Siebentes Kapitel.
Vom See aus reisten wir eine kurze Strecke den Humboldtfluß entlang. Leute, die an den riesig breiten Mississippi gewöhnt sind, gewöhnen sich auch allmählich daran, mit dem Wort ›Fluß‹ den Begriff großartiger Wasserfälle zu verbinden. Infolgedessen fühlen sich solche Leute recht enttäuscht, wenn sie am Ufer des Carson oder Humboldt stehen und finden, daß ein Fluß in Nevada ein kränkliches Bächlein ist, das in allen Punkten ein Seitenstück zum Eriekanal bildet, ausgenommen, daß der Kanal zweimal so lang und viermal so tief ist. Es ist eine der angenehmsten und gesündesten Leibesübungen, am Humboldtfluß entlang zu laufen, so lange hinüber und herüber zu springen, bis man tüchtig erhitzt ist, und ihn dann trocken zu trinken.
Am fünfzehnten Tage hatten wir den zweihundert Meilen langen Marsch vollendet und hielten bei heftigem Schneesturm unsern Einzug in Unionville. Die Stadt bestand aus elf Hütten und einem Freiheitsbaum. Sechs von den Hütten standen in einer Reihe am Rande einer tiefen Schlucht, und die andern fünf ihnen gerade gegenüber. Auf beiden Seiten der Schlucht stiegen öde Bergwälle so hoch zum Himmel empor, daß das Dörfchen gleichsam tief unten auf dem Grund einer Erdspalte lag. Es war auf der Höhe dieser Berge immer schon lange Tag, bevor unten die Dunkelheit wich und Unionville sichtbar wurde.
Wir bauten uns eine kleine, rohe Hütte in der Erdspalte und deckten dieselbe mit Sackleinwand; eine Ecke ließen wir für den Abzug des Rauches offen, allein des Nachts purzelte gelegentlich das Vieh dort herein, so daß unser Hausgeräte Schaden litt und wir im Schlafe gestört wurden. Es war sehr kalt und Brennholz nur spärlich vorhanden. Indianer schleppten Gestrüpp und Buschholz mehrere Meilen weit auf dem Rücken herbei; konnten wir einen solchen beladenen Indianer fangen, so war es gut; konnten wir keinen fangen – dies war übrigens die Regel, nicht die Ausnahme – so froren wir eben und fügten uns darein.
Ich gestehe ohne Beschämung, daß ich erwartet hatte, das Silber werde allenthalben massenhaft auf dem Boden herumliegen und man könne es auf den Berggipfeln in der Sonne blinken sehen. Natürlich sagte ich nichts davon, denn ein inneres Gefühl flüsterte mir zu, ich könne doch am Ende eine übertriebene Vorstellung von der Sache haben und mich, wenn ich meine Gedanken verriete, lächerlich machen. Doch zweifelte ich nicht im geringsten, daß ich binnen einem oder zwei Tagen, spätestens in einer Woche, Silber genug auflesen werde, um ganz hübsch reich zu sein – und so beschäftigte sich meine Einbildungskraft bereits eifrig mit Plänen zur Verwendung des Geldes. Bei der ersten schicklichen Gelegenheit schlenderte ich sorglos von der Hütte weg, behielt aber die andern Jungen im Auge, und wenn ich dann meinte, sie beobachteten mich, blieb ich stehen und betrachtete den Himmel; sobald jedoch niemand da war oder acht gab, floh ich von dannen, als hätte ich einen Diebstahl auf dem Gewissen und hielt in meinem Lauf nicht eher inne, als bis ich weit außer Gesichts- und Rufweite war. Dann ging ich ans Suchen in fieberhafter Aufregung, denn ich war voll gespannter Erwartung und meiner Sache fast ganz sicher. Ich kroch auf dem Boden umher, hob Steinbrocken auf und untersuchte