gab sie in Anbetracht seines Charakters nicht nur dem Mägdelein den erbetenen Urlaub, sondern riet ihm obendrein, ein Kloster aufzusuchen, bis der Sturm vorüber sei. Das geschah auch in aller Heimlichkeit.

Trotzdem kam der Herzog dahinter, und alsbald fragte er mit verstellter Freundlichkeit sein Weib, wo die junge Dame sich befände. Die Herzogin vermeinte, er wisse alles, und gestand die Wahrheit, worob er sich betrübt stellte und ihr erwiderte, solcher Maßregeln habe es doch nicht bedurft, denn er habe nichts Böses im Sinn. Darum möge sie das Mägdelein zurückrufen, maßen es nur leidiges Geschwätz gäbe. Und als die Herzogin einwandte, in Anbetracht seiner Ungnade sei es doch besser, wenn jene fernbliebe, wies er alle Gründe von sich und verlangte ihre Rückkehr.

Nunmehr übermittelte die Herzogin der Ärmsten dies Geheiß, und als diese voll Unruhe bat, das Geschick nicht also erproben zu wollen, maßen der Herzog nicht so bereitwillig verzeihe, wie er sich stelle, versicherte ihr jene auf Ehre und Gewissen, daß ihr kein Leids geschehen würde. Darob faßte das Mägdelein Vertrauen, indem es wußte, daß die Herzogin sie liebte und nie betrügen würde, und vermeinte, der Herzog werde nie eine Zusage brechen, für die seines Weibes Ehre bürgte. Also kam es zurück.

Kaum hatte der Herzog dies erfahren, so ging er stracks in das Gemach seiner Frau. Als er das Mägdelein erblickte, rief er: ›Da ist ja die Heimgekehrte!‹, wandte sich zu den Edelleuten und befahl, jene ins Gefängnis zu werfen. Die arme Herzogin, die ihre Ehre verbürgt hatte, um sie aus ihrer Zufluchtsstelle zu locken, warf sich voller Verzweiflung ihrem Mann zu Füßen und beschwor ihn bei seinem Hause und seiner Ehre, einen solchen Vertrauensbruch nicht zu begehen. Aber weder Bitten noch Vernunftsgründe vermochten sein hartes Herz zu rühren noch ihn von seinen Rachegelüsten abzubringen. Ohne seinem Weibe ein Wort zu entgegnen, ging er unverweilt von dannen und vergaß Gottes und seiner Ehre so weit, daß er das Mägdelein ohne Gerichtsverfahren kurzerhand grausam aufknüpfen ließ.

Ich mag nicht die Verzweiflung der Herzogin schildern, die vor Scham und Herzeleid schier verging; noch auch die Trauer des Edelmannes, der vergeblich mit allen Mitteln versucht hatte, die Geliebte zu retten, ja – der selbst für sie hatte sterben wollen. Kein Mitleid packte den Herzog, er kannte nur die Wollust befriedigter Rache, und so ward dies unschuldige Mägdelein entgegen allen Gesetzen der Ehre und zum tiefen Gram ihrer Freunde ob des Herzogs grausamer Tücke zu Tode gebracht.

So erkennet, wohin die Bosheit, mit Macht gepaart, führen kann.«

»Ich hörte oft,« sagte Longarine, »daß viele – nicht alle – Italiener zumal dreien Lastern ergeben seien. Ich hätte aber nie gedacht, daß ihre Grausamkeit und Rachsucht so weit gehen könne.« – »Verwundert Euch nicht darob,« rief Simontault, »denn alle, die Italien besucht haben, berichten diesbezüglich so unglaubliche Dinge, daß jener Fall daneben nur ein ganz unschuldiges Vergehen zu sein scheint.«

»In der Tat,« bestätigte Guebron. »Als Rivoli von den Franzosen genommen wurde, stand daselbst ein italienischer Hauptmann, der für einen liebenswürdigen Kämpen galt. Als der die Leiche eines Mannes gewahrte, der nicht einmal ein Feind, sondern nur ein Guibelline war, riß er ihm das Herz aus, briet es oberflächlich und verzehrte es alsdann. Als man ihn fragte, wie ihm das schmecken könne, erwiderte er, nie habe er ein so genußreiches Stück Fleisch gegessen als dieses. Und damit nicht zufrieden, tötete er das Weib jenes Verstümmelten, riß die Frucht ihres Leibes heraus, daran sie schwanger war, zerschmetterte das Kindlein an der Mauer, füllte die Leichen der Eltern mit Haber und ließ die Pferde daraus fressen. Glaubt ihr, jener hätte nicht auch ein Mägdelein getötet, das er in Verdacht bekäme, ihm entgegen zu arbeiten?«

