Kapitel 3

 

Am nächsten Tage machte Hermann Dornach seinen ersten Besuch, wurde für morgen zu Tische geladen und brachte einige Abende im Familienkreise zu. Gräfin Dolph fand ihn charmant und unglaublich gescheit für einen Majoratsherrn. Sie rechnete es ihm hoch an, daß er mit ihr, der bösen Zunge, die den meisten Scheu einflößte, so rasch vertraut wurde. »Einfach die Folge seines guten Gewissens«, erklärte sie. »Eine Anklage gegen ihn wäre ein Schuß ins Blaue; der sieht ruhig zu, wie ich meine Pfeile spitze; er gehört nicht zu den Leuten, denen vor mir graut.«

Und wirklich schwand in ihrer Gegenwart die leise Befangenheit, die bei einem Manne, den zu verwöhnen alle Welt wetteiferte, für den Laien so befremdlich und dem Herzenskundigen eine Bürgschaft echten Seelenadels war.

Man sagte, diese Befangenheit sei die Folge der übertriebenen Strenge, mit welcher er unter der Leitung seiner Mutter erzogen worden war. Die Gräfin hatte ein Gegengift anwenden wollen gegen die Kriecherei der Parasiten, des Beamtenheeres, der Dienerschaft und gegen die grenzenlose Nachsicht eines schwachen und kränklichen Vaters für sein einziges Kind. Aber die Dosis war zu stark gewesen und hatte nicht nur keine Selbstüberhebung aufkommen lassen, sondern auch kein rechtes Selbstvertrauen. Die Gräfin sah den begangenen Fehler ein und suchte ihn noch beizeiten gutzumachen. Sie hatte nach dem Tode des Grafen die Vormundschaft über Hermann, die sie tatsächlich immer geführt, auch formell angetreten und schenkte nun dem achtzehnjährigen Jüngling uneingeschränkte Freiheit. Ein kleiner Mißbrauch derselben wäre leicht verziehen gewesen, kam aber nicht vor. Hermann besuchte landwirtschaftliche Schulen in Deutschland und England, jagte Löwen in Nubien und Elefanten in Indien, diente einige Jahre in einem eleganten Kavallerieregimente und widmete sich später der Verwaltung seiner Güter. Er war dreiunddreißig Jahre alt geworden, ohne in die Lage gekommen zu sein, andere Schulden als die seiner Freunde bezahlen zu müssen, ohne ein Mädchen verführt, ohne den Ruf einer Frau gefährdet zu haben. Und doch kochte das Blut in seinen Adern so heiß wie in denen irgendeines seiner Alters- und Standesgenossen, und doch hatte er in seinen wenigen Liebesverhältnissen mehr echte und wahrhafte Empfindungen ausgegeben als sie alle zusammengenommen in ihren zahllosen Zirkus- und Halbweltsabenteuern. Übrigens erschienen ihm von dem Augenblick an, in dem er Maria kennenlernte, seine ernsthaftesten Schwärmereien und Leidenschaften wie Kinderspiel.

Es geschah auf einem Balle, den er aus Gehorsam gegen seine Mutter besucht hatte. Er kam ja überhaupt nur aus Gehorsam zu ihr nach Wien, um dort in die große Welt zu gehen, wo er kein Vergnügen fand und wo die Bemühungen um seine Gunst ihn anekelten.

