Kapitel 4

 

Die Nacht war dunkel, ein feiner, dichter Regen strömte unablässig, emsig auf die Erde nieder, und ein andrer, ein kompakter Regen spritzte von ihr auf beim energischen Gestampfe der wackeren Rößlein. »Polens fünftes Element« umwirbelte und übersprühte das von Joseph gelenkte Gefährt, das zwischen einer doppelten Reihe riesiger Pappeln auf der Kaiserstraße dahinrollte.

Der Doktor saß lange Zeit schweigend in seinen Mantel gehüllt. Ungeduld verzehrte ihn.

»Wir kommen zu spät«, sagte er endlich. »Treib die Falben an.«

»Sie laufen ja, was sie können«, antwortete Joseph. »Wir sind schon weit.« Er deutete nach einem großen weißlichen Fleck im Nordwesten des bleigrauen Horizonts: »Die Weichsel und der Dujanec stecken schon ihre Fahnen aus.«

Eine Viertelstunde später war das Ziel erreicht: ein niedriges, weitläufiges Gebäude. Vor demselben standen allerlei Fuhrwerke und hinderten Joseph, sich mit dem seinen zu nähern.

Rosenzweig hieß ihn halten, stieg ab und suchte sich einen Weg durch das Gewirre der Wagen und Pferde zu bahnen. Es war keine leichte Aufgabe für einen, der möglichst unbemerkt in das Haus gelangen wollte.

Die meisten Kutscher hatten ihr Gespann verlassen, die andern schliefen auf dem Bocke oder taten so und leisteten dem Befehl des Doktors, ein wenig Raum zu geben, keine Folge. Er hob eben den Stock, um sich ihnen deutlicher verständlich zu machen, als Abraham Dornenkron auf der Schwelle des Hauses erschien, einen brennenden Span in der Hand.

»Schaff mir Platz, Abraham«, sprach der Doktor, »ich bin’s, ich, Doktor Rosenzweig.«

»Gott der Gerechte!« stieß der Wirt erschrocken hervor, faßte sich aber sogleich und patschte dienstwillig in den Sumpf, der die Zufahrt zu seinem Gasthofe bildete. Er schob die künstlich aufgestellte Wagenburg auseinander und rief dabei fortwährend mit überflüssigem Stimmaufwand: »Der Herr Doktor Rosenzweig! – Is wer krank? Wohin belieben zu reisen der Herr Doktor?«

Sobald die Möglichkeit vorhanden war, sich ihm zu nähern, sprang Nathanael auf ihn los und packte ihn beim Ohr: »Sei still, Spitzbube! Du brauchst mich bei deinen Gästen nicht anzumelden. Ich will das schon selbst besorgen.«

Und als das Männlein trotzdem nicht aufhörte, seine Verwunderung über die Ankunft des Doktors laut auszuschreien, drückte der ihn gegen den Türpfosten, daß ihm der Atem verging, und drang an ihm vorbei in den Flur.

»Ein Gibor! Schema Isroel, ein Gibor der gewaltige Doktor!« raunte Abraham einem mißgestalteten Wesen zu, das plötzlich im Dunkel, geräuschlos wie eine Eidechse, krummbeinig wie ein Kobold, neben ihm aufgetaucht war.

Es wiegte den unförmigen Kopf, seine nachtschwarzen Augen funkelten klug und feurig.

»Er ist eingezogen, zu spionieren, Tateleben. Wir wollen ihm kommen zuvor, daß uns nicht kann begegnen ein Unglück«, flüsterte der Kleine.

»Elend über Elend! Wie haißt ihm kommen zuvor?«

»Ich will nehmen ein Pferd, Tateleben, und reiten nach Tarnow wie ein Windstoß, zu melden bei der Polizei, daß bei uns Versammlung halten die rebellischen Gojim und daß die kaiserliche Regierung soll ausschicken gegen sie Soldaten, wenn es is gefällig der kaiserlichen Regierung.«

Abraham betrachtete seinen Sprößling mit Blicken bewundernder Liebe: »Reit wie ein Windstoß, mein Sohnleben, daß du mit Gott bald kommst ans Ziel. Reit«, wiederholte er, und er setzte in naiver Fürsorge hinzu: »Tu dich nur nehmen in acht, daß du nicht kommst um deine geraden Glieder.«

Rosenzweig war inzwischen in die Wirtsstube getreten oder hatte sich vielmehr hineingezwängt.

Es herrschte darin eine dicke, dumpfe Atmosphäre, das Produkt von mehr als hundert dicht aneinandergepferchten Menschen in nassen Pelzen, Kleidern und Stiefeln. Fuseldünste und der Qualm einer an der Decke hängenden Naphthalampe trugen dazu bei, das Atmen in diesem Raume zu erschweren. Die Anwesenden jedoch erfuhren unbewußt den beklemmenden Einfluß, der die Gesichter der einen glühen machte und die anderer bis zur Todesblässe entfärbte. Es waren Männer, den verschiedensten Altersstufen und Ständen angehörig, in ärmlicher Kleidung, im reichen Nationalkostüm, im Priestertalar, im Studentenrock, im schäbigen schwarzen Gewand des Winkelschreibers. Die keinen anderen Platz mehr gefunden hatten, waren auf die Bänke gestiegen, und zwischen die Mauern und die Menge geklemmt, bezahlten sie bei jeder Bewegung derselben den Vorteil ihrer erhöhten Stellung mit der Gefahr, erdrückt zu werden.

