13.

So manche gutmütige Frau in Weinberg meinte, Fräulein Regula sei freilich ein Engel und Bozena freilich die bravste Magd unter der Sonne, aber dennoch könne man das Schicksal des zwischen den beiden aufwachsenden Kindes nicht gerade ein beneidenswertes nennen.

Röschen flößte gar vielen Leuten Mitleid ein, die sie an einem Fenster des grauen Hauses stehen und sehnsüchtig herabblicken sahen zu den Kindern, die auf dem Platze herumliefen und spielten. Ihr war Umgang mit Wesen ihres Alters nicht gegönnt und der Verkehr mit dem Kinde Mansuet entschädigte sie dafür doch schwerlich. Bozena wagte einmal, ihr gnädiges Fräulein darauf aufmerksam zu machen, wurde aber trocken abgewiesen. Regula vermochte nicht einzusehen, daß die Kleine einer andern als einer vernünftigen Umgebung bedürfe. Durchaus nicht. Sie selbst habe sich als Kind immer in Gesellschaft von Erwachsenen bewegt und es sei ihr wohl bekommen.

«O Bozena!» sagte Röschen einst –, «hätt ich doch lange Beine!»

«Was würden sie dir nützen, du Knirps?» fragte Bozena.

«Ich liefe – liefe –» und das Gesicht des Kindes war wie durchleuchtet von der geträumten Wonne, «liefe so schnell, wie die Vögel fliegen.»

Regula sah die Magd bedeutsam an und sprach halblaut: «Die Natur ihrer Mutter. Man kann sie nicht genug in acht nehmen.»

Dieses Wort schnitt Bozena ins Herz, aber sie verriet sich nicht. Sie neigte das Haupt ehrerbietig vor ihrer Herrin: «Sie werden das Kind behüten», sagte sie, «es ist in Ihrem Schutze und geborgen.»

Das Fräulein zuckte die Achseln und dachte, das unumschränkte Vertrauen, das die Leute in sie setzen, sei doch manchmal unbequem. Aufgebürdet, aufgedrungen wurde ihr das Kind der Schwester, und der Ruf von Tugend und Großmut, den sie genießt, zwingt sie, es bei sich zu behalten. Und in tiefinnerster Seele ist sie ihm so unbeschreiblich abgeneigt! Alles an ihm mißfällt ihr, stört sie, regt sie auf. Sein Lachen und Singen greift ihr die Nerven an, seine Liebkosungen bringen sie in Verlegenheit.«Laß mich, das schickt sich nicht», sagt sie, wenn Röschen ihr entgegenfliegt und ihr in die Arme stürzen will.

Mansuet nannte Regula das unmütterlichste Frauenzimmer, das ihm jemals vorgekommen sei, und meinte:«Wenn die einmal ein Kind kriegt und es fängt an zu schreien, dann schickt sie um die Polizei.»

Das Leben im Hause der alten Jungfer von zweiundzwanzig Jahren lief ab wie der Mechanismus einer Uhr, pünktlich und blutlos. In ihrer frostigen Atmosphäre konnte die Rede nicht sein von der freudigen und ungehemmten Entfaltung einer jungen Seele.

Arme Kinder haben die goldene Freiheit, reiche Kinder haben einen vergoldeten Käfig; Röschens Kindheit wurde in einem Käfig verlebt, aber er war von Eisen. Und dennoch war sie ein fröhliches Röschen und die Wahrheit erprobte sich an ihr: haben kann man das Glück, aber bekommen nicht. Sie war glücklich, denn sie liebte, was sie umgab, und wußte nicht, was Grollen sei. Sie liebte die lieblose Tante, sie trieb Abgötterei mit der strengen Bozena und mit dem alten Mansuet, und der vergalt’s ihr redlich. Was die Magd betraf, so war Röschen ihr teuerstes Gut; sie würde ohne Zögern jedes Opfer für sie gebracht, ihr Herzblut, wenn es galt, tropfenweise für sie vergossen haben, aber so wie sie ihre trotzige Rosa geliebt hatte, vermochte sie nicht mehr zu lieben. Das tiefste Gefühl, welches sie jemals beseelt, das hatte die mit ins Grab genommen, die von ihr gepflegt worden war, als sie selbst noch jung gewesen. Sie ließ Röschen niemals so derb an, wie sie deren Mutter angelassen hatte, aber dies geschah nicht, weil sie mehr Liebe, sondern weil sie mehr Mitleid für sie empfand.