Tante Dolph war Zeuge seiner ersten Begegnung mit Maria und dann selbst der Gegenstand seiner eifrigsten und ehrfurchtsvollsten Aufmerksamkeiten gewesen. Sie erinnerte sich plötzlich ihrer Jugendfreundschaft mit Gräfin Agathe Dornach und machte ihr einen Besuch, der bald erwidert wurde. Die alten Damen sagten zueinander: »Liebes Kind«, und jede hatte das Gefühl ihrer Überlegenheit über die gute Bekannte von einst, mit der sie später auseinandergekommen war wegen völlig verschiedener Anschauungen und gleich schroffer Unduldsamkeit. Agathe berühmte sich, eine orthodoxe Katholikin zu sein; Dolph, ganz ungläubig, ließ nicht gelten, daß ein vernünftiger Mensch fromm sein könne, es wäre denn ein Dienstbote, ein Bauer oder ein Prinz. Agathe fürchtete für Dolphs ewiges Heil, diese fürchtete Agathens Bekehrungsversuche, die stets in der Behauptung gipfelten, die Skepsis entstehe aus der Halbbildung, und weiter als bis zu einer solchen brächten Frauen es nicht. Ob sich diese Gegensätze zwischen den beiden Damen im Laufe der Jahre gemildert oder verschärft hatten, danach wurde jetzt nicht gefragt und das Berühren heikler Punkte sorgfältig vermieden. Der Graf, ein Konversationskünstler ohnegleichen, half spielend über ein paar Abendstunden hinweg; das Gespräch, das er beherrschte, wurde lebhafter geführt als das zwischen den jungen Leuten am Teetisch nebenan. Maria war schweigsam, Hermann nicht beredt. Er sagte aber dennoch viel, denn jeder seiner Blicke enthielt eine glühende Erklärung der innigsten Liebe.

Eines Tages nun geschah es, daß Gräfin Dornach sich bei Maria anmelden ließ und mit einer Miene eintrat, als ob sie die Schlüssel des Himmels zu überreichen hätte. In würdevoll gelassener Weise brachte sie im Auftrage Hermanns die Anfrage vor, ob er um Marias Hand werben dürfe.

»Dein Jawort würde ihn beseligen«, schloß sie, »und du kannst es ihm getrost geben. Ich schmeichle niemandem, am wenigsten mir selbst in meinem Sohne. Mein Urteil über ihn ist das eines jeden Unparteiischen und lautet: Es gibt keinen vernünftigeren Menschen, keinen besseren, keinen edleren.« Sie hielt inne, sie wartete auf eine Erwiderung; da keine erfolgte, fuhr sie fort: »Wenn deine Mutter lebte, würde ich mich zuerst an sie gewendet haben, und sie wäre es, die jetzt zu dir spräche. Nimm an, daß es durch meinen Mund geschieht.«

Maria senkte die Augen, ihre Lippen zitterten, aber sie schwieg.

»Ein sicheres Glück bietet sich uns im Leben selten. Dem, der es einmal abgewiesen hat, wird es schwerlich wiederkehren«, fuhr die Gräfin nach einer Pause noch kälter und förmlicher als früher fort. »Indessen hast du recht zu erwägen. Dein Zögern gefällt mir; es beweist, daß du den Ernst des Schrittes kennst, den andere junge Mädchen oft so leichtsinnig unternehmen. Ich habe Vertrauen zu dir. Wenn ich deine Einwilligung, deine einfache Einwilligung mit nach Hause nehme, so enthält sie für mich alle heiligsten Schwüre, die ein ehrliches Mädchen ihrem zukünftigen Gatten nur irgend leisten kann.«

»Jawohl, das enthielte sie auch … Ich bitte Sie –«

»Wieder: Sie! Bleibe ich dir denn fremd?« – »Ich bitte dich, sage dem Grafen Hermann – –« eine unaussprechliche Bangigkeit bemächtigte sich ihrer; sie blickte in das marmorblasse Gesicht der Gräfin: – So lieblos wie die Tante, dachte sie.

»Nun, was sag ich ihm?«

»Daß ich heute abends – Ihr kommt ja doch? – selbst mit ihm sprechen werde.«

Sie küßte der Gräfin, die sich ziemlich enttäuscht erhob, die Hand und begleitete sie bis zur Treppe.

In ihr Zimmer zurückgekehrt, schritt sie lange in hoher Erregung auf und ab und quälte sich mit der Frage: Warum will ich’s tun? – Ist mein Grund nicht ein verwerflicher?… Und dann setzte sie sich ans Klavier und spielte und wurde allmählich ruhiger. Und dann kam Tante Dolph und las ein Telegramm von Wilhelm Dornach vor, einem Bekannten aus uralter Zeit, dessen Existenz sie längst vergessen hatte. Auf ein Gerücht hin, das in seine ländliche Einsamkeit gedrungen war, schickte der gute, dumme Mensch ihr seine Glückwünsche zur Verlobung ihrer Nichte mit seinem Vetter.