»Sicherlich fürchtete der Herzog, sein Sohn könne sich arm verheiraten,« brach Emarsuitte ab. »Für Leute hohen Standes ist es meist ganz selbstverständlich, sich nur von Rücksichten leiten zu lassen, die ihrer Ansicht nach über der Liebe stehen.« – »Solche Leute sollten eben mit dem Gleichen gestraft werden, darin sie sündigen,« rief Longarine. – »Ganz recht,« bestätigte Guebron, »und ich sah auch zum Beispiel noch nie einen Spötter, der nicht am Ende selbst verspottet wurde, keinen Betrüger, den man nicht schließlich selbst betrog, keinen Ruhmsüchtigen, der nicht gedemütigt wurde.« – »Da erinnert Ihr mich an einen Trug,« meinte Simontault, »den ich gern erzählt hätte, wenn er etwas … vornehmer gewesen wäre.« – »Wir sind hier, um die Wahrheit zu erzählen,« erklärte Oisille, »und mag nun die Geschichte auch nicht so untadelig sein, ich erteile Euch das Wort.«

»Da mir das Wort erteilt wurde,« hub alsbald jener an, »so will ich denn die Geschichte erzählen.«

Zweiundfünfzigste Erzählung


Welch edles Frühstück ein Apothekerlehrling einem Advokaten und einem Edelmann einbrockte.

»Zu Alençon lebte in der Zeit des letzten Herzogs Karl (des ersten Gemahls der Königin von Navarra) ein Advokat Anton Bacheré, ein lustiger Kumpan und Freund reichlicher Frühstücke. Als der eines Tages vor der Tür saß, sah er einen Edelmann, einen Herrn de la Tirelière, vorbeikommen, der ob der Kälte zu Fuß heimging und in einen dicken Fuchspelz eingehüllt war. Als dieser des Advokaten ansichtig wurde, bedachte er, daß jener dieselben Freuden liebte wie er selbst, und eröffnete ihm, er habe seine Geschäfte erledigt und sehne sich nach einem ordentlichen Frühstück.

Der Advokat meinte, ein Frühstück sei leicht zu finden, doch müsse man nun jemanden ausfindig machen, der die Kosten trüge. Darum nahm er den andern beim Arm und sprach: »Auf, Gevatter, suchen wir uns einen Dummen!«

Just ging hinter ihnen ein Apothekerlehrling, der mit dem Advokaten stets im Hader lag. Maßen er aber findig und schlau war, so bedachte er sich nun flugs zu rächen. Er sah auf der Straße ein großes Stück gefrorenen Kot liegen, wickelte es in sauberes Papier, so daß es einem Stück Zuckerbrot glich, überholte dann schnell die beiden und ließ sein Paket gleichsam versehentlich aus dem Ärmel fallen. Freudestrahlend hob es der Advokat auf und sagte zu dem Herrn de la Tirelière: »Dieser kluge Bursch wird heute die Zeche bezahlen. Nun laßt uns schnell machen, auf daß er uns nicht auf die Sprünge kommt.«

Flugs trat er in eine Schenke und hieß die Wirtin: »Steckt ein gehöriges Feuer an und bringt Brot, Wein und ein gut Stück Fleisch – wir können zahlen.« Die Wirtin führte seine Bestellungen pünktlich aus. Derweile sich aber jene am Essen und Trinken ergetzten, begann das Zuckerbrot, das der Advokat in den Brustlatz gesteckt hatte, zu tauen, also daß sich bald ein Gestank erhob, der beiden unerklärlich war. Alsbald schrie er die Wirtin an: ›Bei Euch herrscht ein Gestank, wie ich noch nirgends erlebt habe. Ich glaube, Ihr laßt Eure Kinder ihre Notdurft verrichten, wo sie sich just befinden!‹ Auch der Herr de la Tirelière, der von diesem Duft eine reichliche Menge abbekam, schimpfte, daß die Wände wackelten.

Die Wirtin aber geriet in Wut, da man sie solcher Unreinlichkeit bezichtigte, und rief außer sich: ›Beim heiligen Peter. Mein Haus ist anständig und sauber, und den Gestank habt also Ihr mitgebracht!‹

Spuckend erhoben sich nun die beiden vom Tisch und setzten sich vor’s Feuer, um sich zu wärmen. Dabei zog der Advokat sein Schneuztuch aus dem Brustlatz, das von dem Sirup des Zuckerbrotes ganz durchtränkt war. Das brachte er darob zutage, und nun könnt ihr euch den Spott der Wirtin denken und die Scham des Advokaten vorstellen, der sich von einem simplen Apothekergehilfen übertölpelt sah, obgleich er selbst doch Zeit seines Lebens zu betrügen gewohnt war.

Die Wirtin aber hatte kein Mitleid mit ihnen. Sie ließ sich alles bezahlen und meinte noch, sie müßten sich schier doppelt ergetzt haben, da doch Mund und Nase so wohl versorgt worden seien. Tief beschämt und mit leichtem Beutel zogen beide von dannen. Alsbald aber kam der Apothekergehilfe angelaufen und fragte sie, ob sie kein Zuckerbrot, wohl in Papier eingewickelt, gesehen hätten. Zwar suchten sie an ihm vorbeizukommen, aber jener rief dem Advokaten zu: ›Ihr habt mein Zuckerbrot, gebt es mir bitte wieder. Solchen Diebstahl braucht sich ein armer Teufel wie ich nicht gefallen zu lassen.‹

Auf sein Geschrei sammelte sich bald ein Haufen Menschen um sie, die dem Streit zuhörten und so alles erfuhren; also daß der Apothekergehilfe sich ebenso ob seines Verlustes freuen konnte, wie die andern zwei ob ihres Diebstahles beschämt wurden. Doch beruhigten sie sich mit der Hoffnung, ihm das ein andermal heimzuzahlen.