So wenigstens legten die beiden ehemaligen Kommis sich Bozenas stilles, zurückhaltendes Benehmen aus. Sie aber waltete mit altem Fleiß in den alten Räumen, nur nicht mehr mit dem alten Übermut. Wenn sie das Zimmer betrat, in dem sie vor zwanzig Jahren ihren Herzensliebling triumphierend in ihren Armen erhoben und ihm alle Herrlichkeit der Welt prophezeit hatte, da glitt ein Schatten über ihre Stirn.

Ein Fremdling saß nun das Kind ihrer Rosa am Tische im Vaterhause und aß das Gnadenbrot aus ungnädiger Hand. –

Sechs Wochen, nachdem sich Schimmelreiter von Bozena einen so wohlgeflochtenen Korb geholt hatte, erhielt er das Jawort einer minder hartherzigen Schönen. Mit verklärten Augen, verjüngt durch das Glück, stellte er sich seinem Fräulein als Bräutigam vor. Regula erhöhte seine Seligkeit noch durch die huldvolle Annahme seiner Einladung, der Hochzeit beizuwohnen. Auch Bozena erhielt von der Gebieterin die Erlaubnis, zugleich mit ihr bei dem Feste zu erscheinen, das Schimmelreiter äußerst prachtvoll auszurichten gedachte.

Die von ihm Erwählte war die Tochter eines kleinen Beamten; eine blonde Jungfrau, von Mutter Natur mit so dauerhaften Reizen ausgerüstet, daß der Zahn der Zeit durch vierzig volle Jahre fast vergeblich an ihnen genagt hatte.

Sie sah bei der Trauung wirklich gar nicht übel aus, das mußte ihr jeder lassen – der es ihr nicht nehmen konnte. Ein paar Rivalinnen versuchten es umsonst. Allgemein jedoch hieß es, Schimmelreiter hätte besser getan, Bozena zu erwählen, die wohl um einige Jährlein älter, aber denn doch eine ganz andere Person sei, als die Beamtentochter.

Zur kirchlichen Feier war die halbe Stadt gebeten, zu dem Gastmahle, das am Abend beim «Grünen Baum» stattfand, nur eine kleine auserlesene Schar.

Das junge Ehepaar empfing seine Gäste in dem mit Blumen dekorierten und im Glanze von vielen Kerzen prangenden Honoratiorensaale. Vier Kellner, schwarzbefrackt, mit Rosen im Knopfloche, waren an der Tür postiert, und verneigten sich alle zugleich, sooft einer der Geladenen eintrat. Der erste, der sich einfand, war Doktor Wenzel mit seiner Frau und seinem erstgeborenen Sohne. Der Familie folgte auf dem Fuße ein magerer Freiherr aus altadeligem Hause, aber sehr herabgekommen in seinen Finanzen, der einstens ein wirklicher Attaché gewesen sein sollte, man wußte nicht bei welcher Gesandtschaft. Er war einer von Regulas hartnäckigsten Freiern, und fühlte sich glücklich, Schimmelreiters Freundschaft errungen zu haben, nachdem er um die Mansuets vergeblich geworben. – Sodann erschienen der ehemalige Direktor von Rondsperg und Herr Professor Bauer, zuletzt die Angehörigen der Braut.

Schimmelreiter ging von einem zum andern, und dankte jedem für die Ehre, die er ihm erwies. Doktor Wenzel sprach angelegentlich mit der Neuvermählten, die vor Gemütsbewegung wie eine Päonie glühte, und lobte den Charakter ihres Mannes, dann begab er sich zu diesem, und lobte die Bescheidenheit und Anmut seiner «bräutlichen Frau».

Der Professor hatte heute seinen schüchternen Tag, drückte sich an die Wände und wich schon von weitem jedem aus, der Miene machte, auf ihn zugehen zu wollen. Manchmal warf er einen sehnsüchtigen Blick nach der Tür, öfter jedoch einen wütenden auf den Freiherrn. Dieser hatte seine schwarzgefärbten Haare in kleine Locken brennen lassen, trug eine weiße Krawatte, und am roten Bande das Kommandeurkreuz des Hausordens einer deutschen Miniaturfürstlichkeit. Er sah ganz erschrecklich vornehm aus, und der schlichte Ludwig Bauer geriet darüber in Verzweiflung.