In der vordersten Reihe, seine Umgebung überragend, stand ein grauhaariger, graubärtiger, breitschultriger Herr in kostbarer Magnatentracht. Wenn er den Kopf wandte, zeigte sich dem beobachtenden Nathanael das ausdrucksvolle asiatische Profil eines der mächtigsten Fürsten des Landes.

Auch du, Starosta princeps nobilitatis? dachte Rosenzweig. Aber eine noch größere Überraschung erwartete ihn.

Der einzige in der Stube freigebliebene Raum war der vor dem Eingang in das Nebenzimmer, dessen offene Tür von einigen jungen Leuten mit wahrhaft wildem Eifer vor der Zudringlichkeit der Neugier oder des Fanatismus gehütet wurde. Dort schritt Dembowski im Gespräch mit einem Schlachtschitz auf und ab, in dem Rosenzweig zu seinem grenzenlosen Erstaunen den vertrauter Freund des Kreishauptmanns erkannte. Er lebte in glücklichen Familien- und geordneten Vermögensverhältnissen, war ein harmloser, aufrichtiger Mensch, dem der Frieden über alles ging. Nie hatte er es dahin gebracht, einer politischen Debatte seiner Gutsnachbarn bis ans Ende zu folgen, weil er regelmäßig vor demselben einschlief. Und dieser ruhigste und stillste aller Staatsbürger, da wandelte er nun flammend und glühend in einem Seelenkampfe, dessen Pein sich in seinem zuckenden Gesicht malte, neben dem Aufwiegler einher.

Der aber, leicht vorgebeugt, den Arm des Neophyten sanft berührend, sprach eindringlich und leise zu ihm, sprach Worte, auf welche dieser keine Erwiderung mehr zu finden schien. Ein letztes noch – und er wandte sich von dem Erschütterten und trat zu seiner Gemeinde, die ihn mit unendlichem Jubel empfing.

Der Sendbote war als Bauer gekleidet. Er trug einen langen weißen Kaftan, der am Halse durch zwei große Metallknöpfe geschlossen war, hohe Stiefel, ein Hemd aus grober Leinwand und Pluderhosen aus demselben Stoffe. Ein lederner Riemen, an welchem ein kleines Kruzifix aus schwarzem Holze hing, umgürtete seine Lenden. Sein dichtes, dunkelblondes Haar war kurz geschoren, es wuchs in scharfer Spitze in die Stirn und zog einen schönen gewölbten Bogen um die mattweißen, etwas eingedrückten Schläfen.

Ruhig ließ er den Freudensturm des Willkomms verbrausen, stand da mit herabhängenden Armen, die Finger nur leicht gekreuzt, und schaute ins Gewühl lässig und obenhin, wie sehr Kurzsichtige pflegen, die schauend schon im voraus auf das Sehen verzichten.

»Freunde, Brüder«, begann er, ohne die Stimme zu erheben, und sogleich wurde es still bis zur Lautlosigkeit, »ich grüße euch zum letzten Male vor dem Kampf, vielleicht zum letzten Male vor dem Tode.«

»Sei uns gegrüßt!« antwortete ein brauner Kumpan von martialischem Aussehen, »im Kampf, im Tod, im Sieg!«

»Im Sieg!« durchlief’s die Menge als Seufzer der Sehnsucht, als Schrei der Hoffnung, als Ausruf der Zuversicht.

»Sieg?« wiederholte der Redner, »ihr habt ihn schon errungen. Ein Kampf wie der eure ist ein Sieg und ein Sieger jeder von euch, ob er den Fuß auf seine Feinde stellt, ob er, zertreten von ihren Rossen, auf dem verlorenen Schlachtfeld liegt. Meine Brüder! Was immer uns beschieden sein mag, der Gedanke, der uns beseelt, kann nicht mehr sterben. Er wird fortleben, sogar auf den Lippen derjenigen, die uns um seinetwillen verfolgen und töten. Sie selbst werden die heilige Lehre noch verbreiten, indem sie von dem Märtyrertum erzählen, das wir um ihretwillen erlitten haben.«

Allmählich war die lähmende Müdigkeit von ihm gewichen, seine geschmeidige Gestalt hatte sich emporgerichtet: »Vielleicht ist die Erinnerung an unseren Tod das einzige, was wir denen hinterlassen können, für welche wir so gern gelebt hätten. Wir müssen dafür sorgen, daß dieses Erbe ein glorreiches sei… Es wird kein glorreiches sein, wenn nicht jeder einzelne, der zu unserem Bunde geschworen hat, sich als ein Priester fühlt, dessen Ehrgeiz Entsagung und dessen Ruhm grenzenlose Hingebung an die Sache Gottes ist.«

Vereinzelte Laute der Zustimmung ließen sich vernehmen, aber so manches Antlitz drückte Enttäuschung aus.

