Erstes Kapitel.
Nabobs in Nevada.
In jener herrlichen Zeit, als es in Nevada flott herging, hatte das Silberland auch seine Nabobs. Einige sind mir noch erinnerlich. Es waren meist sorgenlose, leichtlebige Menschen, aus deren Reichtümern das Gemeinwesen ganz ebenso viel Nutzen zog wie sie selber, in manchen Fallen sogar noch mehr.
Einer der ersten Nabobs, die Nevada erzeugte, trug Diamanten im Werte von sechstausend Dollars am Busen und war unglücklich, daß ihm sein Geld schneller in die Taschen floß, als er es ausgeben konnte. Das Einkommen eines andern belief sich oft auf sechzehntausend Dollars monatlich. Als er zuerst ins Land kam, hatte er in dem nämlichen Bergwerk, aus welchem er später seine Schätze bezog, um einen Tagelohn von fünf Dollars gearbeitet.
Von einem jener Lieblinge des Glücks, die sozusagen über Nacht aus drückender Armut zum größten Überfluß gelangten, erzählt man sich, er habe gern ein hohes Staatsamt bekleiden wollen und hunderttausend Dollars dafür geboten, es aber trotzdem nicht erhalten, da seine Politik nicht so vertrauenerweckend war, als sein Konto auf der Bank.
Auch John Smith darf ich nicht vergessen. Er stammte aus dem niedern Volke, war eine brave, ehrliche, gutmütige Haut und von einer Unwissenheit, die ans Fabelhafte grenzte. Sein kleiner Rancho und ein Ochsengespann brachten ihm genug ein zum Lebensunterhalt; war die Heuernte auch nicht groß, so wog man ihm doch diesen seltenen Artikel mit Gold auf – er erhielt auf dem Markte für das Fuder 250 bis 300 Dollars. Nach einiger Zeit tauschte Smith mehrere Morgen von seinem Wiesenland gegen eine noch unbearbeitete Silbergrube in Goldhill ein. Er begann den Abbau und errichtete daneben ein anspruchsloses kleines Pochwerk. Anderthalb Jahre später gab er das Heugeschäft auf, denn seine Grube machte einen besseren Ertrag. Sein Einkommen wurde auf 30,000 Dollars monatlich geschätzt, von manchen sogar auf 60,000 Dollars. Jedenfalls war Smith ein reicher Mann.
Nun ging er auf Reisen. Bei seiner Rückkehr aus Europa konnte er nicht genug von den schönen Schweinen erzählen, die er in England gesehen hatte, von den herrlichen Schafen in Spanien und dem prächtigen Rindvieh in der Umgegend von Rom. Er war ganz voll von den Wundern der alten Welt und gab jedem den Rat, sich auf die Reise zu machen. Man glaube gar nicht, was es für Merkwürdigkeiten auf Erden gebe, sagte er, solange man sich nicht durch den Augenschein davon überzeugt habe.
Während seiner Überfahrt setzten die Passagiere einmal einen Preis von fünfhundert Dollars auf denjenigen aus, der am richtigsten riete, wie viele Seemeilen das Schiff in den nächsten vierundzwanzig Stunden zurücklegen würde. Um die Mittagszeit des folgenden Tages übergab jeder dem Zahlmeister ein versiegeltes Couvert, in welchem die Meilenzahl stand. Smith triumphierte im voraus: er hatte den Maschinisten bestochen. Als trotzdem ein anderer den Preis gewann, sagte er: »Halt, das geht nicht mit rechten Dingen zu, mein Anschlag kam der Wirklichkeit um zwei Meilen näher als seiner.«
»Bewahre«, versetzte der Zahlmeister, »Sie haben es von allen am Bord am schlechtesten getroffen, Herr Smith; wir sind 208 Meilen gefahren.«
»Nun ja«, rief Smith, »und ich habe 209 geraten. Sehen Sie sich doch meine Zahlen ordentlich an; eine 2 und zwei 0 sind 200, nicht wahr – dann noch eine 9 (2009) macht zweihundert und neun. Da muß ich denn doch sehr bitten, daß mir der Preis zuerkannt wird.« –
In einer Bergschlucht in unmittelbarer Nähe von Virginia City wohnte ein armer Mexikaner, auf dessen Anwesen eine Quelle am Felsen herabsickerte, die kaum eine halbe Spanne breit war. Für dieses Wässerchen gab ihm die Ophirgesellschaft eine kleine Parzelle von hundert Fuß, welche sich als der ergiebigste Teil des ganzen Bergwerks erwies; vier Jahre nach dem Tausch betrug ihr Marktwert mit Einschluß des Pochwerks 1,500,000 Dollars.