sie, indem ich den Staub abblies oder sie an meinen Kleidern rieb und mit hoffnungsvoller Gier musterte. Nicht lange, so fand ich einen glänzenden Brocken, und mir hüpfte das Herz. Hinter einem Felsblock versteckt polierte und prüfte ich ihn mit nervöser Hast und einem Entzücken, welches selbst bei Erfüllung aller meiner Hoffnungen nicht ganz berechtigt gewesen wäre. Je genauer ich meinen Brocken untersuchte, desto fester war ich überzeugt, den Weg zum Glück gefunden zu haben. Ich bezeichnete mir den Ort und nahm meine Probe mit. Auf und nieder suchte ich die zerklüftete Bergflanke ab mit immer regerem Interesse und immer mehr von Dankbarkeit durchdrungen, daß ich nach dem Humboldt gekommen war und zwar zu rechter Zeit. Dieses heimliche Suchen nach den verborgenen Schätzen des Silberlandes versetzte mich in die höchste Verzückung, die ich je im Leben empfunden. Es war ein wahrer Taumel schwelgerischen Genusses. Nicht lange nachher entdeckte ich im Bett eines seichten Baches einen Bodensatz glänzend gelber Schuppen. Mir blieb fast der Atem aus. Eine Goldgrube! Und ich war in meiner Einfalt mit Silber zufrieden gewesen! Vor Aufregung glaubte ich fast, meine überzeugte Einbildungskraft täusche mich. Dann packte mich die Furcht, man könnte mich beobachten und mein Geheimnis erraten. Vorsichtig ging ich im Kreis um die Stelle herum und stieg spähend auf einen Hügel. Ich war allein. Kein lebendes Wesen weit und breit. Nun kehrte ich zu meinem Fundort zurück, indem ich mich gegen eine mögliche Enttäuschung wappnete; aber meine Befürchtung war unbegründet – die glänzenden Schuppen waren noch immer da. Ich machte mich daran, sie auszuschöpfen; eine Stunde lang plagte ich mich an den Windungen des Baches hinab und plünderte sein Bett, bis die sinkende Sonne dem weiteren Suchen ein Ende machte, und ich mich beladen mit Schätzen heimwärts wandte. Als ich so dahinschritt, konnte ich mich nicht enthalten, meine Aufregung über den Brocken Silbererz zu belächeln, da doch ein edleres Metall mir schier vor der Nase lag. In dieser kurzen Zeit war das erstere in meiner Achtung so tief gesunken, daß ich ein- oder zweimal auf dem Punkte stand, es wegzuwerfen.
Während die Jungen ihren gewöhnlichen Hunger entwickelten, konnte ich nichts essen. Auch reden konnte ich nicht. Ich weilte im Land der Träume in weiter Ferne. Ihre Unterhaltung war für meine Phantasie etwas störend und ärgerte mich gewissermaßen. Ich verachtete die lumpigen und alltäglichen Dinge, von denen sie schwatzten. Allmählich fing das Gerede aber an, mir Spaß zu machen. Es hatte einen eigenen, komischen Reiz, ihnen zuzuhören, wie sie über ihre ärmlichen, kleinen Ersparnisse Pläne machten und über mögliche Verluste und Verlegenheiten seufzten, während doch eine Goldgrube dicht vor der Hütte lag, die unser volles Eigentum war und die ich ihnen nur zu zeigen brauchte. Die unterdrückte Heiterkeit begann mir bald das Herz abzudrücken. Es war nicht leicht, dem Antrieb zu widerstehen, in hellem Jubel loszuplatzen und alles zu offenbaren, aber ich widerstand. Ich nahm mir vor, die große Neuigkeit gelassen durch meine Lippen träufeln zu lassen, dabei so ruhig und heiter auszusehen wie ein Sommermorgen, und die Wirkung auf ihren Gesichtern zu beobachten.