Zwar war diese Geschichte nicht übermäßig reinlich; doch wolltet Ihr die Wahrheit hören und so zeigte ich euch, daß niemand betrübt ist, wenn ein Betrüger hereinfällt. Hätte der Edelmann nicht auf anderer Leute Kosten essen wollen, so hätte er auch diesen Gestank nicht zu erleben brauchen.«

»Man sagt oft, daß Worte nicht stinken,« meinte Hircan. »Mir scheint aber, derjenige, der sie ausgesprochen hat, bekommt leicht die Nase davon voll. Immerhin wüßte ich gern, welche Worte so gemein sind, daß sie Herz und Seele einer sittsamen Frau anwidern.« – »Das sind die sogenannten unanständigen,« rief Saffredant. »Doch sollten mir nun die Damen sagen, weshalb sie trotzdem darüber lachen, wenn man sie vor ihnen ausspricht. Was einem widerstrebt, darüber lacht man doch nicht!« – »Wir lachen auch nur darüber,« erklärte Parlamente, »wenn jemandem wider Willen ein Wort entwischt, das er nicht sagen wollte, wie es selbst den klügsten und besten Rednern begegnen kann. Häßliche Zoten aber verabscheut die Frau und flieht vor einer Gesellschaft, die sich darin ergeht.« – »Wirklich,« bestätigte Guebron, »ich sah Frauen, die sich bei solchen Worten bekreuzigten. Aber nachher ließen sie es sich gern wiederholen. Wollt Ihr solche Heuchelei loben?« – »Die Tugend ist besser als Heuchelei,« lächelte Longarine. »Wo sie aber fehlt, da bedarf man der Heuchelei, gleichwie wir Absätze tragen, um unsere Gestalt größer erscheinen zu lassen.« – Hircan sagte: »Es kann nur entehren, wenn man sich mit falschen Federn schmückt.« – – »Ganz recht,« rief Emarsuitte. »Und gleichermaßen gibt es manche Frau, die einen kleinen Fehler verbergen wollte und darob einen größeren beging.« – »Ich glaube, ich weiß, wen Ihr meint,« – unterbrach sie Hircan, »aber bitte, nennt wenigstens nicht ihren Namen.« – »So gebe ich Euch das Wort,« sprach Guebron, »und hernach sagt Ihr uns die Namen – wir aber schwören Euch, sie nie auszuplaudern.«

»Gut, das verspreche ich,« erklärte Emarsuitte, »denn es gibt nichts in dieser Geschichte, das sich nicht in allem Anstand sagen ließe.«

Dreiundfünzigste Erzählung


Mit welcher Gewandtheit ein Fürst einen lästigen Liebeswerber zu entfernen wußte.

Als König Franz, der erste seines Namens, mit geringem Gefolge auf einem Lustschloße weilte, um zu jagen und sich auszuruhen, befand sich ein edler Herr voll Ehrsamkeit und Tugend bei ihm, ein Fürst von seltener Schönheit und Klugheit. Selbiger hatte ein Weib zu eigen, das zwar nicht überaus schön war, aber von ihm innig geliebt und gar verwöhnt wurde. So vertraute er ihr selbst an, wenn er zu einer anderen Zuneigung gefaßt hatte. Denn er wußte, daß sein Wille auch der ihrige war.

Dieser Fürst verliebte sich nun einst in eine Wittib, die in dem Rufe stand unvergleichlich schön zu sein, und trotzdem schloß auch die Fürstin selbige in ihr Herz und lud sie oft zu sich; denn sie freute sich, daß ihr Mann ein so ehr- und tugendsames Weib liebte, statt betrübt darüber zu sein. Das ging so eine ganze Weile. Aber bald stellten sich eine Reihe hoher Herren und Edelleute ein, die ob ihrer Schönheit die Wittib umwarben und sie gar heiraten wollten, denn sie war sehr reich. Unter diesen befand sich ein junger Mann, der ihr unentwegt auf den Leib rückte und den lieben langen Tag, ja selbst beim An- und Auskleiden in ihrer Stube hockte.

Das mißbehagte dem Fürsten, da er jenen in keiner Beziehung für ansehnlich halten konnte, und er machte der Dame darum Vorwürfe. Diese – die Tochter eines Herzogs – entschuldigte sich damit, daß sie mit ihm wie den andern spräche und so leichter einen Verdacht von sich bezüglich des Fürsten abwenden könne. Indes bedrängte sie der Edelmann weiter derart, daß sie schließlich, nur um ihn los zu werden, versprach, ihn zu heiraten – aber erst, wenn ihre Töchter vermählt seien. Fortan kam der Edelmann ohne die geringsten Bedenken zu jeder beliebigen Stunde zu ihr.