Die Gräfin lachte über die Eile des armen Teufels, seine geheuchelte Freude an den Tag zu legen. Als nächster Anwärter auf das Majorat konnte der ganz unbegüterte und mit einer zahlreichen Familie gestrafte Mann doch nichts anderes gewünscht haben, als daß sein Vetter ledig bleibe. Ein insdiskreter Wunsch, ja, aber der natürlichste von der Welt. Sie nahm Platz auf der Chaiselongue mit dem Rücken gegen das Bild ihrer verstorbenen Schwägerin, das anzusehen sie überhaupt vermied, klagte über Kopfschmerzen und rieb die eingefallenen Schläfen mit Kölner Wasser. Sie war leidend und in gereizter Stimmung. Sogar als sie ihr jetziges Lieblingsthema anschlug, das Lob Hermanns, geschah es mit einer Beimischung von Spott.

»Heil der Frau, die er heimführt!« rief sie aus, »ihre Ehe wird freilich sein wie jede, in der nur ein Wille herrscht.«

Sie beantwortete den erstaunten Blick Marias mit der Frage, ob denn Hermann nicht von seiner Kindheit an gelernt habe, sich einer Weiberregierung zu fügen?… Wie albern müßte doch die Frau sein, die es nicht verstände, einen so vortrefflichen Elementarunterricht als Grundlage zu weiterer Ausbildung zu benützen! Gute Lehren, wie das anzufangen sei, kamen nun in Fülle. Ernst gemeinte wie spaßhafte und alles mit Beispielen erläutert. Man sehe das Ehepaar Heinburg. Im Anfang war er ein Spieler und brachte die Nächte im Klub zu, während sie daheim saß und weinte. Das hat sich nach und nach geändert – durch ihr Verdienst! Jetzt spielt sie, und er weint. »Und deine Freundin Emmy, die sich zum Altar schleppen ließ wie ein Lamm zur Schlachtbank und in ihrer Ehe einen so guten sicheren Hafen gefunden hat, von dem aus sie allerlei abenteuerliche Fahrten unternehmen kann in die stürmische See!«

Ein Klopfen an der Tür ließ sich hören, und Fräulein Nullinger, die Gesellschafterin Gräfin Dolphs, schlüpfte herein. Sie wurde von der Gebieterin »Nulle« genannt, was sie empörte, und litt infolge ihres aufregenden Dienstes an Nervosität. Obwohl sie jetzt nur die harmlose Meldung zu machen hatte, daß die Schneiderin gekommen sei und gesagt habe, sie könne nicht lange warten, zuckte es dabei krampfhaft um ihren Mund.

»Schon gut, setzen Sie sich«, erwiderte Dolph und fuhr fort, Freund und Feind durch die Hechel zu ziehen. Sie nannte viele Namen ganz flüchtig und obenhin; an dem, der ihn trug jedoch, blieb ein Makel hangen, oder er wurde mit einer Lächerlichkeit behaftet.

Maria hörte ihr heute aufmerksamer zu als sonst und dachte: Sie hat wohl recht. Was soll auch an den übrigen Menschen sein, wenn Tessin nichts taugt? Und Gräfin Dolph, wie ein echter Schauspieler, den schon die Teilnahme eines einzigen Zuhörers begeistert, übertraf sich selbst in ihrer fragwürdigen Kunst und geriet in den kleinen Witz- und Bosheitsrausch, der ihr so gesund war. Ihr Gesicht, das, wie sie selbst sagte, eine Karikatur der schönen Züge ihres Bruders war, belebte sich, und ihre Kopfschmerzen verschwanden.

Fräulein Nullinger verlor endlich die Geduld und erhob sich, noch um eine Schattierung höher gefärbt als gewöhnlich. »Ich werde der Schneiderin sagen«, sprach sie, »daß Frau Gräfin jetzt lästern müssen und keine Zeit für sie haben.«

Dolph lachte. »Ach was, mein Lästern: ein gerader Kerl, der gleich Farbe bekennt. Aber das Ihre!… Wenn Sie anfangen: Ich hab den oder die recht gern, das ist, wie wenn ein Reiter sein Pferd zusammennimmt, bevor er ihm eins hinaufgibt.«