»Die Sache Gottes, meine Brüder!« wiederholte der Redner. »Vermöchte ich den Feuereifer, ihr zu dienen, in euren Seelen zu erwecken, den er in der meinen erweckt hat, und euch den Abscheu und die Scham kennen zu lehren, mit der ich zurückblicke auf meine einst genossenen Erdenfreuden. Mitten in der Fülle ihrer Genüsse fand mich der Herr. Aus ihrem Taumel schrak ich auf bei seinem Rufe. Und die Stimme, mit der der Allerbarmer mich rief, war die des Mitleids, und das Mitleid gebar den Zweifel und der Zweifel die Erkenntnis.«

Verklärung breitete sich über seine Züge, das Licht der schönsten Liebesgedanken leuchtete auf seiner Stirn.

»Ich lebte, wie die verwöhnten leben Weil der Zufall mir zuviel beschert hatte, kannt ich kein Genügen, in meiner heißen Hand zerschmolz das Gold.

Da war einer unter meinen Dienern – Jelek hieß er, ein Bauerssohn, der, aufgeweckt und tüchtig, es bis zu dem Amte meines Güterverwalters gebracht hatte. Er allein wagte es einmal, eine Warnung gegen mich auszusprechen, und stand seitdem in Ungnade bei mir.

An einem Sommermorgen ritt ich nach fröhlich durchlebter Nacht mit meinem Anhang von einem Feste bei meiner Geliebten heim. Ihre Küsse brannten noch auf meinen Lippen, die Klänge der Musik summten mir noch im Ohr, liebliche Bilder gaukelten vor meinen Augen, eine glückliche Lebenslust erfüllte mich. In meiner Seele vermählte sich die Erinnerung an genossene Freuden mit der Erwartung künftiger, und übermütig rief ich meinen Gefährten zu: ›Wie heute, so morgen und immer!‹

Wir waren am Ausgang des Waldes angelangt; vor uns lagen im schimmernden Duft des jungen Tages die taufrischen Wiesen, das Ährenmeer der Felder, und aus der Ferne grüßte mein bewimpeltes Schloß mit seinen starken Türmen. Seine Fenster blinkten, auf seinem altersgrauen Gemäuer lag der Glanz der aufgehenden Sonne wie ein Lächeln auf dem Antlitz eines Greises. Einen schönen Anblick bot mein ehrwürdiges, gastliches Haus, und mit Jauchzen sprengten meine Gefährten ihm zu.

Ich aber verhielt mein ungeduldiges Roß.

Ich hatte längs des Waldessaumes einen Mann in hastender Eile herbeikommen gesehen und Jelek, meinen Verwalter, in ihm erkannt. – ›Woher und wohin?‹ rief ich ihn an. Er nannte einen weit entfernten Meierhof, nach dem ihn der Intendant mit einem Auftrag geschickt. -›Fand sich dazu kein Geringerer? Seit wann machst du Botengänge?‹ Auf diese meine Frage gab er zur Antwort: ›Seit ich bei dir in Ungnade gefallen bin. Dein Intendant hat mich meines Amtes entsetzt und bedenkt mich dafür mit allerlei Ämtern.‹ Er keuchte und wischte sich den Schweiß von der Stirn, und ich sah es ihm an, daß ihm der Boden unter den Füßen brannte. Ich sah auch, daß sich vom Dorfe aus ein langer Zug nach der Straße hin bewegte und daß der es war, dem er entgegenstrebte. Ich setzte mein Pferd in Schritt, und er folgte mir. So kamen wir zur Landstraße, auf der die Leute wanderten. Ein paar hundert Männer, Jünglinge, Greise, ihre Sensen auf den Schultern, Säcke auf den Rücken. Sie schritten stumm, mit gesenkten Köpfen, die meisten barfuß und zerlumpt – meine Bauern! … Und wie sie, sich bis zur Erde verneigend, an mir vorüberschlichen, unlustig wie eine Herde, die nach fremdem Pferch getrieben wird, da wußt ich: die Leute sind vermietet für die Erntezeit, weithin vielleicht, und werden den Boden, auf dem ihre eigene ärmliche Ernte reift, nicht wiedersehen, eh der Schnee ihn bedeckt.

Jelek hatte ein Tüchlein hervorgezogen, in dem einige Münzen eingebunden waren, und drückte es einem Alten in die Hand, der am Ende des Zuges mühsam nachhumpelte. ›Damit du nicht darbst unterweges, Vater. Gott tröste dich. Meinetwegen mußt du fort.‹

Der Alte barg das Tuch an seiner Brust, und der Heiduck, der die Schar geleitete, stieß ihn vorwärts.

In die Augen Jeleks traten Tränen des Schmerzes und der Wut.

›Warum sagtest du‹, fragte ich ihn, ›dein Vater müsse um deinetwillen fort?‹

›Weil es so ist. Der Intendant hätte sich nicht getraut, ihn zu vermieten, wenn du mir noch gnädig wärest wie sonst.‹

Ein paar Tage später traf ich meinen Jelek, wie er einen Arbeiter auf dem Felde, einen hochbejahrten Mann, der Faulheit anklagte und erbärmlich schlug.