Als der Fürst dessen inne wurde, sagte er einmal zu der Dame: ›Ich stellte allezeit Eure Ehre so hoch wie die meiner leiblichen Schwester, und ihr wißt, wie ich Euch just ob Eurer Tugend liebe. Müßte ich aber annehmen, daß ein Unwürdiger durch Aufdringlichkeit erreicht, was ich nicht gegen Euern Willen besitzen wollte, so wäre das ebenso unerträglich für mich, wie entehrend für Euch. Man beginnt über Euch zu schwätzen, und darum wäre es schier besser, Ihr würdet ihn heiraten, obgleich er so weit unter Euerm Stand und Vermögen ist. So bitte ich Euch, sagt mir, ob Ihr ihn lieben wollt oder nicht; denn ich kann solchen Gefährten nicht neben mir dulden und müßte in diesem Falle Euch verlassen.‹

Die arme Dame fürchtete seine Freundschaft zu verlieren. Darum hub sie alsbald an, bitterlich zu weinen, und schwor ihm zu: lieber wolle sie sterben, als jenen Edelmann heiraten. Leider fiele er ihr aber so lästig, daß sie sich vor ihm nicht schützen könne. – ›Ich rede nicht davon, daß er zu einer Stunde zu Euch kommt, wo alle kommen können,‹ rief der Fürst. ›Ich hörte aber, daß er Euch auch besucht, wenn Ihr im Bett liegt. Und wenn das so fortgeht, ohne daß Ihr ihn heiratet, so werdet Ihr die ehrloseste Frau der Welt!‹ Alsbald versicherte sie ihm, sie betrachte jenen nicht als einen Gatten, sondern als einen Bekannten und einen über die Maßen lästigen Gesellen. – ›Nun denn, wenn er Euch unbequem ist,‹ entgegnete der Fürst, ›dann werde ich Euch von ihm befreien.‹ – ›Wie!‹ rief sie, ›Ihr wollt ihn töten?‹ – ›Keineswegs! Aber ich werde ihm zu verstehen geben, daß dies Haus kein öffentlicher Ort ist, sondern ehrenwert gleich dem des Königs. Und ich schwöre Euch: wenn er sich von nun an nicht ändern sollte, werde ich ihm eine Lehre geben, so die andern sich hinter die Ohren schreiben werden.‹

Damit ging er von dannen. Aber just, als er aus dem Zimmer trat, begegnete er besagtem Edelmann, der hinein wollte. Dem wiederholte er, was er eben gesagt hatte und kündigte ihm an: ›das erstemal, da er ihn zu unerlaubter Stunde hier beträfe, werde er ihm einen derartigen Schreck einjagen, daß er den nicht so bald wieder vergessen würde, maßen die Dame zu hochgestellt sei, als daß man ihr so mitspiele.‹ Darauf entgegnete jener, er könne sicher sein, daß er sie nur zu erlaubter Stunde besuche; sollte der Fürst ihn je zu anderer Zeit hier abfangen, so möge er ihm gern das Schlimmste antun. Einige Tage später aber nahm der Edelmann an, der Fürst habe seine Worte vergessen, besuchte die Dame abends und blieb recht spät. Da nun die Dame sehr erkältet war, so wurde der Fürst von seiner Frau gebeten, er möge sie, auch in ihrem Namen, besuchen, da sie selbst Wichtiges zu erledigen habe. Der wartete, bis der König zu Bett gegangen war, und begab sich alsdann zu der Dame, um ihr einen guten Abend zu wünschen. Als er dort die Treppe hinauf wollte, traf er einen Kammerdiener, der hinunter kam, und fragte ihn nach dem Befinden seiner Herrin. Der versicherte, sie sei zu Bett und schliefe schon. Der Fürst aber hatte den Eindruck, daß er log, und blickte sich im Fortgehen um. Da sah er, wie jener in großer Eile wieder zurücklief, und nun ging er im Hofe vor der Tür auf und ab, um zu sehen, ob der Diener nicht wiederkäme. Eine Viertelstunde später sah er ihn auch richtig ankommen; doch schaute er sich um, ob der Fürst noch im Hofe sei.

Alsbald sagte sich dieser, daß der Edelmann im Zimmer der Dame weile und aus Angst vor ihm nicht hinunterzukommen wage. Und da er sich erinnerte, daß ein Fenster jener Wohnung nicht hoch lag und in einen kleinen Garten führte, bedachte er das Sprichwort: ›Der gerade Weg geht durchs Fenster‹, rief einen seiner Diener herbei und hieß ihn: ›Geh‹ dort in jenen Hintergarten, und wenn du einen Edelmann zum Fenster hinausklettern siehst, so wirf dich mit gezücktem Degen auf ihn, sowie er auf die Erde gelangt ist, haue an die Mauer und rufe: ›Tötet ihn! Tötet ihn!‹ Aber hüte dich, ihn zu verletzen.‹

Der Diener begab sich dorthin, und der Fürst wandelte bis etwa drei Uhr nachts vor der Tür auf und ab. Da nun der Edelmann inne ward, daß jener nicht fortging, entschloß er sich, durchs Fenster zu entweichen, und nachdem er zunächst seinen Mantel hinuntergeworfen hatte, glitt er mit Hilfe bestochener Diener in den Garten. Alsbald klirrte der Diener des Fürsten gewaltig mit dem Degen und schrie: ›Tötet ihn, tötet ihn.‹ Da vermeinte der Edelmann, dort sei der Fürst selber, bekam schreckliche Angst und floh, ohne seinen Mantel aufzuheben, in größtmöglicher Eile von dannen. So kam er zu der Torwache, die mißtrauisch wurde, da sie ihn so laufen sah. Und da er den Leuten nicht den Grund zu sagen wagte, so bat er sie, ihn bis zum Morgen bei sich in der Wachstube aufzunehmen. Das taten sie denn auch.