Um acht Uhr erschien endlich Fräulein Heißenstein, gefolgt von Mansuet und Bozena. Daß auch dieser Zutritt gewährt wurde in die vollkommen distinguierte Gesellschaft, die Schimmelreiter an seinem Ehrentage um sich versammelte, wurde dem Festgeber sehr hoch angerechnet; noch höher aber dem leutseligen Fräulein, das sich herabließ, mit der Magd an einem Tische zu sitzen. Regula wurde ehrfurchtsvoll empfangen und von Schimmelreiter an die Spitze der Tafel geleitet, wo sie zwischen ihm und dem Freiherrn Platz nahm. Ihr gegenüber am unteren Ende des Tisches saß Bozena zwischen Mansuet und Wenzel jun. der ungemein viel aß, besonders Brot, und sooft ihn jemand ansprach, aus Bestürzung darüber einen großen Bissen in den Mund steckte, bevor er den Versuch machte, zu antworten. Die natürliche Folge war ein Erstickungsanfall, den der bescheidene Jüngling in aller Stille zu überwinden suchte.

Dieser oft wiederholte Vorgang, den alle Anwesenden außer den Eltern Wenzel bemerkten, trug nicht wenig zur Erhöhung der allgemeinen Heiterkeit bei. Er wirkte, so unbedeutend er war, befreiend auf die bisher etwas gedrückte Stimmung der Braut. Immer freundlicher gestaltete sich das Fest, es herrschte bei dem größten Anstand die größte Unbefangenheit. Jedermann schien zu denken: da sitze ich im schön geschmückten Saale, an reich gedeckter Tafel, esse die köstlichsten Sachen, bin auf das beste gekleidet, befinde mich in zahlreicher und feiner Gesellschaft, und fühle mich dabei so heimisch, als befände ich mich zu Hause in meiner Stube.

Daß es bei einem Souper, an dem Doktor Wenzel teilnahm, an Trinksprüchen nicht fehlte, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden. Es wurde auf das Wohl der Neuvermählten, auf das Wohl Regulas, auf das Wohl des Freiherrn, des Direktors und des Professors getrunken. Schimmelreiter brachte ein Hoch aus auf die Familie seiner geliebten Frau, der Freiherr eines auf die Frauen von Weinberg, der Direktor eines auf Doktor Wenzel und seine Angehörigen, und auf das ganze weibliche Geschlecht. Nun neigte sich das Fräulein zu Schimmelreiter und flüsterte ihm leise einige Worte zu. Er erhob sich wie elektrisiert und sprach:«Eine edle Dame mahnt mich, daß wir bisher noch eines versäumten, das uns ziemt …»

Die Pause, die der Redner hier machte, benützte der Professor, um leuchtenden Auges und mit bewegter Stimme das Zitat zu bringen.

«Willst du genau erfahren, was sich ziemt,
So frage nur bei edlen Frauen an.»

und Schimmelreiter fuhr fort:

«Nämlich auch die treue Dienerin des Hauses Heißenstein, Jungfer Bozena, hoch leben zu lassen. Auf ihr Wohl!» rief er, und dieser Toast fand lebhaften Anklang. Bozena verließ ihren Platz und ging mit dem Glase in der Hand von einem zum andern, um mit ihm anzustoßen. Dies wurde für jeden, der des Gespräches mit seinem Nachbarn satt war, das Signal, gleichfalls aufzustehen. Der Herr Direktor begab sich zu Regula und fragte sofort, ob sie Nachrichten von «seinen Herrschaften» habe. Er bedauerte über die Maßen «seinen lieben Grafen Ronald», nannte Rondsperg einen famosen Besitz … «das heißt hm! – freilich, es könnte alles wieder werden, wenn … ja – wenn!»

Schimmelreiter schlüpfte zu seiner Gattin hinüber und sagte der Verschämten ins Ohr, das Souper sei ausgezeichnet nobel gewesen, dann näherte er sich Mansuet, dem er gestand, er glaube behaupten zu dürfen, seine Kathi habe sich zu der Verbindung mit ihm nicht nur aus Vernunft entschlossen, sondern auch aus Liebe.