›Siehst du nicht, daß der Mann erschöpft ist und nicht mehr arbeiten kann‹, sagte ich, und er erwiderte: ›So werden sie es in der Fremde auch meinem Vater tun. Warum soll es dem einen besser gehen als dem andern?‹

Was ich ihm antworten sollte, wußte ich nicht, aber zu dem Alten sagte ich: ›Tun dir die Schläge nicht weh, daß du dastehst und nicht einmal klagst?‹

›O mein gnädigster Herr!‹ entgegnete er, ›was würde das Klagen mir nützen?‹

Und auch darauf mußte ich schweigen…

Heimkehrend fand ich das Haus zum Empfang meiner Geliebten geschmückt, und alle, die um meine Gunst buhlten, waren versammelt, um meiner Herzenskönigin zu huldigen. Sie erschien in ihrer königlichen Schönheit, und ihr Anblick und der Anblick der Pracht, die mich umgab, und der kriechenden Dienstfertigkeit meines Anhangs – Grauen, meine Brüder! Grauen erweckten sie mir.. Ein Dämon, meint ich, habe tückisch mein Auge zu furchtbarem Hellsehen geschärft… All der Glanz, alle die Pracht und Herrlichkeit und die Liebe des Weibes und die Treue der Freunde – sie hatten einen Preis, und bezahlt hatte ihn das Elend. Die hatten ihn bezahlt, die zum Frondienst vermietet hingezogen waren in die Fremde… Das Gewühl vor mir, die Wände des Saales wurden durchsichtig, wie durch schimmernde Schleier sah ich eine wandernde Schar, deutlich jede Linie der Gestalten, jeden Zug der Gesichter, die mein Auge an jenem Morgen nur flüchtig gestreift hatte… Ergebung auf allen! Nicht schöne, männliche – nein! die trost- und hoffnungslose Ergebung des Stumpfsinns… Was jenes Opfer der ungerechten Vergeltung, die mein Diener übte, gesprochen hatte, das sprachen auch sie in ihrem Schweigen: Was würden Klagen uns nützen?

Brüder! in dieser Stunde habe ich meiner Macht geflucht und mein Glück gerichtet… Meine Macht war zum Unheil anderer ausgeübt worden, mein Glück wuchs nicht wie eine Blume aus dem gesunden Mutterschoß der Erde, es war ein Wuchergebilde, ihrer Krankheit Frucht, und nährte sich parasitisch von kostbaren Lebenssäften.«

Der Redner bog den Kopf zurück; seine Lider schlossen sich, einem Gepeinigten gleich zog er den Atem ein: »Da ergoß sich in meine Brust ein Strom der Schmerzen… Die Schmerzen jedes einzelnen, der um meinetwillen gelitten hatte, ergossen sich in meine Brust! … Und jede Schuld und jedes Unrecht, das die begangen hatten, die mir dienten, als meine Schuld empfand ich sie und vernahm schaudernd, wie ihr Schrei gegen mich zum Himmel stieg…

Die Luft im Saale lastete wie Blei, aus den Augen meiner Geliebten blickte die Sünde, die Töne der Musik girrten sinnverwirrende Melodien, und – fort trieb es mich, hinweg von dem durchschauten Trug in die kühle, klare Nacht. Ich wanderte unter ihren schimmernden Sternen, soweit meine Füße mich trugen, und wie auch mein Herz blutete und rang, mir war, als lebt ich auf. In der herben Qual, die ich litt, fühlte ich die Hand meines Herrn, verstand die Mahnung, deren Er mich gewürdigt. Und während sie mich suchten im Schlosse und in den Gärten, lag ich im Waldesgrund auf dem Angesicht vor meinem Gott und flehte um Kraft zur Buße und Sühne und bat mich ihm dar zum Werkzeug Seines Willens, zum Verkünder Seiner Lehre, und flehte den Urquell des Lichtes um Erleuchtung auf meinem Wege an.

Sie wurde mir. Wie das Auge des Blindgeborenen, als der Finger des Heilands es berührte, sich der alten, vertrauten und ihm doch unbekannten Welt erschloß, so erschloß sich meine Erkenntnis der Offenbarung, in deren Licht ich gewandelt war, von Jugend an – ein Blinder. Und je tiefer ich in den Geist des göttlichen Wortes eindrang, desto klarer ward es mir: Inbegriff seiner Weisheit ist die Liebe. Für uns Menschen – die Nächstenliebe!«

Die hochgehenden Wogen der Begeisterung, mit welcher der Sendbote empfangen worden, waren allmählich verebbt. Ein Gemurmel der Mißbilligung, in das sich nur vereinzelt warme Zurufe mischten, erhob sich jetzt. Aus der Gruppe, die den Fürsten umdrängte, scholl rauh die Mahnung: »Laß den Pfarrer von Nächstenliebe sprechen, sprich du von der Befreiung des Vaterlandes!«

»Eines, die beiden!« antwortete der Redner. »Keine Befreiung ohne die Liebe des Nächsten. Sie ist der unermeßlich reiche Schatz, der uns an dem Tag erlöst, an dem wir uns entschließen, ihn zu heben. Nur verstehen müßt ihr ihr Gesetz. Für euch, ihr Mächtigen und Reichen, lauten seine ersten Worte: Entsagung, Entbehrung, Sühne!«

Die Lippen des Fürsten kräuselte ein Lächeln, aber mit immer mächtiger werdender Stimme fuhr der Redner fort: »Es gibt nur einen Herrn, den König der Himmel und der Welten, und nur ein Menschenvolk gleichgeborener Brüder. Der sich Herrschaft anmaßt über seine Brüder, säet und erntet Unheil die Seele des Knechtenden wie die des Geknechteten verdirbt.«