Indessen war der Fürst heimgekehrt, und da sein Weib schon schlief, weckte er es auf und sagte: ›Ihr schlaft schon? Wieviel Uhr ist es denn?‹ – ›Seit ich schlafe, hörte ich die Uhr nicht mehr schlagen,‹ entgegnete sie. – ›So wißt,‹ sprach er, ›es ist schon drei Uhr vorbei.‹ – ›Jesus!‹ rief jene, ›wo waret Ihr denn nur so lange? Ich fürchte, Ihr werdet Euch eine Krankheit zuziehen!‹ – ›Nie werde ich vom Wachen erkranken,‹ antwortete der Fürst, ›wenn ich dadurch Leute am Schlafe hindere, die mich hintergehen wollen.‹ Und damit begann er gewaltig zu lachen, also daß sie ihn bat, ihr die Geschichte zu erzählen. Das tat er in aller Ausführlichkeit und zeigte ihr obendrein das Wolfsfell, das sein Diener ihm gebracht hatte. Nachdem sie sich derart weidlich über die Leutchen ergötzt hatten, ergaben sie sich dem Schlafe der Gerechten, derweile die andern beiden von der Furcht gemartert wurden, daß ihre Missetaten enthüllt werden könnten.

Da sich nun der Edelmann klar machte, daß Verstellung nichts nützte, kam er früh zum Fürsten, als der sich erhob, und bat ihn flehentlich, die Sache nicht an die große Glocke zu hängen und ihm den Mantel wiederzugeben. Der Fürst aber stellte sich dumm und führte seine Rolle so gut durch, daß der Edelmann nicht wußte, woran er sich nun halten solle. Aber er empfing noch eine Lehre, die er nicht so bald vergaß; denn der Fürst ließ ihn wissen: wenn er sich jemals wieder in jenem Hause zeige, so würde er es dem König sagen und dafür sorgen, daß er vom Hofe verbannt würde.

Hätte nun die Dame nicht besser daran getan, dem Fürsten, der sie durch seine Liebe und Wertschätzung so ehrte, die Wahrheit zu sagen, statt sich durch Verstellung solcher Beschämung auszusetzen?«

»Sie wußte doch recht wohl,« entgegnete Guebron, »daß sie bei einem offenen Geständnis seine Gunst verlor, und das wollte sie offenbar um alles in der Welt nicht.« –

»Mir scheint,« meinte Longarine, »sie konnte gut auf diese Freundschaft verzichten, wenn sie einen Mann nach Wunsch gewählt hätte.« – »Wenn sie ihre Ehe hätte bekanntgeben können, ja,« antwortete Parlamente, »aber sie wollte sie doch einstweilen geheimhalten und brauchte daher einen Deckmantel.« – »Das ist es nicht,« rief Saffredant. »Der Ehrgeiz der Frau begnügt sich nicht mit einem Mann; sie braucht zum mindesten drei: einen der Ehre wegen, einen für’s Geld, den dritten zur Lust. Jeder dieser drei vermeint, am meisten geliebt zu sein, aber die ersteren beiden sind nur die Diener des dritten.« – »Ihr sprecht von Frauen, die weder Liebe noch Ehre kennen,« entrüstete sich Oisille. – »Keineswegs. Manche von ihnen haltet Ihr gewiß für hochehrbar. Und zudem ist es gerade diese Kunst, sich so wohl zu stellen, die ihnen den Ehrentitel ›kluge Frauen‹ einträgt – damit locken sie schier mehr Anbeter ins Netz denn mit ihrer Schönheit, obgleich dieser Name gerade auf deren Kosten erworben wird.«

»Jedenfalls,« brach Nomerfide ab, »glaube ich, daß des Fürsten Gemahlin innerlich froh war, daß ihr Mann die Frauen durchschauen lernte.« – »Das war sie nicht,« widersprach Emarsuitte. »Vielmehr war sie tief betrübt, weil sie nämlich ihren Mann wahrhaft liebte.« – »Dann gefiele sie mir nicht minder als jene, die nur lachte, als ihr Mann die Magd küßte,« erklärte Saffredant. – »Wahrhaftig, das müßt Ihr erzählen,« rief Emarsuitte. »Ich gebe Euch das Wort.« Und Saffredant hub an:

»Die Geschichte ist zwar nur kurz, aber ich möchte euch lieber lachen machen denn langweilen.«

Dritte Erzählung


Der König von Neapel verführt eines Edelmannes Frau und wird schließlich selbst betrogen.