Sie ging in munterster Laune, war auch später bei Tische heiter und anscheinend ganz wohl. Am Abend jedoch stellten sich plötzlich ihre Kopfschmerzen wieder ein und zwangen die Leidende, ihr Zimmer aufzusuchen, kurz bevor Hermann und seine Mutter gemeldet wurden. Ausnahmsweise hatte Wolfsberg zu Hause gespeist und nachmittags im Salon den Damen Gesellschaft geleistet. Er empfing die Gräfin mit tausend Entschuldigungen seiner Schwester, die sehr zur Unzeit unwohl geworden; Agathe äußerte ihre Teilnahme mit ganz besonderer Wärme und ersuchte den Grafen, sie zu ihrer Freundin zu geleiten, was alsbald geschah. – Die jungen Leute blieben allein.

Beiden stieg die Röte in die Wangen. Ihm schien die Gelegenheit zu einer entscheidenden Unterredung plump und ungeschickt geboten; ihrer bemächtigte sich ein peinliches Gefühl, halb Empörung, halb Bangigkeit. Regungslos stand sie da, hatte die Brauen zusammengezogen und blickte ins Feuer des Kamins. Nach einer Pause, die, je länger sie dauerte, desto schwerer zu unterbrechen war, begann Hermann bewegt und zagend: »Meine Mutter hat mit Ihnen gesprochen, Gräfin … Sie kennen die kühne Frage, die ich so vermessen bin, an Sie zu stellen. Die leiseste Hoffnung auf eine bejahende Antwort würde mich beglücken … Darf ich sie fassen?«

Maria schwieg, aber sie wandte sich ein wenig und blickte ihn von der Seite so fremd an, als ob sie ihn heute zum ersten Male sähe. Sein Äußeres war ungemein gewinnend, sie mußte es gestehen. Verstand, Güte, Geradheit sprachen aus seinem hübschen Gesicht, leuchteten aus seinen treuherzigen Augen. Er trug einen kleinen Schnurr- und Backenbart, die reichen braunen Haare waren kurz geschnitten und ließen die edel geformte Stirn und die Schläfen frei. Seine Gestalt hatte etwas Festes, Kräftiges, und doch fehlte es ihr nicht an männlicher Anmut.

»Antworten Sie mir«, sagte er.

Und sie, »der Held« im Kreise ihrer jungen Freundinnen, die Unerschrockene, die ja mit sich selbst im reinen und fest entschlossen war, ihre Hand in die des ungeliebten Freiers zu legen, flüsterte nun bestürzt: »Ich weiß nicht … ich weiß nicht –«

Ihre Verzagtheit ergriff und rührte ihn; er machte sich Vorwürfe, er hatte zu früh gefragt, er hätte dem Drängen seiner Mutter nicht nachgeben, sich von dem Entgegenkommen des Grafen nicht verleiten lassen sollen. Nun bemühte er sich, seine Übereilung gutzumachen: »Sie sind noch unentschieden«, nahm er wieder das Wort, »ich sehe es und finde es begreiflich. – Überlegen Sie, prüfen Sie mich streng und lang. Ich mache es Ihnen nicht schwer – in meiner Seele gibt es keine Abgründe …«

»Mein Gott, nein«, sprach Maria, »das ist nicht … nein, nein –« und zwei Worte, Anfang und Ende ihrer jungen Weisheit, kamen fast unhörbar über ihre Lippen … Worte ihres Vaters, die er seiner gelehrigen Schülerin eingeprägt hatte: »Nur ruhig!« – Dereinst, als sie sich in Verzweiflung über die Leiche ihrer Mutter geworfen … und viel später, auf der Jagd, als ihr scheuendes Pferd dem Mühlstrom zugerast … und dann auf ihrem ersten Ball, als sie, von übermütiger Fröhlichkeit ergriffen, so laut gelacht, so toll getanzt, immer hatte sein eindringliches: »Nur ruhig!« sie zur Besinnung gebracht.

Auch in diesem Augenblick erinnerte sie sich der väterlichen Mahnung nicht umsonst und vermochte ihren abgebrochenen Reden mit einem Scheine von Gelassenheit hinzuzufügen: »Sie irren – ich bin entschlossen.«

»Wozu?… Nein?«

»Ja.«

»Heil mir!« rief er mit tiefinnerstem Jubel und ergriff ihre Hand, die sie, wieder erfaßt von ihrer früheren Bangigkeit, aus der seinen zu lösen suchte. Er aber hielt sie fest.