Mit einem raschen Schritte trat er auf den Fürsten zu: »Rette deine Seele, demütige dich! Gedenk der Sünden deiner Väter, gedenk der Flüche, die auf deinem Haupte lasten. Wie? – Befreiung von fremder Tyrannei verlangt ihr? Was habt denn ihr jemals ausgeübt an dem bejammernswerten Volke als Tyrannei? Ihr, der Adel, ihr wart der Staat. Niemals ist in Polen ein anderer Stand zu Wort gekommen als der eure, und wohin habt ihr das Land gebracht? … Euer Eigennutz hat es ausgebeutet, eure Zwietracht es zerrissen, euer Verrat hat es den Feinden ausgeliefert!«

»Du lügst! Schweig! Wir wollen dich nicht mehr hören!« tönte es ihm zurück.

Ein rasender Tumult erhob sich.

»Platz da! Platz für den Fürsten!« riefen die Begleiter des Magnaten, der sich schweigend und verächtlich umgewandt hatte und dem die Seinen mit Stoßen und Drängen einen Weg zum Ausgange zu bahnen suchten. Nathanael, in der Nähe stehend, erwies sich ihnen hilfreich. Die Menge war wie eingekeilt unter der Tür; aber sein eiserner Arm teilte sie, um den Fortstürmenden Raum zu schaffen, und ein allgemeines Aufatmen gab es, als der Fürst und seine Schar das Freie gewonnen hatten.

Von draußen vernahm man ihr Schreien, Fluchen und Lachen. Die Herren pfiffen ihren Kutschern und ihren Hunden, Peitschen knallten, Fuhrwerke setzten sich in Bewegung.

Der Blick des Sendboten glitt schwermütig über die gelichteten Reihen seiner Jünger.

»Auf die Großen dieser Erde habe ich nicht gezählt; wohl uns, wenn wir keine anderen Gegner hätten als sie«, sprach er ruhig. »Der Bedrücker sind wenige, der Bedrückten viele. Wenn die Bedrückten sich erheben und im Namen des Allgerechten ihren Anteil am Besitz der Erde fordern würden, dann wäre die Macht der Mächtigen wie Spreu. Aber der Koloß, der sich nur zu regen brauchte, um seine Bande zu sprengen – er regt sich nicht. Er duldet und front und wird ewig dulden und fronen. Durch das unwürdige Leben, das er seit Jahrhunderten führt, ist das Bewußtsein seines Menschentums, seines freien Willens in ihm erstickt worden… Diejenigen aber, die ihm dieses Bewußtsein raubten, haben nicht nur gegen das elende, von ihnen verachtete Volk, sie haben – und dessen gedenken sie nicht! –, sie haben gegen Gott gefrevelt, indem sie Tausende seiner Geschöpfe unfähig machten, sein Bild widerzuspiegeln.«

Er hielt inne, und die jungen Leute jubelten ihm Beifall zu. Die älteren Männer schwiegen. Einige Geistliche hatten sich in die Nähe der Tür begeben. Der treulose Freund des Kreishauptmanns war samt den Edelleuten verschwunden, nachdem er mit staunendem Schrecken den großen Kopf Rosenzweigs aus dem Gedränge hervorragen gesehen. Der Doktor jedoch, mit der Wucht eines Pfeilers auf seinem Vordermann lastend, brachte jeden allmählich zum Weichen und stand nun auf demselben Fleck, auf dem früher der Fürst gestanden hatte, dicht vor dem Sendboten.

Eine freudige Röte stieg diesem in die Wangen, als er Nathanaels ansichtig wurde.

»Gott wird die Schuldigen richten!« nahm er wieder das Wort. »Was uns zukommt, ist die Erlösung der Armen, deren Jammer zu ermessen wir besser vermögen als sie selbst. Was ich von euch fordere, ihr Herren, ihr wißt es, besprochen und wieder besprochen haben wir’s in langen Stunden. Ihr aber, Studenten und Männer der Wissenschaft, die ihr dem Volke nahesteht wie eurem Vater, betreut es, als wäre es euer Kind. Lehrt es euch lieben und vertrauen, verwendet zu seinen Gunsten euer Wissen, euer Können, eure Erfahrung, Kraft und Zeit. Vergeßt euch selbst in seinem Dienst. Keiner von euch pflege mehr seinen Geist in kaltsinniger Abgeschlossenheit… Mit welchem Rechte vertieft ihr euch in die Erforschung der schwierigsten Welt- und Daseinsrätsel, während um euch her noch Menschen leben, mit dem gleichen Anspruch auf Erkenntnis ausgestattet wie ihr – und unfähig, die einfachste Gedankenreihe zu bilden? … Ihr sucht nach Zielen in euren Wissenschaften und werdet immer nur Grenzen finden. Ich nenne euch ein Ziel, das sich erreichen läßt: die Verminderung des Irrtums, des Wahns, des Aberglaubens unter euren Brüdern… Dem Zug einer ungeheuren Heersäule, die nachts aufbricht, um zum Kampfplatz zu eilen, gleicht das Wandeln des Menschengeschlechts über die Erde. Diejenigen, denen Kraft gegeben ward, die andern zu überholen, haben sich an die Spitze gestellt. Sie schreiten schon im rosigen Morgenlicht, die Schatten fliehen, ein Wunderland öffnet sich vor ihnen. Unaufhaltsam jagen sie ihm zu, auf sonnenbeglänzter Bahn, unbekümmert um die Nachhut, die hinter ihnen im Dunkel tappt und sich verirrt und keinen Steg mehr findet, der zu den Glücklichen hinüberführt, an deren Seite auch sie den Kampf des Lebens zu kämpfen berufen waren… Deshalb, ihr Führer, macht halt! Öffnet eure Reihen, laßt die Nachhut herankommen. Einen breiten Weg für die Nachhut! Zu ihrem Heil, meine Brüder! aber auch zu dem eurigen, denn aus jedem bisher blöden Auge, das sich dank eurer fürsorgenden Liebe einem Strahl der Wahrheit öffnet, wird euch der Himmel grüßen…«