»Oft habe ich mir gewünscht,« erzählte Saffredant, »das glückliche Geschick des Mannes zu teilen, von dem ich hier berichten will. Zur Zeit des Königs Alfons, dessen Sinnenlust in seinem Reiche das Szepter führte, lebte in Neapel ein Edelmann, dem ob seiner vollkommenen Ehrenhaftigkeit, Schönheit und Liebenswürdigkeit ein alter Grande seine Tochter zum Weibe gab. Das Mägdelein stand ihrem Manne weder in Tugend noch in Schönheit nach, und zwischen beiden herrschte alsbald herzinnige Zuneigung. Da kam der Karneval, allwo der König maskiert in die Häuser zu gehen pflegte und jeder sich befleißigte, ihn bestmöglich zu empfangen. So ging er auch in das des Edelmannes und ward trefflicher bewirtet, denn sonst irgendwo, soviel Leckerbissen, so schöner Gesang ward ihm geboten. Zudem war dort die herrlichste Frau, die er je gesehen hatte, und am Ende des Gastmahles trug diese gar mit ihrem Mann ein Lied mit soviel Anmut vor, daß ihre Schönheit darob noch zu wachsen schien. Doch der Anblick so vieler Vollkommenheiten, die in einer Person vereint waren, weckte in dem Könige kein Behagen an der sanften Eintracht der beiden Gatten, sondern den Wunsch, diese Eintracht zu stören. Ihre innige Zuneigung zueinander erkannte er als ein großes Hindernis. So barg er, so gut er es vermochte, seine Leidenschaft in seinem Herzen.

Um diese aber wenigstens zum Teil zu befriedigen, ließ er allen Edelleuten und Edelfrauen Neapels ein Festgelage geben, zu dem auch jene zwei geladen waren. Maßen nun jeder gern das glaubt, was er zu sehen wünscht, so vermeinte er, daß die Augen jener Frau ihn verheißungsvoll anblickten, und nur des Mannes Anwesenheit ihr hinderlich zu sein schien. Um nun die Richtigkeit seines Gedankens zu erkunden, gab er dem Manne den Auftrag, für zwei bis drei Wochen nach Rom zu reisen. Kaum war dieser fort, so versank sein Weib, dem sein Bild noch lebhaft vor Augen stand, in tiefe Trauer. Doch der König suchte sie, soviel er konnte, durch zarte Aufmerksamkeiten, Gaben und Geschenke zu trösten, also daß sie bald den Abschiedsschmerz überwunden hatte und sich gar ohne ihren Mann recht wohl fühlte. Und noch bevor die drei Wochen, nach denen er heimkehren sollte, verstrichen, war sie dermaßen in den König verliebt, daß ihres Mannes Rückkunft ihr schwerer auf die Seele fiel als seine Abreise. Um nun das Zusammensein mit dem Könige nicht entbehren zu müssen, vereinbarten die beiden: allemal, wenn ihr Gatte seine Güter besuchen würde, wollte sie es den König wissen lassen, und der mochte sie dann so geheim besuchen, daß ihr Mann (den sie mehr fürchtete, denn ihr Gewissen) davon nichts erfahren würde.

Diese Hoffnung stimmte sie wieder froh. Und als ihr Mann heimkehrte, nahm sie ihn so trefflich auf, daß er nun an die Gerüchte, die ihm zugegangen waren, nimmer glauben mochte: der König habe während seiner Abwesenheit mit seinem Weibe gebuhlt. Doch mit der Dauer der Zeit brach die wohl verborgene Leidenschaft zu deutlich hervor, als daß der Gatte an der Wahrheit der Gerüchte weiter zweifeln konnte. Er spürte ihnen nach und war alsbald so gut wie sicher. Doch fürchtete er, der König, der ihm seine Ehre geraubt hatte, konnte ihm noch Schlimmeres antun, dafern er sich etwas merken ließe. So verstellte er sich; denn er zog vor, in Leid zu leben, statt für ein Weib, das ihn doch nicht liebte, sein Leben aufs Spiel zu setzen. indessen erwog er voll Unmutes, wenn möglich dem König ein gleiches heimzuzahlen. Er bedachte, daß die Liebe großmutige und tugendsame Herzen am leichtesten zu übermannen vermochte, und eines Tages, da er mit der Königin plauderte, erklärte er ihr kühn, er bedaure tief, daß ihr keine andere Liebe beschieden sei als die kühlen Gefühle ihres Gatten, des Königs.

Die Königin hatte wohl von der Zuneigung reden hören, die zwischen dem König und der Frau des Edelmanns bestand, und erwiderte: ›Ich kann nicht gleichzeitig Ehren und Freuden genießen. Wohl weiß ich, daß mir die Ehre zufällt und einer andern die Lust. Doch genießt jene dafür auch nicht die Ehre, die mein Teil ist.‹ Er verstand sehr wohl, worauf jene Worte hinzielten und sprach nunmehr:

›Die Ehre, hohe Frau, ward Euch in die Wiege gelegt, denn Ihr seid so edlen Geschlechts, daß Ihr auch als Königin oder Kaiserin nicht höher zu steigen vermöchtet. Doch verdient Eure Schönheit, Anmut und Tugend so viel Liebesfreuden, daß jene, die Euer Teil raubt, sich selbst mehr schädigt als Euch, denn um einen Ruhm, der sich in Schande wandelt, verliert sie alle Freuden, die Ihr, oder eine andere Frau des Reiches, nun ernten könnt. Wahrlich – abgesehen von seiner Krone besitzt der König nichts, damit er eine Frau mehr beglücken könnte als ich. Vielmehr gar müßte er seine Gaben mit den meinen vertauschen, um eine so erhabene Frau, wie Euch, ganz zufrieden zu stellen.‹