In diesem Augenblicke ließ sich im Nebenzimmer ein lauter Wortwechsel vernehmen. Deutlich unterschied man die Rufe: «Zurück!» – «Hier tritt man nicht ein! …» «Geladene Gesellschaft.» Und dazwischen wiederholte eine heisere Stimme unablässig: «Macht Platz! macht Platz, ihr Esel! – Was – geladen! Wüßten sie, daß ich auch da bin, ich wäre auch geladen!» Der Lärm wuchs, dumpfe Schläge fielen – die Tür flog auf … und ein Mann trat ein, den sogar die, die in früheren Zeiten oft mit ihm verkehrt hatten, nicht gleich erkannten.

Es mußten einige Augenblicke vergehen, bevor ihnen zum Bewußtsein kam, daß dieser dicke Geselle mit den schwimmenden Augen, dem roten, aufgedunsenen Gesichte, dem kurzen, keuchenden Atem kein andrer sei als – Bernhard, der ehemals schöne Jäger, Bernhard der Pfau!

Er sah, betroffen über den Anblick der stattlichen Gesellschaft, scheu umher, rückte den Hut ins Genick und sagte, wie um sich selbst Mut zu machen: «Man wird doch seine Bekannten besuchen dürfen, im Wirtshaus?»

«Der Mensch ist berauscht», sagte der Freiherr halblaut.

Regula stieß einen leisen Schreckensruf aus, und die Herren und Frauen eilten zu ihr, um sie zu beruhigen. So stand Bozena, die inzwischen ihre Runde beendet hatte und wieder an ihrem Platze angelangt war, allein dem Eindringling gegenüber, Aug‘ in Auge. Sie stand still – stumm und wie versteinert vor Grauen und Schmerz.

Ihr Leben war eine lange Buße gewesen für eine kurze Verirrung, und nun trat der Mensch, der sie verleitet hatte, vor sie hin, und ihr schien, als sei nichts gesühnt, als stiege ihre entwürdigte Vergangenheit verkörpert aus dem Dunkel des Vergessens und riefe ihr drohend zu: Mich besiegst du nie, ich bin unsterblich, bin unüberwindlich! –

Einen Augenblick zögerte der Jäger, dann ging er frech auf die Schweigende zu und rief: «Bozena! Kennst mich denn nicht mehr?»

Sie senkte finster den Kopf, und er fuhr fort: «Erst heute bin ich angekommen – bin hier wegen des Nachlasses meiner Frau, die gestorben ist – leider. Meine erste Frage war nach dir, natürlich, und wie ich höre, du bist da, lauf ich hinüber zu euch. Dort heißt’s: Beim ‹Grünen Baum›. Nun richtig! … So grüß dich Gott, Bozenka. Und jetzt laß uns plaudern!»

Er hatte, im Gehen etwas schwankend, einen Sessel herbeigeholt und setzte sich an die Seite Bozenas, die, blaß wie man sie niemals gesehen, auf ihren Stuhl gesunken war.

Schimmelreiter hatte indessen mit den Herren geflüstert und schien eine Abrede mit ihnen genommen zu haben. Er näherte sich jetzt und sagte geschäftsmäßig zu dem Jäger: «Alle Anwesenden sind meine Gäste. Dies zur Kenntnis.»

«Potztausend, der Schimmelreiter!» rief Bernhard. «Servus, servus … Alle Anwesenden Ihre Gäste? – Ich auch demnach – bin auch anwesend. Ein Glas her! Schenk ein, altes Tintenfaß!»

Der Sekretär ließ sich nicht beirren, sondern fügte im früheren Tone hinzu: «Weiß mich nicht zu besinnen, daß ich Sie geladen hätte», und dabei machte er rasch nacheinander winkende Bewegungen mit den Händen, als wollte er sagen: Fort! fort! fort!

Bernhard lachte blödsinnig, legte die Arme bis zu den Ellbogen auf den Tisch, rückte näher zu Bozena heran, sah ihr von unten hinauf ins Gesicht und sagte: «Er möcht mich weg haben, der Alte, aber was hilft’s? – Ich gehe nicht, ich bleib bei dir, mein Herzel!»