Einige Schulmänner in der Nähe Rosenzweigs wechselten bedeutungsvolle Blicke: »Ich bin sehr enttäuscht«, flüsterte ein Advokatenschreiber den gelehrten Herrn zu. »Das ist ja gar nichts.«

Der Doktor stand nach und nach ganz bequem, von einem Gedränge war keine Rede mehr. Das Auditorium machte sich langsam und geräuschlos fort. Wagen um Wagen rollte, Reiter trabten davon.

Die Zurückbleibenden widersetzten sich endlich dieser Flucht. Die Verwünschungen, mit denen die Abtrünnigen begleitet wurden, begannen in Tätlichkeiten auszuarten.

Gebieterisch erhob der Redner seinen Arm.

»Laßt jeden unbehelligt ziehen«, befahl er. »Wer von euch kann sagen, ob das Samenkörnlein Wahrheit, das jetzt von der Brust dieser Männer abzuprallen schien, nicht, ohne daß sie selbst es ahnen, in ihr Wurzel geschlagen hat? Vielleicht tritt mancher von denen, die uns jetzt verlassen, noch dereinst in unsere Reihen ein… Mir aber, meine Brüder, mir ist es ein Segen zu fühlen: Was mich in dieser Abschiedsstunde umgibt, ist Treue, was mich vernimmt – Verständnis. Den tiefsten Inhalt meiner Lehre, in eure Herzen darf ich ihn gießen wie in köstliche Schalen, die ihn rein und lauter bewahren und ihn anderen Herzen also mitteilen werden.

Brüder, wir müssen immer hören, ohne Kampf der Menschen untereinander könne die Welt nicht bestehen; in einem allgemeinen Frieden würden unsere Kräfte einrosten und unsere Geister erschlaffen. Das ist falsch. Friede zwischen den Menschen bedeutet ja nicht das Ende aller Kämpfe, es bedeutet vielmehr den Beginn eines neuen, eines herrlichen Kampfes. Indessen der Haß der Urheber der bisherigen Kämpfe gewesen ist, wird die Liebe die Mutter der künftigen sein. Die Streiter, die sie aufruft, werden nicht etwa ein leichtes Spiel haben, denn die Feinde, denen sie gegenüberstehen, gönnen ihren Überwindern nicht Ruhe, nicht Rast, täglich besiegt, erheben sie sich täglich wieder. Das Leiden und die Leidenschaft sind ihre Namen. Sie nur einmal ins Auge gefaßt, und ihr werdet an eure Stirnen greifen und euch fragen: Ist es möglich, daß wir jemals einen anderen Streit unternommen haben als den gegen sie, als den gegen die Leiden der anderen und den gegen die Leidenschaft in unserer eigenen Brust? Wie? es gibt in der Welt diese fürchterlichen Gewalten, und wir haben mit ihnen einen faulen Frieden geschlossen? Wir haben sie hingenommen wie das Notwendige und Unentrinnbare, wir haben schläfrig und lau den Vampir an unserem Marke zehren lassen und unsere Streitlust nicht an ihm gebüßt, nein, an unseren Brüdern, unseren mitleidenden Brüdern! Wir haben Beladenen neue Lasten aufgelegt, wir haben Verwundete verletzt…

O des Wahnsinns! Oder des Verbrechens – oder vielmehr der beiden! Verbrechen ist Wahnsinn, die Torheit ist die Quelle jedes Unrechts.«

Ja, und tausendmal ja! dachte Rosenzweig, Tränen in den Augen, erschüttert in allen Fugen seines Wesens. Ein unermeßliches Glück durchdrang ihn, er empfand die höchste aller Wonnen – die Wonne, aus den beengenden Schranken der Selbstsucht aufzusteigen wie aus einem Grabe. Was er bisher am meisten geschätzt hatte, erschien ihm wertlos, die Arbeit vergeudet, die er auf die Erwerbung seines Reichtums verwandt, verächtlich seine engherzige Freude an ihm, der, ein toter Staub, in seinen Händen gelegen. Beschämung erfüllte seine Seele, aber mit Entzücken gab er sich ihr hin als dem Wahrzeichen seiner Wandlung, dem Beginn seines inneren Wachsens und Klärens. Nur ein Gedanke trübte die reine Seligkeit dieses Augenblicks – er galt dem Apostel des Mitleids und der Liebe und wurde schmerzlicher und sorgenvoller, als dieser die Zukunft, die er träumte, als eine erreichbare zu schildern begann. – Täusche dich nicht! hätte er ihm zurufen mögen. Das Land deiner Verheißung hat auf Erden keine Stätte. Begnüge dich damit, unsere Sehnsucht nach ihm erweckt zu haben. Schon das ist Befreiung.