Darauf meinte die Königin lachend: ›Vielleicht ist der König nicht also stark, wie Ihr es seid. Doch bin ich von seiner Liebe so befriedigt, daß ich sie jeder anderen vorziehe.‹ Der Edelmann jedoch entgegnete:

›Wäre es in Wahrheit so, hohe Frau, gewißlich würde nicht mein Mitleid für Euch rege werden. Wohl weiß ich, daß Eure hochherzige Liebe Euch voll befriedigen würde, wenn sie nur vom König erwidert würde. Doch hat Euch Gott davor bewahrt, aus ihm Euren Gott auf Erden zu machen, indem Ihr nicht in ihm fandet, was Ihr suchtet.‹ – ›Aber ich versichere Euch doch, daß meine Liebe zu ihm so groß ist, daß darin kein anderes Herz dem meinen gleichen mag.‹ – ›Vergebt mir, hohe Frau, gewiß habt Ihr nicht alle Herzen daraufhin geprüft. Denn ich wage kecklich zu behaupten: es gibt einen Mann, der Euch so gewaltig und unwiderstehlich liebt, daß Eure Liebe daneben klein erscheinen dürfte. Und je mehr dieser Mann gewahrt, daß die Liebe zum König noch in Eurem Herzen sproßt, um so mehr wächst und wallt die seine, also daß Ihr sicherlich für alle verlorene Zeit entschädigt würdet, wenn Ihr ihn erhört.‹

Die Königin begann in seinen Worten und seinem Gebaren zu erkennen, daß ihm sein Geständnis von Herzen kam. Ich erinnere mich auch,« fügte Saffredant ein, »daß er ihr schon lange eifrigst zu Diensten gewesen war und in seiner Ergebenheit schier trübsinnig wurde. Sie hatte seine Niedergeschlagenheit auf den Vorfall mit seiner Frau bezogen, doch nun war sie fest überzeugt, daß es ihr gegolten hatte. Auch spürte sie gar wohl die Innigkeit seiner Liebe und begann so, diesen vor allen verborgenen Gefühlen zu trauen. Indem sie nun auf diesen Edelmann blickte und gewahrte, wie viel liebenswerter er war, denn ihr Mann; als sie sich zudem sagte, daß er gleichermaßen von seinem Weibe verraten war, wie sie vom Könige – da begann Grimm und Eifersucht sie zu übermannen, begann die Liebe zu dem Edelmann sie zu umstricken, und mit Tränen in den Augen seufzte sie eines Tages: ›O du mein Gott! soll denn die Rachsucht mir abtrotzen, was keine Liebe vermochte?‹

Der Edelmann vernahm ihre Worte gar wohl und entgegnete: ›Die Rache, hohe Frau, ist nur für den, der einen wahren Freund glücklich macht statt den Feind zu töten. Mir scheint es Zeit, daß die Einsicht Euch die törichte Liebe zu dem Gatten aus dem Herzen reiße, der Euch nicht zugetan ist, und die wahre Liebe Euch von einer Angst befreit, die in Euerm großmütigen und tugendhaften Herzen nichts zu suchen hat. So tut denn Euern hohen Stand zur Seiten und werdet inne, daß wir beide die meistverlachten Menschen dieser Welt sind, und daß jene uns verraten haben, die wir zumeist liebten. Rächen wir uns, hohe Frau – nicht sowohl, um ihnen verdienten Lohn zu geben, als um unser Liebessehnen zu befriedigen, das ich für mein Teil nimmermehr ertragen kann, ohne daran zu sterben. Und sollte Euer Herz nicht härter sein denn Kiesel oder Diamant, so müßt Ihr sonder Zweifel auch einen Funken jenes Feuers in Euch spüren, das um so wilder in mir loht, je mehr ich es zu bergen strebe. Ich vergehe vor Liebe zu Euch, doch wenn Euch auch kein Mitgefühl darob zur Liebe treibt, so mag Euch wenigstens die Einsicht Eurer eigenen Lage dahin lenken. Denn ob Ihr gleich in Eurer herrlichen Vollkommenheit verdientet, alle die trefflichsten Männer der Welt zu Euern Füßen zu sehen, seid Ihr statt dessen von dem verlassen und verraten, für den Ihr alle anderen zurückgewiesen habt.‹ Ob dieser Worte kam die Königin schier außer Fassung Doch fürchtete sie, ihre Verwirrung augenscheinlich werden zu lassen und begab sich, auf des Edelmanns Arm gelehnt, in einen Garten unweit ihrer Gemächer. Dort wandelte sie lange Zeit auf und ab, ohne daß sie ein Wort zu sagen vermochte. Da nun der Edelmann inne ward, daß sie schon zur Hälfte nachgab, enthüllte er ihr am Ende eines Gartenweges die Glut seiner langverhaltenen Liebe so augenscheinlich, daß die Leidenschaft sie überwältigte. Und also vollzogen sie ihre Rache, deren Brand sie nicht mehr ertragen konnten.