Ein neunzehnjähriger Telegraphist in Virginia wurde dadurch zum reichen Manne, daß er die Depeschen der Grubenbesitzer las, welche ihm durch die Hände gingen und je nach dem Stande der Bergwerksangelegenheiten, durch Vermittlung eines Freundes in San Francisco, Aktien kaufte oder verkaufte. Einmal kündigte eine Privatdepesche aus Virginia einen reichen Fund in einer bedeutenden Grube an, mit der Weisung, die Sache solange geheim zu halten, bis die Unternehmer sich den Besitz von möglichst vielen Anteilscheinen gesichert hätten. Der Telegraphist kaufte sofort einen Kux von 40 Fuß zu 20 Dollars den Fuß, wovon er später die Hälfte zu 800 Dollars den Fuß verkaufte und den Rest um das Doppelte. Nach drei Monaten besaß er ein Vermögen von 150,000 Dollars und hatte seine Telegraphenstelle aufgegeben.
Ein anderer Telegraphenbeamter hatte Amtsgeheimnisse verraten und war deshalb von seinen Vorgesetzten entlassen worden. Er versprach einem wohlhabenden Manne in San Francisco, ihm das Ergebnis eines großen Bergwerksprozesses, der in Virginia geführt wurde, mitzuteilen und zwar nur eine Stunde später als die streitenden Parteien in San Francisco davon privatim Kenntnis erhielten. Hiefür sicherte ihm sein Mitverschworener einen hohen Prozentsatz des Gewinns, welchen er durch rechtzeitigen An- und Verkauf von Aktien zu erzielen dachte. Um den Plan auszuführen, begab sich der verabschiedete Telegraphist, als Fuhrmann verkleidet, nach einer kleinen abgelegenen Telegraphenstation im Gebirge, machte mit dem dortigen Beamten Bekanntschaft, saß Tag für Tag, seine Pfeife rauchend bei ihm im Bureau und klagte, daß sein Gespann zu ermüdet sei und er nicht weiterfahren könne. Zugleich horchte er bei allen Depeschen aus Virginia auf das Ticken des Apparats, bis endlich ein Privattelegramm die Entscheidung des Prozesses verkündete. Sofort telegraphierte er an seinen Verbündeten:
»Kann nicht mehr warten. Werde das Gespann verkaufen und heimgehen.«
Dies war das verabredete Zeichen. Hätte er das Wort ›warten‹ fortgelassen, so würde es den entgegengesetzten Ausgang des Prozesses bedeutet haben. Der Spekulant in San Francisco kaufte nun eine Menge der betreffenden Bergwerksaktien um niedern Preis, bevor die Nachricht öffentlich bekannt wurde und sicherte sich ein Vermögen.
Zahllose Beispiele ähnlicher Art wären noch aus dem Silberlande zu verzeichnen, die angeführten werden jedoch genügen, um dem Leser einen Begriff von den Zuständen in jener flotten Zeit zu geben. Mit den meisten dieser Nabobs bin ich persönlich in Berührung gekommen; sie waren damals hochberühmt, aber jetzt spricht niemand mehr von ihnen, da fast alle wieder rasch in Armut und Dunkelheit zurückgesunken sind.
In Nevada erzählte man sich ein lustiges Abenteuer, das zwei solche Nabobs einmal gehabt haben sollen; ich kann mich für die Wahrheit nicht verbürgen und gebe es nur wieder, wie ich es gehört habe:
Oberst Jim hatte früher etwas von der Welt gesehen und kannte ihr Thun und Treiben ein wenig, aber Oberst Jack stammte aus den Hinterwäldern, sein Leben war eitel Mühe und Arbeit gewesen und er war nie in eine Stadt gekommen. Urplötzlich reich geworden, beschlossen die beiden nach New- York zu reifen; Oberst Jack, um die Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen, und Oberst Jim, um des Freundes arglose Unschuld vor Schaden zu bewahren. Sie kamen bei Nacht nach San Francisco und segelten früh am Morgen ab. Als sie New-York erreichten, sagte Oberst Jack:
»Ich habe all mein Lebtag so viel von Equipagen reden hören, jetzt will ich einmal eine Spazierfahrt machen, einerlei was es kostet. Also vorwärts!«
Oberst Jim winkte eine schöne Kutsche herbei, aber Oberst Jack sagte:
»Wo denkst du hin? ich soll doch nicht etwa bloß so ’ne billige Spritzfahrt machen! Nein, was Ordentliches muß ich haben. Auf’s Geld kommt’s mir nicht an, aber es soll das vornehmste Fuhrwerk sein, das sich sehen läßt. Schau, da kommt gerade etwas, wie ich es möchte. Rufe ‚mal den gelben Wagen mit den schönen Bildern an. Sei nur ohne Sorgen – ich trage alle Kosten.«
So stiegen sie denn in den leeren Omnibus.
»Das nenne ich lustig,« rief Oberst Jack. »Kissen und Fenster und Bilder überall. Was wohl die Jungens sagen würden, wenn sie uns so vornehm durch New-York kutschieren sähen? Meiner Treu, ich gäbe ‚was drum, mich ihnen so zu zeigen.« Er steckte den Kopf zum Fenster hinaus. »Famos,« rief er dem Kutscher zu, »Herzensjunge, du gefällst mir; fahr nur zu, den ganzen Tag lang meinetwegen. Laß die Pferde laufen, wir wollen’s schon wieder wett machen, verlaß dich drauf!« Der Kutscher streckte die Hand durch das Guckloch nach dem Fahrgeld aus, wie es damals noch Sitte war. Oberst Jack schlug ein und schüttelte sie ihm herzlich.