Aber der Sendbote sprach… Der Klang seiner Stimme füllte wie etwas Körperliches den Raum, der Glutstrom seiner Beredsamkeit trieb seine kühnsten, prächtigsten Wogen, und endlich schloß er: »Zweck und Ziel unseres Bundes ist das Wohl des Volks, das Wohl eines jeden Bewohners der polnischen Erde; schwört Treue unserem Bunde!« Da riefen alle, da tönte es mit der Stimme einer Begeisterung aus der Brust von jung und alt, von Erfahrenen und Unerfahrenen, von Besonnenen und Schwärmern: »Wir schwören!«

Sie fielen vor ihm nieder und küßten seine Hände, seine Knie, seine Füße. »Wir schwören dir Gehorsam bis in den Tod!« überschrie einer aus der Menge alle übrigen. Der Sendbote wehrte ab: »Nicht mir Gehorsam – – der Sache. Schwört, die Armen und Bedrückten zu lieben wie euch selbst, und das Vaterland mehr als euch selbst.«

Die Beteuerungen wiederholten sich.

»So geht denn hin. Werbt im Volke, werbt Werber für das Volk. Entsendet keinen, der nicht auf das Kruzifix geschworen hat. Ich bringe euch die Eidesformel und den Katechismus«, sprach der Agitator, und Stille trat während der Verteilung der Schriften ein.

Plötzlich wurde sie durch ein so angstvolles Gekreisch unterbrochen, daß alle zusammenfuhren. Abraham Dornenkron stürzte herein, schreckensbleich, mit aufgelösten Locken: »Rette sich, wer kann sich retten! Mein Sohnleben ist gewesen in Tarnow, hat gesehen steigen auf die Husaren, gleich werden sie sein hier, mein Sohnleben is geritten ihnen voraus.«

Die Warnung Abrahams erweckte Hohn, Trotz, Bestürzung. Einige stammelten ein leises Abschiedswort und eilten rasch davon. Was Waffen trug, scharte sich um Dembowski und schickte sich zu seiner Verteidigung an. Er aber wies seine Getreuen hinweg: »Fort! Ihr, ich, wir alle. Noch ist es nicht Zeit zum Kampfe. Ein Hochverräter jeder, der den Kampf zu früh beginnt. Fort! Alle fort!«

Die Stube leerte sich. Der letzte, der hinaustrat, war der Sendbote, knapp vor ihm schritt Nathanael. In tiefer Stille bestiegen die Verschworenen ihre Wagen und stoben auseinander wie Schatten. Das Pferd des Redners wurde vorgeführt er schwang sich hinauf und gab ihm die Fersen. Das Tier bäumte sich, fiel schwer auf seinen Vorderfuß zurück und zog den andern mit schmerzvollem Zucken in die Höhe.

Eilends sprang Rosenzweig herbei. »Ihr Pferd lahmt«, sagte er, »auf dem Pferd kommen Sie nicht weit.«

Der Wirt näherte sich, eine Flasche tragend, in deren Hals eine tropfende Unschlittkerze stak, hockte am Boden nieder und bestätigte jammernd den Ausspruch des Doktors. Diesen ergriff ein Verdacht, er hielt dem Juden die geballte Faust vors Gesicht: »Wart, Kerl, wenn du das getan hast!«

Abraham brach sofort in Wehklagen und Unschuldsbeteuerungen aus. Der Emissär war vom Pferde gestiegen, stand regungslos und horchte.

Deutlich vernahm man schon das Heransprengen der Reiter auf der Straße. Sie ritten mit dem scharf herüberpfeifenden Wind. Gelblichgrau begann der Horizont zu schimmern. Der fahle Schein der ersten Dämmerung verbreitete sich über die Ebene. Nathanael fröstelte und glühte. Kalter Schweiß rann ihm über die Stirn, eine eiserne Kralle schnürte ihm die Kehle zu. Das war Furcht, deren Symptome er so oft an andern beobachtet, die er an sich selbst nie erfahren hatte.

»Verbergen Sie sich im Haus«, sprach er zum Emissär.

»Was würde mir das nützen, wenn der Wirt falsch ist – und er ist es«, antwortete jener. »Ich will meinen Beinen vertrauen. Soviel Klugheit wie das gehetzte Wild habe ich auch. Irgendwo findet sich ein Hohlweg, ein Baum, ein mitleidiger Strauch, der mich verbirgt.«

Er wandte sich zur Flucht.

Da faßte ihn der Doktor mit überlegener Kraft und drängte ihn zu seinem Wagen hin: »Herunter, Joseph!« befahl er, »und sieh zu, wie du nach Hause kommst. Sie aber, nehmen Sie seinen Platz ein. Rasch!«

Der Widerstrebende war auf den Wagen hinaufgehoben, bevor er sich’s versah. Der Doktor warf ihm seinen im Wagen zurückgebliebenen Mantel über die Schultern, Joseph legte die Zügel in seine Hand und trat sofort im Eilschritt den Heimweg an.