Alsdann beschlossen sie, daß der Edelmann allemal ins Schloß zur Königin kommen sollte, wenn der König ihn auf seinen Gütern glaubte und zur Stadt ginge. Dergestalt konnten sie die Betrüger selbst betrügen, und der Liebe Wonnen wurden allen vieren zuteil, derweile jene zwei vermeinten, sie allein auszukosten.

Nach dieser Absprache kehrte jeglicher zu seinem Hause zurück und vergaß in seiner Zufriedenheit alles überstandene Leid. Und ihr Bangen vor des Königs Zusammensein mit der Edelfrau verwandelte sich in den lebhaftesten Wunsch danach, also daß der Edelmann viel öfter als bisher sein Gut aufsuchte, das nur eine halbe Meile vor der Stadt lag. Kaum erfuhr der König seine Abwesenheit, so eilte er flugs zu seiner Herzliebsten, derweile der Edelmann sich bei sinkender Nacht aufs Schloß zur Königin begab und des Königs Dienst übernahm. Und alles geschah also heimlich, daß nie jemand etwas davon bemerkte.

So ging es manche Zeit. Doch war der König zu bekannt von Angesicht, als daß trotz allen Verhehlens sein Liebeshandel nicht schließlich bekannt wurde. Und alle Welt bemitleidete den Edelmann, maßen die Gassenbuben ihn hinterrücks höhnten und ihre Hände gleich einem Geweih zum Kopfe führten. Jener bemerkte das wohl. Doch schuf ihm dieser Spott nur Freude, sintemalen er diesen Hörnerschmuck der Krone des Königs gleich schätzte.

Der König indessen vermochte nicht an sich zu halten, und als er eines Tages ein Hirschgeweih im Gemache des Edelmannes gewahrte, hub er vor dessen Nase an zu lachen und meinte, dies Geweih sei hier im Hause wohl am Platze. Der Edelmann mochte ihm ob dieses Scherzes nicht nachstehen und grub in den Hirschschädel folgende Inschrift:

›Wohl trage ich Hörner und trag‘ sie voll Lust. Wie mancher trägt gleiche und hat nichts gewußt!‹

Als der König wiederkehrte und dies Verslein las, befragte er den Edelmann über dessen Sinn. Der entgegnete: ›Wenn das Geheimnis des Königs sich in diesem Geweih offenbart, so liegt noch kein Grund vor, auch das Geheimnis des Geweihträgers nun zu offenbaren. Begnügt Euch, hoher Herr, mit dem Troste, daß nicht jegliches Gehörn den Träger verunziert. Oft ist es gar zierlich, und wer nichts davon weiß, trägt es am leichtesten.‹ Nun verstand der König, daß jener wohl etwas wußte. Doch niemals argwöhnte er etwas zwischen ihm und der Königin. Denn je mehr diese sich mit dem Lebenswandel ihres Gemahls zufrieden gab, um so mehr Unzufriedenheit heuchelte sie vor ihm. Und also lebten beide Paare lange Zeit in herzinniger Eintracht, bis das Alter ihrer Liebesglut ein Ziel setzte.

Mit dieser Geschichte, meine Damen, wollte ich euch gern ein blühendes Beispiel geben, wie ihr euern Gatten gewaltige Hörner aufsetzen möget, wenn sie euch mit einem kleinen Rehgeweih zu schmücken belieben.«

Emarsuitte warf lachend ein: »Ich bin ganz sicher, Saffredant, Ihr würdet gern Hörner gleich Eichstämmen tragen, um nur Eure Herzliebste zu Willen zu haben, sofern Ihr sie heute noch so glühend liebt wie einstmals. Doch Euer Haar beginnt nunmehr zu bleichen, drum legt Euerm Begehren Zügel an.« – »Wohl hat«, versetzte Saffredant, »die, so ich liebe, mir alle Hoffnung geraubt, Gnädigste, und das Alter nahm mir die überschäumende Glut! Mein Liebesgehren ward jedoch nicht kleiner. Da Ihr mir nun dieses ehrenhafte Trachten verweiset, so erteile ich Euch das Wort, die vierte Geschichte vorzutragen. Laßt sehn, ob Ihr mich Lügen strafen könnt.«

Während jener Zwiesprache begann eine der Damen zu lachen. Denn sie wußte wohl, daß jene, die Saffredants Worte auf sich bezog, nicht gleichermaßen von ihm geliebt wurde denn sie selber, für die er gern alles ertragen hätte. Saffredant bemerkte das und schwieg zufrieden, so daß er Emarsuitte das Wort ließ. Und die hub also an:

»Meine Damen, auf daß Saffredant und Ihr andern inne werdet, daß nicht alle Frauen dieser Königin gleichen und gleichermaßen nicht jeglicher kecke Tor zum Ziele kommt, will ich euch eine Geschichte berichten, die sich so kürzlich zutrug, daß ich die Namen verschweigen muß, um lebende Verwandte nicht zu kränken.«