Ich fragte: »Wo seid ihr alle gewesen?«
»Muten gegangen.«
»Was habt ihr gefunden?«
»Nichts.«
»Nichts? Was haltet ihr von der Gegend?«
»Kann’s jetzt noch nicht sagen,« erwiderte Herr Ballon, der ein alter Goldgräber war und auch in Silbergruben beträchtliche Erfahrungen besaß. »Nun, haben Sie sich denn nicht irgend eine Art Meinung gebildet?«
»Ja, gewissermaßen schon. Es scheint freilich nicht übel hier, aber man hat die Sache überschätzt. Siebentausend-Dollar-Lager sind wohl selten. Die Sheba-Grube mag immerhin reich sein, aber sie gehört uns nicht, und überdies ist das Gestein so voll von schlechten Metallen, daß alle Wissenschaft der Welt nichts damit anfangen kann. Wir werden hier nicht verhungern, aber ich fürchte, wir werden auch nicht reich werden.«
»Sie halten also die Aussicht für ziemlich gering?«
»So ist’s.«
»Nun, dann thäten wir wohl besser daran, heim zu gehen, nicht wahr?«
»O, jetzt noch nicht – natürlich. Wir wollen’s doch zuerst noch ein bißchen versuchen.«
»Setzen wir einmal den Fall – es ist eine bloße Annahme – wißt ihr – setzen wir einmal den Fall, ihr könntet ein Lager finden, welches, sagen wir hundertfünfzig Dollars per Tonne gäbe – würde euch das genügen?«
»Probieren Sie’s ‚mal mit uns!« schrie die ganze Gesellschaft.
»Oder nehmen wir an – selbstverständlich wiederum eine Vermutung – nehmen wir an, wir fänden eine Ader, wo die Tonne zweitausend Dollars Ausbeute giebt – würde euch das genügen?«
»Halt – was meinen Sie? Auf was steuern Sie los? Steckt ein Geheimnis hinter dem allem?«
»Erhitzt euch nicht. Ich sage gar nichts. Ihr wißt ja ganz genau, daß es hier keine reichen Gruben giebt – natürlich, denn ihr seid ja überall herumgestreift und habt gesucht. Das wäre jedem klar, wenn er sich hier umgesehen hätte. Gesetzt den Fall nun, es käme einer und spräche: ›Ach was, eine Zweitausend-Dollar-Ader ist doch rein gar nichts, wo doch gleich da drüben, angesichts dieser Hütte ganze Haufen von gediegenem Gold und Silber liegen – ganze Berge davon, genug, um euch alle in vierundzwanzig Stunden zu reichen Leuten zu machen.‹ Na, was würdet ihr dazu sagen?«
»Ich würde sagen, der ist so verrückt wie ein Tollhäusler!« sagte der alte Ballou, der aber trotzdem vor Erregung ganz wild wurde.
»Meine Herren!« versetzte ich, »ich sage gar nichts – ich bin ja nicht herum gewesen, wie Sie wissen, und weiß deshalb natürlich nichts – aber ich bitte nur um das eine, werfen Sie einmal einen Blick auf das hier zum Beispiel und sagen Sie mir, was Sie davon halten!« Damit schüttete ich meinen Schatz vor ihnen aus.
Voll Begier stürzte alles darauf los und steckte die Köpfe unter der brennenden Kerze zusammen. Dann sagte der alte Ballou:
»Was ich davon halte? Ich halte davon, daß es nichts ist als ein Haufen Granitabfall und gemeines, glitzerndes Katzengold, wovon der Morgen nicht zehn Cents wert ist!«
So schwand mein Traum dahin; so schmolz mein Reichtum, so stürzte mein Luftschloß zusammen, und ich blieb als ein geschlagener Mann zurück.
Ich zog die Moral aus der Geschichte mit dem bekannten Sprichwort: »Es ist nicht alles Gold, was glänzt.« Herr Ballou meinte, ich könnte noch weiter gehen und zu den Schätzen meines Wissens den Satz legen, daß nichts Gold sei, was glänze. So lernte ich denn ein für allemal, daß Gold im Naturzustände nichts ist als ein schwärzliches, unansehnliches Ding und daß nur Metalle gemeiner Art durch prahlerisches Glitzern die Bewunderung des Unerfahrenen erregen. Trotzdem unterschätze ich nach wie vor, gleich der übrigen Welt, echte Goldmenschen und verherrliche Katzengoldmenschen. Die Alltagsmenschennatur kann sich einmal darüber nicht erheben.