»Du!« sprach Nathanael, und Abraham beugte sich beinahe bis zur Erde unter dem Blitz, der aus den Augen des Doktors auf ihn niederfuhr, »du sollst mich kennenlernen, wenn du den Verräter weiterspielst!« Einige Verwünschungen folgten, die ihm leicht von den Lippen flossen. Schwerer wurde es ihm hinzuzusetzen: »Wenn du aber dein Maul hältst – dann kriegst du von mir für dein Schweigen das Doppelte von dem, was deine Angeberei dir eingetragen hätte.«

Er machte eine rasche Wendung den immer näher kommenden Reitern entgegen.

»Holla ho!« rief er, die Hände vor dem Munde zum Sprachrohr geformt, »zu spät! zu spät!«

Ein Pikett Husaren mit einem blutjungen Kadetten an der Spitze kam hergaloppiert. Der Kadett riß sein Pferd dicht vor Nathanael zusammen: »Gottes Donner! der Herr Doktor! Was führt Sie her?«

»Beim Zeus! die Neugier, mein Gräflein. Aber Sie – warum just Sie? Ein heißer Ritt in kalter Morgenstunde, das gibt, so wahr ich Sie kenne, eine Halsentzündung.«

»Gottes Donner! scherzen Sie nicht! Komm ich wirklich zu spät? Ist das Nest leer? War der Emissär wirklich da? Haben Sie ihn gesehen?« fragte der Jüngling in überstürzter Hast.

»Gesehen, gehört, ihn als unschädlichen Schwärmer diagnostiziert.«

»Unschädlich? Dann war er’s nicht.«

»Er war’s!«

»Es is gewesen er!« fiel Abraham geläufig ein. »Der Herr Kadett können noch sehn stehen hier sein Pferd, das ich hab vernagelt, damit er nicht kann reiten davon.«

»Was ihn zwang«, bemerkte Rosenzweig, »im Wagen eines seiner Freunde davonfahren!«

Der Jüngling nahm das Pferd in Augenschein, ließ ihm das Eisen abreißen und befahl einem Soldaten, es am Zügel mitzuführen.

»Ich nehm es mit als Pfand«, sagte er. »Und nun – in welcher Richtung ist er davongefahren, Doktor?«

»Das verrate ich Ihnen um keinen Preis.«

»In welcher Richtung? Die Sache ist ernst. Ich bin ein gemachter Mann, wenn ich ihn fange. Wir haben verschärfte Order erhalten, heute nachmittag. – In welcher Richtung, Doktor? … Gottes Donner! sprechen Sie!«

Rosenzweig entgegnete mürrisch: »Ich habe keine Katzenaugen. Wahrscheinlich sind Sie ihm selbst begegnet auf der Straße.«

»Niemandem bin ich begegnet außer einigen guten Bekannten… Übrigens« – er hielt inne und schlug sich vor die Stirn. »Auch die sind ja verdächtig… Rechts um!« kommandierte er seinen Leuten, und die Husaren machten kehrt. »Adieu, Doktor. Und du, Jude, merk auf! Es soll ein Preis auf den Kopf des Emissärs gesetzt sein, heißt es, ein Preis von tausend Gulden. Dein wäre er gewesen, hätt ich den Kerl hier erwischt.«

Abraham zuckte zusammen, wand sich wie ein Wurm und kreischte laut. Der Fuß des Doktors stand auf dem seinen und trat ihn unbarmherzig.

»Was gibt’s?« rief der Husar.

»Er weint um die tausend Gulden, die ihm an der Nase vorbeigeflogen sind«, entgegnete Rosenzweig.

Der Kadett setzte sich wieder an die Spitze seiner Mannschaft: »Ich reite zurück. Die Wagen holen wir noch ein… Gottes Donner! die wollen wir jetzt aufs Korn nehmen… In Galopp, Marsch!« Und das Pikett rasselte davon.

Abraham hüpfte kläglich auf einem Fuße und hielt den andern, zurückgekrümmten wie in einer Schlinge in der Hand.

»Zweitausend Gulden!« winselte er. »Sie haben mir zerquetscht, Herr Doktor, Sie Gibor, zwei Zehen… Aber Sie sollen gehen drein, ich verlang kein Schmerzensgeld, wenn Sie mir auszahlen morgen meine zweitausend Gulden, die Sie sind mir schuldig, so wahr Gott lebt!«

Rosenzweig antwortete dumpf: »Komm nur, Halunke. Was ich verspreche, halte ich – auch einem Halunken.«

Er trat an den Wagen und sprach, auf den Rücksitz deutend, zu seinem Fahrgast: »Da hinüber steigen Sie, überlassen Sie mir Ihren Platz. Ich bringe Sie in Sicherheit.«

Der Sendbote stand mit einem Satze neben ihm und drückte kräftig seine Hand: »Haben Sie Dank. Sorgen Sie nicht weiter um mich; ich finde Freunde überall.«

Vergeblich suchte der Doktor ihn zurückzuhalten; er entwand sich ihm und war bald den Augen seines Retters im verhüllenden Zwielicht entschwunden.