»Sie ist mein, mein kostbarstes Eigentum – und Ihr freies Geschenk, nicht wahr, Maria? – Niemand hat Sie beeinflußt, Sie hätten sich nicht beeinflussen lassen; Sie sind zu stolz, zu selbständig.«

»Doch«, versetzte sie und erhob nun endlich ihr gesenktes Haupt. Nie in ihrem Leben hatte sie einen Menschen so bewegt gesehen, und – merkwürdig – was ihr als der Ausbund des Lächerlichen galt: ein Verliebter, dessen Empfindung nicht völlig erwidert wird, kam ihr jetzt höchst ernsthaft vor und traurig sogar, traurig für sie. Er, mit seinem großen, wahrhaftigen Gefühl, er war der Reiche und sie arm neben ihm. »Doch«, wiederholte sie leise, »der Wunsch meines Vaters hat Einfluß auf mich gewonnen – im Anfang.«

»Und später, was bestimmte Sie später, was bestimmt Sie jetzt? Seien Sie aufrichtig gegen mich, Gräfin, wie ich es immer gegen Sie sein werde. Was bestimmt Sie … ich … ich weiß, daß es nicht Neigung ist.« Mühsam hatte er dieses Geständnis vorgebracht, denn er täuschte sich nicht über die Gefahr, die es in sich schloß.

Aber Maria lächelte, freudig fast: »Daß Sie es trotzdem mit mir wagen wollen, das eben bestimmt mich … Und das Vertrauen, das Sie mir beweisen – und das Vertrauen, das Sie mir einflößen.«

»Dank!« sprach er, und aus seinen ehrlichen blauen Augen leuchtete eine wonnige Zuversicht. »Das ist ein schöner Bund: Ihr Vertrauen und meine ehrfurchtsvolle Liebe! Eine solche Liebe reicht aus für zwei gute Herzen, sie hat eine mitteilende Kraft. Wissen Sie warum? Weil sie sich nie aufdrängt, sich niemals ein Recht anmaßt. Ihr gegenüber gibt es keine Pflicht, nur Gnade und Wohltat. Und welche edle Frauenseele würde nicht endlich gerührt von … Genug!…« unterbrach er sich, »sonst verrate ich noch, daß diese Uneigennützigkeit nichts ist als der größte Egoismus – der Egoismus, Sie glücklich zu sehen.«

Mit beiden Händen zog er ihre Hand an seine Lippen, an seine Brust. Maria fühlte das ungestüme Pochen seines Herzens, auf seinem Angesicht jedoch, das sich über das ihre neigte, lag Frieden, und es erschien ihr wie verklärt von tiefster Seligkeit.

Der schweigsame Mann wurde beredt; er fand für seine Empfindung den Ausdruck, der gewinnt, für seine Gedanken das überzeugende Wort. Maria hörte ihm zu und sagte sich: Er ist wahr und warm. – Und vielleicht war es das, wonach sie sich sehnte von Kindheit an: Wahrheit und Wärme. Wohl hatte man sie vergöttert und verwöhnt; aber wieviel Falschheit war bei dieser Vergötterung, die servile Leute ihr erwiesen, wieviel – wenigstens äußere – Kälte bei der Verwöhnung, die sie von ihrem Vater und nun erst von Tante Dolph erfuhr.

»Der Ernst auf Ihrer Stirn«, sprach Hermann, »der hat mich bezaubert; er ist, was ich zuerst an Ihnen geliebt habe, und jetzt wird es mein heißes Bestreben sein, ihn allmählich zu zerstreuen. Sie sollen gefeit durchs Leben wandeln, eingehüllt in meine Liebe … Ich bin zu glücklich«, brach er aus – »ich verdien es nicht – was müßte der sein, der Sie verdiente, Maria! Maria!«

Sie trat einen Schritt zurück, sie vermied den Blick voll leidenschaftlicher Andacht, der den ihren suchte, und sprach: »Nein, nicht so – Sie sind ja besser als ich … haben Sie Geduld mit mir.«