Nun fuhr Mansuet auf ihn los: «In welchem Tone erlauben Sie sich mit der Jungfer zu reden? » herrschte er ihn giftig an.

«Das ist der Mansuet, glaub ich», rief Bernhard spöttisch. «Bon soir, Herr Mansuet, was kümmert Sie mein Ton? – Wenn ihr», er blinzelte Bozena vertraulich zu, «mein Ton nicht recht ist, wird sie’s schon sagen. Nicht wahr, Bozenka, mein Schatz?»

Mansuet hielt sich nicht länger. «Der Teufel ist dein Schatz, du Trunkenbold!» schrie er, «und nun: fort! Und wenn du die Türe nicht findest, fliegst du zum Fenster hinaus!»

Das Gesicht des Jägers flammte, er rief: «Du Lump! Was geht’s euch an, ihr Lumpe, wie ich spreche mit meiner Geliebten?!»

«Deiner Geliebten?!» wetterte der kleine Kommis und hatte ihn im selben Augenblicke am Kragen und zerrte ihn vom Sessel herab auf den Boden, «deine Geliebte?! … Nimm das zurück, oder ich schlag dich tot, ich schlag dich tot!»

Bernhard tobte wie ein Rasender unter den Fäusten Schimmelreiters, der ihn gepackt hatte und ihm gleichfalls zurief: «Nimm das zurück!»

Er wehrte sich mit allen seinen Kräften und schrie dabei: «Just nicht! Euch zum Trotze nicht! Meine Geliebte, meine Geliebte! Sie war’s!»

Mansuet kannte sich nicht mehr. «Bestie!» kreischte er, riß ein Messer vom Tische und stürzte damit auf Bernhard zu …

Da erfaßte eine eiskalte Hand die seine und entwand ihm das Messer mit einem Rucke … Bozena stand zwischen dem Jäger und seinen Angreifern.

«Laßt ihn», sprach sie, ihre Stimme klang hart wie Metall. «Laßt ihn. Es ist wahr.»

Ein dumpfer Schrei erhob sich. Bernhard stand langsam auf, warf triumphierende Blicke im Zimmer umher und machte Miene, auf Bozena zuzueilen. Doch sie, mit stummer Verzweiflung im Angesichte, mit einer Gebärde unsäglicher Verachtung, wies gebieterisch nach der Tür.

Der Elende blieb erschrocken stehen, murmelte einige unverständliche Worte, zupfte seine Jacke zurecht und gehorchte.

Eine lange Pause folgte, die Männer warfen einander fragende Blicke zu, die Frauen senkten die ihren zur Erde. Frau Doktor Wenzel traten Tränen in die Augen; hätte sie nur dem Rate ihres Herzens folgen dürfen, sie wäre hingetreten zu Bozena und hätte ihr die Hand gedrückt. Der Zweifel jedoch, ob ihr Mann dies billigen würde, hielt sie zurück, und sie sagte nur unwillkürlich: «Arme Bozena!» Schimmelreiter starrte die Heldin des eben erlebten peinlichen Auftritts mit offenem Munde so befremdet an, als sähe er sie heute zum erstenmal. Seine Gattin vernahm, wie er leise vor sich hinsprach: «Darum also … O wie brav!» Der Freiherr wandte sich mit den Worten: «Une maîtresse femme, ma parole d’honneur!» zu Regula. Das Fräulein aber, deren Nase weiß wie Kreide geworden, war eitel Entrüstung und Unwille. «Skandal! – Skandal! – Skandal!» wiederholte sie in einem fort, ließ ihrem Lohnkutscher befehlen vorzufahren und entfernte sich, ohne Abschied von irgend jemandem zu nehmen, mit der Familie Wenzel, der sie Plätze in ihrem Wagen antrug. Ihre bestürzten Verehrer gaben ihr das Geleite.

Bozena stand noch immer wie angewurzelt auf derselben Stelle und schien von allem, was vorging, nichts zu sehen und nichts zu hören.

Mansuet trat zu ihr, berührte ihren Arm und sagte sanft und unaussprechlich traurig: «Kommen Sie!»

Die Unglückliche zuckte zusammen, ein schwerer, schmerzlicher Seufzer hob ihre Brust und gesenkten Hauptes folgte sie ihrem alten Freunde.