»Du willst Vorauszahlung, Alterchen,« rief er. »Na, nichts für ungut. Hier hast du etwas, das gar nicht so übel ist.«
Er drückte ihm ein goldenes Zwanzigdollarstück in die Hand, und als der Kutscher sagte, daß er nicht wechseln könne, rief er lustig:
»Laß gut sein, wir wollen’s schon verfahren. Steck‘ es nur in die Tasche.« Dann schlug er seinem Gefährten laut klatschend auf das Bein und fuhr vergnügt fort: »Hol‘ mich dieser und jener, ich miete das Ding auf die ganze Woche!«
Jetzt hielt der Omnibus und eine junge Dame stieg ein. Oberst Jack starrte sie erst verwundert an, dann stieß er Oberst Jim mit den Ellenbogen. »Du, sag‘ kein Wort,« flüsterte er. »Laß‘ sie mitfahren, wenn sie will. An Platz fehlts ja wahrhaftig nicht.«
Das Fräulein zog den Beutel und reichte Oberst Jack ihr Fahrgeld.
»Was soll das?« fragte er.
»Wollen Sie es, bitte, dem Kutscher geben.«
»Behalten Sie Ihr Geld, Verehrteste, Sie dürfen nicht zahlen. Fahren Sie nur mit in unserer Staatskutsche, so lange Sie wollen.«
Das Fräulein drückte sich verwirrt in die Ecke. Jetzt kletterte eine alte Frau mit dem Handkorb herauf und bot ihr Fahrgeld an.
»Setzen Sie sich, gute Frau,« sagte Oberst Jack; »wir lassen Sie gern mitfahren, aber ohne Bezahlung. Machen Sie sich’s nur bequem und thun Sie ganz so, als ob es Ihr Wagen wäre.«
Nach wenigen Minuten waren noch drei Herren, zwei dicke Frauen und mehrere Kinder eingestiegen.
»Nur immer herein, meine Freunde,« rief Oberst Jack, »geniert euch nicht. Hier wird jeder frei gehalten.« Dann flüsterte er Oberst Jim zu: »Ist aber dies New-York eine gesellige Stadt! Man sollte so ‚was doch kaum für möglich halten!«
Da er sich hartnäckig weigerte dem Kutscher das Fahrgeld der Passagiere einzuhändigen und jedermann freundlich willkommen hieß, ging den Leuten allmählich ein Licht auf. Sie steckten ihr Geld wieder ein und belustigten sich insgeheim über den Spaß. Es nahmen wohl noch ein halbes Dutzend Fahrgäste Platz. »Kommt nur, kommt,« rief Oberst Jack; »eine Spazierfahrt ist nichts, wenn man nicht Gesellschaft hat.« Dann flüsterte er Oberst Jim wieder leise zu: »Die Freundlichkeit der New-Yorker geht doch über die Bäume und wie kaltblütig sie die Sache nehmen – was man nicht alles erlebt!«
Immer mehr Passagiere stiegen ein, alle Plätze waren besetzt und die Männer, welche im Mittelgang standen, hielten sich an den Riemen fest, die von der Decke herabhingen. Leute mit Körben und Bündeln kletterten oben auf das Dach. Ein halb unterdrücktes Gelächter ließ sich von allen Seiten hören.
»Na, wenn eine so himmlische Unverfrorenheit nicht alles übertrifft, was je dagewesen ist, will ich nicht Jack heißen,« flüsterte der Oberst.
Jetzt drängte sich ein Chinese herein.
»Nun wird mir’s aber doch zu bunt,« sagte Oberst Jack. »Halt an, Kutscher. Bitte, bleiben Sie sitzen, meine Damen und Herren, fahren Sie ruhig weiter, es ist alles bezahlt. – Kutscher, rumpeln Sie nur fort mit den Herrschaften, so lange es Ihnen gefällt. Sie müssen wissen, es sind unsere Gäste. Zeigen Sie Ihnen alles, und wenn Sie mehr Geld brauchen, so kommen Sie in das Sankt Nikolas-Hotel und holen Sie Zuschuß. Recht vergnügte Fahrt, meine Herrschaften – empfehle mich Ihnen.«
Als die beiden Kameraden ausstiegen, sagte Oberst Jack:
»Höre Jimmy, daß die Geselligkeit in New-York so weit getrieben würde, hätte ich nicht für möglich gehalten. Der Chinese kam so gemütlich hereinspaziert, wie jeder andere; hätten wir länger gewartet, es wären noch ein paar Neger mitgefahren, darauf möchte ich wetten. Weißt du was – heute nacht verrammeln wir aber unsere Thüren ordentlich, sonst wollen vielleicht ein Paar von den Herzblättchen herein, um bei uns zu schlafen.«